John Reed

Zehn Tage, die die Welt erschütterten


Einführende Bemerkungen und Erklärungen [1]

Dem Durchschnittsleser wird es schwerfallen, sich durch die Vielfalt der russischen Organisationen – politische Gruppen, Komitees, Zentralkomitees, Sowjets, Dumas und Verbände durchzufinden. Deshalb möchte ich hier einige kurze Definitionen und Erklärungen dazu geben.
 

Politische Parteien

Bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung gab es in Petrograd siebzehn Listen und in einigen Provinzstädten bis zu vierzig; die folgende Übersicht über die Ziele und die Zusammensetzung einiger politischer Parteien und Gruppen beschränkt sich jedoch auf die in diesem Buch erwähnten. Ich kann hier über ihr Programm und den allgemeinen Charakter ihrer Anhänger nur das Wesentlichste sagen ...

1. Monarchisten verschiedener Schattierungen, Oktobristen usw. Diese ehemals so mächtigen Gruppen bestanden als legale Parteien nicht mehr; sie arbeiteten entweder illegal, oder ihre Mitglieder schlossen sich den Kadetten an, die dem politischen Programm der Monarchisten immer näher kamen. Ihre in diesem Buch genannten Vertreter sind Rodsjanko und Schulgin.

2. Kadetten. Diese Bezeichnung leitet sich von den Anfangsbuchstaben des Namens „Konstitutionelle Demokraten“ ab. Ihr offizieller Name lautet „Partei der Volksfreiheit“.Unter dem Zaren eine Partei der Liberalen aus den Reihen der besitzenden Klassen, traten die Kadetten damals als die große Partei der politischen Reformen auf und entsprachen damit mehr oder weniger der Fortschrittspartei [2] in Amerika. Als im März 1917 die Revolution ausbrach, bildeten die Kadetten die erste Provisorische Regierung. Das Kabinett der Kadetten wurde im April gestürzt, weil es sich für die imperialistischen Ziele der Alliierten aussprach, einschließlich der imperialistischen Ziele der Zarenregierung. Je mehr die Revolution einen sozialen und ökonomischen Charakter annahm, desto konservativer wurden die Kadetten. Ihre Vertreter in diesem Buch sind Miljukow, Winawer, Schazki.

  1. Bund von Männern der Öffentlichkeit. Nachdem die Kadetten durch ihre Verbindung zur Konterrevolution Kornilows jede Popularität verloren hatten, wurde in Moskau der „Bund von Männern der Öffentlichkeit“ gebildet. Delegierte dieser Gruppe erhielten Ministerposten im letzten Kabinett Kerenskis. Die Gruppe gab sich als überparteilich aus, aber ihre intellektuellen Führer waren Männer wie Rodsjanko und Schulgin. Dieser Gruppe gehörten die „modernen“ Bankiers, Kaufleute und Fabrikanten an, die klug genug waren, um einzusehen, daß man die Sowjets mit ihren eigenen Waffen bekämpfen mußte – mit der wirtschaftlichen Organisation. Typisch für diese Gruppe sind Lianosow und Konowalow.

3. Volkssozialisten oder Trudowiki (Gruppe der Arbeit). Zahlenmäßig eine kleine Partei. Zu ihren Mitgliedern gehörten gemäßigte Intellektuelle, die Führer der Genossenschaften und konservativen Bauern. Obwohl sie vorgaben, Sozialisten zu sein, unterstützten die Volkssozialisten in Wirklichkeit die Interessen des Kleinbürgertums – der Beamten, Gewerbetreibenden usw. Sie übernahmen als direktes Erbe die kompromißlerischen Traditionen der „Gruppe der Arbeit“ in der zaristischen Duma, der vor allem Bauernvertreter angehört hatten. Kerenski war der Führer der Trudowiki in der zaristischen Duma, als die Märzrevolution 1917 ausbrach. Die Volkssozialisten sind eine Nationalistische Partei. Ihre Vertreter in diesem Buch sind Pschechonow und Tschaikowski.

4. Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands. Ursprünglich eine marxistische Partei. Auf ihrem Parteitag von 1903 spaltete sie sich über Fragen der Taktik in zwei Gruppen – die Mehrheit (Bolschinstwo) und die Minderheit (Menschinstwo). Daraus ergaben sich die Bezeichnungen „Bolschewiki“ und „Menschewiki“ – „Angehörige der Mehrheit“ und „Angehörige der Minderheit“. Diese beiden Flügel entwickelten sich zu voneinander unabhängigen Parteien, die sich aber beide „Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands“ nannten und beide für sich in Anspruch nahmen, marxistisch zu sein. Seit der Revolution waren die Bolschewiki zahlenmäßig in der Minderheit und wurden erst im September 1917 wieder die Mehrheit.

