Zuerst veröffentlicht in Kumunistka, Nr. 2, 1920 und auf Englisch in The Worker, 1920.
aus: Selected Writings of Alexandra Kollontai, Allison & Busby, 1977, S. 250–260.
Aus dem Englischen von Rosemarie Nünning.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.
Wird es die Familie im Kommunismus noch geben? Wird die Familie so bleiben, wie sie heute ist? Diese Fragen beunruhigen viele Frauen der Arbeiterklasse, und auch ihre Ehemänner machen sich sorgenvoll Gedanken. Das Leben ändert sich vor unseren Augen; alte Gewohnheiten und Sitten sterben aus, und das gesamte Leben der proletarischen Familie entwickelt sich auf eine neue, ungewohnte und in manchen Augen sehr „bizarre“ Weise. Kein Wunder, dass Arbeiterinnen über diese Fragen nachzudenken beginnen. Eine weitere Sache weckt unsere Aufmerksamkeit: die Erleichterung der Scheidung in Sowjetrussland. Der Erlass des Rats der Volkskommissare vom 18. Dezember 1917 beinhaltet, dass Scheidung kein Luxus mehr nur für die Reichen ist; von nun an muss eine werktätige Frau nicht mehr monate- oder gar jahrelang Eingaben machen, um das Recht zu erhalten, getrennt von ihrem Ehemann zu leben, der sie schlägt und ihr das Leben mit seiner Trunksucht und seinem ungehobelten Benehmen zur Hölle macht. Eine einvernehmliche Scheidung dauert nur noch ein bis zwei Wochen. Unglücklich verheiratete Frauen begrüßen dieses vereinfachte Scheidungsverfahren. Andere jedoch, insbesondere jene, die gewohnt sind, auf ihre Ehemänner als „Ernährer“ zu blicken, haben Angst. Sie haben noch nicht begriffen, dass eine Frau lernen muss, sich Hilfe im Kollektiv und in der Gesellschaft zu suchen – und diese dort auch zu finden – und nicht bei einem einzelnen Mann.
Wir müssen uns der Wahrheit stellen: Die alte Familie, in der der Mann alles war und die Frau nichts, die typische Familie, in der die Frau keinen eigenen Willen hatte, keine Zeit für sich selbst, kein Geld für sich selbst, verändert sich vor unseren Augen. Aber es gibt keinen Grund zur Sorge. Nur unsere Unwissenheit lässt uns glauben, dass die Dinge, wie wir sie kennen, sich nie verändern werden. Nichts könnte weniger wahr sein als der Spruch: „Wie es war, so soll es sein.“ Wir müssen uns nur ansehen, wie Menschen in der Vergangenheit gelebt haben, um zu erkennen, dass alles dem Wandel unterliegt und dass keine Sitten, politischen Organisationen oder moralischen Grundsätze auf immer und ewig bestehen. Im Verlauf der Geschichte hat sich die Familienstruktur vielfach verändert; sie sah einst ganz anders aus als die Familie von heute. Es gab eine Zeit, als die Verwandtschaftsfamilie als Regel galt: die Mutter war Oberhaupt einer Familie, die aus ihren Kindern, Enkeln und Großenkeln bestand und die zusammenlebten und zusammen arbeiteten. Zu einer anderen Zeit war die Regel die patriarchale Familie. In diesem Fall war es der Vater, dessen Wille als Gesetz für die anderen Mitglieder der Familie galt: Selbst heute noch lassen sich solche Familien unter den Bauern in den russischen Dörfern finden. Hier sind die Moral und die Sitten des Familienlebens nicht die des städtischen Proletariats. Auf dem Land werden Regeln befolgt, die der Arbeiter schon seit Langem vergessen hat. Die Familienstruktur und die Sitten des Familienlebens unterscheiden sich auch von Nation zu Nation. Unter Völkern wie den Türken, Arabern und Persern darf ein Mann mehrere Frauen haben. Es gab und es gibt immer noch Stämme, in denen die Frau mehrere Ehemänner hat. Wir sind gewohnt, dass von einem jungen Mädchen erwartet wird, bis zu ihrer Heirat Jungfrau zu bleiben; dagegen gibt es Stämme, bei denen es eine Sache des Stolzes ist, viele Liebhaber gehabt zu haben und in denen die Frauen ihre Arme und Beine mit der entsprechenden Zahl Armbänder schmücken. Viele Gebräuche, über die wir uns wundern und die uns gar unmoralisch erscheinen, gelten bei anderen Völkern als recht normal und sie empfinden ihrerseits unsere Gesetze und Gebräuche als „sündhaft“. Es gibt jedoch keinen Grund zur Angst vor der Tatsache, dass die Familie sich im Wandel befindet, dass nicht mehr zeitgemäße und unnötige Dinge verworfen werden und sich neue Beziehungen zwischen Männern und Frauen entwickeln. Unsere Aufgabe besteht darin zu entscheiden, welche Facetten unseres Familiensystems überholt sind, und wir müssen bestimmen, welche Beziehungen zwischen den Männern und Frauen der Arbeiter- und Bauernklassen und welche Rechte und Pflichten am besten mit den Lebensbedingungen des neuen Russlands der Arbeiter zu vereinbaren sind. Jene Facetten, die sich in das neue Leben einfügen, sollten beibehalten werden, während alles Alte und Überholte, das aus der verfluchten Zeit der Knechtschaft und Herrschaft herrührt, aus der Zeit der Grundbesitzer und Kapitalisten, hinweggefegt werden muss – ebenso wie die ausbeutenden Klassen selbst und die anderen Feinde des Proletariats und der Armen.
