Chris Harman

Frauenunterdrückung und Frauenbefreiung

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3. Argumente gegen die revolutionäre
marxistische Position


Sowohl von offenen Gegnern der marxistischen Theorie über die Frauenunterdrückung wie auch von solchen, die diese mit irgendeiner anderen Theorie vermischen wollen, werden eine Reihe von Argumenten vorgebracht. Wir betrachten sie der Reihe nach.

Die marxistische Anschauung leugnet effektiv das Vorhandensein von Frauenunterdrückung, da sie alles auf eine Klassenfrage reduziert.

Wenn man das erste Kapitel dieser Broschüre liest, wird man schnell sehen, daß diese Behauptung nicht stimmt. Wir „reduzieren“ das Problem nicht auf eine Frage der Klasse. Frauen aller Klassen sind unterdrückt, genauso wie ethnische Minderheiten aller Klassen in bestimmten Gesellschaften. Wir sagen allerdings, daß man sich nicht von der Unterdrückung befreien kann, ohne gegen ihre Wurzeln in der Klassengesellschaft vorzugehen. Es gibt nicht zwei Kämpfe: einen gegen die Klassengesellschaft und den anderen gegen das „Patriarchat“. Es gibt einen einzigen Kampf gegen die Grundursache für alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung.

Außerdem werden Frauen verschiedener Klassen sehr unterschiedlich unterdrückt. Die Frau eines Sklavenhalters mag unterdrückt sein, aber ihre Unterdrückung ist ganz anders als die einer Sklavin (und auch die eines männlichen Sklaven). Eine Frau der herrschenden Klasse mag gegen ihre Unterdrückung protestieren, aber die große Mehrheit unter ihnen wird sich bei jeder ernsthaften revolutionären Herausforderung sofort auf die Seite des Systems schlagen, das eben diese Unterdrückung aufrechterhält. Wenn es soweit ist, werden sie somit nicht nur dem Ausbeutungssystem wieder auf die Beine helfen, sondern auch den Unterdrückungsmechanismen gegen andere Frauen.

Die Frauen der herrschenden Klasse bestehen stets darauf, daß die Frauenbewegung von der Arbeiterbewegung getrennt und ihr entgegengestellt sei. Die Frauen der Arbeiterklasse müssen die ganze Frage der Trennung von einem anderen Blickwinkel betrachten.

Die Vorurteile der männlichen Arbeiter haben oft dazu geführt, daß Arbeiterinnen – wenn sie sich überhaupt organisieren wollten – kaum eine andere Wahl hatten, als sich getrennt von den Männern zu organisieren. Aber sie mußten immer gegen diese aufgezwungene Trennung ankämpfen, weil diese den Kampf der Arbeiterklasse als ganze schwächt und es so der herrschenden Klasse erleichtert, ihre Unterdrückung aufrecht zu erhalten.

Historisch gesehen waren es die wirtschaftlich mächtigeren und weniger unterdrückten Gruppen der Arbeiter, die für getrennte, sektionalistische Formen der Organisation eingetreten sind. Frauen und ethnisch unterdrückte Gruppen der Arbeiterklasse haben sich nur separat (in Frauengewerkschaften usw.) organisiert, um die nötige Kraft zu sammeln, die Mauern des Separatismus niederreißen zu können. Betrachten wir ein weiteres Argument unserer Gegner:

Die den Frauen heutzutage aufgezwungene untergeordnete Stellung wirdfestgeschrieben, da Männer nach der marxistischen Anschauung die Frauen anführen sollen. Ein Ende ihrer Unterdrückung sollen die Frauen nicht durch Selbsttätigkeit erreichen, das werden die Männer für sie erledigen.

Unterdrückte Menschen gewinnen das Selbstbewußtsein, sich zu erheben und gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen, durch den Kampf selbst. Das heißt aber nicht, daß einzig und allein der Kampf der eigenen unterdrückten Gruppe ihnen dieses Selbstbewußtsein geben kann. Kämpfe gegen alle Erscheinungen der Klassengesellschaft können die gleiche Wirkung haben.

