A. Williams


Biographie John Reeds

Anhang zu John Reed: Zehn Tage, die die Welt erschütterten

Portland, an der Küste des Stillen Ozeans, war die erste amerikanische Stadt, in der sich Arbeiter erstmalig weigerten, Munition für die Armee Koltschaks zu verladen. In dieser Stadt wurde John Reed am 22. Oktober 1887 geboren.

Sein Vater war einer der echten Bahnbrecher und starken Naturen, wie sie Jack London in seinen Erzählungen über den amerikanischen Westen schildert. Er war ein Mensch mit scharfem Verstand, der Heuchelei und Verstellung haßte. An wohlhabende und einflußreiche Leute hielt er sich nicht, sondern trat gegen sie auf und führte einen erbitterten Kampf gegen die Trusts, die, gleich gigantischen Kraken, die Wälder und andere Naturreichtümer des Landes an sich rissen. Er wurde verfolgt, geprügelt, aus seiner Stellung entlassen. Aber niemals kapitulierte er vor den Feinden.

So erhielt John Reed von seinem Vater ein gutes Erbe: einen scharfen Verstand, einen kämpferischen, kühnen und mutigen Geist. Früh schon zeigten sich seine hervorragenden Fähigkeiten, und nach Abschluß der Oberschule kam er auf die berühmteste Universität der Vereinigten Staaten – auf die Harvard-Universität. Gewöhnlich schickten die Petroleumkönige, die Kohlenbarone und Stahlmagnaten ihre Söhne dorthin. Sie wußten genau, daß die Muttersöhnchen, die dort vier Jahre in sportlicher Betätigung, in Luxus und im „langweiligen Studium langweiliger Wissenschaften“ verbringen, von der Universität zurückkehren, ohne daß ihre Seelen den geringsten Anflug von Radikalismus aufweisen; denn in den Colleges und Universitäten wurden auf eben diese Weise Zehntausende amerikanischer Jünglinge zu Verteidigern der herrschenden Ordnung, zur Weißen Garde der Reaktion.

John Reed verbrachte vier Jahre in den Wänden der Harvard-Universität und wurde wegen seiner gewinnenden Art und seinen Fähigkeiten zum allgemeinen Liebling. Täglich kam er mit den jungen Sprößlingen der reichen und privilegierten Klassen zusammen. Er hörte die schwülstigen Vorlesungen rechtgläubiger Lehrer der Soziologie, er hörte die Predigten der Hohenpriester des Kapitalismus – der Professoren der politischen Ökonomie. Das Ende war, daß er mitten im Zentrum dieser Festung der Plutokratie einen sozialistischen Klub gründete. Das war ein Schlag ins Gesicht der gelehrten Ignoranten. Sie trösteten sich mit dem Gedanken, daß dies einfach eine Knabentorheit sei, und sagten: „Der Radikalismus vergeht ihm, sobald er das College verläßt und die breite Arena des Lebens betritt.“

John Reed schloß sein Studium mit einem akademischen Grad ab, trat ins weite Leben hinaus und eroberte es in unwahrscheinlich kurzer Zeit: mit seiner Liebe zum Leben, seinem Enthusiasmus und seiner Feder. Schon auf der Universität, als Redakteur des satirischen Blattes Lampoon, hatte er sich als Meister eines leichten und glänzenden Stils gezeigt. Jetzt ergoß sich aus seiner Feder ein Strom von Gedichten, Erzählungen, Dramen. Die Verleger überschütteten ihn mit Angeboten; illustrierte Zeitschriften zahlten ihm fabelhafte Honorare; bekannte Zeitungen bestellten bei ihm Berichte über die wichtigsten Ereignisse des Lebens im Ausland.

So wurde er zum Wanderer auf den großen Wegen der Welt. Wer über das Gegenwartsleben auf dem laufenden sein wollte, der brauchte nur John Reed zu folgen; denn überall, wo nur irgend etwas Bedeutendes geschah, war er rechtzeitig am Platz, einem Sturmvogel gleich.

In Paterson schwoll der Aufstand der Textilarbeiter zu einem revolutionären Sturm an – und schon stand John Reed mitten im Gewühl.

In Colorado verließen die Sklaven Rockefellers die Gruben und weigerten sich trotz der Knüppel und Gewehre der Wachen, dorthin zurückzukehren – und schon war John Reed unter den Rebellen.

