Leo Trotzki

 

Geschichte der russischen Revolution

Band 2: Oktoberrevolution

 

Kapitel 24:
Der Kongreß der Sowjetdiktatur

Am 25. Oktober sollte im Smolny das demokratischste aller Parlamente der Weltgeschichte eröffnet werden. Wer weiß: vielleicht auch das bedeutendste.

Nachdem sie sich vom Einfluß der Versöhnlerintelligenz befreit hatten, entsandten die Lokalsowjets vorwiegend Arbeiter und Soldaten. Das waren meist Menschen ohne großen Namen, dafür aber durch die Tat erprobte, die sich daheim das feste Vertrauen erobert hatten. Als Delegierte der aktiven Armee hatten die Blockade der Armeekomitees und der Stäbe fast nur einfache Soldaten durchbrochen. Die meisten von ihnen waren erst mit der Revolution zum politischen Leben erwacht. Die Erfahrung von acht Monaten hatte sie geformt. Ihr Wissen war nicht groß, aber fest. Das Äußere des Kongresses gab ein Bild von seiner Zusammensetzung. Offizierachselstücke, Intellektuellenbrillen und Krawatten des ersten Kongresses waren fast völlig verschwunden. Ungeteilt herrschte die graue Farbe, in der Kleidung wie auf den Gesichtern. Alles war durch die Dauer des Krieges abgetragen. Viele städtische Arbeiter hatten sich Soldatenmäntel zugelegt. Die Schützengrabendelegierten sahen gar nicht malerisch aus: seit langem unrasiert, in alten, zerrissenen Mänteln, in schweren Pelzmützen, aus denen nicht selten Watte herausquoll über zerzaustem Haar. Grobe verwitterte Gesichter, schwere, rissige Hände, von Tabak gelbe Finger, abgerissene Knöpft, herabhängende Mantelgurte, verschrumpfte, rotgelbe, längst nicht mehr geschmierte Stiefel. Die plebejische Nation hatte zum erstenmal eine ehrliche, ungeschminkte Vertretung nach ihrem eigenen Ebenbild entsandt.

Die Statistik des Kongresses, der sich in den Stunden des Aufstandes versammelte, ist äußerst unvollständig. Bei der Eröffnung wurden sechshundertfünfzig Teilnehmer mit beschließender Stimme gezählt. Auf die Bolschewiki entfielen 390 Delegierte; bei weitem nicht sämtlich Parteimitglieder, waren sie dafür Fleisch vom Fleische der Massen; den Massen aber waren keine anderen Wege außer den bolschewistischen übriggeblieben. Viele der Delegierten, die Zweifel mitgebracht hatten, reiften schnell in der glühenden Atmosphäre Petrograds.

Wie gründlich war es den Menschewiki und Sozialrevolutionären gelungen, das politische Kapital der Februarrevolution zu vergeuden! Auf dem Sowjetkongreß im Juni hatten die Versöhnler 600 Stimmen bei einer Gesamtzahl von 832 Delegierten. Jetzt betrug die Versöhnleropposition aller Schattierungen kaum ein Viertel des Kongresses. Menschewiki zusammen mit den an sie angelehnten nationalen Gruppen zählte man achtzig Mann, davon etwa die Hälfte „Linke“. Von den 159, nach anderen Angaben 190 Sozialrevolutionären bildeten die Linken etwa drei Fünftel, wobei die Rechten im Verlauf der Tagung immer mehr zusammenschmolzen. Gegen Ende des Kongresses erreichte die Delegiertenzahl nach manchen Aufstellungen annähernd neunhundert Mann; doch diese nicht wenige beratende Stimmen einschließende Zahl erfaßt andererseits nicht alle die beschließenden. Die Registrierung wurde mit Unterbrechungen vorgenommen, Dokumente gingen verloren, die Angaben über Parteizugehörigkeit sind nicht vollständig. Jedenfalls blieb die vorherrschende Stellung der Bolschewiki auf dem Kongreß unbestritten.

Eine unter den Delegierten vorgenommene Enquete ergab, daß fünfhundert Sowjets für die Übergabe der Macht in die Hände der Sowjets waren; sechsundachtzig für die Macht der „Demokratie“; fünfundfünfzig für eine Koalition; einundzwanzig für eine Koalition, jedoch ohne Kadetten. Beredt zwar auch in dieser Form, geben jedoch die Zahlen eine übertriebene Vorstellung vom Rest des Versöhnlereinflusses: für Demokratie und Koalition waren die Sowjets der rückständigsten Gebiete und unwichtigsten Punkte.

Am 25., vom frühen Morgen an, gingen im Smolny Fraktionssitzungen. Bei den Bolschewiki waren nur jene anwesend, die von Kampfaufträgen frei waren. Die Kongreßeröffnung verzögerte sich: die bolschewistische Führung wollte vorerst mit dem Winterpalais Schluß machen. Aber auch die feindlichen Fraktionen trieben nicht zur Eile: sie mußten beschließen, was zu tun, und das war nicht leicht. Es vergingen Stunden. In den Fraktionen stritten die Unterfraktionen. Die Spaltung der Sozialrevolutionäre erfolgte, nachdem die Resolution über das Verlassen des Kongresses mit zweiundneunzig gegen sechzig Stimmen abgelehnt worden war. Erst am Spätabend begannen linke und rechte Sozialrevolutionäre in getrennten Zimmern zu tagen. Die Menschewiki ersuchten uni 8 Uhr um eine neue Vertagung: bei ihnen gab es zu viele Meinungen. Die Nacht rückte näher heran. Die Operation vor dem Winterpalais zog sich hin. Doch länger zu warten, war unmöglich: man mußte dem aufhorchenden Lande ein klares Wort sagen.

Die Revolution lehrte die Kunst der Verdichtung. Delegierte; Gäste, Wachen drängten sich in der Aula des Instituts für adelige Mädchen, um neuen und neuen Eintreffenden Raum zu lassen. Warnungen vor der Gefahr des Fußbodendurchbruchs blieben unbeachtet, wie auch Ermahnungen, weniger zu rauchen. Alle engten sich ein und rauchten das Doppelte. Mit Mühe bahnte sich John Reed den Weg durch die lärmende Menge an der Tür. Der Saal war nicht geheizt, aber die Luft drückend und heiß.

Zusammengepfercht in Saaltüren und Seitengängen, alle Fensterbretter voll besetzt, warteten die Delegierten geduldig auf die Klingel des Vorsitzenden. Auf der Tribüne waren weder Zeretelli, noch Tschcheidse, noch Tschernow. Nur Führer zweiten Ranges waren zu ihrem Begräbnis erschienen. Ein Mann von kleinem Wuchs, in der Uniform eines Militärarztes, eröffnete, abends 10 Uhr 40, im Namen des Exekutivkomitees die Tagung. Der Kongreß versammele sich unter so „außerordentlichen Umständen“, daß er, Dan, den Auftrag des Zentral-Exekutivkomitees erfüllend, von einer politischen Ansprache absehen wolle: befanden sich doch seine Parteifreunde zur Stunde unter Beschießung im Winterpalais, wo sie „in aufopfernder Weise ihre Pflicht als Minister erfüllen“. Die Delegierten hatten am allerwenigsten auf den Segen des Zentral-Exekutivkomitees gewartet. Sie blickten feindselig zur Tribüne hin: falls diese Menschen politisch noch existieren, welche Beziehung haben sie zu uns und zu unserer Sache?

Im Namen der Bolschewiki schlägt der Moskauer Delegierte Awanesow ein Präsidium auf der Basis der Proportionalität vor: vierzehn Bolschewiki, sieben Sozialrevolutionäre, drei Menschewiki, ein Internationalist. Die Rechten lehnen sogleich die Teilnahme am Präsidium ab. Martows Gruppe hält sich vorläufig zurück: sie ist sich noch nicht schlüssig. Sieben Stimmen gehen zu den linken Sozialrevolutionären über. Der Kongreß verfolgt düster diese einleitenden Konflikte.

Awanesow verliest die bolschewistischen Präsidiumskandidaten: Lenin, Trotzki, Sinowjew, Kamenjew, Rykow, Nogin, Skljanski, Krylenko, Antonow-Owssejenko, Rjasanow, Muranow, Lunatscharski, Kollontay und Stutschka. „Das Präsidium wird gebildet“, schreibt Suchanow, „aus den wichtigsten bolschewistischen Führern und sechs [in Wirklichkeit sieben] linken Sozialrevolutionären.“ Als autoritäre Parteinamen werden Sinowjew und Kamenjew in das Präsidium aufgenommen, trotz ihrem Kampf gegen den Aufstand; Rykow und Nogin als Vertreter des Moskauer Sowjets; Lunatscharski und Kollontay als in jener Periode populäre Agitatoren; Rjasanow als Vertreter der Gewerkschaften; Muranow als alter Arbeiterbolschewik, der sich während der Gerichtsverhandlung gegen die Dumadeputierten mutig gehalten hatte; Stutschka als Führer der lettischen Organisation; Krylenko und Skljanski als Vertreter der Armee; Antonow-Owssejenko als Leiter der Petrograder Kämpfe. Das Fehlen von Swerdlows Namen läßt sich damit erklären, daß er selbst die Liste zusammengestellt und im Trubel sie keiner korrigiert hatte. Für die damaligen Parteigebräuche ist es charakteristisch, daß ins Präsidium der gesamte Stab der Gegner des Aufstandes kam: Sinowjew, Kamenjew, Nogin, Rykow, Lunatscharski, Rjasanow. Von den linken Sozialrevolutionären genoß damals in ganz Rußland Berühmtheit nur die kleine, gebrechliche und mutige Spiridonowa, die viele Jahre Katorga hinter sich hatte wegen Tötung des Henkers der Tambower Bauern. Andere „Namen“ besaßen die linken Sozialrevolutionäre nicht. Dafür aber war den Rechten außer Namen schon fast nichts mehr übriggeblieben.

Der Kongreß begrüßt leidenschaftlich sein Präsidium. Lenin ist nicht auf der Tribüne. Während die Fraktionen sich versammelten und berieten, saß Lenin, noch nicht abgeschminkt, in Perücke und großer Brille, in Gesellschaft von zwei – drei Bolschewiki in einem Durchgangszimmer. Unterwegs zu ihrer Fraktion blieben Dan und Skobeljew vor dem Tische der Verschwörer stehen, blickten diese prüfend an und erkannten sichtlich Lenin. Das bedeutete: es ist Zeit, die Maske abzulegen!

Lenin beeilte sich aber nicht, öffentlich aufzutreten. Er wollte vorläufig noch beobachten, die Fäden fester in seinen Händen anziehen und einstweilen hinter den Kulissen bleiben. In seinen im Jahre 1924 veröffentlichten Erinnerungen schreibt Trotzki:

„Im Smolny ging die erste Sitzung des zweiten Sowjetkongresses. Lenin erschien da nicht. Er blieb in einem Zimmer des Smolny, in dem, wie ich mich entsinne, aus irgendeinem Grunde kein oder fast kein Möbelstück stand. Erst später breitete jemand Decken auf dem Fußboden aus und legte zwei Kissen darauf Zusammen mit Wladimir Iljitsch ruhten wir aus, nebeneinander liegend. Aber schon nach wenigen Minuten rief man mich: „Dan [1] spricht, man muß antworten.“ Nach meiner Replik zurückgekehrt, legte ich mich wieder neben Wladimir Iljitsch, der selbstverständlich nicht daran gedacht harte, einzuschlafen. Wie hätte das auch sein können! Alle fünf bis zehn Minuten kam jemand aus dem Sitzungssaal gelaufen, um mitzuteilen, was dort vorgeht.“

Die Glocke des Vorsitzenden kommt in Kamenjews Hände, eines jener Phlegmatiker, die von der Natur selbst bestimmt sind zum Vorsitzführen. Auf der Tagesordnung, verkündet er, stehen drei Fragen: Organisierung der Macht; Krieg und Frieden; Einberufung der Konstituierenden Versammlung. Ein seltsames, dumpfes, beunruhigendes Krachen durchschneidet von außen her den Versammlungslärm: die Peter-Paul-Festung bekräftigte die Tagesordnung durch einen Artillerieschuß. Eine Welle der Hochspannung durchläuft den Kongreß, der sich sogleich als das zu fühlen beginnt, was er in Wirklichkeit ist: der Konvent des Bürgerkrieges.

Losowski, Gegner des Aufstandes, fordert den Bericht vom Petrograder Sowjet. Doch das Militärische Revolutionskomitee hat sich verspätet: die Artillerierepliken beweisen, daß der Bericht noch nicht fertig ist. Der Aufstand ist in vollem Gange. Die Führer der Bolschewiki verschwinden fortwährend in dem Raume des Militärischen Revolutionskomitees, um Informationen entgegenzunehmen oder Verfügungen zu treffen. Das Echo der Kämpfe dringt in den Sitzungssaal wie Flammenzungen. Bei Abstimmungen heben sich Arme hoch zwischen Bajonettspitzen. Der graublaue, beißende Rauch des Machorkatabaks verhüllt die herrlichen weißen Säulen und Lüster.

Die Wortscharmützel der zwei Lager erhalten auf dem Hintergrunde der Kanonade ungeahnte Bedeutsamkeit. Das Wort verlangt Martow. Der Moment, wo die Waagschalen noch schwanken, ist sein Moment, dieses erfinderischsten Politikers der ewigen Schwankungen. Mit seiner heiseren, tuberkulösen Stimme reagiert Martow sogleich auf die metallische Stimme der Geschütze: „Es ist unbedingt notwendig, die Kriegshandlungen auf beiden Seiten einzustellen ... Die Frage der Macht begann man mittels einer Verschwörung zu entscheiden ... Alle revolutionären Parteien sind vor eine vollendete Tatsache gestellt worden ... Der Bürgerkrieg droht mit dem Ausbruch der Konterrevolution. Die friedliche Lösung der Krise kann nur durch Schaffung einer Macht erreicht werden, die von der gesamten Demokratie anerkannt ist.“ Ein beträchtlicher Teil des Kongresses applaudiert. Suchanow bemerkt ironisch: „Viele und viele Bolschewiki, die den Geist der Lehre von Lenin und Trotzki nicht erfaßt haben, wären wohl froh, ebendiesen Weg zu gehen.“ Dem Vorschlag zu friedlichen Verhandlungen schließen sich die linken Sozialrevolutionäre und die Gruppe der vereinigten Internationalisten an. Der rechte Flügel, vielleicht aber auch Martows nächste Gesinnungsgenossen sind überzeugt, die Bolschewiki werden den Vorschlag ablehnen. Sie irren. Die Bolschewiki schicken auf die Tribüne ihren friedliebendsten, samtweichen Redner, Lunatscharski: „Die Fraktion der Bolschewiki hat absolut nichts gegen Martows Vorschlag.“ Die Gegner sind verblüfft. „Lenin und Trotzki kommen ihren eigenen Massen entgegen“, kommentiert Suchanow, „und entreißen damit gleichzeitig den Rechten den Boden unter den Füßen.“ Martows Vorschlag wird einstimmig angenommen. „Gehen die Menschewiki und Sozialrevolutionäre jetzt weg, dann haben sie selbst über sich das Kreuz gestellt“, erwägt man in Martows Gruppe. Man dürfe deshalb hoffen, daß der Kongreß „den richtigen Weg zur Schaffung einer demokratischen Einheitsfront betreten wird“. Eine Hoffnung! Eine Revolution bewegt sich niemals nach der Diagonale.