Gerade die Erfahrung von gewerkschaftlichen Kämpfen hat vielen Frauen den Mut gegeben, traditionelle Erwartungshaltungen bezüglich ihrer Rolle in der Familie in Frage zu stellen.

Natürlich erschweren die Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse – zwischen Mann und Frau, Schwarzen und Weißen, Gelernten und Ungelernten, Unterdrückten und weniger Unterdrückten – die Entstehung eines einfachen, homogenen und einheitlichen Kampfes aller Arbeiter gemeinsam. Es entstehen in der Regel Kämpfe, die überwiegend männliche Arbeiter oder Arbeiterinnen, weiße oder schwarze Arbeiter, Facharbeiter oder ungelernte Arbeiter einbeziehen. Der Kampf irgendeiner Gruppe von Arbeitern hat jedoch immer Auswirkungen auf die Kämpfe anderer Arbeitergruppen. Keine unterdrückte Gruppe kann ihre Kämpfe vom Rest der Klasse trennen.

Solche Versuche führen in die Katastrophe.

Wenn eine relativ mächtige Gruppe wie die Bergarbeiter in Großbritannien oder die Automobilarbeiter in den USA erfolgreich kämpfen, ist das ein Ansporn für alle anderen Gruppen von Arbeitern – selbst wenn die stärksten Gruppen überwiegend männlich und die schwächeren weiblich sind. Umgekehrt kann auch eine schwächere, hauptsächlich aus Arbeiterinnen mit nur wenig Kampferfahrung zusammengesetzte Gruppe, die sich gegen eine Unternehmeroffensive zur Wehr setzt, andere stärkere Gruppen mit überwiegend männlichen Arbeitern zum Kampf anspornen.

In der Tat haben die großartigsten Kämpfe gegen die Frauenunterdrückung immer in Zeiten eines breiter gefaßten, allgemeineren Kampfes stattgefunden – während der Großen Französischen Revolution von 1789/94, in der Zeit unmittelbar vor und nach dem Ersten Weltkrieg, sowie Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Ihre Erfolge hingen stets von den Erfolgen in den allgemeineren Kämpfe ab. Niederlagen im allgemeineren Kampf bedeuteten auch immer eine Niederlage für den Kampf um die Frauenbefreiung – der Thermidor in den 1790ern, der Stalinismus und Nazismus in den Jahren zwischen den Kriegen, oder die Rechtswende in den späten 70er Jahren. [26]

Anders konnte es gar nicht sein. Unterdrückung ist ein Produkt der Klassengesellschaft. Und der einzige Weg, die Klassengesellschaft wirkungsvoll herauszufordern, ist der einheitliche Kampf der Arbeiterklasse und nicht der separate, isolierte Kampf dieser oder. jener unterdrückten Gruppe.

Das heißt keinesfalls, daß „Frauen den Männern folgen“. Die jeweilige Gruppe von Arbeitern, die an der Spitze des Kampfes steht, wird das eine Mal weiblich, das andere Mal männlich, ein weiteres Mal völlig gemischt sein.

Entscheidend ist die Einsicht der führenden Arbeitergruppe, daß ihr Kampf ein Kampf im Namen aller Arbeiter ist – trotz der Bemühungen der herrschenden Klasse, sie vom Gegenteil zu überzeugen – und daß sie deshalb das Recht haben, andere Arbeitergruppen um Unterstützung zu bitten. Das erfordert aber den unermüdlichen Einsatz von Sozialisten gegen die Tendenz unter weniger unterdrückten Arbeitern, sich mit den Privilegien zu identifizieren, die sie von noch unterdrückteren Arbeitern unterscheiden. Es erfordert von ihnen auch, den unterdrückteren Arbeitern deutlich zu machen, daß ihre wahren Feinde nicht die weniger Unterdrückten sind, sondern die herrschende Klasse, die alle Arbeiter ausbeutet. So muß den sich im Kampf befindenden Gruppen von männlichen Arbeitern erklärt werden, daß sie die Unterstützung der Arbeiterinnen brauchen, diese aber mir bekommen werden, wenn sie ihre sexistischen Vorstellungen (Frauen seien Sexualobjekte, ihr Platz sei einzig und allein zu Hause usw.) ablegen. Es muß darauf hingewiesen werden, daß zu Passivität und Abhängigkeit vom Mann gezwungene Frauen keine richtigen Mitstreiterinnen im Kampf ihrer Klasse gegen das System sein können.

