Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Dritter Abschnitt
Das Finanzkapital und die Einschränkung der freien Konkurrenz


XIII. Kapitel
Die kapitalistischen Monopole und der Handel


Die kapitalistischen Vereinigungen in der Industrie haben auch eine Rückwirkung auf die Zirkulation und ihre Vermittlung durch den Handel. Wir sprechen hier vom Handel als spezifischer ökonomischer Kategorie, betrachten ihn also losgelöst von den Funktionen des Wägens und Teilens sowohl als von der Funktion des Transportes. Die Warenproduktion macht den allseitigen Stellenwechsel der Ware nötig, und dieser vollzieht sich durch Kauf und Verkauf. Werden diese zu selbständigen Funktionen eines Kapitals, so ist dieses Kapital Handels- oder kommerzielles Kapital. Es ist klar, daß durch die Verselbständigung dieser Operationen, die sonst vom Produzenten selbst vollzogen werden müßten, die Handelsoperationen nicht zu Wert erzeugenden Operationen werden, der Händler nicht zum Produzenten wird. Die Verselbständigung des Handels bewirkt aber Konzentration von Kauf und Verkauf, Ersparnis an Aufbewahrungs- und Erhaltungskosten usw. Der Handel bedeutet somit eine Verringerung der sonst nötigen Zirkulationskosten und damit eine Verringerung der Unkosten der Produktion. Aber um den Handel betreiben zu können, ist eine Geldsumme notwendig, die in Waren verwandelt werden muß. In der kapitalistischen Gesellschaft nimmt nun jede Geldsumme Kapitalcharakter an. Sollen die Handelsfunktionen verselbständigt werden, so muß das im Handel angelegte Geld Kapital werden, also Profit bringen. Es ist aber klar, daß dieser Profit nicht durch den Handel, durch den bloßen Prozeß des Kaufens, um zu verkaufen, entsteht, er wird im Handel nur angeeignet. Die Größe des Profits ist gegeben durch die Größe des Kapitals. Denn in entwickelter kapitalistischer Gesellschaft bringt gleichgroßes Kapital gleichen Profit. Dieser Profit selbst aber ist Abzug von dem in der Produktion erzeugten Profit. Die Industriellen müssen von dem Profit, den sie in erster Hand vereinigen, den Kommerziellen einen solchen Teil abtreten, der genügt, um das für den Handel notwendige Kapital dem Handel wirklich zuzuführen.

Der Handel, der vor Verallgemeinerung der Warenproduktion, also vor der kapitalistischen Entwicklung da ist, also – ebenso wie das Wucher- und Geldhandlungskapital – älter ist als das industrielle Kapital, ist selbst Ausgangspunkt der kapitalistischen Entwicklung. Er vereinigt in sich den größten Teil des Geldreichtums der Gesellschaft. Er bringt durch den Kredit, immer ein wichtiges Mittel zur Herstellung kapitalistischer Abhängigkeitsverhältnisse – vielfach noch in Form von Warenkredit –, die alte handwerksmäßige Produktion von sich in Abhängigkeit, schafft die ersten Anfänge der kapitalistischen Hausindustrie auf der einen Seite, die Anfänge der Manufaktur auf der anderen Seite. Die Entwicklung des industriellen Kapitals löst diese Abhängigkeit der Produktion vom Handel und verselbständigt beide, indem es den Handel isoliert, von der Produktion loslöst.

Die Entwicklung des Handels selbst wird durch zwei Momente bestimmt. Einerseits durch die handelstechnischen Bedingungen selbst. Der Handel sammelt und konzentriert einmal die Produkte aus den verschiedenen Produktionsstätten und verkauft sie schließlich an den letzten Konsumenten. Je zerstreuter sie wohnen, desto mehr müssen sich die Verkäufe schließlich zersplittern, nicht nur quantitativ, sondern auch der Zeit und dem Orte nach. Der Charakter der letzten Verkäufe hängt ab von den Einkommensverhältnissen der letzten Käufer und von ihrer örtlichen Konzentration, beides Momente, die von der sozialen Entwicklung und Struktur des Landes abhängen. Gerade handelstechnisch ist die Überlegenheit des großen gegenüber dem kleinen Betrieb evident. Die Kosten eines Kaufes und Verkaufes, die Buchführung darüber, wachsen nicht entfernt mit der Größe der umgesetzten Wertsummen. Die Tendenz zur Konzentration ist damit gegeben. Aber anderseits liegt es in der Natur des Handels, daß, je näher er dem Konsumenten kommt, sich die Verkäufe desto mehr örtlich und zeitlich zersplittern. Je nach dem Stadium der Annäherung an die Konsumtion finden sich so gewisse Grenzen für die Größe des Betriebes, Grenzen, die durchaus elastisch sind, mit dem Grad der Entwicklung eines Landes sich erweitern, aber immerhin verschiedene Größe des Geschäftsumfanges bedingen. In jedem dieser Stadien setzt sich die Tendenz zum größeren Betrieb durch, aber mit verschiedener Stärke und Schnelligkeit. Die Notwendigkeit der örtlichen Dezentralisation wird überwunden durch Filialenbildung eines und desselben großen Geschäftes. Anderseits erlaubt die Konzentration der Bevölkerung in den Städten, auch den Detailhandel in großen Warenhäusern zu konzentrieren. Dies ist jedoch nur die erste Stufe der Konzentration. Das handelstechnische Bedürfnis verbindet die Warenhäuser selbst zu großen Einkaufsorganisationen, die große Gruppen von Warenhäusern vereinigen und sie zum größeren oder geringeren Teil finanziell beherrschen, während anderseits die enormen finanziellen Bedürfnisse großer Warenhäuser sie wieder in enge Beziehungen zu den Banken drängen. [1]

Zugleich aber mit der Konzentration geht auch im Detailhandel die Tendenz zur Aufhebung seiner Selbständigkeit vor sich, indem die Produzenten der Konsumtionsmittelindustrien selbst den Absatz ihrer Produkte besorgen. Diese Entwicklung ist am fortgeschrittensten dort, wo ein Trust den selbständigen Handel völlig ausgeschaltet hat, wie zum Beispiel der amerikanische Tabaktrust. [2]

Anderseits findet diese Konzentrationsbewegung auch Hindernisse, die sie verlangsamen. Ein Handelsbetrieb kleineren Umfanges ist leicht zu eröffnen, je kleiner, desto leichter, zumal hier die Kreditgewährung, da es sich nur um Kredit für Warenkapital handelt, verhältnismäßig ausgedehnt ist, namentlich dann, wenn diese Kreditgewährung von seiten des Produzenten erfolgt, für den sie ein Konkurrenzmittel im Kampf um den Absatzmarkt ist. In diesen Kleinbetrieben herrscht eine niedrige Profitrate, die diesenHändler zu einem bloßen Agenten des Kapitalisten macht, dessen Produkte er absetzt. An seiner Verdrängung besteht kein starkes ökonomisches Interesse.

Neben diesen handelstechnischen Momenten, die eine Rolle spielen, wo es sich um Produkte handelt, die an den letzten Konsumenten direkt abzusetzen sind – also in dem Detailhandel –, spielt aber die Rückwirkung der industriellen Verhältnisse dort eine Hauptrolle, wo es sich um den Warenumsatz zwischen den industriellen Kapitalisten selbst und zwischen diesen und den Großhändlern handelt. Und hier wirkt die industrielle Konzentration zurück auf die Entwicklung des Handels, der sich ihr anpassen muß. Je konzentrierter die industriellen Betriebe, desto größer ihre Produktion, desto kapitalkräftiger müssen auch die Händler sein, die diese Produktion umsetzen. Ferner: je geringer mit wachsender Konzentration die Zahl der industriellen Betriebe, desto überflüssiger werden überhaupt die Händler, desto einfacher muß es erscheinen, daß die großen konzentrierten Produktionsstätten direkt miteinander in Verbindung treten, ohne Dazwischenkunft eines selbständigen Händlers. Die Konzentration in der Industrie bewirkt so nicht nur Konzentration, sondern auch Überflüssigmachung des Handels. Es geschehen weniger Umsätze, da der Einzelumsatz größer wird, und bei diesen Umsätzen wird die Dazwischenkunft eines selbständigen Kapitalisten immer häufiger ausgeschaltet. Damit wird aber auch ein Teil des im Handel befindlichen Kapitals überflüssig und kann aus der Zirkulationssphäre verschwinden.