Der rechte Flügel verletzt sofort die soeben gebilligte Initiative zu friedlichen Verhandlungen. Der Menschewik Charasch, Delegierter der 12. Armee, mit Hauptmannssternen auf den Achseln, gibt eine Erklärung ab: „Politische Heuchler schlagen vor, über die Frage der Macht zu entscheiden. Indes wird sie hinter unsere Rucken entschieden ... Die Schläge gegen das Winterpalais treiben Nägel in den Sarg jener Partei, die ein solches Abenteuer unternommen hat ...“ Die Herausforderung des Hauptmanns beantwortet der Kongreß mit empörtem Murren.

Leutnant Kutschin, der in der Staatsberatung in Moskau im Namen der Front gesprochen hatte, versucht auch hier durch die Autorität der Armeeorganisationen zu wirken: „Dieser Kongreß ist unzeitgemäß und sogar unrechtmäßig.“ In wessen Namen sprechen Sie? rufen die zerfetzten Uniformmäntel, auf denen das Mandat mit dem Lehm der Schützengräben geschrieben steht. Kutschin zählt sorgfältig elf Armeen auf Doch hier kann das niemand täuschen. An der Front wie im Hinterlande sind die Generale des Versöhnlertums ohne Soldaten geblieben. Die Frontgruppe, fährt der menschewistische Leutnant fort, „lehnt jede Verantwortung für die Folgen dieses Abenteuers ab“; das bedeutet: völliger Bruch mit der Revolution. „Von nun an wird die Kampfarena in die einzelnen Orte verlegt“; das bedeutet: Vereinigung mit der Konterrevolution gegen die Sowjets. Und als Abschluß: „die Frontgruppe ... verläßt diesen Kongreß“.

Einer nach dem anderen besteigen Vertreter der Rechten die Tribüne. Sie haben Pfarren und Kirchen verloren, aber in ihren Händen sind die Glockenstühle geblieben; sie beeilen sich zum letztenmal, die gesprungenen Glocken läuten zu lassen. Sozialisten und Demokraten, die mit allen Mitteln die Verständigung mit der imperialistischen Bourgeoisie verwirklicht hatten, lehnen heute kategorisch eine Verständigung mit dem aufständischen Volke ab. Ihre politische Berechnung liegt auf der Hand: die Bolschewiki werden in wenigen Tagen herunterpurzeln; man muß sich so schnell wie möglich von ihnen abgrenzen, sogar sie stürzen helfen, um damit sich und die eigene Zukunft möglichst zu sichern.

Im Namen der Fraktion der rechten Menschewiki gibt Chintschuk, ehemaliger Vorsitzender des Moskauer Sowjets und künftiger Sowjetgesandter in Berlin, eine Erklärung ab. „Die militärische Verschwörung der Bolschewiki ... stürzt das Land in Bruderkrieg, sprengt die Konstituierende Versammlung, droht mit einer Kriegskatastrophe und führt zum Triumph der Konterrevolution.“ Der einzige Ausweg: „Verhandlungen mit der Provisorischen Regierung über Bildung einer auf alle Schichten der Demokratie sich stützenden Regierung.“ Unbelehrbar, schlagen diese Menschen dem Kongreß vor, ein Kreuz über den Aufstand zu machen und zu Kerenski zurückzukehren. Durch den Lärm, das Gebrüll und sogar Pfeifen kann man die Worte des Vertreters der rechten Sozialrevolutionäre kaum verstehen. Die Deklaration seiner Partei verkündet die „Unmöglichkeit einer gemeinsamen Arbeit“ mit den Bolschewiki und erklärt den Sowjetkongreß selbst, einberufen und eröffnet durch das versöhnlerische Zentral-Exekutivkomitee, für unrechtmäßig.

Die Demonstration der Rechten schreckt nicht, sondern wirkt nur störend, aufreizend. Bei den meisten Delegierten hat sich in der Seele zu viel Bitternis angesammelt über die anmaßenden und beschränkten Führer, die anfangs mit Phrasen und dann mit Repressalien fütterten. Beabsichtigen etwa die Dan, Chintschuk und Kutschin noch weiter zu belehren und zu kommandieren? Der lettische Soldat Peterson, mit der tuberkulösen Röte der Wangen und vor Haß brennenden Augen, entlarvt Charasch und Kutschin als Mandatsusurpatoren. „Genug der Resolutionen und des Geschwätzes! Wir brauchen Taten! Die Macht muß in unseren Händen liegen. Die Delegierten, die keiner hergeschickt hat, sollen den Kongreß verlassen, – die Armee ist nicht mit ihnen!“ Diese vor Leidenschaft bebende Stimme erleichtert die Seele des Kongresses, auf den es bis dahin nur Beleidigungen gehagelt hat. Andere Frontler eilen Peterson zu Hilfe. „Die Kutschins vertreten die Meinung von Häuflein, die seit April in den Armeekomitees sitzen. Die Armee fordert längst deren Neuwahl.“ – „Die Insassen der Schützengräben erwarten mit Ungeduld den Übergang der Macht in die Hände der Sowjets.“

Aber die Rechten sind noch im Besitz der Glockenstühle. Der Vertreter des „Bund“ erklärt für ein „Unglück all das, was in Petrograd geschieht“, und ruft die Delegierten auf, sich den Dumaabgeordneten anzuschließen, die drauf und dran sind, unbewaffnet zum Winterpalais zu ziehen, um zusammen mit der Regierung zu sterben. „Aus dem Lärm“, schreibt Suchanow, „ertönen höhnische Bemerkungen, teils roher, teils giftiger Art.“ Der pathetische Redner hat sich offenbar im Auditorium geirrt. Schluß! Deserteure! rufen Delegierte, Gäste, Rotgardisten, Soldaten der Wache den Abziehenden nach. Geht doch zu Kornilow! Volksfeinde!

Der Abzug der Rechten hinterläßt keinen leeren Platz. Die grauen Delegierten lehnen es offen ab, sich Offizieren und Junkern anzuschließen für den Kampf gegen die Arbeiter und Soldaten. Von der Fraktion des rechten Flügels verließen den Saal etwa siebzig Delegierte, das heißt etwas mehr als deren Hälfte. Die Schwankenden rückten zu den Mittelgruppen, die beschlossen hatten, den Kongreß nicht zu verlassen. Wurde vor der Eröffnung der Sitzung die Zahl der Sozialrevolutionäre aller Richtungen mit 190 gezählt, so stieg in den nächsten Stunden die Zahl allein der linken Sozialrevolutionäre auf 180: ihnen gesellten sich all jene zu, die es noch nicht wagten, sich den Bolschewiki anzuschließen, aber schon bereit waren, diese zu unterstützen.

In der Provisorischen Regierung oder irgendeinem Vorparlament waren die Menschewiki und Sozialrevolutionäre bedingungslos geblieben. In der Tat, kann man denn mit der gebildeten Gesellschaft brechen? Aber die Sowjets – das ist doch nur das Volk. Sowjets sind gut, solange man sich auf sie für Verständigung mit der Bourgeoisie stützen kann. Ist es aber denkbar, Sowjets zu dulden, die sich einbilden, Herren des Landes zu sein? „Die Bolschewiki blieben allein“, schrieb später der Sozialrevolutionär Sensinow, „und von diesem Moment an begannen sie, sich nur auf die rohe physische Gewalt zu stützen.“ Zweifellos hatte das moralische Prinzip gemeinsam mit Dan und Goz die Türe hinter sich zugeworfen. Das moralische Prinzip wird in einer Prozession von dreihundert Mann, mit zwei Laternen, zum Winterpalais ziehen, um auf die rohe physische Gewalt der Bolschewiki zu stoßen und – den Rückzug anzutreten.

Der vom Sowjet gutgeheißene Vorschlag zu friedlichen Verhandlungen blieb in der Luft hängen. Hätten die Rechten den Gedanken an eine Verständigung mit dem siegreichen Proletariat für möglich gehalten, sie hätten sich nicht so beeilt, mit dem Kongreß zu brechen. Martow muß, das einsehen. Doch er klammert sich an die Idee eines Kompromisses, mit der seine gesamte Politik steht und fällt. „Man muß das Blutvergießen einstellen“ ..., beginnt er wieder. – „Das sind nur Gerüchte!“ ruft man von den Plätzen. – „Hierher dringen nicht nur Gerüchte“, antwortet er, „wenn ihr zu den Fenstern geht, werdet ihr auch Kanonenschüsse hören.“ Das läßt sich nicht bestreiten: schweigt der Kongreß, dann hört man die Schüsse nicht nur an den Fenstern.

Die von Martow verlesene Erklärung, den Bolschewiki durch und durch feindselig und in den Schlußfolgerungen leblos, verurteilt den Umsturz als „allein nur von der bolschewistischen Partei vollzogen mit den Mitteln der reinen militärischen Verschwörung“ und verlangt, die Arbeit des Kongresses einzustellen bis zur Verständigung mit „allen sozialistischen Parteien“. In der Revolution der Resultante nachzujagen, ist schlimmer, als seinen eigenen Schatten fangen zu wollen!

In diesem Moment erscheint in der Sitzung, mit Joffe, dem künftigen ersten Sowjetgesandten in Berlin, an der Spitze, die bolschewistische Fraktion der Stadtduma, die darauf verzichtet hat, den problematischen Tod vor den Mauern des Winterpalais zu suchen. Der Kongreß verdichtet sich erneut und empfängt seine Freunde mit freudigen Begrüßungen.

Doch man muß Martow eine Zurückweisung erteilen. Diese Aufgabe fällt Trotzki zu. „Jetzt, nach dem Auszug der Rechten, ist seine Position“, gesteht Suchanow, „ebenso stark, wie Martows Position schwach ist.“ Die Gegner stehen nebeneinander auf der Tribüne, von allen Seiten durch einen dichten Ring erregter Delegierten eingezwängt. „Das, was geschehen ist“, sagt Trotzki, „ist ein Aufstand und keine Verschwörung. Der Aufstand der Volksmassen bedarf nicht der Rechtfertigung. Wir haben die revolutionäre Energie der Petrograder Arbeiter und Soldaten gestählt. Wir haben offen den Willen der Massen für den Aufstand und nicht für die Verschwörung geschmiedet ... Unser Aufstand hat gesiegt. Und jetzt schlägt man uns vor: verzichtet auf euren Sieg, geht eine Verständigung ein. Mit wem? Ich frage: mit wem sollen wir die Verständigung eingehen? Mit jenen kläglichen Häuflein, die davongelaufen sind? ... Aber wir haben sie in all ihrer Größe gesehen. Hinter ihnen steht niemand in Rußland. Mit ihnen sollen sich verständigen, als Gleiche mit Gleichen, Millionen auf diesem Kongreß vertretene Arbeiter und Bauern, die jene gegen eine Gunst der Bourgeoisie nicht zum ersten – und nicht zum letztenmal auszutauschen bereit sind. Nein, hier ist eine Verständigung nicht am Platz! Jenen, die von hier weggegangen sind, wie jenen, die mit solchen Vorschlägen kommen, müssen wir sagen: ihr seid armselige Einzelgänger, ihr seid Bankrotteure, eure Rolle ist ausgespielt, schert euch hin, wohin ihr von nun an gehört: auf den Kehrichthaufen der Geschichte!“ ...

„Dann gehen wir!“ schreit Martow, ohne eine Abstimmung des Kongresses abzuwarten. „Martow bahnte sich im Zorn und Affekt“, bedauert Suchanow, „den Weg zum Rampenausgang. Während ich daranging, unsere Fraktion zu einer außerordentlichen Beratung zusammenzurufen“ ... Es hatte sich aber gar nicht um einen Affekt gehandelt. Ein Hamlet des demokratischen Sozialismus, machte Martow einen Schritt vorwärts, wenn die Revolution im Absteigen war, wie im Juli; jetzt, wo die Revolution daran war, einen Löwensprung zu tun, trat Martow den Rückzug an. Der Abmarsch der Rechten beraubte ihn der Möglichkeit des parlamentarischen Manövrierens. Ihm wurde sogleich ungemütlich. Er eilte, den Kongreß zu verlassen, um sich vom Aufstand loszureißen. Suchanow opponierte, so gut er konnte. Die Fraktion teilte sich in fast zwei gleiche Hälften: mit vierzehn gegen zwölf Stimmen siegte Martow.

Trotzki empfiehlt dem Kongreß eine Resolution – einen Anklageakt gegen die Versöhnler: sie haben den unheilvollen Angriff vom 18. Juni vorbereitet; sie haben die Regierung des Volksverrats gestützt; sie haben den Betrug an den Bauern in der Bodenfrage gedeckt; sie haben die Entwaffnung der Arbeiter durchgeführt; sie sind für die sinnlose Kriegsverlängerung verantwortlich; sie haben der Bourgeoisie erlaubt, den Wirtschaftszerfall zu vertiefen; nachdem sie das Vertrauen der Massen verloren, haben sie sich der Einberufung des Sowjetkongresses widersetzt; schließlich haben sie, in die Minderheit geraten, mit den Sowjets gebrochen.

