Rosa Luxemburg


Die sozialistische Krise in Frankreich

 

I. Einleitung

Der Fall Millerand [1] bildet die erste interne Frage der sozialistischen Bewegung eines Landes, die allgemeines internationales Interesse beansprucht und zum Gegenstand der Beratungen eines Internationalen Sozialistischen Kongresses [2] wurde. Leider hat der Pariser Kongreß seine Aufgabe mehr als Theoretiker denn als praktischer Politiker aufgefaßt und der allgemeinen theoretischen Beantwortung der neunten Frage seiner Tagesordnung nicht eine ausdrückliche Stellungnahme zum Falle Millerand hinzugefügt. Jede Resolution allgemeinen Charakters gibt, ob sie mehr oder weniger glücklich gefaßt ist, Deutungen und Auslegungen Raum. So haben sich denn auch gleich nach dem Kongreß Jaurès in Frankreich und Bernstein in Deutschland beeilt, den Ausgang des Pariser Kongresses als einen für Millerand günstigen hinzustellen, endlich tritt auch Vollmar in dem Dezemberheft der Sozialistischen Monatshefte auf, um Kautskys Kompetenz in der Auslegung der Kautskyschen Resolution zu bestreiten und letztere als einen Sieg Millerands auszulegen. Insofern v. Vollmar seiner eigenen Begeisterung über die Ministerschaft Millerands und ihre gesegneten Folgen für den Sozialismus Ausdruck gibt und mit einem Seufzer erklärt, daß die deutsche Sozialdemokratie leider sehr weit hinter den Fortschritten des französischen Sozialismus zurückgeblieben ist, so liegt darin nichts Besonderes. Wir haben nie gezweifelt, daß es auch in unseren Reihen schöne Helenas gibt, die wohl in ähnlichen Verhältnissen bereit wären, wenn nur der Paris auf sie ein gnädiges Auge wirft, sich von ihm entführen zu lassen, und wir können auch sagen, wie seinerzeit der kluge Itzig, als man ihn fragte, ob so ein französisches Panama [3] wohl in seiner Heimat Galizien möglich wäre: „Die Leute – die würden sich schon finden, bloß der Kanal fehlt.“ Der Vollmarsche Artikel sagt uns also in dieser Beziehung nichts Neues. Auch in seiner sachlichen Beweisführung zugunsten Millerands gibt er nur die bekannten, in Frankreich oft von Jaurès und anderen wiederholten Argumente wieder. Im folgenden werden wir Gelegenheit haben, uns mit der Jaurèsschen Auffassung in einigen Artikeln zu befassen, woraus sich unter anderem auch die Beleuchtung der Vollmarschen von selbst ergeben wird. Sein Artikel erfordert erst da eine besondere Entgegnung, wo er außer der Darlegung der eigenen Ansichten Vollmars es unternimmt, die Deutschen über die Tatsachen in Frankreich und die Franzosen über die Meinungen in Deutschland, und zwar in gleichmäßig falscher Weise, zu informieren.

Es handelt sich um zwei Fragen, die bei der Beurteilung des Falles Millerand von kardinaler Bedeutung sind. Erstens um die Frage, ob Millerand mit oder ohne Genehmigung der französischen Sozialisten seinen Ministerposten übernahm, und zweitens um die Feststellung, welches Urteil über den Eintritt Millerands ins Ministerium der Internationale Kongreß im allgemeinen und die deutsche Sozialdemokratie im besonderen durch die Annahme der Kautskyschen Resolution ausgesprochen hat.

Das deutsche Publikum wird nämlich vor allem belehrt, daß Kautsky es aus Mangel an Vorsicht arg hinters Licht geführt habe, als er in seinem Artikel in der Neuen Zeit, Nr. 2 [4], den Eintritt Millerands in die bürgerliche Regierung als einen eigenmächtigen, ohne Vorwissen der sozialistischen Partei getanen Schritt darstellte. Vollmar, der nicht ein Windbeutel wie Kautsky ist, hat sich in Paris „sehr eingehend über die Sache erkundigt“ und sich „von allerbest unterrichteter Seite“ einen „genauen Bericht“ von dem Hergang des Eintritts Millerands ins Ministerium erstatten lassen, den er nun mit viel Behagen zum besten gibt.

Demnach steht Millerand vor uns als der brave Knabe da, der sofort nach der Aufforderung Waldeck-Rousseaus eine Sitzung der sozialistischen Kammerfraktion einberufen ließ und sich an die Genossen mit der Bitte um Direktiven wendete, hier aber nicht nur eine allgemeine Zustimmung zum Eintritt in die Regierung fand, sondern ganz besonders von den Guesdisten und Blanquisten, namentlich von Vaillant und Sembat, sozusagen unter Freudentränen für seine Tat gesegnet wurde.

