Adelheid Popp

Bücherschau

Deutsche Parteiliteratur

(Oktober 1907)


Der Kampf, Jahrgang 1 1. Heft, 1. Oktober 1907, S. 41–42.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Zur Frage des Frauenwahlrechtes ist eine im Verlag der Buchhandlung Vorwärts in Berlin erschienene Broschüre betitelt, die zum Preis von 60 h zu beziehen ist. Die 87 Seiten starke Broschüre der Genossin Klara Zetkin behandelt das Problem des Frauenwahlrechtes mit klarer, prinzipieller Schärfe.

Die Verfasserin wendet sich gegen die frauen-rechtlerische Tendenz, das Wahlrecht in erster Linie als Naturrecht zu fordern. Genossin Zetkin leitet die Berechtigung des Frauenwahlrechtes nicht von naturrechtlichen Erwägungen ab, sondern findet die Begründung in den geänderten sozialen Verhältnissen, hervorgerufen durch die kapitalistische Produktion, welche die proletarischen Frauen in die Industrie eingegliedert hat. An dieser Auffassung wird nichts dadurch geändert, dass in manchen Ländern schon vor der kapitalistischen Produktion ein Frauenwahlrecht bestanden hat. Es ist dies nicht das Frauenwahlrecht, das wir Sozialdemokraten fordern, sondern zumeist gebunden an den Besitz von Grund und Boden oder andere Vorrechte einer absterbenden Zeit. Scharf weist Genossin Zetkin jedes Vorrecht der besitzenden Frauen zurück, sie fordert das Stimmrecht als soziales Recht der Person.

Geschichtlich zeigt die Verfasserin, wie schon in den Anfängen der kapitalistischen Entwicklung das Frauenstimmrecht innerhalb der bürgerlichen Demokratie vereinzelte begeisterte Anhänger gefunden hat. Die erlesensten Namen eines vergangenen Zeitalters werden als Bekenner zum Frauenstimmrecht vorgeführt; auch der in verschiedenen Ländern von bürgerlichen Bewegungen geführte Frauenstimmrechtskampf findet volle Würdigung. Warme Worte widmet Klara Zetkin der Tätigkeit der Frau als Gattin und Mutter, als Trägerin, Gebärerin und Erzieherin des proletarischen Nachwuchses. Sie nennt diese Tätigkeit mehr als einen Privatdienst, den die Frau dem Manne leistet, sie bezeichnet sie als eine Tätigkeit von höchster sozialer Bedeutung. In der Forderung nach dem Frauenstimmrecht sieht Genossin Zetkin auch eine Forderung nach sozialer Anerkennung der hoch bedeutsamen sozialen Tätigkeit als Mutter. Sie fordert das Wahlrecht für die Frauen auch auf Grund des demokratischen Prinzips in seiner weitesten Bedeutung.

Eine scharfe Verurteilung erfährt das Verhalten der bürgerlichen Frauenbewegung Deutschlands, der Genossin Zetkin eine Haltung der Halbheit und Unentschlossenheit nachweist. Zum »Herrenwahlrecht« das »Damenwahlrecht« sei das Ziel der bürgerlichen Frauen Deutschlands. Die Kritik an dem Verhalten der sozialistischen Parteien trifft auch Oesterreich. Wie sehr Klara Zetkin darin unrecht hat, wissen die Leser dieser Zeitschrift aus anderen Darlegungen und aus eigener Wahrnehmung.

Ob ihres kenntnisreichen Inhalts und wegen ihrer agitatorischen Wirkung für das Frauenwahlrecht verdient die Schrift weiteste Verbreitung. Sie wird sohin aus manchem Zweifler einen Freund und Anhänger machen.


Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024