Wilhelm Liebknecht

 

Ein deutscher Professor als Friedensapostel und Büttelwissenschafter

Rezension im Sozialdemokrat

(5. April 1883)


Der Sozialdemokrat, Nr.15 vom 5. April 1883.
Wilhelm Liebknecht, Gegen Militarismus und Eroberungskrieg, Berlin 1986, S.95-9.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Wie die Servilität deutscher Professoren sprichwörtlich geworden ist, so verdient es auch ihr Mangel an Logik zu werden, und beide Eigenschaften hängen zusammen: Die Gesinnungslosigkeit ist es, welche die Denkfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, richtig und logisch zu denken, schwächt und schließlich vernichtet. Ein glänzendes Beispiel hierfür ist der nationalliberale Professor von Holtzendorff, der vor einiger Zeit eine Broschüre über Die Idee des ewigen Völkerfriedens [1] veröffentlicht hat. Herr von Holtzendorff schwärmt nämlich für den „ewigen Frieden“, zugleich aber auch für das stehende Heer und hohe Militäretats, und da diese zwei Leidenschaften logisch nicht in Harmonie zu bringen sind, so muß die Logik geopfert werden.

Herr Holtzendorff beginnt ganz vernünftig:

„Der Idee des ewigen Friedens ... gebührt also keineswegs der Spott und die Geringschätzung ... Im Gegenteil! Der Idee des ewigen Friedens gebührt die höchste Ehrfürcht!“ (S.48). Sehr gut charakterisiert Herr von Holtzendorff die Gegner des Friedens und die Verherrlicher des Kriegs, die auf Kant folgten:

Da waren die kirchlichen Eiferer des Legitimismus, wie Joseph le Maistre, welche Tag für Tag eine Plenarsitzung des göttlichen Strafgerichts über die sündige Menschheit anberaumten, Vorgänger des protestantischen Geschichtslehrers Leo, der den Krieg gewissermaßen als welthistorische Hygiene zur Austilgung des „skrofulösen Gesindels“ und der Bevölkerungsüberschüsse, als notwendigen Volksaderlaß anpries.

Da erhoben sich die Romantiker in der Literatur, denen der Friede als unpoetisch, spießbürgerlich und unerträglich langweilig erschien, die Männer, welche alles für Burgruinen, Strickleitern, Minnegesänge, Turniere, Waffengeklirr und Kampf oder Mondscheingespenster zu begeistern trachteten, ohne zu bedenken, daß aus der modernen Kriegführungsweise Strahlen poetischer Mondscheinbeleuchtung nur spärlich zu gewinnen sind.

Da erhoben sich endlich die Menschheitspädagogen der Geschichtsphilosophie, welche, wie Hegel, Trendelenburg und zahlreiche andere, lehnen, daß der Krieg den Beruf übe, Lehrmeister zu sein für die größten Tugenden menschlicher Selbstaufopferung, edelster Vaterlandsliebe, strenger Zucht und eisernen Gehorsams. Ihnen folgten dann manche andere in akademischer Freiheit dressierte Kasernengeister. (S.34.)

In der Verspottung dieser Biedermänner sind wir mit Herrn von Holtzendorff vollkommen einverstanden. Und wir stimmen ihm auch bei, wenn er sagt, daß die bisher von den Friedensgesellschaften vorgeschlagenen Mittel nutzlos sind. Auch wir sind der Meinung, daß internationale Schiedsgerichte und allgemeine Entwaffnung nichts helfen, solange die Ursachen, welche zum Kriege treiben, nicht beseitigt sind.

Diese Ursachen zu beseitigen, das ist die Aufgabe für diejenigen, welche den Weltfrieden herbeisehnen.

Das größte Bedürfnis nach Frieden muß dort herrschen, „wo die nachteilige Folge einer Niederlage und die Verluste auf dem Schlachtfelde am allgemeinsten empfunden und die Gefahren eines Krieges vorher am gründlichsten erwogen werden“.

Das letztere mag allenfalls noch hingehen. Unmittelbar darauf beginnt aber das Opfer des Intellekts, die Abschlachtung der Logik. Aus vorstehendem Satz schließt der Herr Professor, daß „Militärmonarchien ... deswegen immer noch mehr Bürgschaften für Erhaltung des Friedens bieten als Militärdemokratien“ (S.45). „Fälle, in denen Monarchen aus eigener Initiative einen unvolkstümlichen Krieg auf ihre eigene Verantwortlichkeit unternehmen, finden sich in neuerer Zeit seltener als diejenigen Fälle, in denen die Erregung und die Leidenschaften der Menge gegen die Neigung der Monarchen die Armeen auf die Schlachtfelder zu drängen suchten.“ Als Exempel werden Napoleon III. und Alexander II. angeführt. Mit anderen Worten, nach der Behauptung des Herrn von Holtzendorff wären diese genannten „friedliebenden Monarchen“ durch ihr Volk in den Krieg hineingetrieben worden. Die Geschichte lehrt uns aber das genaue Gegenteil. Sowohl das russische als das französische Volk waren gegen die letzten Kriege und wurden durch die Regierungen und die Diplomatie in den Krieg hineingetrieben, wobei in bezug auf den Krieg von 1870/71 die Frage ganz unberührt bleibt, ob es die deutsche oder [die] französische Diplomatie war, welche den Krieg einfädelte.

