Alexandra Kollontai

Die Situation der Frau in der
gesellschaftlichen Entwicklung

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10. Vorlesung

Die Diktatur des Proletariats:
Die Arbeitsorganisation


Der Weltkrieg hat alle objektiven Voraussetzungen für die Befreiung der Frau geschaffen. Die Frauenarbeit ist heute ein wichtiger Faktor in der Volkswirtschaft. Die meisten Frauen im arbeitsfähigen Alter führen eine gesellschaftlich nützliche Arbeit aus. Trotzdem war es bisher unmöglich innerhalb des bürgerlich-kapitalistischen Systems die Befreiung der Frau zu verwirklichen.

Wir lassen deshalb jetzt die Welt des Kapitalismus mit seinen komplizierten sozialen Problemen hinter uns und untersuchen eine Staatsform, wie sie die Menschheit bisher noch nicht kannte, die Diktatur des Proletariats. In unserem Lande ist die Arbeiterklasse aufgestanden und hat die Macht in ihre eigenen Hände genommen. Wir werden uns also jetzt mit der ersten Arbeiterrepublik beschäftigen. Im revolutionären Russland liegt die Staatsmacht in den Händen der Werktätigen. Der Arbeiter- und Bauernklasse ist es zum ersten Male gelungen, die Bourgeoisie vernichtend zu schlagen. Diese hat ihre Privilegien und Autorität eingebüßt. In den Räten (Sowjets) hat die Bourgeoisie kein Stimmrecht, denn es gibt für Faulpelze und Räuber in unserer Arbeiterrepublik keinen Platz mehr. Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist abgeschafft, und den privaten Handel und die Anhäufung von Kapital in privaten Händen gibt es bei uns nicht mehr. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen haben wir überwunden.

Die Kommunistische Partei Russlands (KPR) als Avantgarde der Arbeiterklasse hat die Republik der Sowjets proklamiert. Das Leben hat sich von Grund auf geändert, das Fundament der bürgerlichen Klasse ist erschüttert, das Alte wird vernichtet, und an seiner Stelle bauen wir etwas völlig Neues auf.

In den ersten drei Jahren unserer Revolution haben wir die Voraussetzungen für eine neue Produktionsweise geschaffen. An die Stelle des Kapitalismus, des Privateigentums und der Ausbeutung von Lohnarbeit tritt das sozialistische Wirtschaftssystem. Die Großindustrie, der Bergbau, das Transportwesen, Grund und Boden, alles ist jetzt Eigentum des Volkes und wird vom Staatsapparat zentral verwaltet. Zwar existiert die Lohnarbeit noch, doch wandert der von den Arbeitern geschaffene Mehrwert nicht länger in die Taschen von irgendwelchen Privatunternehmern, sondern wird zur Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse verwandt: zur Entwicklung der Produktion, zur Verwirklichung eines neuen gesellschaftlichen Bewusstseins und zur Versorgung der Roten Armee, die während der Periode der revolutionären Diktatur des Proletariats absolut notwendig ist.

In seinen eigenen Verwaltungsorganen erarbeitet sich das Proletariat selbst Richtlinien für die Wirtschaft, plant die Produktion und den Handel und organisiert die Verteilung von Gebrauchsgütern, die die Bedürfnisse des Proletariats befriedigen. Doch alle diese großartigen Initiativen stecken noch immer in ihrem Anfangsstadium. Nichts hat bereits seine endgültige Form erhalten. Auf allen Gebieten erleben wir eine rasche Entwicklung. In der revolutionären Praxis werden überall neue Erfahrungen gesammelt und es entstehen laufend neue Ideen. Die Arbeiterklasse legt das Fundament für eine neue Produktionsweise und überwindet und zerstört all jene Hindernisse und Überbleibsel aus der Ära der bürgerlichen Gesellschaft, die die Entfaltung der Produktivkräfte beeinträchtigen. Es ist die Hauptaufgabe dieser neuen Gesellschaft, den Weg für diese neue Produktionsweise zu bahnen.