Wieder eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung: wahrhaftig, die Geduld des bolschewistischen Präsidiums kennt keine Grenzen. Ein Vertreter vom Exekutivkomitee der Bauernsowjets sei mit dem Auftrag gekommen, die Bauern aufzufordern, diesen „unzeitgemäßen“ Kongreß zu verlassen und zum Winterpalais zu ziehen, „um gemeinsam mit jenen zu sterben, die hingeschickt wurden, unseren Willen in die Tat umzusetzen.“ Die Aufrufe, unter den Ruinen des Winterpalais zu sterben, wirken durch ihre Monotonie schon reichlich langweilig. Ein soeben im Kongreß erschienener Matrose der Aurora erklärt ironisch, es gäbe keine Ruinen, da man vom Kreuzer aus nur Blindschüsse abgegeben habe. „Setzt die Arbeiten unbesorgt fort.“ Der Kongreß ruht seelisch aus an diesem großartigen, schwarzbärtigen Matrosen, der den einfachen und gebieterischen Willen des Aufstandes verkörpert. Martow mit seiner Gefühls- und Gedankenmosaik gehört einer anderen Welt an: deshalb eben bricht er mit dem Kongreß.

Noch eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung, diesmal halbfreundschaftlich: „Die rechten Sozialrevolutionäre“, sagt Kamkow, „sind weggegangen, aber wir, linken, sind geblieben.“ Der Kongreß begrüßt die Dagebliebenen. Aber auch sie erachten die Verwirklichung der revolutionären Einheitsfront für notwendig und sind gegen Trotzkis scharfe Resolution, die die Türen vor einer Verständigung mit der gemäßigten Demokratie verschließt.

Die Bolschewiki zeigen auch hierbei Entgegenkommen. Derart nachgiebig hat man sie wohl noch nie gesehen. Nicht verwunderlich: sie sind die Herren der Lage und haben es nicht nötig, auf Worte zu bestehen. Auf der Tribüne ist wieder Lunatscharski. „Die Schwierigkeit der Aufgabe, die uns zugefallen ist, – unterliegt keinem Zweifel.“ Eine Vereinigung aller wahrhaft revolutionären Elemente der Demokratie ist notwendig. Aber haben wir, Bolschewiki, irgendeinen Schritt getan, der andere Gruppen abstößt? Haben wir nicht einstimmig Martows Vorschlag angenommen? Man hat uns darauf mit Beschuldigungen und Drohungen geantwortet. Ist es denn nicht offensichtlich, daß jene, die den Kongreß verlassen haben, „sogar ihre versöhnlerische Tätigkeit einstellen und offen ins Lager der Kornilowianer übergehen?“

Die Bolschewiki bestehen nicht auf sofortige Abstimmung über Trotzkis Resolution: sie wollen die Versuche nicht stören, eine Verständigung auf der Sowjetbasis zu erreichen. Die Methode des Anschauungsunterrichts kann auch unter Artilleriebegleitung erfolgreich angewandt werden! Wie früher die Annahme des Martowschen Antrages, so enthüllt jetzt auch das Zugeständnis an Kamkow nur die Ohnmacht der Versöhnlerzuckungen. Zum Unterschiede von den linken Menschewiki verlassen jedoch die linken Sozialrevolutionäre den Kongreß nicht: sie verspüren allzu unmittelbar an sich selbst den Druck des aufständischen Dorfes.

Die gegenseitige Abtastung ist vorgenommen. Die Ausgangspositionen sind bezogen. In der Entwicklung des Kongresses gibt’s eine Stockung. Grundlegende Dekrete annehmen und eine Sowjetregierung schaffen? Unmöglich: noch sitzt die alte Regierung im Winterpalais, in dem halbdunklen Saal, wo die einzige Lampe auf dem Tisch mit einer Zeitung abgedeckt ist. Nach 2 Uhr nachts, verkündet das Präsidium eine Pause von einer halben Stunde.

Die roten Marschälle nutzten die ihnen gebotene kurze Frist erfolgreich aus. Irgend etwas Neues wehte in der Kongreßatmosphäre, als die Sitzung wieder aufgenommen wurde. Kamenjew verkündet von der Tribüne herab, die soeben von Antonow übermittelte telephonische Meldung: das Winterpalais ist von den Truppen des Militärischen Revolutionskomitees genommen; mit Ausnahme von Kerenski ist die gesamte Provisorische Regierung mit dem Diktator Kischkin an der Spitze verhaftet. Obwohl bereits alle die Kunde von Mund zu Mund erfahren hatten, fällt die offizielle Mitteilung gewichtiger als ein Kanonensalut. Der Sprung über den Abgrund, der die revolutionäre Klasse von der Macht getrennt hatte, ist getan. Im Juli aus der Villa Kschessinskaja verjagt, treten jetzt die Bolschewiki als Herrscher ins Winterpalais ein. In Rußland gibt es keine andere Macht außer diesem Kongreß. Der komplizierte Gefühlsknäuel macht sich Luft in Beifall und Zurufen: Triumph, Hoffnung, aber auch Besorgnis. Neue, immer zuversichtlichere Beifallsausbrüche. Es ist vollbracht! Auch das allergünstigste Kräfteverhältnis birgt Überraschungen in sich. Der Sieg wird unbestreitbar, wenn der feindliche Stab gefangen ist.

Kamenjew verliest eindrucksvoll die Liste der Verhafteten. Die bekanntesten Namen rufen beim Kongreß feindselige oder ironische Ausrufe hervor. Mit besonderer Erbitterung wird Tereschtschenkos Namen aufgenommen, des Lenkers der Außengeschicke Rußlands. Und Kerenski? Kerenski? Es ist bekannt, daß er um 10 Uhr morgens ohne großen Erfolg vor der Garnison in Gatschina sprach. „Wohin er sich dann begeben hat, ist nicht genau bekannt: nach Gerüchten – zur Front.“

Die Mitläufer des Umsturzes fühlen sich nicht ganz wohl. Sie ahnen, daß der Schritt der Bolschewiki von nun an fester werden wird. Einer der linken Sozialrevolutionäre protestiert gegen die Gefangennahme der sozialistischen Minister. Der Vertreter der vereinigten Internationalisten warnt: der Ackerbauminister Maslow könnte in die gleiche Zelle geraten, in der er unter der Monarchie saß. „Die politische Gefangennahme“, antwortet Trotzki, der unter dem Minister Maslow in dem gleichen „Kresty“ gesessen hatte wie unter Nikolaus, „ist keine Frage der Rache; sie ist diktiert ... von Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Die Regierung ... muß vor Gericht gestellt werden, in erster Linie für ihre unbestreitbare Verbindung mit Kornilow ... Die Minister-Sozialisten werden nur in Hausarrest gehalten werden.“ Einfacher und präziser wäre es gewesen zu sagen, die Festnahme der alten Regierung sei diktiert von den Notwendigkeiten des noch nicht abgeschlossenen Kampfes. Es ging um die politische Enthäuptung des feindlichen Lagers und nicht um Strafe für vergangene Sünden.

Doch die parlamentarische Anfrage bezüglich der Verhaftungen wird sofort von einer anderen, unermeßlich wichtigeren Episode verdrängt: das 3. Radfahrerbataillon, von Kerenski gegen Petrograd geschickt, ist auf die Seite des revolutionären Volkes übergegangen! Die allzugünstige Nachricht wirkt unwahrscheinlich; aber es verhält sich dennoch so: der erlesene Truppenteil, als erster von der gesamten aktiven Armee ausgesondert, hatte sich, noch ehe er die Hauptstadt erreichte, dem Aufstande angeschlossen. War in der Freude über die Verhaftung der Minister ein Schatten von Zurückhaltung, so erfaßt jetzt den Kongreß ungeteilte und unaufhaltsame Begeisterung.

Auf der Tribüne steht der bolschewistische Kommissar von Zarskoje Selo neben dem Delegierten des Radfahrerbataillons: beide sind soeben eingetroffen, dem Kongreß Bericht zu erstatten. „Die Garnison von Zarskoje Selo bewacht die Anmarschstraßen zu Petrograd.“ Die Landesverteidiger haben den Sowjet verlassen. „Die gesamte Arbeit fiel uns allein zu.“ Als er vom Herannahen der Radfahrer Kenntnis erhielt, machte sich der Sowjet von Zarskoje Selo auf eine Abwehr bereit. Aber die Besorgnis erwies sich zum Glück als überflüssig: „unter den Radfahrern gibt es keine Feinde des Sowjetkongresses“. Bald wird in Zarskoje ein anderes Bataillon eintreffen: diesem bereitet man schon einen freundschaftlichen Empfang vor. Der Kongreß schlürft diesen Bericht Schluck um Schluck.

Der Vertreter der Radfahrer wird mit einem Sturm, einem Wirbel, einem Zyklon empfangen. Von der Südwestfront hatte man das 3. Bataillon plötzlich auf telegraphischen Befehl hin nach dem Norden kommandiert: „Petrograd verteidigen.“ Die Radfahrer waren „mit verbundenen Augen“ vorgerückt, nur dunkel ahnend, um was es ging. Auf der Station Peredolsk waren sie mit einer Staffel des 5. Radfahrerbataillons zusammengetroffen, die man ebenfalls nach Petrograd führte. Bei einem gemeinsamen Meeting an Ort und Stelle auf der Station ergab sich, daß „unter allen Radfahrern nicht ein Mann zu finden ist, der bereit wäre, gegen die Brüder zu kämpfen“. Gemeinsam wird beschlossen: der Regierung den Gehorsam zu verweigern. „Ich erkläre euch konkret“, sagt der Radfahrer, „wir werden die Macht keiner Regierung geben, an deren Spitze Bourgeois und Gutsbesitzer stehen!“ Das Wort „konkret“, von der Revolution in den Volksgebrauch eingeführt, klingt gut in diesem Augenblick!

Ist’s lange her, daß man von dieser Tribüne herab dem Kongreß mit Strafen seitens der Front drohte? Jetzt hat die Front selbst ihr „konkretes“ Wort gesprochen. Mögen die Armeekomitees den Kongreß sabotieren. Mag der einfachen Soldatenmasse es nur in Ausnahmefällen gelungen sein, ihre Delegierten zu schicken. Mag man in vielen Regimentern und Divisionen noch nicht gelernt haben, einen Bolschewik von einem Sozialrevolutionär zu unterscheiden. Das bleibt sich gleich! Die Stimme von der Station Peredolsk ist die echte, unbeirrte, unwiderlegbare Stimme der Armee. Gegen dieses Verdikt gibt es keine Appellation, Die Bolschewiki und nur sie allein haben rechtzeitig erkannt, daß der Militärkoch des Radfahrerbataillons unermeßlich besser die Front verkörpert als alle die Charasch und Kutschin mit ihren verwesten Mandaten. In der Stimmung der Delegierten vollzieht sich eine bedeutsame Wendung. „Man beginnt zu fühlen“, schreibt Suchanow, „daß die Sache glatt und glücklich verläuft, daß die von rechts angekündigten Schrecken gar nicht so gefährlich sind und daß die Führer vielleicht auch in allem anderen Recht behalten könnten.“

Diesen Augenblick wählten die unglückseligen linken Menschewiki, um sich in Erinnerung zu bringen. Sie sind, wie sich herausstellt, noch nicht weggegangen. Sie haben in ihrer Fraktion nur die Frage beraten, was zu tun sei. In dem Bestreben, die schwankenden Gruppen mitzureißen, nennt Kapelinski, beauftragt, den angenommenen Beschluß dem Kongreß mitzuteilen, endlich laut das offenherzigste Argument für den Bruch mit den Bolschewiki: „Denkt daran, daß nach Petrograd Truppen unterwegs sind. Uns droht eine Katastrophe.“ Was, ihr seid noch hier? ertönt es von verschiedenen Seiten des Saales. Ihr seid doch schon einmal Weggegangen! Die Menschewiki bewegen sich im kleinen Häuflein dem Ausgang zu, unter verächtlichen Geleitworten. „Wir entfernten uns“, trauert Suchanow, „und gaben den Bolschewiki die Hände völlig frei, indem wir ihnen die gesamte Arena der Revolution überließen.“ Nicht viel hätte sich geändert, auch wenn sie geblieben wären. Jedenfalls gehen sie auf Grund. Die Wellen der Ereignisse schließen sich unbarmherzig über ihren Köpfen.

Es wäre nun Zeit, daß der Kongreß sich mit einem Aufruf an das Volk wendet. Doch besteht der Verlauf der Sitzung wie früher nur aus Erklärungen außerhalb der Tagesordnung. Die Ereignisse wollen sich der Tagesordnung absolut nicht anpassen. Um 5 Uhr 17 Minuten, morgens besteigt schwankend vor Müdigkeit Krylenko mit einem Telegramm in der Hand die Tribüne: die 12. Armee entsendet dem Kongreß ihren Gruß und meldet die Bildung eines Militärischen Revolutionskomitees, das die Überwachung der Nordfront übernahm. Versuche der Regierung, bewaffnete Hilfe zu bekommen, sind an dem Widerstand der Truppen zerschellt. Der Hauptkommandierende der Nordfront, General Tscheremissow, hat sich dem Komitee untergeordnet. Der Kommissar der Provisorischen Regierung, Wojtinski, hat demissioniert und wartet auf den Nachfolger. Delegationen von den nach Petrograd entsandten Staffeln erklären eine nach der andern dem Militärischen Revolutionskomitee ihren Anschluß an die Petrograder Garnison. „Es trat etwas Unbeschreibliches ein“, schreibt Reed, „Menschen weinten, einander umarmend.“

Lunatscharski erhält endlich die Möglichkeit, den Aufruf an die Arbeiter, Soldaten und Bauern zu verlesen. Doch ist es nicht einfach ein Aufruf: schon durch die Darstellung dessen, was geschehen und was beabsichtigt ist, legt das in aller Eile verfaßte Dokument den Grundstein zum neuen Staatsregime. „Die Vollmachten des versöhnlerischen Zentral-Exekutivkomitees sind zu Ende. Die Provisorische Regierung ist abgesetzt. Der Kongreß nimmt die Macht in seine Hände.“ Die Sowjetregierung werde einen sofortigen Frieden anbieten, den Boden den Bauern übergeben, die Armee demokratisieren, Kontrolle über die Produktion errichten, beizeiten die Konstituierende Versammlung einberufen, den Nationen Rußlands das Recht auf Selbstbestimmung garantieren. „Der Kongreß bestimmt: die ganze Macht an den Orten geht auf die Sowjets über.“ Jeder verlesene Satz löst im Saal Beifallssalven aus. „Soldaten! Seid auf der Hut! Eisenbahner! Haltet alle von Kerenski gegen Petrograd ausgesandten Staffeln auf! ... In euren Händen liegt das Schicksal der Revolution und das Schicksal des demokratischen Friedens!“

Als sie von Boden hören, horchen die Bauern auf. Statutengemäß vertritt der Kongreß nur die Arbeiter- und Soldatensowjets; doch nehmen an ihm auch Delegierte einzelner Bauernsowjets teil: jetzt verlangen sie, daß man auch sie im Dokument erwähne. Es wird ihnen sofort das Recht der beschließenden Stimme zugebilligt. Der Vertreter des Petrograder Bauernsowjets unterschreibt „mit Händen und Füßen“ den Aufruf. Das bis jetzt schweigsam gewesene Mitglied des Awksentjewschen Exekutivkomitees, Beresin, teilt mit, daß von den achtundsechzig Bauernsowjets, die auf eine telegraphische Umfrage antworteten, die Hälfte sich für den Übergang der Macht an die Sowjets ausgesprochen habe, die andere Hälfte für den Übergang der Macht an die Konstituierende Versammlung. Wenn das die Stimmung der halbbeamteten Gouvernementssowjets ist, kann man da zweifeln, daß der künftige Bauernkongreß die Sowjetmacht unterstützen wird?

