Leo Trotzki

Terrorismus und Kommunismus

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Die Probleme der Organisation der Arbeit

Die Sowjetmacht und die Industrie

Wenn in der ersten Periode der Sowjetrevolution die Hauptanklagen der bürgerlichen Welt unsere Grausamkeit und Blutgier betrafen, so hat man späterhin, als dies Argument infolge häufigen Gebrauchs stumpf geworden war und seine Kraft verloren hatte, angefangen, uns hauptsächlich für den wirtschaftlichen Verfall des Landes verantwortlich zu machen. Entsprechend seiner jetzigen Mission überträgt Kautsky in die Sprache des Pseudomarxismus alle bürgerlichen Anklagen darüber, daß die Sowjetmacht das industrielle Leben Rußlands ruiniert habe: die Bolsehewiki seien ohne jeden Plan an die Sozialisierung gegangen, hätten sozialisiert, was noch nicht reif war für die Sozialisierung; schließlich sei die russische Arbeiterklasse überhaupt noch nicht zur Leitung der Industrie vorbereitet usw. usw.

Indem Kautsky diese Anklagen wiederholt und kombiniert, verschweigt er mit stumpfsinniger Hartnäckigkeit die Hauptursachen unseres wirtschaftlichen Verfalls: die imperialistische Metzelei, den Bürgerkrieg und die Blockade.

Von den ersten Monaten seines Bestehens an war Sowjetrußland der Kohle, des Naphtha, der Metalle und der Baumwolle beraubt. Zuerst hatte der österreichisch-deutsche, dann der Ententeimperialismus unter Mitwirkung der russischen Weißgardisten Sowjetrußland vom Kohlen- und Metallerzbecken des Donez, vom kaukasischen Naphthagebiet, von Turkestan mit seiner Baumwolle, vom Ural mit seinen reichen Metallgruben, von Sibirien mit seinem Getreide und Fleisch abgeschnitten. Das Donezbecken lieferte unserer Industrie gewöhnlich 94 Prozent des gesamten Kohlenheizstoffes und 74 Prozent des Schwarzmetalls. Der Ural lieferte uns weitere 20 Prozent Metall und 4 Prozent Kohle. Diese beiden Gebiete wurden im Verlaufe des Bürgerkrieges von uns abgetrennt. Wir verloren eine halbe Milliarde Pud Kohlen, die aus dem Auslande eingeführt wurden, gleichzeitig blieben wir auch ohne Naphtha – alle Quellen bis auf die letzte gerieten in die Hände unserer Feinde. Man muß in Wahrheit ein Brett vor dem Kopf haben, um angesichts dieser Tatsachen vom zerstörenden Einfluß der „unzeitgemäßen“ „barbarischen“ usw. Sozialisierung auf eine Industrie zu reden, die weder Heizmaterial noch Rohstoffe hat. Ob das Unternehmen einem kapitalistischen Trust oder einem Arbeiterstaat gehört, ob der Betrieb sozialisiert ist oder nicht, sein Schornstein kann nicht rauchen, wenn keine Kohle oder kein Naphtha vorhanden ist. Darüber kann man in Oesterreich manches in Erfahrung bringen: übrigens auch in Deutschland selbst. Eine Weberei, und sei sie nach den besten Methoden Kautskys geleitet, – wenn man annimmt, daß man nach den Methoden Kautskys überhaupt irgend etwas leiten kann, außer das eigene Tintenfaß, – diese Weberei wird keinen Kattun liefern, wenn man sie nicht mit Baumwolle versorgt. Wir aber verloren gleichzeitig sowohl den turkestanischen als auch den amerikanischen Faserstoff. Außerdem hatten wir, wie gesagt, kein Heizmaterial.

Freilich, Blockade und Bürgerkrieg waren Folgen der proletarischen Umwälzung in Rußland. Daraus ergibt sich aber durchaus nicht, daß die gigantischen Verwüstungen, die durch die anglo-amerikanisch-französische Blockade und die Raubzüge Koltschaks und Denikins hervorgerufen worden sind, der Untauglichkeit der Wirtschaftsmethoden der Sowjets zugeschrieben werden, müssen.

Der der Revolution vorausgegangene imperialistische Krieg mit seinen allesverschlingenden materialtechnischen Ansprüchen hat unsere junge russische Industrie bedeutend stärker belastet als die Industrie der mächtigen kapitalistischen Länder. Besonders schwer hat unser Transportwesen gelitten. Die Ausnutzung der Eisenbahnen stieg außerordentlich, dementsprechend stieg auch die Abnutzung; die Reparatur aber wurde auf ein absolutes Minimum beschränkt. Der Tag des unausbleiblichen Zusammenbruchs wurde durch die Heizmaterialkrise näher gerückt. Da wir fast gleichzeitig die Donezkohle, die ausländische Kohle und das kaukasische Naphtha verloren, mußten wir im Transportwesen zur Holzfeuerung übergehen. Da aber die vorhandenen Holzvorräte darauf absolut nicht berechnet waren, so mußten die Lokomotiven mit frisch gefälltem grünem Holz gefeuert werden, das auf den ohnehin schon abgenutzten Mechanismus der Lokomotiven äußerst zerstörend wirkt. Wir sehen also, daß die Hauptursachen des Transportverfalls dem November 1917 vorausgingen. Aber auch die Ursachen, die direkt oder indirekt mit der Oktoberrevolution Zusammenhängen, zählen zu den politischen Folgen der Revolution und berühren keineswegs die sozialistischen Wirtschaftsmethoden.

Der Einfluß der politischen Erschütterungen auf wirtschaftlichem Gebiet blieb selbstverständlich nicht auf die Transport- und die Heizmaterialfrage beschränkt. Wenn die Weltindustrie sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr in einen einheitlichen Organismus verwandelte, so gilt das um so mehr von der nationalen Industrie. Dabei aber haben Krieg und Revolution die russische Industrie nach allen Richtungen zerrissen und zerstückelt.

Die industrielle Zerstörung Polens, der Ostseeprovinzen und dann Petersburgs begann unter dem Zarismus und dauerte unter Kerensky an, immer weitere neue Gebiete erfassend.

Die endlosen Evakuationen zugleich mit der Zerstörung der Industrie bedeuten auch die Zerstörung des Transportwesens. Während des Bürgerkrieges mit seinen beweglichen Fronten nahmen die Evakuationen einen fieberhaften und daher noch zerstörenderen Charakter an. Jede Partei, die zeitweilig oder für immer dieses oder jenes Industriezentrum räumte, traf alle Vorkehrungen, um die wichtigsten Industrieunternehmen für den Gegner unbrauchbar zu machen – alle wertvollen Maschinen oder doch wenigstens ihre edelsten Teile wurden zusammen mit den Technikern und den besten Arbeitern weggebracht. Auf die Evakuation folgte die Reevakuation, die nicht selten die Zerstörung vollständig machte, sowohl hinsichtlich der transportierten Güter als auch hinsichtlich der Eisenbahnen. Einige der wichtigsten Industriebezirke – insbesondere in der Ukraine und im Ural – gingen mehrfach aus einer Hand in die andere.

Dazu kam, daß zur selben Zeit, wo die Zerstörung der technischen Einrichtungen in bisher noch nie dagewesenem Umfange vor sich ging, der Zustrom von Maschinen aus dem Auslande, der früher in unserer Industrie ausschlaggebend war, vollständig aufhörte.

Aber nicht nur die toten Produktionselemente: Gebäude, Maschinen, Schienen, Heizstoffe und Rohstoffe, wurden durch die vereinigten Schläge des Krieges und der Revolution in furchtbarer Weise mitgenommen; nicht weniger, eher sogar mehr noch, hat der Hauptfaktor der Industrie gelitten, ihre lebendige schöpferische Kraft: das Proletariat. Das Proletariat vollbrachte die Novemberumwälzung, baute den Apparat der Sowjetmacht auf, verteidigte ihn und führte einen unablässigen Kampf gegen die Weißgardisten. Die qualifizierten Arbeiter sind der allgemeinen Regel nach zugleich auch die vorgeschrittensten. Der Bürgerkrieg hat viele Zehntausende der besten Arbeiter auf lange Jahre der produktiven Arbeit entrissen, viele Tausende von ihnen unwiderruflich verschlungen. Die sozialistische Revolution hat sich mit der Hauptlast der Opfer auf den Vortrupp des Proletariats gelegt und somit auch auf die Industrie.

Die gesamte Aufmerksamkeit des Sowjetstaates war in den zweieinhalb Jahren seines Bestehens auf die militärische Abwehr gerichtet: die besten Kräfte und die meisten Hilfsmittel wurden der Front zur Verfügung gestellt.

Der Klassenkampf bringt überhaupt Schädigungen der Industrie mit sich. Das ist ihm schon lange vor Kautsky von allen Philosophen der sozialen Harmonie vorgeworfen worden. Bei einfachen Wirtschaftsstreiks konsumieren die Arbeiter wohl, produzieren aber nichts. Um so schwerere Schläge bringt der Klassenkampf in seiner erbittertsten Form, der Form von Waffenkämpfen, der Wirtschaft bei. Es ist doch klar, daß der Bürgerkrieg auf keine Weise den sozialistischen Arbeitsmethoden zugezählt werden kann.

Die angeführten Gründe genügen überreichlich, um die schwierige Wirtschaftslage Sowjetrußlands zu erklären. Kein Heizstoff, kein Metall, keine Baumwolle, das Transportwesen zerstört, die technische Einrichtung untauglich, die lebendige Arbeitskraft über das ganze Land hin verstreut und zum bedeutenden Teil an den Fronten umgekommen, – braucht man da noch weitere Ursachen für den Niedergang unserer Industrie zu suchen? Im Gegenteil, jeder der angeführten Gründe für sich genommen genügt, um die Frage hervorzurufen: wie kann unter solchen Umständen eine Fabrik- und Betriebstätigkeit überhaupt noch bestehen?

Und dabei besteht sie doch – vor allem in Gestalt der Kriegsindustrie, die augenblicklich auf Kosten der gesamten übrigen Industrie lebt. Die Sowjetmacht war genötigt, sie ebenso wie die Armee aus den Trümmern wieder erstehen zu lassen. Die unter so unerhört schwierigen Umständen wiederhergestellte Militärindustrie erfüllte und erfüllt ihre Aufgabe: die Rote Armee hat Kleider, Schuhwerk, Gewehre, Maschinengewehre, Kanonen, Patronen, Geschosse, Flugzeuge und alles andere, was sie braucht.

Kaum war – nach der Zerschmetterung Koltschaks, Judenitschs und Denikins – ein Lichtstrahl aufgeblitzt, als wir an die Fragen der Wirtschaftsorganisation in ihrem vollen Umfange herantraten. Und schon im Laufe von 3 bis 4 Monaten angespannter Arbeit auf diesem Gebiet zeigte es sich mit unzweifelhafter Deutlichkeit, daß die Sowjetmacht infolge ihrer äußerst engen Verbindung mit den Volksmassen, der Biegsamkeit ihres Staatsapparates und ihrer revolutionären Initiative über solche Quellen und Methoden zur Wiederaufrichtung der Wirtschaft verfügt, wie sie keinem anderen Staat zur Verfügung standen oder stehen.

Allerdings tauchten hierbei vor uns völlig neue Fragen und neue Schwierigkeiten auf dem Gebiet der Arbeitsorganisation auf. Die sozialistische Theorie hatte keine fertigen Antworten auf diese Fragen bereit und konnte sie auch gar nicht haben. Die Entscheidungen mußten auf dem Wege der Erfahrung gefunden und an der Erfahrung nachgeprüft werden. Das Kautskyanertum ist hinter den von der Sowjetmacht zu lösenden gigantischen Wirtschaftsaufgaben um eine ganze Geschichtsepoche zurückgeblieben. In Form des Menschewismus kriecht es einem unter den Füßen herum und setzt den praktischen Maßnahmen unseres Wirtschaftsaufbaus spießbürgerliche Vorurteile und einen intellektuell-bürokratischen Skeptizismus entgegen.

Um den Leser in den Wesenskern der Fragen der Arbeitsorganisation einzuführen, lassen wir hier den Bericht des Verfassers an den III. Kongreß der Gewerkschaften Rußlands folgen. Zwecks umfassender Beleuchtung der Frage ist der Text der Rede durch längere Auszüge aus den Berichten des Verfassers an den Kongreß der Volkswirtschaftsräte Rußlands und an den IX. Parteitag der Kommunistischen Partei Rußlands ergänzt.
 

Bericht über die Organisierung der Arbeit

Genossen! Der innere Bürgerkrieg geht zu Ende. An der Westfront bleibt die Lage ungeklärt. Möglich, daß die polnische Bourgeoisie ihr Schicksal herausfordern wird ... Aber selbst in diesem Falle – wir suchen ihn nicht – wird der Krieg von uns schon nicht mehr die alles verschlingende Kräfteanspannung heischen, die der an vier Fronten gleichzeitig geführte Kampf erforderte. Der entsetzliche Druck des Krieges wird schwächer. Die wirtschaftlichen Bedürfnisse und Aufgaben treten immer mehr in den Vordergrund. Die Geschichte stellt uns Auge in Auge vor unsere Hauptaufgabe, – die Organisierung der Arbeit ist im wesentlichen die Organisierung einer neuen Gesellschaft – jede Gesellschaft in der Geschichte ist im Grunde eine Arbeitsorganisation. Wenn jede bisherige Gesellschaft eine Organisierung der Arbeit im Interesse der Minderheit war, wobei diese Minderheit ihren Staatszwang gegenüber der erdrückenden Mehrheit der Werktätigen organisierte, so machen wir zum ersten mal in der Geschichte den Versuch, die Arbeit im Interesse der werktätigen Mehrheit selbst zu organisieren. Das schließt jedoch das Element des Zwanges in allen seinen Spielarten, von den mildesten bis zu den härtesten, nicht aus. Das Element der Verbindlichkeit, der staatlichen Nötigung tritt von der Bühne der Geschichte nicht nur nicht ab, sondern wird im Gegenteil noch im Laufe einer bedeutenden Periode eine außerordentlich große Rolle spielen.

Nach der allgemeinen Regel sucht der Mensch sich der Arbeit zu entziehen. Arbeitsliebe ist durchaus keine angeborene Eigenschaft: sie wird durch den wirtschaftlichen Druck und die gesellschaftliche Erziehung hervorgebracht. Man kann sagen, daß der Mensch ein rechtes Faultier ist. Auf diese seine Eigenschaft gründet sich eigentlich in bedeutendem Maße der menschliche Fortschritt, denn wenn der Mensch nicht bestrebt wäre, mit seinen Kräften sparsam umzugehen, für eine geringe

Energiemenge möglichst viel Produkte zu erhalten, so hätten wir keine Entwicklung der Technik und der gesellschaftlichen Kultur. Von diesem Gesichtspunkte aus also ist die Faulheit des Menschen eine fortschrittliche Kraft. Der alte italienische Marxist Antonio Labriola schilderte den künftigen Menschen sogar als „glücklichen und genialen Faulenzer“. Hieraus braucht man jedoch nicht zu schließen, daß die Partei und die Gewerkschaften diese Eigenschaft in ihrer Agitation als moralische Pflicht predigen sollen. Nein, nein. Wir haben von ihr auch ohnedies schon übergenug. Die Aufgabe der gesellschaftlichen Organisation besteht darin, die „Faulheit“ in bestimmte Grenzen zu bringen, um sie zu disziplinieren, um den Menschen durch Mittel und Wege, die er selbst erfunden hat, anzuspornen.
 

Die Arbeitspflicht

Der Schlüssel zur Wirtschaft liegt in der Arbeitskraft – der qualifizierten, elementar gelernten, halbgelernten, rohen oder groben. Die Mittel zu ihrer richtigen Registrierung, Mobilmachung, Verteilung, produktiven Verwendung auszuarbeiten, darin liegt die praktische Lösung der Aufgabe des Wirtschaftsaufbaus. Das ist eine Aufgabe für eine ganze Epoche, eine grandiose Aufgabe. Ihre Schwierigkeit wird noch dadurch erhöht, daß der Umbau der Arbeit auf sozialistischer Grundlage im Zustand unerhörter Verarmung, entsetzlicher Verelendung durchgeführt werden muß.

