Rudolf Hilferding

Das Finanzkapital


Vierter Abschnitt
Das Finanzkapital und die Krisen


XVIII. Kapitel
Die Kreditverhältnisse im Ablauf der Konjunktur


Zu Beginn der Prosperität herrscht niedriger, nur langsam und allmählich steigender Zinsfuß. Das Leihkapital ist reichlich. Die Erweiterung der Produktion und damit der Zirkulation steigert zwar die Nachfrage nach Leihkapital. Aber die gesteigerte Nachfrage findet leichte Befriedigung. Denn einmal steht dafür das während der Depression brachliegende Geldkapital zur Verfügung. Zweitens aber dehnt sich zu Beginn der Prosperität gleichzeitig der Zirkulationskredit aus. Das in Geldkapital rückzuverwandelnde Warenkapital der Industriellen und Kommerziellen ist zwar gestiegen, sowohl was die Masse als was die Preise der Waren anbelangt. Aber die dafür notwendigen Zirkulationsmittel liefert die vermehrte Menge des Kreditgeldes. Es wächst die Masse des Kreditgeldes, und gleichzeitig verkürzt sich mit dem rascheren Umschlag des produktiven Kapitals die Umlaufszeit des Kreditgeldes. Das vermehrte Angebot von Leihkapital, das durch die vermehrte Schaffung des Kreditgeldes gegeben ist, befriedigt die gestiegene Nachfrage nach Leihkapital ohne Steigerung des Zinsfußes.

In dieser Periode wächst das Angebot von Leihkapital auch deshalb, weil durch die Verkürzung der Umlaufszeit das durch die Länge der Umlaufszeit in seinem Ausmaß bestimmte Geldkapital, das die Produktiven während der Zirkulationszeit ihres Kapitals zur Verfügung haben müssen, sich verringert und als Leihkapital auf den Geldmarkt kommt.

Mit der Dauer der Prosperität ändern sich diese Verhältnisse, und die Allmählichkeit der Änderung drückt sich aus im allmählichen Steigen des Zinsfußes.

Wir haben gesehen, daß während der Prosperität erstens die Umschlagszeit des Kapitals sich verlängert, zweitens Disproportionalität der Produktionszweige sich ausbildet. Die Verlängerung der Umschlagszeit, also die Verlangsamung des Absatzes, bedeutet aber zugleich Verlangsamung der Umlaufsgeschwindigkeit des Kreditgeldes. Ein Dreimonatswechsel kann bei Verfall nicht eingelöst werden, wenn die Ware, deren Geldform er repräsentiert, erst in vier Monaten gezahlt wird. Der Wechsel muß prolongiert oder bar bezahlt werden. Die Prolongation bedeutet Inanspruchnahme von Kredit, Kapitalkredit von seiten der Bank, also vermehrte Nachfrage nach Bankkredit. Die Nachfrage nach Bankkredit wird allgemein sein, weil ja die Notwendigkeit der Prolongierung nicht einen einzelnen Kapitalisten, sondern in einem bestimmten Durchschnitt die ganze Klasse der produktiven Kapitalisten trifft. Sowohl die vermehrte Nachfrage nach Bankkredit, die ja eben nur die Folge des Umstandes ist, daß der Zirkulationskredit, den sich die Produktiven untereinander geben, nicht mehr ausreicht, als auch die vermehrte Nachfrage nach Bargeld wirkt unmittelbar steigernd auf den Zinsfuß.

Dieselbe Wirkung hat die zunehmende Disproportionalität, die ebenfalls Absatzstockung bedeutet. Ware muß durch Ware ersetzt werden, damit das Kreditgeld seine Funktion, Bargeld zu ersetzen, erfüllen kann. Stockt der gegenseitige Warenumsatz, so muß das Kreditgeld durch Bargeld ersetzt werden. Der Wechsel kann bei Verfall nicht eingelöst werden, weil die Ware, die er repräsentiert, nicht verkauft worden. Soll er doch eingelöst werden, so kann er das nur durch Inanspruchnahme von Bankkredit, der jetzt an Stelle des Zirkulationskredits getreten ist. Für den Industriellen ist es aber ein gleichgültiger Umstand, ob die Einlösung des Wechsels, für den er seine Ware verkauft hat, auf dem Wege des Zirkulationskredits erfolgt, also in letzter Linie durch den Ersatz seiner Ware durch eine andere, oder ob auf dem Wege des Bankkredits, also ohne daß seine Ware endgültig durch andere Ware ersetzt ist. Er muß zwar jetzt etwas erhöhten Zins zahlen, aber er weiß erstens nicht, was das zu bedeuten hat, und verstünde er es, es würde nichts ändern und ihm nichts helfen. Noch sind die Preise und die Profite hoch. Noch hat er durch die Einlösung seines Wechsels das Geldkapital nötig, um die Produktion im gleichen Umfang fortführen zu können. Daß das Geldkapital, mit dem er jetzt arbeitet, nicht mehr verwandelte Form seines eigenen Warenkapitals darstellt, das in Wirklichkeit noch gar nicht abgesetzt ist, ist ihm verhüllt. Er weiß nicht, daß er jetzt die Produktion fortführt mit zuschüssigem Geldkapital, das ihm der Bankier zur Verfügung stellt.

Es ist dies aber ein Umstand von größter Bedeutung. Die beginnende Disproportionalität muß sich in Bildung von Warenvorrat äußern. Auf irgendeinem Punkt des Zirkulationsprozesses der Ware muß Stockung stattfinden. Dieser Warenvorrat müßte auf den Markt drücken, wenn die Ware verkauft werden müßte, um mit dem erlösten Geld die Produktion weiterführen zu können. Diese Wirkung und damit die Wirkung auf Preis und Profit wird vermieden, da den Produktiven von den Banken Geldkapital zur Verfügung gestellt wird. So verhüllt der Kredit die beginnende Disproportionalität. Die Produktion wird unverändert weitergeführt, in gewissen Zweigen, wo die Preise besonders hoch stehen, noch stark erweitert, weil die Heranziehung von Geldkapital verhütet, daß die Waren einen Druck auf den Markt ausüben und die Preise ins Wanken bringen. Die Produktion erscheint noch völlig gesund, obwohl die Disproportionalität der Produktionszweige bereits ausgebildet ist.