  1. Menschewiki. Dieser Partei gehören Sozialisten aller Schattierungen an, die der Meinung sind, die Gesellschaft müsse durch eine natürliche Evolution zum Sozialismus gelangen und die Arbeiterklasse müsse zunächst die politische Macht erobern. Auch sie ist eine nationalistische Partei. Von jeher war sie die Partei der sozialistischen Intellektuellen, die sich, unter dem Bildungsmonopol der besitzenden Klassen erzogen, diesem Einfluß nicht entziehen konnten und sich letzten Endes auf ihre Seite stellten. Zu ihren Vertretern in diesem Buch gehören Dan, Liber, Zereteli. 
  2. Menschewiki – Internationalisten. Der radikale Flügel der Menschewiki, Internationalisten und Gegner jeder Koalition mit den besitzenden Klassen. Trotzdem waren sie nicht bereit, sich völlig von den konservativen Menschewiki zu lösen. Sie sind Gegner der von den Bolschewiki vertretenen Diktatur des Proletariats. Trotzki war lange Mitglied dieser Gruppe. Zu ihren Führern gehören Martow und Martynow.
  3. Bolschewiki. Heute nennen sie sich „Kommunistische Partei“, um ihre völlige Loslösung von der Tradition des „gemäßigten“ oder „parlamentarischen“ Sozialismus zu dokumentieren, der bei den Menschewiki und den sogenannten Mehrheitssozialisten aller Länder vorherrscht. Die Bolschewiki forderten den sofortigen proletarischen Aufstand, die Machtergreifung, um durch die gewaltsame Übernahme der Industrie, des Bodens, der Naturschätze und Finanzinstitutionen die Herbeiführung des Sozialismus zu beschleunigen. Diese Partei vertritt in der Hauptsache den Willen der Industriearbeiter, aber auch großer Teile der armen Bauern. Der Name „Bolschewiki“ darf keinesfalls mit „Maximalisten“ übersetzt werden. Die Maximalisten sind eine besondere Gruppe (Siehe Absatz 5b). Zu den Führern der Bolschewiki gehören Lenin, Trotzki, Lunatscharski.
  4. Vereinigte Sozialdemokraten – Internationalisten, auch als Gruppe „Nowaja Shisn“ (Neues Leben) nach ihrer sehr einflußreichen Zeitung bekannt. Eine kleine Gruppe von Intellektuellen. Außer den persönlichen Anhängern Gorkis, des Führers dieser Gruppe, gehören ihr kaum Arbeiter an. Die Gruppe vertritt fast das gleiche Programm wie die Menschewiki – Internationalisten, unterscheidet sich aber von ihnen dadurch, daß sie sich weder den Bolschewiki noch den Menschewiki anschlossen.
  5. Jedinstwo. Eine sehr kleine, im Verschwinden begriffene Gruppe, der fast nur die persönlichen Anhänger Plechanows angehören Plechanow war einer der Pioniere der russischen sozialdemokratischen Bewegung in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und ihr größter Theoretiker. Als alter Mann nahm Plechanow eine extrem patriotische Haltung ein und war sogar den Menschewiki zu konservativ. Nach dem bolschewistischen Aufstand löste sich die Gruppe Jedinstwo auf.

5. Sozialrevolutionäre Partei. Ihren Anfangsbuchstaben nach nannte man sie „SR“. Ursprünglich war sie die revolutionäre Partei der Bauern, die Partei der „Kampforganisationen“ – der Terroristen. Nach der Märzrevolution strömten ihr viele Mitglieder zu, die niemals Sozialisten waren. Nunmehr traten sie dafür ein, daß lediglich das Privateigentum an Grund und Boden abgeschafft werden solle. Die Eigentümer sollten irgendwie entschädigt werden. Schließlich zwang die immer revolutionärer werdende Stimmung unter den Bauern die Sozialrevolutionäre, ihre „Entschädigungsklausel“ fallenzulassen. Daraufhin verließen im Herbst 1917 die jüngeren und stürmischeren Intellektuellen die Partei und schlossen sich zur „linken sozialrevolutionären Partei“ zusammen. Die alte Partei, die später von den radikalen Gruppen immer die „rechte sozialrevolutionäre Partei“ genannt wurde, verfolgte die gleiche Politik wie die Menschewiki und arbeitete mit ihnen zusammen. Schließlich wurden die rechten Sozialrevolutionäre zu Vertretern der wohlhabenden Bauern, der Intellektuellen und der politisch ungeschulten Bevölkerung entlegener ländlicher Gebiete. Es gab unter ihnen jedoch eine größere Vielfalt politischer und ökonomische Schattierungen als unter den Menschewiki. Zu ihren in diesem Buch erwähnten Führern zählten: Awxentjew, Goz, Kerenski, Tschernow, „Babuschka“ Breschowskaja.

