Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Vierter Abschnitt
Das Finanzkapital und die Krisen


XVII. Kapitel
Die Ursachen der Krise


Betrachtet man die Kompliziertheit der Proportionalitätsverhältnisse, die in der doch anarchischen Produktion erfüllt sein müssen, so ist mein zunächst versucht, die Frage aufzuwerfen, wer für die Erhaltung dieser Verhältnisse Sorge trägt. Es ist klar, daß diese Funktion das Preisgesetz erfüllen muß, da ja die Preise die kapitalistische Produktion regulieren, Änderungen der Preise für Erweiterung oder Einschränkung, für Aufnahme einer neuen Produktion usw. maßgebend sind. Auch daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines objektiven Wertgesetzes als einzig möglichen Regulators der kapitalistischen Wirtschaft. Die Störung dieser Proportionen muß sich also erklären lassen durch die Störung in der spezifischen Regulierung dieser Produktion, also durch eine Störung in den Preisgestaltungen, so daß die Preise die Notwendigkeiten der Produktion nicht mehr richtig erkennen lassen. Da diese Störung periodisch ist, muß auch die Störung im Preisgesetz als periodisch auftretend nachgewiesen werden.

Was den Kapitalisten interessiert, ist nicht die absolute Höhe des Preises seines Produkts, sondern das Verhältnis des Marktpreises zu dem Kostpreis, mit anderen Worten, die Höhe des Profits. Von dieser Höhe hängt ab, in welchen Produktionszweigen er sein Kapital anlegt. Sinkt der Profit beträchtlich, so werden Neuanlagen ganz unterlassen. Dies besonders, wo es sich um ausgedehnte Anlage von fixem Kapital handelt, da so angelegtes Kapital ja für lange Zeit festgelegt ist und der Preis des fixen Kapitals für die Berechnung der Profitrate entscheidend ist.

Nun wissen wir, daß die organische Zusammensetzung des Kapitals sich ändert. Aus technischen Ursachen wächst der konstante Kapitalteil rascher als der variable. Es wächst ferner der fixe Kapitalteil rascher als der zirkulierende. Die relative Verminderung des variablen Kapitalteiles hat aber eine Senkung der Profitrate zur Folge. Die Krise bedeutet Absatzmangel. Absatzmangel setzt in der kapitalistischen Gesellschaft voraus: Aufhören von Neuanlage von Kapital; dieses wieder setzt voraus Sinken der Profitrate; dieses Sinken der Profitrate ist gegeben durch die Änderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals, die bei der Neuanlage dieses Kapitals stattgefunden hat; die Krise bedeutet nichts anderes als den Moment, wo das Sinken der Profitrate eintritt. Aber der Krise geht die Prosperitätsperiode voraus, in der die Preise und die Profite hoch sind. Wie tritt diese kapitalistische Weltwende ein, dieser Übergang von der Seligkeit fieberhaft angespannter Tätigkeit, hoher Profite und gesteigerter Akkumulation zur Trostlosigkeit der Absatzstockung, verschwundener Profite und massenhaft brachliegenden Kapitals?

Jeder industrielle Zyklus beginnt mit einer Ausdehnung der Produktion, deren Gründe je nach den konkreten historischen Momenten im einzelnen variieren, im allgemeinen aber sich auf Eröffnung neuer Märkte, Entstehen neuer Produktionszweige, Einführung neuer Technik, steigenden Bedarf infolge Bevölkerungsvermehrung zurückführen lassen. Es entsteht vermehrte Nachfrage, die zunächst in einzelnen Produktionszweigen Steigen der Preise und Profite bewirkt. Infolgedessen wird die Produktion in diesen Sphären ausgedehnt, und ihre gesteigerte Produktion bedeutet gesteigerte Nachfrage in den Sphären, die für diese Zweige die Produktionsmittel liefern. Neuanlage von fixem Kapital, Ersatz der alten und technisch überholten Anlagen findet in größerem Umfang statt. Der Prozeß verallgemeinert sich, jeder Industriezweig schafft durch seine Ausdehnung Nachfrage für die anderen, die Produktionssphären alimentieren sich gegenseitig, die Industrie wird der Industrie bester Kunde.

So beginnt der Zyklus mit der Erneuerung und dem Anwachsen des fixen Kapitals, die den Hauptgrund bilden für die beginnende Prosperität, während der die Erweiterungen fortdauern zugleich mit der größten Anspannung aller vorhandenen Produktivkräfte.