Je mehr unsere maschinellen Einrichtungen sich abnutzen, je unbrauchbarer unsere Eisenbahnen werden, je geringer die Aussicht für uns ist, in nächster Zukunft Maschinen in einigermaßen bedeutender Menge aus dem Auslande zu erhalten, desto größere Bedeutung gewinnt die Frage der lebendigen Arbeitskraft. Man sollte meinen, daß sie in großer Menge vorhanden ist. Wo aber liegen die Wege zu ihr? Wie kann man sie zur Arbeit heranziehen? Wie kann man sie produktiv organisieren? Schon bei der Reinigung der Bahnstränge stießen wir auf große Schwierigkeiten. Durch Anwerbung von Arbeitskraft auf dem Markt war die Aufgabe bei der heutigen verschwindend geringen Kaufkraft des Geldes, bei dem fast völligen Fehlen von Erzeugnissen der bearbeitenden Industrie unmöglich zu lösen. Der Bedarf an Heizmaterial kann nicht einmal zum Teil befriedigt werden, wenn nicht zu einer noch nie dagewesenen Massenverwendung von Arbeitskraft für Holzfällen, Torfgraben und Brennschieferförderung gegriffen wird. Der Bürgerkrieg hat die Bahnstränge, Brücken, Stationsgebäude arg zerstört. Es sind Zehntausende von Arbeitshänden erforderlich, um das alles in Ordnung zu bringen. Um die Herbeischaffung des Brennholzes und die Torfgewinnung in großem Maßstabe organisieren zu können, braucht man Räumlichkeiten für die Arbeiter, seien es auch nur Baracken. Hieraus folgt wieder der Bedarf an bedeutenden Mengen Arbeitskraft für Bauarbeiten.

Zur Organisierung der Flößerei sind ebenfalls zahlreiche Arbeitskräfte erforderlich usw., usw.

Die kapitalistische Industrie bezog in großem Maßstabe Hilfskräfte aus dem Dorfe in Form der Nebenarbeit der Bauern. Deren Landarmut warf stets einen gewissen Ueberschuß an Arbeitskraft auf den Markt. Der Staat erzwang dies durch seine Forderung von Abgaben. Der Markt bot dem Bauern Waren an. Gegenwärtig fällt das alles fort. Das Dorf hat mehr Land bekommen, die landwirtschaftlichen Maschinen reichen nicht aus, das Land braucht Arbeitskräfte, die Industrie kann dem Dorfe gegenwärtig fast gar nichts geben, der Markt übt keine große Anziehungskraft auf die Arbeitskräfte aus.

Aber die Arbeitskräfte sind dringender nötig als je. Nicht nur der Arbeiter, sondern auch der Bauer muß dem Sowjetstaat seine Arbeitskraft geben, damit das werktätige Rußland und damit auch die Werktätigen selbst nicht zermalmt werden. Das einzige Mittel, um die erforderliche Arbeitskraft zu den Wirtschaftsaufgaben heranzuziehen, ist die Durchführung der Arbeitspflicht.

Das Prinzip der Arbeitspflicht ist für den Kommunisten vollkommen unstreitig: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Da aber alle essen müssen, so müssen auch alle arbeiten. Die Arbeitspflicht ist in unserer Verfassung und im Arbeitskodex festgelegt. Aber sie ist bisher nur Prinzip geblieben. Ihre Anwendung trug einen zufälligen, partiellen, episodischen Charakter. Erst jetzt, wo wir unmittelbar an die Fragen der wirtschaftlichen Wiederherstellung des Landes herangetreten sind, haben sich die Fragen der Arbeitspflicht völlig konkret vor uns aufgerollt. Die einzige, prinzipiell wie praktisch richtige Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten besteht darin, die Bevölkerung des ganzen Landes als ein Reservoir der erforderlichen Arbeitskraft – eine fast unerschöpfliche Quelle – anzusehen und ihre Registrierung, Mobilisierung und Ausnutzung streng zu regeln.

Wie ist nun die Gewinnung von Arbeitskraft auf Grund der Arbeitspflicht praktisch in Angriff zu nehmen?

Bisher besaß nur das Militärressort Erfahrung hinsichtlich der Registrierung, Mobilmachung, Formierung und Transportierung großer Massen.

Diese technischen Handgriffe und Methoden hat unser Militärressort zum bedeutenden Teil aus der Vergangenheit übernommen. Auf wirtschaftlichem Gebiet gibt es kein derartiges Erbe, da dort das privatrechtliche Prinzip herrschte und die Arbeitskraft vom Markt aus in die einzelnen Unternehmungen kam. Es ist daher natürlich, daß wir wenigstens in der ersten Zeit genötigt waren, den Apparat des Militärressorts in weitestgehendem Maße für Arbeitsmobilmachungen zu verwenden.

Wir schufen Spezialorgane zur Durchführung der Arbeitspflicht, sowohl im Zentrum als auch in den Gouvernements, Kreisen und Gemeinden. Bei uns sind schon Ausschüsse für Arbeitspflicht tätig. Sie stützen sich hauptsächlich auf das zentrale Organ und die lokalen Organe des Militärressorts. Unsere wirtschaftlichen Zentren – der Oberste Volkswirtschaftsrat, das Volkskommissariat für Ackerbau, das Volkskommissariat des Verkehrs und das Volkskommissariat für Verpflegung – arbeiten Anforderungen der für sie notwendigen Arbeitskraft aus. Der Hauptausschuß für die Arbeitspflicht nimmt diese Anforderungen entgegen, bringt sie in Einklang, formuliert sie entsprechend den lokalen Quellen der Arbeitskraft, gibt seinen lokalen Organen die entsprechenden Aufträge und führt durch sie die Arbeitsmobilmachungen durch. Innerhalb der Gouvernements und Kreise führen die lokalen Organe diese Arbeit selbständig durch, zwecks Befriedigung der örtlichen Wirtschaftsbedürfnisse.

Diese ganze Organisation ist bei uns erst im Rohbau fertig. Sie ist noch äußerst unvollkommen. Aber der eingeschlagene Kurs ist unbedingt richtig.

Wenn die Organisation der neuen Gesellschaft im wesentlichen auf neue Organisierung der Arbeit hinausläuft, so bedeutet die Organisierung der Arbeit ihrerseits eine richtige Durchführung der allgemeinen Arbeitspflicht. Diese Aufgabe wird keinesfalls durch organisatorische und administrative Maßnahmen erschöpft. Sie erfaßt auch die Grundlagen der Wirtschaft und Lebensführung. Sie stößt mit mächtigen psychologischen Gewohnheiten und Vorurteilen zusammen. Die Durchführung der Arbeitspflicht setzt einerseits eine kolossale Erziehungsarbeit und anderseits die größte Umsicht bei der praktischen Inangriffnahme voraus.

Die Ausnutzung der Arbeitskraft muß in möglichst sparsamer Weise geschehen. Bei den Arbeitsmobilmachungen muß mit den Wirtschafts- und Lebensbedingungen jedes Bezirks, mit den Bedürfnissen der Hauptbeschäftigung der örtlichen Bevölkerung, d. h. der Landwirtschaft, gerechnet werden. Man muß sich nach Möglichkeit auf die früheren Nebenbeschäftigungen und ergänzenden Gewerbe der örtlichen Bevölkerung stützen. Die Ueberführung mobilgemachter Arbeitskraft muß auf dem kürzesten Wege geschehen, d. h. zu den nächstliegenden Abschnitten der Arbeitsfront. Die Zahl der mobilgemachten Arbeiter muß dem Umfang der wirtschaftlichen Aufgabe entsprechen.

Die Mobilgemachten müssen rechtzeitig mit den erforderlichen Arbeitswerkzeugen und Lebensmitteln versehen werden. Die Mobilgemachten müssen sich an Ort und Stelle davon überzeugen können, daß ihre Arbeitskraft umsichtig und sparsam angewandt und nicht nutzlos verschleudert wird. Wo immer möglich, muß die direkte Mobilmachung durch eine Arbeitsaufgabe ersetzt werden, d. h. einer Gemeinde wird die Pflicht auferlegt, zu einem bestimmten Termin etwa eine bestimmte Anzahl von Kubikmetern Holz zu liefern, oder per Achse zu einer bestimmten Station so und soviel Pud Gußeisen zu befördern usw. Auf diesem Gebiet ist die Erfahrung, die angesammelt wird, mit besonderer Sorgfalt zu studieren, dem Wirtschaftsapparat ist große Biegsamkeit zu geben, den örtlichen Interessen und Besonderheiten ist möglichst viel Aufmerksamkeit zu schenken. Mit einem Wort, die Maßnahmen, Methoden und Organe zur Durchführung der Mobilmachung von Arbeitskraft sind zu präzisieren, zu verbessern, zuvervollkommnen. Gleichzeitig aber muß man sich ein für allemal klarmachen, daß das Prinzip der Arbeitspflicht ebenso radikal und unwiederbringlich das Prinzip der freien Anstellung ersetzt hat, wie die Sozialisierung der Produktionsmittel an die Stelle des kapitalistischen Eigentums getreten ist.
 

Die Militarisierung der Arbeit

Die Durchführung der Arbeitspflicht ist undenkbar ohne Anwendung der Methoden der Militarisierung der Arbeit – in höherem oder geringerem Grade. Dieser Ausdruck ruft sofort den größten Aberglauben und oppositionelles Wehgeschrei hervor.

Um zu begreifen, was die Militarisierung der Arbeit im Arbeiterstaate bedeutet und welches ihre Methoden sind, muß man sich klar machen, auf welchem Wege die Militarisierung der Armee selbst vor sich gegangen ist, die, wie uns allen noch erinnerlich ist, in ihrer ersten Periode keineswegs die notwendigen „militärischen“ Eigenschaften besaß. Für unsere Rote Armee haben wir im Laufe dieser zwei Jahre nur etwas weniger Soldaten mobil gemacht, als unsere Gewerkschaften Mitglieder zählen. Aber die Mitglieder der Gewerkschaften sind Arbeiter, während in der Armee die Arbeiter ungefähr 15 Prozent ausmachen, der Rest ist bäuerliche Masse. Und trotzdem kann für uns nicht der leiseste Zweifel daran bestehen, daß der wahre Baumeister und „Militarisator“ der Roten Armee eben der von der Partei- oder Gewerkschaftsorganisation in den Vordergrund gerückte fortgeschrittene Arbeiter ist. Wenn die Lage an den Fronten schwierig wurde, wenn die neu mobilgemachte bäuerliche Masse nicht genug Festigkeit zeigte, dann wandten wir uns an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei einerseits und an das Präsidium des Zentralrates der Gewerkschaften Rußlands anderseits. Aus diesen beiden Reservoiren kamen die fortgeschrittenen Arbeiter an die Fronten und bauten da die Rote Armee nach ihrem Ebenbilde auf, – erzogen, stählten, militarisierten die bäuerliche Masse.

Diese Tatsache muß gegenwärtig mit aller Deutlichkeit festgehalten werden, weil sie sofort das erforderliche Schlaglicht auf den ganzen Begriff der Militarisierung im Arbeiterund Bauernstaate wirft. Die Militarisierung der Arbeit ist in den bürgerlichen Ländern im Westen, wie auch bei uns, unter dem Zarismus, wiederholt als Parole ausgegeben und in einzelnen Wirtschaftszweigen verwirklicht worden. Aber unsere Militarisierung unterscheidet sich nach Ziel und Methoden von diesen Versuchen ebenso, wie das bewußte und zur Befreiung organisierte Proletariat sich von der bewußten und zur Ausbeutung organisierten Bourgeoisie unterscheidet.

Aus der halb unbewußten, halb böswilligen Verwechslung der geschichtlichen Formen der proletarischen, sozialistischen Militarisierung mit der bürgerlichen entspringt die Mehrzahl der Vorurteile, Fehler, Proteste und Wehrufe in dieser Frage. Auf eine derartige Begriffsunterschiebung gründet sich die ganze Stellungnahme der Menschewiki, unserer russischen Kautskyaner, wie sie in ihrer prinzipiellen Resolution zum Ausdruck kommt, die dem gegenwärtigen Gewerkschaftskongreß vorgelegt worden ist.

Die Menschewiki treten nicht nur gegen die Militarisierung der Arbeit, sondern auch gegen die Arbeitspflicht auf. Sie verwerfen diese Methoden als „Zwangsmethoden“. Sie predigen, daß die Arbeitspflicht gleichbedeutend sei mit geringer Produktivität der Arbeit und daß die Militarisierung eine zwecklose Vergeudung der Arbeitskraft bedeute.

„Zwangsmäßige Arbeit ist immer wenig produktiv“, so heißt es im genauen Wortlaut der menschewistischen Resolution. Diese Behauptung führt uns zum eigentlichen Kern der Frage. Denn wie wir sehen, handelt es sich durchaus nicht darum, ob es vernünftig sei oder nicht, diese oder jene Fabrik in Kriegszustand zu erklären; ob es zweckmäßig sei, dem Kriegsrevolutionstribunal das Recht zu verleihen, demoralisierte Arbeiter zu strafen, die das für uns so kostbare Material und die Instrumente stehlen oder die Arbeit sabotieren. Nein, die Frage wird von den Menschewiki viel tiefer gestellt. Indem sie behaupten, daß zwangsmäßige Arbeit stets wenig produktiv sei, suchen sie unserem ganzen Wirtschaftsaufbau in der gegenwärtigen Uebergangsepoche den Boden zu entziehen. Denn davon, daß von der bürgerlichen Anarchie zur sozialistischen Wirtschaft ohne revolutionäre Diktatur und ohne Zwangsformen der Wirtschaftsorganisation übergegangen weiden kann, kann keine Rede sein.

Im ersten Punkte der Resolution der Menschewiki ist davon die Rede, daß wir in einer Epoche des Uebergangs von der kapitalistischen Produktionsweise zur sozialistischen leben. Was bedeutet das? Und vor allem: woher haben sie das? Seit wann haben unsere Kautskyaner das anerkannt? Sie beschuldigten uns – und das bildete den Hauptpunkt unserer Meinungsverschiedenheiten – des sozialen Utopismus; sie behaupteten – und das bildete den Wesenskern ihrer Lehre –, daß von einem Uebergang zum Sozialismus in unserer Epoche gar keine Rede sein könne, daß unsere Revolution eine bürgerliche sei und daß wir Kommunisten die kapitalistische Wirtschaft nur zerstören, daß wir das Land nicht vorwärtsbringen, sondern zurückstoßen. Darin bestand die grundlegende Meinungsverschiedenheit, der tiefste, unversöhnliche Gegensatz, aus dem sich alle anderen ergaben. Jetzt sagen uns die Menschewiki im Vorbeigehen, in den einleitenden Sätzen ihrer Resolution, als etwas, was des Beweises nicht bedarf, daß wir uns in Verhältnissen des Uebergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus befänden. Und dieses völlig unerwartete Eingeständnis, das anscheinend einer vollen ideellen Kapitulation gleichkommt, wird um so leichter und flüchtiger gemacht, als es – wie die ganze Resolution zeigt – den Menschewiki keinerlei revolutionäre Pflichten auferlegt. Sie bleiben voll und ganz in dem Banne der bürgerlichen Ideologie. Während sie anerkennen, daß wir uns auf dem Wendepunkte zum Sozialismus befinden, fallen die Menschewiki mit um so größerer Erbitterung über die Methoden her, ohne welche, unter den harten und schweren Verhältnissen der jetzigen Zeit, der Uebergang zum Sozialismus undurchführbar ist.

Zwangsarbeit – so sagt man uns. – ist immer unproduktiv. Wir fragen: was ist hier unter Zwangsarbeit zu verstehen, d. h. welcher Art Arbeit wird sie entgegengestellt? Offenbar der freien Arbeit. Was ist in diesem Fall unter freier Arbeit zu verstehen? Dieser Begriff ist von den fortschrittlichen Ideologen der Bourgeoisie im Kampf gegen die unfreie, d. h. gegen die leibeigene Arbeit der Bauern und gegen die normierte, reglementierte Arbeit der zünftigen Handwerker formuliert worden. Freie Arbeit bedeutete eine Arbeit, die auf dem Markte „frei“ gekauft werden kann, – die Freiheit lief auf eine juristische Fiktion auf der Grundlage der freien Lohnsklaverei hinaus. Eine andere Art von freier Arbeit kennen wir in der Geschichte nicht. Mögen die so wenig zahlreichen Vertreter der Menschewiki auf diesem Kongreß uns erklären, was bei ihnen die freie, nicht zwangsmäßige Arbeit bedeutet, wenn nicht den Markt der Arbeitskraft?

