Leo Trotzki

 

Europa und Amerika


Anhang 2

Aus dem Referat
Die internationale Lage

(3. Oktober 1918.)


Aus: Wie rüstete sich die Revolution, Bd.1, S.367.


England sah sich gezwungen, seine Armee aus nichts zu schaffen. Aus diesem Grunde gehörte der Erfolg der ganzen ersten Kriegsperiode Deutschland. Seine Kriegsindustrie, die strenge Kastenorganisation des deutschen Adels, die größere Disziplin und Intelligenz des deutschen Volkes – alles das schuf eine solche Kriegsmaschine, dass ihr die vereinigten Kräfte Frankreichs, Italiens, Russlands und der anderen kleineren Alliierten nicht gewachsen waren. Dann kamen, mit einer großen Verspätung, die Vereinigten Staaten von Nordamerika – ohne eine große Armee, aber mit einer gewaltigen Technik.

Zu dieser Zeit war der ungeheure Apparat des deutschen Imperialismus schon verbraucht, vor allem waren es die Arbeitskräfte und die Kriegsfabriken; andererseits wuchs die ökonomische und militärische Kraft Amerikas, während sich Europa zerfleischte. Im entscheidenden Augenblick richtete U.S.-Amerika seine militärische Macht gegen Deutschland. Warum geschah das? In den ersten drei Kriegsjahren stand Amerika abseits: der amerikanische Shylock versorgte Europa mit Geschützen und Zerstörungsmitteln, und erst als der deutsche unbeschränkte U-Boot-Krieg den amerikanischen Handel mit den Alliierten zu bedrohen anfing, forderte der amerikanische Shylock die Schaffung eines Binnenmarktes für den Absatz von Geschützen, Geschossen und Gewehren, die sich an der Küste Amerikas anhäuften, weil die Ausfuhr nach Europa durch die Deutschen gesperrt war. Das war der letzte, von der amerikanischen Diplomatie ausgenützte Anstoß, der Amerika in das Abenteuer warf, das war die Triebfeder für die ungeheure Rolle Amerikas in der Entwicklung des europäischen Krieges. In Deutschland herrschten allerdings die stupiden Junker, die oberflächlich genug waren, die Einmischung der Vereinigten Staaten in den Krieg zu begrüßen. Mit einem Schlage werden wir alle Feinde los werden – das heißt die Konkurrenten auf der ganzen Welt – sagten sie; aber die Rechnung stimmte nicht. Der riesige amerikanische Kriegsapparat verfügte über unerschöpfliche Vorräte, und das sahen nur jene, die sich über den Charakter der Ereignisse im klaren waren, sich den nüchternen Blick bewahrten und die historischen Vorgänge vom Gesichtspunkte des historischen Materialismus einschätzen. Jetzt, da wir Marxisten den zurückgelegten Weg überblicken und die Programme prüfen, die die Imperialisten, ihre Lakaien – die Demokraten und die Lakaien dieser Lakaien – die Scheidemann-Leute und Renaudel-Anhänger – entwickelten – jetzt sehen wir, dass diese vier Jahre nicht nur mit den Leichen der in diesem Kriege gefallenen ArbeiterInnen besät sind, sondern auch mit den Leichen der verschiedenen Programme, Pläne und Theorien.

 


Zuletzt aktualisiert am 21.7.2008