  1. Linke Sozialrevolutionäre. Obwohl sie theoretisch dem bolschewistischen Programm der Diktatur des Proletariats zustimmten, zögerten sie anfangs, sich der rücksichtslosen Taktik der Bolschewiki anzuschließen. Die linken Sozialrevolutionäre blieben jedoch in der Sowjetregierung und übernahmen Posten im Kabinett, insbesondere das Volkskomissariat für Landwirtschaft. Sie verließen die Regierung mehrere Male, kehrten aber immer wieder zurück. Die Bauern, die in immer größerer Zahl die rechten Sozialrevolutionäre verließen, schlossen sich den linken Sozialrevolutionären an, die somit zur großen Bauernpartei wurden. Sie unterstützten die Sowjetregierung und traten für die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes und seine Übergabe an die Bauern ein. Zu ihren Führern gehören Spiridonowa, Karelin, Kamkow, Kalagajew.
  2. Maximalisten. Eine Splittergruppe der Sozialrevolutionären Partei in der Revolution von 1905. Damals führten sie eine machtvolle Bauernbewegung, die für die sofortige Durchführung eines sozialistischen Maximalprogramms eintrat. Jetzt eine unbedeutende Gruppe bäuerlicher Anarchisten.
     

Parlamentarische Gepflogenheiten

Die Verfahrensregeln bei russischen Versammlungen und Kongressen sind den kontinentalen Gepflogenheiten ähnlicher als den unseren. Die erste Handlung ist im allgemeinen die Wahl eines Präsidiums.

Das Präsidium ist ein Komitee, das den Vorsitz über die Versammlung innehat. Ihm gehören Vertreter der an der Versammlung teilnehmenden Gruppen und politischen Parteien im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl an. Das Präsidium stellt die Geschäftsordnung auf, und jedes seiner Mitglieder kann vom Vorsitzenden aufgefordert werden, zeitweise die Versammlung zu leiten.

Jede Frage wird erst allgemein aufgeworfen und dann diskutiert. Zum Abschluß der Debatte bringen die verschiedenen Parteien Resolutionen ein, über die einzeln abgestimmt wird. Es kann geschehen, und geschieht auch meistens, daß die Geschäftsordnung schon in der ersten halben Stunde über den Haufen geworfen wird. Unter Berufung auf besondere „Dringlichkeit“, die von der Versammlung fast immer anerkannt wird, kann jeder aufstehen und sich zu jedem beliebigen Thema äußern. Die Versammlung wird von den Massen der Teilnehmer beherrscht. Dem Versammlungsleiter bleibt weiter nichts zu tun, als mit einer Glocke Ordnung zu schaffen und die Redner anzusagen. Die Hauptarbeit der Tagungen wird in den Fraktionssitzungen der verschiedenen Gruppen und Parteien geleistet, die fast immer geschlossen abstimmen und von Fraktionsführern vertreten werden. Das führt jedoch dazu, daß bei jeder neuen wichtigen Frage, bei jeder Abstimmung, die Tagung unterbrochen werden muß, damit sich die verschiedenen Gruppen und Parteien zu einer Fraktionsbesprechung zusammenfinden können.

Die Versammlungsteilnehmer sind sehr laut, bekunden den Rednern ihren Beifall oder ihr Mißfallen und machen jede vom Präsidium festgelegte Ordnung zunichte. Zu den üblichen Zurufen gehören „Prossim!“ (Bitte! Weitermachen!),“Prawilno!“ „Eto werno!“ (Sehr richtig! Sehr wahr!), „Dowolno!“ (Genug!), „Doloi!“ (Abtreten!) , „Posor!“ (Schande!) und „Ticho!“ (Ruhe!).
 