Das im Handel befindliche Kapital ist zunächst gleich dem Wert des gesellschaftlichen Jahresprodukts, gebrochen durch die Umschlagszahl des kommerziellen Kapitals, multipliziert mit der Anzahl von Zwischenstadien, die es durchläuft, bis es zum letzten Konsumenten kommt. Aber dieses Kapital ist nur rechnungsmäßig so groß. Der größte Teil dieses Kapitals besteht nur in Kredit. Das Kaufmannskapital dient ja nur zur Warenzirkulation; wir wissen aber bereits, daß diese zum größten Teil vollführt werden kann ohne Zuhilfenahme von wirklichem Geld. Es ist gegenseitiger Kredit, der von den produktiven Kapitalisten einander gegeben wird und sich gegenseitig ausgleicht. Das wirkliche Kaufmannskapital ist viel geringer, und nur davon erhält der Kaufmann Profit. Der Profit des Industriellen ist abhängig von dem gesamten Kapital, ganz gleich, ob es dem Industriellen gehört oder ob es ihm kreditiert ist, denn es ist Produktionskapital. Der Profit des Kaufmanns hängt nur ab von dem wirklich verwandten Kapital, denn dieses ist nicht Produktionskapital, sondern vollzieht nur die Funktionen von Geld- und Warenkapital. Der Kredit bedeutet hier nicht eine bloße Eigentumsscheidung und damit eine Teilung des Profits, sondern eine absolute Verringerung des Kapitals und damit des auf die kommerzielle Klasse entfallenden, von den industriellen Kapitalisten an diese zu zahlenden Profits. Der Kredit vermindert hier direkt die Unkosten der Zirkulation ebenso wie etwa das Papiergeld.

Der Handelsprofit ist aber ein Teil des in der Produktion erzeugten gesamten Mehrwertes. Je größer der Teil ist, der dem Handelskapital zufällt, desto geringer unter sonst gleichen Umständen der Anteil der Industriellen. Es besteht also ein Interessengegensatz zwischen Industrie- und Handelskapital.

Aus diesen entgegengesetzten Interessen entspringt ein Kampf, der schließlich mit der Überwindung des einen Teiles endet durch Entstehung kapitalistischer Abhäigigkeitsverhältnisse. In diesen Interessenkämpfen des Kapitals entscheidet die größere oder geringere Kapitalsmacht. Diese ist jedoch nicht bloß quantitativ zu fassen. Wir sehen in der ganzen bisherigen Darstellung, daß auch die Form des Kapitals von Bedeutung ist. Verfügung über Geldkapital gibt unter sonst gleichen Verhältnissen die größte Übermacht, weil die Industriellen sowohl als die Kommerziellen mit der Entwicklung des Kreditwesens immer mehr auf das Geldkapital angewiesen sind. So vollzieht sich auch das Abhängigwerden von Industrie und Handel in verschiedenen Formen.

Solange freie Konkurrenz herrschte, konnte der Handel den Konkurrenzkampf unter den Industriellen zu seinem Vorteil ausnützen. Dies besonders in jenen Industriezweigen, wo die Produktion noch verhältnismäßig stark zersplittert, die Konzentration im. Handel bereits stärker fortgeschritten war. In demselben Sinne wirkten auch die Kreditverhältnisse. Solange der Kredit noch vorwiegend Zahlungskredit war, die Banken vor allem für das Kaufmannskapital Kredit zur Verfügung stellten, war auch die finanzielle Überlegenheit öfter auf Seite der Händler. Sie benützten diese Überlegenheit, um beim Einkauf auf die Preise der Produzenten zu drücken und ihnen Lieferungs- und Zahlungsbedingungen aufzuerlegen, die ihnen erlaubten, von den Vorteilen der Hochkonjunktur den Rahm abzuschöpfen und die Verluste der Depression zum Teil auf die Produzenten abzuwälzen. Es ist die Zeit, in der die Klagen der Industriellen über die Diktatur der Kaufleute immer aufs neue laut werden. Das Vorgehen der Händler dient den Industriellen dann später als einer der Rechtfertigungsgründe für den Abschluß von Kartellen. Dies ändert sich gründlich mit der Änderung des Verhältnisses der Banken zur Industrie und dem Entstehen der kapitalistischen Vereinigungen in der Industrie.

Die partiellen industriellen Vereinigungen vermindern zunächst den Handel. Die kombinierten direkt, indem sie Handelsoperationen überhaupt überflüssig machen. Die homogenen wirken wie die Konzentration in der Industrie überhaupt. Die monopolistischen Vereinigungen aber haben die Tendenz, die Selbständigkeit des Handels völlig aufzuheben. Wir haben gesehen, daß eine wirkliche Kontrolle über den Markt erst dann möglich ist, wenn die Waren von einer Zentralstelle aus verkauft werden. Aber diese muß, um die Produktion in ihrem Industriezweig regeln zu können, die jeweilige Größe des Absatzes beurteilen können. Zudem ist die Größe der Konsumtion immer abhängig von der Höhe der Preise. Die Preisfestsetzung muß also bis zum letzten Stadium von der monopolistischen Vereinigung aus geschehen, sie darf nicht von ihr unabhängigen Faktoren überlassen werden. Dies sind aber zunächst die Händler. Die Ausnutzung der Marktlage, der Hauptvorteil des Kartells, würde zu einem großen Teil den Händlern zufallen, wenn ihnen die spezifischen Handelsoperationen überlassen würden, wozu ja auch die Preisfestsetzung gehört. Sie könnten spekulativ die Produkte auf häufen und – namentlich bei günstiger Konjunktur – zu höheren Preisen verkaufen. Dies hätte einerseits Einschränkung der Produktion zur Folge, für die das Kartell nicht durch den höheren Profit entschädigt würde, anderseits aber würde die Karteileitung auch den Markt falsch beurteilen, wenn sie diese spekulative, vielleicht irrige Händlernachfrage allein zum Maßstab ihrer Produktion machen müßte. Die monopolistische Vereinigung wird also die Tendenz verfolgen, die Selbständigkeit des Handels aufzuheben. Nur dann wird das Kartell seinen Einfluß auf die Preisfestsetzung voll ausnützen können.

Wir haben aber gesehen, daß die Kartellierung bereits eine innige Verbindung von Industrie und Bankkapital darstellt; in der Regel wird das Kartell über die größere Macht verfügen. Es wird dann dem Handel seine Gesetze diktieren können. Der Inhalt dieser Gesetze wird aber dahin gehen, dem Handel seine Selbständigkeit zu nehmen, ihm die Preisfestsetzung zu entziehen. Die Kartellierung wird also den Handel als Anlagesphäre des Kapitals aufheben. Sie schränkt die Handelsoperationen ein, beseitigt einen Teil derselben und vollzieht den übrigen Teil durch eigene Lohnarbeiter, Verkaufsagenten des Kartells. Dabei kann sehr wohl ein Teil der bisherigen Händler zu solchen Verkaufsagenten gemacht werden. Das Kartell schreibt ihnen dann genau die Einkaufs- und Verkaufspreise vor, deren Differenz die Provision dieser „Händler“ bildet. Die Höhe dieser Provision ist aber nicht mehr bestimmt durch die Höhe des Durchschnittsprofits, sie ist ein Lohn, den das Kartell festsetzt. Wenn aber die kapitalistischen Machtverhältnisse anders liegen, so wird sich auch das Verhältnis von Handel und Kartell etwas anders gestalten können. Es ist möglich, daß die Bedingungen für die Konzentration im Handel günstiger waren als in der Industrie. Dann steht einigen wenigen Händlern eine Anzahl verhältnismäßig kapitalschwacher Unternehmungen gegenüber, die für den Absatz ihrer Produkte auf diese Händler angewiesen sind. Die Händler können dann ihre Kapitalskraft benutzen, um durch finanzielle Beteiligung an diesen Unternehmungen einen Teil ihres Kapitals als industrielles Kapital anzuwenden. Die Abhängigkeit der Industrie können sie dazu benutzen, um diese Unternehmungen zu zwingen, billiger an sie zu verkaufen. Sie erhöhen so ihren kommerziellen Profit auf Kosten des industriellen. Solche Abhängigkeitsverhältnisse entwickeln sich in neuester Zeit ziemlich rasch in gewissen Konsumtionsmittelindustrien, die an ein großes kapitalistisches Warenhaus verkaufen.

Es sind Abhängigkeitsverhältnisse, die auf höherer kapitalistischer Stufenleiter den Vorgang widerspiegeln, der zur Entstehung kapitalistischer Hausindustrie geführt hat, wobei der Kaufmann den Handwerker verlegte. Aber ähnliche Verhältnisse können sich auch mitunter vorfinden in Industrien, die kartellfähig sind. Hier kann das Handelskapital, das vielleicht an einer ganzen Reihe solcher Unternehmungen beteiligt ist, dann eine analoge Rolle spielen wie sonst das Bankkapital.

In diesen Fällen nehmen dann die Händler direkt teil an dem Kartell. Sie tun dies aber, weil sie in der Tat schon vorher in Form von finanziellen Beteiligungen auch an der Produktion beteiligt waren. [3] Sachlich wird dadurch nichts geändert. Auch hier verliert der Handel den Einfluß auf die Preisfestsetzung, er hört auf, der Markt für die Industriellen zu sein, die jetzt direkt mit den Konsumenten in Verbindung treten.

Die monopolistische Vereinigung bewirkt so eine Ausschaltung des selbständigen Handels. Sie macht einen Teil der Handelsoperationen vollständig überflüssig und verringert die Unkosten für den Rest.

