N. Bucharin u.
E. Preobraschensky

 

Das ABC des Kommunismus

 

III. Kapitel

Kommunismus und Diktatur des Proletariats

 

§ 19. Charakteristik der kommunistischen Gesellschaftsordnung – Die Produktion unter dem Kommunismus – § 20. Die Verteilung in der kommunistischen Gesellschaftsordnung – § 21. Die Verwaltung in der kommunistischen Gesellschaftsordnung – § 22. Die Entwicklung der Produktivkräfte in der kommunistischen Gesellschaftsordnung (Vorteile des Kommunismus) – § 23. Die Diktatur des Proletariats – § 24. Die Eroberung der politischen Macht – § 25. Die Kommunistische Partei und die Klassen in der kapitalistischen Gesellschaft

 

§ 19. Charakteristik der kommunistischen Gesellschaftsordnung

Wir haben gesehen, warum die kapitalistische Gesellschaftsordnung untergehen mußte (und wir sehen sie jetzt vor uns untergehen). Sie geht zugrunde, weil in ihr zwei Gegensätze wirksam sind: einerseits die Anarchie der Produktion, die zur Konkurrenz, zu Krisen und Kriegen führte; andererseits der Klassencharakter der Gesellschaft, der unabwendbar den Klassenkampf zur Folge hat. Die kapitalistische Gesellschaft ist wie eine konstruierte Maschine, bei der immer ein Teil in den andern störend eingreift. (Siehe § 13: „Die Widersprüche in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung“.) Darum muß diese Maschine früher oder später zusammenbrechen.

Es ist klar, daß die neue Gesellschaft viel fester zusammengefügt sein muß als der Kapitalismus. Sobald die herrschenden Gegensätze den Kapitalismus in die Luft sprengen, muß auf den Ruinen dieses Kapitalismus eine neue Gesellschaft entstehen, die jene Gegensätze nicht kennt, die in der alten wirksam waren. Die Merkmale der kommunistischen Produktionsweise sind folgende: 1. sie muß eine organisierte Gesellschaft sein; in ihr darf es keine Anarchie in der Produktion, keine Konkurrenz der Privatunternehmer, keine Kriege und Krisen geben; 2. sie muß eine Gesellschaft ohne Klassen sein; sie darf nicht aus zwei Hälften bestehen, die einander immerfort bekämpfen, sie kann nicht eine Gesellschaft sein, wo eine Klasse durch eine andere ausgebeutet wird. Eine solche Gesellschaft, in der es keine Klassen gibt und in der die ganze Produktion organisiert ist, kann nur eine kameradschaftlich arbeitende, kommunistische Gesellschaft sein. Betrachten wir diese Gesellschaft näher. Die Grundlage der kommunistischen Gesellschaft ist das gesellschaftliche Eigentum an den Produktions- und Verkehrsmitteln, d.h., daß die Maschinen, Apparate, Lokomotiven, Dampfschiffe, Fabriksgebäude, Magazine, Getreidespeicher, Erzgruben, Telegraph und Telephon, Grund und Boden und die Arbeitstiere im Besitz der Gesellschalt sind, die über sie verfügt. Weder ein einzelner Kapitalist, noch eine Vereinigung einzelner reicher Leute hat das Verfügungsrecht über diese Mittel, sondern die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit. Was heißt es: die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit? Es heißt, daß auch nicht eine einzelne Klasse der Eigentümer ist, sondern alle Menschen, die die Gesellschaft bilden. Unter solchen Verhältnissen verwandelt sich die Gesellschaft in eine große kameradschaftliche Arbeitsgenossenschaft. Hier gibt es keine Zersplitterung der Produktion und keine Anarchie. Im Gegenteil. Erst eine derartige Ordnung ermöglicht die Organisierung der Produktion. Da gibt es keinen Konkurrenzkampf unter den Unternehmern, denn alle Fabriken, Werke, Erzgruben und sonstige Einrichtungen sind in der kommunistischen Gesellschaft nur eine Art Abteilung einer großen Volkswerkstätte, die die ganze Volkswirtschaft umfaßt. Es versteht sich von selbst, daß eine so ungeheuer große Organisation einen allgemeinen Produktionsplan voraussetzt. Wenn alle Fabriken, Werke, die ganze Landwirtschaft, eine riesengroße Genossenschaft bilden, so muß natürlich genau überlegt werden, wie die Arbeitskräfte unter den verschiedenen Industriezweigen zu verteilen, welche und wieviel Produkte zu erzeugen sind, wie und wohin die technischen Kräfte aufgeteilt werden müssen usw. Alles das muß im Vorhinein, wenn auch nur annähernd, ausgerechnet sein und dementsprechend muß gehandelt werden. Darin äußert sich ja gerade die Organisation der kommunistischen Produktion. Ohne gemeinsamen Plan und gemeinsame Leitung, ohne genaue Verrechnung gibt es keine Organisation. Gerade in der kommunistischen Gesellschaftsordnung gibt es einen derartigen Plan. Aber die Organisation allein genügt noch nicht. Das Wesen der Sache liegt ja noch darin, daß diese Organisation – eine kameradschaftliche Organisation aller Genossenschaftsmitglieder ist. Außer durch die Organisation unterscheidet sich die kommunistische Gesellschaftsordnung noch dadurch, daß sie die Ausbeutung vernichtet, daß sie die Klassenteilung der Gesellschaft aufhebt. Man kann sich ja die Organisation der Produktion z.B. auf folgende Art vorstellen: eine kleine Kapitalistengruppe beherrscht alles, beherrscht es aber gemeinschaftlich: die Produktion ist organisiert, kein Kapitalist bekämpft den anderen, er konkurriert nicht mit ihm und pumpt gemeinsam mit ihm den Mehrwert aus seinen Arbeitern aus, die zu Halbsklaven geworden sind. Hier gibt es zwar eine Organisation, aber auch eine Ausbeutung einer Klasse durch die andere. Es gibt hier wohl ein Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, doch im Interesse bloß einer Klasse, der Arbeiterklasse. Darum ist das kein Kommunismus, trotzdem hier eine Organisation der Produktion vorliegt. Eine derartige Organisation der Gesellschaft würde nur ein Grundübel der Gessellschaft – die Anarchie der Produktion – beseitigen, würde aber das andere Übel des Kapitalismus, die Teilung der Gesellschaft in zwei Kampflager, stärken, der Klassenkampf würde sich noch mehr verschärfen. Diese Gesellschaft wäre nur in einer Beziehung organisiert; die Massenspaltung aber wäre nicht aufgehoben. Die kommunistische Gesellschaft organisiert nicht nur die Produktion, sie befreit auch die Menschen von der Unterdrückung durch andere Menschen. Sie ist in allen ihren Teilen organisiert.

Der gesellschaftliche Charakter der kommunistischen Produktion kommt auch in allen Einzelheiten dieser Organisation zum Ausdruck. Unter dem Kommunismus wird es z.B. keine ständigen Fabriksverwalter geben oder Leute, die ihr Leben lang eine und dieselbe Arbeit verrichten. Gegenwärtig ist es ja so: Ist ein Mensch Schuster, so macht er sein ganzes Leben Stiefel und sieht außer seinen Leisten nichts; ist er Zuckerbäcker, so bäckt er sein ganzes Leben lang Kuchen; ist er Fabriksdirektor, so verwaltet und befiehlt er die ganze Zeit; ist er einfacher Arbeiter, so hat er sein ganzes Leben lang zu gehorchen und fremde Befehle auszuführen. In der kommunistischen Gesellschaft gibt es das nicht. Da genießen alle Menschen eine vielseitige Bildung und alle finden sich in allen Produktionszweigen zurecht; heute verwalte ich, indem ich berechne, wie viele Filzschuhe oder Semmeln für den nächsten Monat zu erzeugen sind; morgen arbeite ich in einer Seifensiederei, nächste Woche vielleicht in einem Gemeinde-Treibhaus, und noch drei Tage später – in einer elektrischen Zentrale. – Das wird nur möglich sein, wenn alle Mitglieder der Gesellschaft die entsprechende Bildung genießen werden.

