Leo Trotzki

Zwischen Imperialismus und Revolution

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Das Regime im Innern

In der Außenpolitik – strikteste Neutralität, in der Innenpolitik aber selbstverständlich vollste Freiheit. Wie sollte es auch anders sein? „Das Verhältnis zwischen Proletariern und Bauern war in Georgien bisher das denkbar beste“, erzählt Kautsky. (S. 54) Vom Rhein bis zum Stillen Ozean wüten blutige Aufstände, – „Georgien ist das einzige Land neben Deutsch-Oesterreich, das von solchen Gewaltsamkeiten verschont blieb“. (ebenda) Die Kommunisten? Sie konnten „bei vollster Freiheit legaler Betätigung“ keinerlei Einfluß gewinnen. (S. 65) Die Sozialdemokraten erhielten bei allen Wahlen erdrückende Stimmenmehrheit. In der Tat, ein einzigartiges Land – vom Stillen Ozean bis zum Rhein! Ja, selbst jenseits des Rheins wird sich wohl kaum ein gleiches finden lassen, wenn man das Fürstentum Monako, wie es die hochbetagten pensionierten französischen Akademiker darstellen, nicht mitrechnet.

Vor einem solchen politischen Geschmiere bleibt man im ersten Augenblick ebenso gelähmt stehen, wie vor einem frechen Oeldruck, auf dem jede Farbe einzeln lügt und alle zusammen für das Auge noch beleidigender sind. Alles, was wir über die Entstehung des selbständigen Georgiens und über seine Außenpolitik wissen, widerlegt schon a priori jenes Bild allgemeiner Versöhnung, das Kautsky aus dem Fenster des Eisenbahnwagens zwischen Batum und Tiflis beobachtete. Der Zusammenhang zwischen der Außenpolitik und der Innenpolitik mußte in Georgien um so stärker zutage treten, als Georgien auf dem Wege der Knospung in zwei Stadien entstand, so daß heute jene Fragen für das Land zu äußeren wurden, die gestern noch innere waren. Außerdem forderten die Menschewiki unter der Flagge der Lösung ihrer äußeren Aufgaben eine fremdländische Kriegsmacht auf, in das Innere des Landes zu kommen, zuerst die Deutschen, dann die Engländer, wobei man wiederum schon a priori sagen kann, daß General v. Kreß und General Wakker nicht die letzte Rolle im inneren Leben des Landes spielten.

Da nach Kautsky, dessen Banalität zeitweilig paradox wird, die Hohonzollerngeneräle in Georgien die hohe Funktion ,,von Organisatoren seiner Produktivkräfte“ aus übten (S. 57), ohne ein Attentat auf das Uhrwerk der Demokratie auszuüben, so ist es nicht überflüssig, hier den gestrengen Verweis zu erwähnen, den General v. Kreß erteilte anläßlich der Verhaftung einer Gruppe von Adeligen der Schwarzen Hundert, die die Bildung von Pogrombanden vorbereitet hatten.

„Die Regierung kann nicht – belehrte v. Kreß den Minister Ramischwili – die Politik einer Partei oder Gruppe von Bürgern nur deshalb als unzuverlässig betrachten, weil sie gegen das bestehende Regime gerichtet ist. Solange diese Politik nicht gegen das Bestehen des Staates selbst gerichtet sein wird, kann man sie nicht als Staatsverrat betrachten“.

In der Antwort auf diese klassischen Belehrungen berichtete Ramischwili unter anderem:

„Ich schlug den Politikern dieses Verbandes (der Gutsbesitzer) vor, ein Projekt für die Verbesserung der Lage der ehemaligen Adeligen einzureichen, was auch ausgeführt wird.“

Wer hier der bessere ist, ob der Organisator der Produktivkräfte, Kreß, oder der Demokrat Ramischwili, das ist nicht leicht zu entscheiden. Daß die englischen Offiziere sich noch frecher in das innere Leben einmischten als die deutschen, das erwähnten wir bereits. Doch wenn man die soldatische Grobheit und übermäßige Offenheit nicht mitrechnet, so verlief die Einmischung der einen wie der anderen im allgemeinen auf der gleichen Linie des sozialen und politischen Konservatismus, die die Linie der Menschewiki selbst von Anfang der Revolution an war.

