Leo Trotzki

 

Wohin geht Frankreich?

1. Teil

(9. November 1934)

 

Auf diesen Seiten wollen wir den vorgeschrittenen Arbeitern darlegen, welches Schicksal Frankreich in den nächsten Jahren erwartet. Mit Frankreich meinen wir nicht die Börse, nicht die Banken, nicht die Trusts, nicht die Regierung nicht die Generale, nicht die Geistlichkeit – das alles sind Frankreichs Bedrücker –, sondern die Arbeiterklasse und die ausgebeutete Bauernschaft

 

Der Zusammenbruch der bürgerlichen Demokratie

Nach dem Krieg setzte eine ganze Reihe von Revolutionen ein, die glänzende Siege errangen in Russland, Deutschland, Österreich-Ungarn, später in Spanien. Doch nur in Russland hat das Proletariat die Macht ganz in die Hand genommen, seine Ausbeuter enteignet und damit einen Arbeiterstaat zu schaffen und zu erhalten verstanden. In allen anderen Ländern blieb das Proletariat trotz dem Sieg durch Verschulden seiner Führung auf halbem Wege stehen Infolgedessen entglitt die Macht seinen Händen und verschob sich immer weiter von links nach rechts, bis sie dem Faschismus zur Beute wurde. In mehreren anderen Ländern geriet sie einer Militärdiktatur in die Hände. Auch nicht in einem einzigen zeigte sich das Parlament imstande, die Klassengegensätze zu überbrücken und einen friedlichen Gang der Entwicklung zu gewährleisten. Der Streit wurde mit der Waffe in der Hand entschieden

Zwar hat man in Frankreich lange geglaubt, hier könne der Faschismus niemals Anklang finden. Ist es doch eine Republik, alle Fragen entscheidet das souveräne Volk mit dem allgemeinen Stimmrecht Aber am 6. Februar 1934 zwangen einige Tausend mit Revolvern, Gummiknüppeln und Rasiermessern ausgerüstete Faschisten und Royalisten dem Lande die reaktionäre Doumergue-Regierung auf, in deren Schutz die faschistischen Banden weiter wachsen und rüsten. Was wird uns der morgige Tag bescheren?

Zwar bestehen in Frankreich, wie in einigen anderen Ländern Europas (England, Belgien, Holland, Schweiz, skandinavische Staaten) noch Parlamente, Wahlen, demokratische Freiheiten oder deren Überreste Aber in all diesen Ländern spitzt sich der Klassenkampf in derselben Richtung zu wie früher in Italien und in Deutschland. Wer sich mit den Worten tröstet „Frankreich ist nicht Deutschland“, an dem ist Hopfen und Malz verloren In allen Ländern herrschen heute die gleichen historischen Gesetze: die Gesetze des kapitalistischen Verfalls Bei fernerem Verbleib der Produktionsmittel in den Händen eines Häufleins von Kapitalisten ist für die Gesellschaft kein Heil. Sie ist verurteilt, aus einer Krise in die andere zu taumeln, aus Not ins Elend. In den verschiedenen Ländern treten Altersschwäche und Verfall des Kapitalismus in verschiedener Form und in ungleichem Tempo in Erscheinung. Doch das Wesen des Prozesses ist überall dasselbe. Die Bourgeoisie hat ihre Gesellschaft in eine vollständige Pleite hineingetrieben. Sie vermag dem Volke weder Brot noch Frieden zu sichern Eben darum kann sie die demokratische Ordnung nicht länger ertragen Sie ist gezwungen die Arbeiter mit physischer Gewalt niederzuhalten. Doch mit der Polizei allein ist der Unzufriedenheit der Arbeiter und Bauern unmöglich Herr zu werden. Das Heer gegen das Volk marschieren lassen, geht nur zu oft nicht an: es beginnt sich zu zersetzen und am Ende schlägt sich gar ein groß Teil Soldaten auf die Seite des Volks Das Großkapital ist darum genötigt, bewaffnete Banden zu schaffen, speziell gegen die Arbeiter abgerichtet, wie man gewisse Hundesorten auf Wild dressiert, Der geschichtliche Sinn des Faschismus ist, die Arbeiterklasse niederwerfen, ihre Organisationen zu zerschlagen die politische Freiheit zu erwürgen in jener Stunde wo die Kapitalisten nicht mehr imstande sind, mit Hilfe der demokratischen Mechanik zu regieren und zu herrschen.

Das Menschenmaterial finden die Faschisten zur Hauptsache im Kleinbürgertum. Das Großkapital hat dieses gründlich ruiniert. Die heutige Gesellschaftsordnung weiß ihm keine Rettung. Aber den anderen Ausweg kennt es eben nicht. Seine Unzufriedenheit, Empörung, Verzweiflung wird durch die Faschisten vorn Großkapital abgelenkt und auf die Arbeiter gerichtet Man kann sagen: Faschismus das ist der Vorgang der Gehirnverrenkung des Kleinbürgertums im Interesse seiner schlimmsten Feinde. So verliert das Großkapital die Mittelklassen zuerst, um sie dann mit Hilfe einer Söldlingsagentur faschistischer Demagogen auf das Proletariat zu hetzen. Nur mit solchen Gangstermethoden eben vermag sich das bürgerliche Regime noch zu halten. Wie lange? Solange die proletarische Revolution es nicht stürzt.

 

 

Der Beginn des Bonapartismus in Frankreich

In Frankreich steht die Bewegung von der Demokratie zum Faschismus erst in ihrer ersten Phase. Das Parlament besteht noch, aber die Macht von ehedem hat es nicht mehr und wird es nie wieder bekommen. Auf den Tod erschrocken, rief nach dem 6. Februar die Parlamentsmehrheit Doumergue, den Retter, den Schiedsrichter ans Ruder. Seine Regierung wie die seines Nachfolgers Flandin steht über dem Parlament. Sie stützt sich nicht auf die „demokratisch“ gewählte Mehrheit, sondern direkt und unmittelbar auf den bürokratischen Apparat, auf Polizei und Heer. Eben darum kann Doumergue irgendwelche Freiheit für die Beamten und Staatsangestellten überhaupt nicht dulden. Er braucht einen gehorsamen und disziplinierten bürokratischen Apparat an dessen Spitze er stehen kann ohne Gefahr zu stürzen. In ihrer Angst vor den Faschisten und vor dem „front commun[1] ist die Parlamentsmehrheit gezwungen, sich Doumergue zu beugen. Man schreibt jetzt viel von einer bevorstehenden „Verfassungsreform“ vom Recht zur Auflösung des Abgeordnetenhauses und so weiter. All diese Fragen sind nur von rechtlichem Interesse. Im politischen Sinn ist die Frage bereits entschieden. Die Reform wurde vollzogen ohne Fahrt nach Versailles. Das Erscheinen bewaffneter faschistischer Banden auf offener Bühne ermöglichte den Agenten des Großkapitals, sich über das Parlament zu erheben. Das eben macht heute das Wesen der französischen Verfassung aus. Alles übrige ist nur Illusion, Phrase oder bewusster Betrug.

Die heutige Rolle Doumergues (wie seiner möglichen Nachfolger vom Schlage Tardieus) ist nicht neu. Eine analoge Rolle spielten unter anderen Umständen Napoleon I. und Napoleon III. Das Wesen des Bonapartismus besteht in folgendem: gestützt auf den Kampf zweier Lager rettet er mit Hilfe einer bürokratisch-militärischen Diktatur die „Nation“. Napoleon I verkörperte den Bonapartismus der stürmischen Jugend der bürgerlichen Gesellschaft. Der Bonapartismus Napoleons III fällt in die Zeit, wo dem Bürgertum bereits eine Glatze wuchs. In Doumergue begegneten wir dem senilen Bonapartismus des kapitalistischen Niedergangs. Die Doumergue-Regierung ist die erste Stufe des Übergangs vom Parlamentarismus zum Bonapartismus. Um sich im Gleichgewicht zu halten, braucht Doumergue zur Rechten die faschistischen und anderen Banden, die ihm zur Macht verhalfen. Von ihm verlangen, dass er – nicht auf dem Papier, sondern in Wirklichkeit die Jeunnesses Patriotes, Croix de Feu, Camelots du Roy usw. auflöse, heißt verlangen, er möge den Ast absägen, auf dem er sitzt. Zeitweilige Schwankungen nach der einen oder anderen Seite sind selbstverständlich möglich So könnte ein vorzeitiger Angriff des Faschismus bei den Regierungsspitzen so etwas wie einen linken Seitensprung hervorrufen. Doumergue hat Flandin Platz gemacht, das ist ein Betriebsunfall. Flandin wiederum kann vorübergehend nicht durch Tardieu, sondern durch Herriot ersetzt werden. Aber erstens ist nirgends gesagt, dass die Faschisten einen vorzeitigen Umsturzversuch machen werden. Zweitens wurde ein vorübergehender Seitensprung nach links in den Spitzen an der allgemeinen Entwicklungsrichtung nichts ändern sondern bestenfalls die Entwicklung nur ein wenig hinausschieben. Zurück, zur friedlichen Demokratie ist schon kein Weg mehr. Die Entwicklung führt unabänderlich unabwendbar zum Zusammenprall von Proletariat und Faschismus.

 

 

Wird der Bonapartismus von langer Dauer sein?

Wie lange wird das heutige bonapartistische Übergangsregime durchhalten können? Oder anders ausgedrückt: wie viel Zeit bleibt dem Proletariat noch zur Vorbereitung auf die Entscheidungsschlacht? Auf diese Frage kann man natürlich nicht genau antworten. Doch einige Anhaltspunkte zur Beurteilung der Geschwindigkeit des Gesamtprozesses kann man immerhin schon bestimmen. Das wichtigste Element zu dieser Beurteilung ist die Frage: was wird aus der radikalsozialistischen Partei?

Durch die Umstände seiner Entstehung ist der gegenwärtige Bonapartismus, wie bereits gesagt, mit dem beginnenden Bürgerkrieg zwischen den extremen politischen Lagern verbunden. Seine Hauptstütze findet er in Polizei und Heer. Aber er hat auch eine politische Stütze zur Linken: die Partei der Radikalsozialisten. Die Basis dieser Massenpartei bildet das Kleinbürgertum von Stadt und Land. Die Spitze der Partei setzt sich zusammen aus „demokratischen“ Agenten der Großbourgeoisie, die das Volk dann und wann mit kleinen Reformen, meistens aber mit demokratischen Phrasen fütterten, es täglich (in Worten) vor der Reaktion und dem Klerikalismus retteten, in allen wichtigen Fragen aber die Politik des Großkapitals durchführten. Bedroht vom Faschismus und mehr noch vom Proletariat, sahen sich die Radikalsozialisten gezwungen, aus dem Lager der parlamentarischen Demokratie ins Lager des Bonapartismus zu schwenken. Wie das Kamel unter der Peitsche des Treibers, ging der Radikalismus auf seine vier Knie nieder, um die kapitalistische Reaktion zwischen seinen Hockern Platz nehmen zu lassen. Ohne die politische Unterstützung durch die Radikalen wäre die Doumergue-Regierung augenblicklich noch unmöglich.

Vergleicht man die politische Entwicklung Frankreichs mit der Deutschlands, so entspricht die Doumergue-Regierung (und ihre möglichen Nachfolger) den Regierungen Brüning, von Papen, Schleicher, die den Zwischenraum zwischen der Weimarer Demokratie und Hitler ausfüllten. Es ist indessen auch ein Unterschied vorhanden, der politisch sehr große Bedeutung gewinnen kann Der deutsche Bonapartismus betrat die Bildfläche, als die demokratischen Parteien dahingeschmolzen waren, und die Nazis bereits mit kolossaler Wucht wuchsen. Die drei „bonapartistischen“ Regierungen in Deutschland, deren eigene politische Stütze sehr schwach war, balancierten auf einem Seil über dem Abgrund zwischen den beiden feindlichen Lagern Proletariat und Faschismus. Alle drei purzelten schnell herunter. Das proletarische Lager war damals gespalten, auf Kampf nicht vorbereitet, von den Führern betrogen und verraten. Die Nazis konnten die Macht fast kampflos ergreifen.

