Karl Kautsky

Die Vorläufer des neueren Sozialismus

Erster Band, erster Theil


Zweiter Abschnitt
Die Lohnarbeiter im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation

Viertes Kapitel
Kapital und Arbeit in der Weberei


Noch weniger als Handwerksgesellen und Bergarbeiter waren natürlich die unorganisirten Proletariermassen im Stande, eine wirklich revolutionäre Politik zu entwickeln und zäh und konsequent zu verfolgen. Sie fühlten sich nicht als neue, aufstrebende Klasse, sondern als Zersetzungsprodukte herabkommender Klassen. Mit diesen verbanden sie ihre Sympathien, vor Allem mit den Bauern, in deren Gefolge wir sie häufig finden. Sie blieben unfähig, sich eigene Ziele zu stellen, zu schwach, ein Ziel auf eigene Faust zu verfolgen, zusammenhanglos mißhandelt, eingeschüchtert wie sie waren. Wohl beseelte sie eine tiefe Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, aber wir können darauf blos schließen als der Bereitwilligkeit, mit welcher sie sich jeder revolutionären Erhebung anschlossen. Sie waren stets bereit, gemeinsame Sache mit den Bauern zu machen, denen sie so nahe standen, sobald diese sich empörten; auch an einer kommunistischen Bewegung nahmen sie Theil, wenn diese gerade irgendwo obenauf gelangte. Aber die Initiative zu einer solchen, überhaupt nur die Idee einer gesellschaftlichen Umgestaltung, konnte von ihnen noch nicht ausgehen.

Weder die Bergarbeiter, noch die Handwerksgesellen noch die unorganisirten städtischen Proletarier waren berufen, die Träger der Anfänge der kommunistischen Arbeiterbewegung zu sein. Nur eine Arbeiterschicht gab es, welche die Verhältnisse nicht nur für kommunistische Tendenzen empfänglich machten , sondern der sie gleichzeitig die nöthige geistige Anregung gaben, aus diesen Tendenzen ein neues Gesellschaftsideal herausarbeiten, der sie aber auch die nöthige Energie verliehen, an diesem Ideal festzuhalten in Zeiten, in denen seine Erreichung völlig aussichtslos erschien. Diese Arbeiter waren die der Textilindustrie, namentlich die Wollenweber.

Natürlich ist das Gesagte cum grano salis zu verstehen. Wenn man heute behauptet, und zwar mit Recht, daß das industrielle Proletariat der Träger der sozialdemokratischen Bewegung sei, so ist damit nicht gemeint, daß nicht auch Mitglieder anderer Klassen, Kleinbürger, Literaten, Fabrikanten &c. all ihr theilnehmen und oft sehr energisch theilnehmen können. Mauche derselben können sogar in den Vordergrund der Bewegung treten. Es ist damit aber auch nicht gemeint, daß jeder industrielle Proletarier Sozialdemokrat sei.

Mit einer ähnlichen Einschränkung ist auch der Satz aufzufassen, daß die Arbeiter der Textilindustrie die Träger der Anfänge der kommunistischen Arbeiterbewegung waren. Wir werden noch andere Elemente in ihr thätig sehen; auch wäre es absurd, behaupten zu wollen, jeder Weber sei Kommunist gewesen. Aber soweit wir diese Bewegung zurückverfolgen können und soweit wir zuverlässige Nachrichten über sie haben, finden wir stets Weber in hervorragendem Maße in ihr thätig, an ihr betheiligt, was doch kaum Zufall sein dürfte.

Unseres Erachtens erklärt sich diese Erscheinung ohne große Schwierigkeit, wenn man die Anfänge der Wollenindustrie betrachtet.