Während er die Delegierten im allgemeinen fester zusammenschließt, schreckt und stößt der Aufruf durch seine Unwiderruflichkeit manchen Mitläufer ab. Wieder defilieren auf der Tribüne kleine Fraktionen und Absplitterungen. Zum drittenmal bricht mit dem Kongreß ein Häuflein Menschewiki, wohl die allerlinkesten. Es zeigt sich, daß sie weggehen, nur um die Möglichkeit zu behalten, die Bolschewiki zu retten: „andernfalls richtet ihr euch, uns und die Revolution zugrunde“. Der Vertreter der polnischen sozialistischen Partei, Lapinski, bleibt zwar auf dem Kongreß, um „den eigenen Standpunkt bis zu Ende zu verteidigen“, schließt sich jedoch im Wesen Martows Resolution an: „die Bolschewiki werden mit der Macht, die sie übernehmen, nicht fertigwerden“. Die vereinigte jüdische Arbeiterpartei enthält sich der Abstimmung. Ebenso die vereinigten Internationalisten. Wieviel werden alle diese „Vereinigten“ zusammen ausmachen? Der Aufruf wird mit allen gegen zwei Stimmen, bei zwölf Stimmenthaltungen, angenommen! Die Kräfte der Delegierten reichen kaum noch für den Beifall aus.

Die Sitzung wird endlich gegen 7 Uhr morgens geschlossen. Über der Stadt dämmert ein kalter, grauer Herbstmorgen. In den sich allmählich erhellenden Straßen erlöschen die brennenden Flecke der Holzfeuer. Die fahlen Gesichter der Soldaten und der Arbeiter mit Gewehren sind verschlossen und ungewöhnlich. Hat es in Petrograd Astrologen gegeben, sie müssen wichtige Himmelserscheinungen beobachtet haben.

Die Hauptstadt erwacht unter einer neuen Macht. Einwohner, Beamte, Intellektuelle, mit der Arena der Ereignisse nicht verbunden, stürzen sich morgens auf die Zeitungen, um zu erfahren, an welches Ufer die nächtliche Welle sie geschlagen hat. Doch ist es nicht leicht, Klarheit darüber zu gewinnen, was vorgefallen ist. Zwar berichten die Zeitungen, die Verschwörer hätten sich des Winterpalais und der Minister bemächtigt, aber doch nur wie über eine flüchtige Episode. Kerenski sei ins Hauptquartier abgereist, über das Schicksal der Regierung werde die Front entscheiden. Kongreßberichte bringen nur die Erklärungen der Rechten, führen die Namen jener an, die den Kongreß verlassen haben, und entlarven die Ohnmacht der Verbliebenen. Die politischen Artikel, geschrieben noch vor der Einnahme des Winterpalais, atmen wolkenlosen Optimismus.

Die Gerüchte der Straße entsprechen nicht ganz dem Ton der Zeitungen. Immerhin säßen die Minister ja in der Festung. Von Kerenskis Verstärkungen sei vorläufig nichts zu sehen. Beamte und Offiziere sind erregt und beraten miteinander. Journalisten und Advokaten telephonieren sich gegenseitig an. Die Redaktionen sammeln ihre Gedanken. Die Salonorakel sagen: man müsse die Usurpatoren mit einer Blockade allgemeiner Verachtung umgeben. Kaufleute sind im Zweifel: sollen sie die Läden öffnen oder geschlossen halten. Die neue Behörde befiehlt, die Läden zu öffnen. Die Restaurants werden aufgemacht. Die Trambahn fährt. Die Banken werden von schlimmen Ahnungen gequält. Die Seismographen der Börse zeichnen eine konvulsive Kurve. Gewiß, die Bolschewiki werden sich nicht lange halten, aber bevor sie stürzen, können sie viel Unheil anrichten.

Der reaktionäre französische Journalist Claude Anet schrieb an diesem Tage: „Die Sieger singen ein Siegeslied. Und mit vollem Recht. Zwischen all diesen Schwätzern haben sie gehandelt ... Heute ernten sie die Früchte. Bravo! Tüchtige Arbeit.“ Ganz anders schätzten die Menschewiki die Lage ein. „Vierundzwanzig Stunden sind im ganzen seit dem „Siege“ der Bolschewiki vergangen“, schrieb Dans Zeitung, „aber schon beginnt das historische Geschick sich bitter an ihnen zu rächen ..., um sie herrscht eine Leere, die sie selbst geschaffen haben ..., sie sind von allen isoliert ..., der gesamte beamtete und technische Apparat verweigert ihnen den Dienst ... Sie ... stürzen just im Moment ihres Triumphes in den Abgrund .“

Von der Beamtensabotage und dem eigenen Leichtsinn ermuntert, glaubten die liberalen und die Versöhnlerkreise seltsamerweise an ihre Straffreiheit. Über die Bolschewiki redete und schrieb man in der Sprache der Julitage: „Wilhelms Mietlinge“, „die Taschen der Rotgardisten sind mit deutscher Mark angefüllt“, „den Aufstand befehligten deutsche Offiziere“ ... Die neue Macht mußte diesen Menschen erst ihre feste Hand zeigen, ehe sie begannen, an diese zu glauben. Die zügellosesten der Zeitungen wurden schon in der Nacht auf den 26. beschlagnahmt. Einige andere während des Tages konfisziert. Die sozialistische Presse blieb fürs erste geschont: man mußte den linken Sozialrevolutionären, aber auch einigen Elementen der bolschewistischen Partei, Zeit lassen, sich zu überzeugen von der Grundlosigkeit der Hoffnungen auf eine Koalition mit der offiziellen Demokratie.

Zwischen Sabotage und Chaos entwickelten die Bolschewiki ihren Sieg weiter. Der in der Nacht gebildete provisorische Kriegsstab ging an die Verteidiger Petrograds für den Fall eines Angriffs seitens Kerenskis. In die Telephonzentrale, wo ein Streik begann, wurden militärische Telephonisten abkommandiert. Den Armeen wurde vorgeschlagen, eigene Militärische Revolutionskomitees zu schaffen. An die Front und in die Provinz entsandte man haufenweise nach dem Siege frei gewordene Agitatoren und Organisatoren. Das Zentralorgan der Partei schrieb: „Der Petrograder Sowjet hat begonnen – die Reihe ist nun an den anderen Sowjets.“

Im Laufe des Tages kam eine Nachricht, die besonders die Soldaten in Harnisch brachte: Kornilow ist geflüchtet. In Wirklichkeit war der hohe Arrestant, der in Bychow unter Schutz der ihm treu ergebenen Tekiner lebte und durch Kerenskis Hauptquartier über alle Ereignisse informiert wurde, am 26. zu der Einsicht gelangt, die Sache nehme eine ernste Wendung, und hatte ohne alle Schwierigkeiten sein Scheingefängnis verlassen. Die Verbindung zwischen Kerenski und Kornilow erhielt vor den Augen der Massen neuerdings anschauliche Bestätigung. Das Militärische Revolutionskomitee rief telegraphisch Soldaten und revolutionäre Offiziere auf, beide ehemaligen Höchstkommandierenden zu fangen und nach Petrograd zu bringen.

Wie im Februar das Taurische Palais, so wurde jetzt das Smolny Mittelpunkt aller Hauptstadt- und Staatsfunktionen. Hier tagten sämtliche Regierungsinstitutionen. Von hier ergingen die Befehle, und hierher kam man, sie in Empfang zu nehmen. Hier wurden Waffen angefordert, und hierher wurden die bei den Feinden konfiszierten Gewehre und Revolver gebracht. Aus verschiedenen Stadtteilen lieferte man Gefangene ein. Schon strömten, Recht suchend, Gekränkte herbei. Das bürgerliche Publikum und die verängstigten Droschkenkutscher machten um den Smolnybezirk einen großen Bogen.

Das Automobil ist ein viel echteres Zeichen der modernen Macht als Zepter und Krone. Während des Regimes der Doppelherrschaft waren die Automobile unter Regierung, Zentral-Exekutivkomitee und Privatbesitzern verteilt. Jetzt konzentrierten sich alle beschlagnahmten Kraftwagen im Lager des Aufstandes. Der Smolnybezirk ähnelte einer gigantischen Feldgarage. Die besten Automobile qualmten vom schlechten Brennstoff. Die Motorräder knatterten ungeduldig und bedrohlich im Halbdunkel. Die Panzerwagen heulten mit den Sirenen. Das Smolny schien Fabrik, Bahnhof und Kraftzentrale der Umwälzung.

Über die Trottoirs der anliegenden Straßen zogen Menschen im dichten Strom. An den Außen- und Innentoren brannten Holzfeuer. In ihrem flackernden Lichte prüften bewaffnete Arbeiter und Soldaten streng die Passierscheine. Einige Panzerwagen ratterten im Hofe mit den angestellten Motoren. Niemand wollte stillstehen, weder Maschinen noch Menschen. An jedem Eingang waren Maschinengewehre, versehen mit zahlreichen Patronenstreifen. Die endlosen, schwach erhellten, düsteren Korridore hallten von Stiefelgestampf, Stimmen und Rufen. Kommende und Gehende hasteten die breiten Treppen auf und nieder. Die dichte Menschenlava durchschnitten einzelne ungeduldig und herrisch, Arbeiter des Smolny, Kuriere, Kommissare, mit Mandaten oder Befehlen in der erhobenen Hand, die Flinte an einem Strick auf dem Rücken oder die Aktentasche unterm Arm.

Das Militärische Revolutionskomitee unterbrach die Arbeit nicht für eine Minute, empfing Delegierte, Kuriere, freiwillige Informatoren, aufopfernde Freunde und auch Gauner, entsandte in alle Winkel der Stadt Kommissare, drückte zahllose Stempel auf Befehle und Vollmachten – all das unter einem Kreuzfeuer von Auskünften, Eilnachrichten, Telephonläuten und Waffengeklirr. Erschöpfte Menschen, die seit langem nicht geschlafen und nichts mehr gegessen hatten, unrasiert, in schmutziger Wäsche, mit entzündeten Augen, schrien mit heiseren Stimmen, gestikulierten übertrieben, und fielen sie nicht bewußtlos um, so, wie es schien, nur infolge des sie umgebenden Chaos, das sie herumwirbelte und auf seinen ungezügelten Flügeln trug.

Abenteurer, Hochstapler, der schlimmste Auswurf der alten Regime schnupperten in der Luft herum und suchten Passierscheine zum Smolny. Einige fanden auch. Sie wußten irgendein kleines Geheimnis der Verwaltung: wer die Schlüssel zum diplomatischen Briefwechsel hat, wie Kassenscheine geschrieben werden, wie man in den Besitz von Benzin oder einer Schreibmaschine gelangen kann, und hauptsächlich, wo die besten Schloßweine aufbewahrt werden. Ins Gefängnis oder vor die Kugel gerieten sie nicht sogleich.

Seit Erschaffung der Welt waren nicht so viel Befehle erteilt worden, mündlich, mit Bleistift, auf der Schreibmaschine, telephonisch, einer dem andern nacheilend – Tausende, Myriaden Befehle –, nicht immer durch jene, die dazu befugt waren, und selten für einen, der fähig war, ihn auszuführen. Doch darin bestand eben das Wunder, daß in diesem verrückten Wirbel ein innerer Sinn war; den Menschen gelang es, sich zu verständigen, das Wichtigste und Dringlichste wurde doch erledigt; um den alten Verwaltungsapparat abzulösen, spannten sich die ersten Fäden des neuen, die Revolution erstarkte.

Tagsüber arbeitete im Smolny das Zentralkomitee der Bolschewiki: Es stand die Frage der neuen Regierung in Rußland zur Entscheidung. Protokolle wurden nicht geführt oder sind nicht erhalten geblieben. Niemand sorgte sich um die künftigen Historiker, obwohl gerade für sie nicht wenig Mühe vorbereitet wurde. In der Abendsitzung des Kongresses soll das Ministerkabinett gebildet werden. Minister? Welch kompromittiertes Wort! Es stinkt nach hoher bürokratischer Karriere oder Krönung des Parlamentsehrgeizes. Man kommt überein, die Regierung als Rat der Volkskommissare zu bezeichnen: das klingt immerhin frischer. Da die Verhandlungen über eine Koalition der „gesamten Demokratie“ vorläufig zu keinem Ergebnis geführt haben, vereinfacht sich die Frage der parteimäßigen und personellen Zusammensetzung der Regierung. Die linken Sozialrevolutionäre zieren sich und machen Umstände: sie, die soeben mit Kerenskis Partei gebrochen, wissen selbst noch nicht recht, was mit sich anzufangen. Das Zentralkomitee akzeptiert noch als das einzig Denkbare Lenins Vorschlag: eine Regierung nur aus Bolschewiki zu bilden.