Massenorganisationen

1. Sowjets. Das Wort Sowjet bedeutet „Rat“. Unter dem Zaren wurde der Reichsrat „Gossudarstwenny Sowjet“ genannt. Seit der Revolution versteht man aber unter Sowjet immer mehr ein von den Mitgliedern der wirtschaftlichen Organisationen der Werktätigen gewähltes Parlament den Sowjet der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten. Ich habe also nur diese spezifischen Organisationen mit dem Wort Sowjet bezeichnet und an allen anderen Stellen das Wort mit „Rat“ übersetzt.

Neben den örtlichen Sowjets, die in jeder Stadt und jedem Dorf Rußlands gewählt werden – in den Großstädten außerdem Sowjets der Stadtbezirke (Rayons) –, gibt es auch Bezirks- und Gouvernementssowjets (oblastnyje oder gubernskije) und das Zentralexekutivkomitee der Gesamtrussischen Sowjets in der Hauptstadt, nach den Anfangsbuchstaben ZEK genannt (siehe auch weiter unten „Zentralkomitees“).

Fast überall vereinten sich nach der Märzrevolution die Sowjets der Arbeiterdeputierten und die der Soldatendeputierten. In besonderen Fragen, die sich auf ihre spezifischen Interessen bezogen, traten die Sektionen der Arbeiter und Soldaten auch weiterhin gesondert zusammen. Die Sowjets der Bauerndeputierten schlossen sich den anderen erst nach der Machtergreifung durch die Bolschewiki an. Auch sie waren wie die Arbeiter und Soldaten organisiert, mit einem Gesamtrussischen Exekutivkomitee der Bauernsowjets in der Hauptstadt.

2. Gewerkschaften. Obwohl meist in Form von Industriegewerkschaften organisiert, nannten sich die russischen Gewerkschaften noch immer Fachverbände. Zur Zeit der bolschewistischen Revolution hatten sie vier Millionen Mitglieder. Auch die Gewerkschaften waren in einem gesamtrussischen Verband zusammengeschlossen, einer Art Russischer Arbeiterföderation [3], mit einem Zentralexekutivkomitee in der Hauptstadt.

3. Fabrikkomitees. Diese waren spontan entstandene Organisationen, von den Arbeitern in den Fabriken gebildet, um die Kontrolle über die Industrie auszuüben. Sie nutzten das administrative Chaos, das die Revolution mit sich gebracht hatte, um sich eine feste Position zu schaffen. Ihre Funktion bestand darin, durch revolutionäre Aktionen die Fabriken in die eigenen Hände zu nehmen und zu leiten. Die Fabrikkomitees hatten auch ihre gesamtrussische Organisation mit einem Zentralkomitee in Petrograd, das mit den Gewerkschaften zusammenarbeitete.

4. Dumas. Das Wort Duma bedeutet mehr oder weniger „beratende Körperschaft“. Die alte zaristische Duma, die in etwas demokratisierter Form noch sechs Monate nach der Revolution bestand, starb im September 1917 eines natürlichen Todes. Die Stadtduma, die in diesem Buch eine Rolle spielt, war der reorganisierte Stadtrat, häufig auch „städtische Selbstverwaltung“ genannt. Sie wurde in direkter und geheimer Wahl gewählt, und wenn sie während der bolschewistischen Revolution die Unterstützung der Massen verlor, dann liegt das hauptsächlich daran, daß mit der aufsteigenden Macht der Organisationen, die sich auf ökonomische Gruppen stützten, alle rein politischen Vertretungen an Einfluß verloren.

5. Semstwos. Dieser Name läßt sich mehr oder weniger mit „Landräte“ übersetzen. Unter dem Zaren waren die Semstwos halb politische, halb soziale Körperschaften, mit verschwindend kleinen administrativen Funktionen. Sie wurden zum größten Teil von intellektuellen Liberalen aus der Grundbesitzerklasse beherrscht. Ihre wichtigste Funktion war die Schaffung von Schulen und sozialen Einrichtungen für Bauern. Während des Krieges nahmen die Semstwos allmählich die gesamte Versorgung der Armee mit Lebensmitteln und Kleidung sowie die Käufe aus dem Ausland in die Hand. Sie leisteten unter den Soldaten eine Arbeit, die mehr oder weniger der Tätigkeit des Christlichen Vereins junger Männer an der Front entspricht. Nach der Märzrevolution wurden die Semstwos demokratisiert, weil man beabsichtigte, ihnen die örtlichen Regierungsorgane in den ländlichen Gebieten zu übertragen. Sie konnten aber ebensowenig wie die Stadtdumas gegen die Sowjets aufkommen.