Die Änderungen in der Höhe des Zinsfußes, die primär durch Änderungen der Proportionalitätsverhältnisse während des Konjunkturablaufes bedingt sind, beeinflussen ihrerseits aufs stärkste die Vorgänge der Gründungen, der Waren- und der Effektenspekulation und damit die Gestaltung der Börsengeschäfte. Zu Beginn der Prosperität ist der Zinsfuß niedrig; dies bewirkt unter sonst gleichen Umständen hohen Kurs des fiktiven Kapitals. Bei jenem Teil des fiktiven Kapitals, das feste und gesicherte Erträgnisse abwirft, also zum Beispiel bei den Schuldtiteln des Staates und öffentlicher Körperschaften, bei manchen Arten von Pfandbriefen usw. steigt der Kurs unmittelbar infolge des Sinkens des Zinsfußes. Bei den Aktien wirkt dem Steigen des Kurses infolge des gesunkenen Zinsfußes die Minderung der Dividende und die größere Unsicherheit des Ertrages entgegen. Die Prosperität beseitigt diese Gegentendenz; die Aktienkurse steigen bei fortdauerndem niedrigen Zinsfuß, weil die Erträgnisse und deren Sicherheit zunehmen. Zugleich steigt die Spekulation, die die steigenden Kurse für sich zu eskomptieren trachtet, und damit vermehrt sich die Nachfrage nach Aktien, und der Kurs steigt weiter. Die Ausdehnung der Produktion bedeutet zugleich vermehrte Gründungstätigkeit. Neue Aktiengesellschaften werden gegründet, bestehende vermehren ihr Kapital. Die Emissionstätigkeit der Banken wird lebhaft. Der hohe Kurs der Aktien und der niedrige Zinsfuß bedingen hohe Emissionsgewinne. Die neuen Aktien werden von der Börse rasch aufgenommen und leicht an das Publikum, das heißt an Kapitalisten, die Leihkapital zur Verfügung haben, abgesetzt. Es ist die Periode, wo die Gründungstätigkeit am lebhaftesten und die Gewinne der Banken aus der Emissionstätigkeit am größten. Die Geldflüssigkeit begünstigt die Spekulation, die ja für ihre Operationen auf die Inanspruchnahme von Kredit angewiesen ist. Da der Zins niedrig, können auch kleine Schwankungen im Kurs, wie sie während der ersten Periode der Prosperität noch vorherrschen, von der Spekulation bereits ausgenützt werden. Die Börsentätigkeit ist lebhaft, die Umsätze bedeutend bei verhältnismäßig geringen Schwankungen, die sich aber insgesamt schließlich zu einer Erhöhung des Kursniveaus summieren. Das erhöhte Kursniveau, das aus der Vermehrung der Masse der Effekten und aus dem Steigen der Kurse sich ergibt, einerseits, die Vermehrung der Umsätze anderseits bedeuten größere Inanspruchnahme von Kredit zur Ausgleichung der Bilanzen, die größere Beträge erfordern werden, und dies um so mehr, da in solchen Perioden die Spekulation à la hausse die Baissespekulation überwiegt, die Käufe die Verkäufe übertreffen und die schließlich auszugleichende Bilanz vergrößert wird. Der erhöhten Nachfrage nach Kredit, den die Börse ausübt, steht aber hier – anders wie bei den Produktiven, wo die steigende Nachfrage zunächst durch Ausdehnung des Zirkulationskredits befriedigt wird – kein vermehrtes Angebot gegenüber. Die vermehrte Nachfrage wirkt also unmittelbar erhöhend auf den Zinsfuß ein und verstärkt die aus den Produktionsvorgängen kommenden Tendenzen zur Erhöhung des Zinses.

Ähnlich sind die Vorgänge auf dem Gebiet der Warenspekulation. Sie sucht gleichfalls die steigenden Preise für sich zu eskomptieren und die Tendenz zum Steigen zu verstärken. Einerseits werden Waren, deren Preis auf dem einen Markt hoch steht, aus anderen Märkten herbeigeschafft und so verstärkte Zufuhr bewirkt. Da der eine Importeur nichts vom anderen weiß, ist ohne weiteres die Möglichkeit gegeben, daß die Zufuhr die Nachfrage schließlich übersteigt und Überhandel stattfindet. Anderseits sucht die Spekulation auf dem Waren-, ähnlich wie auf dem Effektenmarkt, die Preissteigerung zu erhalten und womöglich zu vermehren. Die Waren werden möglichst lange vom Markt zurückgehalten, um die Preise zu erhöhen; es ist die Zeit, wo sich Ringe und Corner bilden, die durch Schaffung künstlicher Warenknappheit die Preise hinaufzutreiben suchen. Um die Waren zurückhalten zu können, ist wieder Inanspruchnahme von Kredit nötig, die wieder Steigerung des Zinsfußes zur Folge hat.

Inzwischen hat sich die industrielle Prosperität verallgemeinert und zur Hochkonjunktur gesteigert. Preise und Profite stehen am höchsten. Die Aktienkurse sind gestiegen infolge des steigenden Ertrages. Die Spekulation, die im ganzen und großen bisher mit Gewinn abgeschlossen hat, hat sich beständig ausgedehnt. Die Spekulationsgewinne entfalten ihre propagandistische Kraft. Die Beteiligung des Publikums an den Börsenumsätzen wächst und ermöglicht dadurch der berufsmäßigen Spekulation die Ausdehnung ihrer Operationen auf dem Rücken des Publikums. Der Zinsfuß ist hoch; sollen die Umsätze der Spekulation gewinnbringend sein, so müssen auch die Veränderungen in den Kursen bedeutender werden, soll nicht der Gewinn der Spekulation durch den erhöhten Zins verschlungen werden; aber diese Schwankungen werden jetzt auch deshalb bedeutend, weil die Nachrichten aus der Industrie nicht mehr unbedingt günstig lauten, weil neben steigenden Gewinnen hier und da Stillstand eintritt, der Absatz nicht mehr so flott ist und der Kredit anfängt, schwierig zu werden, da den Banken die Begünstigung der Spekulation gefährlich zu erscheinen beginnt, zumal da mit der stärkeren Beteiligung des Publikums die Kreise zunehmen, die ohne eigene Mittel oder doch weit über den Umfang ihrer Mittel hinaus ihre Spekulationen betreiben. Analoge Vorgänge spielen sich auch auf dem Warenmarkte ab.

Der steigende Zinsfuß aber hat die Tendenz, die Kurse zu erniedrigen. Es muß also schließlich der Punkt eintreten, wo die Spekulation in ihrem Bestreben, die Preise zu erhöhen, zum Stillstand kommen muß. Dies wird beschleunigt, wenn der Spekulation ein Teil des Kredits, den sie bisher in Anspruch genommen, entzogen wird. Wir haben gesehen, wie im Fortgang der Prosperität die Produktiven immer größere Ansprüche an die Banken stellen müssen. Zu den dort angegebenen Gründen kommt jetzt noch ein anderer. Der Zinsfuß ist entscheidend für die Höhe des Gründergewinnes. Der hohe Zinsfuß der Hochkonjunktur vermindert den Gründergewinn und schränkt deshalb die Emissionstätigkeit ein. Dazu kommt, daß die Spekulation in diesem Zeitpunkt schon gesättigt ist, eine Vermehrung der Effekten zu den bisherigen hohen Kursen nicht vertragen würde. Die Banken stünden vor der Gefahr, die neuen Aktien nicht oder nur zu relativ niedrigen Kursen abstoßen zu können.

