Alexandra Kollontai

Die Situation der Frau in der
gesellschaftlichen Entwicklung

* * *

2. Vorlesung

Die Rolle der Frau im ökonomischen
System der Sklaverei


Genossinnen, das letzte Mal brachen wir unseren Bericht ab, als wir zu jenem Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung gekommen waren, das durch den Übergang zu einem auf Privateigentum basierenden wirtschaftlichen System gekennzeichnet ist. Der Urkommunismus bestand Tausende von Jahren. Dies war ein wesentlich längerer Zeitabschnitt als die darauf folgende Periode, während der das Privateigentum entstand. Die Frau wurde auf Grund ihrer Rolle im wirtschaftlichen System der friedlichen ackerbautreibenden Völker jahrtausendelang geachtet und geschätzt. Während langer Perioden galt das Mutterrecht. Überlieferte Legenden und alte Volksmärchen dokumentierten, welch hohes Ansehen die Frauen jener Zeit genossen, so z. B. alle Erzählungen, die von den Taten der Amazonen handeln. Berichte über Amazonen sind uns unter anderem aus Griechenland, den Ostseeländern, aus Afrika und aus Böhmen bekannt. In einer dieser Sagen ist von 20.000 berittenen Amazonen die Rede, in einer anderen von einem Amazonenheer, das eine ständige Bedrohung Ägyptens, einem der mächtigsten Reiche jener Zeit, gewesen sein soll. Vor 2.000 Jahren griffen die Frauen eines kriegerischen germanischen Bauernstammes während eines Feldzuges der Römer aktiv in die Kämpfe ein und verjagten den Feind. Auch heute noch besteht die fürstliche Leibgarde eines bestimmten Stammes im afrikanischen Staat Dahome aus bewaffneten Frauen. Bei den Kurden, einer kaukasischen Volksgruppe, sind die Frauen für ihre Tapferkeit berühmt und nehmen an allen Kämpfen aktiv teil. All dies beweist eindeutig, dass die Frau in gewissen Phasen der sozioökonomischen Entwicklung nicht nur Produzent, sondern auch Soldat war. Die Mobilisierung aller verfügbaren Kräfte des noch schwachen Kollektivs zur gemeinsamen Verteidigung war damals absolut notwendig.

Letztes Mal kamen wir zu der Feststellung, dass die Frau jener Zeit höchstes Ansehen genoss. Sie wurde dank ihres Einsatzes als Hauptproduzent respektiert. Gleichzeitig war jedoch die Stellung der Frau bei den viehzüchtenden Stämmen eine völlig andere. Aber bevor diese unfreie Stellung der Frau sich allgemein durchgesetzt hatte, vergingen Jahrhunderte, an deren Ende von der Frauenherrschaft nur noch eine Legende übrig geblieben war. Die Vorherrschaft des Mannes, d. h. des Patriarchates und des Vaterrechts, entstand nicht von einem Tag zum anderen. Die alten Volksmärchen zeugen von einem Jahrhunderte währenden Kampf zwischen Matriarchat und Patriarchat. Die heidnischen Göttersagen sind ein gutes Beispiel dafür. Eine griechische Sage über die Abenteuer des riesenhaften Halbgottes Herakles erzählt von einer Reise zu einem Land, das von einem kriegerischen Amazonenstamm beherrscht wird. Der Reisende beschließt, mit der Weiberherrschaft aufzuräumen und die Männer zu befreien. Eine andere Sage schildert, wie die Götter Athens Frauen zum Verlust ihrer Rechte verurteilen, da diese ihr Wahlrecht dazu benutzt hatten, ihre Stadt nach der Göttin Athene, anstatt nach dem Gotte Poseidon zu benennen.