Die Geschichte kannte die Sklavenarbeit. Die Geschichte kannte die reglementierte Arbeit der mittelalterlichen Zünfte. In der ganzen Welt herrscht heute die Lohnarbeit, die von den gelben Zeitungsschreibern aller Länder der sowjetistischen „Sklaverei“ als höchste Freiheit gegenübergestellt wird. Wir aber stellen umgekehrt der kapitalistischen Sklaverei die gesellschaftlich normierte Arbeit auf Grund eines Wirtschaftsplans entgegen, der für das ganze Volk verpflichtend und daher für jeden Arbeiter des Landes zwangsmäßig ist. Anders kann an den Uebergang zum Sozialismus gar nicht gedacht werden. Das Element des materiellen und psychologischen Zwanges kann stärker oder schwächer sein, – das hängt von vielen Umständen ab: vom Grad des Reichtums oder der Verelendung des Landes, von der Ueberlieferung der Vergangenheit, vom Stand der Kultur, vom Zustand des Transportwesens und des Verwaltungsapparats usw. usw., – aber die Verpflichtung und somit auch die Zwangsmäßigkeit ist ein unumgängliches Erfordernis zur Ueberwindung der bürgerlichen Anarchie, zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Arbeit und zum Umbau der Wirtschaft auf Grund eines Einheitsplans.

Für den Liberalen ist die Freiheit letzten Endes dasselbe wie der Markt. Ob der Kapitalist zu annehmbarem Preise Arbeitskraft kaufen kann oder nicht, – das ist sein einziger Maßstab für die Freiheit der Arbeit. Dieser Maßstab ist falsch, nicht nur in bezug auf die Zukunft, sondern auch hinsichtlich der Vergangenheit.

Es wäre absurd, sich die Sache so vorzustellen, als wäre zur Zeit der Leibeigenschaft immer nur unter dem Stock des physischen Zwanges gearbeitet worden, als ob der Aufseher mit der Peitsche hinter dem Rücken eines jeden Bauern gestanden hätte. Die mittelalterlichen Wirtschaftsformen entsprangen bestimmten Produktionsbedingungen und schufen bestimmte Lebensformen, in die der einfache Mann sich einlebte, die er zu gewissen Zeiten als gerecht ansah oder doch zum mindesten als unabänderlich hinnahm. Wenn er unter dem Einfluß von Veränderungen in den materiellen Bedingungen sich gegen sie erhob, stürzte sich der Staat mit seiner ganzen materiellen Macht auf ihn und offenbarte dadurch den zwangsmäßigen Charakter der Arbeitsorganisation.

Die Grundlage der Militarisierung der Arbeit wird auf den Formen staatlichen Zwanges gebildet, ohne die die Ersetzung der kapitalistischen Wirtschaft durch die sozialistische für immer nur leerer Schall bleiben wird. Warum sprechen wir von Militarisierung? Selbstverständlich ist das nur eine Analogie, aber eine sehr inhaltsreiche. Keine andere gesellschaftliche Organisation mit Ausnahme der Armee hat sich berechtigt gehalten, sich die Bürger in solchem Grade unterzuordnen, sie in solchem Maße von allen Seiten durch ihren Willen zu umfassen, wie dies der Staat der proletarischen Diktatur tut und zu tun sich für berechtigt hält. Nur der Armee – eben weil sie über Leben und Tod der Nationen, Staaten, herrschenden Klassen auf ihre eigene Weise entschied – wurde das Recht erteilt, von allen und jedem volle Unterordnung unter ihre Aufgaben, Satzungen und Befehle zu fordern. Und sie erzielte dies in um so höherem Grade, je mehr die Aufgaben der militärischen Organisation mit den Bedürfnissen der gesellschaftlichen Entwicklung übereinstimmten.

Die Frage über Sein oder Nichtsein Sowjetrußlands wird gegenwärtig an der Arbeitsfront entschieden. Unsere wirtschaftlichen und zusammen mit ihnen auch unsere gewerkschaftlichen Produktionsorganisationen haben das Recht, von allen ihren Mitgliedern die Selbstverleugnung, die Disziplin und den Eifer zu verlangen, die bisher nur die Armee gefordert hat.

Andererseits gründet sich das Verhältnis des Kapitalisten zum Arbeiter keineswegs nur auf den „freien“ Vertrag, sondern enthält Elemente der staatlichen Reglementierung und des materiellen Zwanges.

Die Konkurrenz der Kapitalisten untereinander verlieh der Fiktion der Arbeitsfreiheit eine gewisse, sehr partielle Realität; aber diese Konkurrenz, die durch Syndikate und Trusts auf ein Minimum herabgedrückt worden war, haben wir endgültig beseitigt, indem wir das private Besitzrecht auf die Produktionsmittel aufhoben. Der von den Menschewiki in Worten anerkannte Uebergang zum Sozialismus bedeutet den Uebergang von der elementaren Verteilung der Arbeitskraft – durch das Spiel des Kaufs und Verkaufs, durch die Bewegung der Marktpreise und des Arbeitslohns – zur planmäßigen Verteilung der Arbeiter durch die Wirtschaftsorgane des Kreises, des Gouvernements, des ganzen Landes. Eine derartige planmäßige Verteilung setzt die Unterordnung der zu Verteilenden unter den Wirtschaftsplan des Staates voraus. Das ist das Wesen der Arbeitspflicht, die unbedingt zum Programm der sozialistischen Organisierung der Arbeit als ihr Grundelement gehört.

Wenn die planmäßige Wirtschaft ohne Arbeitspflicht nicht denkbar ist, so ist letztere nicht durchführbar ohne Beseitigung der Fiktion der freien Arbeit, ohne ihre Ersetzung durch das Prinzip der Verpflichtung, das durch den realen Zwang ergänzt wird.

Daß die freie Arbeit produktiver ist als die zwangsmäßige, – das ist für die Epoche des Uebergangs von der feudalen Gesellschaft zur bürgerlichen ganz richtig. Aber man muß ein Liberaler oder – in der Gegenwart – ein Kautskyaner sein, um diese Wahrheit zu verewigen und auf die Epoche des Uebergangs von der bürgerlichen Ordnung zur sozialistischen zu übertragen. Wenn es richtig ist, daß die zwangsmäßige Arbeit stets und unter allen Umständen unproduktiv ist, wie die Resolution der Menschewiki besagt, dann ist unser ganzer Aufbau zum Einsturz verurteilt. Denn einen anderen Weg zum Sozialismus, außer der gebieterischen Verfügung über die Wirtschaftskräfte und -mittel des Landes, außer einer zentralisierten Verteilung der Arbeitskraft in Abhängigkeit vom gesamtstaatlichen Plan kann es für uns nicht geben. Der Arbeiterstaat hält sich für berechtigt, jeden Arbeiter auf den Platz zu stellen, wo seine Arbeit notwendig ist.

Und kein einziger ernster Sozialist wird dem Arbeiterstaat das Recht absprechen wollen, seine Hand auf den Arbeiter zu legen, der sich weigert, die Arbeitsaufgabe zu erfüllen. Aber das ist ja eben der Kern der Sache, daß die Straße, auf der die Menschewiki zum „Sozialismus“ übergehen wollen, eine Milchstraße ist ohne Getreidemonopol, ohne Beseitigung des Marktes, ohne revolutionäre Diktatur und ohne Militarisierung der Arbeit.

Ohne Arbeitspflicht, ohne das Recht, zu befehlen und Gehorsam zu verlangen, werden die Gewerkschaften sich in eine leere Form ohne Inhalt verwandeln, denn der im Bau begriffene sozialistische Staat braucht die Gewerkschaften nicht zum Kampf um bessere Arbeitsbedingungen – das ist die Aufgabe der gesamten gesellschaftlichen und staatlichen Organisation –, sondern um die Arbeiterklasse zu Produktionszwecken zu organisieren, zu erziehen, zu disziplinieren, zu verteilen, zu gruppieren, die einzelnen Gruppen und die einzelnen Arbeiter für bestimmte Zeit an ihre Posten festzulegen – mit einem Wort: Hand in Hand mit dem Staat die Werktätigen gebieterisch dem Rahmen des wirtschaftlichen Einheitsplanes einzufügen. Unter solchen Verhältnissen die „Freiheit“ der Arbeit verteidigen, heißt ein fruchtloses und hilfloses, planloses Suchen nach besseren Bedingungen, systemlose chaotische Uebertritte aus einer Fabrik in eine andere verteidigen, und das in einem hungrigen Lande, wo das Transportwesen und der Verpflegungsapparat aufs fürchterlichste zerrüttet sind ... Was, außer dem völligen Zerfall der Arbeiterklasse und voller wirtschaftlicher Anarchie, könnte das Ergebnis des absurden Versuches sein, die bürgerliche Arbeitsfreiheit mit der proletarischen Sozialisierung der Produktionsmittel zu kombinieren?

Also, Genossen, die Militarisierung der Arbeit in dem grundlegenden Sinne, den ich dargelegt habe, ist keine Erfindung einzelner Politiker oder unseres Kriegskommissariats, sondern eine unvermeidliche Methode zur Organisierung und Disziplinierung der Arbeitskraft in der Uebergangsepoche vom Kapitalismus zum Sozialismus. Und wenn die zwangsmäßige Verteilung der Arbeitskraft, ihre kurz- oder langfristige Festlegung auf einzelne Industriezweige oder Betriebe, ihre Regelung nach einem gesamtstaatlichen Wirtschaftsplan, – wenn alle diese Zwangsformen stets und überall, wie die Resolution der Menschewiki schreibt, zur Verringerung der Produktivität der Arbeit führen, – dann begrabt den Sozialismus. Denn auf das Fallen der Produktivität der Arbeit kann man den Sozialismus nicht gründen. Jede gesellschaftliche Organisation ist eine Organisation der Arbeit. Und wenn unsere neue Organisation der Arbeit zum Sinken ihrer Produktivität führt, so geht eben dadurch die im Bau begriffene sozialistische Gesellschaft verhängnisvoll dem Untergang entgegen, wie wir uns auch drehen und wenden und was für Rettungsmittel wir uns auch ausdenken mögen.

Darum sagte ich eben von Anfang an, daß die menschewistischen Argumente gegen die Militarisierung uns zur Kernfrage über die Arbeitspflicht und ihren Einfluß auf die Produktivität der Arbeit führen. Ist es richtig, daß die Zwangsarbeit immer unproduktiv ist! Die Antwort muß lauten, daß dies das jämmerlichste und platteste liberale Vorurteil ist. Alles kommt darauf an, von wem, gegen wen und zu welchem Zweck der Zwang angewandt wird, von welchem Staat, von welcher Klasse, unter welchen Umständen, durch welche Methoden. Auch die leibeigene Organisation war unter bestimmten Bedingungen ein Fortschritt und führte zur Steigerung der Produktivität der Arbeit. Außerordentlich gestiegen ist die Produktivität unter dem Kapitalismus, d. h. in der Epoche des freien Kaufs und Verkaufs der Arbeitskraft auf dem Markt. Aber als die freie Arbeit zusammen mit dem Kapitalismus in das Stadium des Imperialismus eintrat, hat sie sich im imperialistischen Kriege in die Luft gesprengt. Die ganze Weltwirtschaft ist in eine Periode blutiger Anarchie, ungeheuerlicher Erschütterungen, Verelendung, Entartung und des Untergangs der Volksmassen, eingetreten. Kann unter solchen Umständen von der Produktivität der freien Arbeit die Rede sein, wenn die Früchte dieser Arbeit zehnmal schneller zerstört als geschaffen werden? Der imperialistische Krieg und das, was darauf folgte, haben die Unmöglichkeit eines Weiterbestehens der Gesellschaft auf der Grundlage der freien Arbeit gezeigt. Oder besitzt vielleicht jemand das Geheimnis, wie man die freie Arbeit vom Wahnsinn des Imperialismus trennen, d. h. die gesellschaftliche Entwicklung um ein halbes oder ganzes Jahrhundert zurückschrauben kann? Wenn es sich erweisen sollte, daß die den Imperialismus ablösende planmäßige und folglich zwangsmäßige Organisierung der Arbeit zum Sinken der Wirtschaft führt, so würde das den Untergang unserer ganzen Kultur, eine Rückwärtsbewegung der Menschheit zur Barbarei und Wildheit bedeuten.

Zum Glück, nicht nur für Sowjetrußland, sondern auch für die ganze Menschheit, ist die Philosophie von der niedrigen Produktivität der Zwangsarbeit „stets und unter allen Umständen“ nur eine verspätete Variante alter liberaler Melodien. Die Produktivität der Arbeit ist die resultierende Größe des gesamten Komplexes von gesellschaftlichen Bedingungen und wird durch die juristische Formel der Arbeit weder gemessen noch vorausbestimmt. Die ganze Geschichte der Menschheit ist die Geschichte der Organisierung und Erziehung des kollektiven Menschen der Arbeit, zwecks Erzielung einer höheren Produktivität. Der Mensch – wie ich mir bereits zu sagen erlaubte – ist faul, d. h. er ist instinktiv bestrebt, bei möglichst geringem Kräfteaufwand eine möglichst große Menge von Produkten zu erzielen. Ohne dieses Bestreben gäbe es auch keine wirtschaftliche Entwicklung. Das Wachsen der Zivilisation wird an der Produktivität der menschlichen Arbeit gemessen, und jede neue Form der gesellschaftlichen Beziehungen muß die Probe auf dieses Exempel bestehen.

Die „freie“, d. h. die freigekaufte Lohnarbeit ist durchaus nicht unvermittelt im vollen Waffenschmuck der Produktivität ans Tageslicht getreten. Sie hat erst allmählich eine hohe Produktivität erreicht, im Ergebnis einer dauernden Anwendung der Methoden der Arbeitsorganisation und der Arbeitserziehung. Zu dieser Erziehung gehörten die verschiedenartigsten Mittel und Wege, die überdies von einer Epoche zur anderen wechselten. Anfangs trieb die Bourgeoisie den Landmann mit dem Knüppel aus dem Dorf auf die Straße, nachdem sie ihm vorher das Land geraubt hatte, und als er nicht in der Fabrik arbeiten wollte, brannte sie ihm die Stirn mit glühenden Eisen, erhängte ihn, schickte ihn auf die Galeeren und lernte den aus dem Dorf verjagten Landstreicher schließlich für den Werkstuhl der Manufaktur an. In diesem Stadium unterscheidet sich die „freie“ Arbeit, wie wir sehen, nur wenig von der Zwangsarbeit, sowohl was die materiellen Bedingungen als auch was die juristische Lage anbetrifft.

In den verschiedenen Epochen hat die Bourgeoisie das glühende Eisen der Repressalien in verschiedenem Umfange mit der Methode der geistigen Beeinflussung kombiniert, vor allem mit der priesterlichen Predigt. Schon im 16. Jahrhundert reformierte sie die alte Religion des Katholizismus, die von der feudalen Ordnung verteidigt wurde, und richtete für sich eine neue Religion in Gestalt der Reformation her, in der die freie Seele mit freiem Handel und freier Arbeit vereinigt war. Sie fand neue Priester, die die geistlichen Kommis, die frommen Tabellenführer der Bourgeoisie wurden. Schule, Presse, Rathaus und Parlament wurden von der Bourgeoisie auf die geistige Beeinflussung der Arbeiterklasse eingestellt. Die verschiedenen Formen des Arbeitslohns – Tagelohn, Pauschal-, Akkordlohn, Kollektivvertrag, – sie sind alle nur wechselnde Mittel in der Hand der Bourgeoisie zur Arbeitsdressur des Proletariats. Dazu kommen noch allerlei Formen der Arbeitsförderung und Anfeuerung zum Karrieremachen. Schließlich verstand es die Bourgeoisie, sich sogar der Trade-Unions, d. h. der Organisation der Arbeiterklasse selbst zu bemächtigen und sie, besonders in England, aufs ausgedehnteste zur Disziplinierung der Werktätigen zu benutzen. Sie zähmte die Führer und impfte durch deren Vermittlung den Arbeitern die Ueberzeugung ein, daß friedliche, organische Arbeit, untadelhafte Pflichterfüllung und strenge Beobachtung der Gesetze des bürgerlichen Staates Notwendigkeit sei. Die Krone dieser ganzen Arbeit bildete der Taylorismus, in dem Elemente wissenschaftlicher Organisierung des Produktionsprozesses mit den konzentriertesten Maßnahmen des Sweating-Systems vereinigt sind.