Die unterjochten Bauern in Mexiko hißten das Banner des Aufruhrs und zogen unter Führung von Villa zum Sitz des Präsidenten – John Reed hoch zu Pferd neben ihnen.

Der Bericht über diesen letzten heldenhaften Kampf erschien im Metropolitan Journal und später in seinem Buch Mexiko im Aufstand. Mit echt poetischem Gefühl schildert er die violetten und purpurfarbenen Berge, die ausgedehnten Wüsten, „ringsum geschützt von Riesenkakteen und Dornbüschen“. Es fesselten ihn die endlosen Ebenen, aber in noch größerem Maße ihre Bewohner, die von den Gutsbesitzern und von der katholischen Kirche erbarmungslos ausgebeutet wurden. Er beschreibt, wie sie ihre Herden von den Bergen heruntertreiben, um sich den Befreiungsarmeen anzuschließen, wie sie abends an den Lagerfeuern ihre Lieder singen und trotz Hunger und Kälte – in Lumpen, barfüßig – sich prächtig für Land und Freiheit schlagen.

Der imperialistische Krieg brach aus – John Reed war überall dort, wo Kanonen donnerten: in Frankreich, Deutschland, Italien, in der Türkei, auf dem Balkan und sogar hier, in Rußland. Als er den Verrat der zaristischen Beamten entlarvte und Materialien sammelte, die ihre Teilnahme an der Organisierung von Judenpogromen bewiesen, wurde er zusammen mit dem berühmten Künstler Bordman Robinson von der Gendarmerie verhaftet. Aber wie immer, dank eines geschickten Tricks, eines glücklichen Zufalls oder eines geistreichen Streiches, entschlüpfte er ihren Krallen und stürzte sich lachend ins nächste Abenteuer. Niemals konnte ihn die Gefahr zurückhalten. Sie war sein eigentliches Element. Immer drang er in Sperrgebiete vor, bis in die vordersten Schützengräben.

Lebendig erwacht in meiner Erinnerung meine Reise mit John Reed und Boris Reinstein im September 1917 an die Rigaer Front. Unser Auto fuhr nach Süden, in Richtung Wenden, als die deutsche Artillerie ein Dörfchen ostwärts mit Granaten überschüttete. Dieses Dörfchen wurde plötzlich für John Reed der interessanteste Platz auf der Welt! Er bestand darauf, dorthin zu fahren. Langsam, vorsichtig bewegten wir uns vorwärts – als hinter uns ein Geschoß krepierte und der Weg, den wir eben passiert hatten, nun als schwarze Fontäne von Rauch und Staub in die Luft flog.

Erschreckt hielten wir uns krampfhaft aneinander fest, doch nach einer Minute schon strahlte John Reed vor Begeisterung, als fühle er innere Befriedigung.

So durchzog er die ganze Welt, kam durch alle Länder, an alle Fronten, ging von einem ungewöhnlichen Abenteuer zum anderen. Aber er war nicht einfach ein Abenteurer, ein Reisereporter schlechthin, ein Zuschauer, der das Leid der Menschen ruhig von der Seite her beobachtete. Im Gegenteil, ihr Leid war auch sein Leid. Dieses ganze Chaos, der Schmutz, die Qualen und das Blutvergießen verletzten sein Gefühl für Gerechtigkeit und Anstand. Er strebte beharrlich danach, bis an die Wurzel des Übels vorzudringen, um es dann mit der Wurzel auszureißen.

Nun kehrte er von seinen Fahrten zurück nach New York – aber nicht zur Erholung, sondern zu neuer Arbeit und Agitation.

Als er aus Mexiko zurückkam, erklärte er:

„Ja, in Mexiko ist Aufruhr und Chaos, aber die Verantwortung für all das fällt nicht auf die landlosen Bauern, sondern auf jene, die durch Gold- und Waffensendungen Unruhe säen, auf die miteinander wetteifernden amerikanischen und englischen Petroleumgesellschaften.“

Aus Paterson zurückgekehrt, organisierte er in dem größten Saal New Yorks – Madison Square Garden – eine gewaltige, eindrucksvolle Veranstaltung unter dem Thema Der Kampf des Proletariats von Paterson mit dem Kapital.