Natürlich ist das eine schwere und verantwortungsvolle Arbeit. Vor den Augen der Menschheit unternimmt ein riesiges Kollektiv eine bisher einzigartige und gemeinsame Willens- und Kraftanstrengung: Es erschüttert die Grundfesten des Kapitalismus, der kurz vor dem Zusammenbruch steht. Das heilige Prinzip des Privateigentums hat sich in Staub aufgelöst. Die Bourgeoisie verliert den Kopf und flieht überstürzt ins Ausland, um von dort aus den bewaffneten Überfall gegen die rebellierenden und ungehorsamen Sklaven zu organisieren. Die Atmosphäre ist kriegsgeladen. Täglich ereignen sich blutige Zusammenstöße an der Front. Wir hören das verbitterte Geschrei der ehemaligen Machthaber und den mutigen Kampfesruf unserer jungen Generation, die die neue Zukunft verteidigt. Die Welt ist beunruhigt. Das „rote Gespenst“ geht um. Die Zukunft erscheint im roten Licht, den einen als Bedrohung, den anderen als lang erwartete Morgenröte.

Kennzeichnend für das neue Wirtschaftssystem in Russland ist die zentrale staatliche Planung von Produktion und Konsum. Alle Reichtümer der Nation werden statistisch erfasst, gleichzeitig wird jeder russische Bürger in seiner Funktion als Produzent und Verbraucher registriert. Unsere Produktionsweise lässt keine wirtschaftliche Anarchie zu. Sie kennt kein Konkurrenzverhalten, keine Wirtschaftskrisen und keine Arbeitslosigkeit. Die früher vorherrschende Arbeitslosigkeit verschwindet, und bereits im dritten Jahr der Revolution gibt es so gut wie keine freien Arbeitskräfte mehr, wir können eher schon von einem Arbeitskräftemangel sprechen. Durch die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln haben wir uns von jener Parasitenklasse „befreit“, die für die Volkswirtschaft keine nützliche Arbeit leistete, sondern nur konsumierte. Deshalb handeln wir im Sowjetrussland nach der Auffassung: „Wer nicht arbeiten will, braucht auch nicht zu essen“. Aktionäre, die ein arbeitsfreies Einkommen beziehen und Deserteure, die ihren Arbeitsplatz verlassen, werden von der Tscheka (Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage) den Gesetzen unserer Republik entsprechend verfolgt. Der Sowjetstaat erwartet von der gesamten Bevölkerung eine äußerste Kraftanstrengung, um die wichtigsten aktuellen Bedürfnisse unserer Gesellschaft zu befriedigen. Der durch den Weltkrieg und die Misswirtschaft der zaristischen Beamten völlig auf den Hund gekommenen Industrie muss wieder auf die Beine geholfen werden. Außerdem müssen wir die Rote Armee, die unsere Revolution verteidigt, unterstützen.

Natürlich gibt es in unserer neuen Gesellschaft auch keinen Platz für weibliche Parasiten – z. B. für wohlgenährte Mätressen, die sich von ihren Männern oder Liebhabern aushalten lassen oder für die berufsmäßigen Prostituierten – denn bei uns gilt: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“. Deshalb ist auch die Verteilung von Konsumgütern streng geregelt, ganz besonders natürlich in den Städten. Nur wer selber arbeitet, erhält auch eine Ration. Durch diese Wirtschaftspolitik (Neue Ökonomische Politik) verändert sich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern total. Die Frau umschmeichelt nicht mehr wie früher ihren Gatten/Versorger, und sie unterwirft sich auch nicht mehr seinen Wünschen. Sie steht jetzt auf eigenen Füßen, geht zur Arbeit, hat ein eigenes Arbeitsbuch und ihre eigene Bezugskarte (für rationierte Lebensmittel und andere Gebrauchsgegenstände). Der Mann kann sich nicht mehr als Herr im Haus, als Familienvorstand oder Oberhaupt aufspielen. Was bleibt ihm auch anderes übrig, seitdem jede Frau ihre eigene Bezugskarte hat, auf der auch die Kinder aufgeführt sind.