Von den anderen Textilindustrien, der Leinen-, Baumwoll- und Seidenindustrie, sehen wir hier ab, weil sie an internationaler Bedeutung im Mittelalter sich mit der Wollenindustrie nicht messen können. Wo die Leinen- und Barchentweberei zu Exportindustrien wurden, wie in Ulm und Augsburg, zeigten sich im Wesentlichen dieselben kapitalistischen Eigenthümlichkeiten wie die Wollenindustrie. Ebenso die italienische Seidenindustrie. [1]

„Unter allen Gewerben Deutschlands nimmt die Wollenmanufaktur von jeher den ersten Rang ein. Durch sie wurde im Mittelalter die Krach und Blüthe des deutschen Bürgerthums bedingt. Auf der Einfuhr der ihr nöthigen Rohstoffe und der Ausfuhr ihrer Fabrikate ruhte die Seemacht der Hansa und der ehemalige deutsche Welthandel. Dem durch sie verbreiteten Wohlstand verdankt das deutsche Reich in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters zum Theil seine Macht und seine Weltstellung ... Die Entwickelungsgeschichte der deutschen Wollenindustrie umfaßt deshalb mehr als die Entwickelung eines vereinzelten Zweiges des Gewerbefleißes; sie ist zugleich eine Geschichte der wirthschaftlichen Kultur Deutschlands. Ja, es spiegelt sich in ihr der Gang unseres nationalen Lebens ab.“

Mit diesen Worten beginnt eine Abhandlung Hildebrand’s Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie. [2] Mit einer gewissen Einschränkung ist das da Gesagte kaum übertrieben; der Einschränkung nämlich, daß Deutschlands Stellung im Welthandel nicht allein durch seine Wollenindustrie, sondern auch durch seinen Bergbau bedingt wurde, der zeitweise, zumal im Beginn des 16. Jahrhunderts, das wirthschaflliche Leben Deutschlands noch stärker beeinflußte als die Wollenindustrie.

Thatsache ist, daß diese die erste Exportindustrie Deutschlands, ja der Länder der abendländischen Christenheit überhaupt, bildete.

Neben Leder und Fellen diente im Mittelalter Leinewand zur Bekleidung. Wollstoffe waren ein Luxus den anfangs nur die Vornehmsten sich erlauben konnten. Die Leinweberei war urwüchsige Familienindustrie. Die Frauen in der Familie und im Fronhof stellten die für den Selbstgebrauch nöthige Leinwand her. Die Wollenverarbeitung mußte dagegen, sobald sie sich nur einigermaßen entwickelt hatte, aufhören, Familienindustrie zu sein, denn sie erfordert größere Anlagen, Färbehäuser, Walkmühlen, Scheergaden u. s. w. Diese zu errichten, waren nur größere Organisationen im Stande, Klöster, städtische Gemeinden oder Zünfte.

Die ersten männlichen Weber finden wir in den Klöstern. es wohl auch, die zur Verbreitung der Wollenweberei in Deutschland am meisten beitrugen, wie denn die Klöster in den Anfängen des Mittelalters überhaupt die Träger des technischen Fortschritts in Industrie und Landwirthschaft gewesen sind. Nichts ist falscher als die „aufgeklärte“ Anschauung, die Mönche hätten ihre Herrschaft durch Beten und Evangelienabschreiben errungen.

Im Kloster zu Konstanz werden schon im 9. Jahrhundert Walker und Schneider erwähnt. Die Mönche lehrten die Umwohner des Bodensees Wolle weben und sich in Wollentuche kleiden. [3] Im 11. Jahrhundert wird die Weberei in den Statuten und Regeln der Kloster noch nicht besonders hervorgehoben. Aber im 12. Jahrhundert hat sie für die Klöster schon eine solche Bedeutung erlangt, daß in den Klosterregeln dieses Jahrhunderts der Wollhandel, die Behandlung der Wollvorräthe und das Weben selbst als regelmäßige Beschäftigungen der Klosterbrüder hervortreten, „so vor Allem in den Beschlüssen und Regeln des Zisterzienserordens, die dem 12. Jahrhundert angehören.“ (Schmoller, Die Straßburger Tücher- und Weberzunft, S. 301.) Die Zisterzienser machten in der That die Tuchfabrikation zu ihrer Spezialität.