 

 

§ 20. Die Verteilung in der kommunistischen Gesellschaft

Die kommunistische Produktionsweise setzt auch nicht eine Produktion für den Markt voraus, sondern für den eigenen Bedarf. Nur erzeugt hier nicht jeder Einzelne für sich selbst, sondern die ganze riesengroße Genossenschaft für Alle. Folglich gibt es hier keine Waren, sondern bloß Produkte. Diese erzeugten Produkte werden nicht gegeneinander eingetauscht; sie werden weder gekauft, noch verkauft. Sie kommen einfach in die gemeinschaftlichen Magazine, und werden denjenigen gegeben, die sie benötigen. Das Geld wird also hier unnötig sein. Wieso denn? – wird jeder fragen. So wird ja der Eine eine Unmenge nehmen und der Andere ganz wenig. Welchen Vorteil wird man denn von dieser Verteilung der Produkte haben? Da muß nun Folgendes gesagt werden: In der ersten Zeit, vielleicht die ersten 20 bis 30 Jahre, wird man natürlich verschiedene Regeln einführen müssen, und es werden z.B. bestimmte Produkte nur denjenigen zugewiesen, die einen entsprechenden Vermerk im Arbeitsbuch oder ihre Arbeitskarten vorgezeigt haben. Später, wenn sich die kommunistische Gesellschaft befestigt und entwickelt hat, wird das alles überflüssig sein. Jedes Produkt wird reichlich vorhanden, alle Wunden werden längst geheilt sein und jeder wird dann soviel nehmen können, als er braucht. Werden aber die Menschen nicht ein Interesse haben, mehr zu nehmen, als sie es brauchen? Gewiß nicht. Gegenwärtig fällt es ja auch Niemandem ein, z.B. in der Tramway 3 Fahrscheine zu kaufen und damit nur einen Platz zu besetzen und zwei unbesetzt zu lassen. Ebenso wird es dann mit allen Produkten sein. Der Betreffende hat aus dem gemeinschaftlichen Magazin so und soviel genommen als er braucht und Schluß. Den Überfluß zu verkaufen hat ja auch niemand ein Interesse: denn jeder kann, was er braucht, wann er will, bekommen. Auch das Geld wird dann keinen Wert haben. Folglich werden zu Beginn der kommunistischen Gesellschaft die Produkte wahrscheinlich nach der Arbeitsleistung und später einfach nach den Bedürfnissen der Bürger-Genossen verteilt werden.

Sehr häufig wird gesagt, daß in der zukünftigen Gesellschaft das Recht jedes Einzelnen auf sein volles Arbeitsprodukt verwirklicht werden wird: was du geleistet hast, das bekommst du auch. Das ist unrichtig und könnte niemals ganz durchgeführt werden. Warum? Wenn alle das bekommen würden, was sie geleistet haben, wäre es nie möglich, die Produktion zu entwickeln, zu erweitern und zu verbessern. Ein Teil der geleisteten Arbeit muß immer zur Erweiterurng und Verbesserung der Produktion verwendet werden. Wenn wir alles verzehren und verbrauchen würden, was wir geleistet haben, könnte man ja keine Maschinen erzeugen: sie werden ja weder gegessen, noch getragen. Es ist jedem verständlich, daß sich das Leben mit der Verbreitung und Ausgestaltung der Maschinen verbessern wird Das bedeutet aber, daß ein Teil der Arbeit, die in den Maschinen enthalten ist, zu dem, der gearbeitet hat, nicht zurückkehren wird. Es kann also niemals jeder Einzelne den vollen Ertrag seiner Arbeit erhalten können. Das ist ja auch gar nicht notwendig. Mit Hilfe guter Maschinen wird die Produktion so eingerichtet werden, daß alle Bedürfnisse befriedigt werden.

In der ersten Zeit wird also die Verteilung der Produkte nach der verrichteten Arbeit (wenn auch nicht „nach dem vollen Arbeitsertrag“) und später – nach den Bedürfnissen erfolgen; es wird weder Not noch Mangel geben.

 

 

§ 21. Die Verwaltung in der kommunistischen Gesellschaftsordnung

In der kommunistischen Gesellschaft wird es keine Klassen geben. Wenn es aber keine Klassen geben wird, so heißt das, daß es auch keinen Staat geben wird. Wir sagten bereits früher, daß der Staat eine Klassenorganisation der Herrschaft ist: der Staat wurde immer von einer Klasse gegen die andere gebraucht: ist der Staat bürgerlich, ist er gegen das Proletariat gerichtet; ist er proletarisch, so ist er gegen die Bourgeoisie gerichtet. In der kommunistischen Gesellschaft gibt es aber weder Gutsbesitzer, noch Kapitalisten, noch Lohnarbeiter, es gibt nur einfache Menschen – Genossen. Es gibt keine Klassen, auch keinen Klassenkampf, keine Klassenorganisationen. Folglich gibt es auch keinen Staat; er ist hier überflüssig, da es keinen Klassenkampf gibt, es ist niemand im Zaum zu halten und niemand kann es auch tun. Nun wird man aber fragen: „Wie kann sich denn eine so große Organisation ohne jede Führung bewegen? Wer wird denn den Plan der gemeinschaftlichen Wirtschaft ausarbeiten? Wer wird die Arbeitskräfte verteilen? Wer wird die gesellschaftlichen Einnahmen und Ausgaben berechnen? Kurz, wer wird über die ganze Ordnung wachen?“

Darauf ist nicht schwer zu antworten. Die Hauptleistung wird in verschiedenen Rechnungskanzleien und statistischen Büros liegen. Dort wird Tag für Tag über die ganze Produktion und ihre Bedürfnisse Rechnung gelegt werden; es wird auch angegeben werden, wo die Zahl der Arbeitskräfte zu vergrößern, wo zu verringern und wieviel zu arbeiten ist. Und weil alle von Kindheit her die gemeinsame Arbeit gewohnt sein und begreifen werden, daß diese Arbeit notwendig und das Leben am leichtesten ist, wenn alles nach einem durchdachten Plan vor sich geht, so werden auch alle nach den Anordnungen dieser Berechnungsbüros arbeiten. Da braucht man keine eigenen Minister, keine Polizei, Gefängnisse, Gesetze, Erlässe – nichts. So wie in einem Orchester alle dem Dirigentenstock folgen und danach handeln, so werden auch hier alle den Berechnungstabellen folgen und dementsprechend ihre Arbeit verrichten.

Es gibt also hier keinen Staat mehr. Es existiert keine Gruppe und keine Klasse, die über alle anderen Klassen steht. Außerdem werden ja in diesen Rechnungsbüros heute die, morgen jene Personen sein. Die Bürokratie, die ständige Beamtenschaft, wird verschwinden. Der Staat wird absterben.

So wird es selbstredend in der Zeit der entwickelten, erstarkten kommunistischen Gesellschaftsordnung sein, nach dem vollständigen und endgültigen Sieg des Proletariats und da auch nicht so schnell darauf. Die Arbteiterklasse wird ja sehr lange gegen alle ihre Feinde zu kämpfen haben, vor allem gegen die Überreste der Vergangenheit, wie Müßiggang, Nachlässigkeit, Verbrechertum, Überhebung. Es werden noch 2–3 unter den neuen Bedingungen erzogene Generation vergehen müssen, bis die Gesetze und Strafen, die Unterdrückung durch den Arbeiterstaat aufgehoben und alle Reste der kapitalitischen Vergangenheit verschwinden werden. Wenn bis dahin der Arbeiterstaat unentbehrlich ist, so wird in der entwickelten Gesellschaftsordnung, in der die Spuren des Kapitalismus bereits völlig verschwunden sind, auch die Staatsgewalt des Proletariats absterben. Das Proletariat selbst wird sich allmählich mit allen anderen Schichten vermengen, denn Alle werden allmählich in die gemeinsame Arbeit einbezogen werden und nach 20–30 Jahren wird eine neue Welt erstehen, wird es andere Menschen, andere Sitten geben.