Wäre dem so, wie Vollmar es schildert, dann erfährt zwar nicht die Bewertung der Teilnahme von Sozialisten an bürgerlichen Regierungen im allgemeinen, wohl aber die bisherige Bewertung der Handlungsweise Millerands wie andererseits der inneren Parteikämpfe der französischen Sozialisten eine völlige Verschiebung. Erscheint dabei Millerand als der legitime Vertreter der sozialistischen Partei, die auch die Verantwortlichkeit für ihn trägt, so wird dafür die schroffe Opposition der französischen Arbeiterpartei und der Fraktion Vaillant ganz unverständlich, und sie erscheinen wirklich als jene Störenfriede der sozialistischen Einigkeit, als die sie Vollmar so angestrengt darstellen möchte.

Nun, die internationale Sozialdemokratie braucht zum Glücke nicht alles, was bis jetzt über den Fall Millerand gesagt und geschrieben worden ist, auf den Kopf zu stellen, denn Vollmar ist – das passiert offenbar auch den vorsichtigsten Männern – nur zum Opfer eines französischen Spaßvogels geworden, indem ihm seine „allerbest unterrichtete Seite“ einen sicher sehr gutgemeinten Bären aufgebunden hat. Der folgende Brief Vaillants vom 4. Dezember v. J., zu dessen öffentlichem Gebrauch er uns ermächtigt, stellt den Sachverhalt in unzweideutiger Weise fest. Vaillant schreibt:

Ich habe mehrmals Gelegenheit gehabt, die Tatsachen öffentlich darzulegen. Zwei Tage vor der Bildung des Ministeriums, in einer Sitzung der sozialistischen Kammerfraktion, erzählte Millerand als eine „Geschichte, die nunmehr bloß der Vergangenheit angehöre“, daß nach dem Falle des Kabinetts Dupuy man ihm vorgeschlagen habe, in eine ministerielle Kombination einzutreten, und daß er sich an diesen Verhandlungen lediglich unter seiner persönlichen Verantwortlichkeit beteiligt habe, die Partei gänzlich aus dem Spiele lassend. Ich erklärte sofort, daß ich von den Äußerungen Millerands Akt nehme und daß, wenn ähnliche Verhandlungen sich ausnahmsweise wiederholen und erfolgreich werden sollten, ich die Kammerfraktion wie die Partei zu einer Erklärung auffordern würde, um die Partei gänzlich von einem solchen individuellen Akte loszulösen, da die Partei an der Zentralgewalt der Bourgeoisie, am Ministerium, In keiner Weise teilnehmen könne. Millerand machte nach diesen Worten ein Zeichen des Einverständnisses, und wir begaben uns darauf in der Mehrzahl in das Plenum der Kammer. Keiner von uns dachte damals, daß man an den Worten Millerands, wonach die ministeriellen Verhandlungen eine „Geschichte aus der Vergangenheit“ waren, zweifeln sollte.

Ich war demnach am anderen Tage sehr erstaunt, als mir ein Freund, der sich für gut unterrichtet hielt, erzählte, daß das Kabinett Waldeck-Rousseau gebildet sei und Millerand nebst Galliffet enthalte. Ich lehnte es ab, daran zu glauben, und schickte sofort an Millerand einen Rohrpostbrief, in dem ich ihn bat, unverzüglich das Gerücht zu dementieren, das ich für eine Verleumdung hielt, und in dem ich hinzufügte, daß, wäre es wahr, dadurch die von mir in der Fraktionssitzung gesprochenen Worte ihre Gültigkeit verlören. Ich verstand darunter, daß angesichts der Anwesenheit Galliffets im Ministerium es uns nicht mehr genügen würde, zu erklären, Millerand könne durch seinen Eintritt in die Regierung die Partei weder vertreten noch verpflichten, sondern daß wir obendrein mit aller Macht gegen einen Akt protestieren müßten, durch den sich ein Sozialist zum Kollegen des Kommuneschlächters machte.