Die Bedürfnisse der Industrie werden jetzt von den Banken selbst befriedigt; sie geben keine Aktien aus, sondern gewähren Bankkredite, die von den Produktiven zu dem herrschenden hohen Zinsfuß verzinst werden müssen. Je stärker aber die Inanspruchnahme der Banken durch die Industrie ist, desto geringer die Mittel, die sie der Spekulation zur Verfügung stellen können; die Spekulation muß sich cinschränken. Das aber bedeutet Verringerung der Nachfrage, Fallen der Kurse. Aber der gegebene Kursstand war die Grundlage für den der Spekulation gewährten Kredit; jetzt müssen also Zuschüsse auf die verpfändeten oder sonst als Grundlage des Kredits dienenden Papiere geleistet werden, Zuschüsse, die von vielen Spekulanten und besonders von den Mitläufern aus dem Publikum nicht geleistet werden können. So kommt es zu Zwangsverkäufen der gepfändeten Aktien, zu einem plötzlich vermehrten Angebot, das den Kurs der Papiere rasch senkt. Diese Senkung wird verstärkt durch die Drehung, die die berufsmäßige Spekulation vornimmt, die die kritische Lage des Marktes erfaßt hat und sich nun auf die Baissespekulation wirft. Das Sinken der Kurse bedeutet neues Einschränken des Kredits, neue Zwangsverkäufe, aus dem Sinken wird ein Sturz, die Börsenkrise, die Panik und Deroute ist eingetreten. Die Wertpapiere sind massenhaft entwertet und fallen rasch unter das Niveau, das ihren wirklichen Erträgnissen bei normaler Höhe des Zinsfußes entspricht. Diese entwerteten Papiere werden jetzt von Großkapitalisten und Banken auf gekauft, um, wenn die Panik vorüber, die Kurse wieder gestiegen, zu erhöhtem Preise verkauft zu werden, bis im Kreislauf des nächsten Zyklus der Prozeß der Expropriation eines Teiles der Spekulanten und der Prozeß der Eigentumskonzentration in den Händen des Geldkapitals sich von neuem vollzieht und so die Funktion der Börse sich erfüllt, als Mittel der Eigentumskonzentration auf dem Wege der Konzentration des fiktiven Kapitals zu dienen.

Die Börsenkrise wird so unmittelbar hervorgerufen durch die Änderungen, die sich auf dem Geldmarkt und in den Kreditverhältnissen vollziehen. Da ihr Eintreten unmittelbar nur von der Höhe des Zinsfußes abhängt, kann sie also bereits einige Zeit vor dem Eintreten der allgemeinen Handels- und Industriekrise erfolgen. Sic ist aber nur ein Symptom, ein Vorzeichen der letzteren, denn die Veränderung auf dem Geldmarkt ist ja bedingt von jenen Änderungen in der Produktion, die zur Krise führen. [1]

Ähnliche Vorgänge wie bei der Effektenspekulation spielen sich bei der Warenspekulation ab, nur daß hier der Natur der Sache nach der Zusammenhang mit den Produktionsverhältnissen ein engerer ist. Auch hier erschweren das Steigen des Zinses und die Einschränkung des Kredits die Zurückhaltung der Ware und damit das Aufrechterhalten der Preise. Zugleich aber bewirkt der hohe Preisstand Anspannung der Produktion, Vermehrung der Zufuhr und Zurückhaltung des Konsums, bis schließlich der Zusammenbruch erfolgt. Handelt es sich um eine Ware, deren Preisstand zugleich auf den Kurs führender Börsenpapiere von Einfluß ist, wie zum Beispiel der Kupferpreis für den Kurs der Kupferaktien, so kann der Zusammenbruch der Warenspekulation zugleich das Zeichen sein für den Zusammenbruch der Börsenspekulation.

Die Änderung der Geldmarktverhältnisse wirkt auch bestimmend ein auf Höhe und Art des Bankgewinns. Zu Beginn der Prosperität herrscht niedriger Zinsfuß und hoher Emissionsgewinn. Wir haben gesehen, daß beide im Verlauf der Konjunktur entgegengesetzte Richtung einschlagen. Ferner steigt während der ganzen Dauer der Konjunktur der Gewinn der Bank aus der Provision, die sie als Vermittlerin des Zirkulationskredits zieht; es steigt der Profit des Geldhandlungskapitals, da die Zahlungsgeschäfte für die Produktiven sich ausdehnen, und es steigt vor allem mit dem Steigen des Zinsfußes der Anteil des Bankkapitals, erstens an dem Profit der Produktiven auf Kosten des Unternehmergewinns und zweitens an dem Gewinn der Spekulanten auf Kosten des Differenzgewinns. Je höher der Zinsfuß, desto höher auch der Anteil des Finanzkapitals an den Früchten der Hochkonjunktur. Mit der Dauer der Prosperität steigert sich so der Anteil des Geldkapitals an dem Profit des produktiven Kapitals.