„Im Beginn des 12. Jahrhunderts in den westlichen Grenzlanden des deutschen Reichs, den Sitzen ausgebreiteter und berühmter Tuchindustrie gegründet, dehnt sich dieser Orden rasch nach Osten aus. Wir finden in Zisterzienserklöstern in Brabant, in Thüringen (in Altenzelle), in Schlesien die Tuchmacherei für den Verkauf, und da sie auch Laien zu Lehrlingen und Gesellen nahmen, kann es nicht gefehlt haben, daß manche Vortheile der Brabanter Weber auch in dem inneren Deutschland bekannt wurden.“ [4]

Außer in den Klöstern entwickelte sich aber rasch auch in den Städten die handwerksmäßige Wollenweberei, zuerst in den Niederlanden, wo sie schon im 10. Jahrhundert anfzublühen begonnen hatte.

Die neue Industrie war eine Luxusindustrie. Wollene Stoffe blieben lange nur den vornehmeren und reicheren Bevölkerungsklassen zugänglich; als im 15. Jahrhundert auch bei Handwerkern und Bauern eine Nachfrage nach Wollstoffen entstand, galt dies als Zeichen des großen Luxus, der in den unteren Ständen sich breit mache.

Feine Tuche waren hochbezahlte Luxusartikel. Als solche lohnten sie weiten Transport, konnten also Gegenstand des Exports werden. Der Markt dafür war ganz Europa. Kein Wunder, daß, wo die nöthigen Vorbedingungen zusammentrafen, wo besonders guter Rohstoff in Massen sich vorfand und gleichzeitig die Technik die nöthige Höhe erreichte, die Tuchindustrie sich leicht zur Exportindustrie entwickelte.

Zuerst war dies der Fall in Flandern. Flandrische Tücher waren schon im 13. Jahrhundert in ganz Europa berühmt. [5]

In vielen Städten blieb die Wollenindustrie ein Handwerk, das nur für den lokalen Markt arbeitete, wie die anderen Handwerke in der Regel auch. Aber auch dort gerieth sie in Abhängigkeit vom Weltmarkt, denn der innere Markt wurde ihr streitig gemacht durch die auswärtige Konkurrenz, und wurde dadurch ein Stückchen Weltmarkt. Dieser wurde daher für die Wollenindustrie auch dort maßgebend, wo es ihr nicht gelang, ihren lokalen Charakter abzustreifen und zur Exportindustrie zu werden. Damit geriethen die Tuchproduzenten jener Gegenden aber in Gegensatz zu den Kaufleuten, die Tücher importirten und ihnen so Konkurrenz machten. Es war dies nicht die herkömmliche Feindschaft der Masse der Bevölkerung als Konsumenten gegen die Kaufleute, sondern ein ganz besonderer Gegensatz zwischen Produzenten und Händlern. Während die Masse der Bevölkerung den Kaufleuten um so feindlicher gesinnt ward, je höher diese ihre Preise ansetzten, wuchs der Ingrimm der Wollenarbeiter umsomehr, je billiger die Kaufleute ihre Waaren, die fremden Tücher, auf den Markt brachten.