Die Hauptlehre, die Zeretelli aus der Erfahrung der russischen Revolution zog, ist die, daß „die Schüchternheit und Unsicherheit der Demokratie im Kampfe gegen die Anarchie“ die Demokratie, die Revolution und das Land zugrunde gerichtet haben, und, als Hauptinspirator der Regierungspolitik, verlangte er vom transkaukasischen Sejm, „es der Regierung zur Pflicht zu machen, mit den strengsten Maßnahmen die Erscheinungen der Anarchie zu bekämpfen ...“ (18. März 1918). Noch früher, am 15. Februar erklärte Dschordania in der Sitzung des Sejm:

„Bei uns im Lande nimmt die Anarchie immer mehr und mehr zu ... Unter der Arbeiterklasse ist die Stimmung eine bolschewistische, sogar die menschewistischen Arbeiter sind vom Bolschewismus infiziert.“

Die ersten nationalen georgischen Regimenter sind von der gleichen Gesinnung durchdrungen. Die demobilisierten Soldaten tragen die revolutionäre Infektion in die Dörfer. Dschordania sagt:

„Das, was gegenwärtig bei uns in den Dörfern vorgeht, ist nichts Neues; das gleiche fand statt in allen (!) Revolutionen, überall (!) traten die Bauernmassen gegen die Demokratie auf. Es ist Zeit, daß wir mit der Herrschaft der volkstümlerischen Bauernillusionen der Sozialdemokratischen Partei ein Ende machen. Es ist Zeit, zu Marx zurückzukehren und fest auf der Wacht der Revolution gegen die bäuerliche Reaktion zu stehen.“

Die Berufung auf Marx ist ein Stumpfsinn, der verkompliziert ist durch Charlatanerie. In der menschewistischen Periode, von der die Rede ist, erhob sich die transkaukasische Bauernschaft nicht gegen die demokratische Revolution, sondern gegen ihre Langsamkeit, Unentschiedenheit, Aengstlichkeit, besonders in der Agrarfrage. Erst nach dem tatsächlichen Sieg der agrarisch-demokratischen Revolution ist der Boden für gegenrevolutionäre Bauernbewegungen geeignet: gegen die materiellen Forderungen der Stadt, gegen die sozialistischen Tendenzen der Wirtschaftspolitik und schließlich gegen die Diktatur der Partei der Arbeiterklasse. Wenn in der ersten Epoche der Revolution die treibende Kraft der agrarischen Aufstände die untersten Schichten des Dorfes, seine am meisten unterdrückten und am wenigsten besitzenden Schichten sind, so geht die führende Rolle in den Bauernaufständen der zweiten Epoche an die obere Schicht des Dorfes über, an seine wohlhabendsten, festen, wucherischen Elemente. Es besteht aber keine Notwendigkeit, sich dabei aufzuhalten, daß die georgischen Menschewiki ebenso wie die nichtgeorgischen das revolutionäre ABC des Marxismus nicht verstehen. Für uns genügt die Anerkennung jener Tatsache, daß die Bauernmassen, die die erdrückende Mehrzahl der Bevölkerung darstellen, nach bolschewistischer Art gegen die menschewistische „Demokratie“ vorgingen. Getreu dem vom Sejm vorgelegten Programm führte die georgische Regierung, die sich auf die kleinbürgerliche Demokratie der Städte und auf die Spitzen der überhaupt zahlenmäßig äußerst geringen Arbeiterklasse stützte, einen erbarmungslosen Kampf gegen die vom Bolschewismus infizierten werktätigen Massen.

Die ganze Geschichte des menschewistischen Georgiens ist eine Geschichte von Bauernaufständen. Sie finden buchstäblich in allen Teilen des kleinen Landes statt und zeichnen sich nicht selten durch außerordentliche Hartnäckigkeit aus. In einigen Kreisen hält sich die Sowjetmacht monatelang. Die Aufstände werden durch Strafexpeditionen liquidiert und durch Feldkriegsgerichte, die aus Offizieren und kleinen land besitzenden Fürsten zusammengesetzt sind, zum Abschluß gebracht.

