Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Erster Abschnitt
Geld und Kredit


VI. Kapitel
Der Zinsfuß


Auf Grundlage der kapitalistischen Produktion erhält jede Geldsumme die Fähigkeit, als Kapital zu fungieren, also Profit abzuwerfen. Bedingung dafür ist, daß sie den produktiven Kapitalisten zur Verfügung gestellt wird.

„Gesetzt, die jährliche Durchschnittsprofitrate sei 20 %. Eine Maschine im Wert von 100 Pfd. St. würde dann, unter den Durchschnittsbedingungen und mit dem Durchschnittsverhältnis von Intelligenz und zweckmäßiger Tätigkeit als Kapital verwandt, einen Profit von 20 Pfd. St. abwerfen. Ein Mann also, der 100 Pfd. St. zur Verfügung hat, hält in seiner Hand die Profit, aus 100 Pfd. St. 120 zu machen oder einen Profit von 20 Pfd. St. zu produzieren. Er hält in seiner Hand ein mögliches Kapital von 100 Pfd. St. Überläßt dieser Mann für ein Jahr die 1 Pf00d. St. einem ändern, der sie wirklich als Kapital anwendet, so gibt er ihm die Macht, 20 Pfd. St. Profit zu produzieren, einen Mehrwert, der ihm nichts kostet, wofür er kein Äquivalent zahlt. Wenn dieser Mann dem Eigner der 100 Pfd. St. am Jahresschluß vielleicht 5 Pfd. St. zahlt, d. h. einen Teil des produzierten Profits, so zahlt er damit den Gebrauchswert der 100 Pfd. St., den Gebrauchswert ihrer Kapitalfunktion, der Funktion, 20 Pfd. St. Profit zu produzieren. Der Teil des Profits, den er ihm zahlt, heißt Zins, was also nichts ist als ein besondrer Name, eine besondre Rubrik für einen Teil des Profits, den das fungierende Kapital, statt (ihn) in die eigne Tasche zu stecken, an den Eigner des Kapitals wegzuzahlen hat.

Es ist klar, daß der Besitz der 100 Pfd. St. ihrem Eigner die Macht gibt, den Zins, einen gewissen Teil des durch sein Kapital produzierten Profits, an sich zu ziehn. Gäbe er dem ändern die 100 Pfd. St. nicht, so könnte dieser den Profit nicht produzieren, überhaupt nicht mit Beziehung auf diese 100 Pfd. St. als Kapitalist fungieren.“ [1]

Indem der Geldbesitzer sein Geld ausleiht, fungiert dieses Geld für ihn als Kapital, Leihkapital, da es nach einiger Zeit zu ihm zurückkehrt als vermehrtes Geld. Kapital verwertet sich aber nur im Produktionsprozeß durch Ausbeutung der Arbeitskraft, Aneignung von unbezahlter Arbeit. Das Geldkapital des Leihkapitalisten muß daher zum Geldkapital des produktiven Kapitalisten werden, um sich im Produktionsprozeß zu bewähren, um Profit zu erzeugen. Dieser Profit wird jetzt geteilt; ein Teil kehrt als Zins zum Leihkapitalisten zurück, der andere verbleibt dem produktiven Kapitalisten. Da der Zins unter normalen Umständen ein Teil de» Profits, so ist der Profit die Höchstgrenze des Zinses. Und das ist das einzige Verhältnis zwischen Profit und Zins. Dagegen ist der Zins kein irgendwie bestimmter, fixierter Teil des Profits. Die Höhe des Zinses hängt ab von der Nachfrage und dem Angebot des Leihkapitals. Man kann sich kapitalistische Gesellschaft denken und ihre Grundsätze ableiten, unter der Voraussetzung, daß Geldbesitzer und produktive Kapitalisten identisch oder mit anderen Wörtern daß alle produktiven Kapitalisten zugleich über das nötige Geldkapital verfügten. Dann würde kein Zins entstehen. Dagegen ist kapitalistische Produktion undenkbar ohne Produktion von Profit) beides bedeutet vielmehr dasselbe. Die Produktion von Profit ist Bedingung wie Ziel kapitalistischer Produktion. Seine Produktion, die Produktion des Mehrwerts, der im Mehrprodukt verkörpert ist, ist objektiv bestimmt; der Profit entspringt unmittelbar aus dem ökonomischen Verhältnis, dem Kapitalverhältnis, der Trennung der Produktionsmittel von der Arbeit und dem Gegensatz von Kapital und Lohnarbeit; seine Größe hängt ab von dem Neuwert, den die Arbeiterklasse mit den vorhandenen Produktionsmitteln produziert, und der Teilung dieses Neuwerts zwischen Kapitalisten- und Arbeiterklasse, die wieder bestimmt ist durch den Wert der Arbeitskraft. Wir haben es hier mit lauter objektiv bestimmten Faktoren zu tun.

