MIA > Deutsch > Marxisten > Plechanow > Monistische Geschichtsauffassung
Ich habe hier nur Schreib- und Druckfehler verbessert, die sich in die erste Auflage eingeschlichen hatten. Ich habe mich nicht für berechtigt gehalten, an meinen Argumenten etwas zu ändern, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil mein Buch ein polemisches Werk ist. Eine Änderung an einem polemischen Werk würde bedeuten, dass man seinem Feind mit einer neuen Waffe entgegentritt, während man ihn zwingt, mit der alten zu kämpfen. Die Methode ist schon im Allgemeinen nicht statthaft, in diesem Falle aber überhaupt nicht, weil mein Hauptgegner, N. K. Michailowski, nicht mehr lebt.
Die Kritiker unserer Ansichten haben behauptet, diese Ansichten seien erstens an und für sich falsch; zweitens seien sie besonders fehlerhaft im Hinblick auf Russland, das ausersehen sei, in ökonomischer Hinsicht einen besonderen Weg zu gehen; drittens seien sie mangelhaft, weil sie ihre Anhänger zur Untätigkeit, zum „Quietismus“ verleiteten. Diesen letzten Vorwurf wird gegenwärtig kaum jemand zu wiederholen wagen. Der zweite Vorwurf ist durch die Entwicklung des russischen Wirtschaftslebens während der letzten Jahrzehnte ebenfalls offensichtlich widerlegt worden. Was jedoch den ersten Vorwurf betrifft, so genügt es, die ethnologische Literatur der letzten Zeit zu studieren, um sich von der Richtigkeit unserer Erklärung der Geschichte zu überzeugen. Jedes seriöse Werk über die „primitive Kultur“ wendet diese Erklärung notwendig jedes Mal an, wenn es den Kausalzusammenhang von Erscheinungen des gesellschaftlichen und des geistigen Lebens „wilder“ Völker behandelt. Als Beispiel verweise ich auf das klassische Werk von den Steinens: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Selbstverständlich kann ich mich hier nicht weiter über diesen Gegenstand auslassen.
Einigen meiner Kritiker erwidere ich in dem beigefügten Aufsatz Einige Worte an unsere Gegner, den ich unter einem Pseudonym veröffentlichte und worin ich von meinem Buch als von dem Buch eines anderen spreche, dessen Ansichten ich teile. Dieser Aufsatz enthält aber keine Entgegnung an Herrn Kudrin, weil er sich nach dessen Erscheinen erst im Russkoje Bogatstwo gegen mich wandte. Über Herrn Kudrin will ich hier einige Worte sagen.
Das ernsteste unter seinen gegen den historischen Materialismus gerichteten Argumenten scheint die von ihm hervorgehobene Tatsache zu sein, dass sich Völker, die auf sehr verschiedenen Stufen der ökonomischen Entwicklung stehen, manchmal zu ein und derselben Religion, zum Beispiel zum Buddhismus, bekennen. Dieses Argument scheint jedoch nur auf den ersten Blick wohlbegründet zu sein. Die Beobachtung hat gezeigt, dass „ein und dieselbe“ Religion in solchen Fällen ihren Inhalt, übereinstimmend mit dem Grad der ökonomischen Entwicklung der zu dieser Religion sich bekennenden Völker, ganz wesentlich ändert.
Ich möchte Herrn Kudrin noch auf folgendes erwidern. Er entdeckte in meiner Übersetzung des griechischen Textes von Plutarch [siehe die Fußnote S. 152.] einen Fehler und macht aus diesem Anlass einige äußerst bissige Bemerkungen. In Wirklichkeit habe ich diesen Fehler „nicht verursacht“. Da ich während der Herausgabe meines Buches auf Reisen war, schickte ich nach Petersburg ein Manuskript, in dem Plutarch nicht ausführlich zitiert, sondern nur jene Paragraphen genannt waren, die zitiert werden sollten. Einer der Herren, die sich mit der Herausgabe befassten – der vielleicht das gleiche klassische Gymnasium absolviert hatte, das auch von dem gelehrten Herrn Kudrin besucht worden ist übersetzte die genannten Paragraphen und – machte den Fehler, auf den Herr Kudrin hinwies. Das ist natürlich bedauerlich. Man muss aber dazu sagen: Es war der einzige Fehler, dessen uns unsere Gegner überführen konnten. Eine moralische Genugtuung mussten sie doch für sich verbuchen! Und somit, „rein menschlich“, freue ich mich sogar über diesen Missgriff.
Zuletzt aktualiziert am 20. Mai 2025