Es entwickelte sich aber noch ein anderer Gegensatz der Wollenarbeiter gegen die Kaufleute: neben dem zwischen zwei Konkurrenten entstand der Gegensatz des Ausgebeuteten zu dem Ausbeuter. Wo die Wollenindustrie Exportindustrie wurde, ward ein Kapital nothwendig, sie zu betreiben. Man verkaufte ja nicht mehr direkt au den Käufer. Die Waare mußte weite Reisen machen, mitunter von Markt zu Markt wandern, ehe sie losgeschlagen wurde; in der Zwischenzeit hatte sie manche Gefahr zu bestehen. Es dauerte lange, bis der Erlös für die Waare heimkam. Wo die Wollenindustrie Exportindustrie wurde, mußte man aber auch bald anfangen, den Rohstoff, die Wolle, von weiter her zu beziehen. Die nächste Umgebung reichte nicht ans, den steigenden Bedarf an Wolle zu befriedigen. Und je mehr die Industrie sich entwickelte, je mehr die Konkurrenz wuchs, je größer die Ansprüche an die Feinheit und Güte des Tuches wuchsen, desto sorgfältiger wurde man in der Auswahl des Rohstoffes. Nur wenige Gegenden erzeugten genügend gute Wolle. Die beste kam, wie schon bemerkt, aus England. Die Rohstoffe wurden immer theurer, je fernerher sie bezogen wurden, und immer größere Vorräthe von ihnen mußte man anlegen. Das im Rohstoff anzulegende Kapital wuchs, und dessen Umschlag verlangsamte sich in demselben Maße, in dem der Export sich ausdehnte. Entweder mußte also der Tuchproduzent selbst ein Kapitalist werden oder er wurde abhängig vom Kaufmann, der ihm die nöthigen Vorschüsse machte. In beiden Richtungen ist die Entwickelung vor sich gegangen. Der Wollenarbeiter wurde entweder zum Hausindustriellen im modernen Sinne herabgedrückt, zu einem Hausarbeiter mit einem Gesellen oder ohne einen solchen, der das Rohmaterial vom Kaufmann erhielt und an diesen sein Arbeitsprodukt wieder gegen entsprechende Löhnung ablieferte, oder der Tuchproduzent wurde Kapitalist, der eine größere Anzahl Gesellen beschäftigte und nicht nur die Produktion, sondern auch den Handel in die Hand nahm. Nicht immer war es der Webermeister, dem es gelang, sich zu dieser Stellung emporzuschwingen; oft ein anderer Handwerker, der an der Herstellung des Tuches mitwirkte. Die Wolle hatte die verschiedensten Prozesse durchzumachen, ehe das Tuch fertig war, Prozesse, die sich immer mehr verselbständigten und verschiedenen Handwerken zufielen. In Straßburg z. B. trennten sich im 14. Jahrhundert zuerst die Wollschläger von den Webern; sie hatten die Wolle zu reinigen, herzurichten und zu verspinnen. Das Garn kam dann zum Weber. Vom Webstuhl gelangte das Tuch in die Walke; auch die Walkerei wurde im 14. Jahrhundert ein eigenes Gewerbe. Ebenso das Handwerk der Tuchscheerer, die das Tuch nach der Walke zu bearbeiten hatten. Am spätesten löste sich die Wollenfärberei von der Weberei los. Erst in der zweitem Hälfte des 15. Jahrhunderts beginnt die Färberei als selbständiges Gewerbe aufzutreten und bis ins 16. Jahrhundert hinein färbten viele Tuchmacher ihre Tücher selbst.

Jedes dieser Gewerbe war technisch von den anderen abhängig, jedes suchte die anderen auch in ökonomische Abhängigkeit von sich zu bringen. Namentlich zwischen den Wollschlägern und Webern entspann sich ein lebhaftes Ringen. Hie und da, z. B. in Schlesien, gelang es den Webern, die Wollschläger von sich abhängig zu machen, meistens aber waren es diese, die die Weber zu ihren Knechten machten. Aus den Wollschlägern entwickelte sich eine Aristokratie von Wollhändlern, die die Wolle bei ärmeren Meistern des eigenen Gewerbes oder durch Knechte im Hause herrichten und verspinnen ließen, um sie dann auch durch Knechte oder durch selbständige Hausindustrielle verweben zu lassen. Bereits zeigen sich Anfänge des Manufaktursystems, am ersten ausgebildet in den Klöstern, die alle zur Herstellung des Tuches nothwendigen Theilarbeiten in einem Hanse vereinigten. Aber auch im Handwerk finden wir seit dem 15. Jahrhundert hie und da, daß die Tucher neben Wollschlägerknechten auch Weberknechte in ihren Häusern arbeiten ließen; wir finden ferner eine weitgehende Arbeitstheilung in dar Weberei in der Weise, daß jeder Wollenweber eine Spezialität webte; die Wollenweberei zerfiel in fünf bis sechs Unterabtheilungen; eine andere Arbeitstheilung trat in der Wollschlägerei ein, deren verschiedene aufeinander folgende Verrichtungen verschiedenen Arbeitern zugewiesen wurden, infolgedessen Aufhören des zünftigen Wollschlägergewerbes, Zutheilung der verschiedenen Verrichtungen desselben an unzünftige, zum Theil auch ungelernte Lohnarbeiter, an Landleute, Frauen und Kinder. Dem kapitalistischen Charakter der Tuchindustrie entspricht es auch, daß sie den Stücklohn frühzeitig entwickelte. [6]