In uns bekannten germanischen Sagen, z. B. dem Nibelungenlied, wiederholen sich Erzählungen, in denen geschildert wird, wie mutige Krieger mit nicht weniger kampflustigen und schönen Frauen kämpfen müssen, bevor diese sich unterwerfen und ihre Ehefrauen werden. Die schöne Brunhilde konnte von ihrem Freier Gunther nur mit List besiegt werden. Doch selbst in der Brautnacht ergab sie sich nicht, kämpfte weiter und besiegte ihren Helden, den sie unters Dach hängte, während sie in aller Ruhe schlafen ging. Auch russische Volkslieder schildern, wie frei und gleichberechtigt die Frau nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern auch auf dem Schlachtfeld war. So z. B. stößt der Held Dobrynja Nikititsch auf offenem Feld mit einem „fahrenden Ritter, einer stattlichen Frau“, zusammen, eindeutig eine Vertreterin eines Stammes, in dem immer noch das Mutterrecht vorherrschte. Dobrynja beginnt, sich mit ihr zu schlagen. Sie aber packt ihn an seinem lockigen Haar, stopft ihn in eine „große Tasche“ und erklärt ihm, dass sie ihn nur dann heiraten werde, falls es ihr behage. Dieser Lieder- und Märchenschatz gibt uns ein lebendiges Bild von dem Jahrhunderte währenden Kampf der Menschheit um Vater- und Mutterrecht. Dies zeigte sich auch in einer Veränderung der religiösen Vorstellungen. Der Höhlenmensch verehrte die Erde, die mächtige Urmütter, in deren Schoß alles Leben seinen Ursprung hatte. Dies dauerte solange, bis der Mensch aufgrund seiner Erfahrungen einsah, dass die Fruchtbarkeit der Erde auch vom Himmel abhing. Die Erde allein konnte eine gute Ernte nicht garantieren, solange der Himmel nicht mit Sonne und Regen entsprechend dazu beitrug. Genauso wie die Frau ohne männlichen Samen unfruchtbar bleibt, so kann auch die Erde ohne Feuchtigkeit und Wärme nicht grünen und Früchte tragen. Die Verehrung der Erde als einzigem Gott wich der Sonnenanbetung, den Göttern Osiris, Apollo und dem russischen Gott Jarilo. Die Frauenherrschaft, das Mutterrecht, dominierte, solange das Kollektiv durch gemeinsame Interessen verbunden war, und die Frau in diesem Kollektiv mit seiner primitiven Ökonomie als Hauptproduzent fungierte. Das Vaterrecht setzte sich im Zusammenhang mit der Entstehung des Privateigentums und den damit verbundenen Interessenkonflikten zwischen den verschiedenen Stammesmitgliedern durch. Die Zersplitterung des Stammes musste verhindert werden. Und dies nicht wie bisher auf Grund eines instinktiven Zusammenhaltens, vereint am gemeinsamen Herd, an dem die gemeinsame Mutter waltete, sondern auf Grund der Autorität des Stärkeren. Welche Folgen hatte die Entstehung des Privateigentums für die Stellung der Frau? Viele sind der Überzeugung, dass Leibeigenschaft und unmündige Stellung der Frau parallel zur Einführung des Privateigentums entstanden. Das ist nicht richtig. Das Privateigentum trug zwar zur Entmündigung der Frau bei, aber eben nur dann, wenn sie bereits auf Grund der Arbeitsteilung ihre Bedeutung in der Produktion eingebüßt hatte. Nehmen wir z. B. einen ackerbautreibenden Stamm. Dort wurde die Frau nur so lange respektiert, wie das ursprüngliche, ökonomische System noch nicht unter dem Druck sich häufender Reichtümer und wachsender Arbeitsteilung zusammengebrochen war.

Neben der Landwirtschaft, der hauptsächlichen Versorgungsquelle, entstanden in einem bestimmten Entwicklungsstadium verschiedene Berufe wie Töpfer, Gerber, Weber, Soldaten, Opferpriester usw., d. h. Fachleute auf verschiedenen Gebieten. Mit dem Anwachsen und Aufblühen des Handwerks verlor die Arbeit des Bauern mit der Zeit ihre Bedeutung als wichtigster Garant für das Überleben des Stammes. Und mit der Entstehung von Berufen beginnt notwendigerweise auch der Tauschhandel, mit anderen Worten also die Jagd nach Profiten. Der Töpfer, der einen Tonkrug macht, will nicht das Anrecht auf das Produkt seiner Arbeit und damit auf einen eventuellen Gewinn beim Tauschen verlieren. Der Bauer seinerseits versucht, unter geringsten Kosten in den Besitz der Produkte des Töpfers zu kommen. Jetzt strebt man also nicht mehr, wie noch zu Zeiten des Urkommunismus, vor allem danach, die Bedürfnisse des Stammes zu befriedigen. Die Profitjagd wird nun zur wirklich treibenden Kraft der Ökonomie.

In dieser Periode ist die Arbeit des Töpfers, Gerbers oder Webers mehr wert als die des Bauern. Man beginnt, die Arbeit des Bauern als minderwertig zu betrachten. Und dies nicht etwa, weil diese Arbeit nicht mehr das Fundament des wirtschaftlichen Systems gewesen wäre, sondern weil sie einen größeren Arbeitseinsatz erforderte. Hat das Handwerk eines Stammes ein hohes Entwicklungsniveau, so überlässt man die Arbeit in der Landwirtschaft den Sklaven, derer man sich im Krieg bemächtigt hat.

