Leo Trotzki

 

Die Internationale Revolution und die Kommunistische Internationale

Dritter Teil: Die Ergebnisse und Perspektiven der chinesischen Revolution und ihre Lehren für die Länder des Ostens und die gesamte Komintern


6. Der Charakter der zukünftigen chinesischen Revolution

Die Parole der Diktatur des Proletariats, das die armen Bauern hinter sich herführt, ist unzertrennlich mit der Frage des sozialistischen Charakters der zukünftigen dritten Revolution in China verbunden. Doch da sich nicht nur die Geschichte wiederholt, sondern auch die Fehler, die man den geschichtlichen Forderungen entgegensetzt, so hören wir bereits die Entgegnung: China ist für eine sozialistische Revolution noch nicht reif. Doch das ist eine abstrakte, weltfremde Behandlung dieser Frage. War denn etwa Russland, isoliert betrachtet, reif für den Sozialismus? Nach Lenin war es das nicht. Es war reif für die Diktatur des Proletariats als der einzigen Methode der Lösung unaufschiebbarer, nationaler Probleme. Das allgemeine Schicksal der Diktatur im ganzen genommen aber wird letzten Endes durch den Gang der internationalen Entwicklung entschieden. Das schließt natürlich nicht aus, sondern setzt voraus eine richtige Politik der proletarischen Diktatur, eine Festigung des Bündnisses der Arbeiter und Bauern, eine allseitige Anpassung an die nationalen Bedingungen einerseits und an den Gang der internationalen Entwicklung andererseits. Das bezieht sich voll und ganz auch auf China. In demselben Artikel „Über unsere Revolution“ (16. Januar 1923), in welchem Lenin feststellt, dass die Eigenart Russlands dieselbe eigentümliche Entwicklungslinie wie die Länder des Ostens hat, nennt er den Einwand der europäischen Sozialdemokratie, dass wir „noch nicht reif für den Sozialismus sind“, und dass – wie es einige „gelehrte“ Herrschaften unter ihnen ausdrücken „bei uns die objektiven ökonomischen Voraussetzungen für den Sozialismus fehlen“: „unendlich schablonenhaft“. Doch nicht deshalb verhöhnt Lenin die „gelehrten Herrschaften“, weil er selbst etwa das Vorhandensein der ökonomischen Voraussetzungen für den Sozialismus in Russland vertritt, sondern weil aus dem Fehlen dieser Voraussetzungen für den selbständigen Aufbau des Sozialismus in keinem Falle hervorgeht, dass man, wie es die Pedanten und Philister geglaubt haben und noch heute glauben, auf die Machtergreifung verzichten soll. In diesem Artikel beantwortet Lenin zum hundertsten oder gar zum tausendsten Male die Sophismen der Helden der zweiten Internationale folgendermaßen:

„Diese unbestreitbare Feststellung (der Unreife Russlands für den Sozialismus) bildet nicht das entscheidende Moment bei der Einschätzung unserer Revolution.“(Lenin, a.a.O.)

Das ist es, was die Verfasser des Programmentwurfs nicht verstehen wollen und können. An sich ist natürlich die Feststellung der kulturellen und ökonomischen Unreife Chinas wie auch Russlands – Chinas natürlich mehr als Russlands – unbestreitbar. Doch daraus folgt ganz und gar nicht ein Verzicht auf die Machteroberung durch das Proletariat, wenn diese Eroberung durch die gesamte historische revolutionäre Situation des Landes diktiert wird.

Die konkret-historische, politische und aktuelle Frage läuft also nicht darauf hinaus, ob China ökonomisch reif ist für den „eigenen“ Sozialismus, sondern darauf, ob es politisch reif ist für die Diktatur des Proletariats. Diese zwei Fragen sind ganz und gar nicht identisch. Sie wären identisch gewesen, wenn das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung nicht existieren würde. Hier ist dies Gesetz, das sich auf das wechselseitige Verhältnis zwischen der Ökonomik und Politik erstreckt, vollkommen am Platze. Ist also China reif für die Diktatur des Proletariats? Eine klare Antwort kann auf diese Frage nur die Erfahrung des Kampfes geben. Ebenso kann die Frage, wann und unter welchen Bedingungen die wirkliche Vereinigung, Befreiung und Wiedergeburt Chinas vor sich gehen wird, nur im Kampfe gelöst werden. Derjenige aber, welcher behauptet, dass China für die Diktatur des Proletariats noch nicht reif sei, sagt damit, dass die dritte chinesische Revolution auf eine ganze Reihe von Jahren verschoben ist.

Die Sache wäre freilich ziemlich hoffnungslos, wenn, wie es in den Resolutionen des EKKI behauptet wurde, in der Ökonomik Chinas wirklich Überbleibsel des Feudalismus geherrscht hätten. Glücklicherweise können Überbleibsel überhaupt nicht herrschen. Der Programmentwurf verbessert auch in diesem Punkte nicht die begangenen Fehler, sondern befestigt diese in einer ausweichenden verschwommenen Form. Der Entwurf spricht von einem „Vorwiegen der feudal-mittelalterlichen Verhältnisse sowohl in der Ökonomik des Landes wie in seinem politischen Überbau ... Das ist von Grund auf falsch. Was bedeutet das vorwiegend? Bezieht sich das auf die Zahl der unter dieses Verhältnis fallenden Menschen oder auf die herrschende und führende Rolle dieser Verhältnisse in der Wirtschaft des Landes? Das ausschließlich schnelle Wachstum der Industrie im Innern auf der Grundlage der allumfassenden Rolle des Handels- und Bankkapitals, die völlige Abhängigkeit der hauptsächlichsten bäuerlichen Bezirke vom Markt, die ungeheure und noch immer wachsende Rolle des Außenhandels, die allseitige Unterordnung des chinesischen Dorfes unter die Stadt, das alles spricht von einem unbedingten Vorwiegen, von einer direkten Herrschaft kapitalistischer Verhältnisse in China. Gewiss sind Zustände halber Leibeigenschaft noch sehr stark vorhanden. Sie führen ihren Ursprung zum Teil noch auf die Zeiten des Feudalismus zurück, zum Teil sind das Neubildungen, d.h. Wiedergeburt des alten Zustandes auf dem Boden der Verzögerung der industriellen Entwicklung, des Überschusses der Landbevölkerung, der Tätigkeit des wucherischen Handelskapitals usw. Jedoch, es herrschen nicht die „feudalen“ (richtiger Leibeigenen- oder überhaupt vorkapitalistischen) Verhältnisse, sondern kapitalistische. Dank dieser herrschenden Rolle der kapitalistischen Verhältnisse kann man auch ernstlich von der Perspektive der proletarischen Hegemonie in der nationalen Revolution sprechen. Sonst hätte die Sache überhaupt weder Hand noch Fuß.