Aus dem Gesagten geht aber hervor, daß die Produktivität der frei verdungenen Arbeit nicht etwas Gegebenes, Fertiges ist, das die Geschichte auf einem Teller präsentiert. Nein, sie ist das Ergebnis einer langen und hartnäckigen Unterdrückungs-, Erziehungs-, Organisations- und Förderungspolitik der Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse. Schritt für Schritt lernte sie, aus den Arbeitern immer größere und größere Mengen von Arbeitsprodukten herauszupressen, und eines ihrer mächtigsten Mittel war, daß sie verkündigte, der freie Vertrag sei die einzige freie, normale, gesunde, produktive und heilsame Arbeitsform.

Eine juristische Arbeitsform, die an und für sich die Produktivität der Arbeit sicherstellt, hat es in der Geschichte nicht gegeben und kann es auch nicht geben. Die juristische Hülle der Arbeit entspricht den Verhältnissen und Begriffen der Epoche. Die Produktivität der Arbeit entwickelt sich auf Grund des Anwachsens der technischen Kräfte, durch Arbeitserziehung, allmähliche Anpassung der Werktätigen an die sich verändernden Produktionsmittel und neuen Formen der gesellschaftlichen Beziehungen.

Die Schaffung der sozialistischen Gesellschaft bedeutet die Organisierung der Werktätigen auf neuen Grundlagen, ihre Anpassung an diese Grundlagen, ihre neue Arbeitserziehung mit dem unveränderlichen Ziel – der Hebung der Arbeitsproduktivität. Die Arbeiterklasse muß unter der Leitung ihres Vortrupps sich selbst auf den Grundlagen des Sozialismus neu erziehen. Wer das nicht begriffen hat, der versteht nicht einmal das Einmaleins des sozialistischen Aufbaus.

Welche Methoden haben wir denn nun zur Neuerziehung der Werktätigen? Unvergleichlich weitgreifendere als die Bourgeoisie, und zudem ehrliche, gerade, offene, die weder von Heuchelei noch von Lüge angesteckt sind. Die Bourgeoisie war genötigt, zu betrügen, indem sie ihre Arbeit als freie Arbeit bezeichnete, während sie doch nicht nur eine gesellschaftlich aufgezwungene, sondern auch eine sklavische Arbeit ist. Denn sie ist eine Arbeit der Mehrheit für die Interessen der Minderheit. Wir aber organisieren die Arbeit im Interesse der Arbeitenden selbst, und daher können wir keinerlei Beweggründe haben, den gesellschaftlich-zwangsmäßigen Charakter der Arbeitsorganisation zu verbergen oder zu maskieren. Wir brauchen weder priesterliche, noch liberale, noch kautskyanische Märchen. Wir sagen den Massen gerade und offen, daß sie das sozialistische Land nur durch harte Arbeit, unbedingte Disziplin, pünktlichen Gehorsam eines jeden Arbeitenden retten, in die Höhe bringen und in einen Blütezustand versetzen können.

Unser wichtigstes Mittel ist die ideelle Einwirkung, die Propaganda nicht nur durch das Wort, sondern durch die Tat. Die Arbeitspflicht trägt zwangsmäßigen Charakter, aber das bedeutet keineswegs, daß sie eine Vergewaltigung der Arbeiterklasse ist. Wenn die Arbeitspflicht auf den Widerstand der Mehrheit der Werktätigen stieße, dann wäre sie gesprengt, und mit ihr auch die Sowjetordnung. Eine Militarisierung der Arbeit trotz des Widerstandes der Werktätigen wäre ein Araktschejewsystem. Die Militarisierung der Arbeit durch den Willen der Werktätigen selbst aber ist die sozialistische Diktatur. Daß die Arbeitspflicht und die Militarisierung der Arbeit den Willen der Werktätigen nicht vergewaltigen, wie das die „freie“ Arbeit getan hat, davon zeugt die in der Menschheitsgeschichte beispiellose Entfaltung der freiwilligen Arbeitsleistung in Gestalt der Arbeitssamstage. Eine solche Erscheinung hat es nie und nirgends gegeben.

Durch ihre freiwillige, uneigennützige Arbeit – einmal wöchentlich und häufiger – demonstrieren die Arbeiter sprechend nicht nur ihre Bereitwilligkeit, die Bürde der „zwangsmäßigen“ Arbeit zu tragen, sondern auch ihr Bestreben, dem Staate über diese Arbeit hinaus noch ein gewisses Mehr zu geben. Die Arbeitssamstage sind nicht nur eine treffliche Kundgebung der kommunistischen Solidarität, sondern auch das sicherste Unterpfand für die erfolgreiche Durchführung der Arbeitspflicht. Diese wahrhaft kommunistischen Tendenzen müssen mit Hilfe der Propaganda beleuchtet, erweitert und vertieft werden.

Die geistige Hauptwaffe der Bourgeoisie ist die Religion; bei uns ist es die offene Darlegung der wirklichen Sachlage vor den Massen, die Verbreitung naturgeschichtlicher und technischer Kenntnisse, die Einweihung der Masse in den gesamtstaatlichen Wirtschaftsplan, auf Grund dessen die Anwendung aller Arbeitskraft geschehen muß, über die die Sowjetmacht verfügen kann.

Den Hauptinhalt gab unserer Agitation in der vergangenen Epoche die politische Oekonomie: die kapitalistische Gesellschaftsordnung war ein Rätsel, und wir haben dieses Rätsel vor den Massen durch die bloße Mechanik der Sowjetregierung gelöst, die auf allen Verwaltungsgebieten die Werktätigen zur Teilnahme heranzieht. Die politische Oekonomie wird je länger, desto mehr nur noch eine geschichtliche Bedeutung erhalten. In den Vordergrund treten die Wissenschaften, die die Natur und die Mittel, sie den Menschen dienstbar zu machen, erforschen .

Die Gewerkschaften müssen die wissenschaftlich-technische Aufklärungsarbeit im weitesten Umfange so organisieren, daß jeder Arbeiter in der eigenen Arbeit zur theoretischen Gedankenarbeit angespornt wird und diese letztere ihn wieder zur Arbeit zurückführt, sie vervollkommnet, sie produktiver macht. Die allgemeine Presse muß sich nach den Wirtschaftsaufgaben des Landes richten, nicht nur in dem Sinne, wie es gegenwärtig der Fall ist, d. h. nicht nur im Sinne einer allgemeinen Agitation zugunsten der Arbeitssteigerung, sondern auch im Sinne der Erörterung und Abwägung konkreter wirtschaftlicher Aufgaben und Pläne, der Mittel und Wege zu ihrer Lösung und hauptsächlich – der Nachprüfung und Einschätzung der erzielten Ergebnisse. Die Zeitungen müssen Tag für Tag die Produktion in den wichtigsten Betrieben und anderen Unternehmungen verfolgen, Erfolge und Mißerfolge registrieren, die einen loben, die anderen tadeln.

Der russische Kapitalismus, der verspätet, unselbständig und daher parasitisch war, hat in bedeutend geringerem Maße als der Kapitalismus Europas die Arbeitermassen anlernen, technisch erziehen und für die Produktion disziplinieren können. Diese Aufgabe fällt jetzt in vollem Umfange den Gewerkschaftsorganisationen des Proletariats zu. Ein guter Ingenieur, ein guter Maschinist, ein guter Schlosser müssen in der Sowjetrepublik ebenso weitbekannt und berühmt sein, wie früher die hervorragenden Agitatoren, die revolutionären Kämpfer, und in der letzten Periode – die mutigsten und fähigsten Kommandeure und Kommissare. Die großen und kleinen technischen Führer müssen im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen. Die schlechten Arbeiter müssen dazu gezwungen werden, sich dessen zu schämen, daß sie ihre Sache schlecht verstehen.

Der Arbeitslohn ist bei uns bestehen geblieben und wird noch auf lange hinaus bestehen bleiben. Auf die Dauer wird seine Bedeutung immer mehr darauf hinauslaufen, alle Mitglieder der Gesellschaft mit allem nötigen zu versorgen; eben dadurch wird er aufhören, Arbeitslohn zu sein. Aber augenblicklich sind wir noch nicht reich genug dazu. Die Hauptaufgabe besteht in der Steigerung der Menge der erzeugten Produkte, und dieser Aufgabe sind alle anderen untergeordnet. In der gegenwärtigen schweren Periode ist der Arbeitslohn für uns in erster Linie nicht ein Mittel zur Sicherstellung der Existenz des einzelnen Arbeiters, sondern ein Mittel zur Bewertung dessen, was der einzelne Arbeiter durch seine Arbeit für die Arbeiterrepublik leistet.

Daher muß der Arbeitslohn, sowohl in Form von Geld, als auch in Form von Naturalien, in möglichst genaue Uebereinstimmung mit der Produktivität der individuellen Arbeit gebracht werden. Unter dem Kapitalismus hatten das Stückzahl- und Akkordsystem der Bezahlung, die Anwendung der Methoden Taylors usw. die Aufgabe, die Ausbeutung der Arbeiter durch Auspressung eines Surplusprofites zu steigern. Bei der vergesellschafteten Produktion haben Stücklohn, Prämien usw. die Aufgabe, die Menge des gesellschaftlichen Produkts und somit auch den allgemeinen Wohlstand zu steigern. Die Arbeiter, die mehr als andere dem allgemeinen Interesse nützen, erhalten das Recht auf einen größeren Teil des gesellschaftlichen Produkts als die Faulenzer, Liederlichen und Desorganisierenden.

Schließlich: wenn der Arbeiterstaat die einen belohnt, kann er nicht umhin, die anderen zu strafen, diejenigen nämlich, die die Arbeitssolidarität offen verletzen, die allgemeine Arbeit untergraben, der sozialistischen Wiederherstellung des Landes schweren Schaden zufügen. Repressalien zur Erreichung wirtschaftlicher Ziele sind ein notwendiges Werkzeug der sozialistischen Diktatur.

Alle aufgezählten Maßnahmen – und neben ihnen noch eine Reihe anderer – sollen die Entwicklung des Wetteifers auf dem Gebiet der Produktion sichern. Sonst werden wir uns nie über ein höchst ungenügendes Durchschnittsniveau erheben. Dem Wetteifer liegt ein Lebensinstinkt zugrunde – der Kampf ums Dasein –, der bei der bürgerlichen Ordnung den Charakter der Konkurrenz annimmt. Der Wetteifer wird auch in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft nicht verschwinden, aber bei wachsender Versorgung mit den notwendigen Lebensgütern wird der Wetteifer einen immer uneigennützigeren, rein ideellen Charakter annehmen. Er wird in dem Bestreben zum Ausdruck kommen, seinem Dorf, Kreis, seiner Stadt oder der ganzen Gesellschaft einen möglichst großen Dienst zu leisten und dafür Berühmtheit, Dank, Sympathien oder schließlich auch einfach unsere Befriedigung durch das Bewußtsein guter Arbeitsleistung einzutauschen. Aber in der schweren Uebergangsperiode, bei äußerster Armut an materiellen Gütern und noch allzu ungenügender Entwicklung des Gefühls der gesellschaftlichen Solidarität, muß der Wetteifer notwendig in diesem oder jenem Grade verbunden sein mit dem Bestreben, sich mit Produkten des persönlichen Verbrauchs zu versorgen.

Das ist die Summe der Mittel, Genossen, über die der Arbeiterstaat zur Steigerung der Arbeitsproduktivität verfügt. Eine fertige Lösung gibt es hier, wie wir sehen, nicht. Sie steht in keinem Buch geschrieben. Und ein solches Buch kann es auch gar nicht geben. Wir fangen erst an, dieses Buch mit dem Schweiß und Blut der Werktätigen zu schreiben. Wir sagen: Arbeiter, Arbeiterinnen ihr habt den Weg der normierten Arbeit betreten. Nur auf diesem Wege werdet ihr die sozialistische Gesellschaft erreichen. Ihr steht vor der Aufgabe, die niemand für euch lösen wird: die Aufgabe der Steigerung der Arbeitsproduktivität auf neuer gesellschaftlicher Grundlage. Wenn ihr diese Aufgabe nicht löst, werdet ihr untergehen. Wenn ihr sie löst, werdet ihr die Menschheit fördern.
 

Die Arbeitsarmeen

An die Frage der Verwendung der Armee für Arbeitsaufgaben, die bei uns eine gewaltige prinzipielle Bedeutung erlangt hat, sind wir auf empirischem Wege herangetreten, durchaus nicht auf Grund theoretischer Erwägungen. In einigen Grenzgebieten Rußlands gestaltete sich die Lage so, daß bedeutende Heereskräfte auf unbestimmte Zeit von Kampfverwendung frei blieben. Sie an andere, aktive Fronten hinüberzuwerfen, besonders im Winter, war schwierig infolge des Verfalls des Eisenbahntransports. In solcher Lage befand sich z. B. die 3. Armee, die in den Gouvernements des Urals und der nahe gelegenen Gebiete stand. Die führenden Arbeiter dieser Armee, die begriffen, daß wir die Armee vorläufig noch nicht demobilisieren können, regten selbst die Frage an, sie in den Arbeitszustand zu versetzen. Sie sandten der Zentrale einen mehr oder weniger ausgearbeiteten Plan eines Statutes der Arbeitsarmee ein.

Die Aufgabe war uns neu und nicht leicht. Werden die Rotarmisten arbeiten? Wird ihre Arbeit produktiv genug sein? Wird sie sich lohnen? Darüber herrschten sogar in unserer eigenen Mitte Zweifel. Es ist überflüssig, zu sagen, daß die Menschewiki in die oppositionelle Trompete stießen. Derselbe Abramowitsch hat auf dem Kongreß der Volkswirtschaftsräte, ich glaube im Januar oder Anfang Februar, d. h. wo alles noch Entwurf war, prophezeit, daß wir unweigerlich Fiasko erleiden würden, da das ganze Unternehmen eine Sinnlosigkeit, eine Araktschejew-Utopie sein würde usw. Wir sahen die Sache anders an. Gewiß, die Schwierigkeiten waren groß, aber sie unterschieden sich prinzipiell nicht von allen Schwierigkeiten des Sowjetaufbaus überhaupt.

Wir untersuchten, was der Organismus der 3. Armee bedeutet. In dieser Armee waren nur wenig Heeresteile zurückgeblieben: alles in allem eine Schützendivision und eine Kavalleriedivision – insgesamt 15 Regimenter – sowie Spezialtruppen. Die übrigen Heeresteile waren schon früher an andere Armeen und Fronten abgegeben worden. Aber der Apparat der Armeeverwaltung war noch unangetastet, und wir hielten es für wahrscheinlich, daß wir ihn im Frühjahr die Wolga hinab an die Kaukasische Front gegen Denikin würden vorgehen lassen müssen, wenn dieser bis dahin noch nicht endgültig besiegt sein würde. Im ganzen verblieben in der 3. Armee in den Verwaltungen, Institutionen, Heeresteilen, Lazaretten usw. 110.000 Rotarmisten. In dieser Gesamtmasse, die vorwiegend aus Bauern bestand, gab es ungefähr 16.000 Kommunisten und Mitglieder der Organisation der Sympathisierenden – zum bedeutenden Teil Arbeiter aus dem Ural. Ihrem Bestände und ihrer Struktur nach stellte die 3. Armee also eine bäuerliche Masse dar, die unter der Führung vorgeschrittener Arbeiter zu einer militärischen Organisation zusammengeschweißt war. In der Armee arbeitete eine bedeutende Anzahl von Militärfachleuten, die wichtige militärische Funktionen erfüllten und unter der allgemeinen politischen Kontrolle der Kommunisten standen. Wenn man von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus die 3. Armee betrachtet, so stellt sie ein Spezialbild von ganz Sowjetrußland dar. Nehmen wir die Rote Armee als ganzes, die Organisation der Sowjetmacht im Kreise, im Gouvernement oder in der ganzen Republik, mit Einschluß auch der Wirtschaftsorgane, wir sehen überall dasselbe Organisationsschema: Millionen von Bauern, eingeführt in die neuen Formen des politischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens durch die organisierten Arbeiter, die auf allen Gebieten des Sowjetaufbaus die führende Stellung einnehmen. Zu den Aemtern, die Fachkenntnisse erfordern, werden Fachleute der bürgerlichen Schule herangezogen; ihnen wird die erforderliche Selbständigkeit gegeben, aber die Kontrolle über ihre Arbeit verbleibt in den Händen der Arbeiterklasse, in der Person der Kommunistischen Partei. Die Durchführung der Arbeitspflicht ist für uns wiederum nicht anders denkbar, als durch Mobilmachung vornehmlich der bäuerlichen Arbeitskräfte unter der Leitung der vorgeschrittenen Arbeiter. Somit gab es und konnte es keinerlei prinzipielle Hindernisse für die Arbeitsanwendung der Armee geben. Mit anderen Worten, die prinzipiellen Einwände gegen die Arbeitsarmeen von Seiten dieser selben Menschewiki waren im Grunde genommen Einwände gegen die „zwangsmäßige“ Arbeit überhaupt, folglich gegen die Arbeitspflicht und gegen die Sowjetmethoden des Wirtschaftsaufbaues im Ganzen. Ueber diese Einwände sind wir mühelos hinweggegangen.