Anders der Zins. Er entspringt aus der gegenüber dem Wesen des Kapitalismus, der Trennung der Produktionsmittel von der Arbeit, akzidentellen Tatsache, daß die Verfügung über das Geld einmal nicht allein die produktiven Kapitalisten besitzen, sodann daß im Kreislauf des individuellen Kapitals nicht zu jeder Zeit das ganze Geldkapital eingehen muß, sondern daß es zeitweise brachliegt. Es hängt nun von dem wechselnden Verhältnis der Nachfrage von seiten der Produktiven nach diesem Geldkapital ab, welchen Teil des Profits sich die Leihkapitalisten aneignen können. [2]

Hängt aber der Zins von Nachfrage und Angebot ab, so müssen wir uns fragen, wodurch Nachfrage und Angebot ihrerseits bestimmt sind. Auf der einen Seite steht das momentan brachliegende,aber nach Verwertung strebende Geld, auf der anderen Seite steht die Nachfrage der fungierenden Kapitalisten nach Geld, das sie als Geldkapital in fungierendes Kapital verwandeln wollen. Diese Verteilung besorgt der Kapitalkredit, von dessen Stand also die Höhe des Zinsfußes abhängt. In jedem gegebenen Moment steht der kapitalistischen Gesellschaft eine quantitativ gegebene Geldsumme zur Verfügung, die das Angebot darstellt, und auf der anderen Seite der in demselben Moment gleichfalls durch die Ausdehnung der Produktion und Zirkulation gegebene Bedarf der fungierenden Kapitalisten nach Geldkapital. Es handelt sich hier also um zwei in jedem Moment bestimmte Größen, die als Nachfrage und Angebot einander auf dem Geldmarkt begegnen und den „Leihpreis des Geldes“, den Zinsfuß, bestimmen. Diese Bestimmung bietet weiter keine Schwierigkeit; diese ergibt sich erst bei der Analyse der Veränderung des Zinsfußes.

Es ist zunächst klar, daß eine Ausdehnung der Produktion und damit der Zirkulation vermehrte Nachfrage nach Geldkapital bedeutet. Die vermehrte Nachfrage würde also, bliebe das Angebot dasselbe, eine Steigerung des Zinsfußes bewirken müssen. Die Schwierigkeit entsteht aber daraus, daß auch das Angebot sich ändert zugleich mit der geänderten Nachfrage und gerade infolge der geänderten Nachfrage. Betrachten wir die das Angebot bildende Geldmasse, so besteht sie aus zwei Teilen: erstens aus dem vorhandenen Bargeld, zweitens aus dem Kreditgeld. Nun haben wir bei der Analyse des Zirkulationskredits gesehen, daß das Kreditgeld einen variablen Faktor bildet, der sich ausdehnt zusammen mit der Ausdehnung der Produktion. Diese aber bedeutet vermehrte Nachfrage nach Geldkapital; diese vermehrte Nachfrage findet aber auch ein vermehrtes Angebot, das gegeben ist durch das infolge der Ausdehnung der Produktion vermehrte Kreditgeld. Eine Änderung des Zinsfußes wird also nur ein treten, wenn die Veränderung in der Nachfrage nach Geldkapital stärker ist als die des Angebots; also ein Steigen des Zinsfußes dann, wenn die Nachfrage nach Geldkapital rascher wächst als die Vermehrung des Kreditgeldes. Wann wird dies der Fall sein? Zunächst erfordert Vermehrung des Kreditgeldes eine Vermehrung derjenigen Bargeldsumme, die als Reserve für die stete Einlösbarkeit des Kreditgeldes nötig ist; ferner wächst mit der Zirkulation des Kreditgeldes auch der Teil der Bargeldsumme, die zur Ausgleichung der Bilanz für das sich nicht kompensierende Kreditgeld gehalten werden muß. Zugleich wachsen mit der Ausdehnung der Zirkulation auch jene Transaktionen, in denen das Kreditgeld nur geringe Rolle spielt; die zur Bezahlung du Arbeiter und zur Erledigung der gestiegenen Umsätze im Kleinhandel nötigen Summen bestehen meistens aus Bargeld. So verringern sich die für den Leihverkehr zur Verfügung stehenden Summen, weil ein Teil des Bargeldes für diese anderen Funktionen benötigt wird. Schließlich wird die Vermehrung des Kreditgeldes hinter den Anforderungen der gestiegenen Produktion und Zirkulation zurückbleiben, sobald bei Beendigung einer Prosperitätsepoche der Absatz der Waren stockt oder verlangsamt wird.

