Leo Trotzki

 

Verteidigung des Marxismus

 

Über die „Workers“ Party


Zuerst veröffentlicht in Fourth International, Oktober 1940.
Später veröffentlicht 1942 in der Sammlung In Defense of Marxism.
Transkription: Tim Vanhoof.
HTML-Markierung: Tim Vanhoof u. Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


FRAGE: Gab es Ihrer Meinung nach genügend politische Differenzen zwischen der Mehrheit und der Minderheit, um eine Spaltung zu rechtfertigen?

Trotzki: Auch hier muß man an die Frage dialektisch, herangehen, nicht mechanisch. Was bedeutet denn dieses furchtbare Wort „Dialektik“? Es bedeutet, Dinge in ihrer Entwicklung zu sehen und nicht in ihrer Bewegungslosigkeit. Wenn wir die politischen Differenzen nehmen, wie sie waren, so können wir sagen, sie haben nicht für eine Spaltung ausgereicht. Aber wenn sie die Tendenz aufweisen, sich vom Proletariat in Richtung auf kleinbürgerliche Kreise abzuwenden, dann können die gleichen Differenzen einen völlig anderen Wert haben, ein anderes Gewicht, wenn sie mit einer anderen gesellschaftlichen Gruppe in Verbindung stehen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir stehen vor der Tatsache, daß sich die Minderheit von uns abgespalten hat, obgleich die Mehrheit alles getan, um die Spaltung zu vermeiden. Das bedeutet, daß es ihnen ihr inneres gesellschaftliches Fühlen unmöglich machte, mit uns zusammenzugehen. Das ist eine kleinbürgerliche Richtung, keine proletarische. Wenn Sie eine neue Bestätigung dafür wünschen, so haben wir ein ausgezeichnetes Beispiel: den Artikel von Dwight MacDonald.

Zuerst, was kennzeichnet einen proletarischen Revolutionär?

Niemand ist gezwungen, in einer revolutionären Partei zu arbeiten, aber wenn er in ihr arbeitet, so nimmt er die Partei ernst. Wenn wir es wagen, Menschen zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft aufzurufen, tragen wir eine riesige Verantwortung, die wir sehr ernst nehmen müssen. Was ist unsere Theorie, wenn nicht einzig und allein das Werkzeug für unsere Arbeit? Dieses Werkzeug ist unsere marxistische Theorie, weil wir bis heute kein besseres Werkzeug gefunden haben. Ein Arbeiter phantasiert nicht über sein Werkzeug, – wenn es das beste Werkzeug ist, das er bekommen kann, sieht er sich mit ihm vor; er gibt es nicht auf oder verlangt phantastisches nicht-existierendes Werkzeug.

Burnham ist ein intellektueller Snob. Er sucht sich eine Partei heraus, verläßt sie, sucht sich eine andere. Ein Arbeiter kann dies nicht tun. Wenn er in eine revolutionäre Partei eintritt, sich an die Leute wendet, sie zu Aktionen aufruft, ist es das gleiche, was ein General im Krieg tut, – er muß wissen, wohin er sie führt. Was würden Sie von einem General halten, der sagt, er halte die Gewehre für schlecht, – es wäre besser, zehn Jahre zu warten bis man bessere Gewehre erfunden hat, und daher sollten alle lieber nach Hause gehen. So argumentiert Burnham. Daher verließ er die Partei. Aber die Arbeitslosen bleiben und der Krieg bleibt. Diese Dinge können nicht verschoben werden. Also hat nur Burnham seine Arbeit verschoben.

Dwight MacDonald ist kein Snob, sondern ein bißchen dumm. Ich zitiere: „Wenn der Intellektuelle eine nützliche Aufgabe in der Gesellschaft verrichten soll, darf er sich selbst und andere nicht täuschen, darf er nicht als bare Münze annehmen, was er als Fälschung erkennt, darf er nicht in einem Augenblick der Gefahr vergessen, was er in Jahren und Jahrzehnten gelernt hat.“ Gut. Vollkommen richtig. Ich zitiere weiter: „Nur wenn wir den stürmischen und schrecklichen Jahren vor uns sowohl mit Skepsis als auch mit Ergebenheit entgegengehen – Skepsis gegenüber allen Theorien, Regierungen und Gesellschaftssystemen, Ergebenheit gegenüber dem revolutionären Kampf der Massen –, nur dann können wir uns als Intellektuelle rechtfertigen.“

Hier ist einer der Führer der sogenannten „Workers“ Party, der sich selbst nicht für einen Proletarier, sondern für einen „Intellektuellen“ hält. Er spricht von Skepsis gegenüber allen Theorien.

Wir haben uns selbst auf diese Krise durch Studien, durch Aufbauen einer wissenschaftlichen Methode vorbereitet, und unsere Methode ist der Marxismus. Dann kommt die Krise und Mr. MacDonald sagt, „seid skeptisch gegenüber allen Theorien“, und spricht dann von Ergebenheit gegenüber der Revolution, ohne sie durch – irgendeine neue Theorie zu ersetzen. Es sei denn, es ist seine eigene skeptische Theorie. Wie können Wir ohne eine Theorie arbeiten? Was ist der Kampf der Massen und was ein Revolutionär? Der ganze Artikel ist ein Skandal, und eine Partei ist nicht ernst zu nehmen, die einen solchen Mann als einen ihrer Führer duldet.