An die Türe dieser Sitzung klopfte Martow an, als Bittgänger für die verhafteten Minister-Sozialisten. Vor gar nicht so langer Zeit hatte er sich bei den Minister-Sozialisten für eine Befreiung der Bolschewiki verwendet. Das Rad hatte eine tüchtige Drehung gemacht. Durch ein zu Martow für Verhandlungen hinausgesandtes Mitglied, am wahrscheinlichsten Kamenjew, ließ das Zentralkomitee wiederholen, die Minister-Sozialisten würden in Hausarrest übergeführt werden: allem Anschein nach hätte man sie in der Arbeit vergessen, oder aber sie hatten die Privilegien abgelehnt, um auch in der Trubetzkoi-Festung das Prinzip der ministeriellen Solidarität zu wahren

Die Kongreßsitzung begann um 9 Uhr abends. „Das Bild unterschied sich im allgemeinen nicht sehr vom gestrigen. Weniger Waffen, weniger Gedränge.“ Suchanow, nun nicht mehr als Delegierter anwesend, sondern unter dem Publikum, hat sogar einen freien Platz gefunden. In dieser Sitzung stand bevor, die Fragen über Frieden, Boden und Regierung zu entscheiden. Nur drei Fragen: den Krieg beenden, dem Volke Boden geben, die sozialistische Diktatur errichten. Kamenjew beginnt mit dem Bericht über die vom Präsidium während des Tages geleistete Arbeit die Todesstrafe an der Front, von Kerenski eingeführt, ist abgeschafft die Agitationsfreiheit in vollem Umfange wiederhergestellt Befehl erteilt, die wegen politischer Überzeugung festgesetzten Soldaten und die Mitglieder der Landkomitees aus den Gefängnissen zu befreien; sämtliche Kommissare der Provisorischen Regierung sind abgesetzt; es ist befohlen, Kerenski und Kornilow zu verhaften und herbeizuschaffen. Der Kongreß billigt und bestätigt.

Wiederum treten unter Ungeduld und Mißfallen des Saales irgendwelche Splitter von Splittern auf: die einen erklären, sie gingen weg „im Augenblick des Sieges des Aufstandes, nicht aber im Augenblick der Niederlage“, die anderen dagegen rühmen sich dessen, daß sie dableiben. Der Vertreter der Donez-Bergarbeiter ermahnt, eiligst Maßnahmen zu ergreifen, damit Kaledin nicht den Norden von der Kohle abschneidet. Es wird nicht wenig Zeit vergehen, bis die Revolution gelernt hat, Maßnahmen von solchem Umfange zu ergreifen. Endlich kann man zum ersten Punkt der Tagesordnung übergehen.

Lenin, den der Kongreß noch nicht gesehen hat, erhält das Wort zur Friedensfrage. Sein Erscheinen auf der Tribüne ruft nichtendenwollende Begrüßungen hervor. Die Schützengrabendelegierten betrachten mit großen Augen den geheimnisvollen Mann, den man sie hassen gelehrt und den sie lieben gelernt haben, ehe sie ihn sahen. „Die Hände fest am Rand des Rednerpultes und mit seinen kleinen Augen die Menge betrachtend, steht Lenin wartend, offensichtlich ohne die nicht endende Ovation zu beachten, die Minuten andauert. Als der Beifallssturm verstummte, sagte er einfach: „Wir beginnen jetzt mit dem Aufbau der sozialistischen Ordnung.““

Kongreßprotokolle sind nicht erhalten geblieben. Die zur Niederschrift der Verhandlungen hinzugezogenen Parlamentsstenographinnen hatten zusammen mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären das Smolny verlassen: das war eine der ersten Sabotageepisoden. Die Aufzeichnungen der Schriftführer sind im Strudel der Ereignisse spurlos untergegangen. Es sind nur hastige und tendenziöse Zeitungsberichte erhalten geblieben, geschrieben unter den Klängen der Artillerie und dem Zähneknirschen des politischen Kampfes. Besonders gelitten haben Lenins Reden: infolge des schnellen Sprechens und der komplizierten Satzkonstruktion ließen sie sich auch unter günstigeren Bedingungen nicht leicht niederschreiben. Jener Einleitungssatz, den John Reed Lenin in den Mund legt, ist in keinem Zeitungsbericht enthalten. Doch er entspricht durchaus dem Geiste des Redners. Ausdenken konnte John Reed ihn nicht. Gerade so muß Lenin sein Auftreten auf dem Sowjetkongreß eingeleitet haben, einfach, ohne Pathos, mit unerschütterlicher Sicherheit: „Wir beginnen jetzt mit dem Aufbau der sozialistischen Ordnung.“

Aber dazu ist vor allem nötig, mit dem Kriege Schluß zu machen. in der Schweizer Emigration hatte Lenin die Losung erhoben: den imperialistischen Krieg in den Bürgerkrieg umzuwandeln. Jetzt heißt es, den siegreichen Bürgerkrieg in den Frieden umzuwandeln. Der Referent beginnt sofort mit der Verlesung des Entwurfs der Deklaration, die von der jetzt zu wählenden Regierung herausgegeben werden soll. Der Text wird nicht verteilt: der technische Apparat ist noch sehr schwach. Der Kongreß dringt gierig in jedes Wort des Dokuments ein.

„Die Arbeiter- und Bauernregierung, aus der Revolution vom 25. und 26. Oktober hervorgegangen und gestützt auf die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten, schlägt allen kriegführenden Völkern und deren Regierungen vor, unverzüglich in Verhandlungen über einen gerechten und demokratischen Frieden einzutreten.“ Gerechte Bedingungen schließen Annexionen und Kontributionen aus. Unter Annexionen ist gewaltsame Einverleibung fremder Völker oder deren Festhaltung gegen ihren Willen zu verstehen, in Europa wie in den fernen überseeischen Ländern. „Gleichzeitig erklärt die Regierung, daß sie keinesfalls die obengenannten Friedensbedingungen als ultimativ betrachtet, das heißt, daß sie bereit ist, auch jede andere Bedingung zu prüfen“, sie verlangt nur schnellste Einleitung der Verhandlungen vor aller Öffentlichkeit. Ihrerseits schafft die Sowjetregierung die Geheimdiplomatie ab und schreitet an die Veröffentlichung der bis zum 25. Oktober 1917 abgeschlossenen Geheimverträge. Alles, was in diesen Verträgen darauf abzielt, den russischen Gutsbesitzern und Kapitalisten Privilegien und Vorteile zu sichern und andere Völker durch die Großrussen zu unterdrücken, „wird von der Regierung bedingungslos und sofort annulliert“. Um in die Verhandlungen einzutreten, regt die Regierung den Abschluß eines sofortigen Waffenstillstandes von mindestens drei Monaten an. Mit ihrem Vorschlag wendet sich die Arbeiter- und Bauernregierung gleichzeitig „an die Regierungen und an die Völker aller kriegführenden Länder ..., insbesondere an die klassenbewußten Arbeiter der drei fortgeschrittensten Nationen“, England, Frankreich und Deutschland, in der Überzeugung, daß gerade diese „uns helfen werden, erfolgreich die Sache des Friedens und damit die Sache der Befreiung der werktätigen und ausgebeuteten Massen von jeglicher Sklaverei und jeglicher Ausbeutung zu Ende zu führen“.

Lenin beschränkt sich auf kurze Erläuterungen zum Text der Deklaration. „Wir dürfen die Regierungen nicht ignorieren, da dies den Abschluß des Friedens hinauszögern könnte ..., doch haben wir nicht das Recht, uns nicht gleichzeitig auch an die Völker zu wenden. Überall sind Regierungen und Völker uneins, wir aber müssen den Völkern helfen, sich in die Fragen von Krieg und Frieden einzumischen“ ... „Wir werden selbstverständlich unser Programm eines Friedens ohne Annexionen und Kontributionen mit allen Mitteln verteidigen“, doch wir dürfen unsere Bedingungen nicht ultimativ gestalten, um den Regierungen eine Ablehnung der Verhandlungen nicht zu erleichtern. Wir werden auch alle anderen Vorschläge prüfen. „Prüfen – das bedeutet noch nicht, daß wir sie annehmen werden.“

Das von den Versöhnlern am 14. Mai herausgegebene Manifest hatte den Arbeitern der übrigen Länder vorgeschlagen, im Namen des Friedens die Bankiers zu stürzen; die Versöhnler selbst aber hatten nicht nur zum Sturze der eigenen Bankiers aufgerufen, sondern mit diesen ein Bündnis abgeschlossen. „Jetzt haben wir die Regierung der Bankiers gestürzt.“ Das gibt uns das Recht, auch die anderen Völker dazu aufzurufen. Wir haben alle Hoffnung auf den Sieg: „man darf nicht vergessen, daß wir nicht in der Tiefe Afrikas wohnen, sondern in Europa, wo alles schnell bekannt werden kann“. Das Siegespfand sieht Lenin, wie stets, in der Umwandlung der nationalen Revolution in eine internationale. „Die Arbeiterbewegung wird siegen und sich den Weg zu Frieden und Sozialismus bahnen.“

Die linken Sozialrevolutionäre lassen durch ihren Vertreter erklären, daß sie sich der verkündeten Deklaration anschlössen: deren „Geist und Sinn ihnen verwandt und verständlich ist“. Die vereinigten Internationalisten sind für die Deklaration, aber unter der Bedingung, daß sie von einer Regierung der gesamten Demokratie ausgeht. Lapinski begrüßt namens der polnischen linken Menschewiki „den gesunden proletarischen Realismus“ des Dokuments, Dserschinski von der Sozialdemokratie Polens und Litauens, Stutschka von der Sozialdemokratie Lettlands, Kapsukas von der litauischen Sozialdemokratie schließen sich der Deklaration vorbehaltlos an. Mit Einwendungen trat nur der Bolschewik Jeremejew auf der verlangte, daß den Friedensbedingungen ultimativer Charakter verliehen werde; andernfalls „könnte man glauben, wir seien schwach, wir hätten Angst“.

Lenin widerspricht entschieden, ja sogar ungehalten einer ultimativen Formulierung der Bedingungen: damit würden wir nur „unseren Feinden die Möglichkeit geben, die volle Wahrheit vor dem Volke zu verheimlichen, sie hinter unserer Unversöhnlichkeit zu verbergen“. Man sagt, daß „unsere nicht ultimative Form unsere Ohnmacht zeigen würde“. Es ist Zeit, auf die bürgerliche Verlogenheit in der Politik zu verzichten. „Wir brauchen uns nicht zu fürchten, die Wahrheit über die Müdigkeit auszusprechen“ ... Die späteren Brest-Litowsker Meinungsverschiedenheiten leuchten bereits durch diese Episode hindurch.

Kamenjew fordert auf: wer für die Deklaration ist, möge seine Delegiertenkarte hochheben. „Ein Delegierter“, schreibt Reed, „wagt es, die Hand dagegen zu erheben, doch der Ausbruch der Empörung um ihn herum zwingt ihn, die Hand herunterzulassen.“ Der Appell an die Völker und die Regierungen wird einstimmig angenommen. Es ist vollbracht! Dieser Akt packt alle Teilnehmer durch die Greifbarkeit und Nähe seiner Größe.

Suchanow, der aufmerksame, wenn auch voreingenommene Beobachter, hatte mehr als einmal den trägen Verlauf der ersten Sitzung des Kongresses vermerkt. Unbestreitbar waren die Delegierten wie das ganze Volk müde der Versammlungen, Kongresse, Reden, Resolutionen, überhaupt des ganzen Herumstampfens auf einem Platze. Sie waren sich dessen nicht sicher, daß dieser Kongreß es verstehen und fähig sein würde, die Sache zu Ende zu führen. Wird nicht das Grandiose der Aufgaben und das Unüberwindliche der Widerstände zwingen, auch diesmal den Rückzug anzutreten? Zustrom von Sicherheit brachten die Nachrichten von der Einnahme des Winterpalais und danach von dem Übergang der Radfahrer auf die Seite des Aufstandes. Doch diese beiden Tatsachen hatten sich bezogen auf die Mechanik der Umwälzung. Erst jetzt enthüllte sich in Wirklichkeit ihr historischer Sinn. Der siegreiche Aufstand hatte dem Kongreß der Arbeiter und Soldaten das unerschütterliche Fundament der Macht errichtet. Die Delegierten stimmten diesmal ab, nicht für eine Resolution, nicht für einen Aufruf, sondern für einen Regierungsakt von unermeßlicher Bedeutung.

Höret, Völker! Die Revolution bietet euch den Frieden an. Man wird sie der Verletzung von Verträgen anklagen. Aber sie ist stolz darauf Bündnisse blutiger Raubgier zu zerreißen, ist größtes historisches Verdienst. Die Bolschewiki haben’s gewagt. Sie allein haben es gewagt. Stolz sprengt die Brust. Die Augen brennen. Alle haben sich erhoben. Niemand raucht mehr. Es scheint, als atme niemand. Präsidium, Delegierte, Gäste, Wachen verschmelzen in den Hymnus des Aufstandes und der Verbrüderung. „Plötzlich, wie auf einen gemeinsamen Impuls“, wird John Reed, Beobachter und Teilnehmer, Chronist und Poet der Umwälzung, uns bald erzählen, „standen wir alle und fielen in die aufrüttelnden Klänge der „Internationale“ ein. Ein alter, ergrauter Soldat weinte wie ein Kind. Alexandra Kollontay blinzelte mit den Augen, um nicht in Tränen auszubrechen. Die mächtigen Klänge brausten durch den Saal, drangen durch Fenster und Türen und stiegen zum Himmel empor.“ Zum Himmel? Eher zu den herbstlichen Schützengräben, die das unglückliche gekreuzigte Europa durchschnitten, zu dessen verwüsteten Städten und Dörfern, zu den Frauen und Müttern in Trauer. „Wacht auf, Verdammte dieser Erde, die stets man noch zum Hunger zwang!„ Die Worte der Hymne befreiten sich von ihrem bedingten Charakter. Sie verschmolzen mit dem Regierungsakt. Deshalb klang aus ihnen die Kraft der direkten Tat. Jeder fühlte sich größer und bedeutender in dieser Stunde. Das Herz der Revolution dehnte sich aus über die ganze Welt. „Uns aus dem Elend zu erlösen ...“ Den Geist der Selbständigkeit, Initiative, Kühnheit, jene glückseligen Gefühle, deren die Unterdrückten unter den üblichen Lebensbedingungen beraubt sind, das brachte jetzt die Revolution ... „Das können nur wir selber tun!“ Wir, die Millionen, die Monarchie und Bourgeoisie gestürzt haben, werden jetzt den Krieg erdrosseln. Der Rotgardist des Wyborger Bezirks, der graue Frontler mit der Narbe, der alte Revolutionär, der Jahre Katorga hinter sich hat, der junge schwarzbärtige Matrose von der Aurora, alle schwören, den letzten, entscheidenden Kampf zu Ende kämpfen zu wollen. „Wir wollen neu die Welt erbauen!“ Erbauen. In diesem Wort, das sich der menschlichen Brust entrang, waren schon die späteren Jahre des Bürgerkrieges und die künftigen Fünfjahrpläne der Arbeit und Entbehrungen enthalten. „Nichts sind wir, laßt uns alles sein!“ Alles! Wenn mehr als einmal die Wirklichkeit der Vergangenheit zum Liede wurde, warum soll nicht ein Lied morgige Wirklichkeit werden? Die Schützengrabenmäntel scheinen nicht mehr Zuchthausgewänder. Die Pelzmützen mit der hervorquellenden Watte sitzen auf andere Art über den leuchtenden Augen. „Die Internationale, das wird die Menschheit sein!“ Ist es denn auch denkbar, daß sie nicht sein, nicht erstehen wird aus Unglück und Erniedrigung, aus Schmutz und Blut des Krieges?