Der französische Faschismus stellt heute noch keine Massenkraft dar. Dagegen hat der Bonapartismus hier, wenn auch keine sehr zuverlässige und feste so doch eine Massenstütze in den Radikalen. Zwischen diesen beiden Tatsachen besteht ein innerer Zusammenhang. Dem sozialen Charakter seiner Stütze nach ist der Radikalismus eine Partei des Kleinbürgertums. Der Faschismus aber kann eine Massenkraft nur werden durch die Eroberung des Kleinbürgertums. Mit anderen Worten: in Frankreich kann die Entwicklung des Faschismus vor allein auf Kosten der Radikalen vor sich gehen. Dieser Prozess vollzieht sich auch heute schon, befindet sich aber noch im Anfangsstadium.

 

 

Die Rolle der Radikalsozialistischen Partei

Die letzten Kantonalwahlen ergaben die Resultate die man erwarten konnte und musste: gewonnen haben die Flanken, d.h. die reaktionäre und der Arbeiterblock, verloren hat das Zentrum, d.h. die Radikalen. Gewinne wie Verluste sind bislang unerheblich. Wären es Parlamentswahlen gewesen, so würden dieselben Erscheinungen zweifellos beträchtlicheres Ausmaß angenommen haben. Die eingetretenen Verschiebungen besitzen für uns keinerlei Bedeutung an sich, sondern nur als Symptome des Wechsels in der Massenstimmung. Sie zeigen, dass das kleinbürgerliche Zentrum bereits zugunsten der beiden extremen Lager zu schmelzen begonnen hat. Das heißt, die Reste des parlamentarischen Regimes werden immer mehr unterhöhlt, die extremen Lager werden wachsen, ihr Zusammenprall nahe heranrücken. Es ist unschwer zu begreifen warum dieser Prozess völlig unabwendbar ist.

Die radikale Partei ist die Partei, mit deren Hilfe die Großbourgeoisie die Hoffnungen des Kleinbürgertums auf eine allmähliche und friedliche Besserung seiner Lage wach hielt. Diese Rolle der Radikalen war nur so lange möglich, wie die wirtschaftliche Lage des Kleinbürgertums leidlich tragbar blieb, solange es nicht dem Massenruin preisgegeben war, solange es die Hoffnung auf die Zukunft bewahrte. Zwar ist das Programm der Radikalen stets ein leeres Stück, Papier geblieben. Irgendwelche ernste Sozialreformen, zugunsten der Werktätigen haben die Radikalen nie durchgeführt noch durchführen können: das hätte ihnen die Großbourgeoisie nicht erlaubt, in deren Händen alle wirklichen Machtmittel sind: Banken und Börse, die große Presse, die höhere Bürokratie, Diplomaten, Generale. Aber mit einigen kleinen Almosen, die die Radikalen, vor allem in der Provinz von Zeit zu Zeit für ihre Kundschaft abhandelten, erhielten sie die Illusionen der Volksmassen aufrecht. So ging es bis zur letzten Krise. Jetzt wird es selbst dem rückständigsten Bauern klar, dass es sich nicht uns eine jener gewöhnlichen, bald vorübergehenden Krisen handelt, wie es deren vor dem Krieg häufig gab, sondern um eine Krise der gesamten Gesellschaftsordnung. Kühne und entschiedene Maßnahmen tun not. Welche? Das weiß der Bauer nicht. Niemand hat es ihm gesagt, wie es sich gehörte.

Der Kapitalismus hat die Produktionsmittel auf eine solche Höhe gebracht, dass das Elend der von demselben Kapitalismus zugrunde gerichteten Volksmassen sie lahm legt. Damit ist das gesamte System in eine Periode des Verfalls, der Zersetzung, der Fäulnis eingetreten. Der Kapitalismus kann nicht nur den Werktätigen keine neuen sozialen Reformen oder auch nur kleine Almosen mehr geben, sondern ist gezwungen, selbst die alten wieder wegzunehmen. Ganz Europa ist in eine Epoche der wirtschaftlichen und politischen Konterreformen getreten. Die Politik der Ausplünderung und Erstickung der Massen ist nicht eine böse Laune der Reaktion, sondern Folge der Zersetzung des kapitalistischen Systems. Das ist die Grundtatsache, die sich jeder Arbeiter zu eigen machen muss, wenn er nicht mit Phrasengeklingel gefoppt erden will. Eben darum zerfallen und verenden die reformistischen demokratischen Parteien eine nach der anderen in ganz Europa. Dasselbe Schicksal erwartet auch die französischen Radikalen. Nur komplette Hohlköpfe können glauben, Daladiers Kapitulation oder Herriots Dienstfertigkeit vor der extremen Reaktion seien das Ergebnis zufälliger zeitweiliger Ursachen oder des Mangels an Charakter dieser kläglichen Führer. Nein! Große politische Erscheinungen müssen stets tiefe soziale Ursachen haben. Der Verfall der demokratischen Parteien ist eine universale Erscheinung, die im Verfall des Kapitalismus selbst wurzelt. Die Großbourgeousie spricht zu den Radikalen: Jetzt Spaß vorbei! Wenn ihr nicht aufhört, mit den Sozialisten zu kokettieren, mit dem Volk zu liebäugeln und ihm Wunderdinge zu versprechen, dann rufe ich die Faschisten! Worauf das radikale Kamel sich auf alle Viere niederlässt. Etwas anderes bleibt ihm auch nicht übrig.

Aber der Radikalismus ist auf diese Weise nicht zu retten. Vor allem Volk sein Schicksal an das der Reaktion kettend, beschleunigt er unvermeidlich sein Verderben. Der Stimmen- und Mandatsverlust bei den Kantonalwahlen war nur ein Anfang. Künftighin wird sich der Prozess des Zusammenbruchs der radikalen Partei immer rascher vollziehen Die ganze Frage ist nur, wem dieser unaufhaltsame und unvermeidliche Zusammenbruch zu gute kommen wird: der proletarischen Revolution oder dem Faschismus? Wer wird eher, breiter, kühner den Mittelklassen das überzeugendere Programm bieten und das ist das wichtigste – wer wird ihr Vertrauen erwerben, indem er ihnen mit Wort und Tat seine Fähigkeit beweist, allen Widerstand auf dem Wege zur besseren Zukunft zu brechen: der revolutionäre Sozialismus oder die faschistische Reaktion? Von dieser Frage hängt das Schicksal Frankreichs auf Jahre hinaus ab. Nicht nur Frankreichs, sondern ganz Europas. Nicht nur Europas sondern der ganzen Welt.

 

 

Die „Mittelklassen“, die Radikalsozialistische Partei und der Faschismus

Seit dem Siege der Nazi in Deutschland hat man in den Parteien und Gruppen der französischen „Linken“ nicht wenig zusammengeredet über die Notwendigkeit, sich enger an die Mittelklassen zu halten, um dem Faschismus den Weg zu versperren Die Fraktion Renaudel & Co trennte sich von der Sozialistischen Partei mit dem speziellen Ziel, dichter bei den Radikalen zu bleiben. Aber zur selben Stunde, als Renaudel, der von den 1848er Ideen lebt, Herriot beide Hände hinstreckte, waren diesem die seinen genommen: die eine Hand hielt Tardieu, die andere Louis Marin.

Daraus jedoch folgt nicht im mindesten, dass die Arbeiterklasse dem Kleinbürgertum den Rücken kehren und es seinem Schicksal überlassen dürfe. Oh nein! Sich dem Bauern und dem kleinen Mann der Stadt nähern, sie auf unsere Seite zu ziehen, ist unerlässliche Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf gegen den Faschismus, von der Machteroberung gar nicht zu reden. Es ist nur nötig, die Aufgabe richtig zu stellen Dazu aber heißt es klar begreifen, welches die Natur der „Mittelklassen“ ist. Nichts in der Politik ist gefährlicher, vor allem in einer kritischen Periode, als allgemeine Formeln herzusagen ohne ihren sozialen Inhalt zu untersuchen.

Die derzeitige Gesellschaft besteht aus drei Klassen: Großbourgeoisie, Proletariat und Mittelklassen oder Kleinbürgertum. Die Beziehungen zwischen diesen drei Klassen bestimmen letzten Endes auch die politische Lage des Landes. Die Grundklassen der Gesellschaft sind die Großbourgeoisie und das Proletariat. Nur diese beiden Klassen können eine klare und konsequente selbständige Politik führen. Das Kleinbürgertum zeichnet sich durch seine wirtschaftliche Unselbständigkeit und soziale Ungleichförmigkeit aus. Seine oberen Schichten gehen unmittelbar in die Großbourgeoisie über. Die unteren Schichten verschmelzen mit dem Proletariat und sinken selbst in den Zustand des Lumpenproletariats hinab. Seiner wirtschaftlichen Lage entsprechend, kann das Kleinbürgertum keine eigene Politik haben. Stets wird es zwischen den Kapitalisten und den Arbeitern hin- und herschwanken Seine eigene Oberschicht stößt es nach rechts; seine unteren, unterdrückten und ausgebeuteten Schichten vermögen unter gewissen Umständen, schroff nach links zu schwenken. Diese widerspruchsvollen Beziehungen der verschiedenen Schichten der Mittelklassen bestimmen die stets konfuse und ganz und gar haltlose Politik der Radikalen: ihr Schwanken zwischen dem Kartell mit den Sozialisten, um die Basis zu beruhigen, und dem nationalen Block mit der kapitalistischen Reaktion, um die Bourgeoisie zu retten Die endgültige Zersetzung des Radikalismus beginnt in dem Augenblick, wo die Großbourgeoisie, selber in der Sackgasse, ihm keine Schwankungen mehr gestattet. Das Kleinbürgertum in Gestalt der dem Ruin entgegengehenden Massen von Stadt und Land beginnt die Geduld zu verlieren. Seine Haltung den eigenen Oberschichten gegenüber wird immer feindseliger, es überzeugt sich in der Tat von dem Unvermögen und der Treulosigkeit seiner politischen Führerschaft Der arme Bauer, der Handwerker, der kleine Krämer überzeugen sich in der Praxis, dass ein Abgrund sie trennt von all diesen Bürgermeistern Rechtsanwälten, politischen Geschäftemachern vom Sehlage der Herriot, Daladier, Chautemps & Co, die ihrer Lebensweise und ihren Auffassungen nach Großbürger sind. Ehen dieser Enttäuschung des Kleinbürgertums, seiner Ungeduld, seiner Verzweiflung bedient sich der Faschismus. Die faschistischen Agitatoren brandmarken und verfluchen die parlamentarische Demokratie, die wohl Karrieristen und Bestechlichen hilft, dem kleinen Arbeitsmann aber nichts bringt. Sie, diese Demagogen, schütteln die Faust gegen die Bankiers, Großkaufleute, Kapitalisten. Solche Worte und Gebärden entsprechen ganz den Gefühlen des in eine ausweglose Lage geratenen Kleinbesitzers. Die Faschisten zeigen sich kühn, gehen auf die Straße, greifen die Polizei an, versuchen mit Gewalt das Parlament auseinanderzujagen. Das imponiert dem in Verzweiflung verfallenen Kleinbürger. Er sagt sich „Die Radikalen, bei denen sind zuviel Halunken, die haben sich endgültig den Bankiers verkauft; die Sozialisten versprechen seit langem, die Ausbeutung abzuschaffen, aber nie gehen sie vom \Wort zur Tat über; die Kommunisten kann man schon überhaupt nicht verstehen: heute so, morgen anders; man muss doch probieren, ob nicht vielleicht die Faschisten helfen“.

 

 

Ist der Übergang der Mittelklassen ins Lager des Faschismus unvermeidlich?

Renaudel, Frossard und ähnliche wenden ein, das Kleinbürgertum sei am meisten der Demokratie zugetan und werde eben darum mit den Radikalen gehen. Welch ungeheurer Irrtum! Die Demokratie ist nur eine politische Form. Das Kleinbürgertum kümmert sich nicht um die Schale der Nuss, sondern um ihren Kern. Es sucht Rettung vor Elend und Verderben. Stellt sich die Demokratie als ohnmächtig heraus – zum Teufel mit der Demokratie. So denkt oder fühlt jeder Kleinbürger. Die steigende Empörung der unteren Schichten des Kleinbürgertums gegen seine eigenen oberen „gebildeten“ Schichten in Gemeinde, Kanton und Parlament, das ist die soziale und politische Hauptquelle des Faschismus. Dahinzu kommt der Hass der von der Krise beiseite geschleuderten akademischen Jugend gegen die wohlsituierten Rechtsanwälte, Professoren, Abgeordneten und Minister. Auch hier lehnen sich folglich die unteren Schichten der kleinbürgerlichen Intelligenz gegen ihre Spitzen auf.

