L. Sedov

Rotbuch über den Moskauer Prozess


Bogdans Selbstmord–Ermordung

Stalin erschießt nicht nur alte Bolschewiki, sondern erdreistet sich auch, sie aus dem Jenseits herbeizurufen. Kaum braucht man an Kirows Leichnam zu erinnern. Doch ist das nicht der einzige Leichnam in diesem Spiel.

Bei Sinowjew arbeitete viele Jahre lang als sein Sekretär ein altes Parteimitglied, Bogdan. Vor einigen Jahren hatte Bogdan nach seinem Ausschluss aus der Partei, von der stalinistischen Hetze und Quälerei getrieben Selbstmord begangen. [1] Dieser Selbstmord rief seinerzeit in der Partei ziemlich großes Aufsehen hervor. Es ging die Rede, Stalin treibe Menschen, die sich herausnehmen, mit ihm nicht einer Meinung zu sein, rettungslos in eine Sackgasse. Doch gerade darum entschloss sich Stalin offenbar, Bogdans Leichnam in den Prozess hineinzuverwickeln. Er musste Sinowjew und die anderen dafür „strafen“, dass sie sich wahrscheinlich gestattet hatten, untereinander von Bogdan als von einem Opfer des Stalinregimes zu sprechen. Zu diesem Zweck hiess es denn im Prozess, „dass der Selbstmord Bogdans im Grunde genommen ein Mord war, der auf Beschluss des terroristischen Zentrums verübt wurde ... Bakajew ... redete Bogdan zu, entweder den Anschlag auf Stalin auszuführen oder Selbstmord zu begehen. Bogdan beging Selbstmord, wobei er, wie ihm nahegelegt worden war, einen Zettel hinterließ, in dem er sich als ein Opfer der Parteireinigung hinstellte.“ [2]

Das Lügen geht hier in eine Art von Delirium über. Angenommen, Bogdan hätte wirklich einen Versuch machen sollen, Stalin zu töten, und der Versuch sei, wie es im Prozess heißt, misslungen. Warum hätte er dann eigentlich bewogen werden sollen, Hand an sich zu legen? Zur Strafe, dass der Versuch misslang? Ist denn etwa einer der anderen „Versuche“ gelungen? Nein, keiner! Warum haben aber die anderen nicht auch Selbstmord begangen? Wo und wann hat man je gesehen, dass erfolglose Terroristen auf Befehl von oben sich umbringen? Bogdan gar „hinterließ einen Zettel, in dem er sich als Opfer der Parteireinigung hinstellte.“ Klar, dies „Opfer Sinowjews“ log vor dem Tode ..., um Stalin Unannehmlichkeiten zu bereiten. Aus dieser in ihrer Tragik „einfachen“ Tatsache, dem Selbstmord eines gehetzten Parteimitglieds, macht Stalin ein ganzes Knäuel von pathologischen und irrsinnigen Lügen. Zuweilen meint man die „Besessenen“ zu lesen ...

Die Geschichte dieses Falls ist folgende: Reingold, immer wieder Reingold, sagt aus, „dass das. trotzkistisch-sinowjewistische Zentrum beabsichtigte, im Falle seines Machtantritts ... alle direkt und unmittelbar am Terror beteiligten Anhänger zu vernichten.“ [3] Diese Aussage ist Stalins ureigenes Werk! Daran wird niemand zweifeln, der den „heißgeliebten Führer“ auch nur ein bisschen kennt. Die Erschießung der eigenen Agenten, die gefährlich werden, weil sie zu viel wissen, das ist seine Methode, die Methode eines Menschen, der vor nichts zurückschreckt, eines Menschen, der in seinen Mitteln nicht wählerisch und der zu allem fähig ist. So war er beim Prozess der 14 zuwege gegangen (Nikolajew usw.), wo sich unter den Erschossenen auch GPU-Agenten befunden hatten. Ebenso im jetzigen Prozess. Psychologisch gibt Stalin sich hier zu erkennen. Seine eigene Niedertracht schiebt er hier seinen Opfern zu!

Wir wissen, wie weit Sinowjew und Kamenew von der Macht entfernt waren. Doch sie haben, so heißt es, nicht nur von der Macht geträumt, nicht nur unter sich die Posten verteilt und selbstverständlich in erster Linie den des GPU-Leiters, sondern sogar bereits für die Erschießung derjenigen ihrer eigenen Anhänger gesorgt, die zuviel wussten! Welche Voraussicht! Es will meinen, Sinowjew und Kamenew hätten gar keine anderen Sorgen gehabt. Ja, mehr; sie gaben diese Pläne bereits im Voraus bekannt, gleichsam als Warnung für ihre Anhänger, was ihnen bei Gelingen ihrer eigenen Tuns drohe. Offenbar hatte die (Stalinsche) GPU die Terroristen am Leben zu lassen, damit sie und alle ihre Genossen von der (Sinowjewschen) GPU nach Sinowjews Machtantritt erschossen werden sollten!

Selbst so mustergültige Angeklagte wie Sinowjew und Kamenew haben es nicht über sich gebracht, dieses Schauermärchen mitzumachen „Das ist Jules Verne“, sagte Sinowjew, – „das sind arabische Märchen.“ [4] Der Staatsanwalt ruft mit gekünsteltem Pathos aus: „Die Ermordung des Sekretärs Sinowjews Bogdan– was ist das?! Ein Märchen?“ [5]

Was aber hat das alles mit Bogdan zu tun? War doch die Vernichtung der eigenen Anhänger erst für die Zeit nach Sinowjews und Kamenews Machtantritt und durch die GPU geplant, an deren Spitze Bakajew kommen sollte. Oder hatten Sinowjew und Kamenew die Macht bereits angetreten? Und Bakajew von der GPU Besitz ergriffen?

Die Haare steigen einem zu Berge, liest man diese stalinistische Ausgabe der „Besessenen“. Wie tief musste die russische Revolution sinken, damit Stalin all diese wahnwitzige Schamlosigkeit für ... Sowjetjustiz ausgeben konnte!


Anmerkungen

1. Einige Jahre früher hatte unter ähnlichen Umständen M.S. Glasman, L. Trotzkis Sekretär, Selbstmord begangen. Dieser ungewöhnlich rechtschaffene und ergebene Mensch erschoss sich nach seinem Ausschluss aus der Partei.

2. Aussage Pikels, Prozessbericht, S.64.

3. Ebendort, S.58.

4. Ebendort, S.184/186.

5. Ebendort, S.186.




Zuletzt aktualisiert am 7.07.2009