Zugleich haben wir gesehen, wie im Verlauf der Konjunktur der Bankkredit immer stärker in Anspruch genommen wird von dem Moment an, wo der Zirkulationskredit seine Höchstgrenze erreicht. Die Inanspruchnahme des Bankkredits erfolgt, weil die Ausdehnung der Produktion Ausdehnung der Zirkulation bedeutet und diese vermehrte Zirkulationsmittel erfordert. Es tritt so stetig zu nehmende Erschöpfung der Bankreserven ein, die schließlich auf die Inanspruchnahme der Zentralnotenbank zurückwirken muß. Denn die Verlangsamung des Absatzes bedeutet Verlangsamung des Wechselumlaufes, also Einschränkung des Zirkulationskredits, für den der Bankkredit eintreten muß. Aber der Prozeß der Disproportionalität mit allen seinen Folgen geht weiter, und seine Wirkung auf den Bankkredit wird verschärft durch die wachsenden Anforderungen der Spekulation. So tritt allmählich Anspannung des Bankkredits ein, bis zu dem Punkte, wo die Banken den Kredit nicht mehr ausdehnen können, um ihre Reserven nicht- allzusehr zu verringern. Die Zirkulation, die nicht mehr durch Kredit erweitert werden kann, erfordert jetzt Bargeld, das also in die Zirkulation in erhöhtem Maße einströmen und die Reserve verringern wird, was wieder die Banken um so mehr zur Einschränkung der Kreditgewährung zwingen muß. Diese Einschränkung bedeutet aber für die Industrie, daß die Störungen aus der Disproportionalität nicht mehr ausgeglichen werden können, weil das dazu nötige Geldkapital nicht mehr zur Verfügung steht. Es müssen die Waren losgeschlagen werden, um Zahlungsmittel zu erhalten, die auf dem Wege des Kredits nicht mehr zu erhalten sind. Das Sinken der Preise beginnt. Aber das bisherige Preisniveau lag allen Kredittransaktionen zugrunde. Preissenkung bedeutet, daß auch der Wechsel, der gegen diese Ware gezogen worden ist, nicht aus dem Erlös der Ware bezahlt werden kann. Es entsteht Nachfrage zum Zweck der Bezahlung in demselben Moment, wo das Angebot sich einschränkt. Denn der Zirkulationskredit nimmt rapid ab, da das Sinken der Preise die Wechsel entwertet und die Wechseleingänge verringert. Zugleich kann der Bankkredit nicht ausgedehnt werden, da das Sinken der Preise die Sicherheit der Zahlungsfähigkeit der Produktiven in Frage stellt. So führt die Nachfrage nach Zahlung zur Unmöglichkeit ihrer Befriedigung. Die Kreditpressung steigt auf das Äußerste. Nicht nur ist der Zins aufs höchste gestiegen, sondern es ist überhaupt kein Kredit zu erhalten, da die Erschütterung des Kredits bewirkt, daß alle, die über Bargeld verfügen, es für eigene Zahlungen reservieren. Es gibt nur einen Weg, Zahlungsmittel zu erhalten, die Verwandlung von Ware in Geld. Alles will verkaufen, aber ebendeswegen niemand kaufen. Die Preise stürzen sprunghaft, aber die Waren bleiben unverkäuflich. Die Absatzstockung ist absolut, damit aber der Zirkulationskredit vernichtet; so überaus stark die Zirkulation auch kontrahiert ist – die Ausschaltung des Kreditgeldes verringert die Masse der Zirkulationsmittel noch mehr; an Stelle des Kreditgeldes muß Bargeld treten; die Nachfrage nach Zahlungsmitteln wird zur stürmischen Nachfrage nach Bargeld.

Es hängt von den konkreten Verhältnissen ab, welche Folgen diese Nachfrage nach sich zieht; der Preissturz der Waren schädigt die Zahlungsfähigkeit der Industriellen auf das schwerste und macht daher die Rückzahlung des Bankkredits zweifelhaft. Hat die Bank ihre Mittel festgelegt in Krediten an zahlungsunfähige Industrielle, so zieht deren Bankrott den ihren nach sich; der Kredit, den sie in Form von Depositen oder bei eigener Notenausgabe in der Annahme ihrer Noten genoß, wird plötzlich vernichtet. Es findet ein Run auf ihre Kassen statt; die Depositen werden in bar zurückverlangt, während nur ein Minimum derselben nicht ausgeliehen ist. Die Depositen sind verloren, und die Panik kann sich von hier aus auf die anderen Banken fortpflanzen und sie nacheinander zur Sperrung ihrer Kassen zwingen. Die Bankkrise ist ausgebrochen. Der Sturz des Kreditsystems, der Umschlag ins Monetarsystem, wie Marx es nennt, läßt jetzt nur mehr Bargeld als einziges Zirkulationsmittel gelten. Aber die Masse des Bargeldes reicht für die Zirkulation nicht aus, um so weniger, da gleichzeitig massenhaft Aufschatzung des Bargeldes infolge der Panik stattfindet. Die Folge ist das Entstehen von Bargeldagio; der Eigenwert des Geldes (auch bei Goldwährung natürlich, wie überdies die letzte amerikanische Krise wieder gezeigt hat) verschwindet, und der Kurs des Geldes ist bestimmt durch den gesellschaftlich notwendigen Zirkulationswert.

Eine gewaltige Entwicklung liegt zwischen den Funktionen des Geldes als Zirkulations- und Zahlungsmittel und der Funktion als Leihkapital.

Das Geld in seiner goldglänzenden Erscheinung ist die erste heiße Liebe des jungen Kapitalismus. Die merkantilistische Theorie ist sein Liebesbrevier. Es ist eine starke und große Leidenschaft, verklärt von allem Schimmer der Romantik. Um des heißersehnten Besitzes der Geliebten willen verrichtet er alle Heldentaten, entdeckt er neue Weltteile, führt immer erneute Kriege, errichtet den modernen Staat und vernichtet aus romantischer Schwärmerei die Grundlage aller Romantik, das Mittelalter. Er kommt zu Jahren und zur Vernunft. Die klassische Theorie lehrt ihn den romantischen Schein geringschätzen und sich im eigenen Heim, der kapitalistischen Fabrik, eine solide Häuslichkeit gründen. Mit Schrecken sieht er auf die opfervollen Torheiten seiner Jugend, die ihn das häusliche Glück verachten ließen. Ricardo lehrt ihn die Schäden seiner kostspieligen Liaison mit dem Golde. Mit ihm beklagt er die Unproduktivität des „high price of bullion“. Auf Papier, Banknoten und Wechsel schreibt er jetzt die Absagebriefe an die Geliebte. Allerdings, gewisse Ansprüche sucht er sich zu wahren, und die Currency-Schule fordert vom bescheideneren Papier, es solle sich nach den Gewohnheiten der glänzenderen Vorgängerin richten. Und immer raffinierter werden die Bedürfnisse des älter Gewordenen. Er hat seine Jugend genossen, die kostspielige und anstrengende Leidenschaft ist nicht mehr sein Gefallen; mystische Schauer steigen in ihm auf: nur der Glaube macht selig. John Law verkündet das neue Evangelium: der Blasierte verachtet das Fleisch und nimmt seine Zuflucht zum Geist; nochmals durchlebt er die höchsten Wonnen; da durchschüttelt den lange Entbehrenden plötzlich altes Verlangen; das Vertrauen in die Befriedigung durch den Glauben allein ist plötzlich verschwunden; gierig verlangt es ihn nach Gewißheit, ob seine Kraft noch erhalten. Der Kredit kracht zusammen, und der plötzlich Verlassene kehrt verzweifelnd zu seiner ersten Liebe zurück: zum Golde. Geschüttelt von dem Fieber der Krise ist kein Opfer zu groß, um die Geliebte zu erlangen. Schon glaubt er sich von ihrer Herrschaft befreit, da erlebt er die schrecklichste Enttäuschung und erkennt, von Panik durchschüttelt, schaudernd seine Abhängigkeit. Doch es sind heilsame Krisen. Allmählich lernt er denn den Charakter der Gefürchteten verstehen, von der er doch nicht lassen kann. Das vergebliche Bemühen zu verzichten freilich gibt er auf, und eifersüchtiger als je sucht er sie festzuhalten und namentlich ihre gefährliche Neigung zu Auslandsreisen zu verhindern. Doch immer mehr befestigt sich seine Herrschaft, immer weniger läßt er sich jetzt von der goldenen Fessel einschnüren. Die einst so anspruchsvolle Geliebte lernt sich bescheiden und begnügt sich zuletzt mit der Rolle, in Reserve zu bleiben, wenn den Unverbesserlichen neue Enttäuschung seine Zuflucht zu ihr nehmen läßt. Wenn auch ihre Ansprüche steigen und sie sich manchmal ganz versagt, so dauert es nicht so lange, und der alte Zustand kehrt wieder. Die Alleinherrschaft hat das Gold endgültig verloren ...

