Tony Cliff und Colin Barker

 

Revolte der Arbeiter

 

II. Einkommenspolitik oder Lohnbeschränkungen?

Am 30. April 1965 sagte George Brown den Teilnehmern der Gewerktechaftlichen Funktionärskonferenz folgendes:

Dies ist nicht nur eine Lohnpolitik, sondern eine Einkommenspolitik. Es ist nicht nur eine Einkommenspolitik, sondern eine Preis- und Einkommenspolitik.

Mit anderen Worten, er bemühte sich darzulegen, die Einkommenspolitik werde ganz und gar gerecht sein, da sie auf alle Einkommen gleichermaßen angewandt werde. In diesem Kapitel werden wir untersuchen, ob dieser Anspruch gerechtfertigt ist.

 

Können Profite kontrolliert Werden?

Ein qualitativer Unterschied zwischen Löhnen und Profiten besteht darin, daß Löhne ein notwendiger Bestandteil der Produktionskosten sind und Profite nicht, Profite sind ein Restbetrag, der nach der Produktion und dem Verkauf übrig bleibt, Löhne nicht. Löhne werden zwischen zwei Seiten ausgehandelt – Profite nicht. Alles Gerede, Löhne und Profite gleichermaßen zu beschränken, legt in der Tat die Grundwidersprüche in jeder Politik der Profitplanung offen. Dies würde sehr gut in einem Artikel im DATA Journal vom Juni 1965 ausgedrückt:

Löhne und Gehälter werden durch Verhandeln festgelegt. Irgendeine Veränderung ihrer Höhe muß, bevor diese Veränderung durchgeführt wird, diskutiert werden. Profite hingegen werden keinen Verhandlungen unterworfen, Ein Unternehmer braucht nicht mit seinen Arbeitern zu verhandeln, um sich höheren Profit zu verschaffen.

Darüberhinaus sind die Profite der Antriebsmotor im Kapitalismus und das einzig verläßliche Mittel nachzuprüfen, wie gut eine Firma läuft. Wenn der Profitanreiz im Kapitalismus gedämpft wird, wird auch das wirtschaftliche Wachstum nachlassen. The Statist, ein Sprachrohr für Wirtschaftsinteressen, wies sehr deutlich darauf hin:

Besonders weil die Profite eine spezifische und wichtige Rolle in der kapitalistischen Wirtschaft spielen – indem sie das Kapital für eine weitere Expansion beschaffen und damit zur Investition anreizen – ist ihre Kontrolle ein sehr gewagtes, um nicht zu sagen unmögliches Vorhaben.

So lange ... wir die kapitalistischen Spielregeln beibehalten, so lange wir weiterhin die Idee einer totalen staatlichen Planung verwerfen, müssen wir den Profiten einen hohen Grad an Beweglichkeit erlauben. [1]

Das gleiche wurde vom Management der Dunlop Rubber Company klargestellt, als sie Dunlop’s Statement of Intent zur Unterstützung von George Brown veröffentlichten:

Gewinne für Sicherheit und Wachstum. Wir haben eine Wirtschaftsform, die auf dem Konkurrenzprinzip basiert, Unser Erfolg wird an unseren Gewinnen gemessen. Erhöht sie, seid stolz auf sie und betrachtet sie als den Fonds, der uns Sicherheit und die Voraussetzung für unseren zukünftigen Erfolg bringt.

Und Professor Paish nahm gegen das Argument der Profiteinfrierung folgendermaßen Stellung:

Der Versuch, Profite einzufrieren, würde bedeuten, daß jede Firma mit einem Kostenüberschuß arbeiten würde und jeden Anreiz, die Kosten niedrig zu halten, verlieren würde. [2]

Und wenn, anstatt Profite direkt zu beschränken, Maßnahmen ergriffen würden,. Profite indirekt zu begrenzen durch Auferlegung einer Steuer für Firmen, die hohe Profite machen, wäre die Wirkung eine ähnliche:

Eine hohe Profitsteuer hat keinen Sinn bei einer Firma, die sich ohnehin nur gerade im Geschäft halten kann, während sie die Schwierigkeiten für leistungsfähig, Firmen erhöht, das Kapital für eine Ausdehnung zu bekommen, sowohl von internen Quellen und sehr wahrscheinlich auch vom Markt. Die Profitsteuer vermindert auch den Anreiz, die Kosten niedrig zu halten, vor allen Dingen in Form von Ausgaben für Werbung, die immer noch einigen Nutzen für die Firma abwerfen werden, nachdem die Steuer vermindert oder aufgehoben ist. Kein System könnte besser dazu dienen, das Wachstum zu verlangsamen, als ein solches, das die nicht Leistungsfähigen erhält und die Leistungsfähigen daran hindert, sich auszudehnen, und für jedermann den Anreiz, die Kosten niedrig zu halten, vermindert. [3]

