Paul Mattick


[Rezension von H. Harris „American Labor“ und R.R.R. Brooks „Unions of their own Choosing“]

(1939)


Aus: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 8, 1939, S. 272ff.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



Harris, Herbert, American Labor. Yale University Press. New Haven, Conn. 1939. (459 S.; S 3.75)

Brooks, Robert R. R., Unions of their own Choosing. Yale University Press. New Haven, Conn. 1939. (296 S. ; $ 3.—)


Harris’ Geschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung verspricht wegen ihres lebendigen Stils die populärste zu werden, ohne deshalb aufzuhören, eine der besten zu sein. Ein allgemeiner Abriss der Frühgeschichte der amerikanischen Arbeiterbewegung leitet das Buch ein. Schon Bekanntes erscheint durch geschickte Verbindung mit heutigen Problemen in neuem Licht. Eine Reihe von Missverständnissen in Bezug auf die ideologische Einstellung und Praxis der alten Arbeiterbewegung wird klargestellt. Der Einfluss der europäischen auf die amerikanische Arbeiterbewegung wird an historischen Vorgängen illustriert. Die Gründe, die eine konsequentere Herausbildung der Klassenideologie beeinträchtigten, werden in den Entwicklungseigentümlichkeiten des amerikanischen Kapitalismus gesucht, die einerseits Verbindungen proletarischer mit landwirtschaftlichen Interessen erforderten, andererseits, speziell durch die rapide Entwicklung nach dem Bürgerkrieg, eine grössere Differenzierung der Arbeiterklasse mit sich brachten und einem Teil derselben Aufstiegsmöglichkeiten auf Kosten der grossen Masse boten.

Die zweite Etappe der Entwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung nach dem Bürgerkrieg ist die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung von den „Knights of Labor“ bis zur „American Federation of Labor.“ Diese Etappe wird als eine Periode von Kämpfen zwischen Kapital und Arbeit um Lohnfragen und Arbeitsbedingungen dargestellt. Der weitaus grösste Teil des Buches besteht aus Einzeldarstellungen wichtiger Gewerkschaften und Industrieverbände. Der Tatsachenreichtum ist mit grossem Geschick gemeistert. Allerdings wird H. in seiner Auswahl repräsentativer Gewerkschaften nicht allen Erscheinungsformen der Arbeiterbewegung gerecht. Viele, wenn auch scheinbar noch unwesentliche Aspekte sind nicht in der ihnen zukommenden Bedeutung gesehen. Weder kommt der kapitalistische Autoritätscharakter der Gewerkschaften und Industrieverbände voll zur Geltung, noch der oppositionelle Kampf der Arbeiter gegen die Umformung der Organisationen zu neuen, gegen sie gerichteten Kontroll- und Beherrschungsformen. Die Ausführungen reichen bis in die jüngste Zeit, bis zu den spontanen „sit-down“ Streiks und den Versuchen der neuen Industrieverbände, Aktions- und Organisationsformen zu errichten, die der ökonomischen und politischen Lage besser gerecht werden. Das Verhältnis der spontanen Aktivität der unorganisierten Massen zu den ‚Organisationsbestrebungen der Arbeiterverbände wird an aktuellen Vorgängen geschildert.

In seinen Schlussfolgerungen bemüht sich H. um die Frage, ob die neuen Züge in der Arbeiterbewegung nach einer grundsätzlich neuen Einstellung zur Gesellschaft tendieren. Der jahrzehntelange aktuelle und legale Kampf konservativer Unternehmer gegen die Organisationsbestrebungen der Arbeiter scheint für H. den letzteren den Erfolg gegeben zu haben. Aus der grossen Krise erwuchs der Beginn einer neuen Ideologie, die den Organisationsbedürfnissen der Arbeiter gerechter wird. Wohl sei die Politisierung der Arbeiterbewegung noch immer nur im Keime vorhanden, jedoch seien diese schon viel kräftiger. Dem Buche ist eine gut ausgewählte Bibliographie beigegeben.

Brooks’ neues Buch beschäftigt sich mit Fragen der gewerkschaftlichen Tariffähigkeit und des Schlichtungswesens, die aus der jüngsten Arbeitergesetzgebung und den Vorgängen in der Arbeiterbewegung erwuchsen. Das aus der „New Deal“ Politik hervorgegangene Schlichtungswesen (National Labor Relations Board) erscheint B. als ein Mittel zur weiteren Demokratisierung der industriellen Verhältnisse. Die Tätigkeit des Board wird an einer Reihe aktueller Beispiele dargestellt. Eine knappe historische Darstellung der Verhältnisse zwischen Kapital und Arbeit zeigt die herrschende Tendenz, Wirtschaftskämpfe durch Verhandlungen einzuschränken. Der NLRB wird als die am besten geeignete Form zur Verminderung sozialer Reibungen angesehen. Allerdings werden auch die Begrenzungen solcher Methoden erkannt. Der Kampf der konservativen Unternehmer gegen Organisationsfreiheit, Gewerkschaftseinrichtungen und Schlichtungswesen, die für die Gewerkschaftsbewegung daraus erwachsenden Probleme werden an realen Beispielen aufgezeigt. Die oft sehr detaillierten Fragenkomplexe werden im Zusammenhang mit den Rivalitäten zwischen den einzelnen Gewerkschaften, diesen und den neugebildeten Industrieverbänden, beiden Organisationen und den Entscheidungen des Board dargestellt. Weiterhin werden die Einstellungen der lokalen, staatlichen, und federalen Rechtsinstitutionen zu Organisations-, Tarif- und Schlichtungsfragen eingehendst diskutiert. Die Existenznotwendigkeit der Arbeiterorganisationen und Schlichtungseinrichtungen leitet B. aus der Entwicklung zur grossen Industrie ab, die das direkte Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zerstörte und besonderer Instanzen bedarf, um den Wirtschaftsfrieden zu sichern. B. schliesst seine Darstellung ab in der Überzeugung, dass, obwohl das Schlichtungswesen den Einfluss der Regierung auf die Gesellschaft vermehrt, dieser Einfluss nicht in diktatorische Formen zu münden hätte, sondern zur Stärkung der demokratischen Verhältnisse dienen könnte. Er wendet sich mit grosser Schärfe gegen die vielen Bestrebungen, den NLRB zu beeinträchtigen oder gar ganz zu beseitigen.


Zuletzt aktualisiert am 27.1.2009