Aus Colorado kam er zurück und schilderte die Verbrechen in Ludlow, die durch ihre Grausamkeiten die Erschießungen an der Lena in Sibirien zum Teil in den Schatten stellten. Er berichtete, wie die Grubenarbeiter aus ihren Häusern hinausgeworfen wurden, wie sie in Zelten lebten, wie diese Zelte mit Petroleum begossen und angezündet wurden, wie flüchtende Arbeiter von den Soldaten erschossen wurden – und wie Frauen und Kinder in den Flammen umkamen. Sich an Rockefeller, den König der Millionäre, wendend, sagte er:

„Es sind eure Gruben, es sind von euch gedungene Banditen und Soldaten. Ihr seid die Mörder!“

Vom Kriegsschauplatz kehrte er nicht mit leerem Geschwätz über die Grausamkeiten der einen oder der anderen Seite zurück, sondern mit einer Verdammung des Krieges überhaupt als des Inbegriffs der Bestialität, als eines Blutbades, das von den sich einander bekämpfenden Imperialisten inszeniert ist. In der radikal-revolutionären Zeitschrift The Liberator, der er seine besten Beiträge unentgeltlich zur Verfügung stellte, veröffentlichte er einen scharf antimilitaristischen Artikel: Bereite für deinen Sohn die Zwangsjacke vor. Zusammen mit den anderen Redakteuren wurde er vom New-Yorker Gericht unter Anklage des Landesverrats gestellt. Der Staatsanwalt bemühte sich mit allen Kräften, von den patriotisch gestimmten Geschworenen ein Schuldurteil zu erzielen. Er ging sogar so weit, daß er während der Gerichtsverhandlung in der Nähe des Gerichtsgebäudes von einem Orchester die Nationalhymne spielen ließ! Aber Reed und seine Genossen verteidigten fest ihre Überzeugung. Als Reed mutig erklärte, er halte es für seine Pflicht, unter dem revolutionären Banner für die soziale Revolution zu kämpfen, fragte ihn der Staatsanwalt: „Würden Sie aber im gegenwärtigen Krieg unter der amerikanischen Fahne kämpfen?“ „Nein“, antwortete Reed kategorisch. „Und weshalb nicht?“ Als Antwort hielt Reed eine leidenschaftliche Rede, in der er die Greuel schilderte, deren Zeuge er auf dem Schlachtfeld gewesen war. Die Schilderung war so lebendig und stark, daß sogar einige der voreingenommenen kleinbürgerlichen Geschworenen bis zu Tränen gerührt waren und die Redakteure freigesprochen wurden.

Zur Zeit, als die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten, mußte sich Reed einer Operation unterziehen und büßte eine Niere ein. Die Ärzte erklärten ihn für den Militärdienst untauglich. „Der Verlust einer Niere kann mich davon befreien, dem Krieg zwischen zwei Völkern zu dienen“, sagte Reed, „aber er befreit mich nicht vom Dienst, wenn es um den Krieg zwischen den Klassen geht.“

Im Sommer 1917 eilte John Reed nach Rußland, weil er in den ersten revolutionären Zusammenstößen das Nahen des großen Klassenkrieges erkannte.

Rasch analysierte er die Situation und erkannte, daß die Eroberung der Macht durch das Proletariat logisch und unvermeidlich war. Das Zögern und Hinausschieben machten ihn unruhig. Jeden Morgen war er in gereizter Stimmung, wenn er sich vergewisserte, daß die Revolution noch nicht begonnen hatte. Endlich – der Smolny gab das Signal, und die Massen gingen zum revolutionären Kampf über. Es war völlig selbstverständlich, daß John Reed zusammen mit ihnen vorging. Er war überall: bei der Auflösung des Vorparlaments, beim Barrikadenbau, bei den Ovationen für Lenin und Sinowjew, als diese aus der Illegalität kamen, bei der Einnahme des Winterpalastes ...

Überall, wo er nur hinkam, sammelte er Material. Er sammelte ganze Jahrgänge der Prawda, der Iswestija, alle Proklamationen, Broschüren, Plakate und Anschläge. Eine besondere Leidenschaft hegte er für Plakate. Jedesmal, wenn ein neues Plakat erschien, zögerte er nicht lange, es von der Wand zu reißen, wenn er es sich nicht auf andere Weise beschaffen konnte.