 

 

§ 22. Die Entwicklung der Produktivkräfte in der kommunistischen Gesellschaftsordnung (Vorteile des Kommunismus)

Die kommunistische Gesellschaftsordnung wird, nachdem sie gesiegt und alle Wunden geheilt hat, die Entwicklung der Produktivkräfte schnell vorwärts bewegen. Der rascheren Entwicklung der Produktivkräfte in der kommunistischen Gesellschaft liegen folgende Ursachen zugrunde: Erstens: eine Menge menschlicher Energie wird frei werden, die früher für den Klassenkampf verbraucht wurde. Stellen wir uns nur vor, wieviel Nervenkraft, Energie und Arbeit gegenwärtig für Politik-, Streiks, Aufstände, Unterdrückung der Aufstände, Gerichte, Polizei, Staatsgewalt, für die tagtägliche Kräfteanspannung der einen und der anderen Seite verloren gehen! Der Klassenkampf verschlingt ungeheuer viel Kräfte und Mittel. Diese Kräfte werden frei: Die Menschen werden dann nicht gegeneinander kämpfen. Die freigewordenen Kräfte werden für produktive Arbeit verwendet werden. Zweitens: bleiben jene Kräfte und Mittel erhalten, die in der Konkurrenz, in den Krisen und Kriegen zerstört und verbraucht werden. Wenn man bloß die Kriegsverluste allein berechnen wollte, würde das eine Riesensumme ergeben. Und wieviel Verluste erleidet die Gesellschaft durch den Kampf unter den Verkäufern, der Käufer untereinander, der Verkäufer gegen die Käufer! Wieviel Kraft geht zwecklos in den Krisen verloren! Wieviele überflüssige Energieausgaben erwachsen aus dem Mangel an Organisation und dem Wirrwarr in der Produktion! Alle diese Kräfte, die jetzt verloren gehen, bleiben in der kommunistischen Gesellschaft erhalten. Drittens bewahren die Organisation und ein zweckentsprechender Plan nicht nur vor überflüssigen Verlusten (die Großproduktion ist immer sparsamer!), sie ermöglicht auch die Verbesserung der technischen Produktion. Die Produktion wird in den größten Betrieben, mit den allerbesten technischen Mitteln geführt werden. Denn unter dem Kapitalismus gibt es ja sogar auch bestimmte Grenzen für die Einführung der Maschinen. Der Kapitalist führt nur dann Maschinen ein, wenn Mangel an billigen Arbeitskräften ist. Sind diese aber vorhanden, dann braucht der Kapitalist keine Maschinen einzuführen: er erzielt ja ohnehin einen schönen Profit. Er benötigt die Maschine nur dann, wenn sie ihm die teure Arbeitskraft erspart. Da aber unter dem Kapitalismus die Arbeitskräfte im allgemeinen billig sind, wird die schlechte Lage der Arbeiterklasse zum Hindernis für die Verbesserung der Technik. Besonders deutlich kommt das in der Landwirtschaft zum Ausdruck. Dort waren und sind die Arbeitskräfte immer billig und deswegen geht die Entwicklung der Maschinenarbeit nur sehr langsam vor sich. Die kommunistische Gesellschaft sorgt aber nicht für den Profit, sondern für die Arbeitenden selbst. Da wird jede Verbesserung sofort aufgegriffen und durchgeführt. Der Kommunismus geht nicht den Weg, den der Kapitalismus geht. Die technischen Erfindungen werden unter dem Kommunismus ebenfalls fortschreiten; denn Alle werden eine gute Bildung genießen und Diejenigen, die unter dem Kapitalismus aus Not zugrunde gehen (z.B. begabte Arbeiter), werden die Möglichkeit besitzen, ihre Fähigkeiten voll zu entfalten.

In der kommunistischen Gesellschaft wird jedes Schmarotzertum verschwinden, d.h. die Existenz von Menschen-Mitessern, die Nichts tun und auf Kosten anderer leben, wird aufhören. Was in der kapitalistischen Gesellschaft von den Kapitalisten verzehrt, verfressen und versoffen wird, wird in der kommunistischen Gesellschaft für produktive Bedürfnisse verwendet werden. Die Kapitalisten, ihre Lakaien und ihr Hofstaat, die Pfaffen, Prostituierten usw. werden verschwinden, und alle Mitglieder der Gesellschaft werden produktive Arbeit leisten.

Die kommunistische Produktionsweise wird eine ungeheure Entwicklung der Produktivkräfte bedeuten, so daß auf jeden Arbeiter der kommunistischen Gesellschaft weniger Arbeit entfallen wird als früher. Der Arbeitstag wird immer kürzer und die Menschen von den Ketten, die ihnen die Natur auferlegt hat, befreit werden. Sobald die Menschen nur wenig Zeit verbrauchen werden, um sich zu nähren und zu kleiden, werden sie einen großen Teil der Zeit der geistigen Entwicklung widmen. Die menschliche Kultur wird eine nie dagewesene Höhe erreichen. Sie wird wirklich eine menschliche, nicht eine Klassenkultur sein. Gleichzeitig mit dem Verschwinden der Unterdrückuug eines Menschen durch den anderen wird auch die Herrschaft der Natur über den Menschen schwinden. Die Menschheit wird dann zum ersten Mal ein wirklich vernünftiges, nicht tierisches Leben führen.

Die Gegner des Kommunismus haben denselben immer als eine ausgleichende Verteilung dargestellt. Sie sagen, die Kommunisten wollen alles beschlagnahmen und untereinander gleichmäßig verteilen: den Grund und Boden und andere Produktionsmittel, ebenfalls alle Gebrauchsmittel. Es gibt nichts Unsinnigeres, als diese Auffassung. Vor allem ist eine derartige Neuverteilung unmöglich: man kann das Land, die Arbeitstiere, Geld verteilen. Man kann aber keine Eisenbahnen, Maschinen, Dampfschiffe, komplizierte Apparate usw. verteilen. Das ist Eins. Zweitens bringt eine Teilung nicht nur nichts Gutes, sie wirft die Menschheit auch zurück. Diese Teilung würde die Bildung einer Unzahl kleiner Eigentümer bedeuten. Wir wissen aber bereits, daß aus dem Kleinbesitz und der Konkurrenz der Kleinbesitzer der Großbesitz entsteht. Wenn also die allgemeine Teilung verwirklicht werden würde, ging es wieder von vorne an und die Menschheit würde das alte Lied von Neuem zu singen haben. Der proletarische Kommunismus (oder der proletarische Sozialismus) ist eine große kameradschaftliche Gemeinwirtchaft. Er ergibt sich aus der ganzen Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaft und aus der Lage des Proletariats in dieser Gesellschaft. Vom proletarischen Kommunismus ist zu unterscheiden:

1. Der lumpenproletarische Sozialismus (Anarchismus). Die Anarchisten werfen den Kommunisten vor, daß der Kommunismus in der künftigen Gesellschaft die Staatsgewalt aufrechterhalten wolle. Wie wir sahen, stimmt es nicht. Der tatsächliche Unterschied besteht darin, daß die Anarchisten ihr Augenmerk mehr der Verteilung als der Organisation der Erzeugung widmen; und diese Organisation der Erzeugung denken sie sich nicht als eine riesengroße kameradschaftliche Wirtschaft, sondern als eine Menge kleiner, „frei“ sich selbstverwaltender Kommunen. Eine derartige Gesellschaftsordnung kann natürlich die Menschheit nicht vom Joche der Natur befreien: in einer derartigen Gesellschaft können die Produktivkräfte nicht jene Höhe erreichen, die sie unter dem Kapitalismus erreicht hatten, weil der Anarchismus die Produktion nicht vergrößert, sondern zersplittert. Es ist daher nicht verwunderlich, wenn die Anarchisten in der Praxis häufig zu einer Verteilung der Gebrauchsgegenstände geneigt sind und sich oft gegen die Organisation der Großproduktion wenden. Sie bringen nicht die Interessen und Bestrebungen der Arbeiterklasse, sondern des sogenannten Lumpenproletariates, des Landstreicher-Proletariats, zum Ausdruck, dem es unter dem Kapitalismus schlecht geht, das aber zu keiner selbständigen schöpferischen Arbeit fähig ist.

2. Der kleinbürgerliche Sozialismus (des städtischen Kleinbürgertums). Er stüzt sich nicht auf das Proletariat, sondern auf die untergehenden Handwerker, städtischen Kleinbürger, zum Teil auf die Intellektuellen. Er protestiert gegen das Großkapital, aber im Namen „der Freiheit“ des Kleinunternehmertums. Meistens verteidigt er die bürgerliche Demokratie gegen die sozialistische Revolution, indem er seine Ideale auf „friedlichem Wege“ zu erreichen sucht: durch Entwicklung der Genossenschaften, die Vereinigung der Heimarbeiter usw. Unter dem Kapitalismus arten häufig die genossenschaftlichen Unternehmungen in gewöhnliche kapitalistische Organisationen aus, und die Genossenschafter selbst unterscheiden sich dann beinahe gar nicht von dem Bourgeois.