Die Weberknechte durften sich oft auch verheirathen, ungleich den meisten anderen Handwerksgesellen, aber gleich den modernen Proletariern.·Der Knecht gehörte in diesem Fall nicht mehr zur Familie des Meisters.

Die Wollenindustrie ist auch diejenige städtische Industrie, in der der technische Fortschritt am raschesten vor sich ging. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß sie frühzeitig einen verhältnißmäßig großen technischen Apparat erforderte.Dieser Apparat gestaltete sich um so umfangreicher, je mehr die Arbeitstheilung sich entwickelte, die durch die Produktion für den Export, die Massenproduktion, sehr gefördert wurde.

Zunächst mußte die rohe Wolle gereinigt werden. Dazu war eine Wollküche erforderlich. Dort wurde sie durch die Wollschläger gereinigt und gelockert. Hierauf mußte sie zum Verspinnen in gleichmäßige Flocken vertheilt werden. Das geschah meist durch ein selbständiges Handwerk, die Wollkämmer, oder durch Frauen. Mitunter verrichtete man es in eigenen Häusern, den Kämmhäusern.

Vom Wollkämmer kam die Wolle zum Spinner. Das Spinnen wurde entweder durch eine eigene Zunft besorgt, oder durch das Gesinde der Weber, oder durch Außerzünftige, namentlich Frauen. Das Spinnrad war im 16. Jahrhundert bereits völlig eingebürgert.

Vom Spinner kam das Garn zum Weber, der es auf dem Webstuhl verarbeitete, von diesem zum Walker in die Walkmühle. Diese waren im Mittelalter allgemein. Waren die Tücher ans der Walkmühle gekommen, dann wurden sie auf Rahmen gespannt, um getrocknet zu werden. Dazu waren eigene Plätze erforderlich. Hierauf nahmen die Karder die Tuche in Arbeit, die mit den Kardenbürsten die Fäden auflockerten, worauf die Tuchscheerer die aufgelockerten Fäden abschnitten. Dazu bedurften sie eigener Vorrichtungen, der Scheergaden. Dann kamen die Tuche in den Bleichgarten zur Bleiche oder ins Färbehaus, mitunter auch schon zum Tuchdrucker (im Steuerregister von Augsburg wird 1490 ein solcher verzeichnet).

Endlich finden wir noch Manghäuser für die Tücher erwähnt; es scheint also, daß diese auch geglättet und gepreßt wurden, wie heute die Leinwand. [7]

Ein Theil dieser Apparate war so umfangreich und kostspielig, daß sie der Einzelne garnicht erwerben konnte. Sie waren Besitzthum entweder der Städte oder der Zünfte. Ein kapitalistisches Eigenthum einzelner Unternehmer an den Werkzeugen ihrer Arbeiter entwickelte sich damals noch nicht. Aber bereits begann infolge der fortschreitenden Arbeitstheilung sich der Erfindungsgeist gerade auf dem Gebiete der Wollenindustrie zu regen; die Einführung der erwähnten Apparate bedeutete eine Reihe technischer Revolutionen und den Anstoß zu weiteren technischen Revolutionen, zu ununterbrochenen Verbesserungen und Vervollkommnungen. Das Spinnrad z. B. trat all Ende des 15. Jahrhunderts auf, zunächst als Handrad. 1530 erfand Jürgens von Wattenmül im Braunschweigischen das Tretspinnrad. Die Walkerei wurde ursprünglich blos mit den Füßen betrieben. Die Erfindung der mit Wasser getriebenen Walkmühlen (vielleicht im 12. Jahrhundert) machte der Fußwalkerei allmälig den Garaus. Die letzten Fußwalker finden wir· im 14. Jahrhundert.