Der Typus Familie, an den sich das städtische und ländliche Proletariat gewöhnt hat, ist ein Erbe der Vergangenheit. Es gab eine Zeit, als die isolierte, eng durch die kirchliche Trauung miteinander verbundene Familie für ihre Mitglieder notwendig war. Hätte es keine Familie gegeben, wer hätte dann die Kinder ernährt, gekleidet und großgezogen? Wer hätte ihnen Rat gegeben? Waise zu sein, war in früheren Zeiten eins der schlimmsten Schicksale. In der alten Familie ist der Ehemann der Verdiener und er ernährt seine Frau und die Kinder. Die Frau ihrerseits ist nach ihren Möglichkeiten mit dem Haushalt und mit der Erziehung der Kinder beschäftigt. In den vergangenen hundert Jahren ist diese traditionelle Familienstruktur jedoch in allen Ländern zusammengebrochen, in denen der Kapitalismus vorherrscht und wo die Zahl der Fabriken und anderer Unternehmen, die auf Lohnarbeit beruhen, zugenommen hat. Die Sitten und moralischen Grundsätze des Familienlebens wandeln sich mit der Veränderung der allgemeinen Lebensbedingungen. Die allgemeine Ausweitung der Frauenarbeit hat am meisten zu dem radikalen Wandel des Familienlebens beigetragen. Einst galt nur der Mann als Ernährer. Aber die russischen Frauen sind seit den vergangenen 50 oder 60 Jahren (und in anderen kapitalistischen Ländern schon eine Weile länger) gezwungen gewesen, außerhalb der Familie und außerhalb des Heims bezahlte Arbeit zu suchen. Da der Lohn des „Ernährers“ für die Bedürfnisse der Familie nicht reichte, sah sich die Frau gezwungen, nach Lohnarbeit zu suchen und an die Fabriktüren zu klopfen. Mit jedem Jahr stieg die Zahl der Frauen der Arbeiterklasse, die sich außerhalb des Heims als Tagelöhnerin, Verkäuferin, Angestellte, Wäscherin oder Dienstbotin verdingten. Statistiken zeigen, dass im Jahr 1914, vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, rund sechzig Millionen Frauen in den europäischen Ländern und in Amerika ihren eigenen Lebensunterhalt verdienten, und während des Kriegs stieg diese Zahl noch deutlich an. Fast die Hälfe dieser Frauen sind verheiratet. Was für eine Art „Familienleben“ sie haben, lässt sich leicht vorstellen. Was für eine Art von „Familienleben“ kann es geben, wenn die Ehefrau und Mutter mindestens acht Stunden lang auf der Arbeit ist beziehungsweise sie täglich zehn Stunden lang außer Haus ist, wenn der Arbeitsweg mitgerechnet wird? Ihr Heim ist vernachlässigt, die Kinder wachsen ohne mütterliche Fürsorge auf, sie verbringen die meiste Zeit auf der Straße, wo sie all den Gefahren dieser Umgebung ausgesetzt sind. Jene Frau, die Ehefrau, Mutter und Arbeiterin ist, muss all ihre Energie auf die Erfüllung dieser Aufgaben richten. Sie muss genauso lange wie ihr Ehemann in einer Fabrik, einer Druckerei oder einem Handelshaus arbeiten und dann noch die Zeit finden, sich um ihren Haushalt und ihre Kinder zu kümmern. Der Kapitalismus hat den Frauen eine erdrückende Last auferlegt: Er hat sie zur Lohnarbeiterin gemacht, ohne ihre Pflichten als Hausfrau oder Mutter verringert zu haben. Die Frau wankt unter dem Gewicht dieser dreifachen Last. Sie leidet, ihr Gesicht ist ständig von Tränen benetzt. Das Leben war nie einfach für die Frau, aber niemals war ihr Los härter und verzweifelter als das der Millionen Arbeiterinnen unter dem kapitalistischen Joch in dieser Hochblüte der Fabrikproduktion.