„Die Kraft des Proletariats in jedem beliebigen kapitalistischen Land ist unvergleichlich größer, als der Anteil der Proletarier an der Gesamtbevölkerung. Das kommt daher, dass das Proletariat Zentrum und Nerv des gesamten kapitalistischen Wirtschaftssystems ökonomisch beherrscht, ferner daher, dass es ökonomisch und politisch die wahren Interessen der überwiegenden Mehrheit der Arbeitenden unter dem Kapitalismus zum Ausdruck bringt. Daher ist das Proletariat, selbst wenn es eine Minderheit der Bevölkerung bildet (oder wenn der klassenbewusste und wirkliche revolutionäre Vortrupp eine Minderheit der Bevölkerung darstellt) imstande, sowohl die Bourgeoisie zu stürzen als auch hinterher zahlreiche Verbündete aus jener Masse der Halbproletarier und Kleinbürger zu gewinnen, die sich nie und nimmer im Voraus für die Herrschaft des Proletariats aussprechen, die Voraussetzungen und die Aufgaben dieser Herrschaft nicht verstehen und sich erst später aus eigener Erfahrung von der Unerlässlichkeit, Richtigkeit und Gesetzmäßigkeit der proletarischen Diktatur überzeugt.“ (Lenin, Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung ..., Dezember 1919, Lenin, Werke, Band 30, S.242-265, hier S.264)

Die Rolle des chinesischen Proletariats in der Produktion ist bereits heute schon sehr stark. In den nächsten Jahren kann sie nur weiter wachsen. Seine politische Rolle hätte, wie es die Ereignisse gezeigt haben, noch bedeutender sein können. Allein die gesamte Linie der Führung war vollständig gegen eine Eroberung der führenden Rolle durch das Proletariat gerichtet.

Der Programmentwurf spricht davon, dass eine erfolgreiche sozialistische Aufbauarbeit in China nur bei „einer direkten Unterstützung seitens der Länder der proletarischen Diktatur“ möglich sei. Somit gesteht man hier in bezug auf China dasselbe ein, was die Partei schon immer auch in bezug auf Russland anerkannt hatte. Doch wenn in China nicht genügende innere Kräfte für den selbständigen Aufbau der sozialistischen Gesellschaft vorhanden sind, so darf das chinesische Proletariat – gemäß der Theorie Stalin-Bucharin – auf keiner Etappe der Revolution die Macht ergreifen. Oder entscheidet die Tatsache des Bestehens der UdSSR im entgegengesetzten Sinne? Dann kommt heraus, dass unsere Technik für den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft nicht allein in der UdSSR, sondern auch in China, also in zwei wirtschaftlich besonders rückständigen großen Ländern mit einer Bevölkerung von 600 Millionen Menschen genügend ist. Oder ist vielleicht die – unabwendbare – Diktatur des Proletariats in China nur darum „zulässig“, weil diese Diktatur nicht allein zu einem Glied in der Kette der sozialistischen Weltrevolution, sondern auch zur treibenden Kraft derselben werden wird? Doch das ist ja gerade die Grundeinstellung Lenins in bezug auf die Oktoberrevolution, deren „Eigentümlichkeit“ gerade der Entwicklungslinie der Ostländer entspricht. Wir sehen somit, wie die revisionistische Theorie des Sozialismus in einem Lande, die im Jahre 1925 für den Kampf gegen den Trotzkismus geschaffen wurde, bei jedem neuen großen revolutionären Problem verwirrt und irreführt.

Der Programmentwurf geht auf diesem Wege noch weiter. Er stellt China und Indien gegenüber „das Russland vor 1917, Polen usw. (?)“ als Länder „mit einem bestimmten Minimum von Industrie, das für einen siegreichen sozialistischen Aufbau genügt“ oder (wie es noch bestimmter und darum auch noch falscher an einer anderen Stelle heißt), als eines Landes „mit den notwendigen und genügenden materiellen Voraussetzungen für den Aufbau eines vollendeten Sozialismus“. Das ist, wie wir bereits schon wissen, ein direktes Wortspiel mit dem Leninschen Ausdruck „notwendige und genügende“, ein falsches und ein unzulässiges Spiel, denn Lenin hatte genau die politischen und organisatorischen Voraussetzungen, einschließlich der technisch-kulturellen und der internationalen aufgezählt. Die Hauptsache ist aber: Wie kann man a priori ein „Minimum der Industrie“ bei stimmen, das für den Aufbau des vollständigen Sozialismus genügend sein soll, wenn es hier um den ununterbrochenen internationalen Kampf zweier Wirtschaftssysteme, zweier Gesellschaftsordnungen geht, wobei unsere Wirtschaftsbasis in diesem Kampf die ungleich schwächere ist?

Wenn man nur den Wirtschaftshebel für sich allein betrachtet, so ist es klar, dass wir uns, die UdSSR, und noch mehr China und Indien, auf dem viel kürzeren Arme desselben befinden als der internationale Kapitalismus. Doch die ganze Frage wird durch einen revolutionären Kampf zweier Systeme im Weltmaßstabe gelöst. In dem politischen Kampf befindet sich der längere Arm des Hebels auf unserer Seite, oder besser, bei einer richtigen Politik könnte und müsste er sich auf unserer Seite befinden.

In demselben Artikel „Über unsere Revolution“ bemerkt Lenin nach den Worten, dass „der Aufbau des Sozialismus ein bestimmtes Kulturniveau erfordert“ noch: „Obwohl niemand sagen kann, wie dieses bestimmte „Kulturniveau“ aussieht.“ Warum kann das niemand sagen? Weil diese Frage durch den Kampf, durch den Wettbewerb zweier Gesellschaftsordnungen und zweier Kulturen im internationalen Maßstab gelöst wird. Ganz im Gegensatz zu diesem Gedanken Lenins, der dem Wesen dieser Frage entsprungen ist, behauptet der Programmentwurf, dass in Russland vor 1917 gerade jenes „Minimum der Technik“ und also auch der Kultur vorhanden war, welches für den Aufbau des Sozialismus in einem Lande notwendig ist. Die Verfasser des Entwurfs versuchen in dem Programm das zu sagen, was a priori „niemand sagen kann“.

Es ist unzulässig, unmöglich und unsinnig, innerhalb der nationalen Statik („Russland vor 1917“) Kriterien eines ..genügenden Minimums“ zu suchen, wenn die gesamte Frage nur durch die internationale Dynamik gelöst werden kann. In diesem falschen, willkürlichen, isoliert nationalen Kriterium ruht auch die theoretische Grundlage der nationalen Beschränktheit in der Politik, welche die Voraussetzung für unausbleibliche national-reformistische und sozialpatriotische Verirrungen in der Zukunft bildet.

 

 

7. Die reaktionäre Theorie der „kombinierten Arbeiter- und Bauernparteien“ für die Länder des Ostens

Die Lehren der zweiten chinesischen Revolution – das sind Lehren für die gesamte Komintern, vor allem aber für die Länder des Ostens.