„In demselben Maße also, worin sich mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise der Wertumfang und die Lebensdauer des angewandten fixen Kapitals entwickelt, entwickelt sich das Leben der Industrie und des industriellen Kapitals in jeder besondren Anlage zu einem vieljährigen, sage im Durchschnitt zehnjährigen. Wenn einerseits die Entwicklung des fixen Kapitals dieses Leben ausdehnt, so wird es andrerseits abgekürzt durch die beständige Umwälzung der Produktionsmittel, die ebenfalls mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise beständig zunimmt. Mit ihr daher auch der Wechsel der Produktionsmittel und die Notwendigkeit ihres beständigen Ersatzes infolge des moralischen Verschleißes, lange bevor sie physisch ausgelebt sind. Man kann annehmen, daß für die entscheidendsten Zweige der großen Industrie dieser Lebenszyklus jetzt im Durchschnitt ein zehnjähriger ist. Doch kommt es hier nicht auf die bestimmte Zahl an. Soviel ergibt sich: Durch diesen eine Reihe von Jahren umfassenden Zyklus von zusammenhängenden Umschlägen, in welchen das Kapital durch seinen fixen Bestandteil gebannt ist, ergibt sich eine materielle Grundlage der periodischen Krisen, worin das Geschäft aufeinanderfolgende Perioden der Abspannung, mittleren Lebendigkeit, Überstürzung, Krise durchmacht. Es sind zwar die Perioden, worin Kapital angelegt wird, sehr verschiedne und auseinanderfallende. Indessen bildet die Krise immer den Ausgangspunkt einer großen Neuanlage. Also auch – die ganze Gesellschaft betrachtet – mehr oder minder eine neue materielle Grundlage für den nächsten Umschlagszyklus.“ [1]

Das Steigen der Profitrate findet aber zu Beginn der Prosperität noch aus einer anderen Ursache als dem eben geschilderten Steigen der Nachfrage statt. Gleichzeitig und infolge des Steigens der Nachfrage verkürzt sich zunächst die Umschlagszeit des Kapitals. Es verkürzt sich die Arbeitsperiode, weil die Einführung technischer Verbesserungen raschere Fertigstellung des Produkts erlaubt, die Hilfsarbeiter zum Beispiel im Bergbau auf das Minimum zugunsten der eigentlichen Förderung beschränkt werden, die Maschinerie durch Beschleunigung der Laufzeit, vor allem aber durch Verlängerung der Arbeitszeit (Wegfall der Feierschichten, Überstunden, Einstellung neuer Arbeiter) intensiver ausgenutzt wird usw. Ferner verkürzt sich die Umlaufszeit; der Absatz geht flott vonstatten; häufig wird die Zirkulationszeit gleich Null, da auf Bestellung gearbeitet wird; für eine Reihe bedeutender Industriezweige nimmt der Absatz auf den nahe gelegenen inländischen Märkten im Verhältnis zu dem Absatz auf entfernteren ausländischen zu, was wieder Verkürzung der Zirkulationszeit bedeutet. Dies alles bewirkt wieder eine Erhöhung der Jahresrate des Profits, da das produktive Kapital und damit auch das Mehrwert produzierende variable Kapital rascher umschlägt.

Die Verkürzung der Umschlagszeit bedeutet zugleich eine relative Verringerung des vom Industriellen vorzuschießenden Geldkapitals im Verhältnis zum produktiven Kapital. Einmal wird das vorhandene produktive Kapital ohne Mehrausgabe von Geldkapital oder wenigstens ohne entsprechende Mehrausgabe besser ausgenützt durch Verkürzung der Arbeitsperiode infolge Beschleunigung der Laufzeit der Maschinerie, überhaupt durch intensivere Ausnützung der vorhandenen Produktionselemente. Dann aber verkürzt sich die Zirkulationszeit und damit der Umfang des Kapitals, das während der Zirkulationszeit vom Kapitalisten neben dem eigentlichen in der Produktion fungierenden Kapital gehalten werden muß. Es verringert sich so das nur zu Zirkulationszwecken, also unproduktiv verwendete Kapital im Verhältnis zu dem Profit produzierenden, im Produktionsprozeß fungierenden Kapital. Die Verkürzung der Zirkulationszeit und der schnellere Umschlag verringert zugleich den als Warenvorrat brachliegenden Teil des Kapitals, das nur Unkosten verursacht. So steigt die Jahresrate des Mehrwerts und Profits und letztere noch stärker durch Verringerung des zu Zirkulationszwecken dienenden Kapitals. Zugleich steigt die Mehrwertmasse und damit die Möglichkeit der Akkumulation.