Bedeutet das, dass der Übergang des Kleinbürgertums auf den Weg des Faschismus unvermeidlich, unabwendbar ist? Nein, eine solche Schlussfolgerung wäre schmählicher Fatalismus. Was wirklich unvermeidlich, unabwendbar ist, das ist der Untergang des Radikalismus und all jener politischen Gruppierungen, die ihr Geschick an das seine heften. Unter den Bedingungen des kapitalistischen Verfalls ist für eine Partei demokratischer Reformen und des „friedlichen“ Fortschritts kein Platz mehr. Welchen Weg auch immer die zukünftige Entwicklung Frankreichs gehen muss, der Radikalismus wird jedenfalls von der Bildfläche verschwinden, verworfen und bespien vom Kleinbürgertum, das er endgültig verraten hat. Dass unsere Voraussage der Wirklichkeit entspricht davon wird sich jeder bewusste Arbeiter von nun ab auf Grund der Tatsachen und der Erfahrung täglich überzeugen. Neue Wahlen werden den Radikalen Niederlagen bringen. Schicht für Schicht werden die Volksmassen unten, Gruppen erschrockener Karrieristen oben abstoßen. Austritte, Spaltungen, Verrat werden einander in ununterbrochener Reihe folgen. Keine Manöver und Blöcke werden die radikale Partei retten. In den Abgrund wird sie die „Partei“ der Renaudel, Déat & Co mit sich reißen. Das Ende der radikalen Partei ist die unabwendbare Folge der Tatsache, dass die bürgerliche Gesellschaft ihrer Schwierigkeiten mit Hilfe der sogenannten demokratischen Methoden nicht mehr Herr zu werden vermag. Die Spaltung zwischen den unteren Schichten des Kleinbürgertums und den Spitzen ist unabwendbar.

Aber das bedeutet keineswegs, dass die dem Radikalismus folgenden Massen ihre Hoffnungen unfehlbar auf den Faschismus übertragen müssten. Zwar hat der verkommenste deklassierteste und gierigste Teil der Mittelklassejugend seine Wahl bereits in dieser Richtung getroffen. Vornehmlich aus diesem Reservoir formieren sich die faschistischen Banden. Aber die breiten Kleinbürgermassen von Stadt und Land stehen noch vor der Wahl. Sie schwanken vor der großen Entscheidung. Eben weil sie schwanken, fahren sie bisher noch fort, doch bereits ohne Zutrauen, für die Radikalen zu stimmen. Dieser Zustand des Schwankens, des Sich-Bedenkens wird indessen nicht Jahre sondern Monate dauern. Die politische Entwicklung wird in der kommenden Periode fieberhaftes Tempo annehmen. Das Kleinbürgertum wird die Demagogie des Faschismus nur in dem Falle von sich weisen, wenn es an die Wirklichkeit des anderen Weges glaubt. Der andere Weg aber, das ist der Weg der proletarischen Revolution.

 

 

Ist es wahr, dass das Kleinbürgertum die Revolution fürchtet?

Parlamentarische Routiniers, die sich für Kenner des Volkes halten, pflegen immer wieder zu sagen „Man darf die Mittelklassen nicht mit der Revolution schrecken, sie lieben das Extreme nicht“. In solch allgemeiner Form ist diese Behauptung vollkommen falsch. Natürlich ist der Kleineigentümer für die Ordnung, solange seine Geschäfte leidlich gehen und solange er hofft, dass sie morgen besser gehen werden. Ist aber diese Hoffnung dahin, so gerät er leicht in Wut und ist bereit, auf die extremsten Maßnahmen einzugehen. Wie hätte er sonst in Italien und Deutschland den demokratischen Staat stürzen und dem Faschismus zum Siege verhelfen können? Der verzweifelnde kleine Mann sieht im Faschismus vor allem eine Kampfkraft gegen das Großkapital und glaubt, zum Unterschied von den Arbeiterparteien, die sich nur mit dem Mundwerk betätigen, werde der Faschismus die Faust in Bewegung setzen, um mehr „Gerechtigkeit“ zu schaffen. Und der Bauer und der Handwerker sind auf ihre Art Realisten: sie verstehen, dass man ohne die Faust mit dem Ding nicht fertig werden wird. Es ist falsch, dreimal falsch, zu behaupten, das heutige Kleinbürgertum gehe nicht mit den Arbeiterparteien, weil es „extreme Maßnahmen“ scheute. Ganz im Gegenteil. Die unteren Schichten des Kleinbürgertums, seine breiten Massen, sehen in den Arbeiterparteien nur Parlamentsmaschinen, trauen nicht der Kraft der Arbeiterparteien, ihrer Kampffähigkeit, ihrer Bereitschaft, diesmal den Kampf bis ans Ende zu führen. Ist dem aber so, lohnt es dann, den Radikalismus durch seine linken parlamentarischen Spießgesellen zu ersetzen? – so überlegt oder fühlt der ruinierte und aufgebrachte Halbeigentümer. Ohne Verständnis für diese Psychologie der Bauern, Handwerker, Angestellten, kleinen Beamten usw. – eine Psychologie, die sich aus der sozialen Krise ergibt – ist es unmöglich, die richtige Politik auszuarbeiten.

Das Kleinbürgertum ist wirtschaftlich abhängig und politisch zerstückelt Es kann darum nicht selbständig Politik machen. Es braucht einen „Führer“, der ihm Vertrauen einflößt. Dieser Führer – ein individueller oder ein kollektiver, d.h. eine Person oder eine Partei – kann ihm die eine oder die andere Grundklasse liefern, d.h. entweder die Großbourgeoisie oder das Proletariat. Der Faschismus eint und bewaffnet die zerstreuten Massen: aus menschlichem Staub schafft er Kampfabteilungen. Damit gibt er dem Kleinbürgertum die Illusion, dass es eine selbständige Kraft sei. Es beginnt sich einzubilden, dass es wirklich den Staat kommandieren werde. Kein Wunder, wenn ihm die Hoffnungen und Illusionen zu Kopf steigen. Aber das Kleinbürgertum kann auch das Proletariat zum Führer nehmen. Das hat es in Russland, zum Teil in Spanien gezeigt. Es neigte dahin in Italien, Deutschland, Österreich. Doch die Parteien des Proletariats zeigten sich dort nicht auf der Höhe ihrer geschichtlichen Aufgabe. Damit das Kleinbürgertum sich ihm anschließe, muss das Proletariat sich sein Vertrauen erkämpfen. Dazu aber muss es der eigenen Kraft vertrauen. Erforderlich ist ein klares Aktionsprogramm und die Bereitschaft, mit allen verfügbaren Mitteln um die Macht zu kämpfen. Fest verbunden von der revolutionären Partei zum entscheidenden und unerbittlichen Kampfe, spricht das Proletariat zum Bauern und zum kleinen Mann der Stadt: „ich kämpfe um die Macht; hier ist mein Programm; ich bin bereit, mich mit euch über Änderungen an diesem Programm zu verständigen; Gewalt werde nur gegen das Großkapital und seine Lakaien anwenden, mit euch aber, die ihr von der eigenen Arbeit lebt, will ich ein Bündnis schließen auf Grund eines bestimmten Programms“ Solch eine Sprache wird der Bauer erstehen. Not tut nur, dass er Zutrauen habe zur Fähigkeit des Proletariats, die Macht zu ergreifen. Dazu aber heißt es, die Einheitsfront von aller Zweideutigkeit, aller Unentschiedenheit, allem Phrasenglauben säubern; heißt es die Lage verstehen und ernsthaft den Weg des revolutionären Kampfes betreten.

 

 

Ein Bündnis mit den Radikalsozialisten wäre ein Bündnis gegen die Mittelklassen

Renaudel, Frossard und ihresgleichen bilden sich ernsthaft ein, ein Bündnis mit den Radikalen sei ein Bündnis mit den „Mittelklassen“ und somit eine Sehranke gegen den Faschismus. Diese Leute sehen nichts als die parlamentarischen Schatten. Sie haben keine Ahnung von der wirklichen Entwicklung der Massen und jagen der überlebten radikalen Partei nach, die ihnen unterdessen die Rückseite zugekehrt hat. Sie glauben, in der Epoche einer großen sozialen Krise könne man das Bündnis mit den in Fluss gekommenen Massen durch einen Block mit der kompromittierten und dem Untergang geweihten parlamentarischen Clique ersetzen. Das wirkliche Bündnis des Proletariats mit den Mittelklassen ist nicht eine Frage der parlamentarischen Statik, sondern der revolutionären Dynamik. Dies Bündnis gilt es zu schaffen, im Kampf zu schmieden.

Das Wesen der heutigen politischen Lage besteht darin, dass das verzweifelte Kleinbürgertum beginnt, das Joch der parlamentarischen Disziplin abzuschütteln mitsamt der Vormundschaft der konservativen „radikalen“ Clique die das Volk stets betrogen und heute endgültig verraten hat. Sich in dieser Lage mit den Radikalen einlassen, heißt sich der Verachtung der Massen preisgeben und das Kleinbürgertum dem Faschismus als dem einzigen Retter in die Arme treiben.

Die Arbeiterpartei soll sich nicht mit hoffnungslosen Versuchen abgeben, diese Partei von Bankrotteuren zu retten, sie muss im Gegenteil aus Leibeskräften den Prozess der Befreiung der Massen vom radikalen Einfluss fördern. Je eifriger und kühner sie dies Werk vollbringt, um so wahrhaftiger und schneller wird sie es zum Bündnis der Arbeiterklasse mit dem Kleinbürgertum bringen. Man muss die Klassen in ihrer Bewegung nehmen. Man muss sich nach ihrem Kopf und nicht nach ihrem Schwanz richten Die Geschichte arbeitet jetzt schnell Wehe dem, der zurückbleibt!

Wenn nun Frossard der sozialistischen Partei das Recht abstreitet, die radikale Partei zu entlarven, zu schwächen und zu zersetzen, so handelt er wie ein konservativer Radikaler, nicht aber als Sozialist. Nur die Partei hat Recht auf historisches Dasein, die an ihr Programm glaubt und danach strebt, das ganze Volk um ihr Banner zu scharen. Sonst ist sie keine historische Partei, sondern eine Parlamentssippschaft, eine Karrieristenclique. Es ist nicht nur Recht, sondern elementare Pflicht einer Partei des Proletariats, die werktätigen Massen von dem schädlichen Einfluss der Bourgeoisie zu befreien! Diese historische Aufgabe ist um so dringlicher, als die Radikalen heute mehr denn je das Werk der Reaktion zu decken trachten, das Volk einlullen, betrügen und damit den Sieg des Faschismus vorbereiten. Die linken Radikalen? Die kapitulieren doch ebenso fatal vor Herriot, wie dieser vor Tardieu.

Frossard wiegt sich in der Hoffnung, ein Bündnis der Sozialisten mit den Radikalen würde zu einer „linken“ Regierung führen, die die faschistischen Organisationen entwaffnet und die Republik rettet. Schwerlich ist eine ärgere Missgeburt als dieser Bastard von demokratischen Illusionen mit einem eines Polizisten würdigen Zynismus auszudenken. Sagen wir – darüber ausführlicher weiter unten – eine Arbeitermiliz tut not, so erwidern die Frossards und seine Nachbeter: „Gegen den Faschismus soll man nicht mit physischen, sondern ideologischen Mitteln kämpfen“ Sagen wir: nur eine kühne revolutionäre Massenmobilisierung, die nicht anders als im Kampf gegen den Radikalismus möglich ist, vermag dem Faschismus den Boden zu entziehen so erwidern dieselben Leute: „Nein, uns kann nur die Polizei einer Regierung Daladier-Frossard retten“.