Alle Einwände, die man zur Verteidigung der menschewistischen Linie in der chinesischen Revolution vorbrachte, müssten, wenn man sie für bare Münze nehmen soll, in bezug auf Indien doppelt und dreifach richtig sein. Das imperialistische Joch enthält in Indien, diesem klassischen Kolonialland, ungleich fühlbarere und direktere Formen als in China. Die Überbleibsel der feudal-leibeigenen Verhältnisse sind in Indien viel tiefer und bedeutender. Nichtsdestoweniger – oder richtiger gerade deshalb – müssen die Methoden, die in China die Revolution abgewürgt haben, in Indien noch vernichtendere Folgen haben. Nur eine gigantische, unaufhaltsame Bewegung der Volksmassen, die gerade dank des Schwunges und der Unbezähmbarkeit ihrer internationalen Ziele und Verbindungen in ihrer Leitung nicht halbes und kompromisslerisch-opportunistisches dulden kann, kann die indische Leibeigenschaft, die anglo-indische Bürokratie und den englischen Militarismus stürzen.

Die Leitung der Komintern hat bis jetzt in Indien schon genügend Fehler gemacht. Die Bedingungen haben diese Fehler noch nicht in jenem Maßstabe sich auswirken lassen wie in China. Man könnte deshalb hoffen, dass die Lehren der chinesischen Ereignisse es gestatten werden, rechtzeitig die führende Linie der Politik in Indien und in anderen Ländern des Ostens zu berichtigen.

Das Zentralproblem ist für uns auch hier, wie stets, die Frage der Kommunistischen Partei, deren völlige Unabhängigkeit und deren unversöhnlicher Klassencharakter. Die größte Gefahr auf diesem Wege bildet die Schaffung der sogenannten „Arbeiter- und Bauernparteien“ in den Ländern des Ostens.

Im Jahre 1924, das als ein Jahr der offenen Revision einer Reihe grundsätzlicher Lehren von Marx und Lenin bezeichnet werden muss, wurde von Stalin die „Formel“ der kombinierten Arbeiter- und Bauernpartei für die Länder des Ostens hervorgebracht. Sie wurde ebenfalls mit derselben nationalen Unterjochung begründet, die im Osten ebenso zur Deckung des Opportunismus dienen muss, wie die „Stabilisierung“ im Westen. In der letzten Zeit können wir öfter telegraphische Mitteilungen aus Indien oder sogar aus Japan, wo es keine nationale Unterjochung gibt, lesen, die über das Auftreten provinzieller „Arbeiter- und Bauernparteien“, als von nahestehenden, der Komintern befreundeten, beinahe „eigenen“ Organisationen berichten, ohne aber irgend etwas konkretes über das politische Gesicht derselben zu sagen. Mit einem Worte ganz so, wie noch bis vor kurzem über die Kuomintang gesprochen und berichtet wurde.

Die Prawda teilte schon im Jahre 1924 mit:

„Es gibt Anzeichen für eine allmähliche, organisatorische Herausbildung einer nationalen Befreiungsbewegung in Korea, die die Form einer Arbeiter- und Bauernpartei annimmt.“ (Prawda vom 2. März 1924.)

Zur selben Zeit lehrte Stalin die Kommunisten des Ostens:

„Von der Politik der nationalen Einheitsfront müssen die Kommunisten ... zur Politik eines revolutionären Blocks zwischen den Arbeitern und der Kleinbourgeoisie übergehen. Dieser Block kann in solchen Ländern die Form einer Einheitspartei, einer Arbeiter- und Bauernpartei annehmen, etwa nach Art der Kuomintang.“ (Stalin: Fragen des Leninismus, 1928, S.264.)

Die dann folgenden „Ausflüchte“ über die Selbständigkeit der Kommunistischen Partei – offenbar nach dem Vorbild der „Selbständigkeit“ des Propheten Jonas im Bauche des Walfisches – sollte nur zu einer Maskierung dienen. Nach unserer tiefen Überzeugung muss der 6. Kongress sagen, dass selbst der geringste Doppelsinn in dieser Beziehung vernichtend sein kann und deshalb nicht zugelassen werden darf. Hier geht es um eine völlig neue, ganz falsche und vollständig antimarxistische Einstellung in einer grundsätzlichen Frage über die Partei und deren Verhältnis von Klasse zu Klasse.

Die Notwendigkeit des Eintritts der Kommunistischen Partei in die Kuomintang wurde damit verteidigt, dass die Kuomintang ihrer sozialen Zusammensetzung nach eine Partei der Arbeiter und Bauern sei, und dass neun Zehntel der Kuomintang – diese Zahl wurde Hunderte Male wiederholt – zur revolutionären Richtung gehöre und bereit sei, Hand in Hand mit der Kommunistischen Partei zu gehen. Allein, sowohl während wie auch nach den Umstürzen in Schanghai und Wuhan, waren diese revolutionären neun Zehntel wie weggeblasen. Niemand hat eine Spur von ihnen entdeckt. Auch die Theoretiker der chinesischen Zusammenarbeit der Klassen, Stalin-Bucharin und andere, haben sich nicht einmal der Mühe unterzogen, zu erklären, wohin die neun Zehntel revolutionären, freundschaftlichen, ganz „ihre“ Arbeiter und Bauern der Kuomintang auf einmal hingeraten sind. Indessen hat die Antwort auf diese Frage eine entscheidende Bedeutung für das Verstehen des zukünftigen Schicksals aller dieser von Stalin Propagierten „gemeinsamen“ Parteien, nämlich um uns die Idee derselben, die uns nicht allein weit hinter das Programm der russischen KP von 1919, sondern auch hinter das Kommunistische Manifest von 1847 zurückwirft, selbst klarmachen zu können.

Die Frage, wohin diese berüchtigten neun Zehntel verschwunden sind, wird uns nur in folgenden Fällen klar. Erstens, dass eine doppelt zusammengesetzte, also eine Zweiklassenpartei, die zu gleicher Zeit zwei sich gegenseitig ausschließende Linien – die proletarische und kleinbürgerliche – in sich vereinigen soll, unmöglich existieren kann. Zweitens, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft die Verwirklichung einer selbständigen Bauernpartei, also einer Partei, die die Interessen der Bauern vertritt und gleichzeitig aber sowohl vom Proletariat wie von der Bourgeoisie unabhängig ist, unmöglich ist.

Der Marxismus hat stets gelehrt und der Bolschewismus hat das übernommen, dass die Bauernschaft und das Proletariat zwei verschiedene Klassen sind, dass jede Identifizierung der Interessen derselben in der kapitalistischen Gesellschaft eine Lüge ist, und dass der Bauer in die Kommunistische Partei nur dann hineingehen kann, wenn er von seinem Eigentümerstandpunkt zum Standpunkt des Proletariats übergeht. Ein Bündnis der Arbeiter und Bauern unter der Diktatur des Proletariats hebt diese Grundlage nicht auf, sondern bestätigt sie in einer anderen Umgebung und mit anderen Mitteln. Wenn es nicht verschiedene Klassen, mit verschiedenen Interessen geben würde, so könnte auch keine Rede von einem Bündnis sein. Dieses Bündnis ist nur insoweit mit der sozialistischen Revolution vereinbar, wie es in dem eisernen Rahmen der Diktatur des Proletariats besteht. Die Diktatur ist bei uns gerade deshalb unvereinbar mit der Existenz eines sogenannten Bauernbundes. weil jede „selbständige“ Bauernorganisation. die auf allgemein nationale Aufgaben Anspruch erhebt, unfehlbar zu einer Waffe in der Hand der Bourgeoisie werden muss.