Unterdrückung ermöglicht es der herrschenden Klasse, die gesamte Arbeiterklasse zu spalten und zu beherrschen – die am wenigsten unterdrückten Teile ebenso wie die am meisten unterdrückten. Jede Beteil.igung an Kämpfen führt dazu, daß Menschen diese Unterdrückung in Frage stellen – und nur, wenn diese Unterdrückung in Frage gestellt wird, kann der Kampf langfristigen Erfolg haben.

Anders ausgedrückt: Wenn man die Behauptung ernst nimmt, daß Frauen nur der Führung durch andere Frauen folgen können, dann heißt das, daß sie in vielen großen Schlachten des Klassenkampfes keine Rolle zu spielen haben. In der Tat sind einige der bedeutendsten Kämpfe von Frauen aus der Arbeiterklasse aus Solidarität mit männlichen Arbeitern zustande gekommen wie etwa die Frauennotstandsbrigade beim Sitzstreik in Flint, USA 1937.

Aus dieser Einsicht heraus hat keine der großen revolutionären Sozialistinnen ihre Aufgabe darin gesehen, nur Frauen zu organisieren. Ob Eleanor Marx, Rosa Luxemburg, Mother Jones oder Elizabeth Gurley Flynn – sie alle haben sich mit voller Energie in die gerade geführten Kämpfe gestürzt, gleichgültig ob diese von Arbeitern oder Arbeiterinnen geführt wurden. [27]

Selbst jene Revolutionärinnen wie Clara Zetkin oder Alexandra Kollontai, die sich darauf konzentrierten, Frauen zu organisieren, sahen das niemals als ihre einzige Aktivität an. Alexandra Kollontai war in der allgemeinen Parteiarbeit sowohl der Bolschewiki als auch der Menschewiki aktiv, während Clara Zetkin eine führende Rolle in allen Debatten der Kommunistischen Partei Deutschlands zwischen 1919 und 1923 spielte. Auch Sylvia Pankhurst, die erst im Verlaufe des Ersten Weltkrieges zu einer rein sozialistischen Position kam, zog daraus die Schlußfolgerung, daß nicht die Frauenzeitung, The Women’s Dreadnought, und die Frauenorganisation, die East London Federation of Suffragettes, notwendig seien, sondern daß es einer Arbeiterzeitung, The Workers’ Dreadnought, und einer gemischten Organisation, der Workers Socialist Federation, bedürfe. Das hat natürlich manche konfuse Feministinnen nicht davon abhalten können, Kollontai, Zetkin und Sylvia Pankhurst für ihre Sache des Separatismus zu reklamieren!

All diese Frauen nahmen diese Position ein, weil sie verstanden, daß es keinen separaten Weg zur Frauenbefreiung gibt und auch nicht geben kann, egal unter welchem Namen (sozialistischer Feminismus, revolutionärer Feminismus oder was auch immer), sondern nur den des revolutionären Marxismus. Sie verstanden, daß es nicht zwei Traditionen von Kämpfen gibt – die des Kampfes gegen Unterdrückung zum einen und die des Kampfes für die Errichtung der Arbeitermacht zum anderen –, die miteinander zu verbinden wären, sondern nur eine einzige Tradition. Diese versucht, eine revolutionäre Arbeiterbewegung als „Tribun aller Unterdrückten und Ausgebeuteten“ aufzubauen.

In einer solchen vereinten Bewegung wäre das höchste Ziel, daß revolutionäre Frauen Männer anführen und umgekehrt, je nachdem, welcher Teil der Klasse gerade im Kampf steht.

Ein drittes Argument, das von unseren Gegnern herangezogen wird, lautet:

Männer der Arbeiterklasse sind an der Aufrechterhaltung der Frauenunterdrückung beteiligt und profitieren davon. Deshalb können sie nicht am Kampf für die Befreiung der Frau teilnehmen.