Die Familie bricht in dem Maße zusammen, wie immer mehr
Frauen zur Arbeit gehen. Wie kann von Familienleben gesprochen
werden, wenn Mann und Frau unterschiedlichen Schichtdienst haben und
wenn die Ehefrau nicht einmal die Zeit hat, ein anständiges Mahl
für ihren Nachwuchs zuzubereiten? Wie können wir von Eltern
sprechen, wenn Mutter und Vater den ganzen Tag auf der Arbeit sind
und keine Minute Zeit mit ihren Kindern verbringen können? Das
war in den alten Zeiten ganz anders. Die Mutter blieb zu Hause und
erfüllte ihre Haushaltspflichten, die Kinder waren an ihrer
Seite unter ihrem wachsamem Blick. Heute hastet die Arbeiterin früh
am Morgen aus dem Haus, wenn die Fabrikpfeife ruft. Wenn der Abend
kommt und die Pfeife wieder ertönt, eilt sie nach Hause, um sich
mit den dringlichsten Hausarbeiten abzumühen. Am nächsten
Morgen muss sie wieder zur Arbeit und sie ist müde von
mangelndem Schlaf. Für die verheiratete Frau ist das Leben ganz
so, als lebte sie im Arbeitshaus. Deshalb überrascht es nicht,
dass die Familienbindungen sich lösen und die Familie zu
zerfallen beginnt. Was die Familie zusammenhielt, existiert nicht
mehr. Die Familie verliert ihre Funktion für ihre Mitglieder
wie für die Nation als Ganze. Die alte Familienstruktur ist
jetzt nur noch ein Hemmschuh. Was machte die alte Familie einst so
stark? Erstens die Tatsache, dass der Ehemann und Vater der Ernährer
der Familie war; zweitens, weil die Familienwirtschaft für all
ihre Mitglieder notwendig war; und drittens weil Kinder von ihren
Eltern aufgezogen wurden. Was ist von diesem früheren
Familientypus geblieben? Der Ehemann ist nicht mehr – wie wir
schon gesehen haben – der einzige Ernährer. Die Ehefrau,
die zur Arbeit geht, erhält einen Lohn. Sie hat gelernt, für
ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen, ihre Kinder zu ernähren
und oft auch ihren Ehemann zu unterstützen. Die Familie dient
jetzt nur als primäre Wirtschaftseinheit der Gesellschaft und um
Kinder zu versorgen und zu erziehen. Lasst uns das genauer
untersuchen, um zu sehen, ob die Familie auch von diesen Aufgaben
befreit werden kann oder nicht.
Es gab eine Zeit, als Frauen der ärmeren Klassen in der Stadt und auf dem Land ihr gesamtes Leben in den vier Wänden ihres Heims verbrachten. Eine Frau wusste nichts von der Welt außerhalb ihres Heims und meist verspürte sich auch nicht den Wunsch danach. Schließlich war in ihrem Haus so viel zu tun und diese Arbeit war meist notwendig und nützlich nicht nur für die Familie selbst, sondern auch für den Staat insgesamt. Die Frau tat alles, was die moderne Arbeiterin und Bäuerin zu tun hat; aber neben all dem Kochen, Waschen, Putzen und Flicken spann sie Wolle und Leinen, webte Tuch und Kleidungsstücke, strickte Strümpfe, klöppelte Spitzen, legte – soweit es die vorhanden Mittel erlaubten – Gemüse ein, kochte Marmelade, konservierte andere Lebensmittel für den Winter und zog ihre eigenen Kerzen. Eine vollständige Liste all ihrer Aufgaben ist kaum aufzustellen. Auf diese Weise lebten unsere Mütter und Großmütter. Selbst heute können wir noch abgelegene Dörfer tief im Land finden, weit entfernt von den Eisenbahnstrecken und den großen Flüssen, wo diese Lebensweise sich erhalten hat und wo die Hausherrin mit einer Vielzahl Aufgaben überlastet ist, über die sich die Arbeiterin in der Großstadt und den bevölkerten Industrieregionen schon lange keine Gedanken mehr macht.