In derselben Richtung wirkt auch die Verringerung jener Zirkulationskosten, die aufgewendet werden, um den Konsumenten speziell für das Produkt eines bestimmten Unternehmens zu gewinnen auf Kosten des Absatzes anderer Unternehmungen. Diesem Zweck dienen vor allem die Ausgaben für Reisende, soweit ihre Zahl durch Zersplitterung der Produktion in die einzelnen Unternehmungen bedingt ist, und die Ausgaben für Reklame. Diese Ausgaben stellen Unkosten der Zirkulation dar. Für den einzelnen Unternehmer bringen sie Profit, sofern es ihm gelingt, seinen Umsatz über das sonst mögliche Maß hinaus zu steigern. Aber dieser Profit ist der Verlust der anderen Unternehmer, auf deren Kosten er seinen Umsatz vergrößert hat. Für die Produktionssphäre stellen sie einen Abzug von dem sonst auf sie entfallenen Profit dar. Die Kartellierung verringert diese Kosten ganz außerordentlich, beschränkt die Reklame auf die bloße Bekanntmachung und die Reisenden auf jene Zahl, die zur Bewegung der überdies verringerten, vereinfachten und beschleunigten Handelsoperationen nötig sind.

Eine eigentümliche Entwicklung zeigt sich in Österreich. Hier hat sich der eigentliche kapitalistische Großhandel aus historischen Ursachen nur unvollkommen entwickelt. In Sphären, die Massengüter produzieren, und besonders dort, wo auch die Spekulation eine Rolle spielt, wie zum Beispiel im Zuckerhandel, hat die Bank die Funktionen des Großhandels übernommen. Das Bankkapital konnte das um so leichter, als ja dadurch nur geringe Mengen von Kapital festgelegt wurden. Das Bankkapital ist dann sowohl als Händler wie als Kreditgeber an der Kartellierung interessiert. In Österreich ist daher der direkte und bewußte Einfluß des Bankkapitals auf die Kartellierung am leichtesten nachzuweisen. Die Bank behält dann auch weiter die Verkaufsfunktionen für das Kartell und bezieht dafür eine feste Provision. In neuerer Zeit zeigen sich auch in Deutschland ähnliche Tendenzen. So hat der Schaaffhausensche Bankverein eine eigene Warenabteilung für den Verkauf kartellierter Produkte errichtet. [4]

Resultat des ganzen Prozesses ist also eine Verminderung des kommerziellen Kapitals. Ist aber das Kapital verringert, so auch der darauf entfallende Profit, der, wie wir wissen, ein Abzug des industriellen Profits ist. Diese Verringerung des Handelskapitals ist eine Verringerung von Unkosten. Wie wirkt das auf die Preise? Der Preis des Produkts ist bestimmt durch den Kostpreis plus dem Gesamtprofit. Die Teilung dieses Profits in Unternehmergewinn, Zins, Handelsprofit und Rente läßt den Preis vollständig unberührt. Daß das Kartell jetzt an Stelle des Händlers getreten, daß ein Teil der Handelsoperationen fortgefallen ist, bedeutet nur, daß der Industrielle jetzt keinen Teil seines Profits mehr an die Kommerziellen abzutreten hat. Der Preis des Gesamtprodukts bleibt für den Konsumenten derselbe. [5] Die Zirkulationsunkosten bildeten einen Abzug vom Profit, die Verringerung dieser Kosten bedeutet, daß der industrielle Profit, der Unternehmergewinn, um den Betrag steigt, der durch die Verminderung der Handelskosten frei geworden ist. Es ist nur der Aberglaube an den Veräußerungsprofit, der Glaube, daß der Händler Profit macht einfach durch einen Aufschlag auf seinen Kostpreis, der bei manchen Schriftstellern die Hoffnung weckt, die Verringerung der Handelskosten könnte irgendwie den Preis der Produkte für den Konsumenten senken. [6]

Die Verringerung der Handelsoperationen bedeutet auch das Freiwerden von bisher in der kommerziellen Sphäre beschäftigtem Kapital, das nun nach neuer Verwertung sucht. Unter Umständen kann dies den Drang nach Kapitalexport verstärken.

Daß die Kartelle aber der Form nach den Handel beibehalten, liegt in ihrem eigenen Interesse. Kirdorf, der Gebieter des Kohlensyndikats, sagt darüber:

„...Will man zu den untersten Quellen des Verbrauchs gehen, bis zum einzelnen Abnehmer, so muß man einen gewaltigen Apparat haben; dann kommen die erhöhten Verwaltungskosten, die den Vorteil des Preises durch direkte Lieferung entschieden übersteigen, und man bekommt einen so teuren Betrieb, daß er nicht zu ertragen ist, und ein so umfangreiches Beamtenpersonal, daß man es nicht mehr übersehen und kontrollieren kann. Deshalb ist und bleibt der solide Zwischenhandel in einem gewissen Umfange eine absolute Notwendigkeit und kann niemals ausgeschaltet werden.“ [7]

In der Tat aber handelt es sich nicht mehr um Händler, Kaufleute, sondern um Agenten der Syndikate, deren Selbständigkeit ebenso fiktiv ist wie die des Hausindustriellen, der selbständiger Meister tituliert wird. Nur daß, während die Hausindustrie durch technische Änderung der Produktion von einem gewissen Punkte an unrentabel wird, dies beim Handel weniger in Betracht kommt. Ob fix entlohnter Agent oder „selbständiger“ Kaufmann, der in Wirklichkeit auf eine Provision gesetzt ist, deren Schwankungen durch territoriale Abgrenzung des Verkaufsgebietes und die Festsetzung der vom Syndikat beherrschten Preisdivergenzen so gering sind, daß im Effekt das Einkommen des Händlers ziemlich dasselbe ist wie das eines Agenten, macht ökonomisch keinen Unterschied. Die Fiktion der Selbständigkeit, die durch die andere Entlohnungsart – und in diesem Falle handelt es sich um Lohn, das Einkommen des „Kaufmannes“ besteht aus dem Profit auf sein Kapital und dem Lohn, den das Syndikat einem Agenten zahlen müßte – geschaffen wird, erspart aber dem Syndikat Überwachungskosten oder Kontrollausgaben, etwa wie der Akkordlohn gegenüber dem Zeitlohn. Im übrigen wird bei solchem Handel das nötige Kapital außerordentlich reduziert; das Eigenkapital des Händlers braucht nur gering zu sein, da die Stetigkeit der Kartellpreise und das örtliche Monopol jedes Risiko vermindern. Diese Umsätze können also hauptsächlich mit Kredit erledigt werden, indem der Händler das Geld für die Bezahlung zum größten Teil kreditiert bekommen kann; für diesen Teil des Kapitals ist nur Zins zu entrichten. Das Syndikat hat nur das Interesse, die Zahl der Händler zu verringern, da sein eigener Absatz dadurch vereinfacht wird, und die Provision in der Tat dem Arbeitslohn für die kaufmännische Tätigkeit, die als hochqualifiziert gewertet wird, anzunähern. Wie weit diese Fiktion der Selbständigkeit dabei aufrechterhalten wird, ist ökonomisch gleichgültig. Daß das momentane Ausmaß der Verdrängung des Zwischenhandels nichts Definitives ist, sondern nur „mit Rücksicht auf die historische Entwicklung des Kohlenhandels“ geboten war, sagt Kirdorf selbst [8], wie er selbst auch betont, daß es vollständig zutage liege, „daß der Kohlenhandel, wie er sich bei der früheren Zersplitterung des Bergbaus in dieser großen Zahl entwickelt hat, nicht nötig ist“.

Diese Verhältnisse sind von den großen Kohlenhändlern trotz aller sichtbaren Zurückhaltung auch offen dargelegt worden; für unseren Zweck genügen einige Zitate. Großhändler Vowinkel (Düsseldorf) führt aus [9]:

„Wenn ich eben sage, eigentliche Kaufleute sind wir nicht mehr, so begründe ich das wie folgt. Das Kohlensyndikat schreibt uns erstens vor, welche Sorten wir kaufen, zweitens zu welchem Preise wir sie kaufen, drittens das Absatzrevier, wohin wir verkaufen dürfen, viertens die Verkaufspreise, zu welchen wir verkaufen dürfen. Da bleibt von der Freiheit des Handelns natürlich nicht viel mehr übrig. Aber ich glaube, daß das Kohlensyndikat absolut den Verhältnissen nach nicht anders kann... In Zukunft müssen wir Großkaufleute uns klarmachen, daß es nicht anders geht und daß wir allmählich weniger werden. Diese Tatsache besteht in einer so starken Weise, daß es heute unmöglich ist, überhaupt ein Großhandelsgeschäft in größerem Maßstabe zu beginnen, weil die Quanten dafür nicht vorhanden sind. Auch ist das gegenwärtige Geschäft in der Weise beschränkt, daß es absolut unmöglich ist, sich auszudehnen.“

Diese „Kaufleute“ sind jeder Selbständigkeit beraubt. Denn wie Kohlenhändler Bellwinkel (Dortmund) sagt, hat „bei jeder Verkaufsvereinigung das Syndikat durch einen Herrn seines Vorstandes Sitz und Stimme im Aufsichtsrat“ und ist „ferner berechtigt, die sämtlichen Bücher zu jeder Zeit einzusehen“. Er sagt sehr richtig: „Die Bewegungsfreiheit ist uns allerdings schließlich genommen; wir sind mehr eine Art Vertreter geworden.“

Und die Prognose für die Zukunft ist noch schlechter. Diese stellt Herr Vowinkel folgendermaßen [10]:

