Leo Trotzki

 

Stalins Verbrechen


Meine „juristische“ Lage


Allein schon die Notwendigkeit der „Rechtfertigung“ gegen die Beschuldigung eines Bundes mit Hitler und dem Mikado charakterisiert die ganze Tiefe der Reaktion, die heute auf dem größten Teil unseres Planeten und insbesondere in der UdSSR triumphiert. Aber es ist keinem von uns gegeben, historisch bedingte Etappen zu überspringen. Mit höchster Bereitschaft stelle ich meine Zeit und meine Kräfte der Kommission zur Verfügung. Es ist überflüssig zu sagen, dass ich vor ihr keine Geheimnisse habe und keine haben kann. Sie wird selbst imstande sein, die nötige Vorsicht in Bezug auf Dritte, insbesondere Bürger der faschistischen Länder und der UdSSR, zu wahren. Ich bin bereit, auf alle Fragen zu antworten und meine gesamte Korrespondenz, nicht nur die politische, sondern auch die private, der Kommission zur Verfügung zu stellen.

Gleichzeitig erachte ich es als notwendig, im Voraus zu sagen, dass ich mich vor der Öffentlichkeit nicht in der Lage eines Angeklagten fühle. Dazu fehlen sogar formelle Gründe. Die Moskauer Regierung hat mich in keinem einzigen Prozess vor Gericht gezogen. Und das nicht zufällig. Um mich vor Gericht zu stellen, hätte sie mich rechtzeitig vorladen oder meine Auslieferung verlangen müssen. Dazu wäre mindestens notwendig gewesen, den Zeitpunkt des Prozesses und die Anklageschrift einige Wochen vorher zu veröffentlichen. Aber sogar dies konnte Moskau nicht wagen. Die gesamte Spekulation beruhte darauf, die Öffentlichkeit zu überraschen und nur die Pritts und Durands als Deuter und Informatoren vorher bereitzuhalten. Meine Auslieferung zu fordern, wäre nicht möglich, ohne die Frage vor einem französischen, norwegischen oder mexikanischen Gericht und unter Kontrolle der Weltpresse aufzurollen. Das aber würde für den Kreml eine bittere Niederlage bedeuten! Deshalb waren beide Prozesse nicht ein Gericht über mich und meinen Sohn, sondern nur Verleumdungen gegen uns mit Hilfe eines Gerichtsprozesses, ohne Benachrichtigung, ohne Vorladung – hinter unserem Rücken. Das Urteil im letzten Prozess sagt, dass Trotzki und Sedow „überführt sind – der unmittelbaren Leitung der landesverräterischen Tätigkeit“ und „falls sie auf dem Territorium der UdSSR entdeckt (?) werden, sofort zu verhaften und dem Gericht zu übergeben sind ...“ Ich lasse die Frage beiseite, mit Hilfe welcher Technik Stalin hofft, mich und meinen Sohn auf dem Territorium der UdSSR zu „entdecken“. (Wohl mit derselben, die der GPU die Möglichkeit verschafft hat, in der Nacht auf den 7. November 1936 einen Teil meiner Archive in einem wissenschaftlichen Institut in Paris zu „entdecken“ und in sicheren diplomatischen Koffern nach Moskau zu bringen.) Es fällt vor allem die Tatsache auf, dass, nachdem das Urteil uns, von keinem Gericht Angeklagten und von keinem Gericht Verhörten, für „überführt“ erklärt hat, es gleichzeitig droht, „falls wir entdeckt werden“, uns vor Gericht zu stellen. Somit bin ich und ist mein Sohn zwar bereits „Überführte“, aber gerichtlich noch nicht Verfolgte. Der Sinn dieser sinnlosen, aber nicht zufälligen Formulierung besteht darin, die GPU mit der Befugnis auszustatten – uns im Falle unserer „Entdeckung“ ohne jegliche Gerichtsprozedur zu erschießen; den Luxus einer öffentlichen Verhandlung gegen uns kann sich Stalin sogar in der UdSSR nicht leisten! Die zynischsten der Moskauer Agenten, darunter der Sowjetdiplomat Trojanowski, treten mit folgendem Argument auf: „Verbrecher können ihre Richter nicht selbst wählen.“ Im Allgemeinen ist dieser Gedanke richtig. Man muss nur vorher bestimmen, auf welcher Seite der Scheidungslinie die Verbrecher sich befinden. Nimmt man an, dass die tatsächlichen Verbrecher die Organisatoren der Moskauer Prozesse sind – und dies ist die Meinung breiter und dauernd wachsender Kreise –, darf man ihnen dann erlauben, in eigener Sache als Richter aufzutreten? Gerade aus diesem Grunde steht die Untersuchungskommission über beiden Parteien.

 


Zuletzt aktualiziert am 10. Juni 2018