Als ich deshalb am nächsten Tage zugleich die Zeitungen mit der Nachricht von der Bildung des Kabinetts Waldeck-Millerand-Galliffet und eine Rohrpostkarte von Millerand erhielt, worin er mir schrieb, daß er meinen Brief bekam, als er aus der ersten Sitzung des Ministerrats ging, daß die Sache gemacht sei, daß er seine Pflicht getan zu haben glaube und daß die Zukunft entscheiden würde, da eilte ich zu den Abgeordneten meiner Partei (PSR) und den befreundeten Abgeordneten, und am gleichen Abend brachten die Zeitungen unseren Protest, dem wir noch dadurch positive Sanktion gaben, daß wir uns von der sozialistischen Kammerfraktion trennten und eine sozialistisch-revolutionäre Gruppe bildeten ...

Bei nochmaligem Durchlesen Ihres Briefes sehe ich, daß unsere intimen Feinde auf die Erzählung eines Abgeordneten hin mich und Sembat beschuldigen, eine in der Fraktion in der Sache Millerand vorgeschlagene Resolution abgelehnt zu haben. (Siehe den Artikel Vollmars. – R.L.) Das, was ich Ihnen oben schreibe, genügt, um diese Erzählung zu dementieren, die ich schon einmal gehört habe, die aber deshalb nicht minder falsch ist. Sie ist entweder ein Irrtum oder eine Unwahrheit (une contrevérité).

Die Sache ist also vollkommen klar. Weder hat Millerand eine Sitzung der sozialistischen Kammerfraktion einberufen noch ihr die Möglichkeit seines Eintritts ins Ministerium in Aussicht gestellt, noch auch ihre Zustimmung zum Eintritt erhalten. Im Gegenteil, nach seiner Darstellung konnte die Fraktion nicht im geringsten annehmen, daß es sich um eine aktuelle Angelegenheit von positiver Bedeutung handelt, und die ganze Art und Weise, wie Vaillant und andere auch diese vagen Andeutungen Millerands aufgenommen haben, konnten ihm gar keinen Zweifel lassen, daß er nur gegen den Wunsch der Vertreter der alten Parteiorganisationen in die Regierung eintreten konnte.

Diese ganze Darlegung konnte Vollmar übrigens, wenn er mit der Gewissenhaftigkeit in der Sammlung von Informationen, die er Kautsky so warm empfiehlt, selbst den Anfang gemacht hätte, bereits seit Monaten gedruckt und bis jetzt unseres Wissens nirgends angezweifelt oder bestritten im Jahrbuch der Sozialistisch-revolutionären Partei für das Jahr 1899/1900, Paris, 45 Rue de Terre-Neuve, S. 39–53, finden, was ihm sowohl die Mühe der Verbreitung falscher Nachrichten als der Belehrungen darüber an andere gespart hätte.

Nicht mehr auf Grund von diskreten Informationen, dafür aber mit Hilfe eigener scharfer Beobachtungen und feiner Konstruktionen rektifiziert Vollmar die Kautskyschen Aufstellungen über den Sinn seiner vom Internationalen Kongreß angenommenen Resolution. Die große Mehrheit des Pariser Kongresses habe sich nämlich durch das Votum dieser Resolution nicht, wie Kautsky wähnt, gegen Millerand, sondern vielmehr für Millerand erklärt. Hier folgt zum Beleg eine Reihe höchst kunstvoller Zusammen- und Entgegenstellungen einzelner Äußerungen verschiedener Parteiführer in Worten und Gebärden, inner- und außerhalb des Kongresses.

Freilich erklärte sich z. B. der Belgier Vandervelde, der die Kautskysche Resolution als Berichterstatter vertrat, rundweg gegen die Ministerschaft Millerands. Aber Vollmar als tiefer Menschenkenner weiß, daß Vanderveldes Worte in diesem Falle nicht ganz ernst gemeint sein konnten, denn er war ja eben Berichterstatter, und als solcher mußte er beiden Seiten Gefälligkeiten sagen. Das Vandervelde bereits vor einem Jahre (in der Petite République vom 21. September 1899) dieselbe Meinung von Millerands Fall ausgesprochen hat, ist Vollmar aus dem Gedächtnis entschwunden, es ist also selbstverständlich, daß er davon auch dem Leser nichts mitzuteilen weiß. Allein, wäre auch Vandervelde wirklich gegen Millerand gewesen, so hat ja nach Vandervelde Anseele gesprochen, der sich „rückhaltlos“ für den Minister aussprach. Und da ein Belgier für Millerand und einer gegen gesprochen hat, so ist es klar, daß die Mehrheit der Belgier – für Millerand war.