Da die Profite die Lokomotive des kapitalistischen Wachstums sind, folgt daraus, daß die Profite umso höher sind, je größer die Wachstumsrate ist:

Bezeichnenderweise war in den letzten 10 Jahren, wie hoch auch immer das prozentmäßige Anwachsen der industriellen Produktion in jedem Jahr gewesen ist, das Anwachsen der Profite fast dreimal so hoch. [4]

Die Profite steigen am meisten in dem Bereich, in dem die Industrie am stärksten wächst, in dem die Industrie am größten ist und in dem die Industrie am meisten monopolisiert ist. Eine statistische Analyse der Jahre 1948 bis 1959 von Ken Alexander und John Hughes zeigt ein Anwachsen der Profite auf ungefähr 60% pro Produktionseinheit in der Metallindustrie, der chemischen Industrie, der Ziegelstein- und der Glasindustrie. Bei den Fahrzeugen, den übrigen Metallwaren, Nahrung, Getränke, Tabak, Maschinenbau und elektrischen Gütern betrug die Steigerung ungefähr 40%. Diese Industrien haben typischerweise eine geringe Anzahl von leitenden Firmen und eine Reihe von Preisabsprachen. Bei den restlichen gab es entweder überhaupt keinen Aufschwung oder sogar einen Rückgang des Profits pro Produktionseinheit, z.B. bei den Textilien, Bekleidung, Zinn, Papier und Druck. [5]

Es ist klar, daß eine Politik, die im Kapitalismus die Profite herunterdrückt, industrielle Stagnation hervorruft:

Die Vorstellung, daß Unternehmensprofite auf – sagen wir – ein 4%iges Ansteigen entsprechend dem erwarteten Steigen des Volkseinkommens begrenzt werden können, ist lächerlich. In jedem Jahr werden die Profite irgendeines Industriezweiges, der sich von einer Krise erholt, um etwa 5% steigen, während die Profite eines anderen Zweiges, bei dem gerade ein Boom abflaut, um ungefähr 10% zurückgehen. Eine besondere Steuer auf Profite zu erheben, die durch größere Geschicklichkeit des Managements zustande gekommen sind, würde bedeuten, die erfolgreiche Arbeit zu besteuern und sie damit nicht mehr erstrebenswert zu machen. Die Labour-Partei muß sich an die Vorstellung gewöhnen, daß die tüchtigen Profitemacher in einer gemischten Wirtschaftsform die Pfeiler der Wirtschaft sind. Es sind private Unternehmen, die den Exporthandel führen und es der Nation ermöglichen, ihren Verpflichtungen in der Weltpolitik nachzukommen und dennoch einen Überschuß in der Zahlungsbilanz zu sichern, Manchmal ist der glänzende Industriemagnat, der ungeheure Ausgaben verursacht, verantwortlich für die höchst spektakulären Erfolge auf ausländischen Märkten. Wilson muß diese Geschäftsleute fühlen lassen, daß sie unter einer Labour-Regierung mit Gewinn arbeiten können. Und mit Gewinn meine ich nicht einen kärglichen Gewinn. [6]

Noch ist eine langfristige Begrenzung der Profite über Jahre hinaus möglich. So lange ein winziger Teil der Bevölkerung die Industrie in Besitz hat und kontrolliert und daher auch Investitionsbeschlüsse kontrolliert, wird jeder Versuch, die Profite zu kontrollieren, nur dazu führen, daß die Eigentümer und Kontrolleure des Kapitals ihr Geld ins Ausland, in „sonnigere Gegenden“ schicken. Jeder ernstgemeinte Vorschlag zur Kontrolle würde zu einer vollkommenen Investitionssperre in Großbritannien führen.