Die Geldkrise erscheint nicht als absolute Notwendigkeit der Krise und kann fehlen. Auch während der Krise geht ja der Warenumsatz, wenn auch außerordentlich kontrahiert, fort. In diesem Umfang kann die Zirkulation mit Kreditgeld fortgeführt werden. Es kann dies um so eher der Fall sein, als die Krise nicht alle Produktionszweige gleichzeitig mit gleicher Wucht treffen muß. Die Absatzstockung wird vielmehr gerade erst durch die Komplikation mit der Bank- und Geldkrise aufs Äußerste getrieben. Wird aber der Zirkulation das notwendige Kreditgeld zur Verfügung gestellt, so kann die Geldkrise vermieden werden, indem von einer Bank, deren Kredit unerschüttert geblieben, den Industriellen gegen Sicherheit das Kreditgeld gewährt wird. In der Tat sind Geldkrisen auch vermieden worden, wenn solche Ausdehnung der Zirkulationsmittel möglich war. Die Geldkrisen sind stets nur entstanden, wenn die Banken, deren Kredit unerschüttert gehlieben, verhindert wurden, Kreditgeld zur Verfügung zu stellen. Dies war der Fall in England 1847 und 1857; die beginnende Geldkrise wurde durch Suspension des Bankakts, der die Notenausgabe, also das Kreditgeld, ganz willkürlich auf den Goldschatz + 14 Millionen Pfund reduzierte, beseitigt. In Amerika, wo das Gesetz in noch verrückterer Form die Kreditgeldzirkulation hindert, wenn sie am dringendsten ist, hat die Geldkrise 1907 eine klassische Vollendung erreicht.

Betrachtet man die Vorgänge auf dem nationalen Markt, so erfolgt die Verringerung der Bargeldreserve nicht nur durch den Abfluß in die inländische Zirkulation, sondern auch durch Abfluß nach außen. Wir haben gesehen, daß zum Ausgleich der internationalen Zahlungsbilanz das Gold als Weltgeld fungiert. Es lassen sich nun Tendenzen nachweisen, die dahin gehen, in dem Lande, wo die Hochkonjunktur am stärksten, das Eintreten der Krise also am nächsten ist, die Zahlungsbilanz zu verschlechtern. Die Hochkonjunkturpreise sollizitieren die Wareneinfuhr und treiben den Import weit über sein normales Maß, während die Exporttätigkeit, da die Aufnahmefähigkeit des inländischen Marktes noch immer bedeutend erscheint, nicht in gleichem Umfang wächst, für manche wichtige Exportwaren, Erze, Kohle usw., sich auch absolut stark verringern kann.

Es kommt hinzu, daß in hochentwickelten kapitalistischen Ländern auf der Importseite Naturprodukte, Konsumtionswaren und Rohstoffe überwiegen, auf der Exportseite industrielle Fabrikate. Die ersteren sind aber in viel höherem Maße Gegenstand der Spekulation. Dies bewirkt schon, von allem anderen abgesehen, die viel größere Rolle, die hier der Handel und damit die Unübersichtlichkeit des Marktes spielt. Daher ist Überimport in relativ viel höherem Maße und größerem Umfang möglich als Überexport. Die Handelsbilanz, also der wichtigste Teil der Zahlungsbilanz, verschlechtert sich und verlangt eine größere Goldmenge zu ihrem Ausgleich.

Anders gestalten sich die Vorgänge auf dem Geldmarkt. Einmal sind die Zinssätze in dem Lande, wo die Hochkonjunktur am stärksten, auch am höchsten. Es werden also viele ausländische Gelder dauernd oder vorübergehend dort angelegt. Sodann ist die Effekten- und auch die Warenspekulation, soweit es sich um börsenmäßige Spekulation handelt, in höchster Blüte und zieht auch aus dem Ausland Spekulanten heran, es werden also auch zu diesem Zwecke, zum Ankauf von Effekten, große Geldsummen in das Land fließen. Die konkrete Gestaltung der Zahlungsbilanz wird jeweils von den Kreditverhältnissen im internationalen Handelsverkehr abhängen. England, dessen Krisen stets starker Goldausgang voranzugehen pflegt, gibt verhältnismäßig viel Kredit für die Bezahlung der von ihm exportierten Waren und nimmt selbst wenig Kredit in Anspruch für die importierten Waren. Das Mißverhältnis, das, wie wir gesehen haben, in der Handelsbilanz aufzutreten die Tendenz hat, wird dadurch noch vergrößert.

Die Verschlechterung der Handelsbilanz kann für sich allein schon genügen, um Goldausgang hervorzurufen, und jede Verminderung der Goldreserve in dem Moment der Hochspannung des Kredits wirkt alarmierend, steigert den Zinsfuß noch weiter, erschüttert das Vertrauen, schränkt vor allem die Spekulation ein und kann damit den Anstoß zur Börsenkrise geben. Die Wirkung der Verschlechterung der Handelsbilanz kann noch verstärkt werden durch Verschiebung der Zahlungsbilanz. Die Hochkonjunktur ist internationale Erscheinung, wenn sie auch in den verschiedenen Ländern verschiedene Grade und Schattierungen in ihrer Intensität und zeitliche Unterschiede in ihrem Ablauf aufweist. Gesetzt, die Hochkonjunktur habe in den Vereinigten Staaten zuerst eingesetzt und dort ihren höchsten Gipfel erreicht, während in England die Konjunktur erst ihrem Höhepunkt sich nähere. Die höheren Zinssätze und die stärkere Spekulation haben viel englisches Kapital nach Amerika gezogen. Jetzt machen sich aber auch in England immer gebieterischer die Ansprüche an den Geldmarkt geltend, erreichen auch hier Zins und Spekulation eine hohe Stufe. Es werden daher jetzt Gelder, die bisher im amerikanischen Geldmarkt angelegt waren, zurückgezogen und in England angelegt, gerade in einem Moment, wo auch die Handelsbilanz Amerikas sich verschlechtert hat. So verstärkt sich der Goldabfluß und führt in Amerika zur Einschränkung des Kredits und damit zur Auslösung der Börsenkrisis. Die Börsenkrise selbst, die der Handelskrise vorausgeht, verschlechert die Verhältnisse der Zahlungsbilanz zunächst noch weiter. Die ausländischen Gelder, die in der Spekulation angelegt waren, werden sofort zurückgezogen, natürlich jene, die zurückgezogen werden können, das heißt diejenigen, die nicht in den Effekten festgelegt sind, sondern im Report- und Lombardgeschäft ihre Verwendung fanden. Zu Beginn der Krise suchen sich auswärtige Spekulanten auch der sinkenden Papiere zu entledigen, und zu diesen Verkäufen kommen die Zwangsverkäufe derjenigen, deren Haussespekulation jetzt zusammenbricht. Soweit das Ausland daran beteiligt ist, verschlechtert der Verkauf der Effekten die Zahlungsbilanz.