3. Der bäuerliche Agrarsozialismus nimmt verschiedene Formen an; manchmal nähert er sich dem Bauernunanarchismus. Das Charakteristische für ihn ist, daß er sich den Sozialismus nie als eine Großwirtschaft vorstellt und sich der Verteilung und Ausgleichung nähert; vom Anarchismus unterscheidet er sich hauptsächlich durch die Forderung nach einer starken GewaIt, die ihn einerseits vor dem Grundbesitzer, andererseits vor dem Proletariat schützen soll; diese Art des „Sozialismus“ ist die „Sozialisierung des Grund und Bodens“ der Sozialisten-Revolutionäre, die für ewig die Kleinproduktion befestigen und das Proletariat und die Verwandlung der gesamten Volkswirtschaft zu einer kameradschaftlichen großen Vereinigung fürchtet. Übrigens gibt es in einigen Bauernschichten auch noch andere Arten des Sozialismus, die sich mehr oder weniger dem Anarchismus nähern, die Staatsgewalt nicht anerkennen, sich aber durch ihren friedlichen Charakter unterscheiden (so der Kommunismus der Sektierer, Duchobozen [17] usw.). Die bäuerlich-agrarischen Stimmungen können nur im Laufe vieler Jahre überwunden werden, wenn die Bauernmasse die Vorteile der Großwirtschaft erfaßt haben wird (darüber werden wir später nochmals sprechen).

4. Der sklavenhalterische und großkapitalistische „sogenannte“ Sozialismus. Hier ist nicht einmal ein Schatten des Sozialismus zu finden. Wenn in den 3 oben angeführten Gruppen noch Spuren von derselben zu finden sind und wenn sie doch noch einen Protest gegen die Unterdrückung enthalten, so ist es in diesem Falle bloß ein Wort, das betrügerisch gebraucht wird, um die Karten besser mischen zu können. Diese Methode wurde von den bürgerlichen Gelehrten eingeführt und von den Versöhnungssozialisten (teilweise sogar von Kautsky [18] u. Co. übernommen). Von solcher Art ist z.B. der „Kommunismus“ des altgriechischen Philosophen Plato [19]. Er besteht darin, daß die Organisation der Sklavenhalter „kameradschaftlich“ und „gemeinsam“ die Masse der rechtlosen Sklaven ausbeutet. Unter den Sklavenhaltern – vollkommene Gleichheit und alles gemeinschaftlich. Die Sklaven haben nichts; sie sind zu Tieren geworden. Natürlich riecht es hier nicht einmal nach Sozialismus. Einen ähnlichen „Sozialismus“ predigen auch einige bürgerliche Professoren unter dem Namen „Staatssozialismus“, bloß mit dem Unterschied, daß zum Sklaven das moderne Proletariat wird und, statt der Sklavenhalter, die größten Kapitalisten obenauf sitzen. In Wirklichkeit ist hier nicht einmal eine Spur vom Sozialismus zu finden; es ist staatlicher Kapitalismus der Zwangsarbeit (davon wird noch später die Rede sein).

Der kleinbürgerliche, agrarische und lumpenproletarische Sozialismus hat einen gemeinsamen Zug: alle diese Arten des nichtproletarischen Sozialismus berücksichtigen den tatsächlichen Entwicklungsgang nicht. Der Gang der Entwicklung führt zur Vergrößerung der Produktion. Bei ihnen beruht aber alles auf der Kleinproduktion. Darum ist dieser Sozialismus nichts als ein Traum, „Utopie“, die keine Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung besitzt.

 

 

§ 23. Die Diktatur des Prolatariats

Für die Verwirklichung der kommunistischen Gesellschaftsordnung muß das Proletariat die gesamte Gewalt und die ganze Macht in seiner Hand haben. Es kann nicht die alte Welt stürzen, solange es nicht im Besitze dieser Macht ist, solange es nicht auf eine gewisse Zeit zur herrschenden Klasse geworden ist. Es versteht sich von selbst, daß die Bourgeoisie kampflos ihre Stellungen nicht räumen wird. Denn der Kommunismus bedeutet ja für sie den Verlust der früheren Machtstellung, den Verlust auf „die Freiheit“, Schweiß und Blut aus dem Arbeiter herauszupressen, den Verlust des Rechtes aut Profit, Zinsen, Renten u. dgl. Die kommunistische Revolution des Proletariats, die kommunistische Umformung der Gesellschaft stößt deshalb auf den wütendsten Widerstand der Ausbeuter. Die Aufgabe der Arbeiterherrschaft besteht nun darin, diesen Widerstand schonungslos zu unterdrücken. Da aber dieser Widerstand unvermeidlich sehr stark sein wird, so muß auch die Herrschaft des Proletariats eine, Diktatur der Arbeiter sein. Unter „Diktatur“ hat man eine strenge Regierungsart und Entschlossenheit in der Niederdrückung der Feinde zu verstehen. Selbstverständlich kann bei dieser Sachlage keine Rede von „der Freiheit“ für alle Menschen sein. Die Diktatur des Proletariats ist unvereinbar mit der Freiheit der Bourgeoisie. Diese Diktatur ist gerade dazu nötig, um die Bourgeoisie der Freiheit zu berauben und sie an Händen und Füßen zu fesseln, um ihr jede Möglichkeit zu nehmen, das revolutionäre Proletariat zu bekämpfen. Und je größer der Widerstand der Bourgeoisie ist, je verzweifelter sie ihre Kräfte sammelt, je gefährlicher sie wird, desto härter und unerbittlicher muß die proletarische Diktatur sein, die im äußersten Falle auch nicht vor dem Terror haltmachen darf. Erst nach der vollständigen Niederhaltung der Ausbeuter, nach der Unterdrückung ihres Widerstandes, wenn es für die Bourgeosie keine Möglichkeit mehr geben wird, der Arbeiterklasse zu schaden, wird die proletarische Diktatur milder werden. Inzwischen wird sich die frühere Bourgeoisie allmählich mit dem Proletariat vermengt haben, der Arbeiterstaat wird langsam absterben, und die ganze Gesellschaft wird sich in eine kommunistische Gesellschaft, ohne jede Klassenscheidung, verwandeln.

Unter der Diktatur des Proletariats, die nur eine vorübergehende Einrichtung ist, gehören die Produktionsmittel, wie es im Wesen der Sache selbst liegt, nicht ausnahmslos der ganzen Gesellschaft, sondern dem Proletariate, seiner staatlichen Organisation. Vorübergehend monopolisiert die Arbeiterklasse, d.h. die Mehrheit der Bevölkerung, alle Produktionsmittel. Deswegen gibt es hier keine vollständig kommunistischen Produktionsverhältnisse. Hier existiert noch die Klassenscheidung der Gesellschaft; es gibt noch eine herrschende Klasse, das Proletariat, eine Monopolisierung aller Produktionsmittel durch diese neue Klasse, eine Staatsgewalt (proletarische Gewalt), die ihre Feinde unterdrückt. In dem Maße aber, als der Widerstand der ehemaligen Kapitalisten, Grundbesitzer, Bankiers, Generäle und Bisohöfe gebrochen wird, geht die Gesellschaftsordnung der proletarischen Diktatur ohne jede Revolution in den Kommunismus über.

Die proletarische Diktatur ist nicht nur eine Waffe, zur Unterdrückung des Feindes, sondern auch ein Hebel zur wirtschaftlichen Umwälzung. Durch diese Umwälzung muß ja das Privateigentum an den Produktionsmitteln durch das gesellschaftliche Eigentum ersetzt werden; diese Umwälzung muß der Bourgeoisie die Produktions- und Verkehrsmittel entreißen (“expropriieren“). Wer soll und muß es aber vollführen? Selbstverständlich keine Einzelperson. Wenn dies Einzelpersonen oder sogar einzelne kleine Gruppen tun würden, so würde bestenfalls eine Verteilung entstehen, und schlimmstensfalls würde es in einen einfachen Raub ausarten. Es ist daher begreiflich, daß die Expropriation der Bourgeoisie durch die organisierte Gewalt des Proletariats durchgeführt werden muß. Und diese organisierte Gewalt ist ja gerade der diktatorische Arbeiterstaat.