Wie die georgische Regierung mit den revolutionären Bauern abrechnete, das läßt sich am besten mit den Worten des Berichtes der abchasischen Menschewiki anläßlich der Tätigkeit der Abteilung Masniews in Abchasien wiedergeben. Der an die georgische Regierung adressierte Bericht lautet:

„Diese Abteilung hat durch ihre Grausamkeit und Unmenschlichkeit die Tätigkeit des Zarengenerals Alichanow, traurigen Angedenkens, übertroffen. So brachen z. B. die Kosaken dieser Abteilung in die friedlichen abchasischen Dörfer ein, indem sie alles irgendwie Wertvolle an sich rissen und die Frauen vergewaltigten. Ein anderer Teil dieser Abteilung war unter der unmittelbaren Aufsicht von Herrn Tuchareli mit der Zerstörung der Häuser jener Personen durch Bomben beschäftigt, die von irgend jemand denunziert wurden. Ähnliche Gewalttätigkeiten wurden im Kreis Gudautsk vollbracht. Oberleutnant Kupunija, Chef der georgischen Abteilung und ehemaliger Polizeichef der Stadt Poti, verprügelte eine ganze Gemeindeversammlung in der Siedelung Azy, indem er alle zwang, sich unter Maschinengewehrfeuer zu legen, darauf über ihre Rücken hinwegschritt, indem er Schläge mit der flachen Säbelklinge austeilte; darauf befahl er der Versammlung, zusammenzutreten und galoppierte in voller Karriere mitten in die Menge hinein, Peitschenhiebe austeilend. Die sich mit einem Protest gegen derartige Roheit und Gewalttätigkeit an ihn wendenden Mitglieder des ehemaligen Abchasischen Volkssowjets, Abuchwa und Dsukuja, wurden verhaftet und in einen Schuppen gesperrt ... Der Gehilfe des Kommissars des Kreises Gudautsk, Oberleutnant Grigoriadi, wendete die Prügelstrafe in den Gemeindeversammlungen an und setzte nach eigenem Ermessen aus der Zahl der ehemaligen Regierungsältesten unter dem Zarenregime dem Volke verhaßte Dorfkommissare ein.“

Ist es da nicht klar, daß das Verhältnis zwischen Menschewiki und Bauern, wie wir von Kautsky wissen, stets „das denkbar beste war ...“? Eine der Folgen der Besänftigung des abchasischen Aufstandes war ein fast allgemeiner Austritt der abchasischen Menschewiki aus der sozialdemokratischen Fraktion (Tarnowa, Basba, Tschukbar, Kobachia, Zwishba, Barzyz und Dsukuja).

In dem aufständischen Ossetien ging Dschugeli nicht besser vor. Da wir uns aus pädagogischen Erwägungen die Aufgabe gestellt haben, die Politik der georgischen Menschewiki nach Möglichkeit durch ihre eigenen Erklärungen und Dokumente zu charakterisieren, so müssen wir hier, unseren literarischen Widerwillen überwindend, Auszüge aus dem Buche des uns bereits bekannten, angesehenen und „ritterlichen“ Menschewik Waliko Dschugeli, des ehemaligen Führers der Volksgarde, anführen. Unsere Zitate sind der Teilnahme Dschugelis selbst bei der Beilegung des Bauernaufstandes in Ossetien gewidmet.

„Der Feind flieht überall in Unordnung, fast ohne Widerstand zu leisten. Diese Verräter müssen grausam bestraft werden.“

Am gleichen Tage macht er im Tagebuche (das Buch hat den Charakter eines Tagebuches) folgende Eintragung:

„Es ist jetzt Nacht. Überall sieht man Feuer leuchten. Das sind die brennenden Häuser der Aufständischen. Ich bin es aber bereits gewohnt und blicke fast mit Ruhe darauf.“

In der Eintragung des nächsten Tages lesen wir:

„Überall rings um uns brennen die ossetinischen Dörfer ... Im Interesse der kämpfenden Arbeiterklasse, im Interesse des herannahenden Sozialismus werden wir grausam sein. Ja, wir werden es sein. Ich sehe mit ruhiger Seele und reinem Gewissen auf die Brandstätte und die Rauchwolken ... Ich bin vollständig ruhig, ja, ich bin ruhig.“

Am Morgen des nächsten Tages macht Dschugeli den Eintrag:

„Es brennen die Feuer ... Die Häuser brennen ... Mit Feuer und Schwert ...“

Am gleichen Tage, nach einigen Stunden, eine neue Eintragung:

„Und die Feuer brennen, brennen ...“

Am Abend des gleichen Tages macht er von neuem eine Eintragung:

„Jetzt sind überall Feuer ... Sie brennen und brennen. Unheilvolle Feuer ... Es ist eine Art von schrecklicher, grausamer, feenhafter Schönheit ... Und ein alter Kamerad sagte traurig zu mir, indem er auf diese nächtlichen leuchtenden Feuer blickte: Ich beginne Nero und den großen Brand von Rom zu verstehen.