„Das Syndikat hat eine bewundernswerte Organisation geschaffen, von der ich mir denken könnte, daß der Großhandel bis auf einen ganz kleinen Bruchteil ausgeschaltet würde. Was berechtigt denn den Großhandel überhaupt? Es wird schließlich für den Großkaufmann nur noch übrigbleiben, daß er seinen Absatz findet beim Kleinverbraucher, beim Kreditbedürftigen, daß er für den Ausgleich durch große Lagerung von Kohlen zu Zeiten schlechten Absatzganges sorgt. Das sind die Punkte, die ihn in Zukunft überhaupt noch berechtigen, und es würde wahrscheinlich sein, daß der Kohlenhandel von einer Abnahme von 45 Prozent, wie wir heute morgen gehört haben, auf mindestens 20 Prozent herunterginge.“

Hier ist ganz richtig beschrieben, daß die spezifisch kommerzielle, den Zirkulationsvorgang W–G–W vermittelnde Funktion überflüssig wird und nur erhalten bleibt die für die Vermittlung des Konsums unter jeder Gesellschaftsordnung mit Massenproduktion stets notwendige Funktion des Einteilens des Produkts, seiner Aufbewahrung und Lagerung. Der kaufmännische Vertrieb aber hat als solcher aufgehört; er ist ganz automatisch geworden, klagt Herr Vowinkel. [11]

Wie aber allmählich der Großhändler durch den Agenten des Syndikats ersetzt wird, legt Vowinkel gleichfalls ausführlich dar. Richtig bezeichnet er die Teilhaberschaft an einer solchen Verkaufsvereinigung als „Sinekure“. Diese hängt ganz von der Gnade des Syndikats ab. Nach dem Tode der jetzigen Teilhaber wird schließlich ihr festgelegter Anteil am Absatz an das Syndikat zurückgehen; „das Syndikat wird der Beteiligte. Damit ist vollständig klargemacht, daß eigentlich dieses Untersyndikat (gemeint ist die Händlervereinigung) schließlich an das Hauptsyndikat übergeht“. [12]

Das Monopol der großen Händler oder der Verkaufsvereinigungen gibt diesen auch die Macht, die kleineren Händler von sich in Abhängigkeit zu bringen, ihnen die Verkaufspreise vorzuschreiben, kurz, sie wieder ihrerseits zu ihren Agenten zu machen. So sagt zum Beispiel Kohlengroßhändler Heidmann (Hamburg):

„Da ich in meinen Büchern fand, daß die Schulden dieser Leute (scil. kleinerer Händler, die von ihm die Kohlen beziehen) immer mehr anschwollen, habe ich ihnen gesagt: Ihr bekommt Kohlen nur noch, wenn ihr mindestens den und den Preis nehmt.“ [13]

Von den Großhändlern des oberschlesischen Gebietes sagt Stadtrat Dr. Rive:

„Die Herren Großhändler, mit denen wir es hier zu tun haben, also die ersten Ranges (die Firmen Cesar Wollheim und Friedländer), haben selbstverständlich schon eine ganze Reihe Großhändler zweiten Ranges im Gefolge, die – dies darf man offen behaupten – ohne weiteres von ihnen abhängig sind; und die Großhändler zweiten Ranges haben die Händler ersten, zweiten und letzten Ranges hinter sich. Einer hängt vom anderen ab, und die ersten Großhändler stehen mit der Konvention (gemeint die ober- schlesische Kohlenkonvention) wenn auch nicht vertragsmäßig, so doch freiwillig im Einklang.“

Es mag hier kurz darauf hingewiesen werden, daß sich die selbständige Stellung der beiden Kohlenfirmen in Oberschlesien daraus erklärt, daß diese den Handel mit den Zechen in ihren Händen lange schon vor Abschluß der Konvention innegehabt hatten. Die Zechen waren meist Privatbesitz, und die beiden Firmen waren zum Teil finanziell an ihnen beteiligt. Sie hatten nicht nur die Absatzorganisation in der Hand, sondern auch Anteile am Bergwerkseigentum, sei es direkt, sei es als Gläubiger.

Die Aktienform hat in Rheinland-Westfalen die Zechen vom Handel im vorhinein unabhängig gemacht. Vielleicht war auch der Handel im Westen deshalb weniger konzentriert, weil das unbestrittene Absatzgebiet dort größer, die Konkurrenz daher weniger scharf war; wichtiger dürfte noch gewesen sein, daß die Zechen im Westen jünger sind als die alten Privatzechen Oberschlesiens. Daher behaupten in Oberschlesien zwar nicht der Handel, aber die beiden mächtigsten Handelsfirmen ihre Stellung. Sie werden eben zur Handelsorganisation des Kartells (nicht formell, da das eher in der Form geschieht, daß das Kartell sich nicht um den Handel kümmert, sondern den Absatz der Grube überläßt, aber doch in der Tat). Sie werden dies nicht als „Händler“, sondern wegen ihrer Kapitalstärke, während der unbedeutendere, weil nicht so konzentrierte Handel des Westens seine Stellung verliert und auch der Großhändler „mehr oder weniger Agent“ wird, wie Oberbergrat Dr. Wachler sagt. [14]

Die Unterordnung des Handels unter das Syndikat erleichtert diesem auch die Unterbindung der ausländischen Konkurrenz, die in stärkerem Maße als die inländische Fabrikation auf die Vermittlung des Handels angewiesen ist. So sagt der Kaufmann Klöckner (Duisburg):

„Die Handelsfirmen, die den Verkauf des Gießereieisens vermitteln, müssen allerdings bei dem Roheisensyndikat Bedingungen unterschreiben, nach denen sie verpflichtet sind, kein ausländisches Eisen zu führen respektive nach Deutschland hereinzubringen.“ [15]

Mit dieser Übermacht der kartellierten Industrie kontrastiert umgekehrt die Abhängigkeit kleiner Fabrikanten in noch nicht kartellfähigen Industrien vom kapitalstarken Händler, eine Abhängigkeit, die besonders drückend wird, wenn sie durch Kreditgewährung gesteigert wird.

„Viele kleine Fabrikanten sind auch geschäftlich vollständig in den Händen der Händler; wir haben leider sehr viele Fabrikanten in unserer Fertigwarenindustrie, die zu kapitalschwach sind und eigentlich nicht auf eigenen Füßen stehen, sondern gezwungen sind, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten, ihre Waren zu jedem Preis loszuschlagen. Dann wird die Ware von einem Händler abgenommen oder gar Vorschuß darauf gegeben, und dieser hat den kleinen Fabrikanten dann für absehbare Zeit in der Hand; er kann ihm nachher seine ganze Geschäftsführung vorschreiben.“ [16]

Herr Gerstein spricht von der Kleineisenindustrie und sieht in dem Widerstand der Händler einen wichtigen Grund, der die Kartellierung erschwert.

Anderseits kann die Kartellierung der Fertigindustrien allein diesen für die Preisausnützung nicht viel nützen.

„Wenn die Fabrikanten der Fertigwarenindustrien sich zusammenschließen und wenn sie die Preise so stellen, daß ilmen ein bescheidener Nutzen bleibt, dann haben wir leider sehr oft die Erfahrung gemacht, daß ihnen die Großindustrie einen Knüppel zwischen die Beine wirft und die Artikel, die sie selbst benötigt, in ihren eigenen Werkstätten anfertigt, wobei sie dann selbstverständlich mit ganz anderen Selbstkosten zu rechnen hat wie die Fabrikanten, die in bezug auf die Beschaffung ihrer Rohmaterialien auf die Preise der Kartelle der Großindustrie angewiesen sind. Diese Herstellung der benötigten Artikel im eigenen Betriebe geht ja, wie wir gehört haben, sehr weit. Herr Direktor Fuchs hat mir gestern noch gesagt, es treten große Werke: Bochum, der Dortmunder Verein, die Königs- und Laurahütte – Waggons gehören ja nicht zur Kleineisenindustrie, aber doch zu den Fertigfabrikaten – als Konkurrenten der reinen Waggonfabriken auf. Da habe ich geantwortet, daß nicht nur die letzteren darunter leiden, sondern auch die Betriebe der Kleineisenindustrie, die Fabrikanten von Waggonbeschlagteilen; denn die großen Stahlwerke machen nicht nur die fertigen Waggons, sondern alles, was dazu gehört: Puffer, Kreuze, Kuppelungen, kurzum alle Teile selber. Die Königs- und Laurahütte macht für ihre Waggons alles, von den Rädern bis zu dem letzten Stück, vielleicht ausgenommen Federn, Schrauben und Nieten. Auch die Dortmunder Union verfertigt fast sämtliche Beschlagteile für ihre Waggonfabrik und auch andere Kleineisenindustrieartikel, zum Beispiel Schrauben für Eisenbahnoberbau.“ [17]