Profit ist das Lebensblut des Kapitalismus. Wenn man allergisch gegen Profite ist, kann man keine kapitalistische Wirtschaft führen. Solange die Labour-Regierung an eine solche Wirtschaft gebunden ist, kann sie oder wagt sie nicht, Profite zu kürzen oder zu verhindern. Ein Schriftsteller bei Fabian, J.R. Sargent, war tatsächlich sehr konsequent, als der schrieb, die Labour-Regierung sollte im Interesse der kapitalistischen Akkumulation und einer schnelleren Wachstumsrate eine mehr ungleiche Verteilung des Einkommens erlauben. Wie er darstellte, wäre der Effekt, wenn die Löhne tatsächlich mit den Profiten steigen würden, verheerend:

Wenn der Anteil der Löhne weiterhin steigt und die Profitraten weiter verkleinert werden, wird das Lebensblut des Kapitalismus versiegen. Das Kapital wird versuchen, ins Ausland zu fliehen, bei der Devisenkontrolle wird es vermutlich mit der „nötigen Strenge“ geprüft werden. Nachdem dies geschehen ist, wird der Händel nach und nach aufhören, da nicht genügend Profite da sind, um die verbrauchten Gelder zu ersetzen. [7]

 

 

Preiskontrolle

Profite bestehen aus dem Rest, der von Verkaufspreis einer Ware übrigbleibt, nachdem die Produktionskosten abgezogen worden sind. Um also Profite kontrollieren zu können, müssen auch die Preise kontrolliert werden. Preise zu kontrollieren ist jedoch eine höchst komplizierte, ja unmögliche Aufgabe. Zuerst einmal ist die Preisaufstellung ein sehr verwickelter Vorgang.

Preisführung, Randverkäufe, Bestprodukt und Preisgemische, Markenzeichen, Sparmaßnahmen, das Konzept der Verteilung und bahnbrechende Gewinneinfälle sind nur einige wenige unter buchstäblich Dutzenden von Spitzfindigkeiten, die die Preisgestaltung zur kompliziertesten Mathematik werden lassen.

Was, so fragen die Kritiker, will die Prüfungskommission mit komplexen Preisstrukturen machen, wie organischen Chemikalien und pharmazeutischen Erzeugnissen? Hier würden sie feststellen, daß am Ende der Liste „Brot und Butter“ Produkte stehen, die auf dem Papier überhaupt keine Profite bringen, während am anderen Ende Einführungsprodukte stehen, die bahnbrechende Gewinne von vielleicht 100% oder mehr auf die sichtbaren Grundkosten erzielen.

Wie auch sollen die „weisen Männer“ ihren Weg durch die Verflechtungen der unterschiedlichen Auspreisung finden? Ein Beispiel dafür ist, daß ein Hersteller zu sehr unterschiedlichen Preisen das gleiche Produkt mit seinem eigenen Markenzeichen und – nehmen wir an – mit dem „Haus“-Zeichen eines Kettenladens verkauft. Ein anderes geläufiges Beispiel ist auch, daß Hersteller die Preise auf dem Inlandsmarkt bis zur äußersten Grenze, die die Konkurrenz erlaubt, belasten, so daß sie auf dem Exportmarkt mit Marginalpreisen arbeiten können. [8]

Wie kann bei so zahlreichen und komplizierten Preisen ein zentrales Gremium den „richtigen“ Gewinn pro Produktionseinheit bestimmen? Dies war genau das Problem, dem sich die Nationale Einkommenskommission (NIC) gegenübersah, als sie herauszubekommen versuchte, wie hoch die Gewinne in den untersuchten Industrien waren, NIC fragte die Unternehmer, ob sie Zahlen über Umsatz und Gewinn unter Geheimhaltung der Firmennamen zur Verfügung stellen würden. Der Unternehmerverband der Elektrobranche (NFEA) antwortete, daß es ihnen sehr leid tue, aber sie könnten keine Angaben über Umsatz und Gewinne ihrer Mitglieder geben und außer der bereits gegebenen schriftlichen Aussage nichts weiter zur Unterstützung der Kommission tun. [9] Auch die anderen Unternehmer, die NIC zu befragen versuchte, gaben ähnliche Antworten.