Und die Feuer brennen, brennen überall.“

Aus diesen widerlichen Grimassen können wir auf jeden Fall unsere Ueberzeugung stärken, daß das Verhältnis zwischen den georgischen Menschewiki und den Bauern unveränderlich „das denkbar beste“ blieb.

Nach der Evakuierung von Adshasien (Gebiet Batum) durch die Engländer im Jahre 1920 mußte die georgische Regierung das Land mit Hilfe von Artillerie einnehmen. Kurz, für Nero-Grimassen boten sich für Dschugeli an allen Enden Georgiens ununterbrochen Anlässe. [1]

Gleich nach Dschordania hat Ramischwili, der Minister des Innern – derselbe, der sich mit der Frage der Verbesserung der Lage der ehemaligen Adeligen beschäftigte – sich auf Marx berufen, um den weißen Terror zu begründen, der gegen die aufständische Bauernschaft gerichtet war.

Doch kann man mit Sicherheit behaupten, daß trotz des weißen Terrors, der durch die Stilblüten der Rhetorik ergänzt ist, die menschewistische Diktatur spurlos von der Flut der revolutionären Bewegung hinweggespült worden wäre, wenn im Lande nicht fremdländische Truppen gestanden hätten. Nicht der Deutsche Marx, sondern der Deutsche v. Kreß hat den Menschewiki in jener Periode ermöglicht, sich zu halten.

Besonders unsinnig klingt die Behauptung Kautskys hinsichtlich der „vollsten Freiheit der Betätigung“ der Georgischen Kommunistischen Partei. Einige Freiheit würde genügen. Aber wir wissen ja schon: wenn Neutralität, so strikteste, wenn Freiheit, so vollste; nicht einfach ein gutes Verhältnis, sondern „das denkbar beste Verhältnis“.

Verblüffend ist vor allem der Umstand, daß weder Kautsky, noch Vandervelde, weder Mistreß Snowden selbst, noch die ausländischen Diplomaten, weder die Journalisten der bürgerlichen Presse, noch die Times, der treue Wächter der Freiheit, auch nicht der ehrliche Temps, kurz, keiner von allen jenen, die in Georgien die Demokratie segneten, in diesem eine Sache nicht gemerkt haben – die Besondere Abteilung. Aber sie hat existiert. Die Besondere Abteilung ist, mit Verlaub, die menschewistische Tscheka. Die Besondere Abteilung griff auf, verhaftete, erschoß alle jene, die gegen die menschewistische Demokratie auf traten. Die Besondere Abteilung unterschied sich in bezug auf die Methoden des Terrorismus in keiner Weise von der Außerordentlichen Kommission Sowjetrußlands – durch nichts, außer durch die Aufgabe, der sie diente. Die Außerordentliche Kommission bewachte die sozialistische Diktatur gegen die Agenten des Kapitals, die Besondere Abteilung schützte das bürgerliche Regime gegen die bolschewistische „Anarchie“. Gerade deshalb aber hat das respektable Publikum, das die Tscheka verwünschte, die georgische Besondere Abteilung gar nicht bemerkt! Dafür konnten aber die georgischen Bolschewiki durchaus nicht umhin, sie zu bemerken, denn sie existierte ja hauptsächlich für sie. Soll man einen Martyrolog des georgischen Kommunismus anführen? Verhaftungen, Ausweisungen, Auslieferung an die Weißen, Hungern im Gefängnis, Erschießungen ... besteht eine Notwendigkeit? Genügt es nicht, sich des ehrenwerten Berichtes Gegetschkoris an Denikin zu erinnern:

„In der Frage des Verhaltens zu den Bolschewiki kann ich erklären, daß der Kampf gegen den Bolschewismus innerhalb unserer Grenzen ein erbarmungsloser ist. Wir unterdrücken mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln den Bolschewismus ... und in dieser Hinsicht haben wir bereits eine Reihe von Beweisen geliefert, die für sich selbst sprechen.“

Dieses Zitat sollte man Kautsky auf die Kappe schreiben, wenn diese bei ihm nicht schon ohnehin mit wenig schmeichelhaften Aufschriften in allen Richtungen bekritzelt wäre. Wo Gegetschkori sagt: Wir unterdrücken mit allen Mitteln, erwürgen erbarmungslos, dort erläutert Kautsky. Vollste Freiheit. Wäre es nicht Zeit, über Kautsky eine sanfte, wahrhaft demokratische Vormundschaft ein zusetzen?