Gegen die proletarische Dilitatur erhebt sich von allen Seiten Widerspruch. Vor allem seitens der Anarchisten. Sie sagen, daß sie jede Herrschaft und jeden Staat bekämpfen, während die Kommunisten (Bolschewiki) die Macht der Sowjets vertreten. Jede Herrschaft sei aber eine Vergewaltigung und Einschränkung der Freiheit. Darum müssen die Bolschewiki, die Sowjetmacht und die Diktatur des Proletariats gestürzt werden. Es ist keine Diktatur, kein Staat notwendig. So reden die Anarchisten, und glauben, revolutionär zu sein. Das sieht aber nur so aus. In Wirklichkeit sind die Anarchisten linker, sondern rechter als die Kommunisten. Wozu brauchen wir den die Diktatur? Um organisiert der Herrschaft der Bourgeoisie den letzten Stoß zu versetzen, um die Feinde des Proletariats zu vergewaltigen. (Wir sagen das ganz offen.) Die Diktatur des Proletariats ist die Axt in seiner Hand. Wer gegen die Diktatur ist, der fürchtet entschlossene Taten, dem tut es leid, die Bourgeoisie zu verletzen, der ist kein Revolutionär. Wenn die Bourgeoisie gänzlich besiegt sein wird, werden wir keine proletarische Diktatur mehr brauchen. Solange aber der Kampf auf Leben und Tod geht, liegt die heilige Pflicht der Arbeiterklasse in der entschlossenen Niederringung ihrer Feinde. Zwischen dem Kommunismus und dem Kapitalismus muß es eine Epoche der proletarischen Diktatur geben.

Gegen die Diktatur treten auch die Sozialdemokraten, besonders die Menschewiki, auf. Diese Herren haben ganz vergessen, was sie selbst darüber seinerzeit geschrieben haben. In unserem alten Programm, das wir gemeinsam mit den Menschewiki ausgerarbeitet hatten, steht ausdrücklich: „Die unabwendbare Bedingung der sozialen Revolution besteht in der Diktatur des Proletariats, d.h. in der Eroberung der politischen Gewalt durch das Proletariat, jener politischen Gewalt, die es ihm ermöglicht, jeden Widerstand der Ausbeuter zu brechen.“ Das unterschrieben (dem Namen nach) auch die Menschewiki. Kommt es aber zu Taten, dann beginnen sie zu schreien über die Verletzung der Freiheit der Bourgeoisie, über das Verbot bürgerlicher Blätter, über den „bolschewistischen terror“ usw. Seinerzeit hat allerdings sogar Plechanow die schonungslosesten Maßnahmen gegen die Bourgeoisie ganz gern gebilligt; er sagte, wir dürfen der Bourgeoisie ihr Wahlrecht nehmen u.dgl. All das ist jetzt von den Menschewiki vergessen, die in das Lager der Bourgeoisie übergegangen sind.

Endlich erwidern uns Manche vom Standpunkte der Moral. Man sagt, wir urteilen wie die Hottentoten. Der Hottentot sagt: „Wenn ich meinem Nachbar das Weib entführe, so ist es gut; wenn er mir mein Weib entführt, so ist es schlecht.“ Und die Bolschewiki, heißt es, unterscheiden sich in nichts von den Wilden, denn sie sagen ja: „Wenn die Bourgeoisie das Proletariat vergewaltigt, so ist es schlecht, wenn das Proletariat die Bourgeoisie vergewaltigt, so ist es gut.“

Die so sprechen, begreifen nicht, um was es sich handelt. Bei den Hottentoten handelt es sich um zwei gleiche Menschen, die einander aus denselben Erwägungen ihre Weiber entführen. Das Proletariat und die Bourgeoisie sind aber nicht gleich. Das Proletariat ist eine riesengroße Klasse, die Bourgeoisie – ein kleines Häuflein. Das Proletariat kämpft für die Befreiung der ganzen Menschheit, die Bourgeoisie – für die Aufrechterhaltung der Unterdrückung, der Ausbeutung, der Kriege.

Das Proletariat kämpft für den Kommunismus, die Bourgeoisie für die Erhaltung des Kapitalismus. Wären Kapitalismus und Kommunismus ein und dasselbe, dann würde für die Bourgeoisie und das Proletariat das gelten können, was über die zwei Hottentoten gesagt wurde. Das Proletariat kämpft aber allein für die neue Gesellschaftsordnung; alles, was ihm in diesem Kampfe dienlich ist, ist schädlich.

 

 

§ 24. Die Eroberung der politischen Gewalt

Das Proletariat verwirklicht seine Diktatur durch die Eroberung der Staatsgewalt. Was heißt aber die Eroberung der Gewalt? Viele glauben, daß es ganz einfach sei, der Bourgeoisie die Macht zu entreißen, so, wie wenn man einen Spielball aus einer Tasche in die andere gibt.

Diese Ansicht ist ganz unrichtig und bei einigem Nachdenken werden mir sehen, wo der Irrtum ist.

Die Staatsgewalt ist eine Organisation. Die bürgerliche Staatsgewalt ist eine bürgerliche Organisation, in der allen Menschen ganz bestimmte Rollen zugewiesen sind: in der Armee sitzen die Generäle, in der Verwaltung, die Minister aus den Reihen der Reichen obenan usw. Wenn das Proletariat um die Macht kämpft, gegen wen kämpft es da? In erster Linie gegen die bürgerliche Organisation. Wenn es diese aber bekämpft, so besteht seine Aufgabe darin, ihr Schläge zu versetzen, sie zu vernichten. Da aber die Hauptmacht des Staates in der Armee liegt, so ist vor allem zur Besiegung der Bourgeoisie nötig, die bürgerliche Armee zu unterwühlen und zu zerstören. Die deutschen Kommunisten können Scheidemann und Noske [20] nicht stürzen, wenn nicht vorher die weißgardistische Armee zerstört ist. Solange die Armee des Gegners unversehrt bleibt, kann die Revolution nicht siegen; wenn die Revolution siegt, zersetzt sich und zerfällt die Armee der Bourgeoisie. Darum bedeutete z.B. der Sieg über den Zarismus nur eine teilweise Zerstörung des zaristischen Staates und des Verfalls der Armee; erst der Sieg der Oktoberrevolution vollendete endgültig die Zerstörung der Staatsorganisation der Provisorischen Regierung und die Auflösung der Kerenskischen [21] Armee.

Die Revolution zerstört also die alte und schafft eine neue Gewalt. Selbstverständlich nimmt die neue Gewalt einige Bestandteile der alten mit, doch finden diese eine andere Verwendung. Die Eroberung der Staatsgewalt ist also nicht eine Eroberung der alten Organisation, sondern die Schöpfung einer neuen, einer Organisation derjenigen Klasse, die im Kampfe gesiegt hat.

Diese Frage hat eine ungeheuere praktische Bedeutung. Den deutschen Bolschewiki wird z.B. vorgeworfen (wie seinerzeit den russischen) daß sie die Armee zerstören und das Sinken der Disziplin, den Ungehorsam, den Generälen gegenüber begünstigen usw. Das schien und scheint vielen auch noch jetzt eine schwere Beschuldigung zu sein. Es ist aber nichts Schreckliches daran. Die Armee, die gegen die Arbeiter auf Befehl der Generäle und der Bourgeoisie marschiert, muß, wenn auch die letzteren unsere Landsleute sind, vernichtet werden. Sonst bedeutet sie für die Revolution den Tod. Wir haben also von dieser Zerstörung der bürgerlichen Armee nichts zu befürchten, und ein Revolutionär muß es sich als ein Verdienst anrechnen, den Staatsapparat der Bourgeoisie zerstört zu haben. Dort, wo die bürgerliche Disziplin unangetastet ist, ist die Bourgeoisie unbesiegbar. Will man die Bourgeoisie niederringen, so darf man nicht davor zurückschrecken, ihr ein wenig weh zu tun.

 

 

§ 25. Die Kommunistische Partei und die Klassen der kapitalistischen Gesellschaft

Damit das Proletariat in einem Lande siegt, ist es notwendig, daß es geschlossen, und organisiert ist, daß es seine eigene kommunistische Partei besitzt, die klar sehen muß, wohin die Entwicklung des Kapitalisinus führt, die die tatsächlichen politischen Verhältnisse und die wirklichen Interessen der Arbeiterklasse erfaßt und sie über die Lage aufklärt, in die Schlacht führt und diese Schlacht leitet. Nie und nirgends hat irgend eine Partei alle Mitglieder ihrer Klasse in ihren Reihen vereinigt: diese Höhe des Bewußtseins hat keine Klasse erreicht.