6. Genossenschaften. Darunter sind die Konsumgenossenschaften der Arbeiter und Bauern zu verstehen, die vor der Revolution in Rußland mehrere Millionen Mitglieder hatten. Von Liberalen und „gemäßigten“ Sozialisten gegründet, wurden die Genossenschaften nicht von den revolutionären sozialistischen Gruppen unterstützt, da sie eine Ersatzlösung gegen über der völligen Übernahme und der Verteilung in die Hände der Werktätigen darstellten. Nach der Märzrevolution vergrößerten sich die Genossenschaften rasch. Sie wurden von den Volkssozialisten, Menschewiki und Sozialrevolutionären beherrscht und spielten bis zur bolschewistischen Revolution die Rolle einer konservativen politischen Kraft. Trotzdem darf man nicht übersehen, daß die Genossenschaften Rußland mit Lebensmitteln versorgten, als der alte Handels- und Verkehrsapparat zusammengebrochen war.

7. Armeekomitees. Die Armeekomitees wurden von den Soldaten an der Front gebildet, um den reaktionären Einfluß der Offiziere des alten Regimes zu bekämpfen. Jede Kompanie, jedes Regiment, Jede Brigade und Division, jedes Korps hatte ein eigenes Komitee. Als Dachorganisation wurde ein Armeekomitee gewählt. Das Zentrale Armeekomitee arbeitete mit dem Generalstab zusammen. Der durch die Revolution verursachte administrative Zusammenbruch in der Armee lud fast die gesamte Arbeit der Quartiermeister und in einigen Fällen sogar den Befehl der Truppen auf die Schultern des Armeekomitees.

8. Flottenkomitees. Die entsprechende Organisation in der Flotte.
 

Zentralkomitees

Im Frühjahr und Sommer 1917 wurden in Petrograd gesamtrussische Kongresse der verschiedenartigsten Organisationen abgehalten. Es gab Nationalkongresse der Arbeiter-, der Soldaten- und der Bauernsowjets, der Gewerkschaften, der Fabrikkomitees, der Armee- und Flottenkomitees – außerdem Kongresse jedes Zweiges innerhalb der Armee und Flotte, Kongresse der Genossenschaften, der Nationalitäten usw. Jeder dieser Kongresse wählte ein Zentralkomitee oder ein Zentralexekutivkomitee, um die besonderen Interessen seiner Organisationen am Sitz der Regierung zu wahren. Als dann die Provisorische Regierung von Tag zu Tag schwächer wurde, mußten die Zentralkomitees eine immer größere administrative Macht in ihre eigenen Hände nehmen.

Die wichtigsten in diesem Buch erwähnten Zentralkomitees sind:

Der Verband der Verbände. Während der Revolution von 1905 bildeten Professor Miljukow und andere Liberale Verbände freiberuflicher Intellektueller – Ärzte, Juristen usw. Diese vereinigten sich zu einer zentralen Organisation, dem Verband der Verbände. 1905 kämpfte der Verband der Verbände auf der Seite der revolutionären Demokratie; 1917 dagegen wandte er sich gegen den bolschewistischen Aufstand und stellte sich an die Spitze der Regierungsangestellten, die gegen die Autorität der Sowjets streikten.

Zentralexekutivkomitee. Gesamtrussisches Zentralexekutivkomitee der Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten.

Zentroflot. „Zentralflotte“ – das zentrale Flottenkomitee.

Wikshel. Gesamtrussisches Exekutivkomitee des Eisenbahnerverbandes. Genannt nach seinen Anfangsbuchstaben.
 

Andere Organisationen

Rote Garden. Die bewaffneten Fabrikarbeiter Rußlands. Die Roten Garden entstanden zum erstenmal in der Revolution von 1905 und erschienen erneut in den Märztagen 1917 auf dem Schauplatz, als eine Kraft gebraucht wurde, um Ruhe und Ordnung in den Städten zu wahren. Sie waren bewaffnet, und jeder Versuch der Provisorischen Regierung , sie zu entwaffnen, blieb mehr oder weniger erfolglos. In jeder großen Krise der Revolution erschienen die Roten Garden auf der Straße, ungeschult und undiszipliniert, aber von revolutionärem Elan erfüllt.

Weiße Garden. Freiwillige aus den Kreisen der Bourgeoisie, die in den letzten Etappen der Revolution in Erscheinung traten, um das Privateigentum, das die Bolschewiki abschaffen wollten, zu verteidigen. Sehr viele von ihnen waren Studenten.