So bedeutet die industrielle Prosperität nichts anderes als Verbesserung der Verwertungsbedingungen des Kapitals. Aber dieselben Umstände, die zunächst zur Prosperität führen, schließen Potenzen in sich, die die Verwertungsbedingungen allmählich verschlechtern, bis schließlich der Punkt eintritt, wo die Neuanlage von Kapital gehemmt und die Absatzstockung eklatant wird.

Wenn das Steigen der Nachfrage zum Beispiel in der ersten Phase des industriellen Zyklus Erhöhung der Profitrate bedeutet, so findet diese Erhöhung doch nur unter Umständen statt, die ein späteres Sinken der Profitrate vorbereiten. Während der Prosperität findet starke Neuanlage von Kapital statt, eine Neuanlage, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen muß. Wir wissen aber, daß technische Verbesserungen sich in höherer organischer Zusammensetzung des Kapitals ausdrücken. Höhere organische Zusammensetzung aber bedeutet Sinken der Profitrate, Verschlechterung der Verwertungsbedingungen des Kapitals. Und zwar sinkt die Profitrate aus zwei Gründen. Einmal weil das variable Kapital im Verhältnis zum Gesamtkapital abgenommen, also dieselbe Mehrwertrate sich in einer geringeren Profitrate ausdrückt. Zweitens weil, je größer der Anteil des fixen Kapitals gegenüber dem zirkulierenden, desto größer die Umschlagszeit des Kapitals; Verlängerung der Umschlagszeit bedeutet aber ebenfalls Sinken der Profitrate.

Dazu kommen andere Umstände, die die Umschlagszeit verlängern; auf dem Höhepunkt der Prosperität kann die Arbeitsperiode sich verlängern, weil Mangel an Arbeitskräften, besonders an qualifizierten, eintreten kann, abgesehen auch von Lohnkämpfen, die in solchen Perioden häufiger zu sein pflegen; Störungen im Arbeitsprozeß können sich auch ergeben aus allzu intensiver Ausnützung des konstanten Kapitals, zum Beispiel aus allzu großer Beschleunigung der Laufzeit der Maschinerie, die auch durch Einstellung ungeübter Arbeiter geschädigt werden kann, oder aus Vernachlässigung von Reparaturen und Hilfsarbeiten, um die kurze Zeit industrieller Hochspannung ja nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Zugleich verlängert sich im weiteren Verlauf die Umlaufszeit. Der Bedarf des inländischen Marktes ist befriedigt, weiter entfernte auswärtige Märkte müssen aufgesucht werden. Der Absatz der Waren, ihre Rückverwandlung in Geld verlängert sich; alles Momente, die ein Sinken der Profitrate in der zweiten Phase der Prosperität herbeiführen.

Dazu kommen andere Momente. Während der Prosperität steigt die Nachfrage nach Arbeitskraft, deren Preis sich erhöht. Dies bedeutet Verringerung der Mehrwert- und damit der Profitrate. Es steigt ferner allmählich der Zinsfuß über sein normales Niveau aus Gründen, die noch anzuführen sind, und es sinkt infolgedessen die Rate des Unternehmergewinnes. Allerdings steigt dafür (ein Umstand, der gewöhnlich vernachlässigt wird) der Gewinn des Bankkapitals. Aber die Banken sind in dieser Periode nicht mehr in der Lage, das Geld für den Zweck der Produktionserweiterung zur Verfügung zu stellen. Einmal steht in dieser Periode die Spekulation sowohl in Waren als in Effekten in höchster Blüte und stellt sehr gesteigerte Anforderungen an den Kredit. Dann aber reicht, wie wir noch sehen werden, der Zirkulationskredit, den sich die Produktiven untereinander gewähren, nicht aus, um den gesteigerten Ansprüchen zu genügen, und auch hier müssen die Banken eintreten. Deshalb werden die Banken die Tendenz haben, ihren Gewinn in der flüssigen Form, in Geldform, festzuhalten; und damit wird die Verwandlung in produktives Kapital, also die wirkliche Akkumulation und Erweiterung des Reproduktionsprozesses gehemmt. Es bedeutet dies gleichzeitig eine Störung des Produktionsprozesses, da infolge der Hemmung der Rückverwandlung des Geldkapitals, das die Banken durch den gestiegenen Zinsfuß ein sich gezogen haben und in Geldform festhalten, ein Teil des für die erweiterte Reproduktion bestimmten produktiven Kapitals pro tanto unverkäuflich bleibt. So bedeutet die Verringerung des Unternehmergewinnes gleichfalls für die ganze Kapitalistenklasse eine steigende Ungunst der Verwertungsbedingungen, eine Verringerung der Akkumulation.