Es stimmt natürlich, daß die Regierung in einigen Fällen eine Firma oder einen Industriezweig dazu überreden kann, die Preise für ein bestimmtes Produkt für eine Zeitlang niedrig zu halten, aber diese Firmen und Industrien können sich durch Änderung der Preise von anderen Produkten entschädigen. Da die meisten Firmen heute eine Vielzahl von verschiedenen Produkten herstellen, ist dies wirklich sehr einfach. Ein Beispiel wird genügen. Während des Streiks der Bäcker im November 1965 hielten die Unternehmer, die Vereinigung der Groß- und Einzelhandelsbäcker, die Brotpreis mit Zustimmung der Preis- und Einkommensbehörde für 3 Monate niedrig. Aber während die Brotpreise eine Zeitlang stabil blieben, wurden die Preise für Brötchen und Gebäck an manchen Stellen um 50% erhöht, ohne daß die Preis- und Einkommensbehörde davon in irgendeiner Weise benachrichtigt wurde. [10]

Das Wirtschaftsministerium hat geschätzt, daß jedes Jahr ungefähr 3 Millionen Preisänderungen vorgenommen werden, und so ist es der Preis- und Einkommensbehörde kaum möglich, alle Preisveränderungen zu beobachten. Was das von der Regierung vorgeschlagene „rechtzeitige Warnsystem“ angeht, so kann es Preiserhöhungen hinauszögern, aber – wie die „Vereinigung Britischer Industrien“ (Confederation of British Industries) bedeutete – nicht sehr viel zur Preisstabilität beitragen. Und der Bericht der OECD vom August 1964, der sich mit dem Problem der Anwendung einer Einkommenspolitik auf Nicht-Lohn-Einkommen befaßt, kam zu dem nicht sehr überraschenden Schluß, daß Preiskontrollen nur als Maßnahme für den Ernstfall und für kurze Zeiträume nützlich sind.

 

 

Der Trick: Profit gleich Dividende

Ein Weg, die Idee einer Einkommenspolitik der Arbeiterbewegung anzudrehen, besteht darin vorzugeben, daß Dividende und Profite das gleiche sind oder daß zumindest Dividenden einen wichtigen Teil der Profite ausmachen. Sir Stafford Cripps’ Lohneinfrierung von 1948-49 wurde durch Anwendung des Tricks der „Dividenden-Einfrierung“ gerechtfertigt. Und es ist auch heute für Verteidiger der Einkommenspolitik innerhalb der Arbeiterbewegung nicht ungewöhnlich, Kontrolle der Dividenden als gerechten Ausgleich für die Kontrolle der Löhne zu fordern.

Lohn ist die Bezahlung, die Arbeiter für den Verkauf ihrer Arbeitskraft bekommen; aber Dividenden sind keine Bezahlung, die die Kapitalisten für ihr Eigentum am Kapital erhalten. Die Dividenden sind nur ein Teil der Bezahlung an den Aktionär. Wenn ein Arbeiter eine Lohnerhöhung von nur 5 statt 8 Shilling die Woche bekommt, so werden die restlichen 3 Shilling niemals bis zu einem späteren Zeitpunkt für ihn aufgehoben. Den Lohn, den ein Arbeiter verliert, sieht er nie wieder. Aber bei einem Aktionär ist das etwas anderes. Wenn er einen Anteil von 5 Shilling an einem Gewinn von 8 Shilling erhält, werden die restlichen 3 Shilling wieder investiert und in ein paar Jahren als Kapitalgewinn an ihn zurückfallen; den Anteil, den der Aktionär verliert, sieht er also in anderer Form wieder.

Es ist ein Hauptmerkmal der derzeitigen Besteuerung, daß der Kapitalist heutzutage Kapitalzuwachs dem Einkommen an Dividenden vorzieht. Das Einfrieren der Dividenden würde einen Kapitalzuwachs nicht hemmen, sondern ihn nur vergrößern.

Es ist wohlbekannt (tatsächlich wird es andauernd von der Finanzpresse veröffentlicht), daß es sich für einen „Steuerzuschlagzahler“ bezahlt macht, Wertpapiere mit einem niedrigen Dividendengewinn, aber einem hohen Grad an erwartetem Kapitalzuwachs auszusuchen. [11]

Bei erfolgreichen Gesellschaften kann der Kapitalzuwachs nicht nur größer sein als die Höhe der Dividenden, sondern auch höher als das Ansteigen der Gewinne überhaupt. Dies ist eine Folge des Wachstums der Unternehmensreserven durch das ständige Zurücklegen der nicht ausgeschütteten Gewinne. Nehmen wir die Fälle Woolworth, Marks und Spencers. Im Februar 1955 belief sich der Markt- preis für alle Woolworth-Aktien auf etwa 280 Mill. Pfund, während das Aktienkapitel und die akkumulierten Reserven zusammen nur 39 Mill. Pfund ausmachten. Die Aktien von Marks und Spencers waren 128 Mill. Pfund wert, während ihr Aktienkapital und die Reserven nur auf 20 Mill. Pfund kamen. [12]