Zu Großmutters Zeiten war all diese Hausarbeit notwendig und nützlich; sie sicherte das Wohlergehen der Familie. Je mehr sich die Hausherrin einbrachte, desto besser gestaltete sich das Leben der Bauern- oder Handwerkerfamilie. Selbst die Volkswirtschaft zog Nutzen aus der Hausfrauentätigkeit, denn die Frau beschränkte sich nicht darauf, Suppe und Kartoffeln zu kochen (also die unmittelbaren Bedürfnisse der Familie zu befriedigen), sie stellte auch Kleidung, Garn, Butter und so weiter her, was einen Wert als Ware hatte, die auf dem Markt verkauft werden konnte. Und jeder Mann, ob Bauer oder Arbeiter, versuchte eine Ehefrau zu finden, die „Goldhände“ hatte, denn er wusste, dass eine Familie nicht ohne diese „Hausarbeit“ bestehen konnte. Das lag im Interesse der ganzen Nation, denn je mehr Arbeit die Frauen und die anderen Familienmitglieder in die Herstellung von Tuch, Leder und Wolle steckten (wobei der Überschuss auf benachbarten Märkten verkauft wurde), desto größer der wirtschaftliche Wohlstand des ganzen Lands.
Der Kapitalismus hat all das verändert. All das, was früher im Herzen der Familie produziert wurde, wird nun massenhaft in Werkstätten und Fabriken hergestellt. Die Maschine hat die Ehefrau abgelöst. Welche Haushälterin würde sich noch damit abgeben, Kerzen zu ziehen, Wolle zu spinnen oder Tuch zu weben? All diese Produkte können jetzt im Laden nebenan gekauft werden. Früher lernte jedes Mädchen, Strümpfe zu stricken. Welche Frau würde heute noch daran denken, das für sich zu tun? Zunächst hat sie nicht die Zeit dafür. Zeit ist Geld, und niemand möchte Zeit auf unproduktive und nutzlose Weise vergeuden. Kaum eine Arbeiterin würden damit beginnen, Gurken einzulegen oder anderes zu konservieren, wenn all diese Dinge im Laden erhältlich sind. Selbst wenn die im Laden verkauften Produkte minderer Qualität sind und nicht mit der Sorgfalt hergestellt werden, wie das hausgemachte Gegenstück, hat die Arbeiterin weder die erforderliche Zeit noch die Energie, um diese häusliche Tätigkeit zu verrichten. An erster Stelle ist sie eine Lohnarbeiterin. Auf diese Weise wird der Familienwirtschaft allmählich die gesamte Hausarbeit entzogen, ohne die sich unsere Großmütter eine Familie kaum vorstellen konnten. Was jene einst in der Familie produzierten, wird jetzt durch die kollektive Arbeit von Männern und Frauen in den Fabriken hergestellt.
Die Familie produziert nicht mehr, sie konsumiert nur noch. Die noch zu erledigende Hausarbeit besteht aus Putzen (Fußboden reinigen, Staub wischen, Wasser kochen, sich um die Lampen kümmern und so weiter), Kochen (Zubereitung von Mittag- und Abendessen), Waschen und sich um Wäsche und Kleidung kümmern (Stopfen und Flicken). Das sind schwierige und anstrengende Tätigkeiten und sie verbrauchen all die freie Zeit und Energie der Arbeiterin, die zudem ihre Stunden in der Fabrik ableisten muss. Aber diese Arbeit unterscheidet sich in einer wesentlichen Hinsicht von der Arbeit, die die Großmutter verrichtete: Die vier oben genannten Aufgaben, die nach wie vor dem Zusammenhalt der Familie dienen, sind für den Staat oder die Volkswirtschaft wertlos, denn sie schaffen keine neuen Werte und tragen nichts zum Wohle des Landes bei. Die Hausfrau mag den ganzen Tag, von morgens bis abends, damit verbringen, ihr Heim zu putzen, sie mag täglich die Wäsche waschen und bügeln, mag sich mühen, die Kleidung in gutem Zustand zu halten und Mahlzeiten nach ihren Vorstellungen und ihren bescheidenen Mitteln entsprechend zuzubereiten, und sie wird am Ende des Tages dennoch keinerlei Werte geschaffen haben. Trotz ihrer Arbeit hätte sie nichts hergestellt, was als Ware angesehen werden könnte. Selbst wenn eine Arbeiterin tausend Jahre lebte, sie müsste jeden Tag von Neuem beginnen. Es gäbe immer eine neue Staubschicht, die vom Kaminsims gewischt werden müsste, ihr Ehemann käme immer hungrig nach Hause und ihre Kinder trügen mit ihren Schuhen Schlamm ins Heim.
