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Karl Kautsky, Genossin Luxemburg über die Gewerkschaften, strong>1. Beilage des Vorwärts Berliner
Volksblatt, Mittwoch, 18. April 1906.
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Wie ich heute aus dem Vorwärts ersehe, behauptet die Zeitschrift für Graveure und Ziseleure, Zeugen von Fleisch und Bein dafür zu haben, dass Genossin Luxemburg in einer Berliner Versammlung davon Vorwärts habe, die Gewerkschaften seien ein „Uebel“. Der Vorwärts meint, diese Anklage dürfe nicht als erwiesen gelten, so lange Genossin Luxemburg sich nicht selbst darüber äußern konnte. Ich kenne aber unsere Genossin gut genug, um behaupten zu können, dass die Zeugen der Zeitschrift für Graveure und Ziseleure vielleicht über Fleisch und Bein, auf keinen Fall aber über Hirn verfügen, sonst könnten sie eine derartige Äußerung nicht bezeugen, die die Genossin Luxemburg auf keinen Fall getan hat und tun konnte.
Die letzte Aufforderung, die sie aus der Freiheit an mich richtete, ging dahin, ich solle für ein polnisches Parteiorgan einen Artikel schreiben (was ich auch tat), der die jetzt so wichtige Organisierung von Gewerkschaften in Russland fördern solle. Diese Frage war es, die sie in letzter Zeit vornehmlich beschäftigte.
Für Deutschland aber hegte sie stets die Überzeugung, die sie 1901 in einem Artikel der Neuen Zeit (XIX, 2, S. 711) aussprach, dass „das bis jetzt bestehende Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaft nach beiden Richtungen hin, sowohl was ihre äußere Selbständigkeit und Arbeitsteilung, als was ihre Nebeneinanderstellung und Gleichberechtigung betrifft, unbedingt im Interesse des Klassenkampfes im Ganzen aufrechterhalten werden muss“. [1]
Es ist nicht die Genossin Luxemburg, die dieses Verhältnis untergräbt, sondern es sind jene Gewerkschaftsbeamten und Gewerkschaftsredakteure, die sich den Rexhäuser zum Vorbild auserkoren haben. Der bornierte Hass dieser Elemente gegen jede Form der Arbeiterbewegung, die sich ein höheres Ziel setzt, als fünf Pfennig mehr Stundenlohn, ist allerdings ein „Übel“.
Der Kampf gegen jenes Übel ist durchaus nichts Neues, er hat stets eine wichtige Aufgabe der internationalen Sozialdemokratie gebildet, seit den Tagen, wo englische Gewerkschaftsbeamte sich mit den Anarchisten aller Länder gegen Karl Marx verschworen, um die Internationale zu ruinieren.
Neu in unserer Bewegung, ja geradezu unerhört ist es aber, wenn Kampfgenossen gegen einen Vorkämpfer des proletarischen Klassenkampfes nicht nur ebenso sinnlose wie leichtfertige Verdächtigungen schleudern, sondern auch dazu gerade jenen Zeitpunkt für den gelegensten erachten, wo die Henker aller Freiheit diesen Vorkämpfer wegen seiner unermüdlichen Arbeit im Dienst des Proletariats gefesselt und wehrlos gemacht haben. Selbst unter unseren bürgerlichen Gegnern vermieden es wenigstens die anständigeren – allerdings sind das nicht viele – jetzt die Genossin Luxemburg anzugreifen. Es sind die infamsten und schamlosesten Pressesöldner des Kapitalismus und Junkertums, mit denen bei diesem würdigen Geschäft ein gewerkschaftliches Organ Hand in Hand geht.
Karl Kautsky
1. [Rosa Luxemburg, Der Parteitag und der Hamburger Gewerkschaftsstreit, Die neue Zeit, 19. Jg., 2. Bd. (September 1901), H. 49, S. 705–711. (zitiert auf S. 711.) (Lübeck Parteitag, 22.–28. September 1901.)]
Zuletzt aktualisiert am 13. Juli 2025