Erbärmliches Gestammel! Die Radikalen waren doch an der Macht, und wenn sie sie freiwillig Doumergue abtraten, so nicht, weil ihnen Frossards Hilfe fehlte, sondern weil sie vor dem Faschismus und der Großbourgeoisie schlotterten, die ihnen mit dem royalistischen Rasiermesser drohte und noch mehr vor dem Proletariat, das sich gegen den Faschismus zu erheben begann. Um den Skandal voll zu machen, gab Frossard, erschrocken über den Schreck der Radikalen, selber Daladier den Rat zu kapitulieren! Nimmt man eine Minute lang an – eine offensichtlich unwahrscheinliche Annahme! – die Radikalen hätten eingewilligt, das Bündnis mit Doumergue zugunsten eines Bündnisses mit Frossard zu brechen, so wären die faschistischen Banden diesmal unter unmittelbarer Beihilfe der Polizei dreimal so stark auf die Straße gezogen: die Radikalen aber zusammen mit den Frossards hätten sich sogleich unter die Tische verkrochen oder auf den Ministertoiletten versteckt.

Aber machen wir noch eine phantastische Annahme Daladier-Frossards Polizei „entwaffnet“ die Faschisten. Wäre damit die Frage etwa gelöst? Wer wird denn die Polizei selbst entwaffnen, die mit der Rechten den Faschisten zurückerstatten wird, was sie ihnen mit der Linken nahm? Die Komödie der Entwaffnung durch die Polizei würde nur die Autorität der Faschisten als Kämpfer gegen den kapitalistischen Staat erhöhen. Schläge gegen die faschistischen Banden können nur in dem Masse wirksam sein, wie diese Banden gleichzeitig politisch isoliert werden. Indessen würde die hypothetische Regierung Daladier-Frossard weder den Arbeitern noch den kleinbürgerlichen Massen etwas bringen, denn die Grundlagen des Privateigentums würde sie nicht antasten können Ohne Enteignung der Banken, Großhandelsfirmen Schlüsselindustrien des Transports, ohne Außenhandelsmonopol und ohne eine Reihe anderer einschneidender Maßnahmen ist den Bauern Handwerkern, Krämern ganz unmöglich zu helfen. Durch ihre Passivität Ohnmacht, Verlogenheit wurde die Regierung Daladier-Frossard Stürme der Entrüstung im Kleinbürgertum entfesselt und es endgültig auf den Weg des Faschismus stoßen, wenn, ja wenn diese Regierung möglich wäre.

Man muss jedoch zugeben, dass Frossard nicht allein dasteht. Am selben Tag (dem 24 Oktober), wo der gemäßigte Zyromsky im Populaire gegen Frossards Versuch der Wiederbelebung des Kartells Stellung nahm, trat Cachin in der Humanité für den Gedanken eines Blockes mit den Radikalsozialisten ein. Er, Cachin, begrüßte entzückt die Tatsache, dass die Radikalen sich für die „Entwaffnung“ der Faschisten ausgesprochen hatten. Zwar sprachen die Radikalen von der Entwaffnung aller, einschließlich der Arbeiterorganisationen. Zwar würde sich in den Händen des bonapartistischen Staates eine solche Maßnahme hauptsächlich gegen die Arbeiter richten. Zwar würden die „entwaffneten“ Faschisten schon am nächsten Tage das doppelte Quantum Waffen erhalten, nicht ohne Mithilfe der Polizei. Aber wozu sich mit so finsteren Grübeleien abquälen? Jeder Mensch braucht Hoffnung. Und da tritt Cachin eben in die Fußstapfen von Wels und Otto Bauer, die ihrerzeit auch alles Heil von der Entwaffnung erwarteten zu bewerkstelligen durch Brünings und Dolfussens Polizei. Mit einer Kehrtwendung von 180° setzt Cachin Radikalsozialisten und Mittelklassen gleich. Die unterdrückten Bauern sieht er nur durch das Prisma des Radikalismus. Das Bündnis mit den arbeitenden Kleineigentümern stellt er sich nicht anders als in Form eines Blockes mit jenen parlamentarischen Schiebern vor, die – endlich – bei dem Kleineigentümer an Vertrauen einzubüßen beginnen. Statt die beginnende Empörung des Bauern und Handwerkers gegen die „demokratischen“ Ausbeuter zu nähren und zu schüren und diese Empörung in die Bahn eines Bündnisses mit dem Proletariat zu lenken, macht Cachin Anstalten, die radikalen Bankrotteure mit der Autorität des „front commun“ zu stützen und so die Empörung der unteren Schichten des Kleinbürgertums auf den Weg des Faschismus zu treiben.

Theoretische Verwahrlosung rächt sich in der revolutionären Politik stets bitter. Antifaschismus wie Faschismus sind für die Stalinisten nicht konkrete Begriffe sondern zwei große Säcke, wohinein sie alles stopfen, was ihnen zwischen die Finger gerät. Doumergue ist für sie ein Faschist, ebenso wie früher Daladier. In Wirklichkeit ist Doumergue der kapitalistische Ausbeuter des faschistischen Flügels des Kleinbürgertums, so wie Herriot der Ausbeuter des radikalen Kleinbürgertums ist. Augenblicklich haben sich diese beiden Systeme zum bonapartistischen Regime zusammengetan. Doumergue ist auf seine Art auch ein „Antifaschist“ denn er zieht eine „friedliche Militär- und Polizeidiktatur des Großkapitals“ dem Bürgerkrieg mit seinem ungewissen Ausgang vor. Aus Furcht vor dem Faschismus und mehr noch vor dem Proletariat schoß sich der „Antifaschist“ Daladier Doumergue an. Doch ohne Existenz der faschistischen Banden wäre das Doumergue-Regime undenkbar. Die elementare marxistische Analyse beweist so die völlige Unhaltbarkeit des Gedankens eines Bündnisses mit den Radikalen gegen den Faschismus! Die Radikalen selbst , sorgen für den Beweis, wie phantastisch und reaktionär die politischen Schwärmereien Frossards und Cachins tatsächlich sind

 

 

Die Arbeitermiliz und ihre Gegner

Um zu kämpfen heißt es, die Kampfwerkzeuge und -mittel erhalten und verstärken: Organisationen, Presse, Versammlungen usw. All das bedroht der Faschismus ganz unmittelbar. Noch ist er zu schwach, um den direkten Kampf um die Macht anzutreten: aber er ist stark genug, um zu versuchen, die Arbeiterorganisationen stückweise zu zerschlagen, bei diesen Angriffen seine Banden zu stählen, in den Arbeiterreihen Niedergeschlagenheit zu säen: und ihnen das Vertrauen in die eigene Kraft zu nehmen. Dabei findet der Faschismus unfreiwillige Helfershelfer in all jenen, die den „physischen“ Kampf für unzulässig und aussichtslos erklären und von Doumergue die Entwaffnung seiner faschistischen Garde fordern. Nichts ist für das Proletariat gefährlicher – vor allem unter den heutigen Umständen – als das süße Gift falscher Hoffnungen. Nichts steigert die Frechheit der Faschisten mehr als der schlappe „Pazifismus“ der Arbeiterorganisationen. Nichts untergräbt so sehr das Vertrauen der Mittelklassen zum Proletariat wie abwartende Untätigkeit, fehlender Kampfwille.

Der Populaire und besonders die Humanité schreiben täglich: „Die Einheitsfront gebietet dem Faschismus halt“. „die Einheitsfront wird es nicht zulassen“, „die Faschisten werden es nicht wagen“, und so weiter ohne Ende. Das sind Phrasen. Man muss den Arbeitern. Sozialisten wie Kommunisten, rund heraus sagen: Erlaubt den leichtsinnigen und verantwortungslosen Journalisten und Rednern nicht, euch in Phrasen zu wiegen. Es geht um unseren Kopf und um die Zukunft des Sozialismus. Wir sind die letzten, die Bedeutung der Einheitsfront zu leugnen. Wir predigten sie, als die Führer beider Parteien noch dagegen waren. Die Einheitsfront eröffnet gewaltige Möglichkeiten. Aber auch nicht mehr. Die Einheitsfront allein entscheidet nichts. Entscheiden wird nur der Massenkampf. Die Einheitsfront ist etwas herrliches, wenn bei einem Angriff faschistischer Banden auf den Populaire oder die Humanité kommunistische Abteilungen den sozialistischen zur Hilfe eilen, und umgekehrt. Aber dazu müssen die proletarischen Kampfabteilungen vorhanden sein, sich schulen, üben, sich bewaffnen. Ist aber keine Verteidigungsorganisation. d.h. keine Arbeitermiliz vorhanden, dann werden der Populaire und die Humanité, und mögen sie noch so viel Artikel schreiben über die Allmacht der Einheitsfront, beim erstbesten gut vorbereiteten Überfall der Faschisten ohne Schutz sein. Versuchen wir, kritisch die „Argumente“ und „Theorien“ der Gegner der Arbeitermiliz abzuwägen, die in beiden Arbeiterparteien recht zahl- und einflussreich sind.

Wir brauchen einen Massenselbstschutz, und keine Miliz, wird oft gesagt. Aber was ist dieser „Massenselbstschutz“? Ohne Kampforganisation, ohne Spezialkader, ohne Waffen? Den unorganisierten, unvorbereiteten, sich selbst überlassenen Massen die Verteidigung gegen den Faschismus auftragen, hieße eine ungleich niedrigere Rolle spielen als die des Pontius Pilatus. Die Rolle der Miliz leugnen, heißt die Rolle der Avantgarde leugnen. Wozu dann eine Partei? Ohne Unterstützung der Massen ist die Miliz nichts. Aber ohne organisierte Kampfabteilungen wird die heldenmütigste Masse stückweise von den faschistischen Banden zerbrochen werden. Die Miliz dem Selbstschutz entgegenstellen ist Unsinn. Die Miliz ist das Organ des Selbstschutzes.

„Zur Organisation einer Miliz aufrufen“, sagen einige, allerdings wenig ernste und aufrichtige Gegner, „das ist Provokation“. Das ist kein Argument, sondern eine Beschimpfung. Entspringt die Notwendigkeit, die Arbeiterorganisationen zu verteidigen, der gesamten Läge, wie kann man dann nicht zur Schaffung der Miliz aufrufen? Vielleicht will man uns sagen, die Schaffung der Miliz „provoziere“ die Faschisten zu Angriffen, und die Regierung zu Unterdrückungsmaßregeln? Dann ist das ein durch und durch reaktionäres Argument. Der Liberalismus redete. den Arbeitern immer ein, ihr Klassenkampf „provoziere“ die Reaktion. Die Reformisten wiederholten diese Anschuldigung gegen die Marxisten. Die Menschewiki gegen die Bolschewiki. Letzten Endes geht diese Beschuldigung zurück auf den tiefen Gedanken, dass, wenn die Unterdrückten nicht mucken, die Unterdrücker auch nicht gezwungen sind zuzuschlagen. Das ist die Philosophie Tolstojs und Gandhis. aber beileibe nicht die Marxens oder Lenins. Wenn die Humanité künftig auch die Lehre des „Widerstehe dem Bösen nicht mit Gewalt“ entwickeln will, so möge sie folgerichtigerweise zum Symbol nicht Hammer und Sichel nehmen, das Emblem der Oktoberrevolution, sondern die fromme Ziege, die Gandhi mir ihrer Milch ernährt.

„Aber die Bewaffnung der Arbeiter ist nur in einer revolutionären Situation angebracht, die doch noch nicht besteht!“ Dies tiefsinnige Argument besagt, die Arbeiter sollen solange auf sich einschlagen lassen, bis die Situation revolutionär geworden ist. Die gestern die „dritte Periode“ predigten, wollen nicht sehen, was vor ihren Augen sich abspielt. Die Frage der Bewaffnung stellte sich ja praktisch überhaupt nur, weil die „friedliche“, „normale“, „demokratische> Situation einer stürmischen, kritischen und instabilen Platz machte, die ebenso in eine revolutionäre wie in eine konterrevolutionäre übergehen kann. Diese Alternative hängt vor allein davon ab, ob die vorgeschrittenen Arbeiter dulden, dass man sie ungestraft stückweise zerschmettert, oder ob sie jeden Hieb mit zwei Hieben beantworten, den Mut der Unterdrückten heben und sie um sich vereinigen werden. Die revolutionäre Situation fällt nicht vom Himmel. Sie gewinnt Gestalt unter aktiver Beteiligung der revolutionären Klasse und ihrer Partei.