Durch jeden dieser Fortschritte wurden Arbeitskräfte überflüssig gemacht. Diese Seite des modernen Industrialismus trat nirgends so früh auf wie bei den Arbeitern der Wollenindustrie.

So nahe dem großindustriellen, kapitalistischen Wesen wie der Bergbau gelangte freilich die Wollenindustrie vor der Reformation nicht. Sie blieb darin hinter diesem zurück. Aber während er in Wildnissen vor sich ging, während die Bergarbeiter isolirt blieben, fern von den Wohnungen anderer Menschen, ohne Zusammenhang mit deren Kämpfen und Bestrebungen, nahm die Wollenindustrie ihren kapitalistischen Charakter am meisten in Städten an, durch die der Weltverkehr fluthete, die den Anregungen der vorgeschrittensten Länder Europas ausgesetzt waren, Italiens, der Niederlande, Frankreichs, Deutschlands. In diesen Städten war die Wollenindustrie dasjenige Gewerbe, das den kapitalistischen Charakter am frühesten und schärfsten entwickelte, wie auch zu Ende des vorigen Jahrhunderts in England die Textilindustrie die industrielle Revolution eröffnen sollte. Die Meister strebten darnach, zu Kaufleuten, zu Kapitalisten zu werden, die ihren Gesellen mehr als die Meister irgend eines städtischen Handwerks als Ausbeuter gegenüberstanden und durch eine tiefere Kluft von ihnen getrennt waren. Wo ihnen das nicht gelang, da wurden sie selbst zu Lohnsklaven der Kaufleute herabgedrückt, zu Hausindustriellen, die ihren Gesellen näher standen als die Meister eines anderen Haudwerks, sich mit diesen solidarisch fühlten gegenüber ihren Ausbeutern. Den Gesellen aber wurde der unzünftige Proletarier als Arbeitsgenosse, als sozial Gleichstehender, immer näher gebracht.

Und während so für die Wollenarbeiter die zünftige Bornirtheit immer gegenstandsloser wurde, erweiterte sich ihr Horizont durch die Bedeutung, die der Weltmarkt für sie gewann. Was für die anderen Bürger blos ein Sonntagsvergnügen war:

„Ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker aufeinander schlagen,“

das war für die an der Wollenindustrie Betheiligten die ernsteste Sache von der Welt. Die Zufuhr ihrer Rohstoffe, der Absatz ihrer Waaren hing davon ab, ob etwa England im Krieg mit Frankreich sei, und wie sich Flandern dabei verhalte, wie die Hansa mit Dänemark stehe, ob die Straße nach Nowgorod offen sei, ob der Kaiser Frieden mit Venedig mache &c. Wer für den Welthandel arbeitet, für den hört die Kirchthurmpolitik auf, aber auch die Sorglosigkeit, die Sicherheit des Handwerkers, der blos für Gevattern und Bekannte arbeitet. Zu den städtischen Kämpfen, an denen die Wollenarbeiter theilnahmen, in denen sie oft die erste Rolle spielten, zu den Zunftkämpfen, welche durch die oben angedeuteten sozialen und technischen Veränderungen entfesselt worden, gesellten sich noch die Rückwirkungen auswärtiger Veränderungen und Handelskrisen, um das Gewerbe nie zur Ruhe kommen zu lassen, es in beständiger Umwälzung zu erhalten. Die Wollenindustrie war das revolutionärste städtische Gewerbe des ausgehenden Mittelalters, und revolutionär waren auch ihre Arbeiter. Für sie bedeutete die Gesellschaft nichts Festes, Unwandelbares; sie konnten am leichtesten auf die Idee kommen, sie zu ändern. Sie empfanden am schroffsten die Ausbeutung, hatten die meisten Gründe zur Feindschaft gegen die Reichen.