Wir haben zuvor argumentiert, daß der wirkliche Grund für die Unterdrückung der Frau nicht die einzelnen Männer sind, sondern der Drang zur Kapitalakkumulation. Es ist allerdings richtig, daß dieser Drang nur dann befriedigt werden kann, wenn Menschen sich dafür zur Verfügung stellen – Menschen mit der Bereitschaft, andere zu unterdrücken. Sicherlich sind viele Männer an der Unterdrückung der Frauen beteiligt, und Leute wie Anna Paczuska und Lynn James scheinen eine wunde Stelle gefunden zu haben, wenn sie sagen: Es ist nicht der Kapitalismus, der Ehefrauen schlägt, Frauen vergewaltigt, Prostituierte kauft und Frauen in der Pornographie degradiert – es sind die Männer. [28]

Aber sie haben nur bis zu einem gewissen Punkt recht. Erstens sind nicht alle Männer an den von ihnen aufgelisteten Handlungen beteiligt – es sei denn, man akzeptiert die Behauptung radikaler Feministinnen, daß alle Männer Vergewaltiger sind. Zweitens ist ihre Auflistung dessen, was die Unterdrückung der Frau ausmacht, hoffnungslos unvollständig. Wenn man andere Elemente der Frauenunterdrückung hinzufügt – z. B. die Verweigerung des Rechtes auf Abtreibung oder die ungleiche Bezahlung – dann merkt man, daß es nicht ihre männlichen Partner sind, die ihnen das alles antun, sondern der Staat oder der Unternehmer. Im Fall der Sozialisation von Mädchen mit dem Ziel, daß sie untergeordnete, „weibliche“ Rollen akzeptieren, ist eher die Mutter als der Vater im Spiel. Einige der größten Kampagnen gegen das Recht auf Abtreibung wurden von Frauen angeführt. Selbst in authentisch patriarchalen Gesellschaften wird die Unterdrückung jüngerer Frauen nicht nur vom Patriarchen selbst, sondern auch von den älteren Frauen durchgesetzt!

Wenn Frauen aus der Arbeiterklasse anfangen, sich gegen ihre Unterdrückung zu wehren, sind sie nicht nur mit der Ablehnung vieler Männer, sondern auch mit der vieler Frauen konfrontiert. Der Kapitalismus hat in seinem Drang zur Akkumulation eben viele „Agenten“ zur Kontrolle der Frauen gefunden, sei es mittels Gewalt oder ideologischer Überredung – nicht nur den Mann, der seine Ehefrau schlägt, oder den Vergewaltiger.

Dem wird man entgegnen, daß Männer in einer Art und Weise Nutzen aus der Unterdrückung der Frau ziehen, wie es Frauen eben nicht können.

In Wirklichkeit ist der Nutzen, den Männer der Arbeiterklasse aus der Unterdrückung der Frau ziehen, durchaus begrenzt. Sie ziehen keinen Nutzen aus dem niedrigen Lohn, den Frauen erhalten – dieser dient nur dazu, ihren eigenen Lohn niedrig zu halten. Es kann auch nicht ernsthaft behauptet werden, daß Männer aus der Behandlung des weiblichen Körpers als Ware Nutzen ziehen – die einzigen, die das können, sind diejenigen, die sowieso genug Geld besitzen, um Waren zu kaufen und zu verkaufen.

Die Frage des Nutzens führt letzten Endes zur Hausarbeit und ist dann, in welchem Maße die Männer der Arbeiterklasse aus der unbezahlten Arbeit der Frauen Vorteile ziehen.

Das aber kann in der stereotypischen kapitalistischen Familie gar nicht gemessen werden. Wie Lindsey German sagte:

Die Arbeitsteilung ist schließlich doch eine, in der die Männer sowohl in der Fabrik als auch zu Hause verschiedene Arbeiten verrichten. Aber zu sagen, daß schweißen besser oder schlechter sei als Hausarbeit, heißt, die Dinge in einer völlig subjektiven und nicht meßbaren Weise zu betrachten. Das gleiche gilt für die Freizeit. Männer haben strenger definierte Freizeit, die in der Regel sozialer Natur ist (Kneipenbesuche, Fußball, genauso wie sie auch strenger festgesetzte Arbeitszeiten haben. Dies kann aber nicht einfach als ein Plus an Freizeit betrachtet werden. Im Unterschied zu den Frauen ist sie einfach anders festgelegt.