Denn dies bedeutet, daß die Wechsel, die gegen die Waren gezogen sind, sich nicht mehr gegenseitig kompensieren werden und daß wenigstens die Laufzeit der Wechsel sich verlängert. Wenn aber die verfallenen Wechsel sich nicht kompensieren, so müssen Bargeld eingelöst werden. Das Kreditgeld (also die Wechsel, respektive die sie substituierenden Noten) können also die Geldfunktionen, die Zirkulation der Waren, nicht mehr im bisherigen Umfang erfüllen. Um sie einzulösen, entsteht vermehrte Nachfrage nach Bargeld. Es hat sich also das wirklich fungierende Kreditgeld verringert, während gleichzeitig zum Ersatz dafür die Nachfrage nach Bargeld steigt; es ist diese Nachfrage, welche das Steigen des Zinsfußes herbeiführt.

Hängt also die absolute Höhe des Zinsfußes vom Stande des Kapitalkredits ab, so die Veränderungen vor allem vom Stande des Zirkulationskredits. Die nähere Analyse dieser Veränderungen gehört in die Darstellung der industriellen Konjunkturschwankungen und wird daher im Zusammenhang mit dieser gegeben werden.

„Die Variationen des Zinsfußes (abgesehn von den in längern Perioden erfolgenden oder von dem Unterschied des Zinsfußes in verschiednen Ländern; die ersteren sind bedingt durch Variationen in der allgemeinen Profitrate, die zweiten durch Differenzen in den Profitraten und in der Entwicklung des Kredits) hängen ab vom Angebot des Leihkapitals (alle ändern Umstände, Stand des Vertrauens etc. gleichgesetzt), d. h. des Kapitals, das in Form von Geld, Hartgeld und Noten, verliehen wird; im Unterschied zum industriellen Kapital, das als solches, in Warenform, vermittelst des kommerziellen Kredits, unter den reproduktiven Agenten selbst verliehen wird.“ [3]