Welche Stellung hat die Frau in einem solchen wirtschaftlichen System? Wird sie nach wie vor respektiert, obwohl die Landwirtschaft, die ihr ursprünglich Respekt und Hochachtung bescherte, als minderwertige Arbeit, gerade noch gut genug für Sklaven, betrachtet wird? Hierfür ein aktuelles Beispiel aus der Geschichte: In Ägypten, einem Land mit sagenhaften Reichtümern und bedeutender Macht, überlebten lange Zeit Reste der ursprünglichen Herrschaft der Frau, des Matriarchats. Zur gleichen Zeit, als die Frauen überall, ja sogar in den hochentwickelten Kulturländern wie Griechenland und dem römischen Reich, abhängig und rechtlos waren, lebte die Ägypterin relativ frei und gleichberechtigt.

Wie lässt sich das erklären? An den überschwemmten Ufern des wasserreichen Nils blühte die Landwirtschaft wie sonst nirgends zu dieser Zeit. Der Stamm, der sich in Ägypten niedergelassen hatte, war also ein Bauernvolk. Wir wissen aber bereits, dass in einer früheren Phase der geschichtlichen Entwicklung die Frauen der Bauernstämme die Hauptproduzenten gewesen sind. Diese Rolle verschaffte der ägyptischen Frau Rechte und Privilegien, die sich über Jahrhunderte hielten, der Entstehung von Privateigentum und Kastenwesen zum Trotz. Erst als sich Handel und Handwerk mehr entwickelt hatten, begannen Kaufleute und Handwerker an Stelle der Bauern die Lebensweise zu prägen. Warum? Der Beruf des Kaufmannes oder Handwerkers lohnte sich eher, da er mehr Gewinn einbrachte als die Arbeit des Bauern. Sobald sich das Privateigentum durchgesetzt hatte, trat die Profitjagd an die Stelle einer Arbeit im Interesse des Gesamtkollektivs. Eine logische Konsequenz dieser Entwicklung war es dann, dass die Frau als Hauptproduzent des wirtschaftlichen Systems auf Grund der neuen Entwicklung ihre bisher geachtete Position einbüßte. Nur die Frauen jener Stämme und Kasten, die sehr alteingesessen und deshalb angesehen waren, konnten ihre Rechte behalten. Die Frauen der übrigen Volksschichten jedoch (von den Sklavinnen ganz abgesehen) waren zu jener Zeit genau so entrechtet und unterdrückt wie die Frauen in anderen Staaten.

Wir haben uns besonders eingehend mit Ägypten beschäftigt, da diese Kultur geradezu ein Musterbeispiel dafür ist, dass die Rechte der Frauen von ihrer ökonomischen Bedeutung abhängen. Außerdem sieht man daran, dass die ehemaligen Rechte der Frau wesentlich länger bei jenen Völkern überlebten, in denen sie ursprünglich als Hauptproduzent fungiert hatte. Dies galt auch dann, wenn das System des Urkommunismus von einem auf Privateigentum basierenden sozioökonomischen System abgelöst wurde.

Das Privateigentum hätte nicht zur Versklavung der Frau führen müssen, wenn sich nicht bereits vorher ihre Bedeutung als Hauptverantwortliche für die Versorgung des Stammes verloren hätte. Aber das Privateigentum und die Aufspaltung der Gesellschaft in Klassen formten und steuerten die wirtschaftliche Entwicklung, so dass sich die Rolle der Frau in der Produktion praktisch auf Null reduzierte. Die Unterdrückung der Frau hängt mit einer Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zusammen, bei der die produktive Arbeit die Aufgabe des Mannes war, während die Frau nebensächliche Aufgaben übernahm. Je perfekter diese Arbeitsteilung wurde, desto abhängiger wurde die Frau, bis schließlich ihre Leibeigenschaft ein Faktum war.

Formal war die Einführung des Privateigentums der Wendepunkt eines Prozesses, in dessen Verlauf die Frau von der produktiven Arbeit abgeschnitten wurde. Doch diese Entwicklung hatte bereits im Urkommunismus begonnen (z. B. bei jenen Volksstämmen, die von Viehzucht lebten). Obwohl man das Privateigentum nicht als Hauptsache für die im Kollektiv vorherrschende Ungleichheit verantwortlich machen kann, so trug es doch wesentlich dazu bei, diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu festigen und die Abhängigkeit und Unterdrückung der Frau zu verschärfen. Wichtigste Folge des Privateigentums war, dass der Einzelhaushalt sich aus der bisherigen einheitlichen und gemeinsamen Ökonomie des Stammes abkapselte. Die Existenz solcher selbständigen Haushalte verstärkte eine mehr und mehr geschlossene Familienform. Innerhalb dieser isolierten, individuellen Familienwirtschaft erfolgte dann noch eine zusätzliche Arbeitsteilung. Alle produktiven Arbeiten im Freien wurden von den männlichen Familienmitgliedern ausgeführt, während es das Los der Frau war, am Herd zu stehen. Das Privateigentum also, das die Familienhaushaltung ermöglichte, trug durch die beschränkte und unproduktive Hausarbeit zur Versklavung der Frau bei. Nationalökonomisch betrachtet, verlor die Frauenarbeit an Bedeutung, und die Vorstellung von der Frau als einem wertlosen Geschöpf und Anhängsel des Erzeugers neuer Werte, des Mannes, setzte sich durch.