Eine Londoner Börsenmaklerfirma arbeitete 1959 ein Gutachten aus, welches klarlegte, daß der Gesamtwert von 6 Stammaktien, der 1913 auf 1.000 Pfund veranschlagt worden war, bis zum 1. September 1959 auf 73.840 Pfund gestiegen war. [13] Wenn seit 1919 jedes Jahr am 1. Januar 1 Mill. Pfund in eine repräsentative Gruppe der Industrieaktien mit normaler Dividendenberechtigung investiert worden wäre und das Bruttoeinkommen am Ende jedes Jahres wieder investiert worden wäre, hätte sich der Gesamtwert des Fonds am 1. Januar 1960 auf 646.330.000 Pfund belaufen. [14] Ferner ist „festgestellt worden, daß 100 Pfund in jede der folgenden Gesellschaften 1951 investiert bis Mai 1961 auf folgende erfreulichen Summen angewachsen waren: Jaguar 3.098 Pfund, G.U.S. 2.777 Pfund, Legal and General 1.744 Pfund.“ [15]

„Niemals ist mit Eigentum so viel Geld gemacht worden wie in den Jahren von 1949 bis 1959“, schrieb Frederick Ellis, Herausgeber des Daily Express. Er schätzte, daß neun Männer einen Gesamt-Netto-Gewinn an Kapital von 40.000.000 Pfund seit dem Kriege gemacht hatten. Die Statistik der Finanzkammer zeigt, daß es 1957 bis 58 nur 2.600 Leute mit einem Einkommen über 20.000 Pfund vor Abzug der Steuern jährlich gab. [16]

Kürzlich brachte The Economist eine Studie über das britische Steuerwesen, in der die obige Analyse bestätigt wurde:

Kurz gesagt, die Reichen haben nicht nur mehr Geld, sie vermehren es auch schneller. So stellen Bargeld und feste Zinsen 45% des Reichtums von Leuten dar mit weniger als 10.000 Pfund und Aktien mit normaler Dividendenberechtigung nur 5%. Diese stellen aber 56% des Reichtums derjenigen mit mehr als 250.000 Pfund dar, Bargeld und Pfandbriefe dagegen nur 22%. Als Ergebnis lag der Wertzuwachs des Vermögens der wohlhabendsten Gruppe auf dieser Durchschnittsbasis zwischen 1950 und 1964 bei 114%, während die Aktiva der Gruppe zwischen 3.000 und 10.000 Pfund nur auf 48% geschätzt wurde. [17]

Es sollte natürlich hinzugefügt werden, daß sich diese Zahlen sowieso nur auf die sehr wohlhabenden Teile der Bevölkerung beziehen: nur 12,1% der Bevölkerung haben mehr als 3.000 Pfund investiert. Die übrigen 87,9% der Bevölkerung sahen ihre wenigen Pfund auf der Postsparkasse um sehr viel weniger als 48% anwachsen.

Nicholas Kaldor errechnete, daß, wenn die Dividenden sich parallel zu der industriellen Produktion während der letzten Jahre erhöht hätten – zu einem Satz von etwas unter 3% pro Jahr – es ein durchschnittliches Wachstum der Dividendenzahlungen in Höhe von 25 bis 40 Mill. Pfund gegeben hätte, während zur gleichen Zeit ein durchschnittliches Wachstum des Marktwertes von Stammaktien von 500 auf 800 Mill. Pfund pro Jahr erfolgt wäre. [18] Dies sollte verdeutlichen, daß, auch wenn die Lohnerhöhungen mit den Dividendenerhöhungen Schritt halten würden, sie doch mit dem Steigen des Wertes von Aktien auf dem Markt nicht mithalten könnten.

 

 

Werden Steuern auf Kapitalgewinne all dies ändern?