Unsere Ansicht stimmt damit nicht voll überein. Marx läßt die Variationen des Zinsfußes abhängen von dem Angebot des Kapitals, das in Form von Geld, Hartgeld und Noten, verliehen wird. Es bleibt dann aber die Frage offen, wie groß der Betrag der Noten sein kann. Für England, dessen Verhältnisse Marx hier offenbar vorschweben, ist die Antwort durch die gesetzliche Vorschrift der Peelsakte gegeben. Die Summe des Hartgeldes und der Noten setzt sich zusammen aus der Summe des in Zirkulation befindlichen Hartgeldes, dem Goldschatz der Bank und 14 Millionen Pfund Sterling in Noten, die den Betrag des ungedeckten Notenumlaufes darstellen. In der Tat versehen diese Noten die Funktion von Staatspapiergeld insofern, als sie das Minimum der Zirkulation, das durch Geldzeichen ersetzbar ist, repräsentieren oder wenigstens zu Peels Zeiten repräsentiert haben. Die Notensumme ist also durch das Gesetz in einem bestimmten Ausmaße ein für allemal festgesetzt. Stellt man aber die Frage allgemein, so hängen die Variationen des Zinsfußes ab von dem Angebot, von der Menge des verleihbaren Geldes. Es kann aber alles Geld verliehen werden, das nicht in Zirkulation befindlich ist. In Zirkulation befindlich ist aber erstens der dem Minimum entsprechende Bedarf an Geldzeichen und dann eine bestimmte Summe Gold. Das übrige Gold ist in den Kellern der Bank oder der Banken. Ein Teil dieses Goldes dient als Reserve (Schatz) für die inländische Zirkulation, ein Teil als Reserve für die internationale Zirkulation, da Gold die Funktion des Weltgeldes erfüllen muß. Den Minimalbetrag, den die Reserve für beide Zwecke haben muß, lehrt die Erfahrung. Der Rest kann verliehen werden und bildet in letzter Instanz jenes Angebot, dessen Inanspruchnahme die Höhe des Zinsfußes bestimmt. Diese Inanspruchnahme selbst hängt aber ab vom Stande des Zirkulationskredits, also von dem „kommerziellen Kredit“, den die reproduktiven Agenten einander geben. Solange dieser sich in gleichem Maße ausdehnen kann, wie es die gestiegene Nachfrage verlangt, wird keine Veränderung im Zinsfuß erfolgen. Man darf aber nicht vergessen, daß der größte Teil der Nachfrage befriedigt wird durch ein Angebot, das gleichzeitig mit der Nachfrage wächst. Der größte Teil des Kredits ist „kommerzieller Kredit“ oder, wie wir lieber sagen, Zirkulationskredit. Hier wachsen Nachfrage und Angebot oder, wenn man will, die Befriedigungsmittel der Nachfrage gleichzeitig miteinander und mit der Ausdehnung der Produktion. Die Ausdehnung dieses Kredits ist möglich ohne jede Wirkung auf den Zinsfuß; zu Beginn der Prosperität findet solche Ausdehnung statt ohne besondere Einwirkung auf den Zinsfuß. Der Zinsfuß steigt erst, wenn die Goldbestände der Banken abnehmen, die Reserven sich ihrem Minimum nähern und die Banken daher gezwungen sind, den Diskont hinaufzusetzen. Dies ist aber in den Perioden der Hochkonjunktur der Fall, weil die Zirkulation mehr Gold verlangt (Anwachsen des variablen Kapitals, der Umsätze überhaupt und damit auch des Betrages, der zum Ausgleich der Bilanzen dient). Die Nachfrage nach Leihkapital wird aber gerade dann am stärksten, wenn der Goldschatz durch die Bedürfnisse der Zirkulation, die mehr Gold absorbiert, am geringsten ist. Die Erschöpfung des ausleihbaren Goldschatzes wird unmittelbare Veranlassung zu der Hinaufsetzung des Bankdiskonts, der in solchen Perioden zum Regulator des Zinsfußes wird. Der Zweck der Diskonterhöhung ist es ja auch, den Goldzufluß zu bewirken. Die Einschränkungen der verfehlten Bankgesetzgebung bewirken nur, daß dieser Zeitpunkt früher eintritt, als die rein ökonomischen Bedingungen es erfordern. Das Verfehlte all dieser Einschränkungen ist, daß sie auf die eine oder andere Art indirekt in Deutschland, direkt in England, das von der Zirkulation benötigte Minimum unterschätzen und damit das Angebot von Leihkapital einschränken.

Eine Tendenz zum Sinken des Zinsfußes wäre also an die Voraussetzung geknüpft, daß das Verhältnis des vorhandenen Goldschatzes zu der Nachfrage nach Leihkapital ständig günstiger würde, das heißt, daß der Goldschatz rascher wüchse als die Nachfrage nach Leihkapital. Eine solche Tendenz zum ständigen Sinken des Zinsfußes läßt sich, wenn man nur entwickelte kapitalistische Verhältnisse miteinander vergleicht, in der Tat nicht konstatieren. [4] Sie läßt sich auch theoretisch nicht postulieren; denn gleichzeitig mit dem Wachsen des Goldschatzes und dem Minimum der Zirkulation wächst auch die Goldsumme, die in Zeiten der Hochkonjunktur zusätzlich von der Zirkulation aufgenommen wird.

