Karl Liebknecht

 

Militarismus und Antimilitarismus

 

Zweiter Teil
Antimilitarismus

 

III. Die Gefahren des Antimilitarismus

Im Punkte Militarismus sind Reaktion und Kapitalismus besonders empfindlich; sie haben genau erkannt, daß sie im Militarismus ihre wichtigste Machtposition gegenüber der Demokratie und der Arbeiterklasse verteidigen, und stehen dem Antimilitarismus in beiderlei Gestalt, das heißt, soweit er gegen den äußeren und soweit er gegen den inneren Militarismus geht, in festgeschlossener Phalanx gegenüber. Die goldenen Tage seiner schwankenden, oftmals harmlos-gnädigen Behandlung durch die mit Hilfe der überlieferten revolutionären Phraseologie zeitweilig gebannte Justiz dürften für Belgien und selbst für Frankreich vorüber sein, seitdem der Antimilitarismus eine ernste Gefahr für die antiproletarischen Mächte geworden ist.

Für Deutschland sei an den Maulkorb- und Verdummungserlaß des späteren Kriegsministers von Goßler aus dein Januar 1894 erinnert (publiziert im Reichsanzeiger); dort wird den Unteroffizieren und Mannschaften (nicht den Offizieren, deren Gesinnung vermöge ihrer sozialen Herkunft und Lage sowieso zuverlässig ist) nicht nur jede erkennbar gemachte Betätigung revolutionärer oder sozialdemokratischer Gesinnung sowie das Halten und die Verbreitung revolutionärer und sozialdemokratischer Schriften dienstlich verboten, sondern auch, um alle Umgehungen und ungewollten Versuchungen auszuschließen, jede Beteiligung an irgendwelchen Vereinigungen, Versammlungen, Festlichkeiten, Geldsammlungen ohne vorherige dienstliche Erlaubnis. Außerdem, und das ist besonders kennzeichnend für die Rücksichtslosigkeit, mit der der Militarismus hier seine Ziele verfolgt, und für seine Nichtachtung gegenüber dem Ein- und Anstandsgefühl der „Kerls“, ist den Angehörigen des aktiven Heeres dienstlich befohlen, von jedem zu ihrer Kenntnis gelangenden Vorhandensein revolutionärer und sozialdemokratischer Schriften in Kasernen oder andren Dienstlokalen sofort dienstliche Anzeige zu erstatten. Damit hat sich der deutsche Militarismus einfach auf eigene Faust einen besonderen kriminellen Schutz geschaffen gegen das Eindringen sozialdemokratischen oder überhaupt antimilitaristischen Giftes in die aktive Armee, sei es an und für sich auch noch so legal und soweit wie möglich von Aufreizung zum Ungehorsam usw. entfernt, einen Schutz, der selbst das berüchtigte schwedische Maulkorbgesetz übertrumpft. Die Denunziation, die allenthalben für die größte Lumperei gilt, wird hier zum Dienstbefehl; der Nichtdenunziant wird wegen Nichtbefolgung eines Dienstbefehls ins Gefängnis gesteckt!

Um aber das Maß übervoll zu machen, ist in dem genannten Erlaß ausdrücklich bestimmt, daß diese Verbote und Befehle auch für die zu Übungen eingezogenen und für die zu Kontrollversammlungen einberufenen Personen gelten. Natürlich ist hier der Bogen überspannt. Denn es ist einfach unmöglich durchzuführen und zu kontrollieren, daß die zu Übungen oder gar zu den Kontrollversammlungen einberufenen Mannschaften zum Beispiel ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften und andren sogenannten revolutionären Organisationen für die Dauer ihrer Übung oder gar für die Dauer des Tags der Kontrollversammlung lösen, daß sie für diese Zeit die Abonnements auf die Arbeiterblätter abbrechen (eine technisch gar nicht durchführbare Sache) oder gar, daß sie in dieser Zeit die verpönte revolutionäre Literatur aus ihrer Wohnung verbannen und nicht lesen. Indessen ist dem Verfasser ein Fall von 1905 bekannt, in dem von dem Kriegsgericht zu Potsdam ein Arbeiter zu längerer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, weil er am Abend des Kontrollversammlungstages bei einer Versammlung seiner Gewerkschaft mitgewirkt hatte Dagegen mißlang im Jahre 1904 eine vor der Strafkammer zu Potsdam in Szene gesetzte Aktion gegen einen Arbeiter, der einem ihm bekannten Unteroffizier eine sozialdemokratische Zeitung zugesandt hatte, die eine Betrachtung über die schlechte materielle Lage der Unteroffiziere enthielt; in diesem Falle erfolgte die Freisprechung.

Wie rigoros der Goßlersche Erlaß gegenüber den aktiven Mannschaften angewendet wird, das beweisen unter anderem die Fälle, in denen Soldaten, weil sie auf dienstliches Befragen oder sogar als Zeugen unter Eid verhört, ihre sozialdemokratische Gesinnung noch dazu mit vorsichtigem Vorbehalt („in Zivil“) bestätigten, vom Militärgericht verurteilt wurden – eine offenbar gröbliche Gesetzwidrigkeit und Unmoral.