Wenn aber der Handel durch seinen Einfluß auf die kleineren Kapitalisten die Kartellierung hemmt, sucht er auf der anderen Seite diesen Einfluß zu verstärken, indem er selbst Ringe schließt. Auch dafür führt Gerstein einige Beispiele an. Die großen Eisenwarenhandlungen Berlins zum Beispiel sind zu einer Vereinigung zusammengeschlossen, die auf die Preisbildung großen Einfluß hat. Die Danziger Handlungen haben eine Firma gemeinsam aufgekauft und sich dann zu einer Eisenhändlervereinigung, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zusammengeschlossen. Der Verband deutscher Eisenwarenhändler mit dem Sitz in Mainz hat Bestimmungen über den Einkauf von Waren getroffen. Die Mitglieder des Verbandes lassen sich von ihren Lieferanten einen Revers unterschreiben, „nach welchem diese sich verpflichten, nicht an Basare zu verkaufen“. Die Mitglieder des Verbandes verpflichten sich, nicht zu kaufen von solchen Fabrikanten, die selbst an Konsumenten liefern, und das ist stellenweise schon so weit gegangen, daß man die großen Staatsbahnen unter die Konsumenten gerechnet hat und den Fabrikanten hat untersagen wollen, direkt an die Staatsbahnen verschiedene Artikel zu liefern. [18]

Ein gutes Beispiel dafür, daß größere Kapitalmacht leicht zu Abhängigkeitsverhältnissen führt, etwa auch in der Form, daß der Großhändler den Handelsprofit auf Kosten des industriellen vergrößert und das auf ihn fallende, durch eigene Spekulation eventuell erst selbst geschaffene Risiko abwälzt, ist das folgende:

„Dagegen steht die Spekulation in Druckpapier dem Streben des Syndikats nach stabilen Preisen und Anpassung des Angebots an die Nachfrage im Wege. Papier im allgemeinen und Druckpapier im besonderen ist kein Spekulationsartikel, und nach den Vorgängen, die beobachtet wurden von fast allen Papierfabriken Deutschlands, sind allemal diejenigen Großhändler, welche im Falle weichender Tendenz der Papierpreise in blanco und ohne Rücksicht auf die Herstellungskosten des Papiers dasselbe verkaufen, gerade die, welche nachher beim Einkauf den um Bestellungen verlegenen Papierfabrikanten in der unwürdigsten Art im Preise drücken. Es ging dies und geht dies heute noch so weit, daß derartige Händler mit unwahren Behauptungen den im Gebirge sitzenden, vom Papiermarkt abgeschnittenen Papierfabrikanten zu einem weit unter dem Marktpreis liegenden Verkaufspreis nötigen.

Umgekehrt sind aber dieselben Großhändler im Falle steigender Tendenz auf dem Papiermarkte immer wieder diejenigen, die unter Anwendung aller Künste und Überredungen den Papierfabrikanten zu einem großen Abschluß beziehungsweise Verkauf großer Quantitäten Papier drängen, ohne daß sie selbst es bereits weiterverkauft hätten. In diesem Fall sind dann in erster Linie die Drucker die Geschädigten, die dem Händler seine geglückte Spekulation über Gebühr zu bezahlen haben; in zweiter Linie sind aber regelmäßig bei recht schnell vorübergehenden Hochkonjunkturen die Papierfabrikanten auch die Geschädigten, weil ohne weiteres der betreffende Händler nach eingetretener Abwärtsbewegung der Marktpreise wiederum auf den Preis drückt oder aber, wenn er das Papier selbst nicht abnehmen kann, den Papierfabrikanten ruhig auf der Ware sitzen läßt. Nur in den allerseltensten Fällen entschließt sich ein Papierfabrikant, eine Feststellungsklage oder überhaupt eine gerichtliche Klage dieserhalb gegen den Händler zu richten, immer in der Erwägung, daß er die Kundschaft des Händlers sich nicht verscherzen will für späterhin.“ [19]

Die Herstellung des Syndikats ändert die Situation mit einem Schlage. Den zersplitterten Händlern tritt die vereinigte Industrie entgegen. Die Kapitalsmacht ist jetzt auf seiten der Industriellen. Aber nicht nur dies. Es erscheint jetzt der Händler als das, was er ist, als entbehrliches Hilfsmittel gegenüber der unentbehrlichen Produktion; es erscheint gleichsam die Überlegenheit der Naturnotwendigkeit der Produktion über die kapitalistische Notwendigkeit der Distribution durch den Handel. Das Syndikat reduziert ihn auf seine „legitimen Grenzen“. „Als legitimer Handel wird angesehen, wenn der Händler auf Grund sicherer Einkaufspreise unter Zuschlag eines auskömmlichen Nutzens das Papier weiterverkauft und dabei diejenigen Bedingungen einhält, die von den Papiermachern als zulässige und für den Papierverkauf handelsübliche hingestellt werden.“ So wird der Papierhändler zu dem auf feste Provision gesetzten Agenten des Syndikats. Seine Freiheit wird ihm genommen, und laut erschallen seine Klagen über unwürdige Behandlung; sehnsüchtig erzählt er von den guten alten Zeiten des doux commerce. Unter den aufgelegten Bedingungen aber empfindet er als härteste, daß er von nun an ausschließlich vom Syndikat beziehen muß und von niemand anderem. Die Ausnützung der Konkurrenz unter den Produzenten ist ihm versagt, und er selbst wird ein Werkzeug, das Syndikat zu befestigen, das Monopol, das ihn einschnürt, zu verewigen. Er muß alle Hoffnung fahrenlassen, denn über der Tür, die zur Verkaufsstelle des Syndikats führt, steht mit Lettern, die ihm so fürchterlich sind wie dem Sünder die Worte Dantes über der Höllenpforte: Kauft nur bei Syndikalisten, und verkauft nur zu vom Syndikat bestimmten Preisen. Es ist das Ende des kapitalistischen Kaufmanns. [20]

Ein Mittel, die Spekulation beim Handel auszuschließen, ist auch der Abschluß langfristiger Verträge. So setzt das Kohlensyndikat seine Preise stets für ein ganzes Jahr unabänderlich fest und weicht von dieser „fundamentalen Regel“ unter keinen Umständen ab. [21]

Tempora mutantur! In der Börsenenquete des Jahres 1893 ist die Spekulation die höchste Blüte und tiefste Wurzel des Kapitalismus. Alles ist Spekulation: Fabrikation, Handel, Differenzgeschäfte; jeder Kapitalist ist Spekulant, ja der Proletarier, der überlegt, wo er seine Arbeitskraft am besten verkaufen soll – ein Spekulant. In der Kartellenquete ist die Heiligkeit der Spekulation vergessen. Sie ist das Böse schlechtweg, aus dem Krisen, Überproduktion, kurz, alle Schäden der kapitalistischen Gesellschaft folgen. Beseitigung der Spekulation ist die Parole. An die Stelle des Ideals der Spekulation tritt die Spekulation auf das Ideal des „stabilen Preises“, des Todes der Spekulation. Börse und Handel sind jetzt spekulativ, verwerflich, werden beseitigt zugunsten des industriellen Monopols. Der industrielle Profit aggregiert sich den Handelsprofit, wird selbst kapitalisiert zum Gründergewinn, zur Beute der als Finanzkapital zur höchsten Kapitalform gelangten Dreieinigkeit. Denn das industrielle Kapital ist Gott Vater, das das Handels- und Bankkapital als Gott Sohn entlassen hat, das Geldkapital ist der Heilige Geist; sie sind drei, aber doch eins im Finanzkapital.

Die Sicherheit des Kartellgewinnes im Gegensatz zur Unsicherheit des Spekulationsgewinnes spiegelt sich wider in der Verschiedenheit der Psychologie ihrer Vertreter und in der Bestimmtheit ihres Auftretens. Der Kartellmagnat fühlt sich als Herr der Produktion, sein Wirken liegt klar am Tage. Seinen Erfolg verdankt er der Organisation der Produktion, der Ersparung von Unkosten. Er fühlt sich als Vertreter der gesellschaftlichen Notwendigkeit gegenüber der individuellen Anarchie und betrachtet seinen Profit als gebührenden Lohn für seine organisatorische Tätigkeit. Daß ihm die Früchte einer Organisation zufallen, die nicht sein Werk allein ist, erscheint seinem kapitalistischen Denken nur selbstverständlich. Er ist Vertreter einer neuen Zeit.

