Paul Mattick


[Rezension von L. Köllner „Wirtschaftswissenschaft versus politische Ökonomie“]

(September 1974)


Aus: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Berlin, 10 Jg., September 1974, Heft 3, S. 382f.
Transkription/HTML-Markierung: Thomas Schmidt für das Marxists’ Internet Archive.



KÖLLNER, Lutz: Wirtschaftswissenschaft versus politische Ökonomie. — Stuttgart, Berlin, Köln und Mainz: 1973. 140 S.


Als Vertreter der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft wendet sich Köllner in dieser Streitschrift gegen die gegenwärtige Wiederbelebung der politischen Ökonomie, die von Adam Smith und David Ricardo entwickelt wurde. Er richtet sich besonders gegen die neu-marxistischen Vertreter dieser Richtung und weist darauf hin, „daß Marx’ Hauptwerk den Untertitel ‚Kritik der politischen Ökonomie’ trägt, was doch eher einen Abschied von ihr nahezulegen scheint, als sie im Namen neu- und spät-marxistischer Ökonomie ... noch einmal in Anspruch zu nehmen“.

Soviele Beschwerden — soviele Mißverständnisse. In der Tat hat der Marxismus mit der politischen Ökonomie nur soviel zu tun, als er sie mit der bürgerlichen Produktionsweise abzuschaffen gedenkt. Die Wiederbelebung der klassischen Ökonomie geht nicht vom Marxismus aus, auch wenn sie von manchen Neu-marxisten begrüßt werden mag, sondern von der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft, die sich durch ihren gegenwärtigen Bankrott auf ihren Ausgangspunkt zurückgeworfen sieht. Insoweit als der Neumarxismus daran beteiligt ist, hat er aufgehört, Marxismus zu sein, und muß als Teil der heutigen kapitalistischen Wirtschaftswissenschaft verstanden werden.

Als Ausdruck der aktuellen kapitalistischen Krise, stellt die gegenwärtige Krise der bürgerlichen Ökonomie alle Annahmen und Schlußfolgerungen der neuklassischen Theorie infrage und führt notwendigerweise zu der sich noch mit gesellschaftlichen Problemen befassenden klassischen Theorie zurück. Wenn auch in unzulänglicher Weise, war dem schon durch die sogenannte Keynessche Revolution vorgegriffen worden. Aber diese Theorie ist nun selbst außerstande, die Realität adäquat zu reflektieren. So geht es weiter zurück, zum Neuricardianismus und zur Einbeziehung des Problems der Distribution in die ökonomische Analyse, in der Hoffnung, die kapitalistische Wirtschaft durch weitere Reformen lebensfähig zu halten. Von da ist es nur noch ein Schritt, um zu einer Art „bürgerlichen Marxismus“ zu gelangen, was wohl auch der Grund dafür ist, daß manche Neumarxisten in der Rückkehr zum Ausgangspunkt der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie einen begrüssenswerten Fortschritt der Wirtschaftswissenschaft sehen wollen.

All dies ist Köllner höchst zuwider. Er hält an der wertfreien, politisch-neutralen Wirtschaftsauffassung fest und setzt seine Hoffnung auf die „operationeilen Pragmatiker und Ingenieure der Wirtschaftstheorie“, wie sie der Marginalismus der neuklassischen Theorie hervorgebracht hat. Die mit der Rückkehr zur politischen Ökonomie verbundene „Marx-Renaissance“ ist ihm umso unverständlicher, als die jüngst entwickelte bürgerliche „ökonomische Wachstumstheorie ..., wie die um komplexe Strukturen ringende Systemtheorie, zwei besonders interessante Versuche sind, die wirtschaftliche Entwicklung außerhalb der vom 19. Jahrhundert vorgezeichneten Bahnen darzustellen“. Er bemerkt nicht, daß bei diesen Versuchen nichts herausgekommen ist, und daß sie der kapitalistischen Wirklichkeit genauso fremd gegenüberstehen wie die Wirtschaftstheorien des 19. Jahrhunderts. Köllner ist jedoch bereit anzuerkennen, daß die sozialen Bezüge stärker als bisher betont werden müßten, und glaubt diese Haltung in der Theorie der „sozialen Kosten“ und des „Kosten-Nutzen-Vergleichs“ verwirklicht zu sehen.

Der Marxismus erscheint Köllner als eine „ärgerliche Vereinfachung“ der vieldimensionalen gesellschaftlichen Vorgänge, die sich nicht auf die „Grobteilung“ in zwei Klassen reduzieren lassen. Die Entwicklung hat nichts mit Klassen zu tun, sondern mit Generationen. Die Produktion nichts mit der Ausbeutung, sondern mit dem Inaneinandergreifen mehrerer Produktionsfaktoren, bei dem jeder, seinem Anteil entsprechend, bezahlt wird. Die Marxsche Werttheorie sei nicht nur falsch, sondern trage auch die Züge ihres Verfassers, als eines „Zukurzgekommenen“, dem etwas „vorenthalten“ wurde. Trotzdem bemüht sich Köllner, die Werttheorie auch wissenschaftlich zu widerlegen. Allerdings hat er nicht die geringste Ahnung, worum es hier geht, was schon aus folgender Bemerkung ersichtlich ist: „Die Arbeitswertlehre steht und fällt mit der bekannten Theorie des Bevölkerungsdruckes“. Da Köllner die Werttheorie nicht kennt, versteht er auch nicht die sich auf sie beziehende Marxsche Akkumulations- und Krisentheorie, was ihn jedoch nicht hindert, sie als irreführend zurückzuweisen. Alles in allem, bleibt das Buch empfehlenswert, eben weil es den völligen Bankrott der modernen Wirtschaftstheorie so grell beleuchtet.


Zuletzt aktualisiert am 16.1.2009