Gleichzeitig aber kommen andere Faktoren ins Spiel, die eine Wendung bringen können. Die Börsenkrise und die vielleicht sich anschließende Bankkrise bedeuten eine starke Erschütterung des Kredits. Der Zinsfuß steigt zu außerordentlicher Höhe und bewirkt die Anlage auswärtigen Geldkapitals. Die Entwertung der Effekten läßt sie den ausländischen Kapitalisten preiswert erscheinen, und der starke Effektenexport verbessert gleichfalls die Zahlungsbilanz. Zugleich bessert sich die Handelsbilanz; die Erschütterung des Kredits setzt der Warenspekulation ein Ende, bald zeigt es sich, daß der inländische Markt überfüllt ist, die Preise fallen, die Handelskrise setzt ein, der Import stockt, während der Export – solange es die Situation der Auslandsmärkte, wo die Krise noch nicht eingesetzt hat, gestattet – forciert wird, um Zahlungsmittel zu erhalten. [2] Die Bankrotte beginnen. Soweit aber die Bankrotte diejenigen treffen, die für importierte Waren Zahlungen an ausländische Industrielle zu machen haben, wird durch solche Zahlungen durch den Bankrott ein Strich gemacht und soweit die nationale Zahlungsbilanz verbessert. [3] So hört die Ausfuhr von Gold je nach den konkreten Umständen kürzer oder länger vor Ausbruch der Krise auf, um während der Krise und nachher einem Goldzufluß Platz zu machen. Der Wechsel von Goldausfuhr und Goldeinfuhr bedeutet so in dieser Periode der Krise zugleich den Wechsel des Schauplatzes, den die Krise für ihre Wirksamkeit wählt.

Ein stärkerer Goldabfluß wird stets eine Wirkung auf den Zinsfuß haben in einem Moment, wo infolge bereits sich ausbildender Disproportionalitätsverhältnisse der Zirkulationskredit nicht mehr in gleichem Umfang mit den Zirkulationsbedürfnissen ausdehnbar ist. Aber die konkrete Wirkung wird sehr beeinflußt durch die Bankgesetzgebung. Das Wesen einer falschen Bankgesetzgebung ist, daß sie die Ausdehnung des Zirkulationskredits gewaltsam einschränkt und nicht ihre aus den ökonomischen Gesetzen sich ergebende rationelle Grenze erreichen läßt. Sie tut dies, indem sie den Zirkulationskredit gewaltsam in irgendein Verhältnis zu Wertgrößen setzt, mit denen er in Wirklichkeit seiner ökonomischen Natur nach nicht das geringste zu tun hat. Wir wissen, daß die Banknote nichts anderes ist als die umgewandelte Form des Wechsels und dieser nichts als eine Geldform des Warenwerts. Setzt man nun die Banknote in ein Verhältnis nicht zu den Wechseln, also in letzter Instanz zu den in Zirkulation befindlichen Warenwerten, was durch die sogenannte bankmäßige Bedeckung der Noten, solange sie streng durchgeführt wird, geschieht, sondern zum Metallschatz wie in England oder gar zu Staatsschuldenobligationen wie in den Vereinigten Staaten, wo die Verrücktheit ihren Gipfelpunkt erklommen hat und Schulden als größte Sicherheit für Kreditgewährung gelten – eine Verrücktheit, die aus der verrückten Form des fiktiven Kapitals erklärlich ist –, so schafft man künstlich Beschränkungen im Angebot von Leihkapital, die natürlich sofort auf den Zinsfuß wirken müssen. In England, wo die Notenmenge gesetzlich fixiert ist und daher der Bedarf der Zirkulation nur durch Metallgeld befriedigt werden kann (denn jede Note über 14 Millionen Pfund [4] hinaus ist nur Repräsentant des Goldes in den Kellern der Bank, ist also ökonomisch wirkliches Gold), muß daher jeder stärkere Goldabfluß unmittelbar eine Gefahr für die Zirkulation werden. Die Bank kann im selben Maße, als das Gold abfließt – zum Beispiel zur Ausgleichung einer vermehrten Getreideeinfuhr infolge Mißernte in England –, nicht mehr dieselbe Menge Wechsel in ihre Noten verwandeln, obwohl die Verhältnisse noch völlig gesund sein mögen und der Kredit unerschüttert ist. Sie muß daher bei jedem Goldabfluß, mag sie auch sicher sein, daß er nur temporär bleibt, sofort zum Schutz ihres Goldschatzes den Zinsfuß erhöhen und so den Kredit verteuern, eine Maßregel nebenbei, die auf Kosten des Unternehmergewinns den Gewinn des Leihkapitals, also auch ihren eigenen, steigert. Zweitens aber wird die Konvertibilität der Wechsel in Banknoten, also in gesetzliches, und wäre dies auch nicht der Fall, doch allgemein anerkanntes Zahlungsmittel zweifelhaft. Die Zirkulation von Kreditgeld, die die gewachsene Zirkulation erfordert, wird so gewaltsam gehemmt, obwohl in dem Stand der Produktion nicht die geringste Veranlassung dazu gegeben ist, und so künstlich unter Umständen eine völlige Unterbrechung der Zirkulation des Kreditgeldes mit ihren Folgen der Geld- und Bankkrise erzeugt, einer falschen Theorie zuliebe, deren Umsetzung in die Praxis dem Leihkapital allerdings nicht nur theoretische Vorteile bringt.

