Winfried Wolf

Politik allgemein

Einer von den Seltenen

Nachruf auf Jakob Moneta – Würdigung eines Freundes und
Kämpfers für Menschenwürde und Sozialismus

(20. Februar 2012)


Kopiert mit dank von Winfried Wolf – Homepage.
Transkription & HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Zwei Mal durfte ich Jakob Moneta zu seinen Lebzeiten würdigen: ein erstes Mal am 13. Januar 1990 zur nachträglichen Feier seines 75. Geburtstags auf einer Veranstaltung in Essen – Walter Mossmann, Joschi Krüger und Grit Mossmann präsentierten im Anschluss ein Stück in zwei Teilen für drei Stimmen und ein Klavier: Deutsche Nachgeburt 1989 + Glassbruch 1848 = Birth of a Nation. Ein zweites Mal am 27. November 1995 in Frankfurt/M. anlässlich seines 80. Geburtstags – Tine Seebohm und Andreas Debatin präsentierten im Anschluss Brechts Mahagonny; Gerhard Zwerenz schrieb zu diesem Anlass ein Poem für Jakob, auf das ich zurückkomme.

Jetzt also ein drittes Mal – anlässlich seines Todes.

Es sind zwei Menschen, die mich politisch am meisten prägten, die mich menschlich beide gleichermaßen beeindruckten und denen ich sehr viel verdanke: Ernest Mandel und Jakob Moneta. Beim Erstgenannten war mir das seit langem bewusst – und ich brachte das in mehreren Veröffentlichungen und nicht zuletzt in einer Rede am 30. September 1995 in Paris anlässlich seines Todes zum Ausdruck. Bei Jakob wurde mir das im vollen Umfang erst klar nach seinem Tod und als ich für diesen Beitrag Dutzende Artikel von Jakob aus der Zeit 1970 bis 2000, einige Bücher und Buchbeiträge und nicht zuletzt die Korrespondenz, die es zwischen uns gab, las.

Jakob Moneta erscheint mir beim Zurückdenken aus fünf Gründen wichtig: Erstens als warmherziger und bescheidender Mensch, zweitens als ein beeindruckender Redner und handwerklich guter Journalist, drittens als jemand, der die Kämpfe für Emanzipation so oft in einen erhellenden geschichtlichen Kontext stellte, viertens als derjenige, der mir wie vielen Linken, die aus nichtproletarischen Verhältnissen stammen, in äußerst kenntnisreicher Weise einen Zugang zur „Arbeiterklasse“ öffnete, und schließlich – fünftens – als ein Visionär, der am sozialistischen Ziel festhielt und dieses immer wieder – auch hinsichtlich der Ökologiefrage – neu konkretisierte.
 

Mensch Moneta

Wenn mir erst heute im gebotenen Umfang bewusst wird, wie wichtig Moneta für mein Denken und für mein Engagement war, dann lag das auch an einer besonderen Tugend, die Jakob auszeichnete: in frappantem Kontrast zu seiner unglaublichen Intelligenz und zu seiner hervorgehobenen sozialen Stellung – unter anderem als Chefredakteur von Metall – war Jakob zeitlebens ein äußerst bescheidener Mensch: ein Stiller, ein Kluger, ein Großzügiger. Mir prägte sich dieser angenehme Charakterzug bereits beim ersten Treffen ein. Es fand statt auf dem Flughafen Tempelhof in Berlin Anfang 1973; mein Freund Martin Haller und ich trafen Jakob, der für die IG Metall in Berlin war und Gründe dafür hatte, nicht mit der Bahn durch die DDR von Frankfurt am Main nach Berlin oder zurück nach Frankfurt/M zu fahren. [1] Wir hatten als Gruppe Internationale Marxisten (GIM) einige Monate zuvor an der TU Berlin eine ziemlich erfolgreiche – von 1.300 Studierenden besuchte – Veranstaltung mit Tariq Ali zum Konflikt zwischen Indien und Pakistan und der Gründung der „Volksrepublik Bangla Desh“ durchgeführt, wir bereiteten gerade die erste Ausgabe der theoretischen Zeitschrift die Internationale vor, in der es schlicht und einfach um „den Aufbau revolutionärer Parteien im kapitalistischen Europa“ gehen sollte ... alles also höchst weltrevolutionäre Themen.

