Tony Cliff und Colin Barker

 

Revolte der Arbeiter

 

Vorwort

Es ist zweifelhaft, ob irgendeines der Probleme, denen sich die britische Arbeiterbewegung in den 60er Jahren gegenübersah, von größerer Bedeutung ist als die beiden Fragen der Einkommenspolitik und der Gewerkschaftsgesetzgebung.

Wir haben in diesem Buch versucht darzustellen, wie und warum eine Einkommenspolitik im Kapitalismus notwendigerweise eine Maßnahme gegen die Arbeiterklasse sein muß. An einigen Stellen werden die Leser einige der Argumente beim ersten Lesen ein wenig komplex und schwierig finden; aber wir sind der Meinung, daß es wichtig ist, daß alle Argumente, die zugunsten einer Einkommenspolitik vorgebracht worden sind, in einem derartigen Buch diskutiert werden sollten. Soweit wir in der Lage waren, haben wir unsere Behauptungen mit Fakten und Zahlen versehen, die Sozialisten und Radikale in den Gewerkschaften in Diskussionen mit Arbeitern gebrauchen werden können.

Nicht viele werden das Buch in einem Zuge zu Ende lesen wollen; es mag daher nützlich sein, eine kurze Zusammenfassung von dem zu geben, was in den einzelnen Kapiteln zu finden ist. Auf diese Weise wird es leichter sein, die verschiedenen Teile der Argumentation nachzuschlagen, wie sie benötigt werden.

Im ersten Kapitel begründen wir die wachsende Bedeutung der Einkommenspolitik für die Unternehmer. Indem sich der Kapitalismus weiterentwickelt hat, hat er seine Form zum großen Teil geändert, und einige Gründe hierfür werden angeführt. Besonders die großen Monopole mit ihren riesigen Fabrikanlagen sind in der Wirtschaft immer mehr in den Mittelpunkt gerückt, und dies hat das gesamte Aussehen des Kapitalismus verändert und auch die Formen des Kampfes zwischen Arbeitern und Kapitalisten. Einkommenspolitik hätte im kapitalistischem Großbritannien des 19. Jahrhunderts überhaupt keinen Sinn gehabt und auch nicht in den 30er Jahren während der großen Depression. Im ersten Kapitel zeigen wir, warum sie heute einen Sinn hat und warum sie vor kurzem erst aufgekommen ist.

Im zweiten Kapitel betrachten wir die Frage, ob es wirklich eine Einkommenspolitik ist oder in Wahrheit nur eine Lohnkürzung. George Brown und der Rest der Regierung sagen alle, daß die Einkommenspolitik gerecht sein werde, da sie gleichmäßig auf alle Formen von Einkommen angewandt werde. Aber das stimmt nicht, und in diesem Kapitel werden wir zeigen, warum es nicht stimmt. Im Kapitalismus können Profite nicht kontrolliert werden. Wenn man im Kapitalismus die Löhne kontrolliert, werden die Profite in die Höhe schießen. Das gerade soll eine Einkommenspolitik erreichen: Lohnabbau im Interesse höherer Profite.

Kapitel drei untersucht ein anderes Argument, das oft zugunsten der Einkommenspolitik vorgebracht wird: das Argument, daß eine Einkommenspolitik zum wirtschaftlichen Wachstum beitrage. Wir versuchen hier, die Voraussetzungen, die hinter diesem Argument liegen, aufzuzeigen und darzulegen, wie wenig diese Voraussetzungen der Wirklichkeit entsprechen. Nicht hohe Löhne halten das wirtschaftliche Wachstum zurück, sondern die kapitalistische Klasse selbst, die Organisation der kapitalistischen Gesellschaft, die Art, wie Geldmittel tu Kapitalismus vergeudet werden.

Dogmatische Sozialisten haben immer von sozialistischer Gesellschaft als von einer Gesellschaft gesprochen, in der die Wirtschaft geplant wird. Und viele Arbeiter sind durch George Browns Nationalplan verwirrt, den wir im Kapitel 4 betrachten. Sie glauben, daß, weil einiges in unserer Gesellschaft heute geplant wird, dies irgendwie etwas mit Sozialismus zu tun haben müßte. Aber es hat überhaupt nichts mit Sozialismus zu tun. Es gibt auch so etwas wie eine kapitalistische Planung; tatsächlich müssen die Kapitalisten heute, da der Kapitalismus so riesig und komplex ist, im voraus planen. Sogar die Tones ((oder die meisten von ihnen) glauben heute an eine Planung. Und George Browns Plan ist ein kapitalistischer Plan, und es sind die Kapitalisten, die Georg. Brown helfen, ihn durchzuführen. Dies hat nicht das geringste mit Sozialismus zu tun, denn es handelt sich um Planung, die gegen die Arbeiter und ihre Interessen gerichtet ist. Im Kapitel vier wenden wir uns von den Fragen der Planung und der veränderten Struktur des Kapitalismus ab, um die Art, wie die Arbeiter zu ihren Löhnen kommen, näher zu betrachten. Dies ist wichtig, denn eines der Hauptargumente, die zugunsten der Einkommenspolitik vorgebracht werden,.besteht darin, daß es möglich wäre, den schlechtbezahlten Arbeitern zu helfen, wenn nur die hochbezahlten Arbeiter aufhören würden, solch hohe Lohnforderungen zu stellen. Um zu zeigen, daß dieses Argument unsinnig ist, untersuchen wir die Art, wie Arbeiten tatsächlich im Kapitalismus ihre Löhne erzielen, und wie die Lohnkämpfe der stärksten und bestbezahlten Arbeiter denen, die schlechter dran sind, nützen. Insbesondere zeigen wir, wie ein wachsender Teil des Lohnpakets der Arbeiter heute durch den Kampf auf der untersten Betriebsebene (shop floor) erzielt wird und nicht durch zentrale Vertragsabschlüsse zwischen Gewerkschaftsvertretern und den Unternehmerverbänden.