Selbstverständlich ist der militärische Apparat als solcher auf die Leitung des Arbeitsprozesses nicht eingestellt. Aber darauf zielten wir auch garnicht ab. Die Leitung sollte in den Händen der entsprechenden Wirtschaftsorgane verbleiben. Die Armee lieferte die erforderliche Arbeitskraft in Form von organisierten kompakten Einheiten, die in ihrer Masse zur Ausführung der einfachsten gleichartigen Arbeiten brauchbar waren. Reinigung der Wege von Schnee, Bereitstellung von Holz, Bauarbeiten, Organisation des Wagentransports usw. usw.

Jetzt haben wir schon bedeutende Erfahrungen auf dem Gebiet der Verwendung der Armee zur Arbeit gesammelt und sind imstande, eine nicht nur auf Voraussetzungen und Annahmen gegründete Einschätzung zu geben. Welches sind nun die Folgerungen aus diesen Erfahrungen? Die Menschewiki haben sich beeilt, sie zu richten. Immer derselbe Abramowitsch hat auf dem Kongreß der Bergarbeiter erklärt, daß wir bankrott seien, daß die Arbeitsarmeen parasitische Gebilde seien, wo auf 10 Arbeitende 100 Verwaltende kommen. Ist das richtig? Nein. Das ist die leichtsinnige und böswillige Kritik von Leuten, die beiseite stehen, die Tatsachen nicht kennen, nur Splitter und Schutt sammeln und stets und überall unseren Bankrott entweder konstatieren oder prophezeien. In der Tat aber haben die Arbeitsarmeen nicht nur nicht versagt, sondern im Gegenteil große Erfolge gehabt und ihre Lebensfähigkeit bewiesen, sie entwickeln sich und festigen sich immer mehr. Pleite gegangen sind gerade die Propheten, die voraussagten, daß aus dem ganzen Unternehmen nichts herauskommen werde, daß niemand arbeiten werde, daß die Rotarmisten nicht zur Arbeitsfront übergehen, sondern einfach nach Hause laufen würden.

Diese Einwände waren eingegeben von spießbürgerlichem Skeptizismus, Mißtrauen gegen die Masse, Mißtrauen gegen die höhere organisatorische Initiative. Aber haben wir im Grunde genommen nicht dieselben Einwände gehört, als wir an weitgreifende Mobilisierungen für militärische Zwecke gingen? Auch damals sagte man uns allgemeine Desertion voraus, die nach dem imperialistischen Kriege unvermeidlich sei. Selbstverständlich hat es Desertion gegeben, aber die Erfahrung zeigte, daß sie keineswegs einen solchen Massencharakter trug, wie man es uns ausgemalt hatte; die Armee wurde durch sie nicht zerstört: geistige und organisatorische Verbindung, kommunistisches Freiwilligenwesen und staatlicher Zwang, sicherten in ihrer Gesamtheit die Millionenmobilmachungen, die zahlreichen Formierungen und die Durchführung der schwierigsten Kampfaufgaben. Letzten Endes hat die Armee gesiegt. Hinsichtlich der Arbeitsaufgaben erwarteten wir auf Grund der Kriegserfahrungen dieselben Ergebnisse. Und wir haben uns nicht getäuscht. Die Rotarmisten zerstreuten sich keineswegs beim Uebergang aus dem Kriegs- in den Arbeitszustand, wie es die Skeptiker prophezeit hatten. Dank der gutorganisierten Agitation war dieser Uebergang sogar von einem großen moralischen Aufschwung begleitet. Allerdings, ein Teil der Soldaten versuchte die Armee zu verlassen, aber das ist immer der Fall, wenn ein großer Truppenteil von der einen Front an die andere geworfen oder aus der Rückenlinie an die Front gebracht, überhaupt einer Erschütterung ausgesetzt wird, und die Möglichkeit der Desertion sich bietet. Aber hier traten sofort die politischen Abteilungen, die Presse, die Organe zur Bekämpfung der Desertion usw. in ihre Rechte, und gegenwärtig ist der Prozentsatz der Deserteure in den Arbeitsarmeen nicht im geringsten höher als in unseren Kampfarmeen.

Der Hinweis, daß die Armeen infolge ihrer inneren Struktur nur einen geringen Prozentsatz von Arbeitern ausscheiden können, ist nur teilweise richtig. Was die 3. Armee angeht, so habe ich bereits erwähnt, daß sie den vollen Verwaltungsapparat bei einer äußerst geringen Anzahl von Truppenteilen bewahrt hatte. Solange wir – aus militärischen und nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen – den Stab der Armee und ihre Verwaltungskörper unangetastet ließen, war der Prozentsatz der Arbeiter, die die Armee ausschied, in der Tat äußerst gering. Von der Gesamtzahl der 110.000 Rotarmisten nahmen 21 Prozent administrativ-wirtschaftliche Aemter ein; im täglichen Postendienst (Wachen usw.) standen bei der großen Anzahl der Armee-Institutionen und Lager ungefähr 16 Prozent; die Zahl der Kranken (hauptsächlich an Typhus) betrug zusammen mit dem medizinischen und sanitären Dienstpersonal etwa 13 Prozent; aus verschiedenen Gründen (Abkommandierungen, Urlaub, ungesetzliche Entfernung) nicht zugegen waren bis zu 25 Prozent. Die für die Arbeit vorhandene Präsenz belief sich somit auf nur 23 Prozent – das war das Maximum dessen, was man in jener Zeit aus dieser Armee für die Arbeit erhalten konnte. In Wirklichkeit arbeiteten in der ersten Zeit nicht mehr als etwa 14 Prozent, hauptsächlich aus den beiden Divisionen – Schützen und Kavallerie – die noch in der Armee verblieben waren.

Kaum aber war es klar geworden, daß Denikin geschlagen war und daß wir die 3. Armee im Frühjahr nicht die Wolga hinab den Truppen der Kaukasischen Front zu Hilfe zu senden brauchten, als wir unverzüglich an die Auflösung der schwerfälligen Armeeapparate und an die bessere Einstellung der Institutionen der Armee auf die Arbeitsaufgaben gingen. Obgleich diese Arbeit noch nicht beendet ist, hat sie doch schon sehr bedeutsame Ergebnisse gezeitigt. Im gegenwärtigen Augenblicke [1] stellt die 3. Armee im Verhältnis zu ihrem Gesamtbestande etwa 38 Prozent Arbeiter. Die neben ihr arbeitenden Heeresteile des Uralischen Militärbezirks scheiden bereits 49 Prozent Arbeiter aus. Dieses Ergebnis ist nicht ganz schlecht, wenn man es mit der Frequenz der Fabrikunternehmen vergleicht, wo in vielen Unternehmen noch ganz kürzlich und in einigen sogar noch heute das Nichterscheinen zur Arbeit, aus gesetzlichen und ungesetzlichen Gründen, 50 und mehr Prozent beträgt. [2] Dazu kommt, daß die Arbeiter nicht selten von erwachsenen Familienangehörigen bedient werden, während die Rotarmisten sich selbst bedienen.

Wenn wir die im Ural mit Hilfe des Militärapparates hauptsächlich für die Holzbeschaffung mobilgemachten Neunzehnjährigen nehmen, so zeigt es sich, daß von ihrer Gesamtzahl über 30.000, d. h. mehr als 75 Prozent, zur Arbeit erscheinen. Das ist schon ein gewaltiger Fortschritt. Er zeigt, daß wir bei Anwendung des Militärapparates zur Mobilmachung und Formierung in den Aufbau der reinen Arbeitsgruppen Veränderungen hineintragen können, die eine gewaltige Steigerung des Prozentsatzes der unmittelbar am materiellen Produktionsprozeß Teilnehmenden darstellen können.

Endlich können wir jetzt auch über die Ergiebigkeit der Soldatenarbeit auf Grund der Erfahrung urteilen. In der ersten Zeit war die Ergiebigkeit der Arbeit in den hauptsächlichsten Arbeitszweigen trotz des großen moralischen Aufschwungs in der Tat äußerst gering, und man konnte beim Lesen der ersten Arbeitsberichte leicht entmutigt werden. So kamen auf die Bereitstellung eines Kubikfadens Holz in der ersten Zeit 13–15 Arbeitstage, während als Norm, die gegenwärtig allerdings nur selten erreicht wird, 3 Tage gelten. Es muß noch bemerkt werden, daß Künstler dieses Faches es fertig bringen, unter günstigen Umständen einen Kubikfaden pro Tag und Mann bereitzustellen. Was stellte sich aber heraus? Die Truppenteile waren in großer Entfernung von den Abholzungsstellen stationiert. Vielfach mußten sie zur Arbeitsstelle und von dort zurück 6–8 Werst weit laufen, was einen bedeutenden Teil des Arbeitstages in Anspruch nahm. Es mangelte am Ort an Beilen und Sägen. Viele Rotarmisten, die aus der Steppe stammten, kannten den Wald nicht, hatten niemals Bäume gefällt, geschlagen und zersägt. Die Gouvernements- und Kreistransportkomitees lernten es keineswegs mit einem Schlage, sich der Truppenteile zu bedienen, sie an die erforderlichen Orte zu dirigieren und die nötigen Bedingungen für sie zu schaffen. Es ist kein Wunder, daß das Ergebnis eine äußerst geringe Ergiebigkeit der Arbeit war. Nachdem aber die schreiendsten Mißstände der Organisation behoben waren, wurden bedeutend günstigere Ergebnisse erzielt. So kommen nach den letzten Angaben auf einen Kubikfaden Holz in dieser ganzen ersten Arbeitsarmee 4,5 Tage, was von der geltenden Norm schon nicht mehr zu weit entfernt ist. Am tröstlichsten aber ist der Umstand, daß die Ergiebigkeit der Arbeit systematisch steigt, je besser sie organisiert wird.

Und was in dieser Hinsicht erzielt werden kann, davon zeugt die kurze, aber äußerst reiche Erfahrung des Moskauer Ingenieurregiments. Die Hauptmilitärverwaltung, die diesen Versuch leitete, begann mit der Festsetzung der Erzeugungsnorm – drei Arbeitstage auf einen Kubikfaden Holz. Diese Norm erwies sich bald als übertroffen. Im Januar kamen auf einen Kubikfaden Holz 2,5 Arbeitstage, im Februar 2,1, im März 1,5 Arbeitstage, was eine außerordentlich hohe Produktivität bedeutet. Dieses Ergebnis wurde erzielt durch geistige Einwirkung, genaue Registrierung der individuellen Arbeit eines jeden, Erweckung des Arbeitsehrgeizes, Austeilung von Prämien an die Arbeiter für Durchschnittserzeugung, oder, um die Sprache der Gewerkschaften anzuwenden, durch einen biegsamen Tarif, der allen individuellen Veränderungen der Arbeitsproduktivität angepaßt war. Dieser Versuch – fast ein Laboratoriumsexperiment – zeichnet klar die Wege vor, auf denen wir nun weiterzugehen haben.

Bei uns wirkt jetzt schon eine ganze Reihe von Arbeitsarmeen – die Erste, die Petersburger, die Kaukasische, die Südwolga-, die Reservearmee. Die letztere trug bekanntlich zu bedeutender Steigerung der Leistungsfähigkeit der Kansan-Jekaterinburger Bahn bei. Und überall, wo der Versuch einer Anwendung von Truppenteilen für Arbeitsaufgaben einigermaßen vernünftig angestellt worden ist, haben die Ergebnisse gezeigt, daß diese Methode unbedingt lebensfähig und richtig ist.

Das Vorurteil, daß eine Militärorganisation unter allen und jeden Umständen unvermeidlich parasitisch sein muß, ist widerlegt. Die Sowjetarmee spiegelt in sich Tendenzen der sowjetistischen Gesellschaftsordnung. Man darf nicht in den erstarrten Begriffen der vergangenen Epoche denken: „Militarismus“, „Militärorganisation“, „Unproduktivität der Zwangsarbeit“, sondern man muß ohne Voreingenommenheit, mit offenen Augen an die Erscheinungen der neuen Epoche herantreten und dessen eingedenk sein, daß der Sonnabend für die Menschen da ist und nicht umgekehrt, daß alle Organisationsformen, darunter auch die militärische, nur ein Werkzeug der an der Macht stehenden Arbeiterklasse sind, die das Recht wie auch die Möglichkeit hat, diese Werkzeuge anzupassen, zu verändern, umzumodeln, bis das erforderliche Ergebnis erzielt ist.
 

Einheitlicher Wirtschaftsplan!

Die ausgedehnte Anwendung der Arbeitspflicht wie auch die Maßnahmen zur Militarisierung der Arbeit können nur dann eine entscheidende Rolle spielen, wenn sie auf Grund eines einheitlichen Wirtschaftsplanes erfolgen, der das ganze Land und alle Zweige der industriellen Tätigkeit umfaßt. Dieser Plan muß auf eine Reihe von Jahren, auf die ganze nächste Epoche berechnet sein. Er zerfällt naturgemäß in einzelne Perioden oder Reihenfolgen entsprechend den unvermeidlichen Etappen der wirtschaftlichen Wiederherstellung des Landes. Wir müssen mit den einfachsten und zugleich grundlegendsten Aufgaben anfangen.

Vor allem muß die direkte Lebensmöglichkeit – wenn auch unter den schwersten Verhältnissen – für die Arbeiterklasse gesichert und dadurch die Industriezentren erhalten, die Städte gerettet werden. Das ist der Ausgangspunkt. Wenn wir die Stadt nicht im Dorf, die Industrie nicht im Ackerbau aufgehen und das ganze Land verbauern lassen wollen, müssen wir unser Transportwesen wenigstens in minimalem Umfange aufrechterhalten und Brot für die Städte, Heizmaterial und Rohstoffe für die Industrie, Futtermittel für das Vieh sicherstellen. Sonst werden wir keinen Schritt vorwärts tun können. Der erste Teil des Planes ist also: Hebung des Transportwesens oder mindestens Verhütung seines weiteren Verfalls und Bereitstellung der notwendigsten Vorräte an Lebensmitteln, Rohstoffen und Heizmaterial. Die ganze nächste Periode wird völlig ausgefüllt sein mit der Konzentrierung und Anspannung unserer Arbeitskraft zur Lösung dieser grundlegenden Aufgaben, und dadurch wieder wird die Voraussetzung für alles Weitere geschaffen werden. Diese Aufgabe haben wir im besonderen unseren Arbeitsarmeen gestellt. Ob die erste Periode, wie auch die folgenden, nach Monaten oder nach Jahren zählen wird, das zu prophezeien ist augenblicklich zwecklos – das hängt von vielen Umständen ab, von der internationalen Lage bis zum Grad der Einmütigkeit und Entschlossenheit der Arbeiterklasse zum Durchhalten.

Die zweite Periode ist der Maschinenbau für das Transportwesen, die Gewinnung von Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Hier steht die Lokomotive im Mittelpunkt des Ganzen.