Der Spaten und der Mühlstein – ursprünglich eine Erfindung der Frau, die ihn dazu benutzt hatte, die Nahrung der Kinder zu zerkleinern – wurden aus den Händen der Frau in die des Mannes überführt. Auch die Äcker waren nicht mehr das Reich der Frau. Ihr freies und ungebundenes Dasein unter offenem Himmel nahm ein Ende. Für Tausende von Jahren wurde sie zwischen die vier Wände ihres Heimes verbannt und von jeder produktiven Arbeit ausgeschlossen. Jetzt bewachte sie das Herdfeuer nicht mehr im Interesse des ganzen Stammes als eine kollektive Muttergestalt, sondern nur noch als die Ehefrau und Magd ihres Mannes. Sie hatte zu spinnen, zu weben und die Familie mit Kleidung und Essen zu versorgen. Zwar ist auch heute noch die Bearbeitung von Hanf und Flachs in der Landwirtschaft hauptsächlich Frauenarbeit, sie hat jedoch im Bauernhaushalt immer nur eine nebensächliche Bedeutung gehabt.

Ich hoffe, Ihr erinnert Euch noch im Großen und Ganzen an die letzte Vorlesung. Wir gehen jetzt zur Untersuchung der Frau im nächsten Stadium der ökonomischen Entwicklung über und befinden uns nun, 2500 Jahre zurückgerechnet, in der vorchristlichen Antike. Wir haben es jetzt nicht mehr mit wilden Volksstämmen zu tun, mit schwachen Ansätzen einer Zivilisation, sondern mit hochentwickelten Staatsgebilden, die über bedeutende und mächtige Heere verfügten und in denen sich das Privateigentum durchgesetzt hatte: Staaten mit scharfen Klassenunterschieden, blühendem Handwerk und Handel. Ihr ökonomisches System basiert auf Sklavenarbeit und einer Übergangsform von Naturhaushalt und einem mehr entwickelten Tauschhandel. Jetzt entsteht zum ersten Mal Kapitalakkumulation in ihrer elementarsten Form.

Welche Aufgabe hatte die Frau in dieser Phase der ökonomischen Entwicklung? Welche Rechte hatte sie in den alten heidnischen Republiken Griechenland, Rom und in der freien Stadt Karthago? Jetzt ist es bereits unmöglich, über die Rolle der Frau in der Produktion zu sprechen, ohne zuvor ihre Klassenzugehörigkeit zu bestimmen. Als das gesellschaftliche System jener Zeit ökonomisch seinen Höhepunkt erreicht hatte, war es in zwei voneinander eindeutig abgegrenzte Klassen aufgeteilt: die der freien Bürger und die der Sklaven. Geschätzt wurde nur die Arbeit der freien Bürger, obwohl die Sklaven für die Herstellung von Brot und allen übrigen lebensnotwendigen Produkten verantwortlich waren. Das Ansehen eines freien Bürgers stand in Proportion zu den Diensten, die er innerhalb des organisierten Staates verrichtete. Am meisten respektiert waren jene Staatsmänner, die imstande waren, das Kollektiv zu disziplinieren, und die für die Einhaltung von Gesetz und Ordnung im gesellschaftlichen Leben sorgten. Ihnen folgten dem Rang nach die Krieger. Kaufleute und Handwerker genossen nur unbedeutende Rechte, und die Sklaven, die wirklichen Erzeuger des Wohlstandes, waren völlig rechtlos. Wie war das möglich? Warum wurden die nützlichsten Mitglieder des Kollektivs, die unter der Periode des Urkommunismus zweifellos an erster Stelle gestanden hätten, von allen am meisten verachtet?