Hausarbeit ist per Definition Arbeit, die nicht dem erzwungenen Tempo der kapitalistischen Ausbeutung in der Fabrik oder im Büro unterworfen ist. Sie bedeutet nicht harte Arbeit für eine festgelegte Stundenzahl, auf die eine Zeit der Erholung folgt, um einen anderen festgesetzten Zeitabschnitt intensiven Arbeitens zu ermöglichen. Deshalb gibt es keine Möglichkeit, die Menge der Arbeit, die in sie eingeht, in Beziehung zu setzen zur Menge der Arbeit, die in der Fabrik geleistet wird [...]

Der große Nachteil, den Hausfrauen [der Arbeiterklasse] haben, ist nicht, daß sie irgendwie von ihren Männern ausgebeutet wer­ den, sondern daß sie atomisiert sind. Sie sind von der Teilnahme an kollektiven Bewegungen abgeschnitten, die als Einzige das nötige Vertrauen vermitteln können, um gegen das System zu. Kämpfen [...]

Es stellt sich somit das Problem des „Nutzens“ nur dann, wenn die alte stereotype Arbeitsteilung zwischen dem „männlichen Arbeiter“ und der „weiblichen Hausfrau “ verschwindet. Verheiratete Frauen werden zunehmend in die Lohnarbeit einbezogen, und viele Frauen sind ganztägig berufstätig, doch es wird immer noch von ihnen erwartet, daß sie die Hausarbeit machen. Ihnen wird sehr viel weniger Zeit zur Regenerierung ihrer Arbeitskraft zugestanden als ihren Ehemännern, da sie sowohl die Arbeit außerhalb des Hauses als auch die Hausarbeit erledigen müssen. Aber selbst in diesen Fällen ist es zweifelhaft, ob der Ehemann mehr als nur einen begrenzten Nutzen davon zieht. [29]

Was der Mann der Arbeiterklasse direkt in Form von Arbeitsleistungen von seiner Frau gewinnt, kann grob gemessen werden: Es ist die Menge an Arbeit, die er aufzuwenden hätte, wenn er selbst saubermachen und kochen müßte. Das wäre nicht mehr als ein, zwei Stunden am Tag – eine Belastung für eine Frau, die diese Arbeit für zwei Leute nach einem Tag Lohnarbeit tun muß, jedoch kein großer Gewinn für den männlichen Arbeiter.

Erst wenn die Frage nach der Reproduktion der nächsten Arbeitergeneration gestellt wird – die nach dem Aufziehen von Kindern – wird die Last für die Frau unerträglich und der scheinbare Gewinn für den Mann immens.

Aber die Arbeit, die eingesetzt wird, um Kinder aufzuziehen, kann nicht als etwas betrachtet werden, was die Frau ihrem Ehemann gibt. Sie ist vielmehr etwas, was die Ehefrau dem System zur Verfügung stellt, indem sie dessen Bedarf nach der Erneuerung der Arbeiterschaft befriedigt. Wie es Ann Rogers formulierte: „Die Frau der Arbeiterklasse ist gezwungen, Kindern zu dienen, nicht Männern.“ [30]

Der Hauptpunkt ist jedoch der, daß der Schlüssel zur wahren Befreiung der Frau der Arbeiterklasse in der Vergesellschaftung beider Komponenten der Hausarbeit liegt. Diese Vergesellschaftung stellt für den Mann der Arbeiterklasse keinen Verlust dar. Er verliert nichts, wenn gute, kollektiv geführte Kantinen ihn mit exzellenten Mahlzeiten versorgen, oder wenn ein Rund-um-die-Uhr-Kinderkrippendienst seiner Frau die Last abnimmt, sich ständig um die Kinder kümmern zu müssen.