Frauenarbeit verliert für die Gemeinschaft insgesamt zunehmend ihren Nutzen. Sie wird unproduktiv. Der Einzelhaushalt stirbt ab. Er weicht in unserer Gesellschaft der kollektiven Haushaltsführung. Statt dass die Arbeiterin ihre Wohnung säubert, kann die kommunistische Gesellschaft dafür sorgen, dass es Männer und Frauen gibt, die dafür zuständig sind, morgens durch das Viertel zu gehen und Wohnungen zu putzen. Die Ehefrauen der Reichen sind schon seit Langem von diesen störenden und ermüdenden häuslichen Pflichten befreit. Warum sollten Arbeiterinnen weiterhin mit ihnen belastet sein? In Sowjetrussland sollte die Arbeiterin von der gleichen Leichtigkeit und dem gleichen Wohlbefinden, der gleichen Hygiene und Schönheit umgeben sein, die sich bisher nur die Reichen leisten konnten. Anstatt dass die arbeitende Frau mit dem Kochen kämpfen und ihre letzten freien Stunden in der Küche mit der Zubereitung von Mittag- und Abendessen verbringen muss, wird die kommunistische Gesellschaft öffentliche Restaurants und Gemeinschaftsküchen schaffen.
Selbst im Kapitalismus sind solche Einrichtungen bereits entstanden.
Tatsächlich hat sich im vergangenen halben Jahrhundert die Zahl
der Restaurants und Cafés in allen großen Städten
Europas täglich vermehrt; sie wachsen wie Pilze nach dem
Herbstregen aus dem Boden. Aber im Kapitalismus können es sich
nur Leute mit gut gefüllten Geldbörsen leisten, ihre
Mahlzeiten in Restaurants einzunehmen, während im Kommunismus
jede und jeder in den kommunalen Küchen und Kantinen essen gehen
kann. Die Arbeiterin wird nicht mehr über dem Waschbottich
schwitzen müssen oder sich ihre Augen beim Stopfen der Strümpfe
und beim Flicken der Wäsche verderben; sie wird diese einfach
jede Woche in die zentrale Wäscherei bringen und ihre
gewaschenen und gebügelten Kleidungstücke später
abholen. Auch diese Tätigkeit wird also entfallen. Spezielle
Wäschepflegestellen werden die Arbeiterin von all den Stunden
des Flickens befreien und sie wird ihre Abende mit Lesen verbringen,
mit dem Besuch von Versammlungen und Konzerten. Die vier Kategorien
der Hausarbeit sind deshalb mit dem Sieg des Kommunismus zum
Aussterben verurteilt. Und die Arbeiterin wird keinen Anlass haben,
das zu bedauern. Der Kommunismus befreit die Frau von ihrer
häuslichen Sklaverei und macht ihr Leben reicher und
glücklicher.
Doch selbst wenn die Hausarbeit verschwindet, müssen immer noch Kinder betreut werden, mögt ihr jetzt sagen. Aber auch hier wird der Arbeiterstaat die Familie ersetzen; die Gesellschaft wird Schritt für Schritt all die Aufgaben übernehmen, die vor der Revolution den einzelnen Eltern überlassen waren. Selbst vor der Revolution hatte die Erziehung des Kindes aufgehört, die Aufgabe der Eltern zu sein. Wenn ein Kind das Schulalter erreicht hatte, konnten die Eltern aufatmen, denn sie waren nicht mehr verantwortlich für die intellektuelle Entwicklung ihrer Nachkommen. Und doch gab es noch viele Pflichten zu erfüllen. Nach wie vor mussten die Kinder ernährt werden, ihnen mussten Schuhe und Kleidung gekauft werden und es musste dafür gesorgt werden, dass sie sich zu beruflich ausgebildeten und ehrlichen Arbeitern entwickeln, die – wenn die Zeit gekommen war – ihren eigenen Lebensunterhalt verdienen und ihre alten Eltern ernähren und versorgen konnten. Nur wenige Arbeiterfamilien waren jedoch in der Lage, diesen Pflichten nachzukommen. Ihr niedriger Lohn erlaubte es ihnen nicht, den Kindern genug zu essen zu geben, während Mangel an Freizeit sie daran hinderte, der nachwachsenden Generation die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken und ihnen Bildung zukommen zu lassen. Von der Familie wird erwartet, dass sie die Kinder großzieht, tatsächlich jedoch wachsen die proletarischen Kinder auf der Straße auf. Unsere Vorväter kannten ein gewisses Familienleben, aber die Kinder des Proletariats kennen es nicht mehr. Außerdem zwingt das magere Einkommen der Eltern und die heikle finanzielle Lage der Familie oft dazu, schon mit zehn Jahren selbst unabhängiger Arbeiter zu werden. Und wenn Kinder ihr eigenes Geld zu verdienen beginnen, glauben sie, sie seien ihr eigener Herr und die Worte und Ratschläge der Eltern sind für sich nicht mehr Gesetz; die Autorität der Eltern ist geschwächt und mit dem Gehorsam ist es vorbei.