Die französischen Stalinisten berufen sich jetzt darauf, dass die Miliz das deutsche Proletariat vor der Niederlage auch nicht bewahrt habe. Gestern noch bestritten sie überhaupt die Niederlage in Deutschland und behaupteten, die Politik der deutschen Stalinisten sei von Anfang bis Ende richtig gewesen. Heute sehen sie alles Übel in der deutschen Arbeitermiliz (Rote Front). So fallen sie aus einem Fehler in den entgegengesetzten, nicht minder ungeheuerlichen. Die Miliz an sich löst die Frage nicht. Notwendig ist eine richtige Politik. Indessen führte die Politik des Stalinismus in Deutschland (Hauptfeind ist der Sozialfaschismus, Gewerkschaftsspaltung, Liebäugeln mit dein Nationalismus, Putschismus) fatal zur Isolierung der proletarischen Vorhut und zu ihrem Zusammenbruch. Taugt die Strategie nichts, so kann keine Miliz die Lage retten.

Dummes Zeug ist es, dass die Milizorganisation als solche auf den Weg des Abenteuers führe, den Feind provoziere, den politischen Kampf durch physischen ersetze und so fort. Hinter all diesen Phrasen steckt nichts weiter als politische Feigheit. Die Miliz als starke Organisation der Vorhut ist in Wirklichkeit das zuverlässigste Mittel gegen Abenteuer, gegen individuellen Terror, gegen blutige Elementarausbrüche. Zugleich ist die Miliz das einzige ernsthafte Mittel, den Bürgerkrieg, den der Faschismus dem Proletariat aufzwingt, auf ein Mindestmaß herabzudrücken. Wenn erst die Arbeiter, ungeachtet des Fehlens einer „revolutionären Situation“, die patriotischen Muttersöhnchen einige Male auf ihre Art zurechtweisen, so wird die Anwerbung neuer faschistischer Banden mit einem Schlage unendlich schwieriger werden.

Aber hier werfen die in Verwirrung geratenen Strategen uns noch niederschmetterndere Argumente entgegen. Zitieren wir wörtlich: „Wenn wir die Revolverschüsse der faschistischen Banden mit anderen Revolverschüssen beantworten“, schreibt die Humanité vom 23. Oktober l934, „so verlieren wir aus dem Auge, dass der Faschismus das Produkt des kapitalistischen Regimes ist, und dass, kämpfen wir gegen den Faschismus. wir es auf das ganze System absehen“. Schwerlich kann man in so wenig Zeilen mehr Konfusion und Fehler anhäufen. Man darf sich gegen die Faschisten nicht verteidigen, weil sie ... ein Produkt des kapitalistischen Regimes sind. Das bedeutet, dass man auf Kampf überhaupt verzichten soll, denn alle sozialen Übel unserer Zeit sind „Produkte des kapitalistischen Regimes“. Wenn die Faschisten einen Revolutionär töten oder das Gebäude einer proletarischen Zeitung in Brand stecken, müssen die Arbeiter philosophisch konstatieren: „Ach! Mord und Brand, das sind die Produkte des kapitalistischen Systems> und ruhigen Gewissens nach Hause geben. Die Kampftheorie Marxens ist ersetzt durch fatalistische Schlappheit, die nur dem Klassenfeind nutzt. Der Ruin des Kleinbürgertums ist selbstverständlich ein Produkt des Kapitalismus. Das Wachsen der Faschisten ist seinerseits ein Produkt des Ruins des Kleinbürgertums. Andererseits aber ist das Wachsen des Elends und der Erbitterung im Proletariat ebenfalls Produkt des Kapitalismus, die Miliz aber ihrerseits ein Produkt der Verschärfung des Klassenkampfes. Warum jedoch sind für die „Marxisten“ von der Humanité die faschistischen Banden legitimes Produkt des Kapitalismus, die Miliz aber ein illegitimes Produkt der ... Trotzkisten? Verstehe wer kann!

Man muss, wird uns gesagt, es auf das gesamte „System“ absehen. Auf welche Weise? Über den Kopf der Menschen hinweg? Allein, in verschiedenen Ländern hatten die Faschisten mit Revolverschüssen begonnen und mit der Zertrümmerung des gesamten „Systems“ der Arbeiterorganisationen aufgehört. Wie denn sonst den bewaffneten Angriff des Feindes zum Stehen bringen, wenn nicht durch eine bewaffnete Verteidigung, um dann seinerseits zum Angriff überzugehen?

Gewiss, die Humanité anerkennt jetzt in Worten die Verteidigung, aber nur als „Massenselbstschutz“: die Miliz ist schädlich, weil sie – nicht wahr? – die Kampfabteilungen von den Massen abschneidet. Aber warum gibt es denn bei den Faschisten eigene bewaffnete Abteilungen, die sich von der reaktionären Masse nicht abschneiden, sondern im Gegenteil mit ihren wohlorganisierten Schlägen die Stimmung der Massen heben und ihre Entschlossenheit erhöhen? Oder ist vielleicht die proletarische Masse ihren Kampfeigenschaften nach dem deklassierten Kleinbürgertum unterlegen?

Aufs gründlichste verwirrt, beginnt die Humanité zu schwanken: nun stellt sich heraus, dass der Massenselbstschutz die Schaffung von „Selbstschutzgruppen“ erfordere. An die Stelle der verfemten Miliz setzt man besondere Gruppen oder Abteilungen. Anfangs scheint der Unterschied nur im Namen zu liegen. Allerdings taugt auch die von der Humanité vorgeschlagene Bezeichnung nichts. Kann man wohl von „Massenselbstschutz“ reden, so doch unmöglich von „Selbstschutzgruppen“, denn die Bestimmung der Gruppen ist nicht, sich selbst, sondern die Arbeiterorganisationen zu schützen. Allein, es handelt sich selbstverständlich nicht um die Benennung. Die „Selbstschutzgruppen sollen“, nach Ansicht der Humanité, auf den Gebrauch von Waffen verzichten, um nicht in „Putschismus“ zu verfallen. Diese Weisen behandeln die Arbeiterklasse wie ein Kind, dem man kein Rasiermesser in die Finger geben darf. Außerdem bilden die Rasiermesser ja bekanntlich das Monopol der Camelots du Roy. die, als legitimes „Produkt des Kapitalismus“, mit Hilfe von Rasiermessern das „System“ der Demokratie stürzten. Wie jedoch werden sich denn die „Selbstschutzgruppen“ gegen die faschistischen Revolver verteidigen? Offenbar „ideologisch“. Anders: Es bleibt ihnen nichts anderes übrig als sich zu verstecken. Ohne passenden Gegenstand in den Händen, müssen sie den „Selbstschutz“ in den Füßen suchen. Die Faschisten aber werden unterdessen ungestraft die Arbeiterorganisationen verwüsten. Mag das Proletariat dabei auch eine furchtbare Niederlage erleiden, so wird es sich dafür des „Putschismus“ nicht schuldig gemacht haben. Ekel und Verachtung, das ist alles, was dieses feige Getratsch unter der Flagge des „Bolschewismus“ hervorruft!

Schon während der „dritten Periode“ seligen Angedenkens, als die Strategen der Humanité von Barrikaden phantasierten, jeden Tag die Straße „eroberten>. und als „Sozialfaschisten> alles bezeichneten, was ihren Irrsinn nicht mitmachte, sagten wir voraus: Sowie diese Leute sich die Finger verbrannt haben, werden sie die schlimmsten Opportunisten werden. Die Voraussage hat sich nunmehr vollauf bestätigt. Während in der sozialistischen Partei die Bewegung für die Miliz erstarkt und wächst, eilen die Führer der sogenannten Kommunistischen Partei mit der Feuerspritze herbei, um das Verlangen der vorgeschrittenen Arbeiter, in Kampfkolonnen anzutreten, abzukühlen. Kann man sich ein verheerenderes und demoralisierenderes Unternehmen vorstellen?

 

 

Es gilt, die Arbeitermiliz aufzubauen

In den Reihen der Sozialistischen Partei hört man zuweilen folgendes Argument: „die Miliz, soll man sie machen, aber es ist nicht nötig, laut davon zu reden“. Man kann es nur begrüßen, wenn die Genossen aufrichtig besorgt sind, die praktische Seite der Sache unberufenen Augen und Ohren vorzuenthalten. Aber zu naiv ist der Gedanke, man könne die Miliz unbemerkt, heimlich. zwischen vier Wänden schaffen. Wir brauchen Zehn- und später Hunderttausende von Kämpfern. Sie werden nur in dem Fall kommen, wenn Millionen Arbeiter und Arbeiterinnen und in ihrem Gefolge auch die Bauern die Notwendigkeit der Miliz begreifen und um die Freiwilligen eine Atmosphäre heißer Sympathie und aktiver Unterstützung schaffen. Konspiration kann und darf lediglich die technische Seite der Sache verhüllen. Was aber die politische Kampagne betrifft, so muss sie offen, auf den Versammlungen, in den Fabriken, auf Straßen und Plätzen geführt werden.

Kerntruppe der Miliz müssen die Industriearbeiter sein, die durch die Arbeitsstätte verbunden sind, einander kennen und ihre Kampfabteilungen gegen das Eindringen feindlicher Agenten viel besser und wirksamer zu schützen vermögen als noch so hoch stehende Bürokraten. Konspirative Stäbe ohne offene Massenmobilisierung werden im Augenblick der Gefahr ohnmächtig in der Luft hängen. Nötig ist, dass alle Arbeiterorganisationen sich ans Werk machen. In dieser Frage kann es keine Trennungslinie zwischen Arbeiterparteien und Gewerkschaften geben. Hand in Hand müssen sie die Massen mobilisieren. Dann wird der Arbeitermiliz voller Erfolg beschieden sein.

„Aber woher sollen die Arbeiter denn die Waffen hernehmen?“, entgegnen die nüchternen „Realisten“, will sagen ängstlichen Philister. Hat doch der Klassenfeind Gewehre, Kanonen, Tanks, Gase, Flugzeuge. Die Arbeiter aber: ein paar hundert Revolver und Taschenmesser.

In diesem Einwand kommt alles zuhauf, die Arbeiter zu schrecken. Einerseits setzen unsere Weisen die Bewaffnung der Faschisten mit der des Staates gleich, andererseits wenden sie sich an den Staat mit dem Ersuchen, er möge die Faschisten entwaffnen. Eine bemerkenswerte Logik! In Wirklichkeit ist ihre Einstellung in beiden Fällen falsch. In Frankreich haben die Faschisten den Staat noch nicht erobert. Am 6. Februar befanden sie sich in bewaffnetem Konflikt mit der Staatspolizei. Unrichtig ist es darum, von Kanonen und Tanks zu reden. wo es sich unmittelbar um bewaffneten Kampf mit den Faschisten handelt. Die Faschisten sind selbstredend reicher als wir, es fällt ihnen viel leichter, Waffen zu kaufen. Aber die Arbeiter sind zahlreicher, entschlossener, selbstaufopfernder, zumindest, wenn sie eine feste revolutionäre Führung verspüren. Neben anderen Quellen können sich die Arbeiter auf Kosten der Faschisten bewaffnen, indem, sie sie systematisch entwaffnen. Das ist heute eine der sichersten Formen des Kampfes gegen den Faschismus. Wenn die Arbeiterarsenale sich auf Kosten der faschistischen Depots zu füllen beginnen, dann werden die Banken und Trusts mit Spenden für die Ausrüstung ihrer Mordbanden vorsichtiger sein. Man kann sogar annehmen, dass in diesem Falle – doch nur in diesem Falle – die unruhig werdenden Machthaber wirklich daran gehen werden, die Bewaffnung der Faschisten zu unterbinden, um den Arbeitern keine zusätzliche Waffenquelle zu liefern. Längst ist bekannt: nur eine revolutionäre Taktik erzeugt als Nebenprodukt „Reformen“ oder Zugeständnisse seitens der Regierung.