Solche Veränderungen können Frauen und Männer von ihren beengten und oftmals verbitterten Zwangsbeziehungen befreien – sie sind daher gleichermaßen ein Gewinn für beide Geschlechter.

Aus diesem Blickwinkel heraus kann sicherlich nicht behauptet werden, daß die Männer der Arbeiterklasse irgendeinen materiellen Vorteil aus der Unterdrückung der Frau ziehen. Welche Vorteile er im Vergleich zu seiner Frau unter den jetzt herrschenden Bedingungen auch immer ziehen mag, so sind sie doch nichts im Vergleich zu dem enormen Gewinn im Fall einer Revolutionierung dieser Bedingungen.

Wie sieht es mit dem anderen Gewinn aus, den er angeblich hat, dem „ideologischen Gewinn“ – dem Gefühl, daß er irgendwie die Kontrolle über die Familie ausübt und ungeachtet seiner Bedeutungslosigkeit in der Welt außerhalb seiner vier Wände wenigstens Herr im eigenen Haus ist?

Dieser Faktor spielt ein große Rolle in Zeiten, in denen die Arbeiter nicht gegen das System kämpfen. Dann ist ihr Kopf voll mit dem vorherrschenden ideologischen Müll. Wenn sie aber einmal angefangen haben, sich gegen das System zu wehren, dann können sie erkennen, daß es eine andere Alternative gibt – eine, die ihnen die Kontrolle über ihr ganzes Leben bietet. Dann brauchen sie dieses Scheingefühl der Kontrolle nicht mehr, das aus ihrer Herrschaft innerhalb der Familie erwächst.

Die Theoretikerinnen des Patriarchats und die diesen Ideen anhängenden sozialistischen Feministinnen erkennen das nicht, weil sie keine Vorstellung haben, wie sich Ideen im Kampf verändern können. Sie verallgemeinern Erfahrungen aus Zeiten des Abschwungs des Klassenkampf es und ziehen daraus den Schluß, daß die jetzt vorherrschenden Ideen für immer herrschen werden. Genauso wie manche aus der derzeitigen Situation den Schluß ziehen, daß die Arbeiterklasse am Ende sei, ziehen Patriarchatstheoretikerinnen und sozialistische Feministinnen den Schluß, daß die Arbeiter niemals die privatisierte Reproduktion und die Unterdrückung der Frau in Frage stellen können.

Die Erfahrung zeigt, daß man eine Arbeiterrevolution haben kann, die die Unterdrückung der Frau nicht aufhebt.

Das ist ein zentraler Lehrsatz aller Patriarchatstheorien. Er entspringt der Vorstellung, daß Länder wie Rußland, Kuba, Vietnam und China irgendwie sozialistisch seien. In diesen Ländern werden die Frauen weiterhin unterdrückt, und das sei der Beweis, daß Sozialismus und Frauenunterdrückung sehr wohl nebeneinander bestehen können. Sozialistische Feministinnen wie Sheila Rowbotham können dem nichts entgegensetzen. Denn auch sie glauben, daß es schon sozialistische Gesellschaften gibt. [31]

Diejenigen unter uns jedoch, die den Aufstieg des Stalinismus in Rußland als Wegbereiter für das dortige staatskapitalistische System begreifen, kommen natürlich nicht zu diesem Schluß.

Denn die Erfahrung der russischen Revolution von 1917 beweist gerade das Gegenteil von dem, was die Patriarchatstheoretikerinnen und die sozialistischen Feministinnen behaupten.

Die Revolution fand unter den allerschwierigsten Bedingungen statt, in einem Land, in dem die Arbeiterklasse nur eine kleine Minderheit in der Bevölkerung war. Die große Mehrheit bestand nämlich aus Bauern, die, patriarchalisch organisiert, wie im Mittelalter lebten und tiefstem Aberglauben und Vorurteilen verfallen waren. Obwohl es in einzelnen Industriezweigen und Fabriken nennenswerte Zahlen von Frauen gab, die eine wichtige Rolle in der Februarrevolution spielten, waren die männlichen Arbeiter unter den bewußten Revolutionären in der großen Mehrheit – nur zehn Prozent der Bolschewiki waren Frauen.