So wie die Hausarbeit abstirbt, so verschwinden Schritt für Schritt auch die Pflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern, bis die Gesellschaft schließlich die volle Verantwortung für sie übernimmt. Im Kapitalismus waren Kinder allzu oft eine schwere und untragbare Last für die proletarische Familie. Die kommunistische Gesellschaft wird den Eltern zur Seite stehen. In Sowjetrussland tut das Kommissariat für Bildung und Wohlfahrt schon heute sehr viel, um den Familien zu helfen. Wir haben bereits Säuglingshäuser, Kinderkrippen, Kindergärten, Kinderkolonien und Kinderheime, Krankenhäuser und Kurorte für kranke Kinder, Restaurants, freies Schulessen und freie Schulbücher, warme Kleidung und Schuhe für Schulkinder. All das zeigt, dass die Verantwortung für das Kind von der Familie auf das Kollektiv übergeht.
Die elterliche Fürsorge in der Familie könnte in drei Aufgaben geteilt werden: a) Sorge für den Säugling, b) Aufziehen des Kindes und c) Erziehung des Kindes. Selbst in der kapitalistischen Gesellschaft wurde die Bildung des Kindes in Grundschulen und später in weiterbildenden Einrichtungen Aufgabe des Staats. Selbst in der kapitalistischen Gesellschaft wurden die Bedürfnisse der Arbeiter bis zu einem gewissen Grad erfüllt durch Einrichtung von Spielplätzen, Kindergärten, Spielgruppen und so weiter. Je mehr die Arbeiter sich ihrer Rechte bewusst wurden und je besser sie organisiert waren, desto mehr musste die Gesellschaft die Familie von der Betreuung der Kinder befreien.
Die bürgerliche Gesellschaft fürchtete sich jedoch, den Interessen der Arbeiterklasse zu umfassend entgegenzukommen, da dies zum Zerfall der Familie beitragen konnte. Die Kapitalisten sind sich dessen sehr bewusst, dass der alte Typus Familie, in der die Frau ein Sklave und wo der Ehemann für das Wohlergehen seiner Ehefrau und der Kinder zuständig ist, die beste Waffe in dem Kampf ist, das Streben der Arbeiterklasse nach Freiheit zu ersticken und den revolutionären Geist der Arbeiter und Arbeiterinnen zu schwächen. Der Arbeiter wird durch seine Familienverantwortlichkeiten niedergedrückt und ist gezwungen, mit dem Kapital einen Kompromiss einzugehen. Vater und Mutter nehmen jede Bedingungen an, wenn ihre Kinder hungern. Die kapitalistische Gesellschaft war nicht in der Lage, Bildung in eine wahrhaft gesellschaftliche und staatliche Angelegenheit zu verwandeln, weil die Besitzenden, die Bourgeoisie, sich dagegenstemmten.
Für die kommunistische Gesellschaft ist die gesellschaftliche Bildung der jungen Generation ein Grundpfeiler des neuen Lebens. Die alte engstirnige Familie, in der sich die Eltern streiten und sich nur für ihren eigenen Nachwuchs interessieren, kann den „neuen Menschen“ nicht erziehen. Die Spielplätze, Gärten, Heime und anderen Einrichtungen, in denen das Kind den meisten Teil des Tages unter Aufsicht ausgebildeter Erzieher verbringt, bieten dagegen eine Umgebung, in der das Kind zu einem bewussten Kommunisten aufwachsen kann, der die Notwendigkeit für Solidarität, Kameradschaft, gegenseitige Hilfe und Loyalität zum Kollektiv anerkennt.