Gegenwärtig wird die Reparatur der Lokomotiven zu sehr auf häusliche Art betrieben und verschlingt übermäßig viel Kräfte und Mittel. Die Reparatur des rollenden Materials muß auf die Grundlage der Massenproduktion von Reserveteilen überführt werden. Jetzt, wo das ganze Bahnnetz und alle Betriebe in den Händen eines Besitzers sind, des Arbeiter Staates, können und müssen wir für das ganze Land Einheitstypen von Lokomotiven und Waggons aufstellen, ihre Bestandteile normalisieren, alle erforderlichen Betriebe zur Massenproduktion von Reserveteilen heranziehen und die Reparatur auf den einfachen Ersatz der abgenutzten Teile durch neue zurückführen und dadurch die massenweise Zusammensetzung neuer Lokomotiven aus Reserveteilen sicherstellen. Jetzt, wo die Heizmaterial- und Rohstoffquellen uns wieder offen stehen, werden wir auf den Lokomotivenbau unsere ausschließliche Aufmerksamkeit konzentrieren müssen.

Die dritte Periode – der Maschinenbau für die Produktion von Gegenständen des breiten Massenkonsums.

Die letzte Periode schließlich, die sich auf die Resultate der drei vorhergehenden stützt, wird den Uebergang zur Produktion von Gegenständen des persönlichen Gebrauchs im weiten Umfange gestatten.

Dieser Plan besitzt große Bedeutung nicht nur als allgemeine Richtlinie für die praktische Arbeit unserer Wirtschaftsorgane, sondern auch als Leitfaden für die Propaganda unter den Arbeitermassen hinsichtlich unserer Wirtschaftsaufgaben. Unsere Arbeitsmobilmachungen werden sich nicht dem Leben einfügen, sich nicht festwurzeln, wenn wir nicht alles, was es Ehrliches, Bewußtes, Beseeltes, Lebensfähiges in der Arbeiterklasse gibt, am Lebensnerv packen. Wir müssen den Massen die volle Wahrheit über unsere Lage und unsere Aussichten für die Zukunft klarmachen, müssen ihnen offen sagen, daß unser Wirtschaftsplan selbst bei maximaler Anspannung wenig einbringen wird, weil wir in der nächsten Periode unsere Hauptarbeit darauf richten werden, die Bedingungen für die Produktion von Produktionsmitteln vorzubereiten. Erst nachdem wir, wenn auch nur in minimalem Umfange, die Möglichkeit einer Wiederherstellung der Transport- und Produktionsmittel gesichert haben, werden wir zur Produktion von Konsumartikeln übergehen. Somit werden die Werktätigen als unmittelbar fühlbares Resultat der Arbeit Gegenstände des persönlichen Verbrauches erst im letzten, vierten Stadium des Wirtschaftsplanes erhalten, und erst dann wird eine ernstliche Erleichterung des Lebens eintreten. Die Massen, die im Laufe einer langen Zeit noch die Bürde der Arbeit und der Entbehrungen tragen werden, müssen die vorausschauende innere Logik dieses Wirtschaftplanes begreifen, um fähig zu sein, ihn auf ihren Schultern zum Ziel zu tragen.

Die Reihenfolge der oben vermerkten vier Wirtschaftsperioden muß nicht allzu absolut auf gefaßt werden. Wir beabsichtigen natürlich nicht, unsere Textilindustrie sogleich völlig stillzulegen: wir können das schon allein aus militärischen Erwägungen nicht tun. Aber damit Aufmerksamkeit und Kräfte sich unter dem Druck der überall himmelschreienden Bedürfnisse und Nöte nicht zersplittern, ist es notwendig, an Hand des Wirtschaftsplanes als Grundkriterium die wichtigsten und Hauptsachen von den unwichtigeren und Nebensachen zu trennen. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß wir keinesfalls den geschlossenen „nationalen“ Kommunismus anstreben: die Aufhebung der Blockade und erst recht die europäische Revolution müßten die wesentlichsten Veränderungen in unserem Wirtschaftsleben hervorrufen, die Stadien seiner Entwicklung verkürzen und sie einander näher bringen. Aber wann diese Ereignisse eintreten werden, wissen wir nicht. Und wir müssen so handeln, daß wir uns bei der allerungünstigsten, d. h. langsamsten Entwicklung der europäischen und der Weltrevolution halten und festigen können. Im Falle einer tatsächlichen Herstellung von Handelsbeziehungen zu den kapitalistischen Staaten werden wir uns abermals von dem oben charakterisierten Wirtschaftsplan leiten lassen. Wir werden einen Teil unserer Rohstoffe im Tausch gegen Lokomotiven oder andere notwendige Maschinen hergeben, keinesfalls aber im Tausch gegen Kleidung, Schuhwerk, Kolonialwaren: nicht die Konsumartikel sind bei uns an der Reihe, sondern die Transport- und Produktionsmittel.

Wir wären kurzsichtige Skeptiker oder Kleinkrämer von Spießbürgerart, wenn wir uns vorstellen wollten, daß die Wiederherstellung der Wirtschaft ein allmählicher Uebergang vom jetzigen vollen wirtschaftlichen Zerfall zu dem Zustand, der dem Zerfall vorausging, sein wird, d. h. daß wir auf denselben Stufen, die uns hinabgeführt haben, wieder emporsteigen und erst nach einiger, recht langer Zeit unsere sozialistische Wirtschaft wieder auf den Stand zurückbringen werden, den sie vor dem imperialistischen Kriege eingenommen hat. Eine solche Vorstellung wäre nicht nur nicht tröstlich, sondern auch unbedingt unrichtig. Die Zerrüttung, die auf ihrem Wege unzählige Werte vernichtet und zerstört hat, hat in der Wirtschaft auch viel tote Routine, viel Muffiges und Sinnloses vernichtet und dadurch den Weg freigemacht für einen Aufbau im Einklang mit den technischen Faktoren, über die die Weltwirtschaft jetzt verfügt.

Wenn der russische Kapitalismus sich nicht, von Stufe zu Stufe aufsteigend, sondern eine Reihe von Stufen überspringend, entwickelt hat, und in urwüchsigen Steppen amerikanische Betriebe errichtet, so ist ein so forcierter Weg umsomehr der sozialistischen Wirtschaft zugänglich. Nachdem wir die böse Verelendung überwunden, einige Vorräte an Rohstoffen und Lebensmitteln angehäuft, das Transportwesen gehoben haben werden, können wir eine ganze Reihe von dazwischenliegenden Stufen überspringen, uns den Umstand zunutze machend, daß wir nicht durch die Ketten des Privatbesitzes gefesselt sind und daher die Möglichkeit haben, alle Unternehmen und alle Wirtschaftselemente einem staatlichen Einheitsplan unterzuordnen.

So können wir z. B. zweifellos zur Anwendung der Elektrizität in allen Hauptzweigen der Industrie und im persönlichen Gebrauch übergehen, ohne nochmals das „Jahrhundert des Dampfes durchzumachen“. Das Programm der Elektrifizierung ist bei uns in einer Reihe von aufeinanderfolgenden Stadien vorgezeichnet, entsprechend den Hauptetappen des allgemeinen Wirtschaftsplanes.

Der neue Krieg kann die Verwirklichung unserer wirtschaftlichen Absichten verzögern; unsere Energie und Beharrlichkeit können und müssen den Prozeß der wirtschaftlichen Wiederaufrichtung beschleunigen. Aber in welchem Tempo sich die Ereignisse auch weiter entwickeln mögen, klar ist, daß allen unseren Arbeitsmobilmachungen, Arbeitsmilitarisierungen, Arbeitssamstagen und anderen Arten freiwilliger kommunistischer Arbeit ein einheitlicher Wirtschaftsplan zugrunde gelegt werden muß, wobei die nächstliegende Periode von uns die volle Konzentrierung aller Energie auf die ersten, elementaren Aufgaben erfordern wird: Lebensmittel, Heizmaterial, Rohstoffe, Transportwesen. Keine Zerstreuung der Aufmerksamkeit, keine Zersplitterung der Kräfte, keine Untätigkeit. Das ist der einzige Weg zur Rettung.
 

Kollegialität und Einzelverwaltung

Die Menschewiki versuchen ihr Heil noch mit einer anderen Frage, die ihnen günstig scheint, um mit der Arbeiterklasse wieder auf vertrauten Fuß zu kommen. Es ist die Frage der Form der Verwaltung der Industrieunternehmen, die Frage des Kollegial- oder des Personalprinzips. Man sagt uns, die Uebergabe der Betriebe an Einzelverwalter statt an Kollegien sei ein Verbrechen an der Arbeiterklasse und der sozialistischen Revolution. Es ist bemerkenswert, daß als eifrigste Verteidiger der sozialistischen Revolution gegen das Einzelprinzip dieselben Menschewiki auftreten, die noch vor ganz kurzem der Ansicht waren, daß schon die bloße Losung der sozialistischen Revolution ein Hohn auf die Geschichte und ein Verbrechen an der Arbeiterklasse sei.

Der sozialistischen Revolution gegenüber sei, wie cs sich herausgestellt habe, vor allem unser Parteitag schuldig, der sich für die Annäherung an das Einzelprinzip in der Industrie Verwaltung ausgesprochen hat, in erster Linie bei den unteren Betriebsstellen und Fabriken. Es wäre jedoch die größte Verirrung, wollte man diesen Beschluß als Schädigung der Selbstbetätigung der Arbeiterklasse ansehen. Die Selbstbetätigung der Werktätigen wird nicht dadurch bestimmt und danach bemessen, ob drei Arbeiter an der Spitze eines Betriebes stehen oder einer, sondern durch tiefgehendere Faktoren und Erscheinungen: Aufbau der Wirtschaftsorgane unter aktiver Mitwirkung der Gewerkschaften, Aufbau aller Sowjetorgane durch die Sowjetkongresse, die Dutzende von Millionen von Werktätigen vertreten; Hinzuziehung der Verwalteten selbst zur Verwaltung oder zur Kontrolle über die Verwaltung, – darin drückt sich die Selbstbetätigung der Arbeiterklasse aus. Sie kann vom Standpunkt der administrativen Technik aus richtig oder falsch sein, aber sie ist dem Proletariat nicht aufgezwungen, sondern wird durch sein Urteil und seinen Willen diktiert. Es wäre daher eine grobe Verirrung, wenn man die Frage der Herrschaft des Proletariats mit der Frage der Arbeiterkollegien an der Spitze der Betriebe verwechseln wollte. Die Diktatur des Proletariats kommt in der Aufhebung des Privateigentums über die Produktionsmittel, in der Herrschaft des Kollektivwillens der Werktätigen über den ganzen Sowjetmechanismus zum Ausdruck, keineswegs aber in der Form der Verwaltung der einzelnen Wirtschaftsunternehmen.

Hier muß auch gleich noch eine andere Anschuldigung zurückgewiesen werden, die häufig gegen die Anhänger des Personalprinzips vorgebracht wird. Die Gegner erklären:

„Die Sowjetmilitaristen wollen hier ihre auf militaristischem Gebiet gesammelte Erfahrung auf das wirtschaftliche Gebiet übertragen. In der Armee mag das Personalprinzip vielleicht gut sein, in der Wirtschaft aber taugt es nichts.“

Dieser Einwand ist in jeder Beziehung unrichtig. Es ist falsch, daß wir in der Armee mit dem Einzelkommando begonnen haben; sogar jetzt sind wir bei weitem noch nicht völlig zu ihm übergegangen. Falsch ist auch, daß wir die Personalform in der Verwaltung von Wirtschaftsunternehmen unter Hinzuziehung von Fachleuten erst auf Grund unserer militärischen Erfahrungen zu vertreten begonnen haben. In Wirklichkeit gingen und gehen wir in dieser Frage von der rein marxistischen Auffassung der revolutionären Aufgaben und schöpferischen Pflichten des Proletariats aus, das die Macht ergriffen hat. Die Notwendigkeit einer Kontinuität der früher angesammelten technischen Kenntnisse und Gewohnheiten, die Notwendigkeit einer Heranziehung der Spezialisten, ihrer ausgedehnten Verwendung, damit die Technik nicht zurückgeht, sondern vorwärtsschreitet, dies alles haben wir nicht nur seit Anbeginn der Revolution, sondern auch schon lange vor dem Oktober begriffen und anerkannt. Ich glaube, daß, wenn der Bürgerkrieg unsere Wirtschaftsorgane nicht beraubt und ihnen alle festen, an Initiative reichen und selbständigen Elemente genommen hätte, wir zur Methode der Personal Verwaltung auf dem Gebiete der Wirtschaftsverwaltung schon früher und schmerzloser übergegangen wären.

Einige Genossen sehen den Apparat der Wirtschaftsverwaltung vor allen Dingen als Schule an. Das ist natürlich vollkommen falsch. Die Aufgabe der Verwaltungsorgane ist, zu verwalten. Wer den Willen und die Fähigkeit hat, die Verwaltung zu lernen, möge die Schule, die Spezialschule für Instrukteure besuchen, möge Gehilfe werden, möge beobachten und Erfahrungen sammeln, wer aber zum Mitglied eines Fabrikdirektoriums ernannt wird, tritt nicht in die Schule, sondern in ein verantwortliches administrativ-wirtschaftliches Amt ein. Aber wenn man diese Frage selbst vom beschränkten und daher unwichtigen Gesichtspunkte der „Schule“ aus betrachten will, so sage ich, daß beim Personalprinzip die Schule am allerbesten sein wird. Man wird einen guten Arbeiter nicht durch drei Unreife ersetzen, aber man wird bei Einsetzung eines Kollegiums von drei Unreifen in ein verantwortliches Verwaltungsamt diese der Möglichkeit berauben, sich Rechenschaft darüber abzulegen, was ihnen fehlt. Jeder sieht sich bei der Entscheidung nach den anderen um und schiebt im Fall des Mißlingens die Schuld auf die anderen.

Daß dies keine Prinzipienfrage ist, beweisen am besten die Gegner des Personalprinzips, indem sie für Werkstätten, für Zechen, für Bergwerke nicht die Kollegialität fordern. Sie erklären sogar voller Empörung, nur Wahnsinnige könnten fordern, daß eine Werkstatt von drei oder fünf Personen geleitet werden solle: es dürfe nur einen Zechenältesten geben, und weiter nichts. Warum? Wenn die Kollegialverwaltung eine „Schule“ ist, warum brauchen wir dann keine Schule unterster Stufe? Warum sollte man nicht auch in den Werkstätten Kollegien einführen? Wenn aber die Kollegialität für die Werkstätten kein heiliges Gebot ist, warum soll sie dann für Betriebe obligatorisch sein?

Abramowitsch sagt: da wir wenig Fachleute haben, – daran sind, wie er Kautsky nachspricht, die Bolschewiki schuld – werden wir sie durch Arbeiterkollegien ersetzen.