Ich zitiere wieder: „Was ist denn das Wesen der Bestie (Faschismus)? Trotzki betont, daß es nicht mehr und nicht weniger sei als die wohlbekannte Erscheinung des Bonapartismus, wo eine Clique sich selbst dadurch an der Macht hält, daß sie die eine Klasse gegen die andere ausspielt, womit sie der Staatsgewalt einen zeitweise autonomen Charakter verleiht. Aber diese modernen totalitären Regimes sind keine vorübergehende Erscheinung. Sie haben bereits die ihnen zugrunde liegende ökonomische und gesellschaftliche Struktur verändert, nicht nur indem sie die alten Formen beeinflußt haben, sondern auch indem sie ihre innere Lebenskraft zerstörten. Ist dann die Nazi-Bürokratie eine neue herrschende Klasse und der Faschismus eine neue Gesellschaftsform, vergleichbar mit dem Kapitalismus? Das scheint auch nicht zuzutreffen.“

Hier schafft er eine neue Theorie, eine neue Definition des Faschismus, aber er wünscht trotzdem, wir sollten skeptisch gegenüber allen Theorien sein. Auch zu den Arbeitern würde er sagen, die Instrumente, mit denen sie arbeiten, seien nicht wichtig, aber sie müßten ihrer Arbeit ergeben sein! Ich glaube, die Arbeiter würden einen sehr scharfen Ausdruck für solch eine Feststellung finden.

Sie ist sehr bezeichnend für den enttäuschten Intellektuellen. Er sieht den Krieg, die furchtbare Epoche vor sich, mit Verlusten, mit Opfern, und er fürchtet sich. Er beginnt Skepsis zu verbreiten und glaubt noch, daß man Skepsis mit revolutionärer Hingabe vereinen kann. Wir können nur dann revolutionäre Hingabe entwickeln, wenn wir sicher sind, sie ist vernünftig und möglich, und solche Gewißheit können wir ohne brauchbare Theorie nicht erhalten. Wer theoretische Skepsis verbreitet, ist ein Verräter.

Wir analysierten im Faschismus folgende Elemente:

  1. Der Faschismus hat mit dem alten Bonapartismus gemein, daß er den Klassenantagonismus gebraucht, um der Staatsgewalt die größte Unabhängigkeit zu gewährleisten. Aber wir haben immer unterstrichen, daß es den alten Bonapartismus zur Zeit der aufsteigenden bürgerlichen Gesellschaft gab, während der Faschismus eine Staatsgewalt der niedergehenden bürgerlichen Gesellschaft ist.
  2. Dieser Faschismus ist ein Versuch der Bourgeoisie, die Widersprüche zwischen der neuen Technik und dem Privateigentum zu überwinden, zu überschreiten, ohne das Privateigentum abzuschaffen. Es ist die „Planwirtschaft“ des Faschismus. Es ist der Versuch, das Privateigentum zu erhalten und gleichzeitig das Privateigentum zu kontrollieren.
  3. Der Versuch, die Widersprüche der neuen modernen Technik der Produktivkräfte innerhalb der Grenzen des Nationalstaates zu überschreiten. Die neue Technik kann nicht durch die Grenzen des alten Nationalstaates beschränkt werden, und der Faschismus versucht, diesen Widerspruch zu überwinden. Das Ergebnis ist der Krieg. Wir haben bereits alle diese Elemente analysiert.

Dwight MacDonald will die Partei verlassen, ebenso wie es Burnham tat, aber es wird später geschehen, möglicherweise weil er etwas fauler ist.

Burnham wurde einmal für „gutes Material“ gehalten? Ja, die proletarische Partei in unserer Zeit muß jeden Intellektuellen gebrauchen, der in der Partei mitwirken kann. Ich verbrachte viele Monate damit, Diego Rivera für Unsere Bewegung zu erhalten, hatte aber keinen Erfolg. Aber jede Internationale machte Erfahrungen dieser Art. Die Erste Internationale hatte Sorgen mit dem Dichter Freiligrath, der auch sehr launenhaft war. Die Zweite und die Dritte lnternationale hatten Kummer mit Maxim Gorki. Die Vierte Internationale mit Rivera. In allen Fällen trennten sie sich von uns.

Burnham stand selbstverständlich der Bewegung näher, aber Cannon hatte seine Zweifel an ihm: Er kann schreiben und hat einiges formales Geschick beim Denken, nicht tief, aber gewandt. Er kann eine Idee annehmen, sie entwickeln, einen schonen Artikel über sie schreiben – und sie dann vergessen. Der Schriftsteller kann vergessen – nicht der Arbeiter. Solange wir jedoch solche Leute gebrauchen können, gut und schön. Einst war auch Mussolini „gutes Material“!

Coyoacan, D.F.,
7. August 1940

 


Zuletzt aktualisiert am 22.7.2008