Gewöhnlich treten in eine Partei die „fortgeschrittensten“ Klassenangehörigen ein, die kühnsten, energischesten und im Kampfe ausdauerndsten, die am richtigsten ihre Klasseninteressen erfassen. Auf diese Weise ist eine Partei der Zahl ihrer Mitglieder nach, immer viel kleiner als die Klasse, deren Interessen sie vertritt. Da aber die Partei gerade diese als richtig erkannten Interessen zu vertreten hat, so spielen die Parteien gewöhnlich eine führende Rolle. Sie führen die ganze Klasse und der Kampf der Klassen um die Macht kommt im Kampfe der politischen Parteien um die Herrschaft zum Ausdruck. Um die Natur der politischen Parteien zu verstehen, muß man die Lage jeder einzelnen Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft untersuchen. Aus dieser Lage ergeben sich bestimmte Klasseninteressen und die Vertretung derselben bildet eben das Wesen der politischen Parteien.

Gutsbesitzer. In der ersten Periode der kapitalistischen Entwicklung beruhte ihre Wirtschaft auf der halbsklavischen Arbeit der Bauern. Sie verpachteten ihr Land den Bauern gegen Natural- (z.B. durch Arbeit auf ihren Gütern) oder Geldabgabe. Die Gutsbesitzerklasse war daran interessiert, daß die Bauern nicht in die Stadt gehen; sie stellte sich allen Neuerungen entgegen, indem sie die alten halb sklavischen Verhältnisse im Dorfe aufrecht erhielt; darum war sie auch eine Gegnerin der sich entwickelnden Industrie. Solche Gutsbesitzer besaßen alte Adelsgüter; größtenteils führten sie ihre Wirtschaft nicht selbst, sondern lebten als Schmarotzer von der Arbeit der Bauern. Entsprechend dieser Lage waren die Parteien der Gutsbesitzer immer die Stützen der schwärzesten Reaktion und sind es noch jetzt. Das sind die Parteien, die überall die Rückkehr der alten Ordnung, die Herrschaft der Gutsbesitzer, des Gutsbesitzer-Zaren (Monarchen), das Überwiegen „des wohlgebornen Adels“, die vollständige Versklavung der Bauern und Arbeiter zurückwünschen. Das sind die sogenannten konservativen oder richtiger reaktionären Parteien.

Da seit jeher die Militaristen aus den Reihen der adeligen Gutsbesitzer hervorgegangen sind, ist es nicht verwunderlich, wenn die Parteien der Gutsbesitzer mit den Generälen und den Admiralen sehr befreundet sind. So ist es in allen Ländern.

Als Muster dafür kann das preußische „Junkertum“ (in Preußen versteht man unter Junker die Großgrundbesitzer) dienen, aus dem das Offizierskorps gebildet wird, sowie unser russischer Adel, die sogenannten wilden Gutsbesitzer, oder „Auerochsen“ in der Art des Duma-Abgeordneten Markow des Zweiten, Krupenskis [22] u.a. Der zarische Staatsrat bestand zum größten Teile aus Vertretern dieser Gutsbesitzerklasse. Die Großgrundbesitzer aus den alten Geschlechten, die Fürsten, Grafen usw. sind die Erben ihrer Ahnen, die Tausende leibeigener Sklaven besaßen. In Rußland gab es folgende Gutsbesitzerparteien: den Verband des russischen Volkes, die Partei der „Nationalisten“ (mit Krupenski an der Spitze), die rechten Oktobristen [23] usw. usw.

Die kapitalistische Bourgeoisie. Ihr Interesse ist darauf gerichtet, aus der sich entwickelnden „vaterländischen Industrie“ einen möglichst hohen Profit zu erzielen, d.h. aus der Arbeiterschaft Mehrwert herauszupressen. Es ist klar, daß ihre Interessen sich nicht ganz mit denen der Gutsbesitzer decken. Wenn das Kapital in das Dorf eindringt, zerstört es dort die alten Verhältnisse; es zieht den Bauer aus dem Dorf in die Stadt, schafft in der Stadt ein riesengroßes Proletariat, erweckt im Dorfe neue Bedürfnisse; die früher bescheidenen Bauern beginnen „ungebärdig zu werden“. Darum passen dem Gutsbesitzer alle diese Neuerungen nicht. Die kapitalistische Bourgeoisie sieht hingegen darin Anzeichen ihres Wohlstandes. Je mehr die Stadt aus dem Dorf Arbeiter heranzieht, desto mehr Arbeitskräfte stehen dem Kapitalisten zur Verfügung, desto billiger können sie entlohnt werden. Je mehr das Dorf zugrundegeht, je mehr die kleinen Besitzer aufhören, für sich verschiedene Produkte selbst zu erzeugen, desto mehr werden sie darauf angewiesen, alles von den großen Fabrikanten zu kaufen; je rascher also die alten Verhältnisse, wo das Dorf für sich alles selbst erzeugt, schwinden, desto mehr erweitert sich der Absatzmarkt für die Fabrikswaren, desto höher ist der Profit der Kapitalistenklasse. Darum murrt die Kapitalistenklasse gegen die alten Gutsbesitzer. (Es gibt auch kapitalistische Gutsbesitzer, die ihre Wirtschaft mit Hilfe von Lohnarbeit und Maschinen fühen; ihren Interessen nach stehen sie der Bourgeoisie näher und sie treten gewöhnlich in die Parteien der Großbourgeoisie ein. Selbstverständlich ist ihr Hauptkampf gegen die Arbeiterklasse gerichtet. Wenn die Arbeiterklasse ihren Kampf hauptsächlich gegen die Gutsbesitzer richtet und die Bourgeoisie nur wenig bekämpft, steht ihr diese mit Wohlwollen gegenüber (z.B. im Jahre 1904–1905 bis zum Oktober). Wenn aber die Arbeiter ihre kommunistischen Interessen zu verwirklichen beginnen und gegen die Bourgeoisie auftraten, dann vereinigt sich die Bourgeoisie mit den Gutsbesitzern gegen die Arbeiterschaft. Gegenwärtig führen in allen Ländern die Parteien der kapitalistischen Bourgeoisie (die sogenannten liberalen Parteien) einen erbitterten Kampf gegen das revolutionäre Proletariat und bilden den politischen Generalstab der Konterrevolution.

Als solche Parteien erscheinen in Rußland die „Partei der Volksfreiheit“, auch die „konstitutionell-demokratische“, oder einfach die „Kadetten“-Partei genannt [1*], und die beinahe verschwundene Partei der „Oktobristen“ [2*]. Die industrielle Bourgeoisie, kapitalistischen Gutsbesitzer, Bankiers, sowie ihre Verteidiger – die Intellektuellen (Professoren, gut bezahlte Advokaten und Schriftsteller, Fabriks- und Werksdirektoren) – sie alle bildeten den Kern dieser Parteien. Im Jahre 1905 murrten sie gegen die Selbstherrschaft, doch fürchteten sie schon die Arbeiter und Bauern; nach der Februar-Revolution stellten sich die Kadetten an die Spitze aller Parteien, die gegen die Partei der Arbeiterklasse, d.h. gegen die Bolschewiki (Kommunisten) auftraten. In den Jahren 1918 und 1919 leitete die Partei der K.-D. alle Verschwörungen gegen die Sowjetmacht, und beteiligte sich an den Regierungen des General Denikin und des Admiral Koltschak. [24] Kurz, sie wurde zur Führerin der blutigen Reaktion und verschmolz sich vollständig mit den Parteien der Gutsbesitzer. Denn unter dem Drucke der Arbeiterschaft vereinigen sich alle Gruppen der Großeigentümer zu einem schwarzen Heerlager, an dessen Spitze sich gewöhnlich die energischeste Partei stellt.