Die Frau war also nicht mehr von einem Privatunternehmer und von ihrem Gatten/Familienversorger abhängig. In Sowjetrussland gibt es nur noch ein Oberhaupt für die Arbeiterinnen und Arbeiter: die Sowjetunion. Die Beteiligung der Frauen an den Aufbauarbeiten hat für unser ganzes Volk eine so wichtige Bedeutung, wie sie in einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft unmöglich wäre. Das kapitalistische Wirtschaftssystem setzt ja gerade die Existenz von aufgesplitterten privaten Einfamilienhaushalten voraus und basiert unter anderem auf der Unterdrückung und Unmündigkeit der Frau. Die wichtigste Tat der Revolution ist die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht für alle erwachsenen Männer und Frauen. Dieses Gesetz hat im Leben der Frau zu einer Veränderung ohne Beispiel in der bisherigen Geschichte geführt. Es hat die Rolle der Frau in Gesellschaft, Staat und Familie wesentlich stärker verändert als all die anderen Dekrete seit der Oktoberrevolution, die die politische und staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Frau verkündigten. Wie z. B. das Recht der Frauen, in Arbeiterräte und sonstige Volksvertretungen gewählt zu werden oder aber auch das neue Eherecht vom 18. und 19. Dezember 1917, in dem festgestellt wird, dass die Ehe eine Partnerschaft zwischen gleichberechtigten Individuen ist. Diese Rechtsnorm bedeutet eigentlich nur eine formale Gleichheit vor dem Gesetz; in Wirklichkeit wurde die Frau jedoch aufgrund der noch bestehenden bürgerlichen Traditionen weiterhin diskriminiert und entmündigt. Wir sprechen jetzt über Bewusstseinsformen, Traditionen, Gewohnheiten und die Moral. Erst durch die allgemeine Arbeitspflicht veränderte sich die Rolle der Frau in der Volkswirtschaft. Sie ist jetzt allgemein als eine Arbeitskraft akzeptiert, die teilnimmt an der gesellschaftlich nützlichen Arbeit für das Kollektiv. Wir können aus dieser Entwicklung die Schlussfolgerung ziehen, dass die Gleichberechtigung der Frau auf allen anderen Gebieten mit der Zeit verwirklicht werden wird. Denn wir wissen, dass die Rolle der Frau in der Gesellschaft und das Verhältnis zwischen den Geschlechtern von ihrer Funktion in der Produktion abhängt. Deshalb müssen wir uns genau darüber klar werden, welche revolutionierende Bedeutung die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht für die Befreiung der Frau hat.

Die neue Produktionsweise in Russland setzt drei Dinge voraus: 1. eine exakte Berechnung und sinnvolle Verwendung aller vorhandenen Arbeitskräfte, einschließlich der Frauen, 2. den Übergang vom Einfamilienhaushalt und dem privaten Familienkonsum zur gesellschaftlichen Planung der Wirtschaft und zum kollektiven Verbrauch, 3. die Durchführung eines einheitlichen Wirtschaftsplans. Der lange Krieg – zuerst der imperialistische Krieg und dann der revolutionäre Befreiungskrieg hat die Wirtschaft des Landes unterminiert, das Transportwesen zerstört und die technische Entwicklung gebremst. Die private Aneignung der gesellschaftlichen Reichtümer hat zwar aufgehört, aber die Arbeiterrepublik steht jetzt vor der gewaltigen Aufgabe, den Wiederaufbau der Wirtschaft und die Entfaltung der Produktivkräfte voranzutreiben. Auch die kapitalistischen Länder erleben zur Zeit eine Periode der wirtschaftlichen Unsicherheit und des inneren Zerfalls. Die gesamte kapitalistische Wirtschaft taumelt in eine unausweichliche und globale Wirtschaftskrise. Heute hat das russische Proletariat ein für allemal sichergestellt, dass sich die Produktivkräfte auch in der Zukunft entfalten können. In den bürgerlichen Staaten versuchen die Kapitalisten und Finanzspekulanten zur selben Zeit, mehr oder weniger halbherzig, die Produktion wieder anzukurbeln. Die kapitalistische Wirtschaft befindet sich nach einer kurzen Periode des Aufschwungs erneut in einer Krise, viele Betriebe wurden stillgelegt und die Wirtschaft näherte sich dem Zusammenbruch. Die Arbeiterklasse hat heute begriffen, dass es nur eine wirksame Medizin gegen den Zerfall und die Zerstörung der Volkswirtschaft gibt: die Einführung einer neuen Produktionsweise, denn dies ist die einzige Alternative zum Rückfall der Menschheit in die Barbarei. Heute ist die Sowjetunion damit beschäftigt, diese neue Produktionsweise zu entwickeln. Solange jedoch die Arbeiterklasse in der Sowjetunion noch auf eine im Kapitalismus entwickelte Technik angewiesen ist, ist eine wirklich reibungslose Entwicklung der Produktivkräfte nicht möglich, da wir aufgrund der chaotischen politischen Situation in den kapitalistischen Staaten kurzfristig nicht mit der wirtschaftlichen Hilfe neuentstandener Arbeiterregierungen in Europa rechnen können. Wir sind deshalb zur Zeit noch darauf angewiesen, durch eine planvolle Organisation der menschlichen Arbeitskraft die notwendige Weiterentwicklung der Produktivkräfte selbst durchzuführen.