Die Krise tritt nun in dem Augenblick ein, wo sich die zuletzt beschriebenen Tendenzen der sinkenden Profitrate durchsetzen gegenüber den Tendenzen, die infolge der gestiegenen Nachfrage Steigen der Preise und des Profits bewirkt haben. Es fragt sich hier zweierlei: einmal, wie sich diese Tendenzen, die der Prosperität ein Ende bereiten, in der und durch die kapitalistische Konkurrenz durchsetzen; sodann, warum dieses Durchsetzen kritisch und nicht lytisch, plötzlich und nicht allmählich erfolgt. Die letztere Frage ist allerdings von geringerer Bedeutung, da der Wechsel von Prosperität und Depression für die Wellenbewegung der Konjunktur das entscheidende ist und die Plötzlichkeit dieses Wechsels erst in zweiter Reihe steht.

Soviel ist klar: Wäre die Preissteigerung während der Prosperität allgemein und gleichmäßig, so bliebe sie rein nominell. Stiegen alle Waren um 10 Prozent oder 100 Prozent, so ließe das ihr relatives Austauschverhältnis unverändert. [2] Die Erhöhung der Preise hätte dann auch keine Beeinflussung der Produktion zur Folge; es würde keine Verschiebung in der Verteilung des Kapitals auf die verschiedenen Produktionszweige, keine Änderung in den Proportionsverhältnissen auftreten. Erfolgt die Produktion in den richtigen Proportionen, wie dies früher schematisch dargestellt worden ist, so brauchten diese keine Änderung zu erfahren und infolgedessen auch keine Störungen aufzutreten. Anders aber, wenn sich aus der Natur der Preissteigerung Momente anführen lassen, die eine solche Gleichmäßigkeit ausschließen. Die geänderte Preisgestaltung wird dann auch eine Änderung in der Proportionalität der Produktionszweige herbeiführen können, da ja die Preis- und Profitänderung bestimmend auf die Verteilung des Kapitals auf die verschiedenen Produktionszweige einwirkt. Diese Möglichkeit wird zur Wirklichkeit, wenn sich zeigen läßt, daß die Preissteigerung mit Notwendigkeit eine Verschiebung der Verhältnisse der Kapitalverteilung mit sich führen muß. Und in der Tat lassen sich auch Momente nachweisen, die diese Gleichmäßigkeit verhindern.

Die Änderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals, die in letzter Instanz das Sinken der Profitrate bewirkt, wird, von technischen Revolutionen abgesehen und zunächst nur den Durchschnitt der beständigen technischen Änderung betrachtet, am größten sein, wo die Anwendung von Maschinerie, von fixem Kapital überhaupt am größten. Denn je größer die bereits angewendete Masse Maschinerie, Wissenschaft usw., desto größer und häufiger die Möglichkeit rationellerer Einrichtung, verbesserter Technik, wissenschaftlicherer Verfahrungsweisen. Desto stärker werden hier die Tendenzen zu höherer organischer Zusammensetzung wirksam sein. Die höhere organische Zusammensetzung des Kapitals ist aber nur der ökonomische Ausdruck gestiegener Produktivität. Diese bedeutet geringeren Preis für die gleiche Warenmenge. Die neu angelegten Kapitale arbeiten daher zunächst mit Extraprofit. Das Kapital wird daher in diese Anlagen strömen. Schon hier macht sich ein Moment der Störung geltend. Je größer der in diesen Neuanlagen zu machende Extraprofit, desto mehr Kapital strömt in diese Sphären. Eine Korrektur kann erst eintreten, bis die neuen Produkte dieser Sphären auf den Markt kommen und ihr Überangebot den Preis senkt. [3] Unterdessen hat die Nachfrage dieser Sphären den Preis von Produkten anderer Sphären gleichfalls erhöht und dort Kapitalzufuhr bewirkt, wenn auch in geringerem Maß, da dort wegen geringerer technischer Verbesserungen der Extraprofit geringer ist. Es hat dies wieder zur Folge, daß hier die Preissteigerung, da die Kapitalvermehrung nicht in gleicher Proportion zugenommen hat, verhältnismäßig stärker ist. In der ersten Produktionssphäre ist der Extraprofit bedeutend, in der zweiten geringer; dies gleicht sich allmählich aus durch Verringerung des Extraprofils durch stärkere Kapitalzufuhr dort und durch Preiserhöhung infolge relativ geringerer Zufuhr hier.

Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wächst der Umfang des fixen Kapitals, und mit diesem Wachstum geht Hand in Hand eine wachsende Differenzierung der verschiedenen Industrien in bezug auf den Umfang des angewendeten fixen Kapitals. Je größer aber der Umfang des fixen Kapitals, desto länger die Zeit, nötig, um Neuanlagen herzustellen, desto größer auch daher der Unterschied der Zeit, während der in einzelnen Industriezweigen die Produktion erweitert werden kann. Je länger aber die Zeit zur Neuanlage, desto schwieriger die Anpassung an die Bedürfnisse der Konsumtion; desto länger bleibt das Angebot hinter der Nachfrage zurück, desto stärker steigen hier die Preise, und desto allgemeiner wird in solchen Industrien der Akkumulationsdrang.

Je größer die Masse des fixen Kapitals, desto länger dauert es, bis die neuen Änderungen getroffen, die Leistungsfähigkeit gesteigert wird. Bis zu diesem Zeitpunkt aber wird das Angebot hinter der Nachfrage Zurückbleiben. Die Vermehrung der Hochöfen, die Anlage neuer Kohlenschächte, die Fertigstellung neuer Eisenbahnen dauert länger als die Vermehrung der Textilprodukte oder der Papierfabrikation. Während also mit der Höhe der organischen Zusammensetzung die Ursachen sich mehren, welche auf die Dauer eine Senkung der Profitrate erzeugen müssen, tritt gerade in diesen Sphären während der guten Konjunktur infolge der geänderten Konkurrenzverhältnisse, der Verschiebung des Verhältnisses von Angebot und Nachfrage, dadurch, daß das Angebot langsamer wächst als die Nachfrage, zunächst ein stärkeres Steigen der Preise ein als in anderen Produktionszweigen. Der Profit nimmt nicht nur nicht ab, sondern die Veränderung der organischen Zusammensetzung ist zunächst begleitet von steigenden Preisen und steigenden Profiten; und zwar werden die Preise im allgemeinen die Tendenz haben, um so mehr zu steigen, je höher entwickelt die organische Zusammensetzung. Das Kapital strömt aber in die Sphären höheren Profits. Es wird daher das zu akkumulierende Kapital vor allem in diese Sphären abgelenkt werden, und diese Ablenkung wird insolange dauern, bis die Neuanlagen vollendet sind und die stärkere Konkurrenz der neuen Betriebe sich geltend macht. Es besteht so die Tendenz zu einer Überanlage, Überakkumulation des Kapitals in den Sphären höchster organischer Zusammensetzung im Vergleich zu denen niedrigerer Zusammensetzung. Ein Mißverhältnis, das erscheint, wenn die Produkte der ersten Sphären auf den Markt gelangen. Der Absatz dieser neuen Produkte ist dadurch gehindert, daß die Produktion in den Sphären niederer Zusammensetzung nicht in gleicher Weise, nicht gleich rasch, sondern schneller, dafür aber weniger intensiv vermehrt wurde. Dies erklärt, warum die Krisen am stärksten sich äußern in den technisch entwickeltsten Produktionszweigen, also in den früheren Perioden vor allem in der Textil-(Baumwoll-)industrie, später in den schweren Industrien. Die Krise ist im allgemeinen dort am stärksten, wo der Umschlag des Kapitals am längsten und die technischen Verbesserungen und Neuerungen am größten, was zumeist der Fall, wenn die organische Zusammensetzung am höchsten.

Die Krise selbst bringt zunächst Preis- und Profitsenkung unter das normale Niveau, das heißt unter die Produktionspreise und den Durchschnittsprofit, mit sich. Die Produktion kontrahiert sich, die schwächeren Betriebe gehen zugrunde, und nur diejenigen setzen schließlich den Betrieb fort, die auch bei gesunkenen Preisen den Durchschnittsprofit erzielen. Dieser Durchschnittsprofit hat aber jetzt ein anderes Niveau. Er entspricht nicht mehr der organischen Zusammensetzung am Ausgangspunkt des industriellen Zyklus, sondern der geänderten, höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals.