Welche Verantwortlichkeiten bleiben den Eltern, wenn sie nicht mehr zuständig sind für Aufzucht und Erziehung des Kindes? Das Kleinkind, sagst ihr vielleicht, braucht immer noch die Aufmerksamkeit der Mutter, wenn es Laufen lernt und sich an ihrer Schürze festhält. Auch hier eilt der kommunistische Staat der arbeitenden Mutter zu Hilfe. Keine Frau wird mehr allein sein. Der Arbeiterstaat ist bestrebt, jede Mutter, sei sie verheiratet oder unverheiratet, zu unterstützten, wenn sie ihr Kind stillt, und wird in jeder Stadt und in jedem Dorf Geburtshäuser, Kindertagesstätten und ähnliche Einrichtungen schaffen, damit die Frau Arbeit in der Gesellschaft mit Mutterschaft vereinbaren kann.
Arbeitende Mütter müssen nicht besorgt sein, die kommunistische Gesellschaft will den Eltern ihre Kinder nicht wegnehmen oder den Säugling von der Brust der Mutter reißen, auch beabsichtigt er nicht, gewaltsam die Familie zu zerstören. Nichts dergleichen! Die Ziele der kommunistischen Gesellschaft sind ganz andere. Die kommunistische Gesellschaft erkennt, dass sich der alte Familientypus auflöst und dass all die alten Säulen, die die Familie als gesellschaftliche Einheit stützten, beseitigt werden: die Hauswirtschaft stirbt aus und Eltern der Arbeiterklasse sind nicht in der Lage, für ihre Kinder zu sorgen oder sie ausreichend zu ernähren und zu erziehen. Eltern und Kinder leiden gleichermaßen unter dieser Lage. Die kommunistische Gesellschaft erklärt der Arbeiterin und dem Arbeiter: „Ihr seid jung, ihr liebt euch. Jeder hat das Recht auf Glück. Deshalb lebt euer Leben. Flieht nicht das Glück. Fürchtet die Ehe nicht, auch wenn Ehe im Kapitalismus nur Kummer mit sich brachte. Habt keine Angst, Kinder zu bekommen. Die Gesellschaft braucht mehr Arbeiter und freut sich über die Geburt jedes Kindes. Ihr müsst euch keine Sorge machen über die Zukunft eures Kindes; euer Kind wird weder Hunger noch Kälte kennen.“ Die kommunistische Gesellschaft kümmert sich um jedes Kind und garantiert ihm und seiner Mutter materielle und moralische Unterstützung. Die Gesellschaft wird das Kind ernähren, großziehen und bilden. Jene Eltern jedoch, die sich an der Erziehung ihrer Kinder beteiligen wollen, werden keinesfalls daran gehindert. Die kommunistische Gesellschaft wird all die Aufgaben der Kindererziehung auf sich nehmen, aber die Freude der Elternschaft wird denen, die sie genießen können, nicht genommen werden. Das also sind die Pläne der kommunistischen Gesellschaft und sie können wohl kaum als gewaltsame Zerstörung der Familie und zwangsweise Trennung des Kinds von der Mutter verstanden werden.
Wir können der Tatsache nicht entrinnen: der alte Familientypus hat seine Zeit hinter sich. Die Familie stirb ab, nicht weil sie mit Gewalt vom Staat zerstört würde, sondern weil die Familie aufgehört hat, eine Notwendigkeit zu sein. Der Staat braucht die Familie nicht, weil die häusliche Wirtschaft nicht mehr profitabel ist: die Familie lenkt die Arbeiter von nützlicherer und produktiverer Arbeit ab. Auch die Familienmitglieder brauchen die Familie nicht, weil ihre bisherige Aufgabe des Großziehens der Kinder zunehmend in die Hände des Kollektivs übergeht. An die Stelle der alten Beziehung zwischen Männern und Frauen tritt eine andere: eine Vereinigung der Zuneigung und Kameradschaft, eine Vereinigung von zwei gleichen Mitgliedern der kommunistischen Gesellschaft, beide sind frei, beide sind unabhängig und beide sind Arbeiter. Es gibt keine häuslichen Fesseln für die Frauen. Keine Ungleichheit mehr in der Familie. Keine Frau muss mehr fürchten, ohne Unterstützung und mit Kindern alleingelassen zu werden. Die Frau in der kommunistischen Gesellschaft ist nicht mehr von ihrem Ehemann abhängig, sondern von ihrer Arbeit. Sie wird sich selbst durch ihre Arbeit ernähren können und nicht mehr auf Unterstützung ihres Ehemanns angewiesen sein. Sie muss sich wegen ihrer Kinder keine Sorgen mehr machen. Der Arbeiterstaat