Deshalb steht die Bevölkerung in der Sowjetunion zur Zeit vor der Aufgabe, die Produktivität jedes einzelnen Arbeiters und jeder einzelnen Arbeiterin zu erhöhen. Bis jetzt kann von einer durchgreifenden Reform der allgemeinen Lebensbedingungen noch nicht die Rede sein, denn der größte Teil der Arbeiterklasse lebt heute noch unter Bedingungen, die ein Erbe der bürgerlichen Vergangenheit sind. Die Energien der Arbeiterinnen werden teilweise durch unproduktive Dienstleistungen für die eigene Familie verschwendet und gehen für die Produktion von gesellschaftlichen Werten und Gebrauchsgütern verloren. Die Arbeiterinnen bringen also ihre Energien nur zum Teil in den Produktionsprozess ein. Dies hat natürlich zur Folge, dass sie häufig unqualifizierte Arbeit leisten und außerdem, dass die Qualität ihrer Arbeit zu wünschen übrig lässt. Die Frauen haben einfach keine Zeit, um sich in ihren Berufen weiterzubilden. Es ist einleuchtend, dass ihre Arbeitsqualität in der Produktion sich umso mehr verschlechtert, je stärker die Arbeitskräfte der Frauen außerhalb des gesellschaftlichen Produktionsprozesses verbraucht werden. Die Arbeiterin und Mutter, die nächtelang an der Wiege des Säuglings wacht und die gezwungen ist, sich während ihrer Freizeit der Familie und dem Haushalt zu widmen, ist natürlich am Arbeitsplatz weniger aufmerksam als der Mann, der nachts ungestört schlafen kann und sich außerdem nicht um allerlei Familienpflichten zu kümmern braucht. Wenn wir die Arbeitsproduktivität der Arbeiterklasse und ganz besonders die der Arbeiterinnen verbessern wollen, dann müssen zuerst die Lebensbedingungen verändert werden. Wir müssen schrittweise, aber zielbewusst das Fundament für eine kollektive Lebensweise legen – und dies heißt, dass wir zuerst ein weitverzweigtes Netz von Säuglingsheimen und Kindergärten aufbauen müssen und eines Tages auch völlig neue Produktionsstätten errichten werden. Erst danach dürfen die staatlichen Wirtschaftsplanungsinstanzen in der Sowjetunion und die Gewerkschaften von den Arbeiterinnen eine Arbeitsproduktivität erwarten, die den allgemeinen Leistungsnormen entspricht. Erst zu diesem Zeitpunkt ist es gerechtfertigt, die Arbeiterinnen für Versäumnisse oder schlampig durchgeführte Arbeiten zu kritisieren. Diesen Zeitpunkt haben wir jedoch erst dann erreicht, wenn alle Arbeiterinnen, und ihre Zahl geht in die Millionen, auch außerhalb ihres Arbeitsplatzes Lebensbedingungen vorfinden, die sicherstellen, dass ihre Arbeitskraft nicht mehr durch privat-wirtschaftliche oder familiäre Bedürfnisse verschlissen wird. Dieser Verschwendung von weiblicher Arbeitskraft muss ein Ende gesetzt werden, und dass dies notwendig ist, leuchtet ohne weiteres ein. Es ist wirklich wichtig, dass die ungeheuren Verluste, die durch die heutigen Lebensbedingungen für unsere sozialistische Volkswirtschaft entstehen, endlich eingeschränkt werden. Wir können die Arbeitsproduktivität nicht dadurch erhöhen, dass wir einseitig die Anzahl der Arbeitskräfte erhöhen. Genauso wichtig ist die Veränderung der Lebensbedingungen, unter denen unsere Arbeiterklasse lebt. Deshalb müssen wir nach und nach den Einfamilienhaushalt durch den ökonomisch effektiveren Kommunehaushalt ersetzen. Nur so können wir die Arbeitskraft der Frau schonen.