„The day of the individual“, herrscht Havemeyer die Verteidiger des Alten an, „has passed; if the mass of the people profit at the expense of the individual, the individual should and must go.“ [22]

Es ist der Sozialismus, den er meint, und siegestrunken merkt er nicht, daß zu den Individuen, die gehen müssen, eines Tages auch er und seinesgleichen gehören könnten. Der Kartellmagnat kennt keine Skrupel, und wenn Havemeyer mit erfreulicher Offenheit erklärt, er kümmere sich nicht für zwei Cents um die Ethik der anderen [23], so betont Herr Kirdorf nicht minder stolz das Recht des Herrn im eigenen Hause. Ihrer Ethik aber ist das schlimmste Verbrechen: der Bruch der Solidarität, die freie Konkurrenz, das Sichausschließen von der Bruderschaft des Monopolgewinnes. Gesellschaftliche Ächtung und wirtschaftliche Vernichtung sind ihm gebührende Strafe. [24] Es wurden Listen verschickt, worin die nicht beitretenden Brenner durch fetten Druck hervorgehoben wurden. [25]

Ganz anders das Auftreten des Spekulanten. Er erscheint bescheiden, schuldbewußt. Sein Gewinn ist nur Verlust der anderen. Mag er auch notwendig sein, so ist seine Notwendigkeit doch nur ein Beweis für die Unvollkommenheit der kapitalistischen Gesellschaft. Die Quelle seines Gewinnes bleibt unklar. Der Spekulant ist ja kein Produzent, der Werte schafft. Übersteigt sein Gewinn ein gewisses Maß, so kämpft die Bewunderung des Erfolges sofort mit dem Verdacht; er fühlt sich der Öffentlichkeit gegenüber nie sicher und fürchtet stets ein neues Börsengesetz. Er entschuldigt sich und bittet, nicht allzu streng mit ihm ins Gericht zu gehen: „Es ist das Erbteil aller menschlichen Einrichtungen: fehlerhaft und sündhaft sind sie immer.“ [26]

Und er ist glücklich, wenn er Gläubige findet, wie den Herrn Professor van der Borght, der ihn also tröstet:

„Es liegt in der Natur des Menschen, daß die Spielsucht von Zeit zu Zeit besonders lebhaft wird“, und seine Angreifer mit der Versicherung zur Milde stimmt: „All diese ungünstigen Wirkungen sind in letzter Linie auf die unausrottbaren Schwächen und Leidenschaften der menschlichen Natur zurückzuführen.“ [27]

Aber freilich, allzu hart darf man keinem Kapitalisten zusetzen. Eben noch hatte er gestanden: „Geld hat eine moralisch zersetzende Gewalt, und der moralische Charakter ändert sich sehr schnell mit der Vergrößerung des Einkommens“ [28], da läuft ihm die Galle über. Die ganze Zeit über hat er sich schon geärgert über das ganz konfessionswidrige Unverständnis, das Herr Professor Cohn seiner schönen Seele entgegenbringt. Er hat mit großer Geduld es hingenommen, daß die eingehendsten Erörterungen des Herrn Professors über die Funktion der Börse keine größere Klarheit brachten, und mit gelassener Gutmütigkeit hört er dafür die interessanten Eröffnungen an, die Professor Cohn über die Funktion der preußischen Universitäten zu machen hat. Aber zu arg darf man es doch nicht treiben. Er hat sicher nichts dagegen, wenn der Professor proklamiert: Zweck der Universität ist, zwischen Börse und Sozialdemokratie zu stehen, die ethische Berechtigung der Börse zu erweisen und sie zu verteidigen. Wenn aber der gelehrte Herr fortfährt: „Wären die Universitäten nicht da, so würden diese Gegensätze aufeinanderplatzen“, so macht ihn dieser Casus von Größen- und anderem Wahn doch lachen. An den Emst des Professors mag er doch nicht glauben, und so geht die Zunge mit ihm durch:

„Daß Börsen ethische Zwecke verfolgen, gebe ich zu (man merkt, er bleibt auch jetzt noch Spekulant), aber dazu sind sie nicht gegründet worden, sondern aus – Eigennutz. Soll der Kaufmann Börsen gründen, um Wohltätigkeitsanstalten daraus zu machen?“ [29]

Die ethische Nationalökonomie aber hat darauf keine Antwort, und Herr Professor Cohn gleicht in diesem Moment einem begossenen Pudel, aber einem, in dem kein Mephistopheles steckt.


Anmerkungen

1. Anfang Juli 1908 ging folgende Notiz durch verschiedene Blätter: Jüngst wurde bekannt, daß die Schweizer Warenhausgruppe Braun in Zürich unter Beteiligung eines deutschen Konsortiums in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt worden ist. Daß Warenhäuser „gegründet“ werden, gehört nicht mehr zu den seltenen Erscheinungen, die Schweizer Gründung verdient aus anderen Ursachen allgemeine Beachtung. Die Führung des deutschen Konsortiums hat die Firma Hecht, Pfeiffer u. Komp. in Berlin, die zu den bedeutendsten deutschen Exportfirmen zu zählen ist. Dieses Haus hat sich zu einem Einkaufskonzern für viele Warenhäuser in verschiedenen Ländern entwickelt. Das Abkommen mit dem Schweizer Warenhaus Braun geht dahin, daß die Firma Hecht, Pfeiffer u. Komp. ihren gesamten Einkauf in Zukunft besorgt und auch die Zahlungen für Ankäufe von Braun direkt leistet. Die Firma unterhält eine weitverzweigte Einkaufsorganisation und ist im Anfang vorigen Jahres in Interessengemeinschaft mit der Hamburger Firma M. I. Emdens Söhne getreten, die so eng ist, daß die Firma Hecht, Pfeiffer u. Komp. auch im Inland jetzt den Einkauf für die an die Emdensche Zentrale angeschlossenen 200 Geschäfte leitet. Darüber hinaus unterhält dieser Konzern auch Beziehungen zu einem New-Yorker Warenhaus, für das nach Angabe des „Konfektionär“ in Deutschland jährlich für etwa 60 Millionen Mark eingekauft wird. Die wirtschaftliche Überlegenheit der Großwarenhäuser, die nicht zuletzt in den Vorteilen besteht, die der Masseneinkauf ermöglicht, hat zur Gründung von Einkaufszentralen geführt, die die meisten von ihnen versorgten Geschäfte wohl auch in finanzieller Abhängigkeit erhalten.

2. Siehe die interessante Zusammenstellung bei Algernon Lee, Die Vertrustung des Kleinhandels in den Vereinigten Staaten, Neue Zeit, 27. Jahrgang, Bd. 2, S. 654 ff. Die Zigarrenhändler hatten sich, um ihre Unabhängigkeit zu wahren, in einer Independent Cigar Stores Company genannten Händlervereinigung organisiert. Der Tabaktrust gründete dagegen die United Cigar Stores Company mit zwei Millionen Dollar Kapital.

„Diese Gesellschaft kaufte viele bestehende Detailgeschäfte auf und etablierte viele andere mit besseren Waren, reicherer Auswahl und entsprechenderem äußern als irgendein Konkurrenzgeschäft. Die Preise wurden reduziert und zuletzt ein Prämiensystem eingeführt, das der Gesellschaft dauernde Kundschaft sicherte. Der Kampf währte nicht lange. Innerhalb eines Jahres war die Independent Cigar Stores Company gezwungen, zu den vom Trust diktierten Bedingungen an die United Cigar Stores Company auszuverkaufen. Mit ihrer Opposition hatten die Kleinhändler nur ihr Schicksal beschleunigt ... Auch besteht nicht der geringste Zweifel, daß der Trust auf dem eingeschlagenen Wege bleiben wird, wahrscheinlich sogar mit beschleunigterem Tempo, bis er alles im Detailhandel dieses Industriezweiges Besiegenswerte besiegt hat.“

Lee berichtet dann über die Konzentration im Detailhandel mit Kaffee, Tee, Milch, Eis, Brennmaterialien, Spezereien usw. und faßt die Konzentrationstendenzen schließlich treffend folgendermaßen zusammen:

„Die Konzentration geht vor sich und die Klasse der unabhängigen Kleinhändler verliert festen Boden nach folgenden fünf verschiedenen, jedoch zum selben Ziele führenden Richtungen hin:

  1. Einige der industriellen Trusts dehnen, nachdem sie die Oberherrschaft in der Produktion erlangt haben, ihre Operationen auf das Gebiet des Kleinhandels aus, verdrängen den kleinen Kaufmann vollständig und setzen ihre Produkte direkt an die Konsumenten ab.
     
  2. Einige der großen Produktionsgesellschaften benützen zwar noch den Kleinhändler, um ihre Waren an die Konsumenten zu bringen, behandeln ihn aber eher als Agenten denn als unabhängigen Kaufmann.
     
  3. In den Großstädten haben die Warenhäuser schon einen großen Teil des Kleinhandels den kleinen Kaufleuten entzogen, und dieser Prozeß macht immer größere Fortschritte; manche dieser Läden repräsentieren ein Kapital von Hunderttausenden oder selbst Millionen Dollar, vielfach gehören mehrere einer einzigen Gesellschaft, und der Anfang ist bereits gemacht, um das Prinzip der Konzentration auf dem Gebiete der Warenhäuser in noch verstärkterem Maße zum Ausdruck zu bringen. Sie werden dadurch in engere Berührung mit den einzelnen Gruppen der Hochfinanz, des Großhandels und der industriellen Trusts gebracht.
     
  4. Die großen Geschäftshäuser, welche ihre Aufträge ausschließlich oder fast ausschließlich per Post empfangen, schädigen in den Landdistrikten das Gebiet des Kleinhändlers in demselben Maße, wie die Filialen dies in den Städten tun; die enorme Entwicklung des Telefons und der Straßenbahnen sowie die Ausdehnung der freien Postablieferung auf dem Lande haben diesem Handelsgebiet ein weites Feld geöffnet, und in vielen Fällen gehören diese Postversandgeschäfte derselben Gesellschaft, die in der Stadt eine oder mehrere Filialen hat.
     