Noch toller sind die Verhältnisse in Amerika, wo die Ausdehnung der Notenzirkulation nur möglich ist durch Ausdehnung des Ankaufes von Staatsschulden durch die Banken. Da deren Menge begrenzt ist, so führt die gesteigerte Nachfrage sofort zu außerordentlichen Kurssteigerungen, die den Banken selbst bei hohem Zins die Ausgabe von Banknoten unprofitabel erscheinen lassen. Zudem bewirkt das Unterlassen des Ankaufes und damit der Ausdehnung der Notenzirkulation exorbitante Zinssteigerungen, welche den Banken und Bankkapitalisten nicht nur außerordentliche Gewinne gewähren, sondern sie überhaupt zu Herren des Geldmarktes machen und ihnen die Diktatur geben nicht nur über die Spekulation und die Börse, sondern durch Vermittlung des Aktienwesens und der Kreditgewährung auch über die Produktion. Es ist dies auch einer der Gründe, warum die amerikanischen Börsen für die Konzentration des Eigentums in der Hand einiger Geldkapitalisten so ungeheure Bedeutung gewonnen haben. Bliebe diese Bankgesetzgebung erhalten, so würde für die Vereinigten Staaten die Tilgung ihrer Staatsschuld geradezu die Zerstörung ihrer Notenzirkulation bedeuten, ein Wahnwitz, der aber zugleich Methode hat – eine ausgezeichnete Methode zum Geldmachen für das Leihkapital – und deshalb auch allen Heilungsversuchen erfolgreich trotzt.

Die Einschränkungen der Bankgesetzgebung sind nur deshalb in einem gewissen Grade erträglich geworden, weil – mit durch sie verursacht – die Notenzirkulation gerade in England und Amerika, wo die Einschränkungen am stärksten und schädlichsten, durch Ausbildung anderer Arten der Kreditgeldzirkulation eingeschränkt, die gesetzlichen Bestimmungen also etwas weniger fühlbar gemacht wurden. Dazu gehört die Ausbildung des Clearing- und des Scheckverkehrs. Der Clearingverkehr bewirkt die direkte Kompensation der Wechsel, die in dem Umfang, in dem sie sich kompensieren, ihre Geldfunktion erfüllen, also nicht erst der Verwandlung in die Banknote bedürfen. Dasselbe leistet der Scheck. Der Scheck lautet auf das eigene Depositum. Aber dieses Depositum existiert nicht in Wirklichkeit, da die Bank es ausgeliehen hat. Zahle ich mit Scheck auf dieses nicht existierende Depositum, so ist es dasselbe, als zahlte ich mit einer Banknote, die ebenfalls keine Metalldeckung hat, sondern ebenso wie die ausgeliehenen Depositen nur bankmäßige Sicherheiten als Unterlage hat. Ökonomisch ist es der gleiche Inhalt, wenn auch die Form, die die Bankgesetzgeber zum Glück allein sehen, noch, so verschieden erscheint. In England kommt zu diesen Ersparungsmitteln der Notenzirkulation – und eben der Umstand, daß die einen Formen des Kreditgeldes für die anderen eintreten können, beweist ihre Wesensgleichheit – noch die Gewißheit, daß das famose Bankgesetz, in dem Augenblick, wo die Gefahr droht, es könnte Wirksamkeit erlangen, sofort suspendiert würde.

Die Wirkungen der Notengesetzgebung können auch die Tendenzen, die in den Veränderungen der Zahlungsbilanz während der Krise zum Ausdruck kommen, abschwächen, unter Umständen ganz auflieben. Wir haben gesehen, daß die Zahlungsbilanzveränderungen sich stets abspielen auf einer Grundlage, die durch die Gestaltung der Handelsbilanz gegeben ist. Diese selbst ist abhängig einmal von natürlichen Produktionsverhältnissen, dann vom Stand und Alter der ökonomischen Entwicklung. Ein Land mit alter ökonomischer Entwicklung, mit außerordentlich starker, rein industrieller Enthaltung, überwiegendem Export von Produktionsmitteln und geringerer Rohstoffproduktion wird eine passive Handelsbilanz aufweisen. England konnte seinen Export von Produktionsmitteln nur dann so stark entwickeln, wenn es – das erste Land entwickelter kapitalistischer Produktion – seine Produktionsmittel nicht nur als Waren, sondern als Kapital exportierte, das heißt, die Produktionsmittel nicht ans Ausland verkaufte, sondern sie als eigene Kapitalsanlage ins Ausland schickte; so zum Beispiel, wenn England Südamerika eine Eisenbahnanleihe bewilligte und die Südamerikaner den Erlös der Anleihe zum Ankauf von Maschinen, Lokomotiven usw. aus England verbrauchten. Ein solcher Export, der zugleich Kapitalexport ist, wird unabhängig von dem gleichzeitigen Warenimport. Handelte es sich um einfachen Warenexport, so könnte auf die Dauer zum Beispiel Südamerika nur Produktionsmittel aus England beziehen, wenn es diese mit eigenen Waren bezahlen könnte, da Südamerika nicht genug Geld angesammelt hat, um etwa aus reinen Metallbeständen die Produktionsmittel in diesem Umfang bezahlen zu können. In der Tat ist ein großer Teil des internationalen Handels solcher Warenaustausch und gleicht sich in diesem Umfang auch aus. Durch den Export der Waren als Kapital wird aber der Export in seinem Umfang unabhängig von der Warenproduktion des noch unentwickelten Landes und findet seine Grenzen nur in dessen kapitalistischer Entwicklungsmöglichkeit einerseits, in der Kapitalakkumulation, dem Überschuß an produktivem Kapital in dem entwickelten Lande anderseits. Dies ist ja gerade der Grund für die Schnelligkeit kapitalistischer Expansion. So steigern die entwickeltsten kapitalistischen Länder einerseits ihre industrielle Produktion und anderseits ihren Export weit über den Import aus den unentwickelten Ländern. Daher die passive Handelsbilanz, der auf der anderen Seite eine aktive Zahlungsbilanz entspricht, da diese Länder ständig Zahlungen, den Profit aus dem exportierten Kapital, zu empfangen haben.

Je nach der konkreten, quantitativen Gestaltung der Handelsund Zahlungsbilanz werden die Tendenzen, die die Goldeinfuhr und -ausfuhr bestimmen, nun ihren Effekt ausüben. Wenn die Vereinigten Staaten keineswegs so regelmäßig wie England während der früheren Krisen Goldabfluß zeigen, so wirken hier wesentlich zwei verschiedene Momente. Einmal jene Hindernisse für die Entwicklung des Zirkulationskredits, die aus der Notengesetzgebung herstammen. Da der Zinsfuß in Amerika dadurch über das europäische Niveau gesteigert wird, weil sein beengter Zirkulationskredit nicht ausreicht, zieht Amerika ständig europäisches Geldkapital an sich, und es hängt ganz von der Stärke der Kreditpressung in Europa ab, ob es gelingt, dieses Geldkapital in Zeiten der Hochkonjunktur wieder nach Europa zurückzuleiten und Goldausfuhr aus Amerika zu erzeugen.