Heute ist die Arbeitsproduktivität in der Sowjetunion noch weitgehend von der Zahl der Beschäftigten abhängig, deshalb versucht der „Rat für Arbeit und Verteidigung“ die Anzahl der Parasiten zu reduzieren, da diese Menschen auf Kosten der Arbeiterklasse leben, ohne durch eine eigene Arbeitsleistung zum Wohlstand der Gesellschaft beizutragen. Seitdem in unserer Arbeiterrepublik der Privatbesitz an Produktionsmitteln abgeschafft worden ist, sind die Voraussetzungen für die Entfaltung der Produktivkräfte verbessert worden. Der geschaffene gesellschaftliche Mehrwert wird heute für die Erweiterung der Produktivkräfte oder zur Befriedigung unvorhergesehener Bedürfnisse verwendet. Der geschaffene gesellschaftliche Mehrwert kommt also jetzt dem gesamten Volke zugute und wird nicht mehr für den Privatkonsum der herrschenden Klasse verschwendet. In der bürgerlichen Gesellschaft produzierte nur ein Teil der Gesellschaft, die Arbeiterklasse, den gesellschaftlichen Mehrwert. Die Klasse derer, die selber nichts produzierten, haben aber eine neue Schicht hervorgebracht, die sie mit äußerst unproduktiven Arbeiten beschäftigten, um ihre privaten Konsumbedürfnisse und Launen zu befriedigen: die Dienerschaft, die Hersteller von Luxusgütern, die Unterhaltungskünstler der leichten Muse, die Pseudokünstler und Pseudowissenschaftler und die ständig anwachsende Anzahl von Bettgespielinnen und Prostituierten. Die Kapitalisten verschwendeten einen immer größeren Teil des gesellschaftlichen Reichtums für ihre skrupellosen Vergnügungen. Der unproduktive Anteil der Bevölkerung in den bürgerlich-kapitalistischen Ländern war aber auch deshalb besonders groß, weil sich viele Frauen von ihren Ehemännern versorgen ließen. Bis zum Beginn des 1. Weltkriegs ließen sich mehr als die Hälfte der Frauen von ihren Ehemännern oder Vätern aushalten. Dieser Missstand ist eine Folge der kapitalistischen Gesellschaftsstruktur und behindert die Entfaltung der Produktivkräfte und gleichzeitig auch den notwendigen Kampf gegen die chaotischen Zustände in diesen Ländern.

Das kommunistische Wirtschaftssystem funktioniert dagegen ganz anders. Das Fundament der sozialistischen Wirtschaft ist eine planmäßige Leitung des ganzen Wirtschaftsprozesses, die sich aber nicht mehr an den Bedürfnissen einer kleinen Clique orientiert, sondern an den Bedürfnissen des gesamten Volkes. Die historisch überlebte kapitalistische Warenproduktion verschwindet, und die Produktivkräfte erleben im Sozialismus einen gewaltigen Aufschwung. Als erstes benötigen wir eine zentrale Statistik über die vorhandene Anzahl aller Arbeitskräfte, erst danach ist ein planvoller Einsatz dieser Arbeitskräfte möglich. Aufgrund der freien Konkurrenz herrscht auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt offene Anarchie. Deshalb kann in einem Betrieb die Arbeitslosigkeit herrschen, während in einem anderen Betrieb zur selben Zeit ein offenkundiger Mangel an Arbeitskräften zu verzeichnen ist. Aufgrund der schweren körperlichen Arbeit erkranken in einigen Industriebranchen die Arbeiter, während in anderen Industriezweigen der Produktionsprozess ständig unrationell organisiert ist, weil die Maschinerie und das niedrige Lohnniveau den Kapitalisten trotzdem einen hinreichend hohen Profit garantieren. Nur durch eine planvolle Erfassung und Verteilung der menschlichen Arbeitskraft können die Arbeiter und Arbeiterinnen vor dem schrecklichen Gespenst der Arbeitslosigkeit bewahrt werden. In der Sowjetunion ist die Arbeitslosigkeit heute vollständig verschwunden. Dies ist natürlich für die gesamte Arbeiterklasse eine wesentliche Verbesserung.