  5. Innerhalb der Reihen der Kleinhändler selbst arbeitet die Konkurrenz darauf hin, daß das Konzentrationsprinzip in verschärftem Maße zur Geltung kommt, genau wie sie es zu Beginn der kapitalistischen Ära auf industriellem Gebiet getan hat. Manche Kaufleute wissen sich irgendeinen Vorteil vor ihren Konkurrenten zu sichern, werden dadurch in den Stand gesetzt, ihr Geschäft zu vergrößern, wodurch ihnen neue Vorteile erwachsen, und verkleinern somit das Geschäftsgebiet ihrer Konkurrenten.“

Vgl. auch Werner Sombart, Der moderne Kapitalismus, II. Bd., 22. Kapitel: Die Bestrebungen zur Ausschaltung des Detailhandels.

3. Für die Organisation des böhmischen Braunkohlenhandels ist es charakteristisch, daß der Verkaufskommissionär zugleich Bergwerksbesitzer und Anteilseigner der von ihm vertretenen Gesellschaften ist. Die beiden Kohlenkommissionsfirmen J. Petschek und Ed. J. Weinmann haben in Aussig Organisationen gebildet,

„welche den Vertrieb der Braunkohle für die großen böhmischen Gesellschaften besorgen ... Auch in Aussig waren die beiden Kohlenfirmen ursprünglich nur die Zwischenhändler. In diesem Verhältnisse griff am Beginne der neunziger Jahre eine Änderung Platz, welche von der mächtigen Entwicklung der Brüxer Bergbaugesellschaft ihren Ausgang nahm. Den Verschleiß für diese Gesellschaft hatte seit alters her die Firma Weinmann. Die Brüxer Gewerkschaft erwarb zu sehr billigen Preisen die inundierten Ossegger Schächte und schwang sich hierdurch zum ersten Unternehmen der böhmischen Braunkohlenindustrie auf. Inzwischen hatte sich ein Besitzwechsel in den Brüxer Aktien vollzogen; die Majorität war an ein Syndikat unter Führung der Firma Petschek übergegangen, und als Ausdruck der geänderten Machtverhältnisse wurde der Kohlenverschleiß an diese Firma übertragen. So war ein neues Verhältnis geschaffen; der Kohlenkommissionär war auch Großaktionär des Unternehmens, er schloß die Verkaufs Verträge gleichsam mit sich selbst ab und hatte auf Geschäftsführung und Produktion den entscheidenden Einfluß. Den gleichen Weg mußte auch die Konkurrenzfirma einschlagen; auch sie wußte sich durch Aktienbesitz einen maßgebenden Einfluß und ein dauerndes Interesse an den von ihr vertretenen Unternehmungen zu schaffen.“ (Neue Freie Presse vom 25. Februar 1906)

4. So bezeichnet die Neue Freie Presse (18. Juni 1905) die Übernahme einer großen Prager Zuckerfirma durch die Kreditanstalt als symptomatisch und fährt dann fort:

Der Zuckerhandel ist diesen Bestrebungen fast gänzlich zum Opfer gefallen. Noch zu Beginn der neunziger Jahre war der Vertrieb der meisten böhmischen Zuckerfabriken die Domäne der reichen Prager Zuckerkaufleute, die aus der Vermittlung des Absatzes für die Rechnung der Erzeuger einen ansehnlichen Nutzen zogen, vielfach auch das Geschäft für eigene Rechnung pflegten und durch ihre großen Abschlüsse sowie durch die Verbindung mit den ausländischen Märkten eine spezifische Erscheinung des Platzes bildeten. Das Zuckergeschäft der Banken beschränkte sich auf den kommissionsweisen Verkauf für die eigenen Fabriken und auf die Kreditgewährung im Rahmen der normalen Banktätigkeit. Im Laufe des letzten Jahrzehnts sind manche dieser privaten Zuckerfinnen ganz zurückgetreten oder an die Banken übertragen worden, andere haben ihr Geschäft notgedrungen sehr eingeschränkt, und von den früheren Magnaten des Zuckerhandels ist nur eine einzige große Handelsfirma in Prag zurückgeblieben, die jetzt noch dreizehn Zuckerfabriken vertritt und jährlich viele Hunderttausend Meterzentner der weißen Ware umsetzt. Die allergrößten privaten Zuckerfabriken, die ihre Produktion auf beide Reichshälften ausdehnen, nehmen die Vermittlung beim Absatz gar nicht in Anspruch, sondern besorgen sich den Großverkauf selbst. Die mittleren und kleineren Unternehmungen sind in mehr oder minder innige Verbindung mit den Banken getreten, welche ihnen die nötigen Kredite gewähren, die Ware für sie an den Export sowie den Kleinhandel im Inlande verkaufen, vielfach aber selbst das volle Risiko des Zuckerabsatzes übernehmen. So ist der ehemals große und reiche Zwischenhandel in Zucker ganz aus seiner Stellung hinausgedrängt worden, und zwei Dritteile des Absatzes der böhmischen Zuckerfabriken nehmen ihren Weg durch die Zuckerabteilungen der Prager Institute (die aber meist nur Filialen der Wiener Banken sind).

Ihren Ausgang hat diese Umbildung des Zuckerhandels von der Kreditgewährung und von der Errichtung neuer Zuckerfabriken gefunden. In den achtziger und neunziger Jahren sind in Böhmen und Mähren zahlreiche neue Fabriken, darunter die großen Exportraffinerien an der Elbe, entstanden; sie wurden zumeist mit fremdem Kapital gebaut, und die Banken, welche die nötigen Mittel aufbrachten, bedangen sich die Übertragung des kommissionsweisen Verkaufs des Produkts der neuen Erzeugungsstätten aus. Namentlich waren die kleinen und mittleren Rohzuckerfabriken, die seit dem Abschluß des Kartells wie Pilze aus dem Boden emporschossen, vielfach mit ungenügendem Kapital fundiert und deshalb ganz auf ihre Kreditgeber angewiesen. Aber auch bestehende Etablissements bedurften zu ihrer Modernisierung und Erweiterung großer Mittel und traten zu den Geldquellen in ein näheres Verhältnis, das zumeist auch auf die Übertragung des ganzen Vertriebes hinauslief. So haben die Prager Filialen der Wiener Banken, aber auch einzelne Lokalinstitute im Zuckergeschäft festen Fuß gefaßt und dorthin den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit verlegt. Die Länderbank vertritt fünfzehn Fabriken ... Die Anglobank besorgt den kommissionsweisen Verkauf von elf Rohzuckerfabriken; bei der Kreditanstalt ist die geschäftliche Abwicklung für fünf große Unternehmungen konzentriert; die Zivnostenska Banka ist die Verkaufsstelle für zahlreiche ländliche Zuckerfabriken. Die Banken kaufen den Rohzuckerfabriken ihre Erzeugung ab und übertragen sie an die Raffinerien; sie übernehmen ferner von den Raffinerien die weiße Ware zur Placierung an den inländischen und ausländischen Verkaufsstellen. Als im Laufe der Jahre der Export eine immer größere Bedeutung für die österreichischen Fabriken gewann, nahm auch die Tätigkeit der Banken einen anderen Charakter an. Die Ausfuhr bedang ein fortwährendes Operieren auf den verschiedenen auswärtigen Märkten, die bescheidene Provision aus dem Kommissionsgeschäfte trat mehr in den Hintergrund gegenüber den großen Gewinnen aus den Arbitragen und spekulativen Transaktionen ... Mit dem internationalen Geschäft war aber der Handel auf eigene Rechnung eng verbunden, da die wenigsten inländischen Fabrikanten in der Lage waren, solche oft notwendigerweise auf längere Zeit ausgedehnte Operationen auf sich zu nehmen. So trat als letztes Glied in den Zuckerhandel die feste Übernahme durch die Banken; die Fabriken verkauften ihr Produkt an ihre Bankverbindung, die ihrerseits den Nutzen durch die möglichst günstige Verwertung auf den Märkten des Inlandes und Auslandes suchte. Der Handel für eigene Rechnung ist gewiß noch nicht die allgemeine Regel, und einzelne ängstliche Institute halten sich von ihm prinzipiell zurück; neben dem kommissionsweisen Verkaufe nimmt er aber bereits einen großen Raum ein, und es ist nicht zu leugnen, daß sich die geschäftliche Entwicklung in dieser Richtung bewegt.

Ein größeres Warengeschäft haben noch jene Banken, welche mit Kartellen in inniger Verbindung stehen und den Vertrieb für die von ihnen kontrollierten Industrien leiten. So hat die Länderbank den Verkauf für das Kartell der Zündhölzchenfabriken, der Sirupfabriken, der Emailgeschirrfabriken, der Buntpapierfabriken, der Stärkefabriken und einzelner chemischer Industrien, der Bankverein steht zu den Pappendeckelfabriken in ähnlichen Beziehungen, auch die Kreditanstalt hat den Verkauf für die vereinigten Messingwerke inne. Es sind dies durchwegs nur Kommissionsbeziehungen, die keinen engeren Handel bergen: durch die Kartellierung und Konzentrierung des Absatzes im Zentralverkaufsbüro ist aber doch der Zwischenhandel aus diesen Positionen verdrängt worden. Der Nutzen im Warenkommissionsgeschäft ist durch die Konkurrenz der Banken geringer geworden und erreicht nur mehr eine mäßige Quote der früheren ansehnlichen Provisionen. Die Schmälerung der Gewinne aus dem regulären Bankgeschäft hat bei einzelnen Instituten, die Warenabteilungen besitzen, den Gedanken angeregt, den Proprehandel in Waren in stärkerem Maße zu pflegen, und manche Anzeichen deuten darauf hin, daß in dieser Richtung neuerliche Versuche zur Ausgestaltung des Geschäftes unternommen werden dürften.