„Das gesamte Präsidium mit Lenin an der Spitze stand und sang mit erregten, vergeistigten Gesichtern und brennenden Augen.“ So bezeugt der Skeptiker, der schweren Gefühls einem fremden Fest zuschaut. „Wie gern wollte ich mich ihm anschließen“, gesteht Suchanow, „in Gefühl und Stimmung mit dieser Masse und ihren Führern verschmelzen. Aber ich konnte nicht ...“

Es verklang der letzte Laut des Refrains, aber noch immer stand der Kongreß zu einer menschlichen Masse verschmolzen, verzaubert von der Größe des Erlebten. Die Blicke vieler blieben haften auf der kleinen, untersetzten Gestalt des Mannes auf der Tribüne, mit dem ungewöhnlichen Kopf, den einfachen Zügen des breitknochigen Gesichts, jetzt durch das rasierte Kinn verändert, mit durchdringendem Blick der kleinen, etwas mongolenhaften Augen. Vier Monate war er fern gewesen, sein Name hatte sich inzwischen von dein lebendigen Bilde fast getrennt. Doch nein, er ist kein Mythos, da steht er mitten unter den Seinen – wie viele „Seine“ gibt es jetzt! – mit den Blättern der Friedensbotschaft an die Völker in den Händen. Sogar die Allernächsten, jene, die seinen Platz in der Partei gut kannten, empfanden zum erstenmal restlos, was er für die Revolution, für das Volk, für die Völker bedeutete. Das hat er erzogen. Das hat er gelehrt. Eine Stimme aus der Tiefe der Versammlung schrie einen Hochruf auf den Führer. Als habe der Saal nur auf dies Signal gewartet. Hoch Lenin! Überstandene Aufregungen, überwundene Zweifel, Stolz auf das Beginnen, Triumph des Sieges, große Hoffnungen, – alles verschmolz im vulkanischen Ausbruch von Dankbarkeit und Begeisterung. Der skeptische Zeuge bemerkt trocken: „Zweifellos ein Aufschwung der Stimmung ... Man grüßte Lenin, schrie hoch, warf Mützen in die Luft. Der Trauermarsch wurde gesungen, zum Andenken an die Kriegsopfer. Und wieder Applaus, Schreie und Werfen der Mützen.“

Das, was der Kongreß in diesen Minuten durchlebte, durchlebte, wenn auch nicht so konzentriert, am nächsten Tag das ganze Volk. „Man muß sagen“, schreibt Stankewitsch in seinen Erinnerungen, „daß die kühne Geste der Bolschewiki, ihre Fähigkeit, über die Stacheldrähte hinwegzuschreiten, die vier Jahre lang uns von den Nachbarvölkern getrennt gehalten haben, an sich gewaltigen Eindruck machte.“ Plumper, doch nicht weniger deutlich, drückt sich Baron Budberg in seinem Tagebuch aus: „Die neue Regierung des Genossen Lenin entlud sich mit einem Dekret über sofortigen Frieden ... Es ist im Augenblick ein genialer Schachzug, um die Soldatenmassen für sich zu gewinnen; ich konnte dies an der Stimmung in mehreren Regimentern beobachten, die ich heute bereist habe. Lenins Telegramm über einen sofortigen Waffenstillstand für drei Monate und darauffolgenden Frieden hat überall kolossalen Eindruck gemacht und einen Freudensturm ausgelöst. Jetzt sind uns die letzten Chancen auf Rettung der Front genommen.“ Unter Rettung der von ihnen zugrunde gerichteten Front verstanden diese Menschen schon längst nur die Rettung der eigenen sozialen Positionen.

Würde die Revolution in sich die Entschlossenheit gefunden haben, im März-April über die Stacheldrähte hinwegzuschreiten, sie hätte damals noch vermocht, die Armee eine Zeitlang zusammenzuhalten, vorausgesetzt, daß sie sie gleichzeitig auf die Hälfte oder ein Drittel herabgesetzt und somit für die Außenpolitik eine Position von außerordentlicher Stärke geschaffen hätte. Aber die Stunde mutiger Taten schlug erst im Oktober, wo auch nur einen Teil der Armee zu retten, und wenn auch nur für eine kurze Frist, bereits undenkbar war. Das neue Regime mußte auf seine Schultern nehmen nicht nur die Kosten für den Krieg des Zarismus, sondern auch für den verschwenderischen Leichtsinn der Provisorischen Regierung. In dieser furchtbaren, für alle anderen Parteien hoffnungslosen Situation konnte nur der Bolschewismus das Land auf einen offenen Weg hinausführen, indem er durch die Oktoberumwälzung unerschöpfliche Quellen der Volksenergie erschloß.

Lenin ist wieder auf der Tribüne, diesmal mit Blättchen des Bodendekrets. Er beginnt mit Anklagen gegen die gestürzte Regierung und die Versöhnlerparteien, die durch Verschleppung der Bodenfrage das Land zum Bauernaufstand gebracht haben. „Wie Lug und feiger Betrug klingen ihre Worte über Pogrome und Anarchie im Dorfe. Wo und wann wurden Pogrome und Anarchie durch vernünftige Maßnahmen hervorgerufen?“ ... Der Dekretentwurf ist nicht vervielfältigt zum Verteilen: der Redner hält in den Händen das einzige Exemplar in Rohfassung, und es ist, nach Suchanows „Erinnerungen“, „so schlecht niedergeschrieben, daß Lenin beim Lesen stolpert, sich nicht zurechtfindet und schließlich abbricht. Jemand aus der auf der Tribüne zusammengedrängten Menge kommt ihm zu Hilfe. Lenin überläßt diesem willig den Platz und das unleserliche Papier“. Diese Unebenheiten verringern aber in den Augen des plebejischen Parlaments nicht um ein Jota die Größe des Sichvollziehenden.

Der Kern des Dekrets ist in den zwei Zeilen des ersten Punktes enthalten: „Das gutsherrliche Eigentumsrecht an Grund und Boden wird mit sofortiger Wirkung ohne jede Entschädigung aufgehoben.“ Über Guts-, Kron-, Kloster- und Kirchenländereien mit lebendem und totem Inventar verfügen bis zur Konstituierenden Versammlung die Gemeinde-Landkomitees und die Kreissowjets der Bauerndeputierten. Der konfiszierte Besitz wird als Volksvermögen erklärt und unter den Schutz der Lokalsowjets gestellt. Der Boden der werktätigen Bauern und Kosaken ist vor Konfiskation gesichert. Das gesamte Dekret zählt keine drei Dutzend Zeilen: es durchhaut den gordischen Knoten mit dem Beil.

Dem Haupttext ist eine etwas umfangreichere Instruktion angeschlossen, die restlos den Bauern selbst entlehnt ist. In den Iswestja der Bauernsowjets war am 19. August eine Zusammenstellung von 242 „Instruktionen“ veröffentlicht, erteilt von den Wählern an ihre Vertreter auf dem ersten Kongreß der Bauerndeputierten. Obwohl die Ausarbeitung der synthetischen Instruktion von Sozialrevolutionären stammte, hatte dies Lenin nicht abgehalten, das Dokument restlos und vollständig dem Dekret beizugeben „als Anleitung zur Verwirklichung der großen Bodenumgestaltungen“. Die zusammenfassende Instruktion lautet: „Das Recht des Privateigentums an Boden wird für alle Ewigkeit abgeschafft.“ – „Das Recht der Bodennutznießung erhalten alle Bürger ..., die ihn selbst bearbeiten wollen.“ – „Lohnarbeit ist unzulässig.“ – „Die Bodenbenutzung muß auf dem Prinzips des Ausgleichs beruhen, das heißt, der Boden wird verteilt unter den Werktätigen, je nach örtlichen Verhältnissen, Arbeits- oder Bedarfsnorm.“

Bei der Aufrechterhaltung des bürgerlichen Regimes, nicht zu reden von der Koalition mit den Gutsbesitzern, mußte die sozial-revolutionäre Instruktion leblose Utopie bleiben, wenn nicht sich in bewußte Lüge verwandeln. Sie konnte auch unter der Herrschaft des Proletariats nicht in allen ihren Teilen verwirklicht werden. Doch das Schicksal der Instruktion veränderte sich radikal zusammen mit dem veränderten Verhalten der Regierung ihr gegenüber. Der Arbeiterstaat ließ der Bauernschaft Zeit, ihr widerspruchsvolles Programm in der Wirklichkeit zu überprüfen.

„Die Bauern wollen ihre Kleinwirtschaft beibehalten, sie gleichmäßig normieren, sie periodisch wieder ausgleichen“, schrieb Lenin im August. „Sei es. Deswegen wird kein vernünftiger Sozialist sich mit der Bauernarmut streiten. Wenn der Boden erst konfisziert sein wird, so heißt das, die Herrschaft der Banken ist gebrochen –, wenn das Inventar konfisziert sein wird, so heißt das, die Herrschaft des Kapitals ist gebrochen, dann ... nach Übergang der politischen Macht an das Proletariat, wird das übrig e ... die Praxis selbst diktieren.“

Sehr viele, nicht nur Feinde, sondern auch Freunde, haben diese weitblickende, in hohem Maße pädagogische Stellungnahme der bolschewistischen Partei zur Bauernschaft und ihrem Agrarprogramm nicht begriffen. Die ausgleichende Verteilung des Bodens, erwiderte beispielsweise Rosa Luxemburg, habe mit Sozialismus nichts gemein. Aber in dieser Hinsicht machten sich auch die Bolschewiki natürlich keine Illusionen. Im Gegenteil, schon die Konstruktion des Dekrets bezeugt die kritische Wachsamkeit des Gesetzgebers. Während die Instruktionssammlung lautet, daß der gesamte sowohl gutsherrliche wie bäuerliche Boden „Volkseigentum wird“, verschweigt das Hauptdekret die neue Form des Bodeneigentums überhaupt. Auch der nicht allzu pedantische Jurist muß über die Tatsache entsetzt sein, daß die Nationalisierung des Bodens, das neue soziale Prinzip von welthistorischer Bedeutung, festgelegt wird als Instruktion zum Hauptgesetz. Doch hegt darin keine redaktionelle Nachlässigkeit. Lenin wollte so wenig wie möglich Partei und Sowjetmacht auf dem noch unerforschten historischen Gebiet a priori binden. Mit beispielloser Kühnheit vereinigte er auch hier äußerste Vorsicht. Es stand erst noch bevor, aus der Erfahrung zu erkennen, wie die Bauern selbst den Übergang des Bodens „in Volkseigentum“ verstehen. Sich weit vorwagend, mußte man die Position auch für den Fall eines Rückzuges sichern: die Verteilung des gutsherrlichen Bodens unter den Bauern schloß, ohne vor einer bürgerlichen Konterrevolution zu schützen, unter allen Umständen die feudal-monarchistische Restauration aus.

Von sozialistischen Perspektiven konnte nur gesprochen werden bei Errichtung und Sicherung der Macht des Proletariats; diese Macht aber war nicht anders zu sichern als dadurch, daß dem Bauern bei der Durchführung seiner Revolution entschiedene Hilfe geleistet wurde. Festigte die Bodenaufteilung die sozialistische Regierung politisch, so war sie damit als nächste Maßnahme vollauf gerechtfertigt. Man mußte den Bauern so nehmen, wie ihn die Revolution vorgefunden hatte. Ihn umzubilden wird erst das neue Regime imstande sein, und auch nicht jäh, sondern im Laufe von vielen Jahren, im Laufe von Generationen, mit Hilfe einer neuen Technik und einer neuen Wirtschaftsorganisation. Das Dekret in Verbindung mit der Instruktion bedeutete für die Diktatur des Proletariats die Verpflichtung, sich nicht nur aufmerksam zu verhalten den Interessen des bäuerlichen Werktätigen gegenüber, sondern auch geduldig gegenüber dessen Illusionen als kleinem Eigentümer. Es war von vornherein klar, daß es in der Agrarrevolution noch manche Etappen und Wendungen geben werde. Die Instruktionssammlung war am allerwenigsten das letzte Wort. Sie stellte nur die Ausgangsposition dar, die einzunehmen die Arbeiter bereit waren, um den Bauern bei der Verwirklichung ihrer fortschrittlichen Forderungen zu helfen und um sie vor falschen Schritten zu warnen.

„Wir könnten“, sagt Lenin in seiner Rede, „den Beschluß der unteren Volksschichten nicht übergehen, auch wenn wir mit ihm nicht einverstanden wären ... Wir müssen den Volksmassen vollste schöpferische Freiheit lassen ... Es handelt sich darum, daß die Bauernschaft die feste Überzeugung gewinnt, daß es im Dorfe keine Gutsbesitzer mehr gibt und die Bauern alle Fragen selbst entscheiden und ihr Leben selbst einrichten können.“ Opportunismus? Nein, revolutionärer Realismus.

