Karl Liebknecht

 

Auf zur Maifeier!

(April 1916)


Illegales Flugblatt des Spartakusbundes, April 1916.
Auch im Politischen Brief, Nr.7, 15. Mai 1916, enthalten).
Karl Liebknecht, Ausgewählte Reden, Briefe und Aufsätze, Berlin 1952, S.398-401.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


 

3. In der Internationale liegt der Schwerpunkt der Klassenorganisation des Proletariats ...
4. Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der Internationale geht allen anderen Organisationspflichten voran ...

(Leitsätze)

Genossinnen und Genossen!

Zum zweiten Male steigt der Tag des 1. Mai über dem Blutmeer der Massenmetzelei auf. Zum zweiten Male findet der Weltfeiertag der Arbeit die proletarische Internationale in Trümmer geschlagen, während die Kämpferscharen des völkerbefreienden Sozialismus als widerstandsloses Kanonenfutter des Imperialismus einander abschlachten.

Die sozialistische Internationale liegt seit zwei Jahren da- nieder. Und was haben die Arbeiter aller Länder, was haben die Völker gewonnen? Millionen von Männern haben bereits ihr Leben gelassen auf Geheiß der Bourgeoisie. Millionen sind zu elenden Krüppeln geschlagen. Millionen von Frauen sind zu Witwen, ihre Kinder zu Waisen gemacht, in Millionen Frauen sind unstillbares Leid und Trauer eingezogen. Nicht genug! Not und Elend, Teuerung und Hungersnot herrschen in Deutschland, in Frankreich, in Rußland. Belgien aber, Polen und Serbien, die von dem Vampyr des deutschen Militarismus bis aufs Blut und auf das Mark der Knochen ausgesogen werden, gleichen großen Friedhöfen und Trümmerhaufen. Die ganze Welt, die vielgerühmte europäische Kultur gehen zugrunde in der entfesselten Anarchie des Weltkrieges.

Und zu wessen Nutz und Frommen, zu welchem Zwecke all diese Schrecken und Bestialitäten? Damit die ostelbischen Junker und die mit ihnen versippten kapitalistischen Profitmacher durch Unterjochung und Ausbeutung neuer Länder ihre Taschen füllen können. Damit die Scharfmacher von der schweren Industrie, die Heereslieferanten von den blutigen Leichenfeldern goldene Ernten in ihre Scheunen schleppen. Damit Börsenjobber mit Kriegsanleihen Wuchergeschäfte treiben. Damit Lebensmittelspekulanten sich auf Kosten des hungernden Volkes mästen. Damit der Militarismus, die Monarchie, die schwärzeste Reaktion in Deutschland zur nie dagewesenen Macht, zur ungeteilten Herrschaft emporsteigen.

Um ihre schlimmsten Feinde stark und übermütig zu machen, läßt sich die Arbeiterklasse wie eine Herde Schafe zur Schlachtbank treiben. Und die blutige Orgie findet gar kein Ende, ja, sie dehnt sich immer weiter aus! Morgen vielleicht wird sich der Völkermord auf neue Länder und Weltteile erstrecken. Die deutschen Kriegshetzer treiben mit Macht zum Kriege mit den Vereinigten Staaten. Morgen vielleicht sollen wir das Mordeisen gegen neue Bruderscharen, gegen die Brust unserer amerikanischen Arbeits- und Kampfgenossen zücken!

Arbeiter! Parteigenossen! Ihr Frauen des Volkes! Wie lange wollt ihr dem Spuk der Hölle ruhig und gelassen zusehen? Wie lange wollt ihr dem Verbrechen der Menschenmetzelei, die Not und den Hunger ertragen? Bedenkt! solange sich das Volk nicht rührt, um seinen Willen kundzutun, wird der Völkermord nicht aufhören. Oder aber er hört erst dann auf, wenn alle Länder an den Bettelstab gebracht, wenn alle Völker zugrunde gerichtet sind, wenn von der sogenannten Kultur nicht ein Steiin auf dem andern geblieben ist. Die Reichen können noch lange den Krieg „durchhalten“. Sie leiden keinen Hunger, sie haben üppige Vorräte eingehamstert, sie machen ja die schönsten Geschäfte bei der Metzelei, sie stärken ihre politische Herrschaft durch den Selbstmord der Arbeiterklasse. Aber wir, aber das arbeitende Volk aller Länder, wollen wir noch lange mit eigenen Händen unsere Ketten fester schmieden?

Arbeiter, Parteigenossen! Genug des Brudermordes! Der 1. Mai kommt als Mahner, er pocht an eure Herzen, an euer Gewissen. Der Verrat am Sozialismus, an der internationalen Solidarität der Arbeiter hat die Völker ins Verderben des Weltkrieges gestürzt. Nur die Rückkehr zum Evangelium des völkerbefreienden Sozialismus, zur proletarischen Internationale kann die Kultur, die Arbeitersache aus dem Abgrund retten. Zeigt denn am 1. Mai, daß dieses Evangelium in euren Herzen und Hirnen lebt. Beweist den herrschenden Klassen, daß die Internationale, daß der Sozialismus nicht tot sind, daß sie mit neuer Kraft wie ein Phönix aus der Asche emporsteigen! Die proletarische Internationale kann nicht in Brüssel, in Haag oder in Bern durch ein paar Dutzend Leute wieder aufgerichtet werden. Sie kann nur aus der Tat der Millionen auferstehen. Sie kann nur hier in Deutschland wie drüben in Frankreich, in England, in Rußland auferstehen, wenn die Massen der Arbeiter allenthalben selbst die Fahne des Klassenkampfes ergreifen und ihre Stimme mit Donnergewalt gegen den Völkermord erschallen zu lassen.

Arbeiter, Parteigenossen und ihr Frauen des Volkes! Laßt diesen zweiten Maifeiertag des Weltkrieges nicht vorübergehen, ohne ihn zur Kundgebung des internationalen Sozialismus, zum Protest gegen die imperialistische Metzelei zu gestalten.

Am 1. Mai reichen wir über alle Grenzsperren und Schlachtfelder hinweg die Bruderhand dem Volke in Frankreich, in Belgien, in Rußland, in England, in Serbien, in der ganzen Welt! Am 1. Mai rufen wir vieltausendstimmig:

Fort mit dem ruchlosen Verbrechen des Völkermordes! Nieder mit seinen verantwortlichen Machern, Hetzern und Nutznießern! Unsere Feinde sind nicht das französische, russische Volk, sondern das sind deutsche Junker, deutsche Kapitalisten und ihr geschäftsführender Ausschuß: die deutsche Regierung. Auf zum Kampfe gegen diese Todfeinde jeglicher Freiheit, zum Kampfe um alles, was das Wohl und die Zukunft der Arbeitersache, der Menschheit und der Kultur bedeutet!

Schluß mit dem Kriege! Wir wollen Frieden!

Hoch der Sozialismus! Hoch die Arbeiter-Internationale!

Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

 


Zuletzt aktualisiert am 13.2.2005