Jene Organisationen, die sich in den kapitalistischen Ländern Bauernparteien nennen, bilden in Wirklichkeit nur Abarten von bürgerlichen Parteien. Ein Bauer, der sich noch nicht von dem Eigentümerstandpunkt losgelöst hat und zum Standpunkt eines Proletariers gelangt ist, wird unfehlbar in den Grundfragen hinter der Politik der Bourgeoisie einher laufen. Es ist selbstverständlich, dass jede bürgerliche Partei, die sich auf die Bauern und nach Möglichkeit auch auf die Arbeiter stützt oder stützen will, gezwungen ist, wie ein Chamäleon in verschiedenen Farben zu schillern. Die berüchtigte Theorie der „Arbeiter- und Bauern-Parteien“ ist gleichsam speziell für eine Maskierung der bürgerlichen Parteien, welche gezwungen sind, die Unterstützung der Bauern zu suchen und gleichzeitig auch bereit sind, Arbeiter in ihren Reihen zu zersetzen, geschaffen worden. Die Kuomintang bleibt von nun ab für immer als ein klassischer Typus einer solchen Partei in der Geschichte bestehen.

Bekanntlich ist die bürgerliche Gesellschaft so aufgebaut, dass sich die unzufriedenen und betrogenen Massen unten befinden, die zufriedenen Betrüger aber – oben. Nach demselben Prinzip ist auch jede bürgerliche Partei aufgebaut, wenn sie eine wirkliche Partei ist, d.h. also in einigermaßen bedeutendem Umfange die Massen umfasst. Ausbeuter, Betrüger und Gewaltmenschen bilden in einer Klassengesellschaft die Minderheit. Deshalb ist jede kapitalistische Partei gezwungen, in ihrer inneren Struktur, so oder anders, die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft im Ganzen widerzuspiegeln und zu reproduzieren. Deshalb sind auch in jeder bürgerlichen Massenpartei die Tiefen demokratischer, „linker“ als die Spitzen. Das bezieht sich auf die deutsche Zentrumspartei, auf die französischen Radikalen und noch mehr auf die Sozialdemokratie. Darum waren auch die ständigen Klagen Stalins, Bucharins und anderer darüber, dass die „linken“ Tiefen der Kuomintang, die „erdrückende Mehrheit“, die „Neunzehntel“ usw. usw., keinen Ausdruck durch die Spitzen finden, ganz unverzeihlich naiv. Das, was in diesen kuriosen Jeremiaden als vorübergehendes, ärgerliches Missverständnis dargestellt wird und durch organisatorische Maßnahmen, Instruktionen, Rundschreiben beseitigt werden soll, bildet in Wirklichkeit einen prinzipiellen grundsätzlichen Zug der bürgerlichen Parteien, besonders in einer revolutionären Epoche.

Auch das Hauptargument der Verfasser des Programmentwurfs zur Verteidigung des opportunistischen Blocks in England und in China muss unter diesem Gesichtspunkte gewertet werden. Nach ihren Worten wird die Verbrüderung mit den Spitzen ausschließlich im Interesse der Tiefen vorgenommen. Bekanntlich hatte die Opposition den Austritt aus der Kuomintang gefordert.

„Es fragt sich – spricht Bucharin – warum? Deshalb, weil an der Spitze die Führer der Kuomintang schwanken (?) Und die Masse der Kuomintang, ist das etwa ‚schnuppe‘? Seit wann wird die Einstellung zu einer Massenorganisation dadurch bestimmt, was in ihrer ‚allerhöchsten‘ Spitze geschieht?“ (Die Lage der chinesischen Revolution, Kommunistische Internationale, Nr.28, 12.7.1927, S.1344-1351, hier S.1350)

Schon die Möglichkeit eines solchen Arguments sollte in einer revolutionären Partei unwahrscheinlich sein .“Und die Massen der Kuomintang,“ fragte Bucharin, „ist das eine Herde?“ Gewiss ist das eine Herde. Die Masse ist in einer bürgerlichen Partei, wenn auch in verschiedenem Grade, stets eine Herde. Aber ist für uns die Masse nicht eine Herde? Gewiss nicht, doch gerade deshalb dürfen wir diese Masse nicht zur Bourgeoisie hinstoßen, indem wir die Bourgeoisie durch den Namen einer Arbeiter- und Bauernpartei decken. Gerade darum dürfen wir nicht eine proletarische Partei der bürgerlichen unterordnen, sondern müssen im Gegenteil bei jedem Schritt, die eine der anderen gegenüberstellen. Jene hohe „Spitze“ der Kuomintang, von der Bucharin ironisch wie von etwas Nebensächlichem, Angenommenem, Vorübergehendem spricht, ist in Wirklichkeit die Seele der Kuomintang, der soziale Inhalt derselben. Gewiss ist die Bourgeoisie nur die „Spitze“ in der Partei wie in der Gesellschaft. Doch diese Spitze ist stark durch das Kapital, das Wissen, die Verbindungen, durch die ständige Möglichkeit, sich auf die Imperialisten zu stützen und, was die Hauptsache ist, durch ihre tatsächliche Staats- und Militärgewalt, die unmittelbar mit der Führung der Kuomintang verschmolzen ist. Gerade diese Spitze verfasste die Gesetze gegen die Streiks, drosselte das Auftreten der Bauern, stieß die Kommunisten in die hinterste Ecke zurück, erlaubte ihnen im besten Falle nur, ein Drittel der Partei darzustellen und forderte von ihnen den Schwur, dass der kleinbürgerliche Sunyatsenismus über dem Marxismus stehe. Die Tiefen zogen sich zu dieser Spitze hin, indem sie ihr in einer Reihe mit Moskau als ein Schutzwall von „links“ dienten, genau so wie die Generäle, Kompradoren, Imperialisten ihr als ein Schutzwall von rechts dienten. Wenn man die Kuomintang nicht als eine bürgerliche Partei, sondern als eine neutrale Kampfarena, in der man um die Massen ringt, betrachtet, wenn man mit den Neunzehnteln der linken Tiefen auftrumpft, um die Frage, wer der Herr im Hause ist, zu maskieren, so bedeutet das, dass man die Stärke und die Macht der Spitze befestigt, ihr immer breitere Massen in „Herden“ verwandeln und unter für sie günstigeren Bedingungen den Schanghaier Umsturz vorbereiten hilft. Stalin und Bucharin bildeten sich, indem sie sich an die reaktionäre Idee einer kombinierten Partei klammerten, ein, dass die Kommunisten zusammen mit den „Linken“, die Mehrheit in der Kuomintang und somit die Gewalt im Lande, die sich in China in den Händen der Kuomintang befindet, erobern werden. Mit einem Worte, sie haben sich eingebildet, dass man durch einfache Neuwahl auf den Parteitagen der Kuomintang die Macht aus den Händen der Bourgeoisie in die Hände des Proletariats überführen kann. Kann man sich denn eine rührendere, idealistischere Anbetung der „Parteidemokratie“ in einer bürgerlichen Partei vorstellen? Die Armee, die Bürokratie, die Presse, das Kapital befinden sich doch in den Händen der Bourgeoisie. Deshalb und nur deshalb hat sie ja das Steuer der regierenden Partei in der Hand. Die bürgerliche „Spitze“ duldet und duldete die „Neunzehntel“ Linken – und was für eine Sorte von Linken – nur, soweit diese weder auf die Armee, die Bürokratie, die Presse, noch auf das Kapital Ansprüche erhoben. Mit diesen Machtmitteln hält die bürgerliche Spitze nicht allein die sogenannten Neunzehntel „linker“ Mitglieder der Partei in Schach, sondern auch die Volksmassen als Ganzes. Und die Theorie des Blocks der Klassen, die Theorie der Kuomintang als einer Arbeiter- und Bauernpartei, unterstützt dabei die Bourgeoisie aufs beste. Sobald aber die Bourgeoisie später wirklich mit feindlichen Massen zusammenstieß und sie niederkartätschte, da hat man bei diesem Zusammenstoß der beiden wirklichen Kräfte – der Bourgeoisie und dem Proletariat – nicht einmal einen Ton von den berühmten Neunzehnteln verlauten hören. Die armselige demokratische Fiktion muss vor der blutigen Wirklichkeit des Klassenkampfes spurlos verschwinden.