Die grundsätzliche Unverletzbarkeit von Privateigentum und Handel trug entscheidend zu dieser unnatürlichen Ordnung der Dinge bei. Wenn ein Grundbesitzer seine Sklaven effektiv organisieren, in Zucht halten und zur Erzeugung aller für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Waren zwingen konnte, so war er angesehen unter seinen Zeitgenossen. Man würdigte also einzig den Gewinn, den der Sklavenbesitzer aus der Arbeit seiner Sklaven zog. In solchen kulturell hochentwickelten Staaten wie Griechenland und Rom war die Frau, als diese Kulturen ihren Höhepunkt erreichten, völlig rechtlos, sie war Leibeigene. Aber auch in Griechenland ist die Stellung der Frau ursprünglich nicht immer so gewesen. Sie war eine andere in jener Vorzeit, als die Bevölkerung noch in kleinen Stammeseinheiten lebte und weder Privateigentum noch Staatsgewalt kannte. Ursprünglich waren auch die Griechen ein Ackerbau und Viehzucht betreibendes Volk. Sie waren jedoch aufgrund der klimatischen und geographischen Bedingungen der Halbinsel sehr früh gezwungen, zu einer komplexeren Ökonomie überzugehen. Die Frauen arbeiteten nicht nur in der Landwirtschaft, sie wurden auch in der intensiv betriebenen Viehzucht benötigt, beim Spinnen und Weben. Zu Homers Tagen – er hat das Leben der alten Griechen in seinen poetischen Schilderungen dargestellt – nahmen die Frauen Seite an Seite mit den Männern an der produktiven Arbeit teil. Damals waren sie zwar nicht völlig gleichberechtigt, jedoch relativ frei. Ob in Griechenland selbst jemals das Matriarchat existiert hat, ist heute schwer zu sagen. Da sich die griechische Bevölkerung sehr frühzeitig durch eine kombinierte Wirtschaftsform versorgte, können wir annehmen, dass in Griechenland das Matriarchat auf keinen Fall so verbreitet war wie etwa bei den Ägyptern und anderen Bauernvölkern. Dass jedoch die Frau im Leben der alten Griechen eine hervorragende Rolle spielte, ist aus ihrer Religion ersichtlich. Die Griechen verehrten die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Beachtenswert hierbei ist, dass dieser Kult der Fruchtbarkeit galt und nicht nur einfach der Erde, wie zuvor geschildert in den primitiveren Entwicklungsstadien der Menschheit. In der Göttin Athene verehrten die Griechen die weibliche Klugheit, die der Menschheit das Handwerk und die Künste des Webens und Spinnens beigebracht hatte. Auch die Erfindung von Gewichten und den Anbau von Olivenbäumen führten sie auf Athene, d. h. aber in Wirklichkeit auf die Frauen ihrer Vorfahren zurück. Entsprechend reflektieren andere Religionen die Bedeutung der Frauen innerhalb des jeweiligen wirtschaftlichen Systems: die der alten Norweger zum Beispiel, die in früheren Zeiten die Göttin Idun als Beschützerin; und Gärtnerin des Apfelbaumes verehrte.

Bei den Griechen wurde das Recht nicht etwa durch die Gestalt des Richters, d. h. eines Mannes, sondern durch die der Göttin, der Frau mit den zwei Waagschalen symbolisiert; ein Zeichen dafür, dass in der Vorgeschichte Griechenlands Zank und Streit von der Frau, dem Oberhaupt der Familie, geschlichtet wurden.

Die Erfindung des Feuers war nach der Vorstellung der Römer der Göttin Vesta zu verdanken. Die unbefleckten Jungfrauen, die Vestalinnen, behüteten die heilige Flamme. In der griechischen Mythologie gibt es zahlreiche Beispiele für den Kampf zwischen Vater- und Mutterrecht. Dies wiederum zeigt uns, dass es eine Periode gegeben haben muss, in der die Frau als Mutter das wirtschaftliche System des Stammes steuerte.

Zu Homers Zeit durfte die Frau größeren Gastmählern beiwohnen und als Ehepartnerin war sie geschätzt und geliebt. Die Männer waren ihr gegenüber höflich und aufmerksam. Keineswegs war dies jedoch ein matriarchalisches System. Homer erzählt von Penelope, dem Musterbeispiel einer geduldigen Gattin, die auf ihren spurlos verschwundenen Ehemann wartet. Penelope vertrat während eines Festes die Ansicht, ihre Schwiegermutter habe nichts unter den Gästen zu suchen, sie solle sich lieber mit Hausarbeit im Frauengemach beschäftigen.