Ein weiterer wichtiger Schritt in der Sowjetunion zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität ist der unmittelbare Übergang zur kommunistischen Distribution. Die bisherige enorme Verschwendung weiblicher Arbeitskraft (schließlich ist der Bevölkerungsanteil der Frauen in Russland größer als der der Männer) ist eine Konsequenz des äußerst unwirtschaftlichen Einfamilienhaushalts. Diese Verschwendung kann erst dann gebremst werden, wenn wir zum kollektiven Kommunehaushalt übergehen. Die von den Sowjets eingerichteten Kindergärten, Kinderkrippen, öffentlichen Kantinen und Freizeitheime ersparen der Frau unproduktive Arbeit. Erst wenn die Frau von der eintönigen Haushaltsarbeit und den anderen Familienpflichten entlastet ist, kann sie ihre gesamte Arbeitskraft für eine gesellschaftlich nützliche Arbeit verwenden. Erst nach einer Veränderung der Lebensbedingungen und einer gründlichen Reform der Lebensgewohnheiten nach sozialistischen Prinzipien kann die allgemeine Arbeitspflicht erfolgreich eingeführt werden. Wenn aber die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht nicht gleichzeitig mit einer Veränderung der Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten gekoppelt ist, dann bedeutet dies für unsere Frauen nur eine zusätzliche Arbeitsbelastung, die auf die Dauer zu einer derartigen Überanstrengung der Frauen führen muss, dass wir von einer echten Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens sprechen müssen. Deshalb wäre auch in der kapitalistischen Gesellschaft die Einführung einer allgemeinen Arbeitspflicht und die damit verbundene Doppelbelastung der Frau eine äußerst reaktionäre Entwicklung. In den sozialistischen Arbeiterrepubliken dagegen bedeutet die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht und parallel dazu die Schaffung neuer Lebensbedingungen, wie z. B. der Ausbau des kollektiven Kommunehaushalts, die Errichtung eines soliden Fundaments für die zukünftige Befreiung der Frau.

Die Überreste der bürgerlichen Traditionen sind aber noch immer ein zäher Bestandteil unserer Sitten und Gebräuche und erhalten eine zusätzliche Unterstützung durch die kleinbürgerlichen Sitten der Bauernklasse. Diese Traditionen erschweren das Leben der Frauen sehr. Die Männer haben unter diesen bürgerlichen Traditionen wesentlich weniger zu leiden, weil auch innerhalb der Arbeiterfamilien die eigene Ehefrau, Mutter oder Schwester die Auswirkungen dieser Traditionen aushalten müssen. Diese doppelte Arbeitsbelastung hat für die Frauen natürlich Konsequenzen. Warum sollen gerade die Frauen ihre Gesundheit aufs Spiel setzen? Deshalb liegt auch eine Umorganisierung des Alltags im Interesse der Arbeiterinnen. Da die Frauen nun einmal geschickte und erfahrene Hausfrauen sind, haben sie auch bisher wesentlich mehr Eigeninitiative und Unternehmungslust entwickelt, als es darum ging, das tägliche Leben wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Wir brauchen also weiter nichts zu tun, als ihre Eigeninitiative zu unterstützen und den notwendigen Spielraum für ihre Initiativen zu sichern. Die Proletarierin ist es gewöhnt, ein ,,Heim aus dem Nichts“ aufzubauen und den Familienhaushalt mit minimalen materiellen Mitteln zu führen. Deshalb ist es auch so wichtig, das Interesse der Frauen an einer kollektiven Organisation des täglichen Lebens zu wecken, weil nur so eine Umorganisierung des täglichen Alltags möglich ist. Eine solche Entwicklung wäre für die Frauen und auch für die gesamte Bevölkerung äußerst vorteilhaft. Wir dürfen uns aber nicht einseitig auf die Veränderungen der Lebensbedingungen fixieren. Genauso wichtig ist es für die Frauen, dass sie selbstbewusster werden. Wir dürfen in unserem Kampf für die Mitarbeit der Frauen in allen lokalen Selbstverwaltungsorganen nicht nachlassen, wenn wir wirklich eine Veränderung der Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse erreichen wollen. Aber ohne diese durchgreifende Veränderung der allgemeinen Lebensbedingungen Wird jeder Versuch, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen, ein Schlag ins Wasser bleiben. Deshalb muss es auch im Interesse der übergeordneten Planungs- und Wirtschaftsbehörden sein, dass auch im Betrieb ein Teil der Arbeitszeit für die Veränderung der allgemeinen Lebensbedingungen verwendet wird. Also z. B. die Einrichtung einer Kantine im Betrieb, eines Betriebskindergartens usw. Die Arbeitsstunden, die von den Arbeitern und Arbeiterinnen für die Einrichtung dieser kommunistischen Institutionen verwendet werden, müssen als Teil der obligatorischen Arbeitszeit angerechnet werden. Nur dann können wir eine durchgreifende Veränderung der allgemeinen Lebensbedingungen erreichen. Die Frauenabteilungen müssen zusammen mit der Betriebs- und Gewerkschaftsleitung Modelle entwickeln, die einerseits eine möglichst produktive Verwendung der weiblichen Arbeitskraft garantieren und andererseits die Arbeiterinnen vor Arbeitsüberlastung beschützen. Arbeitszeit und Freizeit gehören zusammen. Die Planung des kommunistischen Alltags ist genauso wichtig wie die Planung der Produktion. Wenn wir wirklich eine volle Entfaltung der Produktivkräfte anstreben, dann muss diese notwendige Vorarbeit geleistet werden. Bei der Planung und der Organisation der Produktion müssen also alle Faktoren berücksichtigt werden, die den täglichen Alltag erleichtern und dem sinnlosen und unwirtschaftlichen Verschleiß der weiblichen Arbeitskraft ein Ende machen. Ich wiederhole noch einmal: Die Veränderungen der Lebensbedingungen müssen Hand in Hand mit der Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht erfolgen. Dies bedeutet eine Intensivierung der Initiativen, die prinzipiell die kollektive Kommunehaushaltung anstreben. Wenn uns dies gelingt, dann wird das sozialistische Wirtschaftssystem, das zur Zeit unter der Diktatur des Proletariats aufgebaut wird und das auf die aktive Mitarbeit der gesamten Bevölkerung in der Produktion angewiesen ist, zu einer in der bisherigen Geschichte der Menschheit noch nicht dagewesenen Veränderung führen: zur gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft.