In diesen Tagen wurden Plakate in einer solchen Menge und mit solcher Schnelligkeit gedruckt, daß es schwerfiel, einen Platz für sie an den Zäunen zu finden. Plakate aller Parteien und Richtungen – der Kadetten, der Sozialrevolutionäre, der Menschewiki, der linken Sozialrevolutionäre, der Bolschewiki – wurden in so dicken Schichten aufeinandergeklebt, daß Reed einmal eine ganze Schicht von sechzehn übereinandergeklebten Plakaten abriß. In mein Zimmer stürmend, schwenkte er die riesige Papiertafel und rief aus: „Schau, mit einem Schwung habe ich die ganze Revolution und Konterrevolution gepackt!“

So brachte er auf die verschiedenste Weise eine großartige Sammlung von Materialien zusammen, so großartig, daß sie ihm, als er nach 1918 im Hafen von New York eintraf, von den Agenten des amerikanischen Justizministeriums weggenommen wurde. Immerhin gelang es ihm, sie erneut in seinen Besitz zu bringen und in einem New-Yorker Zimmerchen zu verstecken, wo er beim Getöse der über und unter ihm dahinrollenden Züge sein Buch Zehn Tage, die die Welt erschütterten schrieb.

Selbstverständlich war es den amerikanischen Pogromhelden nicht erwünscht, daß das Buch das Publikum erreichte. Sechsmal drangen sie in die Räume des Verlages ein, um das Manuskript zu stehlen. Seine Fotografie versah John Reed mit der Aufschrift: „Meinem Verleger Horatio Liveright, der durch Drucklegung des Buches fast ruiniert wurde.“

Dieses Buch war nicht die einzige Frucht seiner literarischen Tätigkeit, die die Wahrheit über Rußland verbreitete. Es ist selbstverständlich, daß die Bourgeoisie, die die russische Revolution haßte und fürchtete, versuchte, sie in einem Lügenstrom zu ertränken. Unendliche Ströme schmutziger Verleumdungen ergossen sich von den politischen Tribünen, von der Filmleinwand, aus den Spalten der Zeitungen und Zeitschriften. Zeitschriften, die ehemals bei Reed um Artikel gebettelt hatten, brachten keine einzige von ihm geschriebene Zeile. Aber sie konnten ihn nicht zum Schweigen bringen. Er sprach auf stark besuchten Versammlungen.

Er gründete eine eigene Zeitschrift, wurde Redakteur der linkssozialistischen Zeitschrift The Revolutionary Age, später auch der Zeitschrift The Communist. Artikel auf Artikel schrieb er für den Liberator, reiste in den Vereinigten Staaten umher, nahm an Konferenzen teil, informierte die Teilnehmer durch reiches Tatsachenmaterial, steckte sie an mit seinem Enthusiasmus und seiner revolutionären Glut. Schließlich gründete er mit einer Gruppe im Zentrum des amerikanischen Kapitalismus die Kommunistische Arbeiterpartei, genauso wie er zehn Jahre früher im Herzen der Harvard-Universität den sozialistischen Klub gegründet hatte.

Die „Weisen“ hatten gewohnheitsgemäß danebengetroffen. Der Radikalismus John Reeds war, was auch immer, keinesfalls aber eine „vorübergehende Torheit“. Entgegen den Prophezeiungen hat die Berührung mit der Außenwelt John Reed keineswegs davon geheilt. Sie hat seinen Radikalismus nur gestärkt und gefestigt. Davon, daß dieser Radikalismus jetzt tief und stark war, konnte sich die Bourgeoisie beim Lesen von The Voice of Labor überzeugen, dem neuen kommunistischen Organ, das unter der Redaktion John Reeds erschien. Die Bourgeoisie der Vereinigten Staaten begriff nun, daß in ihrem Vaterland schließlich ein echter Revolutionär erschienen war. Allein das Wort „Revolutionär“ ließ sie erzittern! Freilich hatte es auch in der fernen Vergangenheit der Vereinigten Staaten Revolutionäre gegeben. Daran erinnern die Namen solcher Organisationen wie „Töchter der amerikanischen Revolution“ und „Söhne der amerikanischen Revolution“. Damit zollt die heute reaktionäre Bourgeoisie dem Andenken ihrer Revolution von 1776 ihren Tribut. Aber jene Revolutionäre gehören längst einer anderen Welt an. John Reed jedoch war ein lebender Revolutionär, ungewöhnlich lebendig – er war eine Herausforderung, eine Geißel für die Bourgeoisie! Ihr blieb nur eins: Reed hinter Schloß und Riegel zu halten. So wurde er verhaftet – nicht einmal und nicht zweimal, sondern zwanzigmal. In Philadelphia schloß man den Versammlungssaal, um ihn nicht sprechen zu lassen. Er aber kletterte auf eine Seifenkiste, und von dieser „Tribüne“ wandte er sich an die große Masse, die die Straße überflutete. Die Versammlung wurde zu einem großen Erfolg, und es nahmen an ihr viele Sympathisierende teil, so daß es nach der Verhaftung Reeds den Geschworenen unmöglich war, ein Gerichtsurteil wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ zu fällen. Keine einzige Stadt in den Vereinigten Staaten fühlte sich sicher, solange nicht John Reed – und sei es auch nur ein einziges Mal – in Haft genommen wurde. Es gelang ihm jedoch ständig, freizukommen – entweder gegen Bürgschaft oder durch Gerichtsvertagung. Sofort beeilte er sich, auf irgendeiner neuen Arena einen Kampf zu liefern.