Schon am 8. Februar 1918 wurden in Georgien alle bolschewistischen Zeitungen verboten. In dieser Periode erschien die menschewistische Presse in Sowjetrußland noch vollständig legal. Am 10. Februar, am Tage der Eröffnung des transkaukasischen Sejm, wurde im Alexandergarten. in Tiflis eine friedliche Versammlung durch Gewehrfeuer gesprengt. Am 15. Februar wetterte Dschordania im Sejm über die bolschewistische Gesinnung der Volksmassen und sogar der menschewistischen Arbeiter. Zeretelli endlich, der gemeinsam mit Kerenski unsere Partei des Staatsverrates beschuldigt hatte, bereute im März im Sejm die übermäßige „Schüchternheit und Unsicherheit“ der Kerenski-Regierung in der Verfolgung der Bolschewiki. Die deutschen Trappen waren nach Georgien geholt worden – ebenso wie nach Finnland, in das Baltikum, in die Ukraine – hauptsächlich gegen die Bolschewiki. Auf die Frage des amerikanischen Vertreters nach den Bolschewiki antwortete der diplomatische Vertreter Georgiens, Topuridse:

„Wir sind mit ihnen fertig geworden und haben sie unterdrückt. Die Beweise liegen auf der Hand: auf dem ehemaligen Territorium Rußlands gibt es nur in Georgien keinen Bolschewismus.“

Hinsichtlich der Zukunft geht Topuridse eine nicht weniger feste Verpflichtung ein:

„Mit allen Kräften und Mitteln wird unsere Republik die alliierten Mächte in ihrem Kampfe gegen die Bolschewiki unterstützen.“

Der General Forestier Wakker, Kommandierender der britischen Truppen West-Transkaukasiens, erklärte am 4. Januar 1919 Herrn Dschordania mündlich und schriftlich, daß der Feind der Entente im Kaukasus „der Bolschewismus ist, den die Großmächte zu vernichten beschlossen haben, wo und wann er sich zeigen möge“. Anläßlich der von Wakker erhaltenen Instruktion erklärte Dschordania nach zwei Wochen dem englischen General Miller:

„General Wakker ... war die erste Person, die die Sachlage in unserem Lande begriffen hat.“

Der General Miller selbst resümierte seine Uebereinkunft mit Dschordania in folgender Weise: „Wir haben gemeinsame Feinde – das sind die Deutschen und die Bolschewiki.“ Das alles zusammengenommen schuf die günstigsten Bedingungen für die „vollste Freiheit der Betätigung“ der Bolschewiki.

Am 18. Februar 1919 erteilt Wakker unter Nr. 99/6 der georgischen Regierung den Befehl:

„Alle Bolschewiki, die nach Georgien kommen, dürfen nur in dem Mzchet (Tifliser Gefängnis) eingeschlossen und müssen streng bewacht werden.“

Es handelt sich um die Bolschewiki, die vor Denikin Rettung suchten. Aber schon am 26. Februar schreibt Wakker unter Nr. 99/9:

„In Anbetracht des Gespräches, das ich mit Sr. Exzellenz. Herrn Dschordania, am 20. d. M. gehabt habe, bin ich zu dem Schluß gekommen, daß man künftig das Eindringen der Bolschewiki nach Georgien über die Grusinische Heerstraße verhindern muß.“

Die Einschließung der bolschewistischen Flüchtlinge in dem Mzchet rettete ihnen wenigstens für einige Zeit das Leben. Wakker „kam zu dem Schluß“, daß es besser ist, ihnen überhaupt den einzigen Rettungsweg abzuschneiden, indem man sie auf diese Weise in die Hände der Denikinschen Henker auslieferte. In einer von der Nachweisung der durch die Sowjetregierung begangenen Grausamkeiten und von frommen Kirchenübungen freien Minute sollte Arthur Henderson über diese Frage seine Meinung mit Forestier Wakker austauschen.