Wie aber die Faschisten entwaffnen? Natürlich ist das mit ein paar Leitartikeln allein nicht zu machen. Kampfstaffeln müssen geschaffen werden. Stäbe der Miliz müssen gebildet werden. Ein guter Erkundungsdienst muss eingerichtet werden. Tausende freiwilliger Informatoren und Mithelfer werden von allen Seiten kommen. wenn sie merken, dass wir mit Ernst an die Sache herangehen. Not tut der Wille zur revolutionären Tat. [2]

Aber die faschistischen Waffen sind selbstverständlich nicht die einzige Quelle. In Frankreich gibt es mehr als eine Million organisierter Arbeiter. Allgemein gesehen ist das sehr wenig. Aber es reicht voll aus, um den Grundstein zur Arbeitermiliz zu legen. Bewaffnen die Parteien und Gewerkschaften auch nur ein Zehntel ihrer Mitglieder, so ergäbe das bereits eine Miliz von 100.000 Mann. Man kann nicht daran zweifeln, dass die Zahl der Freiwilligen am Tage nach dem Aufruf der <Einheitsfront> diese Ziffer weit überschreiten würde. Beisteuerungen der Parteien und Gewerkschaften, freiwillige Sammlungen und Spenden würden es ermöglichen, im Laufe von ein, zwei Monaten 100 bis 200.000 Arbeiterkämpfern Waffen zu verschaffen. Das faschistische Gesindel würde schnell den Schwanz einklemmen. Die ganze Perspektive der Entwicklung würde sich unendlich günstiger gestalten.

Auf das Fehlen der Waffen oder andere objektive Gründe hinweisen zur Erklärung dessen, weshalb man bislang nicht an die Bildung der Miliz herangegangen ist, heißt sich und die anderen täuschen. Das Haupt-, ja man kann sagen einzige Hindernis wurzelt in dem konservativen und passiven Charakter der führenden Arbeiterorganisationen. Die skeptischen Führer glauben nicht an die Kraft des Proletariats. Sie erhoffen sich alle möglichen Wunder von oben, statt der revolutionären Energie von unten einen revolutionären Ausweg zu verschaffen. Die bewussten Arbeiter müssen ihre Führer zwingen, entweder unmittelbar an die Schaffung der Arbeitermiliz zu schreiten, oder jüngeren und frischeren Kräften Platz zu machen.

 

 

Die Bewaffnung des Proletariats

Ein Streik ist unvorstellbar ohne Propaganda und ohne Agitation. aber auch ohne Streikposten, die, wo sie können, durch Überzeugung wirken, aber, wenn sie dazu gezwungen sind, physische Gewalt zu Hilfe nehmen. Der Streik ist die einfachste Form des Klassenkampfes, der in verschiedener Proportion stets „ideologische“ mit physischen Maßnahmen vereinigt. Der Kampf gegen den Faschismus ist im Grunde ein politischer, braucht jedoch die Miliz, wie der Streik den Streikposten. Eigentlich ist der Streikposten ja der Keim der Arbeitermiliz. Wer den physischen Kampf ablehnen zu müssen meint, sollte auf allen Kampf verzichten, denn der Geist lebt nicht ohne den Leib.

Nach dem großartigen Ausspruch des Kriegstheoretikers Clausewitz ist der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Diese Definition trifft vollauf auch für den Bürgerkrieg zu. Der physische Kampf ist nur ein „anderes Mittel“ des politischen Kampfes. Man kann sie nicht einander gegenüberstellen, denn man kann nicht willkürlich den politischen Kampf abstoppen, wenn er sich kraft innerer Notwendigkeit in physischen Kampf verwandelt. Pflicht der revolutionären Partei ist es, von vornherein die Unvermeidlichkeit der Umwandlung der Politik in offenen militärischen Zusammenstoß vorauszusehen und sich mit aller Kraft auf diesen Augenblick ebenso vorzubereiten, wie es die herrschenden Klassen tun.

Milizabteilungen zur Abwehr des Faschismus sind das Erste auf dem Wege zur Bewaffnung des Proletariats, doch nicht das Letzte. Unsere Losung lautet: Bewaffnung des Proletariats und der Revolutionären Bauern. Die Volksmiliz muss letzten Endes alle Werktätigen erfassen. Dies Programm ist restlos zu verwirklichen erst im Arbeiterstaat, in dessen Hände alle Produktionsmittel und infolgedessen auch Zerstörungsmittel übergehen werden, d.h. sämtliche Waffen und Waffenfabriken.

Allein, zum Arbeiterstaat wird man mit leeren Händen nicht gelangen. Vom friedlichen. verfassungsmäßigen Wege zum Sozialismus können heute nur politische Invaliden vom Schlage Renaudels reden. Der verfassungsmäßige Weg ist abgeschnitten durch mit Faschisten besetzte Schützengräben. Solcher Gräben liegen noch manche vor uns. Die Bourgeoisie wird mit Hilfe von Polizei und Heer auch vor einem Dutzend Staatsumwälzungen nicht zurückschrecken, nur um das Proletariat nicht an die Macht zu lassen Der sozialistische Arbeiterstaat kann nicht anders geschaffen werden als durch die siegreiche Revolution. Jede Revolution bereitet sich durch den Gang der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung vor, aber entschieden wird sie stets durch den offenen bewaffneten Zusammenstoß der feindlichen Klassen. Der revolutionäre Sieg wird möglich nur dank langer politischer Agitation, Erziehungsarbeit, Massenorganisierung. Aber auch der bewaffnete Zusammenstoß muss von langer Hand vorbereitet sein. Die Arbeiter müssen wissen, dass sie sich auf Tod und Leben zu schlagen haben werden. Sie müssen nach Waffen trachten als nach dem Unterpfand ihrer Befreiung. In einer so kritischen Epoche wie der gegenwärtigen muss die Partei der Revolution unermüdlich den Arbeitern die Notwendigkeit der Bewaffnung predigen und alles tun, um zumindest der proletarischen Vorhut Waffen zu sichern. Ohne das ist ein Sieg undenkbar.

Die kürzlichen großen Wahlsiege der britischen Labour Party tun dem Gesagten in keiner Weise Abbruch. Nimmt man sogar an, die nächsten Parlamentswahlen brächten der Arbeiterpartei die absolute Mehrheit – was noch gar nicht feststeht; nimmt man ferner an, die Partei beschritte dann wirklich den Weg sozialistischer Umgestaltungen – was wenig wahrscheinlich ist –, so wird sie auf ihrem Wege sofort auf solch einen wütenden Widerstand seitens des Oberhauses, des Königs, der Banken. der Börse, der Bürokratie und der großen Presse stoßen, dass die Spaltung in Fraktionen unvermeidlich und der radikalere linke Flügel sich in der parlamentarischen Minderheit befinden wird. Gleichzeitig damit wird die faschistische Bewegung unerhörten Aufschwung nehmen. Die über die Gemeindewahlen erschrockene britische Bourgeoisie bereitet sich auch heute schon zweifellos tatkräftig auf den außerparlamentarischen Kampf vor, während die Spitzen der Arbeiterpartei das Proletariat mit den Wahlerfolgen einlullen und zum Unglück gezwungen sind, die britischen Ereignisse durch die rosarote Brille Jean Longuets zu betrachten. In Wirklichkeit drängt die britische Bourgeoisie dem Proletariat einen um so erbitterteren Bürgerkrieg auf, je weniger die Führer der Labour Party sich darauf vorbereiten.

„Aber woher wollt ihr denn Waffen für das gesamte Proletariat hernehmen?“ wenden von neuem die Skeptiker ein, die ihre innere Haltlosigkeit für eine objektive Unmöglichkeit halten. Sie vergessen, dass von jeher in der Geschichte jede Revolution vor derselben Frage stand. Und nichtsdestoweniger sind siegreiche Revolutionen die Marksteine der wichtigsten Etappen in der Entwicklung der Menschheit.

Das Proletariat erzeugt die Waffen, transportiert sie, baut die Gebäude, wo sie aufbewahrt werden, schützt diese Gebäude gegen sich selbst, dient in der Armee und stellt dessen ganze Ausrüstung her. Nicht Riegel und Mauern trennen die Waffen vom Proletariat, sondern die Gewohnheit des Gehorsams, dle Hypnose der Klassenherrschaft, das Gift des Nationalismus. Es genügt, diese psychologischen Mauern niederzureißen und keine steinerne Mauer wird standhalten. Es genügt, dass das Proletariat die Waffen wolle – und es wird sie finden. Aufgabe der revolutionären Partei ist es, diesen Willen zu wecken und seine Umsetzung in die Tat zu erleichtern.

Aber da rücken die Frossard und Hunderte anderer angsterfüllter Parlamentarier, Journalisten und Gewerkschaftsfunktionäre mit ihrem letzten, gewichtigsten Argument heraus: kann denn nach der tragischen Erfahrung in Österreich und Spanien ein ernster Mensch sich von physischem Kampf überhaupt Erfolg versprechen? Bedenkt doch die heutige Technik: Tanks! Gase!! Flugzeuge!!! Dies Argument beweist nur, dass einige „ernste Menschen“ nicht nur nichts lernen wollen, sondern vor Angst selbst das bisschen vergessen, was sie einst lernten. Die Geschichte der letzten zwanzig Jahre ist ein besonders grelles Zeugnis dafür, dass die Grundfragen in den Beziehungen zwischen den Klassen wie zwischen den Nationen durch physische Gewalt ausgetragen werden. Die Pazifisten hofften lange, das Anwachsen der Militärtechnik werde den Krieg unmöglich machen. Die Philister plappern seit mehreren -zig Jahren, das Anwachsen der Militärtechnik mache die Revolution unmöglich. Indessen, Kriege und Revolutionen gehen ihren Gang. Niemals gab es soviel Revolutionen, darunter siegreiche, wie seit dem letzten Krieg, der die Kriegstechnik mit aller Macht spielen ließ.

In Form neuester Offenbarungen bieten Frossard & Co uralte Ladenhüter an, wobei sie einfach den Hinweis auf die Selbstlader und Maschinengewehre ersetzen durch den Hinweis auf Tanks und Bombenflugzeuge. Wir antworten: an jeder Maschine stehen Menschen, die nicht nur durch technische, sondern auch soziale und politische Bande gebunden sind. Wenn die geschichtliche Entwicklung die Gesellschaft vor eine unaufschiebbare revolutionäre Aufgabe stellt, wo Sein oder Nichtsein auf dem Spiele steht, wenn eine fortschrittliche Klasse da ist, an deren Sieg das Heil der Gesellschaft hängt – dann tut der bloße Gang des politischen Kampfes für die revolutionäre Klasse die mannigfaltigsten Möglichkeiten auf: sei es, die Kriegsmacht des Feindes lahm zu legen, sei es, sie direkt zu erobern, zumindest teilweise. Für das Philisterbewusstsein stellen diese Möglichkeiten immer „glückliche Zufälle“ dar, die sich nie wiederholen werden. In Wirklichkeit eröffnen sich in unerwartetsten Fügungen, im Wesen aber durchaus gesetzmäßig, derlei Möglichkeiten in jeder großen, d.h. echten Volksrevolution. Aber der Sieg kommt dennoch nicht von selbst. Die günstigen Möglichkeiten zu nutzen, bedarf es des revolutionären Willens, eiserner Entschlossenheit zum Sieg, kühner und weitblickender Führung.

Die Humanité erkennt in Worten die Losung der „Arbeiterbewaffnung“ an, aber nur, um in der Praxis darauf zu verzichten. Heute, in der augenblicklichen Periode, sei es – nach Behauptung dieser Zeitung – unstatthaft, eine Losung herzugeben. die nur „in voller revolutionärer Krise“ gelte. Es ist gefährlich, die Flinte zu laden, sagt der allzu „vorsichtige“ Jäger, solange das Wild sich noch nicht gezeigt hat. Doch wenn das Wild sich zeigt, wird es zum Laden zu spät sein. Glauben die Strategen von der Humanité denn, dass sie „in voller revolutionärer Krise“, ohne Vorbereitung, das Proletariat mobilisieren und bewaffnen können werden? Um viel Waffen zu beschaffen, bedarf es deren schon einer gewissen Menge. Bedarf es militärischer Kaders. Bedarf es des unerschütterlichen Willens der Massen, die Waffen an sich zu reißen. Bedarf es einer unaufhörlichen Vorbereitungsarbeit, nicht bloß in Turnsälen, sondern in unlöslicher Verbindung mit dem Tageskampf der Massen. Das bedeutet: es gilt unverzüglich, die Miliz aufzubauen und gleichzeitig Propaganda zu machen für die allgemeine Bewaffnung der Arbeiter und revolutionären Bauern.

