Rosa Luxemburg


Miliz und Militarismus


[Brief von Max Schippel]

Mit der Bitte um Veröffentlichung erhielt die Leipziger Volkszeitung am 24. Februar 1899 die folgende, von Schippel nach der Lektüre der ersten beiden Artikel verfaßte Zuschrift:

Lieber Freund Schoenlank!

Ich lese die „rl.“-Artikel der Leipziger Volkszeitung stets mit großem Interesse, nicht, weil ich ihnen immer in allen Punkten beizustimmen vermöchte, sondern weil ich an ihnen die lebhafte Kampfnatur, die ehrliche Überzeugung und die anregende Dialektik hochschätze.

Auch diesmal folge ich nicht ohne Staunen den immer höher und rascher sich gipfelnden Schlußfolgerungen, die von der Grundlage der einen Voraussetzung ausgehen:

Der wirtschaftliche Grund, der uns – nach Schippel – zwingt, an dem System des Militarismus festzuhalten, ist die ökonomische Entlastung der Gesellschaft durch dieses System ... Schippel erklärt den Militarismus auch vom Standpunkte der Arbeiterklasse für eine Entlastung ... indem er von dem Grundsatze der Interessenharmonie zwischen Kapital und Arbeit ausgeht.

Die Schlußfolgerungen in Ehren, bloß die Voraussetzung ist absolut irrig und hinfällig! Ich habe in der Neuen Zeit lediglich erklärt, daß die riesenhaften unproduktiven Ausgaben – sei es der Privaten für wahnwitzigen Luxus und blöde Narretei, sei es der Staaten für Militär, Pfründen und allerhand Firlefanz – das Krisenfieber abschwächen, von dem eine Gesellschaft der „Überproduktion“ geradezu dauernd geschüttelt sein würde, wenn die unproduktive Verschwendung nicht einen immer ausgedehnteren Platz neben der Akkumulation zu produktiven Zwecken einnehme. Damit habe ich selbstverständlich Vergeudung und unproduktive Ausgaben nicht im geringsten gutgeheißen, noch weniger habe ich sie im Interesse der Arbeiterklasse gefordert. Ich habe nur auf andere, wie die gewöhnlich betonten, tatsächliche Wirkungen derselben „für die moderne Gesellschaft“ hinzuweisen versucht.

Ich hielt es anfangs für zweifellos, daß mich niemand als einen Vorkämpfer „für diese moderne Gesellschaft“ einschätzen würde. Indes habe ich doch auch mancherlei Erfahrungen, was sozialdemokratische Debatten anlangt, hinter mir; und so schob ich, um jeglicher Mißdeutung vorzubeugen, nachträglich doch noch in den Überproduktionspassus das eine kleine Sätzchen ein:

Natürlich macht mir das den Militarismus nicht angenehmer, sondern um so unangenehmer.

Das heißt dem Sinne nach doch: um so verwerflicher. Aber auch dieser Überfluß von Verwahrung meinerseits scheint nichts helfen zu sollen: „es bleibt dabei“ – gerade, als ob man mit bürgerlichen Frauen diskutierte.

Indes habe ich nach diesem Hinweis zu der Offenheit des „rl.“-Mitarbeiters der Leipziger Volkszeitung das Vertrauen, daß er einsehen wird, hier einen ganz falschen Start genommen zu haben, und daß daher das Rennen um den Preis der proletarischrevolutionärsten Gesinnung zwischen uns beiden nochmals von vorn beginnen muß.

Ihr            
Max Schippel


Zuletzt aktualisiert am 19.05.2019