Die Angelegenheit beschränkte sich nicht auf Verhandlungen und Briefwechsel der Exzellenzen. Schon am 8. April wurden 42 Personen, unter denen sich auch die Sowjetkommissare der Terekrepublik, ihre Frauen und Kinder, Rotarmisten und andere Flüchtlinge befanden, von dem georgischen Posten bei der Festung Darial angehalten, und nach Schikanen, Vergewaltigungen und Schlägen unter der Leitung des Oberst Zeretelli jagte man sie wieder in das Territorium Denikins. Dschordania versuchte diese ganze harmlose Episode durch die persönliche Initiative des Oberst Zeretelli zu erklären. Der letztere erfüllte indessen nur das Geheimabkommen zwischen Dschordania und Wakker. Zwar ist in dem Dokument Nr. 99/9 nichts von Kolbenschlägen und Stockschlägen auf Brust und Kopf gesagt. Wie anders aber soll man die vor Müdigkeit und Angst wahnsinnigen Menschen vertreiben, die Rettung vor dem sicheren Untergang suchen? Der Oberst Zeretelli hat, wie man annehmen muß, sich nach den Worten seines berühmteren Namensvetters fest eingeprägt, daß „Schüchternheit und Unsicherheit der Demokratie“ im Kampf gegen den Bolschewismus geeignet sind, den Staat und die Nation zugrundezurichten.

Die georgische Republik hatte als Grundlage also von Anfang an den Schwur des Kampfes gegen den Kommunismus. Die Parteiführer und Regierungsmitglieder machten sich die „erbarmungslose Unterdrückung“ der Bolschewiki zur Programmaufgabe. Dieser Aufgabe waren die wichtigsten Staatsorgane untergeordnet: die Besondere Abteilung, die Volksgarde und die Miliz. Die deutschen und dann die englischen Offiziere – die wirklichen Herrscher Georgiens in dieser Periode – billigten vollständig diesen Teil des sozialdemokratischen Programms. Die kommunistischen Zeitungen wurden verboten, Versammlungen gesprengt und geschlossen, die von den Bolschewiki geführten revolutionären Dörfer verbrannt. Die Besondere Abteilung erschoß die Führer, der Mzchet wurde mit Kommunisten angefüllt, die flüchtigen Bolschewiki wurden Denikin ausgeliefert. Allein im Oktober 1919 wurden in Georgien, laut Erklärung seines Innenministers, über 30 Kommunisten erschossen. In allem übrigen genoß die Kommunistische Partei Georgiens, wie wir von dem glückseligen Kautsky wissen, „vollste Freiheit der Betätigung“.

Richtig ist, daß gerade während des Aufenthalts Kautskys in Tiflis die georgischen Kommunisten ihre legalen Organe hatten und eine gewisse – durchaus nicht die „vollste“ – Freiheit der Betätigung genossen. Es muß jedoch gleich hier hinzugefügt werden, daß dieses Interim nach der durch uns erfolgten Beseitigung Denikins durch die Macht des Sowjetultimatums errichtet worden war, das zum Friedensvertrag zwischen Sowjetrußland und Georgien vom 7. Mai 1920 führte. – Von Februar 1918 bis Juni 1920 hat die Georgische Kommunistische Partei das Kellerloch nicht verlassen ...