Tekinzy. Die sogenannte Wilde Division in der Armee Sie bestand aus Angehörigen mohammedanischer Stämme aus Mittelasien, die Kornilow persönlich zugetan waren. Sie waren wegen ihres blinden Gehorsams und ihrer grausamen Kriegsführung bekannt.

„Todesbataillone“ oder „Stoßbataillone“. Im allgemeinen ist das Frauenbataillon in der Welt als Todesbataillon bekannt, aber es gab auch Männerbataillone dieser Art. Sie wurden im Sommer1917 von Kerenski gebildet, um durch Beispiele von Heldentum die Disziplin und Kampfkraft in der Armee zu erhöhen. Die Todesbataillone wurden zumeist aus fanatisch patriotischen jungen Menschen gebildet. Zum größten Teil waren es Söhne aus den besitzenden Klassen.

Offiziersverband. Eine Organisation der reaktionären Offiziere in der Armee, dazu bestimmt, die wachsende Macht der Armeekomitees politisch zu bekämpfen.

Ritter des heiligen Georg. Das Georgskreuz wurde für hervorragende Verdienste in der Schlacht verliehen. Die Träger dieses Ordens waren automatisch Georgsritter. Diese Organisation spielte hauptsächlich als Vorkämpfer militärischer Ideale eine Rolle.

Bauernverband. 1905 war der Bauernverband eine revolutionäre Bauernorganisation.. 1917 war er jedoch zum politischen Interessenvertreter der wohlhabenden Bauern geworden und bekämpfte die wachsende Macht und die revolutionären Ziele der Sowjets der Bauerndeputierten.
 

Zeitrechnung und Schreibweise

Ich habe in diesem Buch überall unseren Kalender benutzt und nicht den russischen, der dreizehn Tage zurückliegt.

In der Schreibweise der russischen Wörter und Namen habe ich nicht versucht, mich an wissenschaftliche Transkriptionsregeln zu halten, sondern habe eine Schreibweise gewählt, die dem englischen Leser die Aussprache am leichtesten klarmachen kann.
 

Quellen

Das Material in diesem Buch stammt zu einem großen Teil aus meinen eigenen Notizen. Darüber hinaus habe ich mich aber auch auf ein wahllos zusammengetragenes Archiv mehrerer Hundert russischer Zeitungen gestützt, die über fast jeden Tag der geschilderten Zeitspanne Meldungen enthalten. Außerdem benutzte ich eine Sammlung der englischen Zeitung Russian Daily News und der beiden französischen Zeitungen Journal de Russie und Entente. Viel wertvoller als diese Zeitungen ist allerdings das Bulletin de la Presse, täglich vom französischen Informationsbüro in Petrograd herausgegeben, das über alle wichtigen Ereignisse, Reden und Kommentare der russischen Presse berichtet. Von diesem Bulletin habe ich eine nahezu vollständige Sammlung vom Frühjahr 1917 bis Ende Januar 1918.

Daneben habe ich fast jede Proklamation, jedes Dekret und jede Ankündigung, die von Mitte September 1917 bis Januar1918 in den Straßen Petrograds angeschlagen wurden, gesammelt; ebenso die offiziellen Veröffentlichungen aller Dekrete und Befehle der Regierung sowie die offizielle Veröffentlichung der Geheimabkommen und anderer Dokumente, die im Außenministerium gefunden wurden, als es die Bolschewiki übernahmen.

Redaktionelle Fußnoten

1. Trotz einiger Ungenauigkeiten sind die von John Reed zusammengestellten Einführenden Bemerkungen und Erklärungen von bedeutendem Interesse. Sie zeigen, wie gründlich er die politischen Verhältnisse, die sich in Rußland in der Periode vor dem Oktober herausgebildet hatten, studiert hat; vor allem aber gestatten sie es, die politischen Sympathien und Antipathien des Verfassers sowie dessen eigene Einschätzung der sich gegenseitig bekämpfenden Parteien und Gruppierungen zu beurteilen.

2. Progressive (Bull Moose) Party. Von Theodore Roosevelt 1912 gegründete Partei, die mit einem demagogischen Programm die anwachsende Volksbewegung ablenken und desorganisieren sollte. Sie zerfiel kurze Zeit später.

3. Hier will Reed offensichtlich auf die Amerikanische Arbeiterföderation (American Federation of Labor – AFL) hinsweisen.





Zuletzt aktualisiert am 15.7.2008