Der Herr Professor scheint auch den Krieg von 1866 vergessen zu haben, der notorisch gegen den ausgesprochenen Willen des Volkes und der Volksvertretung von der preußischen Militärregierung in Szene gesetzt ward.

Und wo sind die „Militärdemokratien“, von denen Herr von Holtzendorff spricht? Es gibt keine. Der Herr Professor hat sie einfach erfunden und auch hiermit einen glänzenden Beweis seines Mangels an Logik geliefert, denn jeder Mensch, der kein deutsches Professorengehirn hat ist sich klar bewußt, daß Militarismus und Demokratie einander widersprechende, ja einander aufhebende Begriffe sind, der Ausdruck „Militärdemokratie“ also einen Nonsens (Unsinn), eine Contradictio in adjecto (Widerspruch der verbundenen Wörter) bildet.

Doch das ist nur eine kleine Leistung der Holtzendorffschen Professorenlogik. Die Hauptleistung kommt jetzt. Herr von Holtzendorff will „die Ursachen der Kriege beseifigen“. Diese Ursachen sind ihm zufolge – die demokratischen Ideen. „Das nächste Ziel aller Friedensfreunde muß daher darauf gerichtet sein, die Quellen revolutionärer Erhebungen zu zerstören oder unschädlich zu machen.“

Kurz, eine – internationale Polizei- und Militärrazzia gegen die Demokratie, deutlicher, die Sozialdemokratie.

Da – so demonstriert Herr von Holtzendorff S.51 – die Feinde der öffentlichen Ordnung international sind, so müssen sich auch die Regierungen international vereinigen, um sie gemeinsam zu bekämpfen. Nur auf diese Weise können die Grundlagen des Weltfriedens hergestellt werden.

Somit ergibt sich, daß der praktische Weg zur besseren Sicherung des Völkerfriedens auf haltbarer Unterlage nur dann gebaut werden kann, wenn die in ihrer Kultur und ihrem Verfassungszustande verwandten Länder alles aufbieten, um mit vereinten Kräften die grundsätzlichen Feinde der öffentlichen Rechtsordnung im Zaume zu halten. Bevor der äußere Staatsfriede sichergestellt werden kann, ist der innere Friede der sämtlichen Kulturstaaten in seiner dreifachen Gestalt: als Religionsfriede, beruhend auf der Gleichberechtigung aller Kulte und der gemeinsamen Abwehr jeder die Selbständigkeit des Staates angreifenden Kirchenmacht; als wirtschaftlicher Friede, beruhend auf einer gemeinsam den Mißbrauch der ökonomischen Übermacht einschränkenden Erwerbsordnung; und als gesellschaftlicher Friede, beruhend auf der Versöhnung feindseligen Kastenhasses, als Aufgabe völkerrechtlicher Verbindung der Staaten anzuerkennen und zu pflegen. Innerhalb einer solchen Verbindung verwandter Kulturstaaten, denen die Notwendigkeit des inneren Friedenszustandes als Vorbedingung des äußeren Völkerfriedens einleuchtet, würde dann auch die wechselseitige Auslieferung aller solcher Verbrecher, die sich nicht bloß an der politischen Ordnung eines einzelnen Staates, sondern an der allen Staaten gemeinsamen Friedensordnung vergriffen haben, als eine Notwendigkeit der neueren Zeit begriffen werden müssen.

Man ist im ersten Moment verblüfft durch diese schwindelnde Akrobatik. „Religionsfriede“, „wirtschaftlicher Friede“, „gesellschaftlicher Friede“ ist bloß das ideale Ziel; und um dieses Ziel zu erreichen, wird der Krieg gepredigt, und zwar der Krieg gegen diejenigen, welche sich die Herbeiführung des Friedens unter den Menschen zur Aufgabe gemacht haben! Es wäre nicht zu glauben, hätten wir es nicht schwarz auf weiß vor Augen.

Und in seiner Friedenswut gegen die Partei, welche durch die Beseitigung der inneren und äußeren Kriegsursachen den Frieden unter den Menschen herbeiführen will, geht der friedenswütige und liberale Professor sogar über die russisch-Bismarckische Polizei hinaus und fordert die internationale Auslieferung der „politischen Verbrecher“!

Der Servilität wurde die Logik geopfert, und das Resultat dieses ungeheuerlichen Opfers des Intellekts ist ein ebenso ungeheuerliches Opfer aller Prinzipien und aller Scham. Der liberale Herr Professor „apportiert“ der krassesten Reaktion, deren ausschweifendste Wünsche er übertroffen hat.

Und dieser Held des Liberalismus gilt in Deutschland nicht bloß für einen großen Gelehrten, sondern auch für einen Charakter!

Einen Orden in sein Knopfloch!

 

Anmerkung

1. Die rezensierte Schrift erschien in der Sammlung gemeinverständlicher Vorträge, herausgegeben von Rud. Virchow und Fr. von Holtzendorff, XVII. Serie, Heft 403/404, Berlin 1882. die von Liebknecht nicht belegten Zitate befinden sich auf S.45 und 49.

 


Zuletzt aktualisiert am 11.10.2003