James Callaghans Steuer auf Kapitalgewinne wird das Bild nicht wirklich verändern. Selbst wenn die Steuer auf Kapitalgewinne voll wirksam ist, wird sie sich nur „zusammen mit Stempelgebühr und Erbschaftssteuer, den anderen beiden ‚Wohlstands-Steuern‘ – auf eine Eigentumserhebung von unter einem Prozent pro Jahr belaufen.“ [19] Denn – sehr einfach – Callaghans Steuer ist keine Steuer, die auf Kapital erhoben wird. Ein Millionär, der seine Kapitalsituation nach April 1965 verbessert, braucht auf seine Gewinne keine Steuern zu zahlen. Er braucht nur Steuern zu zahlen, wenn er seinen Wohlstand durch Verkauf seiner Aktien realisiert. Aber gerade weil er Millionär ist, kann er es sich sehr wohl leisten, nicht zu verkaufen, denn er kann ganz gut von seinem Einkommen leben:

Nicht nur, daß die Wohlhabenden finanziell anspruchsvoller sind; sie haben auch bessere Möglichkeiten, Risiken auf sich zu nehmen, und brauchen nur einen kleinen Teil ihres Geldes unrentabel als flüssige Reserve zurückzuhalten. Die mißliche Tatsache bleibt, daß jeder Tendenz zu einer gleichmäßigeren Verteilung des Wohlstandes in Großbritannien überall entgegengewirkt wird. [20]

Die Höhe der britischen Steuer auf Kapitalgewinn (30%) liegt nur wenig über dem Prozentsatz der in den USA schon seit den letzten 30 Jahren besteht (25%); und bis jetzt ist noch kein einziger amerikanischer Millionär durch diese Steuer zum Bettler geworden. In der Tat hat diese Steuer der Labour-Regierung als eine der Hauptfolgen, daß der Wert der Aktien immer noch höher getrieben wird, da die Aktionäre (um die Steuer zu umgehen) weniger bereit sind, zu verkaufen. Nehmen wir das schon erwähnte Beispiel des Besitzers von 6 Stammaktien mit einem Wert von je 1.000 Pfund im Jahre 1913. Der Wert seiner Aktien wäre am 1. September 1959 auf 73.480 Pfund gestiegen; wenn er Callaghans Steuer auf Kapitalgewinne zu zahlen gehabt hätte, wäre sein Reichtum „nur“ auf 51.988 Pfund gestiegen, was schließlich auch nicht gerade schlecht ist!

 

 

Andere Extraprofite für die Reichen

Kapitalzuwachs ist nicht der einzige Posten auf der Gewinnseite, den die Unterstützer der Einkommenspolitik einfach vergessen. Es gibt noch viele „Randgewinne“ wie Abgabenberechnungen (Spesen), Treuhandgelder, den „goldenen Händedruck“ (die Abfindungssumme für einen ausscheidenden Generaldirektor) usw. usf.

Was den „goldenen Händedruck“ betrifft, werden einige Beispiele genügen. Oberst R.W.W. Taylor, ehemaliger Direktor von Lang Pneumatic, erhielt 40.000 Pfund. [21] P. Craig Wood, ehemaliger Direktor von Associated Electrical Industries erhielt 30.000 Pfund. [22] Philip G. Walker, ehemaliger Direktor bei Reed Paper Makers, erhielt die riesige Summe von 124.000 Pfund bei einem „goldenen Handschlag“ [23] und Eric Morland, der nur 26 Monate als Direktor bei der Associated Fire Alarms beschäftigt war, erhielt einen „goldenen Händedruck“ von 20.000 Pfund, das sind etwa 26 Pfund für jeden Tag seines Dienstes . [24] Der Leser sollte nicht vergessen, daß ein goldener Händedruck überhaupt nicht versteuert zu werden braucht.

Bezüglich der Ausgabenabrechnung wurde schon 1955 geschätzt, daß Ausgaben für Alkohol und importierte Weine auf „Geschäftsrechnung“ die Summe von 33 Mill. Pfund erreichte. Eine Überprüfung der Londoner Nachtclubs und Restaurants ergab, daß die meisten Rechnungen für die Bewirtung von Firmen und nicht von Einzelpersonen ausgestellt wurden. Wie der Economist schrieb:

Nur die Freigebigkeit des Finanzministeriums – bezahlt über die steuerfreie Ausgabenabrechnung – hält die Nachtclub-Industrie in Gang. [25]

Und Professor Titmuss schreibt:

Lord Kindersley, Vorsitzender bei Rolls Royce, berichtete, daß die meisten ihrer Autos von Firmen gekauft würden. Unter den leitenden Angestellten und Direktoren scheint es üblich zu sein, sich eigene Autos, Autos mit Chauffeur oder Autodienste von einem Firmenfonds oder Mietsystem zuzulegen. [26]

Zum „goldenen Händedruck“ und den Ausgabenabrechnungen kommen noch Stiftungen, Ausbildungszentren, Stipendien, steuerfreie Pensionen etc., die meist als legitime Geschäftsausgaben absetzbar sind und von denen keine den Weg in die Statistiken über Einkommensverteilung findet.