Das ist die wirkliche und einzig mögliche politische Mechanik der „gemeinsamen Arbeiter- und Bauernparteien des Ostens“. Eine andere gibt es nicht und kann es nicht geben.


Obwohl die Theorie der gemeinsamen Parteien mit der nationalen Unterjochung, die angeblich die Klassenlehre von Marx aufhebt, begründet wird, wissen wir dennoch bereits von „Arbeiter- und Bauern“-Mischlingen in Japan, wo es gar keine nationale Unterjochung gibt. Ja noch mehr, die Sache beschränkt sich überhaupt nicht auf den Osten allein. Die „Kombinations“-Theorie versucht international zu werden. Am stärksten ist der karikaturistische Charakter auf diesem Gebiete bisher bei dem bereits erwähnten Versuche der amerikanischen Kommunistischen Partei, die Präsidentschaftskandidatur des bürgerlichen „Antitrust“-Senators LaFollette zu unterstützen, um auf diese Weise die amerikanischen Farmer zur sozialen Revolution heranziehen, zum Ausdruck gekommen. Der Manövertheoretiker Pepper, einer von jenen, die die ungarische Revolution zugrunde gerichtet haben, ohne die ungarische Bauernschaft bemerkt zu haben, hat nun in Amerika – offenbar als eine Kompensation dafür – einen breiten Versuch unternommen, die amerikanische Kommunistische Partei zugrunde zu richten, indem er sie im Farmertum auflöste. Die Theorie Peppers bestand darin, dass der überschüssige Gewinn des amerikanischen Kapitalismus das amerikanische Proletariat zu einer internationalen Arbeiteraristokratie verwandle, während die Agrarkrise das Farmertum zugrunde richte und es auf den Weg der sozialistischen Revolution stoße. Nach dem Gedankengang Peppers sollte sich die aus einigen tausend Mitgliedern – hauptsächlich Emigranten – bestehende Partei mit Hilfe der bürgerlichen Partei mit dem Farmertum zusammenschließen, eine „gemeinsame“ Partei bilden und so bei der Passivität oder Neutralität des durch den überflüssigen Gewinn entarteten Proletariats die sozialistische Revolution sichern. Diese Fieberidee hat Anhänger und Sympathisierende bis in die Spitzen der Komintern gehabt. Die Waage schwankte im Laufe mehrerer Wochen von einer Seite zur anderen bis man endlich dem Alphabet des Marxismus eine Konzession machte. (Hinter den Kulissen wurde gesagt: den Vorurteilen des Trotzkismus.) Man war gezwungen, die vom rechten Wege abgekommene amerikanische Kommunistische Partei an den Haaren wieder von der Partei La Follettes, welche noch früher gestorben ist als ihr Begründer, wegzuziehen.

Das, was der neue Revisionismus für den Osten erfindet, wird später nach dem Westen getragen. Wenn Pepper versucht hatte, die Geschichte mit Hilfe einer kombinierten Partei voranzutreiben, so sprechen die letzten Nachrichten davon, dass das Kuomintang-Experiment bereits Nachahmer in Italien gefunden hat, wo man unserer Partei die ungeheure Losung einer „republikanischen Vereinigung“ auf der Grundlage (?) von Arbeiter- und Bauernkomitees aufzuzwingen versucht. In dieser Losung umarmt sich der Geist Tschiang Kai-scheks mit dem Geiste Hilferdings.


Zum Schluss bleibt uns nur noch übrig, daran zu erinnern, dass die Theorie einer „Arbeiter- und Bauernpartei“ den gesamten Kampf des Bolschewismus gegen die Narodniki aus der Geschichte des Bolschewismus streichen würde, ohne den es überhaupt keine bolschewistische Partei gegeben hätte. Worin bestand der Sinn dieses historischen Kampfes. Lenin schrieb im Jahre 1909 über die Sozialrevolutionäre folgendermaßen:

„Die Grundidee ihres Programms bestand keineswegs darin, dass es eines ‚Bündnisses der Kräfte‘ des Proletariats und der Bauernschaft bedürfe, sondern darin, dass es keine Klassenkluft zwischen diesem und jenem gäbe, dass es nicht nötig sei, eine Klassengrenze zwischen ihnen zu ziehen, dass die sozialdemokratische Idee vom kleinbürgerlichen Charakter der Bauernschaft im Unterschied zum Proletariat prinzipiell falsch sei.“ (Wie die Sozialrevolutionäre aus der Revolution Bilanz ziehen und wie die Revolution den Sozialrevolutionären Bilanz zog, 20. Januar 1909, Lenin, Werke, Band 15, S.328-343, hier S.329)

Mit anderen Worten: Die gemeinsame Arbeiter-Bauernpartei ist und ein Hauptgedanke der russischen Narodniki. Nur im Kampfe gegen diese Theorie konnte in dem bürgerlichen Russland die Partei der proletarischen Avantgarde aufwachsen. Lenin wiederholte in der Epoche der Revolution des Jahres 1905 hartnäckig und unermüdlich:

„... sich der Bauernschaft gegenüber misstrauisch zu verhalten, sich von ihm gesondert organisieren, zum Kampf gegen sie bereit seirinsofern diese Bauernschaft reaktionär oder antiproletarisch auftritt.“ (Proletariat und Bauernschaft, März 1905, Lenin, Werke Band 8, S.222-227, hier S.225, Hervorhebung von L.T.)