Die Wollenindustrie war aber auch unter allen Handwerken das kraftvollste. Jede Stadt bildete damals ein Gemeinwesen für sich, in den wohlhabenden Städten aber, denjenigen, die für den Weltmarkt der abendländischen Industrie arbeiteten – und der erstreckte sich von England bis Nowgorod und Konstantinopel –, war die Wollenindustrie das ökonomisch bedeutendste Gewerbe. Von ihr, d. h. von ihren Arbeitern, hing das Gedeihen der Stadt ab.

Aber nicht blos an ökonomischer Bedeutung, auch an Zahl bildeten die Wollenarbeiter, vornehmlich die Weber, in den Städten, in denen die Wollenindustrie blühte, eine Macht, die uns gering erscheinen mag, die aber in den kleinen Städten jener Zeit ganz gewaltig war. Es waren, relativ betrachtet, ungeheuere Menschenmassen, welche diese Industrie damals in ihren Hauptsitzen konzentrirte.

In Breslau marschirten die Weber schon 1333 mit 900 wohlbewaffneten Männern auf. In Köln wurden nach einem einzigen niedergeschlagenen Aufstande der Weber 1.800 derselben verbannt. Besonders zahlreich waren sie in den Niederlanden. 1350 zählte man in Löwen 4.000 Webstühle, ebenso viele in Ypern, 3200 in Mecheln. 1326 wurden 3.000 Weber auf einmal aus Gent vertrieben, weil sie zu einem Aufstand gegen die flandrischen Grafen geneigt waren. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts standen dort 18.000 mit Tuchmacherei beschäftigte Männer in Waffen. In Brügge lebten zur Zeit Blüthe des Handwerks 50.000 Menschen von der Verarbeitung von Wolle. [8]

Aus dieser Zusammendrängung in einzelnen Ortschaften erwuchs den Webern eine gewaltige revolutionäre Kraft. Kein Wunder, daß die Chronik des Abtes Trudo von ihnen sagt, sie seien stolzer und frecher als alle anderen Gewerke.

Faßt man alle diese Umstände zusammen, dann begreift man es, daß gerade die Wollenindustrie zum Herd der sozialrevolutionären Bestrebungen der Reformationszeit wurde, daß die Weber bei jedem Kampf gegen die bestehenden städtischen und staatlichen Gewalten im Vordertreffen kämpften und daß sie leicht einer Richtung zugänglich wurden, die der ganzen herrschenden Gesellschaftsordnung den Krieg erklärte, daß bei den kommunistischen Bewegungen des ausgehenden Mittelalters und der Reformationszeit, soweit diese überhaupt etwas von einem proletarischen Klassencharakter an sich haben, in der Regel die Weber damit in Verbindung stehen.

„Nicht umsonst,“ sagt Schmoller, „hat die Sprache, den Begriff des Webers und Verschwörers identifizirend, bis auf den heutigen Tag vom Zettel des Webstuhls das Bild genommen, wie man heimlich und langsam politische Unruhen anzettelt.“ [9]

„In den Augen mancher Zeitgenossen,“ sagt Hildebrand, „haben die Tuchmacherzünfte eine Stellung eingenommen, ähnlich derjenigen, welche man von einzelnen Seiten im Jahre 1848 der bevorzugten (!) Klasse ‚der Arbeiter‘ zu geben suchte.“ [10]


Fußnoten

1. Vgl. über diese Romolo Graf Broglio d’Ajano, Die Venetianische Seidenindustrie und ihre Organisation bis zum Ausgang des Mittelalters, Stuttgart 1893.