Umgekehrt findet in den Industrien mit geringerem Umfang des fixen Kapitals raschere Anpassung an die Konsumtion statt, bleibt das Steigen der Preise innerhalb engerer Grenzen (von Preisschwankungen des Rohmaterials abgesehen) und wird die Akkumulation weniger angestachelt. Es ist dies ein weiterer Grund zur Entstehung von Disproportionalität, von Konzentrierung des neu anzulegenden Kapitals auf diejenigen Produktionszweige, wo die Preise am raschesten und höchsten steigen, und zugleich der Grund, warum im allgemeinen die Krisen eine um so stärkere Wirkung haben, je umfangreicher das fixe Kapital überhaupt, und in jenen Produktionszweigen, wo das fixe Kapital den größten Umfang besitzt.

Dazu kommt, daß, je größer der Umfang der Kapitalsmasse ist, die der Stand der Technik in einem bestimmten Moment für einen bestimmten Produktionszweig erfordert, desto schwieriger eine genaue quantitative Anpassung der Vermehrung der Produktion an die vermehrte Konsumtion wird. Es ist technisch irrationell und deshalb unökonomisch, etwa die Stahlproduktion zu vermehren durch Neuanlage eines kleinen Stahlwerkes. Die Technik bestimmt hier den Grad der Vermehrung aus eigener Machtvollkommenheit, ohne sich darum kümmern zu können, ob das Maß der Vermehrung mit den Ansprüchen der Konsumtion übereinstimmt. Die Vermehrung in den schweren Industrien kann, wenn einmal die vorhandenen Produktivkräfte voll ausgenützt sind – und die Variationen in den Ausnützungsmöglichkeiten sind ein wichtiger Faktor, um geringere Schwankungen in der Nachfrage auszugleichen –, nur im großen Maßstab, sprunghaft erfolgen, nicht in dem bescheidenen Umfang der Anfangsepochen des Kapitalismus. Auch hier ist die Anpassungsmöglichkeit der leichteren Industrien bei weitem größer und deshalb hier die Preissteigerung in der Zwischenzeit geringer.

Zu diesen Mißverhältnissen der Preisgestaltung, die sich aus der Verschiedenheit der organischen Zusammensetzung ergeben, treten andere, die aus natürlichen Umständen entspringen. Wir haben gesehen, daß eine Tendenz zur Überakkumulation in den Sphären höherer organischer Zusammensetzung besteht. Diese Sphären sind einerseits starke Verbraucher von Rohstoff, dann aber liefern sie auch Rohstoffe und Halbfabrikate (Eisen, Kohle) für andere Industrien. Hier können nun Störungen der Proportionalität auftreten.

„Man hat ... gesehn, daß, nachdem die Waren in Geld verwandelt, verkauft sind, ein bestimmter Teil dieses Geldes wieder in die stofflichen Elemente des konstanten Kapitals rückverwandelt werden muß, und zwar in den Verhältnissen, wie sie der bestimmte technische Charakter jeder gegebnen Produktionssphäre erheischt. Hier ist in allen Zweigen – vom Arbeitslohn ... abgesehn – das wichtigste Element der Rohstoff, mit Einschluß der Hilfsstoffe, die namentlich wichtig in Produktionszweigen, wo kein eigentlicher Rohstoff eingeht, wie in Bergwerken und der extraktiven Industrie überhaupt ... Steigt der Preis des Rohstoffs, so mag es unmöglich sein, ihn nach Abzug des Arbeitslohns aus dem Wert der Ware vollständig zu ersetzen. Heftige Preisschwankungen bringen daher Unterbrechungen, große Kollisionen und selbst Katastrophen im Reproduktionsprozeß hervor. Es sind namentlich eigentliche Agrikulturprodukte, der organischen Natur entstammende Rohstoffe, die solchen Wertschwankungen infolge wechselnder Ernteerträge etc. – hier noch ganz vom Kreditsystem abgesehn – unterworfen sind ...