Im Jahre 1906 schreibt Lenin:

„Der dritte und letzte Ratschlag: Schafft eure eigenen Organisationen, Proletarier und Halbproletarier in Stadt und Land. Traut keinen Eigentümern, seien es auch kleine, seien es auch ‚werktätige‘ ... Wir unterstützen die Bauernbewegung bis zum Ende, aber wir dürfen nicht vergessen, dass das die Bewegung einer anderen Klasse ist, nicht derjenigen, die die sozialistische Umwälzung vollziehen kann und vollziehen wird.“ (Die Revision des Agrarprogramms der Arbeiterpartei, März 1906, Lenin, Werke, Band 10, S.161-189, hier S.184f.)

Dieser Gedanke durchläuft Hunderte kleinerer und größerer Arbeiten Lenins. So setzt er im Jahre 1908 auseinander:

„Die ‚Koalition von Proletariats und Bauernschaft‘ darf, nebenbei bemerkt, keinesfalls als Verschmelzung verschiedener Klassen oder als Verschmelzung der Parteien des Proletariats und der Bauernschaft aufgefasst werden. Nicht nur eine Verschmelzung, sondern jedes auf längere Sicht getroffene Abkommen würde für die sozialistische Partei der Arbeiterklasse verderblich sein und den revolutionär-demokratischen Kampf schwächen.“ (Zur Einschätzung der Russischen Revolution, April 1908, Lenin, Werke Band 15, S.39-52, hier S.46f., die ersten beiden Hervorhebungen von L.T.)

Kann man noch schärfer, schonungsloser, vernichtender selbst den Gedanken an eine Arbeiter- und Bauernpartei verurteilen? Stalin lehrt dagegen:

„Dieser (revolutionäre antiimperialistische) Block kann – was aber nicht immer (!) der Fall zu sein braucht – die Form einer einheitlichen Arbeiter- und Bauernpartei annehmen, die formell (?) durch eine gemeinsame Plattform zusammengehalten wird.“ [Stalin: Die Fragen des Leninismus, Stalin, Werke, Band 7, S.115-131, hier S.128]

Lenin lehrte, dass das Bündnis der Arbeiter und Bauern niemals und in keinem Falle zu einer Vereinigung der Parteien führen darf. Stalin macht aber Lenin nur die einzige Konzession: Obwohl der Block der Klassen nach Stalin „die Form einer gemeinsamen Partei, der Partei der Arbeiter und Bauern wie in der Kuomintang“ annehmen kann, – dies doch nicht unbedingt immer der Fall sein müsse. Hab’ Dank auch dafür!

Lenin stellt diese Frage mit derselben Unversöhnlichkeit auch zur Zeit der Oktoberrevolution. Indem Lenin die Erfahrungen der drei russischen Revolutionen verwertet, unterlässt er auch seit 1918 keine Gelegenheit zu wiederholen, dass in einer Gesellschaft mit vorwiegend kapitalistischen Verhältnissen, nur zwei Kräfte entscheidend sind: Die Bourgeoisie und das Proletariat, dass:

„... der Bauer, wenn er nicht den Arbeitern folgt, der Bourgeoisie folgt. Einen Mittelweg gibt es nicht und kann es nicht geben.“ (Rede über den Volksbetrug mit den Losungen Freiheit und Gleichheit, 19. Mai 1919, Lenin, Werke, Band 29, S.327-365, hier S.358)

Indessen bildet die „Arbeiter- und Bauernpartei“ aber gerade den Versuch einen solchen Mittelweg zu schaffen.

Wenn sich die Avantgarde der russischen Arbeiterklasse nicht der Bauernschaft entgegengestellt hätte, wenn sie nicht einen ständigen, rücksichtslosen Kampf gegen die aufsaugende kleinbürgerliche Verschwommenheit des letzteren geführt hätte, so hätte sie sich selbst in dem kleinbürgerlichen Milieu zersetzt. Gerade mit Hilfe der Sozialrevolutionäre oder irgendwelchen anderen gemeinsamen Parteien, die sie unfehlbar der bürgerlichen Führung unterworfen hätte. Um zu einem revolutionären Bündnis mit der Bauernschaft zu kommen –, das kommt doch nicht von ungefähr –, muss man vorher die proletarische Avantgarde und somit auch die Arbeiterklasse als Ganzes von den kleinbürgerlichen Volksmassen loslösen, was wiederum nur mit Hilfe der Erziehung der proletarischen Partei im Geiste einer abgehärteten Klassenunversöhnlichkeit geschehen kann.

Je jünger das Proletariat ist, je frischer und unmittelbarer dessen „verwandtschaftliche“ Beziehungen zur Bauernschaft sind und einen je größeren Teil der Bevölkerung die Bauernschaft bildet, desto stärkere Bedeutung bekommt der Kampf gegen jegliche Art „Parteikombination“ als politische Alchimie. Für den Westen ist die Theorie einer Arbeiter- und Bauernpartei einfach lächerlich. Für den Osten ist sie verderbenbringend. In China, Indien, Japan ist diese Theorie ein Todfeind nicht allein der Hegemonie des Proletariats während der Revolution, sondern auch der elementarsten Selbständigkeit der proletarischen Avantgarde. Eine Arbeiter- und Bauernpartei kann nur eine Basis, eine Kulisse, ein Sprungbrett für die Bourgeoisie sein.

Es ist nur fatal, dass der heutige Revisionismus in dieser für den gesamten Osten grundsätzlichen Frage nur die Fehler des alten vorrevolutionären sozialdemokratischen Opportunismus wiederholt. Die Mehrzahl der Führer der europäischen Sozialdemokratie hielt den Kampf unserer Partei gegen die Sozialrevolutionäre für einen Fehler und empfahl beständig den Zusammenschluss beider Parteien, da sie für den russischen „Osten“ eine gemeinsame Arbeiter- und Bauernpartei am geeignetsten hielt. Wenn wir auf ihre Ratschläge gehört hätten, so hätten wir niemals weder das Bündnis der Arbeiter und Bauern, noch die Diktatur des Proletariats verwirklicht. Die „einheitliche“ Arbeiter- und Bauernpartei der Sozialrevolutionäre wurde und musste bei uns zu einer Agentur der imperialistischen Bourgeoisie werden. Das heißt, sie versuchte erfolglos dieselbe historische Rolle zu spielen, die anders, „eigentümlich“, auf chinesische Weise, Dank der Hilfe der Revisionisten des Bolschewismus, mit Erfolg die Kuomintang vollbracht hat. Ohne eine rücksichtslose Verurteilung der Theorie der Arbeiter- und Bauernpartei, selbst für den Osten, gibt es und kann es kein Programm der Komintern geben.

 

 

8. Was hat die Bauerninternationale gebracht?

Eine der hauptsächlichsten, wenn nicht die hauptsächlichste Beschuldigung, die gegen die Opposition erhoben wurde, war die Beschuldigung der „Unterschätzung“ der Bauernschaft. Das Leben hat auch hierbei, in der inneren wie in der internationalen Linie, die Probe angestellt. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich die offizielle Führung auf der ganzen Linie der Unterschätzung der Rolle und der Bedeutung des Proletariats in bezug auf die Bauernschaft schuldig gemacht hat. Hier kann man die größten Fehler und Abweichungen in der wirtschaftlichen, politischen und internationalen Linie feststellen.