Das Sinken der Profitrate würde aber nur dann ein Sinken des Zinsfußes bedeuten, wenn der Zins irgendein fester Teil des Profits wäre, was aber nicht der Fall ist. Das Sinken der Profitrate hat höchstens die Bedeutung, daß die theoretisch mögliche Höchstgrenze des Zinses, nämlich der Profit, sinkt; da aber diese Höchstgrenze allgemein auf längere Zeit nicht erreicht wird, so hat diese „Konstatierung“ gar keine Bedeutung. [5]

Dagegen ist ein anderes Moment wichtig. Da der Zinsfuß in entwickelten kapitalistischen Verhältnissen sich wenig ändert, die Profitrate dagegen sinkt, so wächst in gewissem Grade der Anteil des Zinses am Gesamtprofit gegenüber dem Unternehmergewinn, also der Anteil der müßigen Kapitalisten auf Kosten der funktionierenden, eine Tatsache, die zwar mit dem Dogma vom sinkenden Zinsfuß im Widerspruch steht, dafür aber mit den Tatsachen im Anklang und zugleich mit eine Ursache ist des wachsenden Einflusses und der Bedeutung des zinstragenden Kapitals, also der Banken, und ein wichtiger Hebel zur Verwandlung des Kapitals in Finanzkapital.


Anmerkungen

l. Marx, Kapital, III., 1., S. 323. (Neuausgabe S. 371. – Die Red.)

2. Um mittels des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage etwas zur Erklärung des Preises aussagen zu können, müssen Angebot und Nachfrage gegebene und feste Größen sein. Daher auch das Bestreben der Grenznutzentheorie, das Angebot als konstant vorauszusetzen, also von einem gegebenen Vorrat auszugehen. Es ist also ganz konsequent, wenn Schumpeter (Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, Leipzig 1908) in seinem Bemühen, die Grenznutzentheorie zu sichern, schließlich die Nationalökonomie auf eine Statik reduziert, während sie doch Dynamik, die Lehre von den Bewegungsgesetzen der kapitalistischen Gesellschaft, sein muß. Damit ist denn der Gegensatz gegen den Marxismus sehr glücklich und auf das schärfste formuliert, zugleich aber auch die völlige Ergebnislosigkeit der Grenznutzenlehre, the final futility of final utility, nach dem Scherzwort Hyndmans. Ökonomisch besteht die Schwierigkeit, das Ausmaß des Angebots zu erklären, was nichts anderes heißt, als den Umfang der Produktion in seiner ökonomischen Gesetzmäßigkeit darzulegen. Die Nachfrage selbst ist bestimmt durch die Produktion und deren Verteilung und die Gesetze, nach denen die Verteilung des gesellschaftlichen Produkts vor sich geht. Auch bei den Bestimmungsgründen des Zinsfußes besteht die Schwierigkeit nur in der Darlegung der Momente, welche das Ausmaß des Angebots bestimmen.

3. Marx, a. a. O., 2., S. 37. (Neuausgabe S. 544. – Die Red.)

4. Soweit empirisches Material vorliegt, das Vergleiche zuläßt, stützt es das Dogma vom sinkenden Zinsfuß durchaus nicht. Smith erzählt, daß zu seiner Zeit in Holland die Regierung 2 Prozent und gutakkreditierte Privatleute 3 Prozent Zinsen zahlten. In England bezahlten einige Zeit nach dem letzten Kriege (1763) nicht nur bestakkreditierte Privatleute, sondern auch einige der größten Handelsgeschäfte Londons gewöhnlich 5 Prozent Zinsen, während sie vordem höchstens 4 bis 4½ Prozent zu bezahlen pflegten. Tooke, der die letztere Angabe zitiert, bemerkt dazu: „In 1764 fielen vierprozentige Schatzscheine unter Pari; navy bills bedangen 9 5/8 Prozent Diskont, und dreiprozentige Konsols, die März 1763 auf 96 standen, fielen im Oktober auf 80. Aber 1765 standen dreiprozentige Schatzscheine, von denen eine neue Emission erfolgt war, im allgemeinen auf und bisweilen über Pari, und die dreiprozentigen Konsols stiegen auf 92.“ Schmoller (Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre, II., S. 207) gibt übrigens an, daß die dreiprozentigen Konsols schon 1737 auf 107 standen. Nun ist der Kurs der Staatspapiere, der ja noch anderen Bestimmungsgründen unterliegt, sicher kein unbedingt zuverlässiger Maßstab für die Höhe des Zinsfußes, aber immerhin zu beachten.