 

 

Aber die Niederlagen in Österreich und Spanien ...

Die Ohnmacht des Parlamentarismus in den Verhältnissen der Krise des gesamten sozialen Systems des Kapitalismus ist so augenfällig, dass die Vulgärdemokraten im Arbeiterlager (Renaudel, Frossard und ihresgleichen) kein einziges Argument finden, um ihre verknöcherten Vorurteile zu verteidigen. Um so bereitwilliger haschen sie nach allen Misserfolgen und Niederlagen auf dem revolutionären Wege. Ihr Gedankengang ist folgender: zeigt der reine Parlamentarismus keinen Ausweg, so steht es mit dem bewaffneten Kampf auch nicht besser. Die Niederlagen der proletarischen Aufstände in Österreich und Spanien sind für sie jetzt selbstredend ein beliebtes Argument. In Wahrheit tritt bei der Kritik an der revolutionären Methode die theoretische und politische Bestandlosigkeit der Vulgärdemokraten noch greller zu Tage als bei ihrer Verteidigung der Methoden der faulenden bürgerlichen Demokratie.

Niemand sagt, dass die revolutionäre Methode automatisch den Sieg garantiere. Was entscheidet, ist nicht die nackte Methode, sondern ihre richtige Anwendung. eine marxistische Orientierung in den Ereignissen, eine starke Organisation, in langer Erfahrung gewonnenes Vertrauen der Massen, scharfblickende und kühne Leitung. Der Ausgang jeder einzelnen Schlacht hängt ab von dem Augenblick und den Bedingungen des Zusammentreffens. vom Kräfteverhältnis. Der Marxismus ist weit von dem Gedanken entfernt, wonach der bewaffnete Zusammenstoß die einzige revolutionäre Methode oder ein in allen und jeden Umständen gutes Allheilmittel sei. Der Marxismus kennt überhaupt keinen Fetisch, weder einen Parlaments-, noch einen Aufstandsfetisch. Alles ist gut an seinem Ort und zu seiner Zeit. Eins aber kann man von Anfang an sagen: auf parlamentarischem Wege hat das sozialistische Proletariat noch nie und nirgends die Macht erobert, oder sich ihr auch nur genähert. Die Regierungen Scheidemann, Hermann Müller, MacDonald hatten mit Sozialismus nichts gemein. Die Bourgeoisie ließ die Sozialdemokraten und Labourparteiler an die Macht nur unter der Bedingung, dass sie den Kapitalismus gegen seine Feinde verteidigen. Und sie haben diese Bedingungen pflichtbewusst erfüllt. Der rein parlamentarische, antirevolutionäre Sozialismus hat nie und nirgends zu einem sozialistischen Ministerium geführt, dafür aber mit Erfolg elende Renegaten großgezogen, die sich der Arbeiterpartei zwecks einer Ministerkarriere bedienten: die Millerand, Briand, Viviani, Laval, Paul-Boncour, Marquet.

Andererseits ist durch die geschichtliche Erfahrung erwiesen, dass die revolutionäre Methode zur Eroberung der Macht durch das Proletariat zu führen vermag: Russland 1917, Deutschland und Österreich 1918, Spanien 1930. In Russland war es die starke bolschewistische Partei, die lange Jahre hindurch die Revolution vorbereitete und die Macht fest an sich zu reißen verstand. Die reformistischen Parteien in Deutschland, Österreich und Spanien haben die Revolution weder vorbereitet noch geleitet, sondern erlitten. Voll Angst vor der Macht, die ihnen wider Willen in den Schoß gefallen war, traten sie sie freiwillig an die Bourgeoisie ab. Auf diese Weise untergruben sie das Vertrauen des Proletariats in sich selbst und mehr noch das des Kleinbürgertums in das Proletariat. Nachdem sie so der faschistischen Reaktion die Voraussetzungen ihres Wachstums geschaffen hatten, fielen sie ihr zum Opfer.

Der Bürgerkrieg, sagten wir Clausewitz folgend, ist die Fortsetzung der Politik, nur mit anderen Mitteln, Das heißt: Das Ergebnis des Bürgerkriegs hängt nur zu einem Viertel, wenn nicht Zehntel, ab vom Verlauf des Bürgerkrieges selbst, von seinen technischen Mitteln, der rein militärischen Leitung; zu drei Vierteln, wenn nicht neun Zehnteln, von der politischen Vorbereitung. Worin besteht aber die politische Verbereitung? Im revolutionären Zusammenschweißen der Massen, in ihrer Befreiung von der Sklavenhoffnung auf die Gnade, Großmut, Loyalität der „demokratischen Sklavenhalter, in der Aufzucht revolutionärer Kader, imstande, die offizielle öffentliche Meinung gering zu achten und der Bourgeoisie gegenüber auch nur den zehnten Teil jener Unerbittlichkeit aufzubringen, die die Bourgeoisie den Werktätigen gegenüber an den Tag legt. Ohne solche Stählung wird der Bürgerkrieg, wenn die Verhältnisse ihn aufzwingen – und sie werden ihn auf jeden Fall aufzwingen – unter den für das Proletariat ungünstigsten Bedingungen verlaufen, von vielen Zufälligkeiten abhängen. wobei sogar im Falle eines militärischen Sieges die Macht den Händen des Proletariats wieder entgleiten kann. Wer nicht vorhersieht, dass der Klassenkampf unvermeidlich zum bewaffneten Zusammenstoß führen muss, der ist blind. Aber nicht weniger blind ist auch der, der hinter dem bewaffneten Zusammenstoß und seinem Ausgang nicht die ganze vorangehende Politik der kämpfenden Klassen sieht.

In Österreich erlitt eine Niederlage nicht die Methode des Aufstandes, sondern der Austromarxismus, in Spanien der prinzipienlose parlamentarische Reformismus. 1918 lieferte die österreichische Sozialdemokratie hinter dem Rücken des Proletariats die von ihm errungene Macht der Bourgeoisie aus. 1927 sagte sie sich nicht nur feig vom proletarischen Aufstand, der alle Chancen hatte zu siegen, los, sondern ließ den Arbeiterschutzbund gegen die aufständischen Massen marschieren. Damit hat sie Dollfuß den Sieg errmöglicht. Bauer & Co sagten: „wir wollen eine friedliche Entwicklung. wenn aber die Feinde den Kopf verlieren und uns angreifen. dann... Diese Formel sieht sehr gescheit und „realistisch“ aus. Bedauerlicherweise baut auch Marceau Pivert seine Erwägungen auf dieser austromarxistischen Schablone auf: „Wenn ... dann“. In Wahrheit ist diese Formel eine Falle für das Proletariat: sie beruhigt es, lullt es ein und betrügt es. „Wenn“, das bedeutet: die Formen des Kampfes hängen von dem guten Willen der Bourgeoisie ab, und nicht von der absoluten Unversöhnlichkeit der Klasseninteressen. „Wenn“, das bedeutet: wenn wir gescheit, vorsichtig, nachgiebig sind, dann wird auch die Bourgeoisie loyal sein, und alles wird friedlich abgehen. Während sie dem Trugbild „wenn“ nachjagten, wichen Otto Bauer und die anderen Führer der österreichischen Sozialdemokratie untätig vor der Reaktion zurück, gaben sie ihr eine Position nach der anderen preis, demoralisierten sie die Massen, wichen sie noch und noch ein Stück zurück, bis sie endgültig in der Sackgasse saßen; hier, auf der allerletzten Schanze, nahmen sie den Kampf auf und ... verloren ihn.

In Spanien nahmen die Dinge einen anderen Lauf, doch die Ursachen der Niederlage sind im Grunde dieselben. Die sozialistische Partei teilte ähnlich wie die russischen Sozialrevolutionäre und Menschewiki die Macht mit der republikanischen Bourgeoisie, um die Arbeiter und Bauern zu hindern, die Revolution zu Ende zu führen. Zwei Jahre lang an der Macht, waren die Sozialisten der Bourgeoisie behilflich, sich die Massen mit Hilfe einiger Brocken von Agrar-, Sozial- und Nationalreformen vom Halse zu halten. Gegen die revolutionärsten Schichten des Volkes setzten die Sozialisten die Unterdrückungsgewalt ein. Das Resultat war ein doppeltes. Der Anarchosyndikalismus, der bei richtiger Politik der Arbeiterpartei im Feuer der Revolution zerschmolzen wäre wie Wachs, erstarkte vielmehr und sammelte die kampfbereitesten Schichten des Proletariats um sich. Am anderen Ende nutzte die sozial-katholische Demagogie die Unzufriedenheit der Massen mit der bürgerlich-sozialistischen Regierung geschickt aus. Als die sozialistische Partei genug kompromittiert war, stieß die Bourgeoisie sie von ihrer Machtstellung herunter und ging zum Angriff auf der ganzen Linie über. Die sozialistische Partei hatte nunmehr die Verteidigung unter den allerungünstigsten von ihr selbst mit ihrer vorhergehenden Politik. geschaffenen Umständen aufzunehmen, Die Bourgeoisie besaß bereits eine Massenstütze zur Rechten. Die anarchosyndikalistischen Führer, die während der Revolution alle Fehler begangen, die in diesen berufsmäßigen Wirrschädeln nur irgend Platz fanden, lehnten es ab, einen von den verräterischen „Politikern“ geführten Aufstand zu unterstützen. Die Bewegung bekam keinen allgemeinen, sondern nur sporadischen Charakter. Die Regierung richtete ihre Schläge auf die einzelnen Felder des Schachbrettes. So endete der von der Reaktion aufgezwungene Bürgerkrieg mit der Niederlage des Proletariats.

Aus der spanischen Erfahrung ist unschwer eine Schlussfolgerung gegen die sozialistische Beteiligung an einer bürgerlichen Regierung zu ziehen. Dieser Schluss ist an und für sich unanfechtbar, aber ganz ungenügend. Der austromarxistische Schein“radikalismus“ ist keineswegs besser als der spanische Ministerialismus. Der Unterschied zwischen ihnen ist nur ein technischer, kein politischer. Beide hofften, die Bourgeoisie werde ihnen „Loyalität“ mit „Loyalität“ entgelten. Und beide führten das Proletariat in die Katastrophe. In Spanien wie in Österreich erlitten eine Niederlage nicht die Methoden der Revolution, sondern die opportunistischen Methoden bei einer revolutionären Lage. Das ist nicht ein und dasselbe!

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Wir wollen uns hier nicht bei der Politik der Komintern in Österreich und Spanien aufhalten, verweisen vielmehr die Leser auf die Sammlung der Vérité der vergangenen Jahre und auf eine Reihe von uns herausgegebener Broschüren. In einer ungemein günstigen politischen Lage erwiesen sich die österreichische und die spanische Kommunistischen Partei – bebürdet mit Theorien wie der der „dritten Periode“, des „Sozialfaschismus“ usw. – zu völliger Isolierung verdammt. Sie kompromittierten die Methoden der Revolution durch „Moskaus“ Autorität und versperrten gleichzeitig den Weg der wahrhaft marxistischen, wahrhaft bolschewistischen Politik. Eine Grundeigenschaft der Revolution ist die, dass sie alle Doktrinen und Methoden einer schnellen und erbarmungslosen Nachprüfung unterzieht. Die Strafe folgt der Missetat fast auf dem Fuße. Die Verantwortung der Komintern für die Niederlagen des Proletariats in Deutschland, Österreich, Spanien ist unermesslich. Es ist nicht genug, (in Worten) „revolutionäre“ Politik zu machen. Nötig ist eine richtige Politik. Ein anderes Geheimnis des Sieges hat noch niemand entdeckt.

 

 

Die Einheitsfront und der Kampf um die Macht

Wir sagten bereits: Die Einheitsfront der sozialistischen und kommunistischen Partei birgt grandiose Möglichkeiten. Wenn sie nur ernstlich will, ist sie morgen Herr über Frankreich. Sie muss es aber eben wollen.