5. Im einzelnen können Preisverschiebungen erfolgen je nach dem verschiedenen Verhältnis von Industrie- und Handelskapital in den einzelnen Sphären. Gesetzt, in einer Sphäre, zum Beispiel im Maschinenbau, sei das Produktionskapital gleich 1.000, das Handelskapital gleich 200. Bei einer Durchschnittsprofiträte von 20 Prozent werden 40 Handelsprofit gemacht. Der Preis für den Konsumenten ist gleich 1.000 + 200 (der Preis, um den die Industriellen ihr Produkt an den Kaufmann absetzen) plus 240 (die dem Kaufmann sein Kapital plus Profit ersetzen), also im ganzen gleich 1.440. In der Textilindustrie entfalle aber auf ein Produktionskapital von 1.000 ein Kaufmannskapital von 400. Der Preis des Produkts wäre dann 1.680. Gesetzt den Fall, es gelänge dem Kartell, in beiden Fällen das Handelskapital auszuschalten und die Handelsunkosten auf die Hälfte zu reduzieren, so würden die Maschinenbauer auf das Kapital von 1.100 einen Profit von 540, die Textilfabrikanten auf ihr Kapital von 1.200 einen solchen von 480 machen. Die Ungleichheit der Profitraten kann zu Ausgleichsvorgängen führen, die dann in Preisveränderungen erscheinen. Was aber die Konsumenten der Textilprodukte gewännen, würden die Maschinenkäufer verlieren. Im allgemeinen wird aber diese Ausgleichung infolge der Kartellierung nur schwierig und unvollständig erfolgen.

Anders steht die Sache, wenn der selbständige Handel durch Konsumvereine, Großeinkaufsgesellschaften, landwirtschaftliche Einkaufsgenossenschaften usw. ersetzt wird. Dies bedeutet nur, daß an die Stelle der Aktion der Handelskapitalisten die der organisierten Konsumenten selbst tritt, denen daher auch der Handelsprofit zufällt. Zugleich bedeutet die vermehrte Konzentration Ersparung von Zirkulationsunkosten.

6. Der Großhändler Engel sagt ganz richtig:

„Das Streben des Syndikats geht dahin, zu monopolisieren und den Großhandel einfach auszuschließen. Der Verleger kauft natürlich dadurch nicht billiger; denn wenn nicht so gerechnet würde: den Nutzen, den der Großhandel hat, will ich als Fabrik, als Syndikat selbst haben – dann hätte die ganze Bewegung keinen Zweck.“ Kontradiktorische Verhandlungen über den Verband deutscher Druckpapierfabriken, Heft IV, S. 114.

Dasselbe gilt zum Beispiel auch vom Kohlensyndikat. Es

„benützt diese Monopolisierung des Speditions- und Großhandelsgeschäftes auch, um ohne eine ausdrückliche Erhöhung der Kohlenpreise durch Steigerung der Schlepp- und Transportlöhne die kleinen Konsumenten zu besteuern beziehungsweise dafür zu sorgen, daß die höheren Preise, die diese bezahlen müssen, nicht wie bisher dem Handel, sondern den Produzenten zugute kommen“. Liefmann, Kartelle und Trusts, S. 98.

7. Kontradiktorische Verhandlungen, I., S. 236.

8. Ebenda, S. 235.

9. Ebenda, S. 228 ff.

10. Ebenda, S. 230.

11. Ebenda, S. 229.

12. Ebenda, S. 230.

13. Kontradiktorische Verhandlungen, II. Heft, S. 455.

14. Ebenda, S. 380.

15. Hübsch ist die heuchlerische Phraseologie des braven Syndikatsagenten: „Wir haben das als Handelsfirmen auch für richtig gehalten; denn wir sind in der Hauptsache dazu da, das inländische Geschäft zu fördern und zu schützen.“ Die Ausplünderung des Inlandes, die Hinderung der Verarbeitung durch Fabrikation von künstlicher Kohlen-, Koks- und Eisennot, die Hochhaltung der inländischen Preise durch Verschleuderung ins Ausland, das ist die nationale Gesinnung der Profitsucht.

16. Aussage des Handelskammersekretärs Gerstein (Hagen); Kontradiktorische Verhandlungen, 6. Sitzung, Halbzeugverband, S. 444.

17. Aussage Gersteins, ebenda, S. 445.

18. Ebenda, S. 447.

Wie rigoros anderseits große Werke ihren kleineren Lieferanten gegenüber bisweilen verfahren, zeigt die Aussage Gersteins (ebenda, S. 556).

„Ein großes Hüttenwerk mit Zechenbesitz hat gedruckte Bedingungen für den Bezug ihrer Werkzeugmaterialien, in denen eine Offerte verlangt wird, und da heißt es weiter: Menge: Unser Bedarf für das Kalenderjahr 1904 ohne Verpflichtung für uns zur Abnahme eines bestimmten Quantums. Lieferung auf unseren Abruf.“

19. Kontradiktorische Verhandlungen über den Verband deutscher Druckpapierfabriken, Heft IV, Aussage des Direktors Keuther, S. 110 ff.

20. „Das Syndikat hat sich also die Aufgabe gestellt, diesen so gearteten Großhandel im Druckpapiergeschäft zu beseitigen. Nachdem es gelungen war, durch den Zusammenschluß des Syndikats eine große Anzahl von Agenten, die sich neben anderen Papieren auch mit dem Vertrieb von Druckpapier beschäftigten, auszuschalten, war immer noch eine große Anzahl von Händlern vorhanden, die sich mit Druckpapier beschäftigten, und so stellte sich das Syndikat es auch zur Aufgabe, nicht allein den sich mit Spekulation befassenden Firmen die Hergabe von Druckpapier zu weigern, sondern es auch zu verhüten, daß neue Händler auf dem Plan im Druckgeschäft erschienen. Das Syndikat weigerte daher schon in vielen Fällen jeden Verkauf von Druckpapier an Papierhandlungsfirmen, die erst während des Bestehens des Syndikats ihren Handel auf Druckpapier ausdehnen wollen.“ (Ebenda, S. 111)

21. Kontradiktorische Verhandlungen, 1, S. 94 ff.

Das deutsche Kokssyndikat hat seine Abnehmer im Herbst 1899 gezwungen, für die zwei Jahre 1900 und 1901 ihren Bedarf zu decken. Nebenbei sei bemerkt, daß das Syndikat dabei seine Macht benutzte, um die Preise für 1900, die bereits im Februar 1899 auf 14 Mk. festgesetzt waren, auf 17 Mk. für beide Jahre zu erhöhen. Unter der Drohung, daß sie sonst keinen Koks bekämen, ließen sich die Hütten zum Abschluß bewegen.

Die Sache ist auch deshalb interessant, weil sie zeigt, wie wenig Syndikate auf die Krisen Einfluß nehmen können. Die Abschlüsse wurden 1899 gemacht, also zirka 27 Monate früher. Mitte 1900 ließ die Konjunktur nach und 1901 war ein Krisenjahr, aber die Höchstpreise für Koks waren gesichert. Die Krise wurde dadurch in ihrer Wirkung für die weiterverarbeitende Industrie außerordentlich verschärft. (Kontradiktorische Verhandlungen, 5. Sitzung, S. 638, 655, 664)

22. Industrial Commission, Preliminary Report on Trusts and Industrial Combinations, S. 223.

23. Industrial Commission, S. 63. „I do not care two cents for your ethics.“ Er fügt hinzu, daß es richtiges Geschäftsprinzip sei, billige Preise zu erstellen, um die Konkurrenz auszuschließen. Denn, wie er später meint, die Trusts sind nicht ein Geschäft für die Gesundheit der Konkurrenten. „Trusts are not in the business for their health.“ S. 223.

24. Man höre die Strafandrohung der Deutschen Agrarkorrespondenz (Nr  8 vom Jahre 1899), die dem Bund der Landwirte nahesteht:

„Der deutsche Brenner, der den Beitritt zur Gesellschaft versagt, verwirkt den Anspruch auf berufliche Achtung, man sollte diese Herren für immer stigmatisieren. Wäre solch ein fairer Herr, wenn man später seinen Geldbeutel recht derb angreift, nicht fühlbarer gestraft, als durch das sowieso ihm gebührende Pfui.“

25. Kontradiktorische Verhandlungen, Aussage von Generalsekretär Köpke.

26. Deutsche Börsenenquete, I., S. 464. Worte des Generalkonsuls Rüssel von der Diskontogesellschaft.

27. Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 181 ff.

28. Deutsche Börsenenquete, II. Bd., S. 2151. Aussage von Van Gülpen. Und nicht nur dann: „Wenn sie ihm (dem Provinzialbankier) das Leben sauer machen, so muß er mehr, als er es bisher vielleicht getan hat, schwindelhafte Papiere vertreiben“, versichert Herr v. Guaita. (Ebenda, S. 959)

29. Deutsche Börsenenquete, II., S. 2169.


Zuletzt aktualisiert am 25. September 2016