Die städtische Kleinbourgeoisie und die kleinbürgerlichen Intellektuellen. Hierher gehören die Handwerker und kleinen Krämer, die kleinen Angestellten-Intellektuellen und das kleine Beamtentum. Es ist eigentlich keine Klasse, sondern ein bunter Haufen. Alle diese Elemente werden vom Kapital mehr oder weniger ausgebeutet und arbeiten oft über ihre Kräfte hinaus. Viele von ihnen gehen im Laufe der kapitalistischen Entwicklung zugrunde. Ihre Arbeitsbedingungen sind aber derartig, daß sie sich der Hoffnungslosigkeit ihrer Lage unter dem Kapitalismus größtenteils gar nicht bewußt werden. Nehmen wir z.B. einen Handwerker. Er ist arbeitsam, wie ein Pferd. Das Kapital beutet ihn auf verschiedene Weise aus: er wird vom Wucherer ausgebeutet, vom Geschäft, für welches er arbeitet, ausgenützt usw. Doch fühlt sich der Handwerker als „selbständiger Herr“: er arbeitet mit eigenen Werkzeugen, er ist dem Scheine nach „unabhängig“; er bemüht sich, nicht mit den Arbeitern verschmolzen zu werden und ahmt nicht den Arbeitern, sondern den Herren nach, weil er in seinem Innern die Hoffnung hegt, ebenfalls ein Herr zu werden. Das ist es, was ihn, trotzdem er arm ist wie eine Kirchenmaus, häufig seinen Ausbeutern näher bringt als der Arbeiterklasse. Die kleinbürgerlichen Parteien treten gewöhnlich unter der Flagge der „radikalen“, „republikanischen“, manchmal auch der „sozialistischen“ Parteien auf. (Siehe auch § 22.) Es kostet viel Mühe, den kleinen Meister von seiner unrichtigen Stellugnahme abzudrängen, die nicht seine „Schuld“, sondern sein Unglück ist.

In Rußland pflegten die kleinbürgerlichen Parteien sich häufiger als anderswo hinter einer sozialistischen Masse zu verstecken, so die Parteien der „Volkssozialisten“ [25], der „Sozialisten-Revolutionäre“, und – zum Teil – der Menschewiki. Bemerkt muß werden, daß sich die „Sozialisten-Revolutionäre“ hauptsätchlich auf die mittleren und wucherischen Elemente des flachen Landes stützten.

Das Bauerntum. Das Bauerntum nimmt am flachen Lande eine Stellung ein, die derjenigen der Kleinbourgeoisie in den Städten ähnlich ist. Das Bauerntum ist eigentlich auch keine Klasse für sich, weil es unter dem Kapitalismus fortwährend in Klassen zerfällt. ln jedem Dorfe muß immer ein Teil der Bauern auf die Suche nach Arbeit gehen, der sich später endgültig in Proletarier verwandelt oder zu schmarotzenden Wucherern wird. Die mittleren Bauern sind auch ein solches Element: die Einen sinken und kommen in die Kategorie der Pferdlosen, später werden sie Bauernknechte, Hilfsarbeiter, Industriearbeiter, die Anderen erholen sich ein wenig, arbeiten sich herauf und werden Wirtschaftsbesitzer, nehmen Knechte auf, stellen Maschinen ein, – kurz, werden Unternehmer, Kapitalisten. Das Bauerntum bildet aber keine Klasse. Man muß in ihm zumindestens drei Gruppen unterscheiden: die landwirtschaftliche Bourgeoisie, die Lohnarbeit ausbeutet; die Mittleren, die eine selbständige Wirtschaft führen, aber keine Lohnarbeiter ausbeuten, und endlich die Halbproletarier und Proletarier.

Es ist nicht schwer einzusehen, daß alle diese Gruppen, ihrer Lage entsprechend, sich verschieden zum Klassenkampfe zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen. Die Wucherer stehen gewöhnlich im Bündnis mit der Bourgeoisie, häufig auch mit den Gutsbesitzern (in Deutschland z.B. sind die „Großbauern“ in einer und derselben Organisation mit den Pfaffen und Gutsbesitzern; dasselbe ist auch in der Schweiz, in Österreich, teilweise auch in Frankreich der Fall; in Rußland haben im Jahre 1918 die Dorfwucherer alle konterrevolutionären Vorschwörungen unterstützt). Die halbproletarischen und proletarischen Schichten unterstützen natürlich die Arbeiter in ihrem Kampfe gegen die Bourgeoisie und die Dorfwucherer. Bei den Mittelbauern aber ist die Sache komplizierter.

Wenn die Mittelbauern es verstehen würden, daß es für die Mehrheit von ihnen unter dem Kapitalismus keinen Ausweg gibt, daß bloß wenige von ihnen sich zu Dorfreichen emporschwingen können, während die Anderen fast ein Bettlerleben führen müssen, dann würden sie alle entschlossen die Arbeiter unterstützen. Ihr Unglück besteht aber darin, daß mit ihnen genau dasselbe vorgeht, wie mit den Handwerkern und der städtischen Kleinbourgeoisie. Jeder von lhnen hofft in der Tiefe seiner Seele, reich zu werden. Andererseits wird er aber vom Kapitalisten, Gutsbesitzer, Dorfwucherer unterdrückt. Darum pendelt der Mittelbauer zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie hin und her. Er kann nicht ganz den Standpunkt der Arbeiterschaft einnehmen, andererseits aber fürchtet er den Gutsbesitzer mehr als das Feuer.

Besonders klar kann man das in Rußland sehen, die mittleren Bauern stützten die Arbeiter gegen den Gutsbesitzer und Dorfwucherer; dabei fürchteten sie aber, daß es ihnen in der „Kommune“ schlechter gehen werde, und traten gegen die Arbeiter auf; es gelang den Wucherern, sie zu verlocken; als aber dann die Gutsbesitzergefahr drohte (Denikin, Koltschak), begannen sie wieder den Arbeitern zu helfen.

Dieselben Verhältnisse äußerten sich auch in dem Kampf der Parteien. Bald gingen die Mittelbauern mit der Arbeiterpartei, Bolschewiki (Kommunisten), bald mit der Partei der Dorfwucherer und Großbauern – den Sozialisten-Revolutionären.

Die Arbeiterklasse (das Proletariat) bildet die Klasse, die „nichts zu verlieren hat, als ihre Ketten“. Sie wird nicht nur von den Kapitalisten ausgebeutet, sondern auch, wie wir bereits sahen, durch den Lauf der geschichtlichen Entwicklung zu einer gewaltigen Macht zusammengeschmiedet, die gewöhnt ist, zusammen zu arbeiten und gemeinsam zu kämpfen. Darum ist die Arbeiterklasse die fortschrittlichste Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft. Darum ist auch ihre Partei die fortschrittlichste, die revolutionärste Partei, die es geben kann.

Es ist auch natürlich, daß das Ziel dieser Partei die kommunistische Revolution ist. Zu diesem Zwecke muß die Partei des Proletariats unversöhnlich sein. Ihre Aufgabe ist nicht, mit der Bourgeoisie zu feilschen, sondern sie zu stürzen und den Widerstand dieser Bourgeoisie zu brechen. Diese Partei muß „den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen den Interessen der Ausbeuter und denen der Ausgebeuteten aufdecken„ (so stand es in unserem alten Programm, welches auch von den Menschewiki unterschrieben wurde; leider haben sie es gründlich vergessen und liebäugeln jetzt mit der Bourgeoisie).

Welche Haltung muß unsere Partei der Kleinbourgeoisie gegenüber einnehmen?

Aus dem oben Angeführten ist unsere Haltung klar. Wir müssen auf jede Art beweisen und aufklären, daß jede Hoffnung auf ein besseres Leben unter dem Kapitalismus Lüge oder Selbstbetrug ist. Wir müssen geduldig und ununterbrochen dem Mittelbauer klar machen, daß er entschlossen in das Lager des Proletariats übergeben, mit ihm gemeinsam, ohne Rücksicht auf alle Schwierigkeiten, kämpfen muß; wir haben die Pflicht, darauf hinzuweisen. daß bei einem Siege der Bourgeoisie nur die Dorfwucherer gewinnen werden, die zu neuen Gutsbesitzern werden. Mit einem Wort, wir müssen alle Arbeitenden zur Verständigung mit dem Proletariat rufen und sie auf den Standpunkt der Arbeiterschaft bringen. Die Kleinbourgeoisie und das mittlere Bauerntum sind voller Vorurteile, die auf dem Boden ihrer Lebensverhältnisse entstanden sind. Unsere Pflicht besteht darin, die wirkliche Lage der Dinge aufzudecken: die Lage des Handwerkers und des arbeitenden Bauern ist unter dem Kapitalismus hoffnungslos. Unter dem Kapitalismus wird auf dem Nacken des Bauern ein Gutsbesitzer sitzen, einzig und allein nach dem Siege und der Befestigung der Herrschaft des Proletariats kann das Leben auf eine neue Art eingerichtet werden. Da aber das Proletariat nur dank seiner Geschlossenheit und seiner Organisation und mit Hilfe einer starken, entschlossenen Partei siegen kann, so müssen wir in unsere Reihen alle Arbeitenden rufen, denen das neue Leben wertvoll ist und die gelernt haben, proletarisch zu leben und zu kämpfen.