Vollmar braucht aber nicht einmal einen einzigen Delegierten zu hören, um über das Urteil der Delegation im klaren zu sein. So haben sich z. B. die Engländer zu der Frage Millerand gar nicht geäußert, aber Vollmar weiß, daß auch sie wahrscheinlich für und nicht wider Millerand waren. Denn sonst hätten sie ja nicht dem Jaurès mehr Beifall geklatscht als Guesde und Vaillant, und das hat Vollmar in all dem Trubel des Pariser Kongresses sehr wohl gesehen. Was sich ein vorsichtiger Mann nicht alles merkt!

Was die deutsche Delegation betrifft, so besteht für Vollmar „gar kein Zweifel“, daß sie in ihrer „erdrückenden Mehrheit“ die Begeisterung Vollmars für Millerand teilte. Und wenn Vollmar nicht zweifelt, so braucht der Leser erst recht nicht zu zweifeln. Damit ist die Sache erledigt.

Das aber diese Zustimmung der deutschen Delegation zum Eintritt Millerands in das Ministerium auch der Parteimeinung entspricht, beweisen nach Vollmar „die vielen zustimmenden Artikel“ der Parteipresse, die „einzelne Handlungen Millerands“ besprechen, sich also mit der Frage seines Eintritts gar nicht befassen.

Auch die Italiener sind der zwingenden Beweisführung Vollmars nicht entgangen. Denn Costa hat ja Ferri gegenüber festgestellt, daß die Mehrheit der italienischen Delegierten für die Kautskysche Resolution war. Und da die Italiener für die Resolution Kautsky stimmten, kann es dann noch jemand bezweifeln, daß sie sie nicht im Sinne Kautskys, sondern im Sinne Vollmars verstanden?

Ja sogar den grimmigsten Gegner Millerands, Ferri, weiß Vollmar in einen Freund zu verwandeln. Um den Sinn der Abstimmung auf dem Pariser Kongreß festzustellen, entdeckt Vollmar nämlich, daß Ferri zwei Monate später sich „die Sache doch noch mal überlegte“ und in Mantua von der sozialistischen Ministerschaft zustimmend gesprochen habe. [1*] Und so verwandelt sich die Annahme der Kautskyschen Resolution auf dem Pariser Kongreß in eine eklatante internationale Kundgebung zugunsten Millerands.

Leider folgt aus dieser ganzen fein durchdachten Beweisführung nur, daß wir in Deutschland auch insofern zur Übernahme eines Portefeuilles reif sind, als es uns sogar an advokatorischen Talenten nicht gebricht. Nach einfachem Menschenverstand aber genügt die folgende Tatsache, um die wirkliche Meinung der Mehrheit des Internationalen Kongresses zu Paris zu ermitteln.

Die Resolution Kautsky besagt:

Aber auf jeden Fall kann dieses gefährliche Experiment (der Eintritt eines Sozialisten ins Ministerium – R.L.) nur dann von Vorteil sein, wenn es von einer geschlossenen Parteiorganisation gebilligt wird und der sozialistische Minister der Mandatar seiner Partei ist und bleibt. Wo der sozialistische Minister unabhängig von seiner Partei wird, wo er aufhört, der Mandatar seiner Partei zu sein, da wird sein Eintritt in das Ministerium aus einem Mittel, das Proletariat zu stärken, ein Mittel, es zu schwächen, aus einem Mittel, die Eroberung der politischen Macht zu fördern, ein Mittel, um sie zu verzögern. [5]

Das Millerand nicht als Mandatar der französischen Sozialistenpartei den Ministerposten übernahm, folgt nicht nur aus der Nichtexistenz einer solchen geeinigten Partei in Frankreich, sondern auch aus dem Umstand, daß er weder von den Einzelorganisationen noch von der Kammerfraktion ermächtigt wurde. Von den interessanten Geheimnissen der „allerbest unterrichteten Seite“, die Vollmar nachher in Paris anvertraut wurden, hatte jedenfalls der Internationale Kongreß keine Ahnung. Im Gegenteil, die gesamte Sozialdemokratie ausnahmslos war und ist der Meinung, daß Millerands Eintritt in die Regierung eine vollkommen eigenmächtige, individuelle Handlung war, Und sogar der Verteidiger Millerands, Jaurès, bestätigt diese Auffassung, indem er gerade den eigenmächtigen Schritt Millerands wiederholt als ein Argument für die Notwendigkeit der sozialistischen Einigung anführte.

Die Majorität des Kongresses also, die die Resolution Kautsky angenommen hat, hat dadurch, wenn auch ohne die Nennung Millerands, erklärt, daß sie seine Ministerschaft als ein Mittel, das französische Proletariat zu schwächen und die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse in Frankreich zu verzögern, betrachtet. Und diese Tatsache läßt sich nicht drehen noch wenden.