In der Sowjetunion müssen sich heute alle Frauen zwischen dem 16. und 40. Lebensjahr (soweit sie nicht in der Produktion oder in der staatlichen Verwaltung beschäftigt sind) an Arbeitseinsätzen beteiligen. Nach den allgemeinen Wirren muss endlich die Produktion wieder in Gang kommen. Diese Arbeitspflicht gilt nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Lande. Auch für die Bäuerinnen, die genauso wie die Bauern diese periodisch sich wiederholenden Arbeitseinsätze für die Gesellschaft leisten. Die Bäuerinnen und Bauern werden zu Kutscherdiensten herangezogen, sie helfen beim Transport des Brennholzes, beim Straßenbau oder bei der Einrichtung von Baumschulen. Einige Bäuerinnen nähen auch Uniformen für die Soldaten der Roten Armee. Diese Arbeitspflicht bedeutet für die Bäuerinnen ganz eindeutig eine zusätzliche Belastung, da sich bis heute die Lebensbedingungen auf dem Lande nicht verändert haben. Dort gibt es weder Kinderheime noch Werkskantinen,und dies bedeutet natürlich, dass die Bäuerinnen nach wie vor die gesamte Hausarbeit allein verrichten müssen. Dennoch wird die Tatsache dass die Gesellschaft die Bäuerinnen als produktive Arbeitskraft anerkennt, auf die Dauer ihr Leben verändern und zu einer Aufwertung ihres sozialen Status führen. Der Bauer selbst denkt sich: „Wenn sogar der Staat meine Alte als selbständige Arbeitskraft akzeptiert, na ja, dann taugt sie vielleicht doch was.“ Die zutiefst traditionelle und grenzenlose Unterschätzung der „Alten“ auf dem Lande muss jetzt einer neuen Einsicht weichen. Zwar hat eine gewisse Kräfteverschiebung im Verhältnis von Mann und Frau stattgefunden, jedoch können wir noch nicht von einer Hochachtung des Mannes gegenüber der Frau sprechen.