Dennoch führte die Revolution ein Programm der Frauenbefreiung durch, wie es sonst noch nie und nirgends versucht wurde: völlige Freiheit der Abtreibung und Scheidungsrechte, gleiche Bezahlung wie für die Männer, eine riesige Anzahl an kommunalen Kindertagesstätten, kollektiv geleitete Kantineneinrichtungen usw.

Die Arbeiterinnen begannen im Kampf um die Emanzipation ihrer Klasse ihre traditionelle Unterordnung unter den Mann in Frage zu stellen, während es die militantesten Arbeiter gleichzeitig für notwendig erachteten, diese Herausforderung zu unterstützen und zu ermutigen.

Das war nur möglich, weil die Revolution eine echte Revolution war – eine gewaltige Erhebung, in der sich die untersten Schichten der Gesellschaft auflehnten und kämpften, um ihr eigenes Schicksal zu bestimmen. Dazu mußten bestehende Hierarchien zerstört und jedes Element von Unterdrückung, das die Arbeiterklasse spaltete und niederhielt, bekämpft werden. Natürlich gab es Widerstand seitens männlicher Arbeiter, die ihre traditionelle herrschende Rolle in der Ramilie behalten wollten. Am eindrucksvollsten ist aber, wie die in der Bolschewistischen Partei organisierten fortschrittlichsten Arbeiter begriffen, daß sie mit solch spaltendem, vorurteilsbehaftetem Verhalten brechen mußten, und wie sie in der Lage waren, die Mehrheit ihrer Klasse für diesen Standpunkt zu gewinnen.

Dafür schuf die Partei nach der Eroberung der Staatsmacht eine Sonderabteilung, deren Aufgabe es war, mehr Frauen aus der Arbeiterklasse in den revolutionären Prozeß einzubeziehen. Inessa Armand wurde mit dieser Aufgabe betreut, und nach ihrem Tod Alexandra Kollontai. Es wurde aber auch erwartet, daß sich männliche Revolutionäre an ihrer Arbeit beteiligten, ihre Konferenzen besuchten usw.

Die Erfahrung der russischen Revolution unterschied sich also grundsätzlich von dem, was der Aufstieg des Stalinismus brachte: Wiedereinführung der traditionellen Familie, Abtreibungsverbot, eingeschränktes Scheidungsrecht usw. Sie hatte auch nichts gemein mit den Veränderungen, die der Staatskapitalismus – eingeführt im Gefolge der russischen Armee oder aber durch Revolutionen unter der Führung von Guerillaarmeen – hervorbrachte.

Rußland zeigte, zu was die Arbeiterrevolution führt. Die anderen Fälle zeigen, zu was ihr Ausbleiben führt!

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Anmerkungen

26. Für eine Darstellung der Auswirkungen dieser Niederlagen auf die Frauenbewegung siehe Cliff, op. cit.

27. Der große Irrtum revolutionärer Sozialisten in den frühen 70er Jahren war es, dies nicht zu verstehen und stattdessen von der Annahme auszugehen, revolutionäre Frauen könnten Arbeiterinnen unabhängig vom Stand der Klassenkämpfe organisieren. Das war der Irrtum, der sich in Kath Ennis’ ansonsten hervorragenden Artikel von 1973 einschlich und den ich in meinem eigenen Beitrag für das Interne Bulletin der Socialist Workers Party im Februar 1979, Women’s Voice, Some Burning Questions, wiederholte. Wir hätten den Erfahrungen der großen Revolutionärinnen mehr Achtung schenken sollen!

28. Socialism needs feminism, International Socialism, Nr. 14 (neue Serie).

29. Lindsey German, op.cit.

30. Buchbesprechung von Brothers in Socialist Review, Nr. 61.

31. Ein Grund, warum Sheila die International Socialists, Vorläuferorganisation der Socialist Workers Party, 1971 verließ, war unsere Weigerung, Nordvietnam als sozialistisch zu bezeichnen.


Zuletzt aktualisiert am 3. April 2019