Dies beendet den Teil des Büchern, in dem wir die Einkommenspolitik erläutern, was sie ist und was sie bedeutet. Im zweiten Teil des Buches betrachten wir die Arten, mit denen die Arbeiter am besten gegen die Einkommenspolitik kämpfen. können und welche Form der Kampf gegen die Einkommenspolitik wohl annehmen wird. Dies ist das allgemeine Thema der letzten vier Kapitel.

Kapitel 6 befaßt sich mit der Arroganz der Gewerkschaften. Heute mehr denn je findet sowohl innerhalb der Gewerkschaften als auch zwischen Gewerkschaften und Unternehmern ein Kampf statt. Denn die Gewerkschaftsfunktionäre erfüllen immer weniger ihre Funktion als Führer der Arbeiter und werden immer mehr zu deren Aufsehern. Da sie in die Zusammenarbeit mit der Regierung hineingezogen werden, werden sie in zunehmendem Masse der unteren Gewerkschaftsebene entfremdet. Die Gewerkschaften neigen dazu, in ihrem Aufbau immer bürokratischer zu werden, und die Demokratie in den Gewerkschaften nimmt deshalb immer mehr ab. Die Lehre, die wir daraus zu ziehen haben, ist von großer Wichtigkeit: um erfolgreich gegen Einkommenspolitik zu kämpfen, werden die Arbeiter sich auf ihre eigene Stärke und Organisation verlassen müssen, da man sich auf die Mehrzahl der Gewerkschaftsbürokraten nicht mehr verlassen kann.

Kapitel 7 befaßt sich daher mit den Shop Stewards (Vertrauensleuten) und wilden Streiks. Es ist das längste Kapitel des ganzen Buches, da es die wichtigste Frage behandelt. Wir zeigen auf, wie unnütz die offizielle Verhandlungsprozedur ist und daß es sich heute meist um wilde Streiks handelt. Die Zahl der wilden Streiks steigt beständig, und diese wilden Streiks sind das größte Problem der Unternehmer. Die Streiks zeigen, daß die Arbeiter heute stärker und selbstbewußter als je zuvor sind, Wilde Streiks werden von Shop Stewards angeführt, und es wird deutlich, daß die Shop Stewards eine immer größere Rolle spielen bei der Organisierung auf der unteren Ebene. Es gibt mehr Shop Stewards als je zuvor, und sie sind heute die natürlichen Anführer im Kampf für die Rechte der Arbeiter. Aber es wäre dumm, die Shop Stewards zu verherrlichen, und wir beenden das Kapitel mit einer Untersuchung der Schwäche und Stärke ihrer Organisationen. Wir hoffen, daß besonders dieser Teil Arbeiter und Shop Stewards ermutigen wird, ihre Organisation und die Verbindung zwischen den verschiedenen Fabriken und Industrien weiterzuentwickeln und zu stärken.

In Kapitel 8 betrachten wir die neuen Vorschläge für einen Gesetzesentwurf gegen die Gewerkschaften und gegen die wilden Streiks. Wenn die Einkommenspolitik überhaupt wirksam werden soll, müssen neue Gesetze inoffizielle, nicht von der Gewerkschaftsfuhrung unternommene Aktivitäten kontrollieren. Dies kann die Kluft zwischen der unteren Gewerkschaftsebene und den Funktionären nur vergrößern, denn von den letzteren werden viele mit der Regierung und den Gerichtshöfen zusammenarbeiten, um die Shop Steward-Organisationen anzugreifen.

Das letzte Kapitel ist mehr allgemein gehalten. Wir bewegen uns über die Frage der Einkommenspolitik hinaus zu einer ausgedehnteren Diskussion über die Arbeiterklasse und den Kampf um den Sozialismus heutzutage. Genauso wie sich der Kapitalismus enorm gewandelt hat, so hat sich auch die Arbeiterklasse verändert, und in diesem letzten Kapitel betrachten wir einige der Veränderungen, und zwar wie dadurch die Arbeiterklasse im Kampf für eine sozialistisch, Gesellschaft sowohl geschwächt als auch gestärkt werden kann. Insbesondere betrachten wir die Art, wie die alte Ideologie des „Reformismus“ durch die neuen Bedingungen des Klassenkampfes wegen der Veränderungen, die sich in der herrschenden Klasse, dem Staat und der Arbeiterklasse vollzogen haben, geschwächt worden ist, Das Buch endet mit einigen Bemerkungen zu den nächsten wichtigen Schritten für die Arbeiterklasse in Großbritannien.

Wir hoffen, daß sich dieses Buch als brauchbar erweisen wird. Für Arbeiter und Sozialisten gibt es auch heute noch drei Aufgaben im Kampf für den Sozialismus: die Veränderungen im Kapitalismus und in der Arbeiterklasse zu analysieren, Aufklärung unter anderen Arbeitern zu betreiben und den Kampf zu organisieren, Wenn dieses Buch bei diesen drei Aufgaben hilfreich sein kann, hat es seinen Zwecken gedient.

 

Bemerkung zur zweiten Auflage:

Als die erste Auflage von 5.000 Exemplaren drei Wochen nach Erscheinen vergriffen war, mußten wir nachdrucken. Eine Reihe von Druckfehlern wurde entfernt.

Juni 1966

Tony Cliff und
Colin Barker  

 


Zuletzt aktualisiert am 23.8.2003