In den Städten gilt die Arbeitspflicht für all die Frauen, die kein Arbeitsbuch besitzen, d. h. die weder in einer Fabrik oder in einer Werkstatt noch in der Parteiarbeit beschäftigt sind. Diese Frauen arbeiten im Gesundheitswesen, im Krankenhaus oder beim Schneeschippen. Andere Frauen verteilen das rationierte Brennholz oder kehren die Straßen und Treppen der Stadt. Diese allgemeine Arbeitspflicht hat sich bereits jetzt als eine wichtige Antriebskraft für die soziale Befreiung der Frau erwiesen. Ihr ganzes Leben hat sich von Grund auf geändert, dadurch wird natürlich auch das Verhältnis von Mann und Frau beeinflusst. Es wäre jedoch naiv, wenn wir annehmen würden, dass durch die Einführung der Arbeitspflicht bereits eine ausreichende Grundlage für eine echte Befreiung der Frau geschaffen worden ist. Wir dürfen nicht die verschiedenen Funktionen der Frauen in der Gesellschaft vergessen, einerseits als produktive Arbeitskräfte für die Volkswirtschaft, andererseits als Mütter der Generationen von morgen. Kein Arbeiterstaat darf diese besonders wichtige Aufgabe der Frau übersehen. Unsere Partei hat aufgrund einer Initiative der Frauenabteilung und in sehr enger Zusammenarbeit mit uns eine Regelung ausgearbeitet, durch die die Gesundheit und die Arbeitskraft der Frau geschützt werden. Bei dieser gesetzlichen Regelung berücksichtigten wir besonders die Lebensbedingungen in der jetzigen Transformationsperiode. Da alle Bürger in der Sowjetunion eine produktive Arbeit für die Gesellschaft leisten müssen, galt unser Interesse den Müttern und Hausfrauen, für die eine besondere gesetzliche Regelung getroffen wurde. Alle Männer zwischen dem 16. und 50. Lebensjahr unterliegen der allgemeinen Arbeitspflicht, für Frauen ist aber die entsprechende obere Altersgrenze das 40. Lebensjahr. Alle Arbeiter und Arbeiterinnen, die nachweisen können, dass ihre Gesundheit gefährdet ist, werden von der allgemeinen Arbeitspflicht befreit; diese Regelung gilt auch für Frauen, die 45 % ihrer Arbeitsfähigkeit eingebüßt haben. Natürlich gilt die allgemeine Arbeitspflicht nicht für Schwangere. Die Regelung bestimmt, dass jede werdende Mutter 8 Wochen vor und nach der Geburt von jeder Arbeit befreit wird. Die Regelung bestimmt außerdem, dass eine Mutter, die ein Kind von unter 8 Jahren zu versorgen hat, nicht arbeiten darf, wenn kein andres Familienmitglied ihr Kind zu Hause betreut. Auch jene Frauen, die eine Familie von mehr als 5 Personen versorgen müssen, sind von der allgemeinen Arbeitspflicht befreit. In den Erläuterungen des „Rates für Arbeit und Verteidigung“ wird außerdem betont, dass die Frauen in der Regel nur für leichte Arbeiten eingesetzt werden sollen. Alle Frauen in den Städten mit Kindern unter 14 Jahren und alle Frauen auf dem Lande mit Kindern unter 12 Jahren sind von einem Arbeitseinsatz außerhalb ihres Wohnortes befreit.

All die Fragen, über die wir heute gesprochen haben, haben natürlich überhaupt nichts mit den abstrakten Prinzipien über die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern zu tun, die die bürgerlichen Feministinnen aufgestellt hatten! Wir vertreten in unserer Sowjetrepublik folgende Auffassung zur Frage der Frauenarbeit: Gleichberechtigung, Mutterschutz und besondere Rechte. Die allgemeine Arbeitspflicht ist ein wichtiger Bestandteil unserer neuen Gesellschaftsordnung, und sie ist außerdem auch ein Instrument für eine gründliche Lösung der Frauenfrage. Diese Tendenz muss jedoch durch einen erweiterten Schutz der Mutter unterstützt werden, nur so können wir die Arbeitskraft und die Gesundheit kommender Generationen garantieren. Nur wenn die Arbeiterklasse die Macht im Staate übernimmt, und die Frauen gesellschaftlich nützliche Arbeit leisten, kann der schon seit Jahrtausenden andauernden Entmündigung der Frau unwiderruflich ein Ende gesetzt werden. Der Weg zur völligen Befreiung der Frau geht über die Diktatur des Proletariats.


Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020