Bereits zu Homers Zeiten gab es die Ehe, das Privateigentum und den getrennten Einfamilienhaushalt. Es ist also nicht überraschend, dass die Griechen in jener ökonomischen Periode anfingen, den Frauen die „Familientugenden“ zu predigen und sie zu überreden versuchten, gegenüber den außerehelichen Seitensprüngen des Mannes nachsichtig zu sein. Diese vergrößerten ja nicht die Anzahl der Familienmitglieder, sondern ersparten dem Hausherrn außerdem unnötige Sorgen mit überflüssigen Kindern. Die Frau des Königs Priamos, Hekuba, beklagte sich bitter darüber, wie gebunden sie sei, sie empfände sich selbst wie „ein Kettenhund“ an der Tür ihres Gatten. Es ist wichtig, sich mit der Stellung der Frau in dieser Entwicklungsepoche des griechischen Staates, die auf dem Privateigentum und der Sklavenarbeit basierte, zu beschäftigen. Während der Blütezeit der griechischen Kultur, als prächtige Tempel errichtet wurden, berühmte Bildhauer die unsterblichen Statuen von Apollo und Venus schufen und die griechischen Städte die Metropolen des internationalen Handels waren, mit einem blühenden Handwerk, berühmten philosophischen Schulen, die Wiege der modernen Wissenschaft, büßte die Frau sämtliche althergebrachten Rechte und Privilegien ein und wurde zu einem Haussklaven ihres Herrn und Meisters, dem Ehemann. Gleichheit zwischen den Geschlechtern existierte damals einzig und allein bei den Sklaven. Aber was für eine Gleichheit war das? Sie waren gleichermaßen rechtlos, unfrei und unterdrückt, litten unter ununterbrochener schwerster und ermüdender Arbeit, ständigem Hunger und anderen Plagen. Die Lebensbedingungen der Sklaven lassen sich durch ihre rechtlose Stellung, die in enger Beziehung zu ihrem sozialen Status stand, erklären. Dass die griechischen Frauen, die freie Bürgerinnen der kulturell hochentwickelten griechischen Republiken waren, rechtlos waren und unterdrückt wurden, bedarf jedoch einer anderen Erklärung.

Natürlich waren die Frauen in Athen und Sparta Bürger mit Rechten, ja sogar mit Privilegien, wenn wir sie mit den Sklaven vergleichen. Ihre Privilegien genossen sie jedoch dank der Positionen ihrer Männer und nicht etwa auf Grund eigener Verdienste. Sie selbst waren als Menschen und Bürger völlig uninteressant und wurden lediglich als Anhang ihrer Männer betrachtet. Ihr Leben lang befanden sie sich unter Vormundschaft, erst unter der des Vaters und dann unter der ihres Mannes. Zu den Festen, die das öffentliche Leben in Griechenland prägten, hatten sie keinen Zugang. Die Bürgerinnen im freien Griechenland, in Karthago und in Rom kannten nichts anderes als ihren begrenzten Familienhaushalt. Sie waren vollauf damit beschäftigt, zu weben, zu spinnen, zu backen und Aufsicht über die Dienerschaft und die Sklaven des Hauses zu halten. Die reicheren Frauen waren auch von diesen Pflichten befreit. Sie verbrachten ihr ganzes Leben in den Frauengemächern, abgeschnitten und isoliert von jeder Form tätigen Daseins, in einer erstickenden Atmosphäre und nicht unähnlich jenem Eremitendasein, zu dem die Frauen und Mädchen der russischen Aristokratie viele hundert Jahre später verdammt waren. Der Satiriker Aristophanes beschreibt mit Ironie das Leben einer reichen Frau: „Sie trägt safrangelbe Kleider, macht sich hübsch mit roter Schminke, besitzt moderne Sandalen, lebt von der Arbeit des Mannes und der Sklaven und ist im übrigen ein Parasit“. Es kann uns also nicht wundern, wenn aus der Sicht des Mannes betrachtet ihre einzige Aufgabe das Gebären von Nachkommen war. Sie wurde fürs „Heim“ erzogen. Sie hatte „tugendhaft“ zu sein und das hieß, uninteressiert und dumm. Am beliebtesten war damals jener Frauentyp, dem man weder Gutes noch Böses nachsagen konnte. Einerseits konnte der Mann die Ehebrecherin als Sklavin verkaufen, andererseits konnte er sich selbst eine Geliebte anschaffen, für den Fall, dass sein tugendhaftes Weib ihn zu langweilen begann. Neben der gesetzlich sanktionierten Einehe war die illegale, jedoch allgemein akzeptierte Polygamie in Griechenland sehr verbreitet: „Als Kindergebärerin und Haushälterin eine gesetzliche Ehefrau, eine Sklavin zur Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse und zur Befriedigung des Intellekts und des Gefühlslebens eine Hetäre (Gefährtin)“.

In jenen aufgeklärten kulturell hochstehenden und auf ihre Reichtümer und Kleinode stolzen Republiken Griechenlands und in Rom war die Ehefrau eines freien Bürgers genau so rechtlos und abhängig wie jene Sklaven und Diener, über die sie im Namen ihres Mannes kommandierte. Ein weibliches Mitglied des Balondastammes lebte zwar in einer Bambushütte, war jedoch wesentlich freier und gleichberechtigter gegenüber dem Mann als ihre griechischen und römischen Geschlechtsgenossinnen jener Periode, selbst wenn diese in Marmorpalästen wohnten.