Folglich haben sich die Sowjets 1920 in die inneren Angelegenheiten der „Demokratie“ eingemischt, zudem in die einer „neutralen“?! O weh! O weh! Man kann es nicht leugnen. General v. Kreß verlangte, daß den georgischen Adeligen die Freiheit gegenrevolutionärer Betätigung gewährt werde. General Wakker verlangte, daß man die Kommunisten in den Mzchet setze oder sie mit Gewehrkolben der Gewalt Denikins ausliefere. Wir dagegen verlangten, indem wir Denikin schlugen und uns den Grenzen Georgiens näherten, daß den Kommunisten Betätigungsfreiheit gewährt werde, soweit sie nicht auf bewaffneten Aufstand gerichtet sei. Die Welt ist überhaupt sehr unvollkommen, Herr Henderson! Die menschewistische Regierung sah sich gezwungen, sich auf unsere Forderung einzulassen und hat nach ihrer eigenen offiziellen Erklärung auf einen Schlag aus den Gefängnissen annähernd 900 Bolschewisten entlassen. [2] Schließlich ist das nicht gar zu viel. Doch muß man immerhin die Statistik der Bevölkerung in Betracht ziehen. Wenn man im Hinblick auf die Gerechtigkeit – unsere Herzen sind auch nicht taub für Gerechtigkeit, o Mistreß Snowden! – die georgische Proportion (900 Verhaftete auf 2,5 Millionen Bevölkerung) auf die Sowjetföderation anwendet, so wird sich herausstellen, daß wir berechtigt sind, in die Gefängnisse der Sowjetrepubliken annähernd 45.000 Menschewiki einzusperren. Ich nehme an, daß wir in den akutesten und für die Revolution schwersten Perioden, die stets eine Zuspitzung der uns feindlichen Arbeit der Menschewiki hervorriefen, niemals auch nur ein Zehntel dieser sehr imposanten Zahl erreichten. Da sich aber innerhalb der Sowjetgrenzen überhaupt keine 45.000 Menschewiki zusammenfinden werden, so können wir die Garantie geben, daß unsere Praxis niemals jene Repressivnorm übersteigen wird, die von der Demokratie Dschordania-Zeretelli festgesetzt und von den Leuchten der Zweiten Internationale gebilligt worden ist.

Wir haben also im Mai – auf dem Wege des Bürgerkrieges – der georgischen Regierung die Legalisierung der Kommunistischen Partei abgezwungen. Die Erschossenen wurden nicht wieder zum Leben erweckt, aber die Verhafteten wurden befreit. Wenn die Demokratie ein wenig demokratischer wurde, so geschah dies, wie wir sehen, nur unter der Faust der proletarischen Diktatur. Die revolutionäre Faust als Waffe des Demokratismus – das ist ein prächtiges Thema für die nächste Sonntagspredigt des Herrn Henderson!

Bedeutet dies, daß von Mitte 1920 an die Politik Georgiens sich im Sinne einer Annäherung an die Bolschewiki verändert hat? Nicht im geringsten. Die menschewistische Regierung hat im Frühjahr 1920 eine harte Angstperiode durchgemacht und hat kapituliert. Als sie sich aber nicht ohne Staunen überzeugt hatte, daß die zum Schlage ausholende Faust nicht auf ihr Haupt herabsank, kam sie zu dem Schluß, daß sie die Gefahr überschätzt habe und begann auf der ganzen Linie zum Rückzug zu blasen.

Vor allem erneuerten sich die Repressalien gegen die Kommunisten. Unser diplomatischer Vertreter protestierte in einer Reihe von Noten, die durch ihre Eintönigkeit ermüden, gegen das Verbot von Zeitungen, Verhaftungen, Beschlagnahme von Partei vermögen usw. Diese Proteste hatten schon keine Wirkung mehr: die georgische Regierung biß in den Zaum, arbeitete mit Wrangel zusammen, rechnete auf Polen und beschleunigte dadurch die Lösung.

Noch einmal: wodurch eigentlich unterschied sich die menschewistische „Demokratie“ von der bolschewistischen Diktatur? Erstens dadurch, daß das menschewistische terroristische Regime, indem es viele Methoden der Bolschewiki kopierte, die Aufgabe hatte, die Stützen des Privatbesitzes und das Bündnis mit dem Imperialismus zu schützen. Die Sowjetdiktatur war und bleibt ein organisierter Kampf für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft im Bunde mit dem revolutionären Proletariat. Zweitens dadurch, daß die Sowjetdiktatur der Bolschewiki ihre Rechtfertigung aus ihrer historischen Mission und den Bedingungen ihrer Verwirklichung schöpft und offen vorgeht. Das menschewistische Regime des Terrorismus und der Demokratie dagegen ist ein geistloser Bastard von Grausamkeit und Scheinheiligkeit.

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Anmerkungen

1. Wir wollen hier nicht die Bauernaufstände in Georgien aufzählen. Ein kurzer Bericht über die Bewegung ist in dem Artikel des Genossen M. Zchakaja, Kommunistische Internationale, Nr. 18, S. 174 ff., gegeben.

2. Siehe die Note des georgischen Ministers des Auswärtigen vom 30. Juni 1920 unter Nr. 6171.


Zuletzt aktualisiert am 3. Juli 2019