Den inneren Fehlern seit 1923 liegt die Unterschätzung der Bedeutung der vom Proletariat geleiteten Staatsindustrie für die gesamte Volkswirtschaft und für den Zusammenschluss mit der Bauernschaft zugrunde. In China wird die Revolution durch das Nichtverstehen der führenden und entscheidenden Rolle des Proletariats in bezug auf die Bauernschaft zugrunde gerichtet.

Man muss von diesem Standpunkt aus die gesamte Arbeit der Bauerninternationale, die von Anfang an nur einen Versuch darstellen sollte, der die höchste Vorsicht und prinzipielle Festigkeit erforderte, überprüfen und bewerten. Es ist auch nicht schwer, zu verstehen warum.

Die Bauernschaft ist seiner ganzen Geschichte und seinen Lebensbedingungen nach von allen Klassen die am wenigsten internationale. Das, was man unter nationaler Eigenart versteht, hat gerade die Bauernschaft zu seiner Hauptquelle. Die Bauernschaft, und zwar nur dessen halbproletarische Massen, die Armut, auf den internationalen Weg zu führen, das kann nur unter der Führung des Proletariats geschehen. Jeder Umweg muss da zu einem Spiel mit den Klassen führen, wobei ein solches Spiel stets auf Kosten des Proletariats vor sich geht. Nur insoweit die nationale Bauernschaft durch das nationale Proletariat von dem Einfluss der nationalen Bourgeoisie losgerissen wird und sich daran gewöhnt, in dem Proletariat nicht nur seinen Bundesgenossen, sondern auch seinen Führer zu erblicken, kann es zur internationalen Politik herangezogen werden. Der Versuch eines selbständigen Zusammenschlusses der Bauernschaft verschiedener Länder zu einer internationalen Organisation über den Kopf des Proletariats und der nationalen kommunistischen Parteien hinweg aber ist von vornherein zum Scheitern verurteilt und kann letzten Endes nur den Kampf des nationalen Proletariats um den Einfluss auf die Landarbeiter und die armen Bauern schädigen.

Die Bauernschaft in ihren verschiedenen Schichten hatte bei bürgerlichen Revolutionen ebenso wie bei Konterrevolutionen, angefangen mit den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts und früher, stets eine große, manchmal eine entscheidende Rolle gespielt, aber diese Rolle ist niemals eine selbständige gewesen. Direkt oder indirekt hat die Bauernschaft stets die eine politische Kraft gegen die andere unterstützt. Es selbst hat nie eine selbständige Kraft, die sich allgemeine politische Aufgaben gestellt hätte, gebildet. Zur Zeit des Finanzkapitals haben sich die Pole der kapitalistischen Gesellschaft im Vergleich mit den vorhergehenden Stadien der kapitalistischen Entwicklung weit stärker herausgebildet. Das bedeutet, dass das spezifische Gewicht der Bauernschaft nicht gestiegen ist, sondern sich vermindert hat. Jedenfalls ist die Bauernschaft in der Epoche des Imperialismus noch weit weniger zu einer selbständigen politischen Linie, selbst im nationalen, geschweige denn im internationalen Maßstabe, fähig, als es in der Epoche des Industriekapitalismus der Fall gewesen ist. Das Farmertum in den USA z.B. ist gegenwärtig ungleich weniger zu einer selbständigen politischen Rolle befähigt, als es vor 45 Jahren war, wo es, wie der Versuch der Populistenbewegung beweist, nicht vermochte, eine selbständige nationale Partei zu schaffen.

Die vorübergehende, doch scharfe Agrarisierung Europas, als Ergebnis des durch den Krieg hervorgerufenen wirtschaftlichen Niederganges, hatte die Illusion einer verhältnismäßigen Möglichkeit der Bildung besonderer „Bauernparteien“, d.h. also bürgerlicher, pseudobäuerlicher Parteien geschaffen, die demagogisch den Parteien der Bourgeoisie entgegengestellt wurden. Wenn der Versuch mit der Bauerninternationale in der Periode der stürmischen Bauernbewegungen der Nachkriegsjahre vielleicht noch riskiert werden konnte, um durch eigene Erfahrungen das neue Verhältnis zwischen dem Proletariat, der Bauernschaft und der Bourgeoisie herauszufühlen, so ist es jetzt endlich Zeit, aus den fünfjährigen Erfahrungen der Bauerninternationale das Fazit zu ziehen, das grausame Minus derselben aufzudecken und das Plus aufzuzeigen.

Eine Folgerung daraus steht auf jeden Fall fest. Der Versuch der „Bauern-Parteien“ in Bulgarien, Polen, Rumänien, Jugoslawien, also der Versuch in lauter rückständigen Ländern, der alte Versuch unserer Sozialrevolutionäre wie der frische Versuch (das Blut ist noch nicht geronnen) der Kuomintang, die episodischen Versuche in fortschrittlichen kapitalistischen Ländern, besonders der La Follette-Pepper in den USA, bezeugen einheitlich, dass es in der Epoche des kapitalistischen Niedergangs noch viel weniger Grund gibt, die Entstehung selbständiger revolutionärer, antibürgerlicher, bäuerlicher Parteien zu erwarten, als es in der Epoche des kapitalistischen Aufstiegs der Fall war.

„Unter den geschichtlichen Bedingungen dieser Epoche kann die Stadt nicht dem Lande, das Land nicht der Stadt gleich sein. Es ist unvermeidlich, dass die Stadt das flache Land führt, dieses aber der Stadt folgt. Die Frage ist nur die, welche Klasse von den ‚städtischen‘ Klassen das Land zu führen, diese Aufgabe zu bewältigen vermag ...“ (Die Wahlen zur konstituierenden Versammlung und die Diktatur des Proletariats, 16.12.1919, Lenin, Werke Band 30, S.242-265, S.246f.)

Die Bauernschaft wird in den Revolutionen des Ostens noch eine entscheidende Rolle spielen. Doch diese Rolle wird wiederum weder eine führende noch eine selbständige sein. Die arme Bauernschaft Hupehs, Kwantungs oder Bengalens kann noch eine Rolle nicht nur in nationalem, sondern in internationalem Maßstab spielen, aber nur unter der Bedingung, dass es die Arbeiterschaft von Schanghai, Hankau und Kalkutta unterstützen wird. Das ist der einzige Ausweg für den revolutionären Bauer auf dem internationalen Weg. Ein Versuch, den Bauer von Hupen mit dem von Galizien oder der Dobrudscha, den ägyptischen Fellachen mit dem westamerikanischen Farmer zu vereinigen, ist hoffnungslos.