Ein zweites, das nur der Vollständigkeit wegen hier erwähnt wird – da die Konkurrenz wie das Kreditsystem hier noch außer dem Kreis unsrer Betrachtung liegt –, ist dies: Es ist in der Natur der Sache begründet, daß pflanzliche und tierische Stoffe, deren Wachstum und Produktion bestimmten organischen, an gewisse natürliche Zeiträume gebundnen Gesetzen unterworfen sind, nicht plötzlich in demselben Maß vermehrt werden können wie z. B. Maschinen und andres fixes Kapital, Kohlen, Erze etc., deren Vermehrung, die sonstigen Naturbedingungen vorausgesetzt, in einem industriell entwickelten Land in kürzester Zeit vor sich gehen kann. Es ist daher möglich, und bei entwickelter kapitalistischer Produktion sogar unvermeidlich, daß die Produktion und Vermehrung des Teils des konstanten Kapitals, der aus fixem Kapital, Maschinerie etc. besteht, einen bedeutenden Vorsprung gewinnt vor dem Teil desselben, der aus organischen Rohstoffen besteht, so daß die Nachfrage nach diesen Rohstoffen schneller wächst als ihre Zufuhr, und daher ihr Preis steigt.

Dies Steigen des Preises führt in der Tat nach sich 1. daß diese Rohstoffe aus größrer Entfernung zugeführt werden, indem der steigende Preis größre Transportkosten deckt; 2. daß die Produktion derselben vermehrt wird, ein Umstand, welcher, der Natur der Sache nach, aher vielleicht erst ein Jahr später, die Produktenmasse wirklich vermehren kann; und 3. daß allerlei früher unbenutzte Surrogate vernutzt und ökonomischer mit den Abfällen umgegangen wird. Wenn das Steigen der Preise anfängt, sehr merklich auf die Ausdehnung der Produktion und die Zufuhr zu wirken, ist meist schon der Wendepunkt eingetreten, wo infolge des länger fortgesetzten Steigens des Rohstoffs und aller Waren, in die er als Element eingeht, die Nachfrage fällt und daher auch eine Reaktion im Preise des Rohstoffs eintritt. Abgesehn von den Konvulsionen, die dies durch Entwertung von Kapital in verschiednen Formen bewirkt, treten noch andre gleich zu erwähnende Umstände ein.

Zunächst ist aber schon aus dem bisher Gesagten klar: Je entwickelter die kapitalistische Produktion und je größer daher die Mittel plötzlicher und anhaltender Vermehrung des aus Maschinerie usw. bestehenden Teils des konstanten Kapitals, je rascher die Akkumulation (wie namentlich in Zeiten der Prosperität), desto größer die relative Überproduktion von Maschinerie und andrem fixem Kapital und desto häufiger die relative Unterproduktion der pflanzlichen und tierischen Rohstoffe, desto markierter das vorher beschriebne Steigen ihres Preises und der diesem entsprechende Rückschlag. Desto häufiger sind also die Revulsionen, die in dieser heftigen Preisschwankung eines der Hauptelemente des Reproduktionsprozesses ihren Grund haben.“ [4]

„Je mehr wir daher in der Geschichte der Produktion der unmittelbarsten Gegenwart näherrücken, um so regelmäßiger finden wir, namentlich in den entscheidenden Industriezweigen, den stets sich wiederholenden Wechsel zwischen relativer Teurung und daraus entspringender, spätrer Entwertung der der organischen Natur entlehnten Rohstoffe.“ [5]

Zu diesen Störungen treten andere, die sich aus der Art ergeben, wie das fixe Kapital reproduziert wird. Wir haben gesehen, daß bei einfacher Reproduktion das abgestorbene fixe Kapital gleich sein muß dem neu anzulegenden. In der Tat wird diese Bedingung nie streng erfüllt sein. Es muß also auf der einen Seite zur Ausgleichung stets ein Überschuß an fixem Kapitalbestandteil, also Warenvorrat vorhanden sein, dem auf der anderen Seite Reservegeldkapital entspricht. Ein gewisser Vorrat und eine gewisse Schatzansammlung ist Bedingung der Reproduktion, die sonst stets an einem oder dem anderen Punkte ins Stocken geraten würde. Solche geringe Ausgleichungen werden auch erleichtert durch die Elastizität des Kapitals selbst, die erlaubt, durch Forcierung der Produktion, Überstundenarbeit usw. gewisse drängende Bedürfnisse zu befriedigen. Die fieberhafte Anspannung aller Produktionspotenzen vermindert sowohl den Warenvorrat auf der einen als den Geldvorrat auf der anderen Seite (relativ und absolut) und beseitigt damit ein Moment, das in normalen Zeiten zur Ausgleichung von Störungen dient. Die Verminderung des Reservegeldkapitals wird im Stadium vor der Krise absolut, einerseits weil die Nachfrage der industriellen Kapitalisten nach Geldkapital jetzt am höchsten ist, anderseits weil infolge der beginnenden Verlangsamung der Rückflüsse und damit des Zirkulationskredits die Nachfrage nach Geld als Zahlungsmittel rasch zunimmt. Eine weitere Störung im Absatz kann nicht durch Heranziehung von Reservegeldkapital ausgeglichen werden und führt deshalb zum Bankrott.