wird die Verantwortung für sie übernehmen. Die Ehe wird alle Elemente der materiellen Berechnung verlieren, die das Familienleben verkrüppeln. Die Ehe wird eine Vereinigung von zwei Personen sein, die sich lieben und vertrauen. Solch eine Vereinigung verspricht den arbeitenden Männern und Frauen, die sich selbst und die Welt um sich verstehen, vollkommenes Glück und höchste Befriedigung. Anstelle der ehelichen Sklaverei der Vergangenheit bietet die kommunistische Gesellschaft Frauen und Männern eine freie Vereinigung, stark in der Kameradschaft, von der sie inspiriert ist. Sind die Arbeitsbedingungen erst einmal transformiert und ist die arbeitende Frauen materiell besser abgesichert, und ist der Ehebund, so wie die Kirche ihn geschlossen hat – diese sogenannte unauflösliche Ehe, die im Grunde nur ein Betrug war – der freien und ehrlichen Vereinigung von Mann und Frau als Liebhaber und Kameraden gewichen, wird auch die Prostitution verschwinden. Dieses Übel, dieser Schandfleck der Menschheit und Geißel der hungrigen Arbeiterinnen gründet in der Warenproduktion und der Einrichtung des Privateigentums. Wenn diese ökonomischen Formen aufgelöst sind, wird der Frauenhandel automatisch verschwinden. Die Frauen der Arbeiterklasse müssen sich deshalb keine Sorgen darüber machen, dass die Familie dem Untergang geweiht ist. Im Gegenteil sollten sie den Anbruch der neuen Gesellschaft begrüßen, die die Frauen aus der häuslichen Knechtschaft befreit, die Last der Mutterschaft mindert und schließlich dem schrecklichen Fluch der Prostitution ein Ende setzen wird.
Die Frau, die den Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse aufnimmt, muss begreifen, dass es keinen Raum mehr für das alte Besitzdenken gibt, das besagt: „Das sind meine Kinder, ich schulde ihnen allen meine mütterliche Fürsorge und Zuneigung; das sind deine Kinder, sie sind nicht meine Kinder, und es ist mir gleichgültig, ob sie hungrig sind oder frieren – ich habe keine Zeit für andere Kinder.“ Die arbeitende Mutter muss lernen, keinen Unterschied zwischen Mein und Dein zu machen, sie muss sich daran erinnern, dass es nur unsere Kinder gibt, die Kinder der russischen kommunistischen Arbeiter.
Der Arbeiterstaat braucht neue Beziehungen zwischen den Geschlechtern. So wie sich die enge und ausschließliche Zuneigung der Mutter für ihre eigenen Kinder übertragen muss auf all die Kinder der großen proletarischen Familie, so wird auch die unauflösliche Ehe, die auf der Knechtschaft der Frau beruht, durch eine freie Vereinigung von zwei gleichen Mitgliedern des Arbeiterstaats ersetzt, die vereint sind in Liebe und gegenseitigem Respekt. Anstelle der individuellen und egoistischen Familie wird eine große universelle Familie der Arbeiter treten, in der alle Arbeiter, Männer wie Frauen, vor allem Kameraden sein werden. Entsprechend werden sich auch die Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der kommunistischen Gesellschaft gestalten. Diese neuen Beziehungen werden der Menschheit all die Freuden einer in der Warengesellschaft unbekannten Liebe bringen, einer freien Liebe, die auf der wahren gesellschaftlichen Gleichheit glücklicher junger Menschen beruht. Die kommunistische Gesellschaft will wache und gesunde Kinder, die frei in ihren Gefühlen und in ihrer Zuneigung sind. Im Namen der Gleichheit, Freiheit und kameradschaftlichen Liebe in der neuen Ehe rufen wir die Arbeiter und Arbeiterinnen, Bauern und Bäuerinnen dazu auf, sich mutig und voller Vertrauen der Arbeit des Aufbaus einer menschlichen Gesellschaft zu widmen, um sie perfekter zu gestalten, gerechter und fähiger, dem Individuum das Glück zu geben, das er oder sie verdient. Die rote Fahne der gesellschaftlichen Revolution, die über Russland weht und jetzt in anderen Ländern der Welt gehisst wird, verkündet das Herannahen dessen, wonach die Menschheit seit Jahrhunderten strebt: des Himmels auf Erden.
Zuletzt aktualisiert am 28. Juli 2025