Der Umstand, dass Jouhaux und überhaupt die CGT-Bürokratie außerhalb der Einheitsfront stehen und „Selbständigkeit“ bewahren, scheint unseren Worten zu widersprechen. Doch nur auf den ersten Blick. In Epochen großer Aufgaben und großer Gefahren, wo die Massen aufgerüttelt werden, fallen die Scheidewände zwischen den politischen und den Gewerkschaftsorganisationen des Proletariats. Die Arbeiter wollen wissen, wie sich vor Arbeitslosigkeit und Faschismus retten, und scheren sich herzlich wenig um Jouhaux’ „Unabhängigkeit“ von der proletarischen Politik (von der bürgerlichen Politik ist Jouhaux – ach – nur allzu abhängig). Wenn die proletarische Vorhut, verkörpert in der Einheitsfront, den rechten Weg des Kampfes vorzeichnet, dann werden die von der Gewerkschaftsbürokratie aufgerichteten Grenzpfähle von dem reißenden proletarischen Strom davongeschwemmt werden. Den Schlüssel zur Lage hält jetzt die Einheitsfront, Macht sie von diesem Schlüssel keinen Gebrauch, so wird sie eine ebenso erbärmliche Rolle spielen wie es in der russischen Revolution die Einheitsfront der Menschewiki mit den Sozialrevolutionären getan haben würde, wenn ... ja wenn die Bolschewiki sie dabei nicht gestört hätten.

Wir gehen auf die sozialistische und die kommunistische Partei einzeln nicht ein, weil sie beide politisch auf ihre Selbständigkeit zugunsten der Einheitsfront verzichtet haben. In dem Augenblick, wo die beiden Arbeiterparteien, die in der Vergangenheit in heftigem Konkurrenzkampf miteinander lagen, darauf verzichteten, sich gegenseitig zu kritisieren und einander die Anhänger abspenstig zu machen, haben sie als besondere Parteien zu existieren aufgehört. Der Vorbehalt in Bezug auf die noch bestehen bleibenden „prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten“ ändert daran nichts. Treten die prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten in einem so verantwortungsvollen Moment wie dem jetzigen nicht offen und aktiv in Erscheinung, so hören sie damit auf, politisch zu existieren; sie gleichen einem Schatz auf dem Grunde des Ozeans. Ob die Zusammenarbeit mit der Verschmelzung enden wird oder nicht, wollen wir nicht im voraus erraten. In der gegenwärtigen Periode aber, die für Frankreichs Schicksal von ausschlaggebender Bedeutung ist, handelt die Einheitsfront wie eine unvollendete, auf föderativem Prinzip aufgebaute Partei.

Was will die Einheitsfront? Bis jetzt hat sie es den Massen noch nicht gesagt. Kampf gegen den Faschismus? Aber noch hat die Einheitsfront nicht einmal verlauten lassen, wie sie den Faschismus zu bekämpfen gedenkt. Ein bloßer Verteidigungsblock gegen den Faschismus wäre dafür vielleicht ausreichend, falIs in allem übrigen beide Parteien volle Selbständigkeit wahrten. Aber nein, wir haben mit einer Einheitsfront zu tun, die beinahe die gesamte öffentliche Tätigkeit der beiden Parteien umfasst und ihren Kampf untereinander um die Mehrheit des Proletariats ausschließt. Aus dieser Lage heißt es alle Konsequenzen ziehen. Die erste und wichtigste ist: der Kampf um die Macht. Das Ziel der Einheitsfront kann nur eine Einheitsfrontregierung sein, d.h. eine Regierung aus Sozialisten und Kommunisten, ein Ministerium Blum-Cachin. Das muss offen gesagt werden. Wenn die Einheitsfront sich selbst ernst nimmt – und nur unter dieser Bedingung werden sie die Volksmassen ernst nehmen –, so kommt sie um die Losung der Machtergreifung nicht herum. Mit welchen Mitteln? Mit allen Mitteln, die zum Ziele führen. Die Einheitsfront verzichtet nicht auf den parlamentarischen Kampf. Aber sie benutzt das Parlament vor allem dazu, seine Ohnmacht zu enthüllen und dem Volke klar zu machen, dass die Basis der heutigen Regierung außerhalb des Parlaments liegt, und sie daher nur durch eine mächtige Massenbewegung gestürzt werden kann. Kampf um die Macht, das heißt: alle Möglichkeiten wahrnehmen, die das halbparlamentarisch-bonapartistische Regime bietet, um es im revolutionären Sturmangriff zu stürzen und den bürgerlichen Staat durch den Arbeiterstaat zu ersetzen.

Die letzten Kantonalwahlen brachten einen Zuwachs der sozialistischen und besonders der kommunistischen Stimmen. Als solche entscheidet diese Tatsache gar nichts. Die deutsche Kommunistischen Partei hatte am Vorabend ihres Zusammenbruchs einen noch ungleich stürmischeren Stimmenzuwachs zu verzeichnen. Neue breite Schichten Unterdrückter werden durch die ganze Lage nach links getrieben, sogar unabhängig von der Politik der extremen Parteien. Der Stimmenzuwachs der französischen kommunistischen Partei ist der größere, weil diese trotz ihrer heutigen konservativen Politik die „extreme Linke“ bleibt. Die Massen tun damit ihren Willen kund, die Arbeiterparteien weiter nach links zu schieben, denn die Massen sind unermesslich linker als ihre Parteien. Davon zeugt auch die revolutionäre Stimmung der sozialistischen Jugend. Man vergesse nicht, dass die Jugend ein empfindliches Barometer ihrer Klasse und ihrer Vorhut ist! Tritt die Einheitsfront nicht aus ihrer Untätigkeit heraus, oder noch schlimmer, beginnt sie einen unwürdigen Roman mit den Radikalen, so werden „links“ von der Einheitsfront Anarchisten, Anarchosyndikalisten und andere derartige Gruppierungen des politischen Zerfalls zu erstarken beginnen. Gleichzeitig wird die Indifferenz, die Vorläuferin der Katastrophe. zunehmen. Wenn hingegen die Einheitsfront, sich Rücken und Flanken gegen die faschistischen Banditen deckend, einen breiten politischen Angriff unter der Losung der Machteroberung eröffnet, so wird sie einen solchen machtvollen Widerhall finden, dass die optimistischsten Erwartungen übertroffen werden. Das nicht verstehen können nur hirnlose Schwätzer, für die die großen Massenbewegungen ewig ein Buch mit sieben Siegeln bleiben werden.

 

 

Kein Programm der Untätigkeit, sondern ein Programm der Revolution

Der Kampf um die Macht muss von dem Grundgedanken ausgehen, dass, ist ein Widerstand gegen weitere Verschlechterung in der Lage der Massen auf dem Boden des Kapitalismus noch möglich, so doch irgendeine wirkliche Besserung ihrer Lage ohne revolutionären Eingriff in das kapitalistische Eigentumsrecht ausgeschlossen ist. Die politische Kampagne der Einheitsfront muss auf einem gutausgearbeiteten Übergangsprogramm fußen, d.h. einem System von Maßnahmen, die – unter einer Arbeiter- und Bauernregierung – den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus sichern sollen. [3]

Aber das Programm ist nicht zur Beruhigung des Gewissens da, sondern zur revolutionären Tat. Welcher Wert käme einem Programm zu, wenn es toter Buchstabe bleibt? Die belgische Arbeiterpartei nahm beispielsweise den großsprecherischen Plan De Man an, mit allen erdenklichen „Sozialisierungen“; aber was für einen Sinn hat es, wenn sie zu seiner Verwirklichung nicht den kleinen Finger rühren will? Die Programme des Faschismus sind phantastisch, verlogen, demagogisch. Aber der Faschismus führt einen zähen Kampf um die Macht. Der Sozialismus kann das wissenschaftlichste Programm aufstellen, sein Wert wird aber gleich null sein, wenn die Vorhut des Proletariats nicht einen verwegenen Kampf um die Eroberung des Staates führt. Die soziale Krise ist in ihrem politischen Ausdruck die Krise der Macht. Der alte Herr der Gesellschaft ist pleite. Ein neuer Herr muss kommen. Wenn nicht das revolutionäre Proletariat die Macht ergreift, so tut es unweigerlich der Faschismus!

Ein Programm mit Übergangsforderungen für die „Mittelklassen“ kann natürlich große Bedeutung erlangen, wenn es einerseits den wirklichen Nöten der Mittelklassen gerecht wird und andererseits den Erfordernissen der Bewegung zum Sozialismus entspricht. [4] Aber, noch einmal, der Schwerpunkt liegt jetzt nicht in einem speziellen Programm. Programme haben die „Mittelklassen“ viele gesehen. Sie brauchen die Gewissheit, dass mit dem Programm auch Ernst gemacht wird. In dem Augenblick, wo. sich der Bauer sagen wird; „diesmal gibt, scheint’s, die Arbeiterpartei nicht nach“, wird die Sache des Sozialismus gewonnen sein. Dazu aber ist notwendig, mit der Tat die unerschütterliche Bereitschaft zu zeigen, alle Hindernisse aus unserem Wege zu räumen.

Kampfmittel zu erfinden, ist kein Bedarf; die gesamte Geschichte der Weltarbeiterklasse liefert sie. Konzentrierte, auf einen Punkt hämmernde Kampagne der Arbeiterpresse: wahrhaft sozialistische Reden von der Parlamentstribüne herab, nicht als zahme Abgeordnete, sondern als Führer des Volkes; Ausnützung aller Wahlkampagnen zu revolutionären Zwecken; ununterbrochene Massenversammlungen, wohin die Massen nicht bloß kommen. um Redner anzuhören, sondern sich Tageslosungen und -anweisungen zu holen; Schaffung und Ausbau der Arbeitermiliz; wohlorganisierte Demonstrationen, welche die Straßen von den reaktionären Banden säubern: Proteststreiks: öffentliche Kampagne für die Vereinigung und Erweiterung des Rahmens der Gewerkschaften im Zeichen des entschiedenen Klassenkampfes; hartnäckige und gut berechnete Aktionen zur Gewinnung der Armee für die Sache des Volkes: immer größere Streiks; immer machtvollere Manifestationen, Generalstreik aller Werktätigen von Stadt und Land, Generalangriff auf die bonapartistische Staatsgewalt im Namen der Arbeiter- und Bauerngewalt.

Noch ist Zeit zur Vorbereitung des Sieges. Der Faschismus ist noch keine Massenbewegung. Der unabwendbare Verfall des Radikalismus bedeutet jedoch Unterhöhlung der Basis des Bonapartismus, Wachsen der extremen Lager und Herannahen der Lösung. Es handelt sich nicht um Jahre, sondern um Monate. Diese Frist steht natürlich nirgends geschrieben. Sie hängt ab vom Kampf der lebendigen Kräfte, in erster Linie von der Politik des Proletariats und seiner Einheitsfront. Die potenziellen Kräfte der Revolution übersteigen die des Faschismus und überhaupt der vereinigten Reaktion um das Vielfache. Die Skeptiker, die die Sache für verloren halten, heißt es unbarmherzig aus den Arbeiterreihen jagen. Die unteren Schichten erwidern leidenschaftlich jedes kühne Wort, jede wirklich revolutionäre Losung. Die unteren Schichten wollen den Kampf.

Nicht das Geklügel der Parlamentarier und Journalisten, sondern der rechtmäßige und schöpferische Hass der Bedrückten gegen die Bedrücker ist heute der einzige fortschrittliche Faktor der Geschichte. Es heißt, das Antlitz den Massen, ihren tiefsten Schichten zuzukehren. Es heißt, an ihre Leidenschaften und an ihren Verstand zu appellieren. Jene heuchlerische „Vorsicht“, die nur ein anderer Name ist für Feigheit, und die in großen geschichtlichen Umwälzungen mit Verrat gleichbedeutend ist, heißt es über Bord werfen. Die Einheitsfront muss Dantons Ausspruch zu ihrem Leitsatz machen: „Kühnheit, Kühnheit. und nochmals Kühnheit“.

Richtig die Lage verstehen und aus ihr alle praktischen Konsequenzen ziehen – kühn, furchtlos, bis zu Ende – das heißt, den Sieg des Sozialismus sichern.

 

Anmerkungen

1. Anmerkung zur Zeit nicht vorhanden.

2. Anmerkung zur Zeit nicht vorhanden.

3. Anmerkung zur Zeit nicht vorhanden.

4. Anmerkung zur Zeit nicht vorhanden.

 


Zuletzt aktualiziert am 21.7.2008