Eine weitere Störung der Proportionalität kann erfolgen, indem das Verhältnis der Produktion zur Konsumtion sich ändert. Während der Prosperität steigen die Preise und damit der Profit. Das Steigen der Warenpreise muß stärker sein als das Steigen des Arbeitslohnes, denn sonst könnte der Profit nicht steigen. Es steigt also der Anteil der Untemehmerklasse an dem Neuprodukt rascher als der der Arbeiter. Absolut vermehrt sich die Konsumtion, da sowohl die Unternehmer als die Arbeiter ihre Konsumtion ausdehnen werden. Noch schneller vermehrt sich die Akkumulation, da gerade jetzt der Akkumulationsstachel am schärfsten wirkt, wenn es auch immer eine gewisse Zeit dauert, bis die Luxuskonsumtion zunimmt. Diese ist sehr elastisch und paßt sich leicht dem starken Akkumulationsdrang an. So findet eine Verschiebung statt; ein relativ größerer Teil des Profits dient der Akkumulation, ein relativ kleinerer der Konsumtion. Das heißt aber, daß die Konsumtion nicht Schritt hält mit dem Steigen der Produktion. Es kommt hierzu noch jener sich gleichbleibende Teil der Konsumtion, der auf die in festem Gehalt stehenden oder die nicht aus der Produktion unmittelbar alimentierten und deshalb von deren Schwankungen nur indirekt und mittelbar berührten Einkommensschichten entfällt.

So entstehen im Ablauf der Konjunkturperiode Disproportionalitätsverhältnisse durch Störungen der Preisgestaltung. Denn all die erwähnten Momente bedeuten Abweichungen der Marktpreise von den Produktionspreisen und dadurch Störungen in der Regulierung der von der Preisgestaltung in ihrem Ausmaß und ihrer Richtung abhängigen Produktion. Daß diese Störungen schließlich zur Absatzstockung führen müssen, ist klar. Ihre Durchsetzung ist begleitet und vermittelt durch Krediterscheinungen, die nunmehr zu analysieren sind.


Anmerkungen

1. Marx, Kapital, II., S. 164 f. (Neuausgabe, S. 180. Die Red.)

2. Auf den ersten Blick scheint die Prosperitätsperiode gekennzeichnet durch allgemeine und gleichmäßige Preissteigerung, die Depressionsperiode durch ebensolche Preissenkung. Dies der Grund, warum in einer Wertänderung des Geldes so lange und so beharrlich die Ursache der Krise gesucht wurde. Der Aberglaube an die Quantitätstheorie findet darin seine festeste Stütze.

3. „Unzweifelhaft ist gerade in Lothringen-Luxemburg die wirtschaftliche Entwicklung im Bergbau und Eisengewerbe eine viel zu rasche gewesen, die um so schärfer wirkte, als die neuen Werke spät in Betrieb kamen und somit lange Zeit in der Hochkonjunktur die Nachfrage mit verstärken helfen. Als aber die neuen Werke in die Produktion mit eintraten, und das war Ende 1899 beziehungsweise Frühjahr 1900, da war der Höhepunkt der Entwicklung bereits überschritten, so daß sie nunmehr das Angebot mit vermehrten ... Indem sie also aus der Reihe der Konsumenten ausschieden und nunmehr mit ihrer eigenen Produktion auf dem Markt erschienen, war die Produktionsfähigkeit immens gesteigert worden und eine Überproduktion unausbleiblich.“ Die Störungen im deutschen Wirtschaftsleben während der Jahre 1900 ff., 2. Band, Montan- und Eisenindustrie, S. 48.

4. Marx, Kapital, III., 1., S. 94 und 95. (Neuausgabe S. 139–141. Die Red.) Siehe auch Marx, Theorien über den Mehrwert, II., 2., S. 289 ff.

5. Marx, Kapital, III., 1., S. 98. (Neuausgabe, S. 143. Die Red.)


Zuletzt aktualisiert am 27. September 2016