Noch bevor der Beifall verstummt war, trat der rechte Sozialrevolutionär Pjanych, vom Bauern-Exekutivkomitee, auf die Tribüne mit einem wütenden Protest darüber, daß die sozialistischen Minister in Haft wären. „In den letzten Tagen geht etwas vor“, schreit der Redner und hämmert wie besessen auf den Tisch, „was noch in keiner Revolution geschah. Unsere Genossen, Mitglieder des Exekutivkomitees, Maslow und Salaskin, sind ins Gefängnis gesperrt. Wir verlangen ihre sofortige Freilassung!“ – „Wenn von ihrem Haupte auch nur ein Haar fällt ...“, droht ein anderer Bote in Militäruniform. Beide erscheinen sie dem Kongreß wie Boten aus dem Jenseits.

Im Moment des Umsturzes saßen unter der Anklage des Bolschewismus im Dwinsker Gefängnis etwa 800 Mann, in Minsk etwa 6.000, in Kiew 535, vorwiegend Soldaten. Und wieviel Mitglieder der Bauernkomitees weilten in verschiedenen Teilen des Landes hinter Schloß und Riegel! Schließlich ist ein guter Teil der Kongreßdelegierten selbst, beginnend mit dem Präsidium, nach dem Juli durch Kerenskis Gefängnisse hindurchgegangen. Ist es da verwunderlich, daß die Entrüstung der Freunde der Provisorischen Regierung nicht damit rechnen durfte, in dieser Versammlung die Herzen zu erschüttern? Um das Unglück voll zu machen, erhob sich von seinem Platze ein völlig unbekannter Delegierter, ein Twerer Bauer, mit langem Haar, im Schafpelz, verneigte sich höflich nach allen vier Seiten und beschwor den Kongreß im Namen seiner Wähler, auch vor der Verhaftung des gesamten Awksentjewschen Exekutivkomitees nicht haltzumachen: „Das sind nicht Bauerndeputierte, sondern Kadetten ... . ihr Platz ist im Gefängnis.“ So standen sich diese zwei Gestalten gegenüber: der Sozialrevolutionär Pjanych, erfahrener Parlamentarier, Vertrauter der Minister, Bolschewikenhasser, und der namenlose Twerer Bauer, der von seinen Wählern Lenin einen heißen Gruß gebracht hatte. Zwei soziale Schichten, zwei Revolutionen: Pjanych sprach im Namen des Februar, der Twerer Bauer kämpfte für den Oktober. Der Kongreß bereitet dem Delegierten im Schafspelz eine wahre Ovation. Die Boten des Exekutivkomitees entfernen sich fluchend.

„Die Fraktion der Sozialrevolutionäre begrüßt Lenins Projekt als den Sieg ihrer Idee“, erklärt Kalegajew. Jedoch angesichts der außerordentlichen Wichtigkeit der Frage sei eine fraktionelle Beratung erforderlich. Ein Maximalist, Vertreter des äußersten linken Flügels der auseinandergefallenen sozialrevolutionären Partei, drängt auf sofortige Abstimmung: „Wir müßten Ehre einer Partei erweisen, die gleich am ersten Tage, ohne zu schwatzen, an die Durchführung einer solchen Maßnahme geht.“ Lenin besteht darauf, daß die Pause jedenfalls möglichst kurz sei. „Die für Rußland so wichtigen Neuigkeiten müssen bis zum Morgen veröffentlicht werden. Keine Verzögerungen!“ Das Bodendekret – das ist nicht nur die Grundlage des neuen Regimes, sondern auch das Werkzeug der Umwälzung, die noch vor der Aufgabe steht, das Land zu erobern. Nicht umsonst notiert Reed in diesem Moment eine gebieterische Stimme, die den Saal durchschneidet: „Fünfzehn Agitatoren ins Zimmer 17. Sofort! Sollen an die Front geschickt werden!“

Um 1 Uhr nachts beklagt sich der Delegierte der russischen Truppen in Mazedonien, die verschiedenen Petrograder Regierungen, die einander ablösten, hätten sie vergessen. Die Unterstützung der Parole für Frieden und Land sei seitens der Soldaten in Mazedonien sicher! Dies ist die neue Überprüfung der Stimmungen in der Armee, diesmal im fernen Winkel des europäischen Südostens. Kamenjew berichtet: das 10. Radfahrerbataillon, das die Regierung von der Front kommen ließ, sei heute morgen in Petrograd einmarschiert und habe sich, wie seine Vorgänger, dem Sowjetkongreß angeschlossen. Lebhaftes Händeklatschen beweist, daß immer aufs neue wiederholte Bestätigungen der eigenen Kraft niemals überflüssig sind.

Nachdem einstimmig und debattelos eine Resolution angenommen ist, die besagt, daß es Ehrensache der Lokalsowjets sei, jüdische und andere Pogrome nicht zu dulden, wird der Gesetzentwurf über den Boden zur Abstimmung gestellt. Gegen eine Stimme bei acht Stimmenthaltungen nimmt der Kongreß unter neuem Ausbruch von Enthusiasmus das Dekret an, das Schluß macht mit der Leibeigenschaft, dieser Grundlage aller Grundlagen der alten russischen Kultur. Nunmehr ist die Agrarrevolution Gesetz geworden. Die Revolution des Proletariats gewinnt damit eine machtvolle Basis.

Bleibt die letzte Aufgabe: Schaffung einer Regierung. Kamenjew verliest den vom Zentralkomitee der Bolschewiki ausgearbeiteten Entwurf. Mit der Leitung der einzelnen Teile des Staatslebens werden Kommissionen betraut, deren Arbeit im Durchführen des vom Sowjetkongreß verkündeten Programms zu bestehen hat „in enger Einheit mit den Massenorganisationen der Arbeiter, Arbeiterinnen, Matrosen, Soldaten, Bauern und Angestellten“. Die Regierungsmacht ist in den Händen eines Kollegiums konzentriert, das aus Vorsitzenden dieser Kommissionen besteht unter dem Namen Rat der Volkskommissare. Die Kontrolle über die Tätigkeit der Regierung hat der Sowjetkongreß und sein Zentral-Exekutivkomitee.

Für den ersten Rat der Volkskommissare sind sieben Mitglieder des Zentralkomitees der bolschewistischen Partei in Aussicht genommen: Lenin als Haupt der Regierung, ohne Portefeuille; Rykow als Volkskommissar des Innern; Miljutin als Volkskommissar für Landwirtschaft; Nogin für Handel und Industrie; Trotzki als Leiter des Auswärtigen; Lomow – Justiz; Stalin als Vorsitzender der Kommission für Angelegenheiten der Nationalitäten. Das Kriegs- und Marineamt wird einem Komitee, bestehend aus Antonow-Owssejenko, Krylenko und Dybenko, übertragen; für die Leitung des Arbeitskommissariats ist Schljapnikow in Aussicht genommen; das Volksbildungswesen soll Lunatscharski leiten; die schwere und undankbare Sorge um die Ernährung wird Teodorowitsch auferlegt; Post und Telegraph dem Arbeiter Glebow. Unbesetzt bleibt vorläufig der Posten des Volkskommissars für Verkehrswesen: die Türe ist offen gelassen für eine Verständigung mit den Eisenbahnerorganisationen.

Alle fünfzehn Kandidaten, vier Arbeiter und elf Intellektuelle, zählen in ihrer Vergangenheit Jahre Gefängnis, Verbannung und Emigration; fünf von ihnen saßen bereits unter dem Regime der demokratischen Republik im Gefängnis; der künftige Premier ist erst gestern aus der demokratischen Illegalität gekommen. Kamenjew und Sinowjew sind dem Rat der Volkskommissare nicht angeschlossen worden: der erstere war als Vorsitzender des neuen Zentral-Exekutivkomitees in Aussicht genommen, der andere als Redakteur des offiziellen Sowjetorgans. „Als Kamenjew die Liste der Volkskommissare verlas“, schreibt Reed, „folgte nach jedem Namen ein Beifallssturm, besonders nach Lenins und Trotzkis Namen.“ Suchanow fügt noch Lunatscharski hinzu.

Gegen die vorgeschlagene Regierungsliste tritt mit einer großen Rede als Vertreter der vereinigten Internationalisten Awilow auf, ehemaliger Bolschewik, Mitarbeiter der Gorkischen Zeitung. Gewissenhaft zählt er die Schwierigkeiten auf, die vor der Revolution auf dem Gebiete der Innen- und Außenpolitik stehen. Man müsse „sich klar Rechenschaft darüber ablegen ... wohin wir gehen ... Vor der neuen Regierung stehen die alten Fragen: Brot und Frieden. Wenn sie diese Fragen nicht lösen wird, wird sie gestürzt werden“. Brot gebe es im Lande wenig es ist in Händen der wohlhabenden Bauernschaft. Es sei nichts da, was man im Austausch für Brot geben könnte: die Industrie sinke. Es fehle an Brennmaterial und Rohstoff. Durch Zwangsmaßnahmen in Besitz des Getreides zu kommen – sei schwierig, langwierig und gefährlich. Man müsse deshalb eine solche Regierung schaffen, mit der nicht nur die Armut, sondern auch die wohlhabende Bauernschaft sympathisieren würde. Dafür sei eine Koalition notwendig.

„Noch schwieriger ist es, einen Frieden zu erlangen.“ Auf den Vorschlag des Kongresses über einen sofortigen Waffenstillstand würden die Ententeregierungen nicht reagieren. Die Gesandten der Alliierten beabsichtigen ohnehin, abzureisen. Die neue Macht werde isoliert sein, ihre Friedensinitiative in der Luft hängen bleiben. Die Volksmassen der kriegführenden Länder seien vorläufig von einer Revolution noch sehr fern. Die Folgen könnten zweierlei sein: entweder eine Niederschlagung der Revolution durch die Truppen der Hohenzollern oder Separatfrieden. Die Friedensbedingungen würden in beiden Fällen für Rußland von allerschwerster Art sein. Fertig werden mit allen Schwierigkeiten könnte nur eine „Mehrheit des Volkes“. Das Unglück liege jedoch in der Zerspaltenheit der Demokratie, deren linker Teil im Smolny eine rein bolschewistische Regierung bilden wolle, während der rechte in der Stadtduma ein Komitee der öffentlichen Sicherheit organisiere. Für die Rettung der Revolution müsse eine Regierung aus beiden Gruppen gebildet werden.

Im gleichen Geiste spricht sich der Vertreter der linken Sozialrevolutionäre, Karelin, aus. Es sei unmöglich, das beschlossene Programm ohne jene Parteien durchzuführen, die den Kongreß verlassen haben. Allerdings, „die Bolschewiki haben dieses Weggehen nicht verschuldet“. Das Programm des Kongresses müßte die gesamte Demokratie vereinigen. „Wir wollen nicht den Weg gehen, der zur Isolierung der Bolschewiki führt, denn wir wissen, daß mit dem Schicksal der Bolschewiki das Schicksal der ganzen Revolution verbunden ist: ihr Untergang wird der Untergang der Revolution sein.“ Wenn sie, die linken Sozialrevolutionäre, nichtsdestoweniger den Vorschlag, in die Regierung einzutreten, ablehnten, so in bester Absicht: ihre Hände frei zu behalten für eine Vermittlung zwischen Bolschewiki und den Parteien, die den Kongreß verlassen haben. „In dieser Vermittlung ... erblicken die linken Sozialrevolutionäre im gegenwärtigen Moment ihre Hauptaufgabe.“ Die Arbeit der neuen Regierung zur Lösung unaufschiebbarer Fragen würden die linken Sozialrevolutionäre unterstützen. Gleichzeitig stimmen sie gegen die vorgeschlagene Regierung. Mit einem Wort, die junge Partei verwirrte, so sehr sie nur konnte.

„Um eine rein bolschewistische Regierung zu verteidigen“, erzählt Suchanow, der restlos mit Awilow sympathisierte und hinter den Kulissen Karelin inspirierte, „trat Trotzki auf. Er war sehr blendend, scharf und hatte in vielem durchaus recht. Aber er wollte nicht begreifen, worin der Kernpunkt der Argumentation seiner Gegner bestand“ ... Der Kernpunkt der Argumentation bestand in einer idealen Diagonale. Im März hatte man versucht, diese zwischen Bourgeoisie und Versöhnlersowjets zu führen. Jetzt träumten die Suchanow von einer Diagonale zwischen Versöhnlerdemokratie und Diktatur des Proletariats. Aber Revolutionen entwickeln sich nicht nach Diagonalen.

„Mit einer Möglichkeit der Isolierung des linken Flügels“, sagt Trotzki, „hat man uns wiederholt geschreckt. Vor einigen Tagen, als die Frage des Aufstandes offen gestellt wurde, sagte man uns, wir gingen dem sicheren Untergang entgegen. Und in der Tat, urteilt man nach der politischen Presse über die Kräftegruppierung, dann hat uns durch den Aufstand der sichere Untergang gedroht. Gegen uns standen nicht nur die konterrevolutionären Banden, sondern auch die Landesverteidiger aller Abarten; die linken Sozialrevolutionäre arbeiteten nur mit einem ihrer Flügel mit uns mutig zusammen im Militärischen Revolutionskomitee; ihr anderer Teil nahm die Position abwartender Neutralität ein. Und dennoch, unter diesen ungünstigen Bedingungen, wo, wie es schien, wir von allen verlassen waren, hat der Aufstand gesiegt ...

Wären die realen Kräfte tatsächlich gegen uns gewesen, wie hätte es geschehen können, daß wir den Sieg fast ohne Blutvergießen errungen haben? Nein, isoliert waren nicht wir, sondern die Regierung und die Quasidemokraten. Durch ihre Schwankungen, durch ihr Versöhnlertum haben sie sich aus den Reihen der wahren Demokratie ausgestrichen. Unser großer Vorzug als Partei besteht darin, daß wir eine Koalition mit den Klassenkräften geschlossen und das Bündnis der Arbeiter, Soldaten und ärmsten Bauern hergestellt haben.