Nicht Rußland hat John Reed zum Revolutionär gemacht. Revolutionäres amerikanisches Blut floß seit seiner Geburt in seinen

Adern. Wenn man die Amerikaner auch stets als wohlbeleibte, selbstgefällige und reaktionäre Nation darstellt, so lebt in ihr doch Empörung und Aufruhr. Denkt an die großen Aufständischen der Vergangenheit – an Thomas Paine, W. Whitman, J. Brown und Parsons. Und die Kampfgefährten John Reeds – Bill Haywood, Robert Minor, Ruthenberg und Fester! Erinnert euch der blutigen Konflikte in den Industriebezirken Homestead, Pullman und Lawrence, denkt an den Kampf der „Industriearbeiter der Welt“ (IWW) ... Sie alle, Führer wie Massen, sind amerikanischer Herkunft. Und wenn es gegenwärtig auch nicht ganz augenscheinlich ist, so hat das amerikanische Blut doch einen starken Zusatz von Rebellentum.

Deshalb kann man nicht sagen, Rußland habe John Reed zu einem Revolutionär gemacht. Es hat aus ihm vielmehr einen wissenschaftlich denkenden und konsequenten Revolutionär gemacht! Darin liegt das große Verdienst Rußlands. Es hat ihn veranlaßt, sich mit den Werken von Marx, Engels und Lenin zu beschäftigen, hat ihm Verständnis für den Geschichtsprozeß und für den Gang der Ereignisse gegeben. Es ließ ihn seine etwas verschwommenen humanistischen Ansichten durch harte grobe Tatsachen der Ökonomie ersetzen und hat ihn bewegen, zum Lehrer der amerikanischen Arbeiterbewegung zu werden und zu versuchen, ihr dasselbe wissenschaftliche Fundament zu geben, mit dem er seine eigene Oberzeugung untermauert hat.

„Doch nicht in der Politik liegt deine Kraft, John“, sagten ihm seine Freunde des öfteren. „Du bist ein Künstler, aber kein Propagandist. Du solltest deine Talente der schöpferischen literarischen Tätigkeit widmen!“ Er hat oft die Wahrheit dieser Worte empfunden, denn immer entstanden neue Gedichte, Romane und Dramen in seinem Kopf, die sich Ausdruck zu verschaffen suchten und danach drängten, eine bestimmte dichterische Form anzunehmen. Als die Freunde dann darauf bestanden, daß er die revolutionäre Propaganda beiseite lassen und sich an den Schreibtisch setzen solle, antwortete er lächelnd: „Gut, ich tue es sofort.“

Doch auch nicht für eine Minute stellte er seine revolutionäre Tätigkeit ein. Er konnte es einfach nicht! Die russische Revolution hatte ihn voll und ganz in ihren Bann gezogen. Er war von ihr beherrscht. Sie nötigte ihn, seine schwankenden anarchistischen Stimmungen der strengen Disziplin des Kommunismus unterzuordnen. Sie sandte ihn als eine Art Propheten mit leuchtender Fackel in die Städte Amerikas, sie rief ihn 1919 nach Moskau, damit er in der Kommunistischen Internationale an der Vereinigung der beiden kommunistischen Parteien der USA mitwirke.