Selbst wenn George Browns Politik garantierte, daß die Dividenden nicht schneller anwachsen würden als die Löhne, so gäbe es trotzdem überhaupt keine Garantie, daß die Gewinne als ganze nicht doch viel schneller als die Löhne anwachsen wurden. Weiterhin wurde, selbst wenn die Wachstumsrate der Löhne und Profite gleich wäre (was nicht realisierbar ist), das immer noch keine Gleichheit bedeuten, denn die Ausgangspunkte der Arbeiter und der Kapitalisten sind sehr unterschiedlich. Drei Prozent auf einen Wochenlohn von 10 Pfund bedeuten nichts gegenüber drei Prozent, die einem Profit von 1.000.000 Pfund hinzugefügt werden.

Vor allem bedeutet das Vorhaben, Löhne und andere Einkommen um den gleichen Prozentsatz wachsen zu lassen, daß die Anteile der verschiedenen Bevölkerungsschichten am nationalen Wohlstand die gleichen bleiben sollen. Was für eine konservative Politik!

Aber wenn in Diskussionen in der Presse, im Parlament usw. über die Einkommenspolitik gesprochen wird, werden fast immer nur die Löhne erwähnt:

Es besteht kein Zweifel, daß für die meisten Unternehmensleitungen, mit denen ich darüber diskutiert habe, eine Einkommenspolitik (sie sprechen kaum von der Preis-Seite) den Versuch darstellt, die Gewerkschaften besonders auf der Shop-Ebene in Schach zu halten. Es ist der Versuch, endlich die steigenden Arbeitskosten in den Griff zu bekommen. Und einige sehen es als Versuch der Regierung, die Einschränkungspraktiken zu beseitigen. Kaum ein Unternehmer betrachtet sie als ein Mittel, größere soziale Gerechtigkeit in eine chaotische Lohn- und Gehaltsstruktur einzuführen. Genau das ist es aber, was die Gewerkschaftler in ihr sehen, die dieses Konzept unterstützen. [27]

 

 

Anmerkungen

1. Michael Spicer, Implementing an Incomes Policy, 3 – And What About Profits?, in The Statist, 8. Januar 1965

2. F.W. Paish, The Limits of Incomes Policy, S.20

3. Ebenda, S.20-21

4. Fabian Group, A Plan for Incomes, April 1965, S.3

5. Ken Alexander und John Hughes, A Socialist Wages Plan, London 1959, S.60-61

6. Nicholas Davenport, The Split Society, in The Speotator, 29. November 1963

7. J.R. Sargent, Out of Stagnation, 1963, S.33

8. Christopher George, Snags for Industry in a Price Review, in The Statist, 1. Januar 1965

9. Cmd 2098, 1963, S.54

10. The Guardian, 22. November 1965

11. R.M, Titmuss, Income, Distribution and Social Change, London 1963, S.108

12. Ebenda, S.110

13. Ebenda, S.110

14. The Times, 14. März 1960, zitiert in: Titmuss, a.a.O., S.110-11

15. The Observer, 17. September 1961

16. Titmuss, a.a.O., S.112

17. The Indefensible Status Quo, The Economist, 15. Januar 1966, S.218

18. Zitiert von Titmuss, a,a.O., S.111-12

19. The Economist, 13. Januar 1966, S.217

20. Ebenda, S.218

21. The Financial Times., 10. März 1964

22. The Financial Times., 7. April 1964

23. The Financial Times, 30. Juni 1964

24. The Times, 1. September 1965

25. The Economist, 11. April 1959, S.105, zitiert nach Titmuss, a.a.O., S.180

26. Titmuss, a.a.O., S.178. Callaghan hat einige der Auswüchse beseitigt:
a) ein „goldener Händedruck“ über 5.000 Pfund muß jetzt versteuert werden
b) keine Genehmigung mehr für Geldanlagen in Firmenwagen, aber Wertminderung und laufende Kosten sind noch von der Steuer absetzbar
c) Repräsentationskosten sind nicht mehr genehmigt (ausgenommen in der Exportindustrie)

27. G. Goodmarr, From Consent to Compulsion, in: The Statist, 7. Mai 1965

 


Zuletzt aktualisiert am 23.8.2003