Wie war das möglich? Womit lässt sich diese Rechtlosigkeit der Frau erklären, obwohl gleichzeitig in diesen Gesellschaften ein ökonomischer und kultureller Aufschwung stattfindet? Es dürfte nicht schwer fallen, Genossinnen, das zu erraten. Ich kann an Euren Gesichtern ablesen, dass Ihr es verstanden habt. Die Frauen des afrikanischen Balondastammes beschäftigten sich mit produktiver Arbeit fürs Kollektiv, während die Kulturgriechin, wenn sie überhaupt etwas tat, sich auf Arbeiten innerhalb des begrenzten eigenen Haushaltes, der eigenen Familie beschränkte. In einem sehr frühen Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung war auch die Griechin eine wertvolle Arbeitskraft für das Kollektiv gewesen. Mit dem Aufkommen des Privateigentums jedoch und seitdem die Produktion auf der Sklavenarbeit beruhte, hatte sie sich mehr und mehr zu einem reinen Fortpflanzungsinstrument verwandelt. Merkt Euch also, Genossinnen, dass in so aufgeklärten Gesellschaften wie Griechenland oder auch im mächtigen Rom mit seinen zahlreichen Kolonien und in der freien und reichen Stadt Karthago, nicht einmal die Frauen der herrschenden Klasse irgendwelche Privilegien oder Rechte hatten. Allerdings müssen wir berücksichtigen, dass im Falle Griechenlands das Matriarchat nur schwach entwickelt gewesen war, das Patriarchat sich deshalb dort sehr früh durchsetzen konnte und die Frau schnell in starke Abhängigkeit geriet. In der Republik Rom dagegen existierten sogar noch Überreste des Matriarchats, als Rom bereits das mächtigste Reich der Welt war. Auch noch zu jener Zeit, als das Privateigentum gesetzlich geschützt war und die produktive Arbeit von Sklaven ausgeführt wurde, wurde der römischen Matrone immer noch mit Respekt und Hochachtung begegnet. Freie Bürger traten auf der Straße zur Seite, um ihr Platz zu machen. Zu Hause war ihre Autorität unbestritten, und es war die Mutter, die die Kinder erzog. Wie lässt sich dieser Unterschied erklären? Das Römische Reich wurde von einem Bauernstamm gegründet. Das Matriarchat war deshalb tief in der Vergangenheit dieser Gesellschaft verankert und beeinflusste diese auch noch in wesentlich späteren Entwicklungsstadien. Neben den unselbständigen Weibchen, den tugendhaften Ehefrauen-Parasiten, gab es in Griechenland eine selbständige Gruppe freier unabhängiger Frauen, die Hetären. Sie waren die Mätressen der mächtigen Männer Griechenlands. Die Hetären waren entweder freie Bürgerinnen oder freigekaufte Sklavinnen, die mutig die Grundsätze der damaligen Ehemoral übertraten. Viele dieser Hetären sind in die Geschichte eingegangen, so z. B. Aspasia, die Freundin des berühmten Staatsmannes Perikles, Lais, Phryne oder Lamia. Diese Frauen waren sehr gebildet und wissenschaftlich und philosophisch interessiert. Sie waren politisch aktiv und beeinflussten die Geschäfte des Staates. Sie wurden von den ehrbaren und tugendhaften Hausfrauen gemieden. Die Männer schätzten jedoch den Umgang mit ihnen. Die Philosophen und Denker jener Zeit wurden nicht selten von den Ideen und neuen Gedanken dieser gebildeten Hetären inspiriert. Mehrere Zeitgenossen haben die Freundschaft zwischen dem berühmten Philosophen Sokrates und Aspasia geschildert und von den brillanten politischen Reden jener Frau berichtet. Phryne inspirierte den berühmten Bildhauer Praxiteles und die Hetäre Lamia, die ungefähr 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung lebte, spielte eine entscheidende Rolle bei der Verschwörung gegen zwei Tyrannen, die in der Republik die Macht an sich gerissen hatten. Sie wurde zusammen mit ihren Kameraden, die für die Freiheit gekämpft hatten, ins Gefängnis geworfen und grausam gequält. Sie biss sich jedoch, um nicht zur Verräterin zu werden, selber die Zunge ab und spuckte sie ihrem Richter ins Gesicht. Die Existenz der Hetären ist ein Beweis dafür, dass bereits damals die Frau versuchte, sich aus jener erdrückenden Gefangenschaft, die ihre Abhängigkeit ja bedeutete, zu befreien. Den Hetären jedoch fehlte die wichtigste und grundlegende Bedingung für einen Erfolg: sie führten keine produktive Arbeit aus. Für den Volkshaushalt waren sie deshalb genau so wenig wert wie die ungebildeten und prüden Haus- und Ehefrauen der griechischen und römischen Männer. Jene Freiheiten und Privilegien, die sie sich erkämpft hatten, waren auf losen Sand gebaut: in materieller Hinsicht waren sie nach wie vor von den Männern abhängig.