Ausgerüstet mit neuen Erkenntnissen der revolutionären Theorie, begab er sich erneut auf eine illegale Reise nach New York. Doch von einem Matrosen verraten und ausgebootet, wurde er in ein finnisches Gefängnis in Einzelhaft geworfen. Von dort kehrte er wieder nach Rußland zurück, schrieb in der „Kommunistischen Internationale“, sammelte Material für ein neues Buch, wurde auf den Kongreß der Ostvölker nach Baku delegiert. Er erkrankte an Typhus (mit dem er sich wahrscheinlich im Kaukasus infiziert hatte); erschöpft durch Überarbeitung, überstand er die Krankheit nicht und starb am Sonntag, dem 17. Oktober 1920.

Gleich John Reed kämpften auch andere gegen die konterrevolutionäre Front in Amerika und Europa, sie kämpften nicht weniger tapfer als die Rote Armee gegen die Konterrevolution in der Sowjetunion. Manche fielen als Opfer von Pogromen, andere verstummten für ewig in den Gefängnissen; einer kam auf dem Heimweg nach Frankreich im Weißen Meer während eines Sturmes um, ein anderer stürzte in San Franzisko mit seinem Flugzeug ab, von dem er Flugblätter abgeworfen hatte, die zum Protest gegen die Intervention aufriefen. So sehr der Vorstoß des Imperialismus gegen die Revolution auch wütete, ohne diese Kämpfer hätte er noch stärker wüten können. Sie haben einiges getan, um das Vordringen der Konterrevolution aufzuhalten. Nicht nur Russen, Ukrainer, Tataren und Kaukasier haben der russischen Revolution geholfen, sondern auch – wenn auch in geringerem Grade – Franzosen, Deutsche, Engländer und Amerikaner. Unter diesen „nichtrussischen Gestalten“ ragt die Persönlichkeit John Reeds hervor; er war ein Mensch von außergewöhnlicher Begabung, der in der Fülle seiner Kraft vom Tode ereilt wurde ...

Als die Nachricht von seinem Tode aus Helsingfors und Reval eintraf, waren wir überzeugt, es sei eine der Lügen, wie sie in den konterrevolutionären Lügenmühlen täglich fabriziert wurden. Als aber Louise Bryant die erschütternde Nachricht bestätigte, mußten wir die Hoffnung auf ein Dementi aufgeben, so schmerzhaft es auch für uns war.

Wenn John Reed auch, zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, als ein aus der Heimat Verbannter starb, so hat ihm doch selbst die bürgerliche Presse als Künstler und Mensch Anerkennung gezollt. Die Herzen der Bourgeois waren erleichtert: John Reed war nicht mehr, er, der es verstanden hatte, ihre Verlogenheit und Heuchelei zu entlarven, der sie mit seiner Feder schonungslos an den Pranger gestellt hatte.

Die radikale Welt der Vereinigten Staaten erlitt einen nicht mehr wettzumachenden Verlust. Die Genossen außerhalb der USA können wohl kaum die tiefe Trauer ermessen, die sein Tod hervorgerufen hat. Die Russen halten es für ganz natürlich, für etwas Selbstverständliches, daß ein Mensch für seine Überzeugung stirbt. In Sowjetrußland haben Tausende und Zehntausende ihr Leben für den Sozialismus hingegeben, in den USA dagegen wurden verhältnismäßig wenig solcher Opfer gebracht. Wenn man will, so war John Reed der erste Märtyrer der kommunistischen Revolution, dem später Tausende andere folgten. Das plötzliche Ende seines wahrhaft meteorhaften Lebens im fernen blockierten Rußland war für die amerikanischen Kommunisten ein furchtbarer Schlag. Nur ein Trost ist seinen alten Freunden und Genossen geblieben: die Tatsache, daß John Reed dort seine letzte Ruhestätte gefunden hat, wo er am liebsten weilte – an der Kremlmauer.

Auf seinem Grab wurde ihm ein Denkmal errichtet, das seinem Charakter entspricht: ein unbehauener Granitblock, auf dem eingemeißelt ist: „John Reed, Delegierter der III. Internationale, 1920“.



Zuletzt aktualisiert am 15.7.2008