Jakob Stern


Gott? Gottglaube oder Atheismus?


Ursprung des Götterglaubens

Gott, im gewöhnlichen Sinn, bezeichnet ein unsichtbares Wesen, ewig und allmächtig, das die Welt geschaffen hat und regiert und die Menschen für ihre Taten und Gesinnungen belohnt oder bestraft.

Der Glaube an die Existenz dieses Wesens heißt „Theismus“ (lies The-ismus, vom griechischen theós = Gott). Die Verneinung oder Leugnung derselben heißt „Atheismus“ (ein vorgesetztes a hat im Griechischen verneinende Bedeutung, wie „un“ im Deutschen).

Wie entstand dieser Glaube? Der Gott des bestehenden Gott-Glaubens ist das Endprodukt einer langen, stufenreichen Entwicklung. In den Urzeiten entstand zuerst der Glaube an viele Götter, „Polytheismus“, vom griechischen poly = „viel“ (in zusammengesetzten Wörtern).

In den mannigfaltigen Erscheinungen und Gebilden der Natur, ganz besonders den gewaltigen, die menschlichen Kräfte überragenden, welche teils wohltätig, teils schädlich auf das Menschenleben einwirken, erblickte der Urmensch gute oder böse, bald zürnende, bald freundlich gesinnte Wesen, so wie das Kind sein Empfinden und Wollen auf leblose Dinge überträgt, die ihm Freude oder Schmerz verursachen; es vermenschlicht (personifiziert) sie, indem es ihnen Wohlwollen oder Übelwollen andichtet.

Die Naturdinge selbst in ihrer sicht-, greif- und fühlbaren Körperlichkeit, z.B. das Feuer, der Strom, der Sturmwind, die großen Raubtiere, waren die ersten Götter.

Weitere Wahrnehmungen und Beobachtungen führten aber vielfach dahin, den Gott von der Naturerscheinung abzulösen, in den Erscheinungen der Natur das Walten unsichtbarer, geheimnisvoller, menschenartiger Wesen, die in oder hinter denselben verborgen, zu erblicken. Über dem Feuer selbst waltete nun ein Gott des Feuers.

Nicht aus reinem Erkenntnisdrang kommen die Menschen dazu, die ihnen rätselhafte Natur auf die eine und andere Weise zu vermenschlichen, sondern ein praktischer Instinkt war daran wesentlich beteiligt. Neben der Unwissenheit haben Furcht und Wunsch die Götter geschaffen.

Man denke sich die Menschen der Urzeit. Sie haben sich hineingestellt in eine unerkannte, mit Schrecken aller Art gewappnete Urwelt, preisgegeben ihren Unbilden und den furchtbaren Ausbrüchen ihrer wilden, von der Zivilisation noch ungebändigten Launen; abhängig in ihrer Existenz von deren Gaben, welche die Natur heute und hier reichlich spendete und morgen und dort verdrossen und knapp hergab oder geizig verweigerte. Sie sahen sich heimgesucht und bedroht von Unwettern, Donner und Blitz, Feuer und Flut, Hagel und Frost und sengenden Gluten, von Unfällen und Krankheiten, umzingelt von blutdürstigen und giftigen Bestien usw. Und in den Sterbenden und Leichnamen zeigte ihnen der grause Tod sein grinsendes Antlitz. Nur mit äußerster Anstrengung waren sie meistens imstande, spärliche Nahrungsmittel zu erringen und wie oft war all ihre Mühe vergebens und der Hunger wühlte in ihren Eingeweiden und brennender Durst lechzte vergebens nach Erquickung.

Wenn der Mensch von Angst gequält, von heftiger Begierde gestachelt wird und sich ohnmächtig fühlt, jene zu bannen und diese zu stillen, kommt die Phantasie ihm zu Hilfe, die Illusion, und spiegelt ihm vor, was er ersehnt. Sind es auch taube Blüten, welche die Gauklerin hervorzaubert, Blüten, die niemals Früchte reifen, so erquickt doch ihr Anblick, ihr Duft, und bannt die Pein in seinem Herzen. Also schufen sich die Menschen Götter nach ihrem Ebenbilde, ihre Phantasie verwandelte die fühllosen Naturmächte in Wesen, die man wie Menschen mit Gaben (Opfern) und Bitten (Gebet) begütigen und sich günstig stimmen kann, versöhnen, wenn sie grollen, zur Freigebigkeit bewegen und als Helfer und Beschützer in Nöten gewinnen.

Die Annahme liegt nahe, daß diese Vorstellung von der zuerst vergötterten Tierwelt auf die leblose Natur übertragen wurde. Das Raubtier läßt von dem Angegriffenen ab, wenn er ihm einen Fraß vorwirft, und durch gute Fütterung wird der Ertrag an Produkten der Tierzucht quantitativ und qualitativ erhöht.

„Primus in orbe deos fecit timor“ – „Was zuerst die Welt mit Göttern bevölkert hat, war die Furcht“, lautet ein Spruch des altrömischen philosophischen Freigeistes Lucretius Carus (gest. 51 v. Chr.), und der neuere Philosoph Arthur Schopenhauer (gest. 1860) schreibt: „Der Theismus ist kein Erzeugnis der Erkenntnis, sondern des Willens. Wenn er ursprünglich theoretisch wäre, wie könnten sonst alle seine Beweise so unhaltbar sein? Aus dem Willen aber entspringt er folgendermaßen: die beständige Not, welche das Herz des Menschen bald schwer beängstigt, bald heftig bewegt und ihn fortwährend im Zustand des Fürchtens und Hoffens erhält, während die Dinge, von denen er hofft und fürchtet, nicht in seiner Gewalt stehen, ja der Zusammenhang der Kausalketten (Ursachen), von denen solche herbeigeführt werden, nur eine kurze Spanne weit von seiner Erkenntnis erreicht werden kann; diese Not, dies stete Fürchten und Hoffen bringt ihn dahin, daß er die Hypostase (Unterstellung) persönlicher Wesen macht, von denen alles abhinge. Von solchen läßt sich voraussetzen, daß sie gleich anderen Personen für Bitte und Schmeichelei, Dienst und Gabe empfänglich, also traktabler (leichter zu behandeln) sein werden, als die unerbittlichen, gefühllosen Naturkräfte und die dunklen Mächte des Weltalls. Das Wesentliche ist der Drang des geängsteten Menschen, sich niederzuwerfen und Hülfe anzuflehen in seiner häufigen kläglichen und großen Not. Damit also sein Herz die Erleichterung des Betens und den Trost des Hoffens habe, muß sein Intellekt ihm einen Gott schaffen; nicht aber umgekehrt, weil sein Intellekt auf einen Gott logisch richtig geschlossen hat, betet er. Laßt ihn ohne Not, Wünsche und Bedürfnisse sein, so braucht er keinen Gott und macht auch keinen.“ (Parerga I, 112)

Die Götter sind die personifizierten Mächte, die das Schicksal der Menschen beherrschen, von denen ihr Leben und sein Wohl und Wehe abhängig ist, wie Fr. Engels sagt (Anti-Dühring III, 5): „Alle Religion ist nichts anderes als die phantastische Wiederspiegelung, in der die irdischen Mächte die Form von überirdischen annehmen.“

Unwissenheit, rätselhafte, noch unverstandene Mächte, und Abhängigkeit von ihnen, verbunden mit dem Drang, sie den menschlichen Wünschen gefügig zu machen – die beiden waren gemeinschaftlich die Erzeuger der Götter.


Zuletzt aktualisiert am 9.8.2008