Es gab in Griechenland auch einzelne Frauen, die auf dem Gebiet der Kunst, der Wissenschaft und der Philosophie Außerordentliches geleistet haben, die versuchten, die Schatzkammer des menschlichen Wissens und der Kunst mit ihren Beiträgen zu bereichern. Die griechische Dichterin Sappho z. B. errichtete ihren Freundinnen eine eigene Schule. Agnidike, die erste Ärztin, hatte sich als Mann verkleidet, um sich zum Arzt ausbilden zu können, und begann nach abgeschlossenem Studium Kranke zu behandeln. In Alexandria lebte eine gelehrte Professorin und Philosophin, übrigens eine sehr schöne Frau. Um sie sammelte sich ein Kreis von Gelehrten und Interessierten aus allen Ecken der Welt. Diese Frau fand jedoch einen tragischen Tod. Sie wurde von einer unwissenden, von neidischen Priestern aufgewiegelten Volksmasse in Stücke gerissen. Dies geschah unter der Periode des frühen Christentums. Solche Frauengestalten voller Schönheit und Kraft zeigen uns, wozu die Frau imstande war, wenn man nicht ihren Verstand, ihr Herz und ihre Seele abtötete, indem man sie zu einem entwürdigenden Dasein zwischen den vier Wänden ihres Haushaltes verurteilte. Leider hatten diese wenigen mutigen Frauen keinerlei Bedeutung für die allgemeine Atmosphäre, die vom Parasitismus, der Müßiggängerei der Frauen geprägt war. Sie waren Ausnahmen und deshalb nicht fähig, die Lebensbedingungen der Frauen zu verändern, da ihre Rolle in der Ökonomie bedeutungslos geworden war. Zwar litten die Frauen sehr unter ihrer rechtlosen Stellung – einige wenige versuchten ihren eigenen Weg zu gehen –, doch verharrten die meisten in ihrer Rolle als Sklavin von Haushalt, Mann und Familie. Bezeichnenderweise fühlten die Frauen instinktiv, dass der individuelle Haushalt, das Privateigentum und die legale Ehe Haupthindernisse für die Befreiung der Frau waren. In „Die Weibervolksversammlung“, einer Komödie des berühmten griechischen Schriftstellers Aristophanes, werden die Frauen lächerlich gemacht, weil sie eine neue Ordnung einführen und die Geschicke des Staates in eigene Hände nehmen wollen. Interessant ist jedoch vor allem, dass die Heldin dieser Komödie, Praxagora, die Anführerin „gemeinsames Eigentum“ vorschlägt. „Ich fordere“, sagte Praxagora, „dass alles gemeinsam sein soll, dass alles allen gehören soll, dass es nicht mehr Reiche und Arme geben soll. Es soll nicht länger so sein, dass gewisse Leute über riesige Felder herrschen, während das Fleckchen Erde, das andere besitzen, knapp für einen Grabplatz ausreicht. Die Frau soll allgemeines Eigentum sein. Jeder habe das Recht, Kinder zu zeugen, mit wem er will.“ Dies war der Protest der Frauen gegen Privateigentum, Zwangsehe und Abhängigkeit ungefähr 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung, d. h. vor 2.300 Jahren. Der Traum von einer kommunistischen Organisation, die die Frau aus ihrer Unmündigkeit erlösen konnte, musste so allgemein akzeptiert gewesen sein, dass ihn der begabte Satiriker Aristophanes in allgemein verständlichen und wohlbekannten Komödien-Figuren gestalten konnte. Es ist denkbar, dass die Frauen die Befreiung aus ihrer Situation in einem kommunistischen Organisationsideal suchten, weil durch den Volksmund die glückliche Vergangenheit der Frau im Urkommunismus überliefert worden war. Wie dem auch sei, die griechischen Frauen hatten völlig Recht mit ihrer Auffassung, dass die veränderte Rolle der Frau, ohne eine radikale Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse Griechenlands, die sich auf Klassengesellschaft und Sklavenarbeit gründeten, unmöglich war. Die Versuche einzelner Frauen, die große Masse der Frauen vor körperlicher und geistiger Versklavung zu retten, mussten daher erfolglos bleiben. Bevor der Traum Praxagoras Wirklichkeit wurde, sind mehr als zwanzig Jahrhunderte vergangen. Das heutige Russland jedoch ist ein lebender Beweis dafür, dass Praxagora Recht hatte, als sie glaubte, die Befreiung der Frau sei nur möglich durch Kommunismus, Freiheit und Gleichheit.


Zuletzt aktualisiert am 27. Juni 2020