Dann aber kann die Gestaltung der amerikanischen Handelsbilanz modifizierend eingreifen. Amerika ist ein Land mit überwiegendem Rohstoffexport. Gute Ernte vorausgesetzt, wird sich gerade während der Hochkonjunktur die amerikanische Handelsbilanz außerordentlich verbessern, da zum Beispiel die Preise der Baumwolle, des Kupfers, eventuell auch des Getreides steigen werden, und diese Verbesserung der Handesbilanz kann die Tendenzen, die zur Entsendung des Goldabflusses führen, abschwächen oder aufheben oder auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und damit eventuell auch den Eintritt der Krise, für den aber das Eintreten von Goldabfluß keine conditio sine qua non bedeutet.

Es sei in diesem Zusammenhang noch betont, daß die Macht der Nationalbanken, sich gegen Goldabfluß zu schützen, ganz verschieden ist, je nach den Gründen, aus denen das Gold für Exportzwecke gefordert wird. Herrscht zum Beispiel in Berlin ein Bankdiskont von 5 Prozent, in Paris ein solcher von 3 Prozent, so werden französische Bankhäuser darin ein Motiv finden, Geld von Frankreich nach Deutschland zu übertragen, um den höheren Zinsfuß auszunützen. Dasselbe kann der Fall sein, wenn zum Beispiel in Berlin eine lebhaftere Börsenspekulation herrscht, an der sich französische Häuser beteiligen wollen. Solche Goldübertragungen entspringen nicht aus zwingender ökonomischer Notwendigkeit, sondern es handelt sich dabei um gewissermaßen willkürliche Bewegungen des Geldkapitals. An sich könnten diese Kapitalien auch in Frankreich bleiben, wenn sie mit einer geringeren Zinsrate oder geringerem Börsengewinn zufrieden wären. Diese Goldbewegungen können daher durch geeignete bankpolitische Maßnahmen auch verhindert werden. Das Nächstliegende ist, diese Geldsummen dadurch im Lande zu behalten, daß man ihnen höheren Zins gewährt, also den Bankdiskont hinaufsetzt. Zugleich bewirkt dies eine Ausgleichung der Zinssätze. Die Bank kann aber auch solche Goldentnahmen direkt verhindern, wenn sie die Einlösung in Gold verweigern kann. Die österreichisch-ungarische Bank, deren Barzahlung suspendiert ist, hat dazu das gesetzliche liecht; die Bank von Frankreich, die auch in Silber zahlen kann, kann ebenfalls die Goldzahlung verweigern, eventuell auch in der Form, daß sie von ihrer Berechtigung, eine Goldprämie zu berechnen, Gebrauch macht [5] und durch diese Verteuerung den Vorteil aus der Zinsdifferenz aufhebt und damit das Motiv zur Goldausfuhr beseitigt. Der Bank von England und der Deutschen Reichsbank stehen keine solchen direkten Mittel zur Verfügung, doch sucht wenigstens die letztere durch indirekten Druck auf die Goldexporteure bei angespannten Geldverhältnissen den Goldexport einzuschränken, eine Politik, die, wenn sie auf diese Fälle der Goldausfuhr beschränkt bleibt, übrigens für die nationale Volkswirtschaft durchaus rationell ist. Zugleich ist diese tatsächliche Beschränkung der Freizügigkeit des Geldkapitals respektive des Goldabflusses eine der Ursachen, die die internationale Ausgleichung der nationalen Zinssätze auf dasselbe Niveau verhindern.

Ganz anders aber, wenn Goldnachfrage zum Beispiel bei der Deutschen Reichsbank entsteht, weil Deutsche in England Waren oder Effekten zu bezahlen haben. Die Deutschen werden zunächst Sterlingwechsel auf der Berliner Börse kaufen; übersteigt aber der Wechselkurs die Parität, so werden sie mit Gold zahlen wollen. Verweigert die Reichsbank dann die Hergabe von Gold, so würden sich die deutschen Schuldner, die ja zahlen müssen, wollen sie nicht bankrott erklärt werden, aufs neue Sterlingwechsel verschaffen müssen; ihre Nachfrage würde den Wechselkurs über die Parität steigern, was eine Entwertung der deutschen Valuta bedeutete, die zu verhindern oberste Aufgabe der Bankpolitik ist.

Es kann also Goldabfluß, der aus bloßen Finanztransaktionen entspringt, verhindert werden; diese Finanztransaktionen müssen dann eben unterbleiben; dagegen ist es nicht möglich, Goldabfluß zu verhindern, der zur Begleichung von bereits eingegangenen effektiven Verpflichtungen aus dem Waren- oder Effektenverkehr nötig ist, ohne die Valuta zu entwerten.


Anmerkungen

1. Wir betrachten hier natürlich nur die Börsenkrise, die als ein Moment in der allgemeinen Handelskrise auftritt. Börsen- und Spekulationskrisen können auch isoliert stattfinden; so entsteht oft eine Börsenkrise in den ersten Anfängen der industriellen Prosperität, wenn die Spekulation den beginnenden Aufschwung vorzeitig eskomptiert. Dies war zum Beispiel 1895 in Wien der Fall.

2. So wurde während der letzten amerikanischen Geldkrise der Export von Baumwolle und Getreide nach Europa mit allen Kräften forciert, um Gold aus Europa ziehen zu können.

3. Was natürlich eine alte Erfahrung ist. Ein ungenannter „Continental Merchant“ sagte das schon den Mitgliedern des berühmten Bullion-Committee(1810): „In fact, I only know of two means to liquidate an unfavourable balance of trade, it is either by Bullion or bankruptcy.“ (Ich kenne in der Tat nur zwei Mittel, durch die eine ungünstige Handelsbilanz beglichen werden kann, entweder durch Goldsendung oder durch Bankrott.) (Report, S. 101)

4. Dies zur Zeit Peels; heute kann der Betrag der ungedeckten Noten zirka 18½ Millionen betragen.

5. „Die Bank von Frankreich berechnet sehr oft bei Geldentnahme eine Prämie, die bei starker Nachfrage für das Ausland bis zu 8, ja bis zu 10 Promille hinaufgesetzt wird, und da das Ausland nur Gold gebrauchen kann, so muß der Diskonteur diesen Betrag dem heimischen Diskont hinzurechnen. Im allgemeinen kann man sicher sein, daß bei hohen Auslandsdiskonten und erheblich tieferem Pariser Stand die Goldprämie zur Anwendung gelangt. Sie verteuert in der Höhe von 5 Promille bei einem Dreimonatwechsel den Zins um 2 Prozent im Jahre.“ Sartorius, S. 263.


Zuletzt aktualisiert am 27. September 2016