Die Politik ist von Natur aus so gestaltet, dass alles, was in derselben nicht ihrem direkten Ziele dient, unweigerlich zur Waffe für andere oft direkt entgegengesetzte Ziele werden muss. Sprechen denn etwa solche Beispiele, wonach eine bürgerliche Partei, die sich auf die Bauern stützt oder doch sich auf sie zu stützen bestrebt ist, direkt interessiert ist, sich für eine kürzere oder längere Frist in der Bauerninternationale – wenn es in der Komintern nicht gehen sollte – gegen die Schläge der Kommunistischen Partei ihres Landes zu sichern, so wie sich Purcell auf gewerkschaftlichen Gebiet seinerzeit im Anglo-Russischen Komitee versichert hatte, keine deutliche Sprache? Wenn nicht auch La Follette nach einer Aufnahme in die Bauerninternationale gestrebt hatte, so deshalb, weil die amerikanische Kommunistische Partei außerordentlich schwach war und ihr damaliger Führer – derselbe Pepper – sich auch ohnedies ganz ungebeten und uneigennützig in die Arme La Poliertes stürzte. Raditsch dagegen, der Bourgeoisführer der kroatischen Kulaken, sah sich bereits genötigt, auf dem Wege zum Ministersessel seine Visitenkarte bei der Bauerninternationale abzugeben. Die Kuomintang ist noch weitergegangen. Nachdem sie sich einen Platz in der Bauerninternationale und in der Antiimperialistischen Liga gesichert hatte, klopfte sie sogar an die Tür der Komintern und bekam dazu gegen eine einzige Stimme sogar den Segen des Politbüros der russischen KP.

Es ist für die führenden politischen Stimmungen der letzten Jahre im höchsten Maße bezeichnend, dass, während die Tendenzen zu einer Liquidierung der Roten Gewerkschaftsinternationale sehr stark waren und selbst ihr Name aus den Statuten der russischen Gewerkschaften gestrichen wurde, die Frage, worin nun eigentlich die Errungenschaften der Bauerninternationale bestehen – soweit wir uns erinnern können –, in der Presse überhaupt nicht aufgeworfen und erörtert wurde.

Der 6. Kongress wird die Arbeit der Bauerninternationale vom Standpunkt des proletarischen Internationalismus aus ernstlich prüfen müssen. Es ist Zeit, die Bilanz dieses in die Länge gezogenen Experiments zu ziehen. Diese Bilanz muss in dieser oder jener Form Eingang in das Programm der Komintern finden. Der gegenwärtige Programmentwurf aber erwähnt die „Millionen“ der Bauerninternationale wie überhaupt die Existenz der letzteren mit keinem Worte.

 

 

Schlusswort

In vorliegender Arbeit habe ich meine Kritik einiger grundsätzlichen Feststellungen des Programmentwurfs entwickelt. Ich konnte bei weitem nicht alles behandeln, da meine Zeit sehr beschränkt war. Aus diesem Grunde war ich auch gezwungen, mich auf die aktuellsten Fragen, die unmittelbar die revolutionären oder innerparteilichen Kämpfe der letzten Zeit betreffen, zu beschränken. Ich weiß aus den Erfahrungen der sogenannten „Diskussion“ im voraus, dass einzelne herausgerissene Sätze, ja selbst etwaige Schreibfehler, zu einem lebendigen Born neuer Theorien, die den „Trotzkismus“ stürzen sollen, werden können. Ich sehe den Angriffen derartiger schematischer Skorpione, die sich auch diesmal wieder auf mich stürzen werden, in Ruhe entgegen.

Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass die Verfasser des Programmentwurfs es vorziehen werden, anstatt neue kritische Entlarvungsartikel zu verfassen, zur Anwendung des alten Artikels 58 ihre Zuflucht zu nehmen. Es ist überflüssig, zu erwähnen, dass eine solche Beweisführung für mich noch weniger überzeugend sein wird.

Der 6. Kongress steht vor der Aufgabe, ein Programm zu beschließen. Ich habe durch diese ganze Arbeit versucht nachzuweisen, dass es vollkommen unmöglich ist, diesem Programm den von Bucharin und Stalin ausgearbeiteten Entwurf zugrunde zu legen. Der gegenwärtige Augenblick bedeutet einen Wendepunkt im Leben der russischen KP und der gesamten Komintern. Das wird durch sämtliche Beschlüsse des ZK unserer Partei in der letzten Zeit und des Februarplenums des EKKI bewiesen. Diese Entschließungen und Maßnahmen waren ungenügend und widerspruchsvoll. Einige, wie z.B. der Beschluss des Februarplenums über die chinesische Revolution, sogar von Grund aus falsch. Nichtsdestoweniger enthalten alle diese Beschlüsse die Tendenz einer Linkswendung. Wir haben nicht die geringste Veranlassung, diese Tendenz zu überschätzen, um so mehr, als sie Hand in Hand mit der Zertrümmerung des revolutionären Flügels und der Begünstigung des rechten Kurses geht. Trotzdem denken wir keinen Augenblick daran, diese Linkstendenz, die infolge der Aussichtslosigkeit des bisherigen Kurses entstanden ist, zu ignorieren. Jeder wirkliche Revolutionär wird alles, was in seinen Kräften steht, tun, damit der einsetzende Links-Zickzack sich mit möglichst geringen Schwierigkeiten und Erschütterungen für die Partei zu einem revolutionären Leninschen Kurs entwickeln könnte. Doch augenblicklich ist es noch weit bis dahin. Augenblicklich durchläuft die Komintern die schmerzhafteste Entwicklungsperiode, denn der alte Kurs ist noch lange nicht liquidiert und der neue dringt in ihn gleichsam als ein Fremdkörper ein. Der Programmentwurf spiegelt diese Übergangszeit vollkommen wider. Und doch sind solche Momente ihrer Natur nach am wenigsten für die Ausarbeitung von Dokumenten geeignet, welche die Tätigkeit unserer internationalen Partei für eine ganze Reihe von Jahren bestimmen sollen. Wie schwer es auch sein mag, man muss, nachdem schon soviel Zeit versäumt wurde, noch abwarten. Man muss Zeit lassen, damit der Grund sich setzen, die Verwirrung sich legen kann, die Widersprüche beseitigt werden und die neue Wendung bestimmte Formen annehmen kann.

Der Kongress hat vier Jahre nicht getagt. Die Komintern hat neun Jahre ohne ein bestimmtes Programm existiert. Der einzige Ausweg daraus ist gegenwärtig der folgende. Man muss den 7. Kongress für das nächste Jahr einberufen, um so den Schlusspunkt hinter die usurpatorischen Versuche, die obersten Rechte der Komintern zu beschneiden, zu setzen. Es muss in sämtlichen Parteien, also auch in der Komintern selbst, das normale Regime wiederhergestellt werden, das eine wirkliche Beratung des Programmentwurfs und die Gegenüberstellung eines marxistisch-leninistischen dem gegenwärtigen eklektischen Entwurf ermöglichen würde. Für die Komintern, für die Kongresse und Beratungen ihrer Parteien darf es keine verbotenen Fragen geben. In diesem Jahre müsste das ganze Feld mit dem tiefschürfenden Pflug des Marxismus umgepflügt werden. Nur als Ergebnis einer solchen Vorarbeit kann ein Programm der internationalen Partei des Proletariats entstehen, das als mächtiger Leuchtturm sowohl auf die Vergangenheit das richtige Licht, wie auf die ferne Zukunft hoffnungsvoll seine Strahlen wirft.

 


Zuletzt aktualisiert am 21.7.2008