Erinnert sei auch hier an den in verschiedenen Beziehungen wichtigen Fall des Obersten Gädke, der als Offizier a.D. das Recht zum Tragen der Uniform entzogen bekam, weil er bei Erörterung des serbischen Königsmords die allgemeine Bemerkung hatte einfließen lassen: Für einen Offizier könne unter Umständen die Pflicht gegenüber dem Vaterland über die Pflicht gegenüber dem Monarchen gehen.

Das kriminelle und polizeiliche Einschreiten gegen den Königsberger Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter vom Sommer 1906 und last not least der Anfang Oktober 1906 in der Presse publizierte geheime Erlaß des preußischen Kriegsministers, betreffend die Feststellung der Art und Weise sowie des Umfangs der sozialdemokratischen antimilitaristischen Propaganda, ein Erlaß, der freilich gleichzeitig die Angst und das böse Gewissen unsrer herrschenden Klassen widerspiegelt, und die antisozialdemokratische Instruktion des Generals von Eichhorn gehören gleichfalls hierher.

Natürlich ist diese Empfindlichkeit gegen den Antimilitarismus ebenso international wie der Kapitalismus und wie der Militarismus; und die Reaktionen gegen die antimilitaristische Betätigung sind allenthalben, wie in andern Zusammenhang gezeigt, schroff und brutal.

Eingehendere Darstellung verdient noch das durch den „Halbsozialisten“ Staaff im Mai 1906 apportierte schwedische Maulkorbgesetz gegen die antimilitaristische Agitation, das die Erste Kammer ohne jede Debatte und die Zweite Kammer nach lebhafter Debatte aber mit erdrückender Mehrheit annahm und das wir geradezu als prinzipiell für die künftige Form der „gesetzlichen“ Antirnilitaristenbekämpfung ansehen müssen. Dieses Gesetz verschärfte die Strafnormen für mehrere Delikte gegen die öffentliche Ordnung, zum Beispiel für die mündliche oder schriftliche Aufreizung zu strafbaren Handlungen, außerordentlich: Es erhöhte das Strafmaximum von zwei Jahren Gefängnis auf vier Jahre Zuchthaus! Weiter stellt es die „Lobpreisung“ strafbarer Handlungen und die Verleitung zum Ungehorsam gegen das Gesetz oder die gesetzliche Autorität, sofern sie durch die Presse geschehen, unter Strafe und gibt den militärischen Vorgesetztes auf, Schriften, die den offenbaren Zweck verfolgen, das Pflichtgefühl und den Gehorsam der Soldaten zu untergraben, zu konfiszieren und besondere bestimmten Behörden zu übermitteln. Schließlich verleiht es den Truppenkommandanten das Recht, den Soldaten den Besuch von Zusammenkünften zu verbieten, falls angenommen werden kann, daß dort Äußerungen fallen, die die Disziplin gefährden. Die Früchte dieses Gesetzes sind schon geschildert.

Meslier [1] hat recht: Allenthalben erklärt die Reaktion die Kaserne als sakrosankt und unverletzlich, überall behandelt sie den Antimilitarismus als Hochverrat; wenn er aber von Frankreich sagt: Die wütendsten Denunziationen des Antimilitarismus kommen aus dem Tempel des goldenen Kalbes, aus der Börse, aus den Reihen des internationalen Kapitals, das im Interesse „des Vaterlandes“ heuchlerisch seine Stimme erhebt, so gilt das für Deutschland bis heute nur erst mit der Einschränkung, die aus unserer eigenartigen monarchistisch-bürokratisch-agrarischen Spielart des Kapitalismus folgt.

Einen hochinteressanten Beleg für die Empfindlichkeit gegenüber dem Antimilitarismus und gleichzeitig für den großen Umfang, in dem die Funktion des Militarismus gegen den äußeren Feind hinter derjenigen gegenüber dem inneren Feind zurückgetreten ist, bilden die Äußerungen des deutschen Kaisers – der schon in seinen Reden vom 26. Januar 1895 und 22. März 1901 zum Kampf gegen die sozialistischen Jugendbildungsbestrebungen aufgerufen hatte – gegenüber dem französischen Journalisten Gaston Menier aus dem Jahre 1906. Der Kaiser bezeichnete hier den Antimilitarismus als eine „internationale Geißel“, und zwar speziell mit Bezug auf den französischen Antimilitarismus, das heißt auf den Antimilitarismus, der angeblich im Begriff ist, die Aktionsfähigkeit und Schlagfertigkeit des französischen Heeres, der Armee unsres „Erbfeindes“, zu schwächen! Es fehlt nicht viel an der Gründung einer internationalen Anti-Antimilitaristenligat

 

Fußnote

1. Vgl. Un côté de la question sociale. Weiter Moltke am 19. März 1869 im Reichstag: „Seien wir froh, daß wir in Deutschland eine Armee haben, die nur gehorcht. Blicken wir auf andre Länder, wo die Armee nicht die Schutzwehr gegen die Revolution ist, sondern wo diese aus der Armee hervorgeht. Ich empfehle Ihnen dringend, niemals die Hand. dazu zu bieten, daß es bei uns anders werde!“

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003