Wenn Vollmar also hinterher seinem Votum eine für Millerand so günstige Auslegung gibt, so ist das nichts anderes als ein neues Probestück jenes bekannten Verfahrens, wonach jemand eine Resolution, die die Niederlage seiner Auffassung bedeutet, selbst unterschreibt, um sie hinterher als seinen Sieg auslegen zu können.

Was speziell die deutsche Partei betrifft – es ist aus Rücksicht auf die Genossen in Frankreich wichtig, dies festzustellen –, so haben sich in der von der Petite République veröffentlichten internationalen Umfrage, ausgenommen Vollmar, alle in Deutschland tätigen alten Parteiführer: Liebknecht, Bebel, Singer, Kautsky, gegen die Ministerschaft Millerands ausgesprochen. Wer aber schließlich die Ansichten der deutschen Sozialdemokratie zum Ausdruck bringt, ob Vollmar oder die genannten vier, das wird Vollmar selbst mit Leichtigkeit feststellen können, wenn er sich an jene praktischen Fälle und deren Ausgang erinnert, wo er mit seiner Taktik den Liebknecht, Bebel, Singer, Kautsky gegenüberstand.

Fußnote

1*. Wir sind gezwungen, auch diese Vollmarsche Behauptung tatsächlichen Charakters richtigzustellen. In einer Zeitschrift vom 12. Dezember v. J., die Kautsky uns übermittelt, schreibt Enrico Ferri:

Ich bin nach wie vor gegen. In Mantua habe ich nur gesagt, daß, wenn das neue Königtum wirklich die Bahn der Reformen betreten will /wie dies unsere Politiker wiederholen nach dem Königsattentat und nachdem ihnen die Obstruktionskampagne die Ohnmacht der reaktionären Gesetze bewiesen hat), man Männer nehmen müßte, die die Reformen zu machen fähig wären, und nicht alte Reaktionäre (vom Typ Sonninos), die heute bloß von Reformen reden, um in die Regierung hineinzukommen.

Und da die äußerste Linke aus Sozialisten, Republikanern und Radikalen besteht, so sagte ich, daß man die Radikalen in die Regierung rufen möge, deren Leader, der Abgeordnete Sacili, offen den Monarchismus akzeptiert hat). Ich habe im Gegenteil stets gesagt, daß die Teilnahme von Sozialisten oder Republikanern an dem Ministerium in der italienischen Monarchie eine Unmöglichkeit oder eine Absurdität wäre. Ich habe das wiederholt kürzlich in einer Kammerrede (am 3. Dezember) gegenüber dem Programm des neuen Königtums. Ich habe meine Ansichten in nichts seit Paris geändert.

Anmerkungen

1. Alexandre-Étienne Millerand, der in der französischen sozialistischen Bewegung eine opportunistische Richtung vertrat, war vom 22. Juni 1899 bis 28. Mai 1902 im reaktionären bürgerlichen Kabinett Waldeck-Rousseau Handelsminister. Dieser erste praktische schritt der Opportunisten zur Einordnung der französischen Arbeiterbewegung in den bürgerlichen Staat führte in der II. Internationale zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen revolutionären Kräften und Opportunisten.

2. Auf dem Internationalen Sozialistenkongreß vom 23. bis 27. September 1900 in Paris war nach längerer Diskussion zum eintritt Alexandre-Étienne Millerands in die bürgerliche Regierung Waldeck-Rousseaus eine von Karl Kautsky ausgearbeitete Resolution angenommen worden, in der dieses Verhalten nicht prinzipiell abgelehnt wurde. Dieser Resolution zufolge konnte die Beteiligung eines Sozialisten an einer bürgerlichen Regierung von Fall zu Fall entschieden werden.

3. 1892 war in Zusammenhang mit dem Ruin der französischen Panamagesellschaft von 1888/89 eine parlamentarische Bestechungsaffäre aufgedeckt worden, durch die eine große Anzahl führender Politiker belastet wurde. Tausende von Kleinaktienbesitzern, die zur Finanzierung des Baus des Panamakanals aufgerufen worden waren, wurden um ihre Ersparnisse gebracht.

4. Karl Kautsky, Die sozialistischen Kongresse und die sozialistischen Minister, in Die Neue Zeit (Stuttgart), 19. Jg. 1900/01, 1. Bd., S.36–44.

5. Internationaler Sozialisten-Kongreß zu Paris. 23. bis 27. September 1900, Berlin 1900, S. 17.


Zuletzt aktualisiert am 11.1.2012