Das ist Unsinn. Kein Kollegium aus Personen, die die betreffende Arbeit nicht kennen, vermag eine Einzelperson zu ersetzen, die diese Arbeit kennt. Ein Kollegium von Juristen kann einen Weichensteller nicht ersetzen. Ein Kollegium von Kranken ersetzt nicht den Arzt. Die Idee an sich ist falsch. Das Kollegium an sich gibt dem Unwissenden keine Kenntnisse. Es kann nur die Unkenntnisse des Unwissenden verhüllen. Wenn auf einen verantwortlichen administrativen Posten eine Person gestellt ist, so ist sie nicht nur allen anderen, sondern auch sich selbst sichtbar, und sie erkennt klar, was sie weiß und was sie nicht weiß. Aber es gibt nichts schlimmeres als ein Kollegium von unwissenden, schlecht vorbereiteten Arbeitern auf einem rein praktischen Posten, der Spezialkenntnisse erfordert. Die Mitglieder des Kollegiums befinden sich in einem Zustande dauernder Verlegenheit und gegenseitiger Unzufriedenheit und tragen durch ihre Hilflosigkeit Schwankungen und Verirrungen in die Arbeit hinein. Die Arbeiterklasse ist äußerst interessiert daran, ihre Verwaltungsfähigkeit zu steigern, d. h. zu lernen. Die Betriebsleitung muß periodisch vordem ganzen Betrieb Rechenschaft ablegen, wobei der Wirtschaftsplan für ein Jahr oder für den laufenden Monat erörtert wird, und alle Arbeiter, die ein ernstes Interesse für die industrielle Organisation zeigen, müssen von den Leitern des Unternehmens oder von Sonderkommissionen registriert, auf entsprechenden Schulen ausgebildet, die mit der praktischen Arbeit des Betriebes selbst eng verbunden sind, darauf anfangs auf weniger verantwortungsvolle, später auf verantwortlichere Posten gesetzt werden. Auf diese Weise werden wir viele Tausende und späterhin Zehntausende erfassen. Die Frage des Dreimännerkollegiums und Fünfmännerkollegiums aber interessiert nicht die Arbeitermassen, sondern bloß den zurückgebliebeneren, schwächeren, zu selbständiger Arbeit weniger tauglichen Teil der Arbeiterbürokratie der Sowjets. Der vorgeschrittene, bewußte und feste Administrator ist naturgemäß bestrebt, den ganzen Betrieb in seine Hand zu bekommen, sich und anderen zu zeigen, daß er zu verwalten versteht. Wenn es aber ein schwächlicher Administrator ist, der nicht fest auf den Füßen steht, dann möchte er sich an einen anderen anlehnen, denn im Verein mit anderen wird seine Schwäche unbemerkt bleiben. In dieser Kollegialität ist ein sehr gefährliches Element enthalten – die Auslöschung der persönlichen Verantwortlichkeit. Wenn der Arbeiter fähig, aber unerfahren ist, braucht er einen Führer; unter dessen Leitung wird er lernen, und morgen werden wir ihn zum Leiter eines kleinen Betriebes ernennen. Auf diese Weise wird er vorwärtsschreiten. In einem zufälligen Kollegium aber, wo die Stärke und Schwäche eines jeden unklar ist, wird das Gefühl der Verantwortlichkeit unweigerlich erstickt.

Unsere Resolution spricht von der systematischen Annäherung an das Einzelprinzip, natürlich nicht mit einem Federstrich. Hier sind verschiedene Varianten und Kombinationen möglich. Wo der Arbeiter allein fertig werden kann, werden wir ihn zum Betriebsleiter machen und ihm einen Fachmann als Gehilfen beigeben. Wo der Fachmann am Platze ist, werden wir ihn zum Chef machen und ihm einen Gehilfen, auch zwei oder drei, aus der Zahl der Arbeiter beigeben. Und schließlich, wo das Kollegium seine Arbeitsfähigkeit durch die Tat bewiesen hat, werden wir es beibehalten. Das ist das einzige ernste Verhalten zur Sache und nur auf diese Weise werden wir zu einer richtigen Organisierung der Produktion kommen.

Es gibt noch eine Erwägung gesellschaftlich-erzieherischer Art, die mir als die wesentlichste erscheint. Die leitende Schicht der Arbeiterklasse ist bei uns zu dünn gesät. Es ist die Schicht, die die illegale Arbeit gekannt, die den Revolutionskampf geführt hat, im Auslande gewesen ist, in den Gefängnissen und in der Verbannung viel gelesen hat, politische Erfahrung, einen weiten Gesichtskreis besitzt, – und es ist der kostbarste Teil der Arbeiterklasse. Dann folgt das jüngere Geschlecht, das unsere Revolution von 1917 bewußt durchgeführt hat.

Das ist ein sehr wertvoller Teil der Arbeiterklasse. Wohin man auch blickt – auf den Sowjetaufbau, auf die Gewerkschaften, auf die Parteiarbeit, auf die Front des Bürgerkrieges –, stets und überall spielt diese Oberschicht die Führerrolle. Die wesentlichste Regierungsarbeit der Sowjetmacht in diesen zweieinhalb Jahren bestand darin, daß wir manövrierten, indem wir die vorgeschrittene Arbeiterschicht von einer Front an die andere hinüberwarfen. Die weniger vorgeschrittenen Schichten der Arbeiterklasse, die aus den Tiefen der Bauernschaft stammen, sind zwar revolutionär gesinnt, aber noch zu arm an Initiative.

Die Krankheit unseres einfachen russischen Mannes besteht im Herdenwesen, im Mangel an Persönlichkeit, d. h. in dem, was unsere reaktionären Narodniki besangen, was Leo Tolstoi in der Gestalt des Platon Karatajew verherrlichte: der Bauer löst sich in seiner Gemeinde auf, er ordnet sich dem Acker unter. Es ist völlig klar, daß die sozialistische Wirtschaft sich nicht auf Platon Karatajew gründet, sondern auf den denkenden, initiativereichen, verantwortlichen Arbeiter. Diese persönliche Initiative muß im Arbeiter erzogen werden. Das Personalprinzip bei der Bourgeoisie ist der eigennützige Individualismus, die Konkurrenz. Das Personalprinzip bei der Arbeiterklasse widerspricht weder der Solidarität noch der brüderlichen Zusammenarbeit. Die sozialistische Solidarität kann sich nicht auf den Mangel an Individualität, auf das Herdenwesen stützen. Aber gerade die Individualitätslosigkeit verbirgt sich häufig hinter der Kollegialität.

Die Arbeiterklasse hat viele Kräfte, Begabungen, Talente. Es ist nötig, daß sie sichtbar sind, sich im Wetteifer kundtun. Das Personalprinzip auf administrativtechnischem Gebiete trägt dazu bei. Und darum ist es höher und fruchtbringender als das Prinzip der Kollegialität.
 

Schlußwort zum Bericht

Genossen, die Argumente der menschewistischen Redner, insbesonder die von Abramowitsch, zeigen vor allem eine völlige Losgerissenheit vom Leben und seinen Aufgaben. Der Beobachter steht am Ufer eines Flusses, der notwendig durchschwommen werden muß und erörtert die Eigenschaften des Wassers und die Stärke der Strömung. Hinübergeschwommen muß werden – das ist die Aufgabe! Unser Kautskyaner aber tritt von einem Fuß auf den anderen.

„Wir leugnen nicht“, sagt er, „die Notwendigkeit, hinüberzuschwimmen, zugleich aber sehen wir als Realisten Gefahr, und nicht nur eine, sondern mehrere: die Strömung ist rasch, es gibt unterirdische Klippen, die Leute sind ermattet usw. usw. Aber wenn man euch sagt, daß wir die Notwendigkeit des Hinüberschwimmens selbst leugnen, so ist das nieht richtig, – keinesfalls richtig. – Schon vor 23 Jahren haben wir die Notwendigkeit des Hinüberschwimmens nicht geleugnet ...“

Darauf baut sich alles auf, von Anfang bis zu Ende. Erstens, sagen die Menschewiki, leugnen wir nicht die Notwendigkeit der Verteidigung und haben sie nie geleugnet, folglich leugnen wir auch die Armee nicht. Mit Verlaub, aber wo in aller Welt, mit Ausnahme kleiner religiöser Sekten, gibt es denn überhaupt Leute, die die Verteidigung „überhaupt“ leugnen. Ihr sagtet und schriebt in euren Zeitungen: „Nieder mit dem Bürgerkrieg!“ zu einer Zeit, da die Weißgardisten uns bedrängten und uns das Messer an die Kehle setzten. Jetzt, während ihr unsere siegreiche Abwehr nachträglich billigt, wendet ihr eure kritischen Blicke neuen Aufgaben zu und belehrt uns. „Im allgemeinen leugnen wir die Arbeitspflicht nicht“, sagt ihr, aber ... „ohne juristische Nötigung“. Aber in diesen Worten liegt ja doch ein ungeheuerlicher Widerspruch! Der Begriff der „Pflicht“ an sich schließt schon ein Element der Nötigung ein. Der Mensch ist verpflichtet, ist gezwungen, etwas zu tun. Wenn er es nicht tut, so wird er offenbar einen Zwang, eine Strafe erleiden. Hier kommen wir zu der Frage: welche Art von Zwang? Abramowitsch sagt: „Wirtschaftlicher Druck – ja, aber keine juristische Nötigung.“ Der Vertreter des Metallarbeiterverbandes, Gen. Holzmann hat trefflich die ganze Scholastik eines solchen Systems gezeigt. Schon beim Kapitalismus, d. h. beim Regime der „freien“ Arbeit ist der wirtschaftliche Druck von der juristischen Nötigung nicht zu trennen. Um wieviel mehr also jetzt!

In meinem Bericht habe ich klarzulegen versucht, daß die Gewöhnung der Werktätigen an neue Arbeitsformen auf neuer gesellschaftlicher Grundlage und die Erziehung einer höheren Arbeitsproduktivität nur möglich ist durch gleichzeitige Anwendung verschiedener Methoden – wirtschaftliche Interessiertheit, juristische Nötigung, Einfluß einer innerlich harmonischen Wirtschaftsform, Repressalien, sowie vor und nach allem – ideelle Einwirkung, Agitation, Propaganda, endlich allgemeine Hebung des Kulturniveaus, – nur durch die Kombination aller dieser Mittel kann ein hoher Stand der sozialistischen Wirtschaft erreicht werden.

Wenn schon beim Kapitalismus die wirtschaftliche Interessiertheit unvermeidlich verbunden ist mit juristischer Nötigung, hinter der die materielle Macht des Staates steht, so kann im Sowjetstaat, d. h. im Uebergangsstaat zum Sozialismus, zwischen wirtschaftlicher und juristischer Nötigung überhaupt keine Grenzlinie aufgerichtet werden. Bei uns befinden sich alle lebenswichtigen Unternehmen in den Händen des Staates. Wenn wir dem Drechsler Iwanow sagen: „Du bist verpflichtet, gegenwärtig auf den Sormowowerken zu arbeiten, wenn du dich weigerst, so erhältst du keine Lebensmittelration“, – was ist das dann: wirtschaftlicher Druck oder juristische Nötigung.

In einen anderen Betrieb kann er nicht eintreten, denn alle Betriebe sind in den Händen des Staates, der diesen Uebergang nicht zulassen wird. Der wirtschaftliche Druck verschmilzt also hier mit dem Druck der staatlichen Repressalie. Abramowitsch will augenscheinlich haben, daß wir als Regulator der Arbeitskraftverteilung nur die Erhöhung des Arbeitslohns, die Prämie usw. benutzen sollen, um die erforderlichen Arbeiter in die wichtigsten Betriebe zu locken. Darin besteht offenbar seine ganze Idee. Aber wenn man die Frage so behandeln will, so wird jeder ernste Arbeiter der Gewerkschaftsbewegung begreifen, daß das die reinste Utopie ist. Auf freien Zustrom von Arbeitskraft vom Markt können wir nicht hoffen, denn dazu müßte der Staat über hinreichend große Hilfsquellen in Form von Lebensmitteln, Wohnungen und Transportmitteln verfügen – d. h. gerade über die Bedingungen, deren Schaffung erst bevorsteht. Ohne ein vom Staat planmäßig organisiertes massenweises Hinüberwerfen von Arbeitskraft den Anforderungen der Wirtschaftsorgane gemäß werden wir nichts zuwege bringen. Hier zeigt sich uns der Zwang der Notwendigkeit in seiner ganzen wirtschaftlichen Schwere. Ich habe euch ein Telegramm aus Jekaterinburg vorgelesen über den Gang der Arbeiten in der Ersten Arbeitsarmee, – dort ist gesagt, daß durch das Uralkomitee für Arbeitspflicht über 4.000 qualifizierte Arbeiter hindurchgegangen sind. Von wo sind sie gekommen? Hauptsächlich aus der ehemaligen dritten Armee. Man hat sie nicht nach Hause gelassen, sondern an ihren Bestimmungsort befördert. Aus der Armee hat man sie dem Komitee für Arbeitspflicht übergeben, das sie nach Kategorien verteilt und in die Betriebe geschickt hat. Das ist – vom liberalen Standpunkt aus – eine „Vergewaltigung“ der Freiheit der Person. Die erdrückende Mehrheit der Arbeiter ging jedoch gern an die Arbeitsfront, wie vorher an die Kampffront, da sie begriff, daß höhere Interessen dies erfordern. Ein Teil ging wider Willen. Dieser wurde gezwungen.

Der Staat muß – das ist, versteht sich, klar – die besten Arbeiter durch das Prämiensystem in die besten Lebensbedingungen versetzen. Aber das schließt nicht aus, sondern setzt im Gegenteil voraus, daß der Staat und die Gewerkschaften – ohne die der Sowjetstaat seine Industrie nicht aufbauen kann – irgendwelche neuen Rechte auf den Arbeiter erhalten. Der Arbeiter feilscht nicht einfach mit dem Sowjetstaat, – nein, er ist dem Staate verpflichtet, ist ihm allseitig untergeordnet, weil es sein Staat ist.

„Wenn man uns einfach erklären würde“, sagt Abramowitsch, „daß es sich um die gewerkschaftliche Disziplin handelt, dann läge natürlich kein Grund vor zum Lanzenbrechen ; aber was hat damit die Militarisierung zu tun?“

Gewiß, es handelt sich zum bedeutenden Teil um die Disziplin der Gewerkschaften, aber um die Disziplin neuer produktioneller Gewerkschaften. Wir leben in einem Sowjetlande, wo die Arbeiterklasse herrscht, was unsere Kautskyaner nicht begreifen. Wenn der Menschewik Rubzow gesagt hat, daß von den Gewerkschaften in meinem Bericht nur Fetzen und Flicken übriggeblieben seien, so ist darin ein Körnchen Wahrheit enthalten. Von den Gewerkschaften, wie er sie begreift, d. h. von den Gewerkschaften des trade- unionistischen Typus ist tatsächlich nur wenig übriggeblieben, aber die gewerkschaftlich-produktionelle Organisation der Arbeiterklasse hat in den Verhältnissen Sowjetrußlands die gewaltigsten Aufgaben. Welche? Natürlich nicht Aufgaben des Kampfes mit dem Staat um die Interessen der Arbeit, sondern Aufgaben des Aufbaus der sozialistischen Wirtschaft, Hand in Hand mit dem Staat. Eine solche Gewerkschaft ist eine prinzipiell neue Organisation, die sich nicht nur von den Trade-Unions, sondern auch von den revolutionären Gewerkschaften in der bürgerlichen Gesellschaft unterscheidet, wie die Herrschaft des Proletariates sich unterscheidet von der Herrschaft der Bourgeoisie. Der Produktionsverband der regierenden Arbeiterklasse hat nicht dieselben Aufgaben, nicht dieselbe Disziplin wie der Kampfverband einer geknechteten Klasse. Bei uns sind alle Arbeiter verpflichtet, den Gewerkschaften anzugehören. Die Menschewiki sind gegen diese Ordnung. Das ist ganz begreiflich, weil sie tatsächlich gegen die Diktatur des Proletariats sind. Darauf läuft letzten Endes die ganze Frage hinaus. Die Kautskyaner sind gegen die Diktatur des Proletariats und damit auch gegen alle ihre Folgen. Die wirtschaftliche Nötigung ebenso wie die politische sind nur Formen für das Zutagetreten der Diktatur der Arbeiterklasse auf zwei eng verknüpften Gebieten. Freilich, Abramowitsch hat uns tiefgründig nachgewiesen, daß es beim Sozialismus keinen Zwang geben wird, daß das Prinzip der Nötigung dem Sozialismus widerspricht, daß beim Sozialismus das Pflichtgefühl, die Arbeitsgewöhnung, die Anziehungskraft der Arbeit usw. wirken werden. Das ist unstreitig so. Aber diese unbestreitbare Wahrheit muß erweitert werden. Denn die Sache ist ja die, daß es beim Sozialismus auch den Zwangsapparat, den Staat, nicht geben wird – er wird völlig aufgehen in der Produktions- und Konsumkommune. Trotzdem führt der Weg zum Sozialismus über die höchste Anspannung der Staatsorganisation. Und wir machen jetzt mit euch gerade diese Periode durch. Wie eine Lampe vor dem Erlöschen noch einmal hell aufflammt, so nimmt auch der Staat, bevor er verschwindet, die Form der Diktatur des Proletariats an, d. h. des schonungslosesten Staates, der das Leben der Bürger von allen Seiten gebieterisch erfaßt. Diese Kleinigkeit nun, diese ganz kleine Geschichtsstufe – die Staatsdiktatur – hat Abramowitsch, und in seiner Person der ganze Menschewismus, nicht bemerkt und ist über sie gestolpert.