2. Hildebrand’s Jahrbüchern, Jena 1866, 3. Bd., S. 186 ff.

3. C. G. Rehlen, Geschichte der Handwerke und Gewerbe, Leipzig 1856, S. 97.

4. Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie, S. 216. – Daß sich die Kirche auch sonst befliß, nützliche weltliche Kenntnisse zu verbreiten, zeigt die Anfrage, die der heilige Bonifazius an den ebenso heiligen Vater in Rom richtete, wie der Speck am zuträglichsten zu genießen sei. Der Papst, Zacharias mit Namen, antwortete, er finde in den Kirchenvätern nichts über diese für das Wohl der sündigen Menschheit so wichtige Frage. Seiner Ansicht nach solle man den Speck nur genießen, wenn er tüchtig durchgeräuchert oder gebraten sei. Wolle man ihn aber roh genießen, dann möge dies erst nach Ostern geschehen. (Vgl. Schlossar, Speise und Trank vergangener Zeiten in Deutschland, S. 9)

5. In Flandern entwickelte sich frühzeitig die Wollenweberei. Den flämischen Webern stand aber nicht nur die Wolle zu Gebote, die das eigene Land in großer Menge produzirte, sondern auch die englische Wolle, die beste damals bekannte Wolle. England selbst entwickelte erst spät seine Wollenindustrie. – Hier eine Bemerkung, die nicht zum obigen Thema gehört, uns aber nicht unwichtig erscheint. Hildebrand weist in seiner bereits genannten Abhandlung darauf hin, daß sich die Wollenmanufaktur (später, in der kapitalistischen Zeit) namentlich in jenen Ländern entwickelt hat, die zur Schafzucht geeignet sind, so Norddeutschland, Sachsen, England. Der Weinbau dagegen scheint die Schafzucht und damit die Wollenmanufaktur in ihrer Entwickelung gehindert zu haben, so in Südwestdeutschland (a. a. O., S. 232, 233). Vielleicht könnte man noch weiter gehen und sagen: Die Schafzucht begünstigt den landwirthschaftlichen Großbetrieb in der Form der Weidewirthschaft. In den Ländern, welche die Schafzucht lohnten, entwickelte sich daher mit dem Aufblühen der kapitalistischen Wollenindustrie auch zuerst die Möglichkeit eines kapitalistischen Großbetriebes in der Landwirthschaft; in diesen Ländern hatten die Grundherren am meisten Anlaß, die Kleinbauern zu expropriiren, große landwirthschaftliche Betriebe zu bilden. Der Weinbau dagegen begünstigte den Kleinbetrieb. Wo er gedieh, war es profitabler für die Grundherren, ihre Bauern durch Steigerung der feudalen Lasten auszubeuten, als ihre eigenen Betriebe durch Legung von Bauern zu vergrößern. In den weinbautreibenden Gegenden, Süddeutschland, verschiedene Theile Frankreichs u. s. w., erhält sich daher das Kleinbauernthum. Die verschiedenen Formen des Grundbesitzes in den genannten Ländern erklären sich also aus den verschiedenen Produktionsformen, die sich dort entwickelten.

6. Es kam auch stellenweise schon dahin, daß der Stücklohn schädlich wirkte und daher wieder abgeschafft wurde, so in Ulm 1492 durch einen Rathsbeschluß, „weil die Eilfertigkeit der Güte Eintrag thue.“ Das schöne System der Strafabzüge, wodurch der moderne Kapitalist die bestmögliche Qualität bei schleunigster Arbeit erzwingt, war im finsteren Mittelalter nur wenig entwickelt.

7. B. Hildebrand, Zur Geschichte der deutschen Wollenindustrie, Hildebrand’s Jahrbücher, 1866, VII., S. 90–98.

8. Hildebrand, a. a. O., S. 83. Vgl. auch Dr. H. Grothe, Bilder und Studien zur Geschichte vom Spinnen, Weben, Nähen, Berlin 1875, S. 215 ff.

9. Schmoller, a. a. O., S. 405.

10. A. a. O., S. 115.


Zuletzt aktualisiert am: 16.2.2011