Welche Bedeutung das Vorhandensein einer geschlossenen und kampfbereiten kommunistischen Partei hat, ist an dem Beispiel Deutschlands und Rußlands zu sehen. In Deutschland, das ein entwickeltes Proletariat hatte, gab es trotzdem vor dem Kriege keine derartig kämpfende Partei der Arbeiterklasse, wie die russischen Kommunisten (Bolschewiki). Erst während des Krieges gingen die Genossen Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg [26] und andere daran, eine eigene kommunistische Partei aufzubauen. Darum gelang es während der Jahre 1918 und 1919 den deutschen Arbeitern nicht, trotz einer Reihe von Aufständen, die Bourgeoisie zu besiegen. In Rußland gab es aber eine unverssöhnliche Partei, die unsere. Darum besaß das russische Proletariat eine so gute Führung. Und trotz aller Schwierlgkeiten war es doch das erste Proletariat, welches so geschlossen aufzutreten und so schnell zu siegen wußte. Unsere Partei kann in dieser Hinsicht als Muster für andere kommunistische Parteien dienen. Ihre Geschlossenheit und Disziplin sind überall bekannt. Sie ist in der Tat die kampffähigste und führende Partei der proletarischen Revolution.

 

 

Literatur:

Marx und Engels: Das kommunistische Manifest
W. Iljin (Lenin): Staat und Revolution
G. Plechanow: Hundert Jahre der großen Französischen Revolution
A. Bogdanow: Kurzer Abriß der Wirtschaftslehre
A. Bebel: Die Frau und der Sozialismus (Kapitel: „Der Staat der Zukunft“)
A. Bogdanow: Der Rote Stern (eine Utopie)
Korssak: „Rechts- und Arbeitsgesellschaft“ in dem Sammelbuch: Abhandlungen über realistische Weltanschauung

Über den Anarchismus siehe
S. Wolski: Theorie und Praxis des Anarchismus
E. Preobraschensky: Anarchismus und Kommunismus
W. Bazarow: Anarchistischer Kommunismus und Marxismus

Über die Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft siehe
Karl Kautsky: Klasseninteressen

Zur Charakteristik der kleinbürgerlichen Parteien siehe
Karl Marx: Der 18te Brümaire, Revolution und Konterrevolution in Deutschland
Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich.

 

 

Anmerkungen des Übersetzers

1*. Dieser Name rührt von den Anfangsbuchstaben der Bezeichnung „Konstitutionell-Demokratische Partei“ (K.-D.) her.

2*. Diese Partei führt ihre Entstehung auf das Verfassungsmanifest des Zaren Nikolaus II. vom 17. (20.), Oktober 1905 zurück.

 

Anmerkungen

17. Duchobozen:eine russische religiöse Sekte; sie waren Pazifisten und Kriegsdienstverweigerer.

18. Karl Kautsky (1854-1938): Schriftsteller, Redakteur; entwickelte sich Ende der 1870er Jahre vom Vulgärsozialisten zum Marxisten; 1883 bis 1917 Redakteur der Zeitschrift Die Neue Zeit, des theoretischen Organs der SPD; entwickelte sich in den 1890er Jahren zum wichtigsten Theoretiker der SPD und der II. Internationale (“der Papst des Marxismus“); trug zunächst viel zur Verbreitung des Marxismus bei; wurde später, besonders ab 1910, zum Wortführer des Zentrismus; heimlicher, pazifistischer Gegner des Ersten Weltkrieges, war aber nicht dazu bereit, offen gegen den Krieg zu kämpfen; wurde zum Gegner der Oktoberrevolution und der revolutionären Arbeiterbewegung.

19. Plato (427-347 v.Chr.): griechischer Philosoph, objektiver Idealist; Schüler von Sokrates; Ideologe der Sklavenhalteraristokratie; bedeutendster Philosoph der griechischen Antike.

20. Philipp Scheidemann (1865-1939): rechter Führer der deutschen Sozialdemokratie; Mitglied des Reichstags seit 1898; Sekretär des Parteivorstandes ab 1911; nach dem Tod Bebels 1913 wurde mit Ebert zum zentralen Führer der Partei; führte die SPD zur Unterstützung des Ersten Weltkriegs; Oktober 1918 vom Kaiser zum Minister ohne Geschäftsbereich ernannt; während der Novemberrevolution erklärte die Republik, um Liebknechts Erklärung der sozialistischen Republik zu verhindern; SPD-Vertreter im Rat der Volksbeauftragten November 1918; Inspirator der Agitation gegen den Spartakusbund und angeblicher Auftragsgeber des Mordauftrags an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg; Reichskanzler 1919; einer der Organisatoren der blutigen Konterrevolution während der Jahre 1918-1921; nach 1933 im Exil. – Gustav Noske (1868-1946): rechter Führer der deutschen Sozialdemokratie und Anhänger der deutschen Kolonialpolitik; 1919-20 Reichswehrminister; Organisator des Freikorps; Organisator der Niederschlagung der revolutionären Bewegung; lebte in Deutschland während der Nazi-Diktatur.

21. Alexander F. Kerenski (1881-1970): Sozialrevolutionär; während des Ersten Weltkriegs extremer Sozialchauvinist; nach der Februarrevolution 1917 Mitglied der Provisorischen Regierung als Justizminister, Kriegs- und Marineminister, später Ministerpräsident und Oberbefehlshaber des Heeres; kämpfte nach der Oktoberrevolution gegen die Sowjetmacht; flüchtete 1918 ins Ausland.

22. Markow der ZweiteP. Krupenski (— - —): Adliger und Führer der Schwarzen Hundertschaften, der auch Mitglied der Duma war.

23. Oktobristen: Mitglieder des russischen Verbands des 17. Oktober; gegründet nach der Verkündung des Manifestes des Zaren am 17. (30.) Oktober 1905; Vertreter der industriellen Bourgeoisie und der kapitalistisch wirtschaftenden Gutsbesitzer; gemäßigte bürgerliche Opposition vor 1917; lieferte die Mehrheit der Mitglieder der Provisorischen Regierung direkt nach der Februarrevolution.

24. A.I. Denikin (1872-1947): zaristischer General; während des Bürgerkriegs einer der Führer der weißgardistischen Bewegung; Oberbefehlshaber der antisowjetischen Streitkräfte im Süden Rußlands; emigrierte nach der Zerschlagung seiner Armee durch sowjetische Truppen ins Ausland. – Alexander W. Koltschak (1873-1920): Admiral der zaristischen Flotte, Monarchist; einer der Hauptführer der Konterrevolution während der Jahre 1918-19; nach der Oktoberrevolution ernannte er sich mit Unterstützung der imperialistischen Mächte zum obersten Regenten Rußlands und übernahm die Führung der militärischen bürgerlich-gutsherrlichen Diktatur im Ural, in Sibirien und im Fernen Osten; vernichtet durch die Schläge der Roten Armee und das Wachstum der revolutionären Partisanenbewegung.

25. Die Volkssozialisten waren eine kleinbürgerliche Partei, die 1906 aus dem rechten Flügel der Partei der Sozialrevolutionären hervorging. Sie traten für eine Block mit den Kadetten ein. Nach der Februarrevolution unterstützten sie die Provisorische Regierung. Nach der Oktoberrevolution unterstützten sie konterrevolutionäre Verschwörungen und Aufstände gegen die Sowjetmacht.

26. Rosa Luxemburg (1871-1919): angesehene Vertreterin der internationalen Arbeiterbewegung; eine Führerin des linken Flügels der II. Internationale; Mitbegründer der polnischen revolutionären sozialdemokratischen Bewegung; seit 1897 aktive Teilnehmerin an der deutschen Sozialdemokratie; bedeutende Kämpferin gegen den Reformismus und den Revisionismus; vertrat seit beginn des Ersten Weltkriegs eine internationalistische Position; Mitbegründer der Gruppe Internationale, später in Spartakusgruppe und dann in Spartakusbund umbenannt; verbrachte die Mehrheit des Krieges im Gefängnis; nach der Novemberrevolution in Deutschland führend am Gründungsparteitag der KPD beteiligt; im Janzuar 1919 mit Karl Liebknecht verhaftet und auf Veranlassung der SPD-Regierung ermordet.

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003