Doch auch die Betrachtung der Diskontsätze der Notenbanken läßt keine gleichmäßig sinkende Tendenz erkennen. Wir entnehmen einem interessanten Artikel Dr. Alfred Schwoners, Zinsfuß und Krisen im Lichte der Statistik, im Berliner Tagblatt vom 26. und 27. November 1907, folgende Tabelle (K bedeutet Krisenjahr, doch handelt es sich beim Jahre 1895 und 1882 [Bontouxkrach] um reine Spekulationskrisen):

Durchschnittsdiskontsätze der vier europäischen Hauptbanken
in den letzten 55 Jahren

 

Bank
von
England

Bank
von
Frankreich

Deutsche
Reichsbank
(1847 bis 1875
Preußische
Bank)

Österreichisch-
Ungarische
Bank (früher
Nationalbank)

    1907 (erste Monate

4,54

3,3  

5,72

4,72

    1906

4,27

3,0  

5,12

4,4  

    1905

3,08

3      

3,82

3,68

    1904

3,3  

3      

4,2  

3,5  

    1903

3,76

3      

3,77

3,5  

    1902

3,33

3      

3,32

3,55

K 1901

3,9  

3      

4,1  

4,08

K 1900

3,94

3,2  

5,33

4,58

    1899

3,75

3,06

5,04

5,04

    1898

3,19

2,2  

4,27

4,16

    1897

2,64

2      

3,81

4      

    1896

2,48

2      

3,66

4,09

K 1895

2      

2,1  

3,14

4,3  

    1894

2,11

2,5  

3,12

4,08

    1893

3,06

2,5  

4,07

4,24

K 1892

2,52

2,7  

3,2  

4,02

K 1891

3,35

3      

3,78

4,4  

    1890

4,69

3      

4,52

4,48

    1889

3,55

3,16

3,68

4,19

    1888

3,3  

3,1  

3,32

4,17

    1887

3,34

3      

3,41

4,12

    1886

3,05

3      

3,28

4      

    1885

2,92

3      

4,12

4      

    1884

2,96

3      

4      

4      

    1883

3,58

3,08

4,4  

4,11

K 1882

4,14

3,8 

4,54

4,02

    1881

3,48

3,84

4,42

4      

    1880

2,76

2,81

4,24

4      

    1879

2,38

2,58

3,07

4,33

    1878

3,75

2,2  

4,34

5      

    1877

2,85

2,26

4,42

5      

    1876

2,62

3,4  

4,16

5      

    1875

3,25

4      

4,71

4,6  

    1874

3,75

4,3  

4,38

4,87

K 1873

4,75

5,15

4,95

5,22

    1872

4,12

5,15

4,29

5,55

    1871

2,85

5,35

4,16

5,5  

    1870

3,12

3,9  

4,4

5,44

    1869

3,25

2,5  

4,24

4,34

    1868

2,25

2,5  

4      

4      

    1867

2,5  

2,7  

4      

4      

K 1866

7      

3,67

6,21

4,94

    1865

4,75

3,66

4,96

5      

    1864

7,5  

6,51

5,31

5      

    1863

4,5  

4,63

5,08

5      

    1862

2,5  

3,73  

4,2  

5,06

    1861

5,25

5,86

4,2  

5,5  

    1860

4,25

3,56

4,2  

5,12

    1859

2,75

3,47

4,2  

5      

    1858

3      

3,68

4,2  

5      

K 1857

6,7  

6      

5,76

5      

    1856

5,8  

5,5  

4,94

4,27

    1855

4,8  

5      

4,08

4      

    1854

5,1  

4,37

4,36

4      

    1853

3,4  

3,23

4,25

4      

    1852

2,5  

3,18

4      

4      

Schwoner bemerkt zu dieser Tabelle:

„Wollte man im übrigen aus der Statistik der Bankdiskonte im 19. Jahrhundert allgemeine Schlüsse über die Bewegung des Zinsfußes ziehen, so zeigt sich, daß eine bestimmte Tendenz nach oben oder nach unten nicht nachweisbar ist. Zwar sind offizielle Diskontsätze unter 4 Prozent erst im Laufe der Zeit aufgetaucht, und zwar je nach der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes früher oder später. England war in dieser Beziehung den anderen Staaten weit voraus. Daselbst kam schon im Jahre 1845 der zweiprozentige Bankdiskont zum erstenmal vor. Bei der Bank von Frankreich gab es 1852 zum erstenmal einen Zinsfuß von 3 Prozent, 1867 zum erstenmal 2½ Prozent und 1877 zum erstenmal 2 Prozent. Bei der Berliner Bank gab es schon in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts Minimalsätze von 3 Prozent, aber während des Regimes der Preußischen Bank und der Deutschen Reichsbank ging der Zinsfuß zum erstenmal im Jahre 1880 unter 4 Prozent herunter. Bei der Österreichisch-Ungarischen Bank trat zum erstenmal im Jahre 1905 ein Zinsfuß von 3½ Prozent auf, in der ersten Depressionsperiode, die die Monarchie nach der Valutaregulierung erlebte. Es ist also insoweit ein Fortschritt zu erkennen, als mit der technischen Vollendung der Bankorganisation und der Währung die Grenze des Zinsfußes nach unten herabrückt.“

Schwoner gibt noch folgende Zahlen:

Diskontdurchschnitte der fünf letzten Dezennien

Durch-
schnitts-
diskont

Bank
von
England

Bank
von
Frankreich

Deutsche
Reichsbank

Osterr.-
Ungar.
Bank

Gesamt
durch
schnitt

1897–1906

3,52

2,85

4,28

4,05

3,67

1887–1890

3,04

2,71

3,59

4,21

3,38

1877–1886

3,19

2,96

4,11

4,26

3,63

1887–1876

3,25

3,89

4,34

4,85

4,09

1857–1860

4,82

4,48

4,83

5,06

4,79

„Der Gesamtdurchschnitt ist weitaus am höchsten im Dezennium 1857–1866, wo er 4,79 Prozent beträgt, im Dezennium 1867–1876 fällt er auf 4,09 Prozent, ist also noch immer sehr hoch, 1877–1886 geht er auf 3,63 Prozent zurück und erreicht im Jahrzehnt 1887–1896 mit 3,38 seinen Tiefpunkt, für das letzte Jahrzehnt beträgt der Durchschnitt 3,67, ist also höher als in den beiden vorgehenden Dezennien, dagegen noch viel niedriger als in den ersten zwanzig Jahren des industriellen und finanziellen Aufschwungs (1857–1876).“

Aus alldem geht hervor, daß die Höhe des Zinsfußes bestimmt ist nicht irgendwie durch die Profitrate, sondern durch die stärkere oder geringere Nachfrage nach Geldkapital, wie sie die raschere oder langsamere Entwicklung, Tempo, Intensität und Ausdehnung der Prosperitätsepochen bedingen.

Bei Betrachtung ganz anormal hohen Zinsfußes zeigt sich stets, daß Ursache in der Ordnung des Geldwesens zu suchen ist. So stieg 1799 zum Beispiel der Diskont in Hamburg auf 15 Prozent, und auch zu diesem Satz nur die besten Wechsel und auch nur in beschränktem Umfang diskontierbar. (Tooke, I., S. 241.) Die Ursache liegt ebenso in dem Mangel jedes elastischen Geldsystems, wie bei den enormen Zinssätzen und ihren riesigen Schwankungen in den Vereinigten Staaten heute; dagegen haben sie nichts zu tun mit irgendwelchen Änderungen in der Profitrate.

5. Der Grundsatz Adam Smiths, „daß dort, wo ein großer Gewinn mit dem Gelde erzielt werden kann, auch gewöhnlich viel für seine Benützung gezahlt worden wird; und daß dort, wo wenig damit verdient werden kann, auch nur wenig dafür gegeben werden wird“ (Wealth of Nation, Vol. I., Ch. IX), ist zwar sehr einleuchtend, aber nicht bewiesen und auch nicht richtig.


Zuletzt aktualisiert am 23. Juli 2018