Keine andere Organisation, außer der Armee, hat den Menschen bisher mit so hartem Zwang erfaßt, wie die staatliche Organisation der Arbeiterklasse in dieser schwersten Uebergangsepoche. Eben darum sprechen wir von der Militarisierung der Arbeit. Es ist das Schicksal der Menschewiki, hinter den Ereignissen dreinzuhinken und die Teile des revolutionären Programms anzuerkennen, die ihre praktische Bedeutung bereits verloren haben. Der Menschewismus bestreitet heute – obgleich mit Wenn und Aber – nicht mehr die Berechtigung des Strafverfahrens gegen die Weißgardisten und die Deserteure aus der Roten Armee, – er ist nach seinen eigenen traurigen Erfahrungen mit der „Demokratie“ gezwungen, das anzuerkennen. Er hat es scheinbar begriffen – einen Posttag zu spät – daß man Auge in Auge mit den gegenrevolutionären Banden sich nicht mit Phrasen darüber begnügen kann, daß der rote Terror beim Sozialismus nicht erforderlich sein wird. Aber auf wirtschaftlichem Gebiet suchen die Menschewiki uns immer noch – auf unsere Söhne und auf unsere Enkel zu verweisen. Die Wirtschaft muß indessen von uns sofort, ohne Zögern aufgebaut werden, unter Verhältnissen des unseligen Erbes der bürgerlichen Gesellschaft und des noch nicht beendeten Bürgerkrieges.

Der Menschewismus wie überhaupt das ganze Kautskyanertum steckt tief in den demokratischen Banalitäten und sozialistischen Abstraktionen. Immer wieder zeigt es sich, daß Aufgaben der Uebergangsperiode, d. h. der proletarischen Revolution für ihn nicht existieren. Daher die Lebensunfähigkeit seiner Kritik, seiner Hinweise, Pläne und Rezepte. Es geht nicht darum, was in 20 bis 30 Jahren sein wird, – dann wird selbstverständlich alles bedeutend besser sein – sondern darum, wie wir uns heute aus dem Zerfall herausarbeiten, wie wir jetzt die Arbeitskraft verteilen, wie wir heute die Arbeitsproduktivität steigern, wie wir speziell mit den 4.000 qualifizierten Arbeitern verfahren sollen, die wir im Ural der Armee entnommen haben. Sollten wir sie frank und frei laufen lassen: „Sucht, wo es besser ist, Genossen?“ Nein, so konnten wir nicht handeln. Wir setzten sie in Militärzüge und schickten sie in die Fabriken und Betriebe.

„Wodurch unterscheidet sich denn“, ruft Abramowitsch aus, „euer Sozialismus von der ägyptischen Sklaverei? Ungefähr auf dieselbe Weise haben die Pharaonen ihre Pyramiden gebaut und die Massen zur Arbeit gezwungen.“

Eine unnachahmliche Analogie für einen „Sozialisten“. Hierbei ist wieder dieselbe Kleinigkeit außer acht gelassen: die Klassennatur der Macht! Abramowitsch sieht keinen Unterschied zwischen dem ägyptischen Regime und dem unsrigen. Er hat vergessen, daß es in Aegypten die Pharaonen, die Sklavenhalter und Sklaven gab. Nicht die ägyptischen Bauern haben durch ihre Sowjets beschlossen, die Pyramiden zu bauen – dort herrschte die hierarchische Gesellschaftsordnung der Kasten – und die Werktätigen wurden von der ihnen feindlichen Klasse zur Arbeit gezwungen. Bei uns wird der Zwang von der Arbeiter- und Bauernmacht im Namen der Interessen der werktätigen Massen verwirklicht. Das ist es, was Abramowitsch nicht bemerkt hat. Wir haben in der Schule des Sozialismus gelernt, daß die ganze gesellschaftliche Entwicklung auf die Klassen und ihren Kampf begründet ist und daß der ganze Gang des Lebens dadurch bestimmt wird, welche Klasse an der Macht steht und um welcher Aufgaben willen sie ihre Politik durchführt. Das begreift Abramowitsch nicht. Vielleicht kennt er das alte Testament sehr gut, der Sozialismus aber ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.

Auf dem Wege liberal-oberflächlicher Analogien einherschreitend, die mit der Klassennatur der Staaten nicht rechnen, könnte Abramowitsch (und die Menschewiki haben das früher wiederholt getan) die rote und die weiße Armee identifizieren. Hier wie da fanden Mobilmachungen vornehmlich der Bauernmassen statt. Hier wie da wurde Zwang angewandt. Und hier wie da gibt es nicht wenig Offiziere, die dieselbe Schule des Zarismus durchgemacht haben. Dieselben Gewehre, dieselben Patronen in beiden Lagern, – wo ist da ein Unterschied? Ein Unterschied ist vorhanden, und von ihm zeugt das Schicksal Judenitschs, Koltschaks und Denikins. Bei uns wurden die Bauern von den Arbeitern mobilgemacht; bei Koltschak – von den weißgardistischen Offizieren. Unsere Armee schloß sich zusammen und festigte sich –, die weiße zerfiel zu Staub. Nein, es gibt einen Unterschied zwischen dem Sowjetregime und dem Regime der Pharaonen, – und nicht umsonst haben die Petersburger Proletarier ihre Revolution damit begonnen, daß sie die Pharaonen [3] von den Glockentürmen Petersburgs herunterschossen.

Einer der menschewistischen Redner hat im Vorbeigehen den Versuch gemacht, mich als Verfechter des Militarismus überhaupt hinzustellen. Seinen Nachrichten zufolge zeigt es sich, daß ich nichts mehr und nichts weniger verteidige als den deutschen Militarismus. Ich soll versichert haben, daß der deutsche Unteroffizier ein Naturwunder und daß alles, was er tut, unnachahmlich sei ... Was habe ich nun in Wirklichkeit gesagt? Nur dies, daß der Militarismus, in dem alle Züge der gesellschaftlichen Entwicklung ihren vollendetsten, ausgeprägtesten und schärfsten Ausdruck finden, von zwei Seiten betrachtet werden kann; erstens von der politischen oder sozialistischen – und da hängt es voll und ganz davon ab, welche Klasse an der Macht ist – und zweitens von der Organisationsseite, als System strenger Pflichtverteilung, genauer gegenseitiger Beziehungen, bedingungsloser Verantwortlichkeit, rauhen Gehorsams. Die bürgerliche Armee ist ein Apparat zur bestialischen Knechtung und Unterdrückung der Werktätigen; die sozialistische Armee ist ein Werkzeug zur Befreiung und Verteidigung der Werktätigen. Aber die bedingungslose Unterordnung des Teils unter das Ganze ist ein Zug, der allen Armeen gemeinsam ist. Das rauhe innere Regime ist untrennbar von der militärischen Organisation. Im Kriege hat jede Lotterei, jeder Mangel an Gewissenhaftigkeit, sogar die einfache Unpünktlichkeit nicht selten die schwersten Opfer zur Folge. Daher das Streben der militärischen Organisation, die Klarheit, die Formulierung, die Genauigkeit der Verhältnisse und der Verantwortlichkeit bis aufs höchste zu steigern. Derartige „militärische“ Eigenschaften sind auf allen Gebieten geschätzt. In diesem Sinne eben habe ich gesagt, daß jede Klasse in ihrem Dienst diejenigen von ihren Mitgliedern hochschätzt, die bei sonst gleichen Eigenschaften eine militärische Schulung durchgemacht haben. Der deutsche – sagen wir mal – Dorfwucherer (Kulak), der als Unteroffizier die Kaserne verlassen hat, war für die deutsche Monarchie und bleibt für die Republik Eberts wertvoller und kostbarer als derselbe Kulak, der keine militärische Schulung durchgemacht hat. Der Apparat der deutschen Eisenbahner wurde auf eine bedeutende Höhe wesentlich durch die Heranziehung von Unteroffizieren und Offizieren zu administrativen Aemtern im Verkehrswesen gebracht. In diesem Sinne können wir schon einiges vom Militarismus lernen. Gen. Zyperowitsch, einer unserer hervorragendsten Gewerkschaftsfunktionäre, hat uns hier bezeugt, daß der gewerkschaftliche Arbeiter, der eine militärische Schulung durchgemacht, etwa den verantwortlichen Posten eines Regimentskommissars im Laufe eines Jahres bekleidet hat, dadurch für die Gewerkschaftsarbeit keineswegs schlechter geworden ist. Er ist in die Gewerkschaft als derselbe Proletarier vom Scheitel bis zur Sohle zurückgekehrt, weil er für die Sache des Proletariats gekämpft hat; aber er ist gestählt, männlicher, selbständiger, entschlossener zurückgekehrt, weil er sich in verantwortlichen Lagen befunden hat. Er hat einige Tausend Rotarmisten, vornehmlich Bauern, von verschiedenem Bewußtseinsgrad leiten müssen. Er hat mit ihnen Siege und Mißerfolge, Angriffe und Rückzüge erlebt. Es gab Fälle von Verrat seitens des Kommandobestandes, Aufstände der reichen Bauern, Fälle von Panik, – er stand auf seinem Posten, hielt die weniger bewußte Masse im Zaum, gab ihr die Richtung, feuerte sie durch sein Beispiel an, strafte die Verräter und Drückeberger. Diese Erfahrung ist eine große und wertvolle Erfahrung. Und wenn der ehemalige Regimentskommissar in die Gewerkschaft zurückkehrt, so wird er ein nicht übler Organisator.

In der Frage der Kollegialität sind die Argumente Abramowitschs ebenso lebensfremd wie in allen anderen Fragen, – die Argumente eines unbeteiligten Beobachters, der am Flußufer steht.

Abramowitsch hat uns erläutert, daß ein gutes Kollegium besser ist als eine schlechte Einzelverwaltung und daß einem guten Kollegium ein guter Fachmann angehören muß. Das ist alles vortrefflich, – warum nur stellen uns die Menschewiki nicht einige Hundert solcher Kollegien zur Verfügung? Ich glaube, daß der Oberste Volkswirtschaftsrat ausreichende Verwendung für sie haben würde. Aber wir, die wir nicht Beobachter, sondern Arbeiter sind, müssen aus dem Material bauen, das vorhanden ist. Wir haben Fachleute, von denen etwa ein Drittel gewissenhaft und kenntnisreich ist, ein zweites Drittel – halb gewissenhaft und halb kenntnisreich, während das letzte Drittel gar nichts taugt. In der Arbeiterklasse gibt es viele begabte und selbstlose Leute. Einige – leider nur einige – von ihnen besitzen bereits die notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen. Andere haben Charakter und Fähigkeiten, aber keine Erfahrungen und Kenntnisse. Noch andere haben weder das eine noch das andere. Aus diesem Material müssen Betriebs- und sonstige Leitungen geschaffen werden, und hier kann man sich nicht auf Gemeinplätze beschränken. Vor allem muß man alle die Arbeiter auswählen, die schon durch die Erfahrung bewiesen haben, daß sie Unternehmen leiten können, und diesen die Möglichkeit geben, auf eigenen Füßen zu stehen, – diese Leute wollen selbst die Einzelverwaltung, weil die Fabrikverwaltungen keine Schule für Zurückgebliebene sind. Ein Arbeiter, der eine Sache gut versteht, will verwalten. Wenn er beschlossen und befohlen hat, so muß sein Beschluß durchgeführt werden. Man kann ihn absetzen, das ist eine andere Sache, aber solange er Verwalter ist, beauftragter, proletarischer Verwalter, leitet er das Unternehmen voll und ganz. Wenn man ihn in ein Kollegium von Schwächeren setzt, die in die Verwaltung eingreifen, wird nichts Vernünftiges herauskommen. Einem solchen Arbeiter-Administrator muß man einen Fachmann als Gehilfen beigeben, einen oder zwei, je nach dem Unternehmen. Wenn kein geeigneter Arbeiter-Administrator vorhanden ist, wohl aber ein gewissenhafter und kenntnisreicher Fachmann, dahn werden wir diesen an die Spitze des Unternehmens stellen, ihm 2–3 hervorragende Arbeiter als Gehilfen beigeben, so daß jede Entscheidung des Fachmanns den Gehilfen bekannt ist, ohne daß sie das Recht haben, die Anordnung rückgängig zu machen. Sie werden Schritt für Schritt die Arbeit mit dem Fachmann durchführen und einiges lernen, und nach einem halben oder ganzen Jahre werden sie selbständige Posten einnehmen können.

Abramowitsch hat, nach seinen eigenen Worten, das Beispiel jenes Friseurs angeführt, der eine Division und eine Armee befehligte. Richtig! Was Abramowitsch aber nicht weiß, das ist dies: wenn bei uns die Genossen Kommunisten angefangen haben, Regimenter, Divisionen und Armeen zu befehligen, so liegt der Grund darin, daß sie früher Kommissare bei fachmännischen Befehlshabern waren. Die Verantwortung hatte der Fachmann, welcher wußte, daß er, wenn er einen Fehler begeht, die volle Verantwortung tragen muß und nicht sagen kann, daß er nur „Konsultant“ oder „Kollegiumsmitglied“ sei. Gegenwärtig stehen bei uns in der Armee auf den meisten Befehlsstellen, besonders auf den niedrigen, den politisch wichtigsten Stufen, Arbeiter und vorgeschrittene Bauern. Wie aber haben wir angefangen? Wir stellten auf die Kommandoposten Offiziere, die Arbeiter aber stellten wir als Kommissare hin, und sie lernten, lernten erfolgreich, und haben es gelernt, den Feind zu schlagen.

Genossen, wir stehen vor einer schweren, vielleicht vor der schwersten Periode. Schweren Epochen im Leben der Völker und Klassen entsprechen harte Maßregeln. Je weiter, desto lichter wird es werden, desto freier wird sich jeder Bürger fühlen, desto unmerklicher wird die nötigende Gewalt des proletarischen Staates werden. Vielleicht werden wir dann auch den Menschewiki die Herausgabe von Zeitungen erlauben, wenn nämlich die Menschewiki noch so lange existieren sollten. Jetzt aber leben wir im Zeitalter der Diktatur, – der politischen wie der wirtschaftlichen. Und die Menschewiki fahren fort, diese Diktatur zu untergraben. Wenn wir an der Front des Bürgerkrieges kämpfen und die Revolution vor Feinden schützen, das Blatt der Menschewiki aber schreibt: „Nieder mit dem Bürgerkrieg!“ – so können wir das nicht zulassen, Diktatur ist Diktatur, Krieg ist Krieg. Und jetzt, wo wir zur höchsten Konzentration der Kräfte auf dem Felde des wirtschaftlichen Wiederaufbaues des Landes übergehen, bleiben die russischen Kautskyaner, die Menschewiki, ihrem gegenrevolutionären Berufe treu: ihre Stimme klingt nach wie vor als Stimme des Zweifels und der Zersetzung und Untergrabung, des Mißtrauens und Zerfalls.

Ist das denn nicht ungeheuerlich und lächerlich, wenn auf diesem Kongreß, wo anderthalb tausend Arbeiter versammelt sind, die die russische Arbeiterklasse verkörpern, wo die Menschewiki weniger als 5 Prozent, die Kommunisten aber ungefähr 90 Prozent ausmachen, Abramowitsch uns sagt:

„Laßt euch nicht von solchen Methoden verleiten, wo ein winziges Häuflein das Volk ersetzt?“

„Alles durch das Volk“, sagt der Vertreter der Menschewiki, „keinerlei Kuratoren über der werktätigen Masse! Alles durch die werktätigen Massen, durch ihre Selbstbetätigung!“

Und weiter: „Eine Klasse ist durch Argumente nicht zu überzeugen!“ So seht euch doch nur diesen Fall an: da ist die Klasse! Die Arbeiterklasse ist hier vor uns und mit uns, und gerade das verschwindend kleine Häuflein der Menschewiki sucht sie durch spießbürgerliche Argumente zu überzeugen! Ihr wollt Kuratoren dieser Klasse sein. Aber sie hat ihre hohe Selbstbetätigung, und diese Selbstbetätigung hat sie unter anderem auch darin gezeigt, daß sie euch abwarf und vorwärts ging ihren eigenen Weg!

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Anmerkungen

1. März 1920.

2. Seitdem ist dieser Prozentsatz ganz erheblich gefallen (Juni 1920).

3. So nannte man die zaristischen Polizisten, die der Innenminister Protopopow Ende Februar 1917 auf den Hausdächern und Glockentürmen postierte.


Zuletzt aktualisiert am 8. Februar 2020