Politische Gruppierungen verschwinden, doch die grundlegenden Klasseninteressen bleiben. Es siegt jene Partei, die fähig ist, die grundlegenden Forderungen der Klasse zu fühlen und zu erfüllen ... Auf die Koalition unserer hauptsächlich bäuerlichen Garnison mit der Arbeiterklasse können wir stolz sein. Sie, diese Koalition, ist im Feuer erprobt. Die Petrograder Garnison und das Proletariat sind gemeinsam in den großen Kampf eingetreten, der ein klassisches Beispiel bleiben wird in der Revolutionsgeschichte aller Völker.

Awilow hat von den allergrößten Schwierigkeiten gesprochen, die vor uns stehen. Zur Behebung dieser Schwierigkeiten schlägt er eine Koalition vor. Dabei aber macht er keinen Versuch, diese Formel aufzulösen und zu sagen: welcher Art Koalition – von Gruppen, Klassen, oder einfach eine Zeitungskoalition? ...

Es wird gesagt, die Spaltung bei der Demokratie sei ein Mißverständnis. Wenn Kerenski gegen uns Stoßtruppler anmarschieren läßt, wenn man uns mit Genehmigung des Zentral-Exekutivkomitees im schärfsten Moment unseres Kampfes gegen die Bourgeoisie des Telephons beraubt, wenn man uns einen Schlag nach dem anderen versetzt, – kann man da wirklich von Mißverständnis sprechen?

Awilow sagt uns: das Brot ist knapp, man braucht eine Koalition mit den Landesverteidigern. Würde aber diese Koalition das Brotquantum vergrößern? Die Frage des Brotes – das ist die Frage des Aktionsprogramms. Der Kampf gegen den Wirtschaftszerfall erfordert ein bestimmtes System von unten, nicht aber politische Gruppierungen an der Spitze.

Awilow sprach von einem Bündnis mit der Bauernschaft; aber wiederum: von welcher Bauernschaft ist die Rede? Heute hat hier ein Bauernvertreter des Twerer Gouvernements die Verhaftung Awksentjews verlangt. Man muß wählen zwischen diesem Twerer Bauern und Awksentjew, der die Gefängnisse mit Mitgliedern der Bauernkomitees gefüllt hat. Eine Koalition mit den Kulakenelementen der Bauernschaft lehnen wir entschieden ab im Namen einer Koalition der Arbeiterklasse mit den ärmsten Bauern. Wir sind mit den Twerer Bauern gegen Awksentjew, wir sind mit ihnen bis ans Ende unzertrennlich.

Wer dem Schatten einer Koalition nachjagt, isoliert sich völlig vom Leben. Die linken Sozialrevolutionäre werden die Stütze in den Massen verlieren, wenn es ihnen einfallen sollte, unserer Partei entgegenzuwirken. Jede Gruppe, die sich in Gegensatz stellt zur Partei des mit der Dorfarmut verbundenen Proletariats, isoliert sich von der Revolution.

Offen, vor dem Angesicht des ganzen Volkes, haben wir das Banner des Aufstandes erhoben. Die politische Formel dieses Aufstandes ist: Alle Macht den Sowjets durch den Sowjetkongreß. Man sagt uns: ihr habt mit dem Umsturz nicht auf den Kongreß gewartet. Wir hätten schon gewartet, aber Kerenski wollte nicht warten: die Konterrevolutionäre haben nicht geschlafen. Wir als Partei haben es als unsere Aufgabe betrachtet, die reale Möglichkeit für den Sowjetkongreß zu schaffen, die Macht in seine Hände zu nehmen. Wäre der Kongreß von Junkern umstellt worden, wie hätte er die Macht ergreifen können? Um diese Aufgabe zu verwirklichen, war eine Partei nötig, die die Macht den Händen der Konterrevolution entwinden und euch sagen konnte: „Hier ist die Macht, ihr habt die Pflicht, sie zu nehmen!“ [Stürmischer, nicht enden wollender Beifall.]

Ungeachtet dessen, daß die Landesverteidiger aller Schattierungen im Kampfe gegen uns vor nichts zurückschreckten, haben wir sie nicht weggestoßen, – wir haben dem Kongreß in seiner Gesamtheit angeboten, die Macht zu übernehmen. Wie muß man die Perspektive entstellen, um nach all dem, was vorgefallen ist, von dieser Tribüne herab von unserer Unversöhnlichkeit zu sprechen! Wenn die in Pulverrauch gehüllte Partei zu ihnen kommt und sagt: „Nehmen wir die Macht gemeinsam!“, dann laufen sie in die Stadtduma und vereinigen sich dort mit den offenen Konterrevolutionären. Sie sind Verräter an der Revolution, mit denen wir uns niemals vereinigen werden!

Für den Kampf um den Frieden, sagt Awilow, sei die Koalition mit den Versöhnlern notwendig. Gleichzeitig gesteht er, daß die Alliierten einen Frieden nicht schließen wollen ... Den Margarinedemokraten Skobelew, berichtet Awilow, hätten die alliierten Imperialisten ausgelacht. Wenn ihr aber einen Block mit den Margarinedemokraten schließt, wäre die Sache des Friedens gesichert.

Es gibt zwei Wege im Kampfe um Frieden. Der eine Weg: den Regierungen der verbündeten und der feindlichen Länder die moralische und materielle. Macht der Revolution entgegenzustellen. Der zweite Weg: ein Block mit Skobeljew, was einen Block mit Tereschtschenko und völlige Unterwerfung unter den alliierten Imperialismus bedeutet. In unserem Friedensangebot wenden wir uns gleichzeitig an die Regierungen und an die Völker. Doch ist das nur eine formelle Symmetrie. Wir glauben selbstverständlich nicht, die imperialistischen Regierungen mit unseren Aufrufen beeinflussen zu können; aber solange sie existieren, können wir sie nicht ignorieren. Unsere ganze Hoffnung jedoch setzen wir darauf, daß unsere Revolution die europäische Revolution entfesseln wird. Werden die aufständischen Völker Europas den Imperialismus nicht erwürgen, dann werden wir erwürgt werden – das ist unbestreitbar. Entweder wird die russische Revolution einen Kampfwirbel im Westen hervorrufen, oder die Kapitalisten aller Länder werden unsere Revolution erdrosseln.“

„Es gibt einen dritten Weg“, schallt es von einem Platze.

„Der dritte Weg“, antwortet Trotzki, „ist der Weg des Zentral-Exekutivkomitees, das einerseits Delegationen zu den westeuropäischen Arbeitern schickt und andererseits ein Bündnis schließt mit den Kischkin und Konowalow. Das ist der Weg der Lüge und Heuchelei, den wir niemals beschreiten werden!

Selbstverständlich wollen wir nicht sagen, daß nur der Tag des Aufstandes der europäischen Arbeiter der Tag der Friedensunterzeichnung sein wird. Es ist auch möglich, daß die Bourgeoisie, eingeschüchtert durch den herannahenden Aufstand der Unterdrückten, sich beeilen wird, Frieden zu schließen. Termine sind hier nicht gegeben. Konkrete Formen vorauszusehen, ist nicht möglich. Aber es ist wichtig und notwendig, eine Kampfmethode zu bestimmen, die im Prinzip sich gleich bleibt in der Außen- wie Innenpolitik. Ein Bündnis der Unterdrückten überall und aller Orts – das ist unser Weg.“

„Die Kongreßdelegierten“, schreibt Reed, „feierten ihn mit einem grenzenlosen Beifallssturm, entzündet vom kühnen Gedanken, Vorkämpfer der Menschheit zu sein.“ Jedenfalls konnte es damals keinem der Bolschewiki in den Sinn kommen, dagegen zu protestieren, daß das Schicksal der Sowjetrepublik in einer offiziellen Rede namens der bolschewistischen Partei in direkte Abhängigkeit gestellt wurde von der Entwicklung der Weltrevolution.

Das dramatische Gesetz dieses Kongresses bestand darin, daß jeder bedeutsame Akt schloß oder sogar unterbrochen wurde durch ein kurzes Intermedium, in dem plötzlich auf der Bühne eine Gestalt aus dem anderen Lager erschien, Protest einzulegen, mit einem Ultimatum zu drohen oder ein solches zu stellen. Der Vertreter des Wikschel, des Exekutivkomitees des Allrussischen Eisenbahnerverbandes, will sofort und unverzüglich das Wort haben; er muß in die Versammlung eine Bombe werfen noch vor der Abstimmung über die Regierungsfrage. Der Redner, von dessen Gesicht Reed unversöhnliche Feindschaft ablas, beginnt mit der Anklage: seine Organisation, „die stärkste in Rußland“, sei zum Kongreß nicht eingeladen worden. „Dann hat Sie das Zentral-Exekutivkomitee nicht eingeladen!“ ruft man ihm von allen Seiten zu. Man möge zur Kenntnis nehmen: der ursprüngliche Beschluß des Wikschel betreffs Unterstützung des Sowjetkongresses ist widerrufen! Der Redner beeilt sich, das bereits telegraphisch im ganzen Lande verbreitete Ultimatum zu verlesen:

Der Wikschel verurteile die Machtergreifung durch eine Partei; die Regierung müsse verantwortlich sein der „gesamten revolutionären Demokratie“; bis zur Schaffung einer demokratischen Regierung verfüge über das Eisenbahnnetz ausschließlich der Wikschel. Der Redner setzt hinzu, konterrevolutionäre Truppen würden nach Petrograd nicht durchgelassen werden; überhaupt würden Truppenbewegungen von nun an nur auf Befehl des alten Zentral-Exekutivkomitees erfolgen. Im Falle von Repressivmaßnahmen gegen die Eisenbahner werde der Wikschel Petrograd ohne Lebensmittel lassen.

Der Kongreß zuckte auf wie unter einem Hieb. Die Gewaltigen des Eisenbahnerverbandes versuchten mit der Volksvertretung wie von Macht zu Macht zu verhandeln. Wenn Arbeiter, Soldaten und Bauern die Leitung des Staates in ihre Hände nehmen, will der Wikschel über Arbeiter, Soldaten und Bauern kommandieren. Das gestürzte System der Doppelherrschaft versucht er in kleine Münze umzusetzen. Bemüht, sich nicht auf ihre zahlenmäßige Stärke, sondern auf die außerordentliche Bedeutung der Eisenbahn für Wirtschaft und Kultur des Landes zu stützen, entlarven die Demokraten des Wikschel die ganze Wackligkeit der Kriterien der formalen Demokratie in den Grundfragen des sozialen Kampfes. Wahrlich, die Revolution geizt nicht mit genialen Belehrungen!

Den Moment für den Hieb haben die Versöhnler jedenfalls nicht übel gewählt. Die Gesichter des Präsidiums sind besorgt. Zum Glück ist der Wikschel kein unumschränkter Herr der Verkehrswege. Im Lande gehören die Eisenbahner den Lokalsowjets an. Schon hier, auf dem Kongreß, ruft das Ultimatum des Wikschel Zurückweisung hervor. „Die gesamte Eisenbahnermasse unseres Gebiets“, sagt der Delegierte von Taschkent, „ist für die Übergabe der Macht an die Sowjets.“ Ein anderer Vertreter der Eisenbahnarbeiter nennt den Wikschel eine „politische Leiche“; Das ist wohl übertrieben. Gestützt auf die recht zahlreiche Oberschicht der Eisenbahnangestellten hat der Wikschel mehr Lebenskräfte behalten als andere Spitzenorganisationen der Versöhnler. Doch gehört er zweifellos zum gleichen Typus wie die Armeekomitees oder das Zentral-Exekutivkomitee. Seine Planetenbahn ist im rapiden Niedergang. Die Arbeiter grenzen sich überall von den Angestellten ab. Die unteren Angestellten stehen in Gegensatz zu den oberen. Das anmaßende Ultimatum des Wikschel wird diese Prozesse unausbleiblich beschleunigen. Nein, nicht die Stationsvorsteher werden den Zug der Oktoberrevolution aufhalten!

„Es kann keine Rede sein von der Unrechtmäßigkeit des Kongresses“, erklärt autoritativ Kamenjew. „Das Quorum des Kongresses ist nicht von uns bestimmt worden, sondern vom alten Exekutivkomitee ... Der Kongreß ist das oberste Organ der Arbeiter- und Soldatenmassen!“ Einfacher Übergang zur Tagesordnung!

Der Rat der Volkskomm issare ist mit erdrückender Mehrheit bestätigt. Awilows Resolution vereinte nach der außerordentlich freigebigen Schätzung Suchanows etwa hundertfünfzig Stimmen, hauptsächlich linker Sozialrevolutionäre. Der Kongreß bestätigt danach einmütig die Zusammensetzung des neuen Zentral-Exekutivkomitees: von 101 Mitgliedern – 62 Bolschewiki, 29 linke Sozialrevolutionäre. Das Zentral-Exekutivkomitee soll später durch Vertreter der Bauernsowjets und der neu zu wählenden Armeeorganisationen ergänzt werden. Den Fraktionen, die den Sowjet verlassen haben, wird anheimgestellt, ihre Delegierten in das Zentral-Exekutivkomitee auf der Grundlage der Proportionalität zu entsenden.

Die Tagesordnung des Kongresses ist erschöpft. Die Sowjetmacht geschaffen. Sie hat ein Programm. Man kann an die Arbeit gehen, an der kein Mangel ist. Um 5 Uhr 15 morgens schließt Kamenjew den Konstituierenden Kongreß des Sowjetregimes. Zu den Bahnhöfen! Nach Hause! An die Front, in die Fabriken und Kasernen, in die Bergwerke und fernen Dörfer! Mit den Kongreßdekreten werden die Delegierten die Hefe der proletarischen Umwälzung in alle Enden des Landes tragen.

An diesem Morgen schrieb das Zentralorgan der bolschewistischen Partei, das wieder den alten Namen Prawda angenommen hatte

„Sie wollen, daß wir allein die Macht übernehmen, daß wir allein mit den furchtbaren Schwierigkeiten, die vor dem Lande stehen, fertig werden ... Nun, wir übernehmen die Macht allein, gestützt auf die Stimme des Landes und in Erwartung der freundschaftlichen Hilfe des europäischen Proletariats. Aber im Besitze der Macht, werden wir gegen die Feinde der Revolution und gegen deren Saboteure den eisernen Fausthandschuh anwenden. Sie haben von der Diktatur Kornilow geträumt ... Wir geben ihnen die Diktatur des Proletariats ...“

L. Trotzki


Fußnote von Trotzki

1. Es handelte sich wohl um Martow, dem Trotzki antwortete.

 


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008