Jakobs Themen waren dann äußerst geerdet: „Wieviele Genossen“ es derzeit in der GIM Westberlin geben würde – und vor allem, wieviele „denn wirklich aktiv“ seien? Wieviel monatliche Miete wir für unser Büro in Moabit in der Stephanstrasse zu zahlen hätten und ob wir uns auch zukünftig ein eigenes Büro würden leisten können? Warum wir vor allem die Differenzen zwischen uns als GIM Westberlin und der Zentrale in Frankfurt/M. kultivieren würden und dass seiner Ansicht nach das Gemeinsame im Zentrum stehen sollte. Und überhaupt: Unsere Debattenbeiträge zur Kulturrevolution in China und zur Rolle der chinesischen Arbeiterklasse [2] seien ja interessant – ihn interessiere jedoch, was wir zur Lage der deutschen Arbeiterklasse sagen würden? Und dann hielt er uns einen Kurzvortrag über die Arbeiterklasse in Westdeutschland und die Veränderungen, die es in derselben seit den „wilden Streiks 1969“ gab und dass er große Chancen für eine Aktivierung und Linksentwicklung der Gewerkschaften sah. Davon hatten wir, eine fast ausschließlich aus Studierenden bestehende Westberliner GIM-Gruppe von damals rund 50 Leuten – ebenso wie der große Teil der Westberliner radikalen Linken – absolut keine Ahnung.

Wir baten Jakob, das, was er uns in seiner kurzen Skizze dargelegt hatte, in einen Artikel zu bringen, den wir in der ersten Ausgabe von die Internationale veröffentlichen wollten. Jakob lieferte seinen Artikel unter dem Titel Zu den Klassenkämpfen in Deutschland pünktlich ab – wie dies in den kommenden 25 Jahren, in denen ich mit ihm für unterschiedliche Redaktionen hunderte Artikel absprach und dann übermittelt erhielt, so gut wie immer der Fall war. [3] Liest man heute den Beitrag – er findet sich in die Internationale, Nr. 1 vom Juli 1973 – dann reibe ich mir, dann reibt man sich erstaunt die Augen. Wer weiß denn heute noch, dass sich 1972 hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter an Proteststreiks beteiligten gegen den Versuch von CDU/CSU, durch Kauf von Abgeordneten die Regierung unter Kanzler Willy Brandt zu stürzen, „Barzel-Coup“ genannt? Wer weiß, dass im selben Jahr auf der 1. Mai-Kundgebung in Dortmund Willy Brandt Festredner war – mit 90.000 Teilnehmern? Wer erinnert sich heute noch daran, dass nach dem neuerlichen SPD-Wahlsieg es der neu bestätigte Kanzler Willy Brandt war, der seine eigene Demontage einleitete, unter anderem mit seiner ersten Regierungserklärung, in der er sich zur kapitalistischen Leistungsgesellschaft bekannte, und mit seinem Schweigen zu den massiven Bombardements nordvietnamesischer Städte durch die US-Luftwaffe.

Der Beitrag erschien unter dem Pseudonym Anna Armand. In der Zeit, in der Moneta offizielle Funktionen in den Gewerkschaften einnahm, veröffentlichte er seine Beiträge in den linken, radikalen Medien unter diesem Pseudonym. In dieser Hinsicht führte Moneta rund drei Jahrzehnte lang ein politisches und journalistisches Doppelleben. Dafür gab es mit dem seit 1956 in Westdeutschland gültigen KPD-Verbot und dem gerade auch nach der Studentenrevolte von 1968 institutionalisierten Antikommunismus (Berufsverbote im öffentlichen Dienst seit 1972 und Unvereinbarkeitsbeschlüsse in den Gewerkschaften seit 1973) gute Gründe. Allerdings bedeutete dies auch, dass Jakob Moneta und Anna Armand oft zu ein und demselben Thema in ihren Artikeln erheblich unterschiedliche Akzente setzten. Während in Metall die Mitbestimmung, zumal diejenige in der Montanindustrie, als auszubauende Errungenschaft präsentiert wurde, schrieb Anna Armand in der Bilanz eines Konflikts beim Montan- und Stahlkonzern Hoechst: „Die Mitbestimmung hat sich für alle sichtbar als das enthüllt, was sie in Wirklichkeit ist: ein Instrument der Klassenzusammenarbeit.“ [4] Während Jakob Moneta in der allgemeinen bundesdeutschen Gewerkschaftslinken als ein überzeugter Anhänger des IG Metall-Gewerkschafters Franz Steinkühler galt, kritisierte ihn Anna Armand in was tun gelegentlich harsch, etwa in der Debatte um den Kampf für die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden im Jahr 1979:

„Man kann nur überrascht sein darüber, dass die Gewerkschaftsführer auf einmal so überrascht tun. Wenn Franz Steinkühler den Tabukatalog (der Unternehmer) ein ‚Dokument der Einfallslosigkeit‘ nennt (...), dann ist ihm entgegenzuhalten: Die Arbeiter werden nur dann zuletzt lachen können, wenn es einer gemeinsamen gewerkschaftlichen Kampfstrategie gelingt, in diese Gesellschaft Dynamik hineinzutragen und den Tabukatalog zu durchbrechen! (...) Es gibt nur einen einzigen Weg, mit diesen Tabus fertigzuwerden: man muss sich über sie hinwegsetzen und sie beiseite fegen!“ [5]

Als Franz Steinkühler im selben Jahr den Tarifabschluss in den metallverarbeitenden Industrien von Hessen rechtfertigte, kommentierte dies Anna Armand mit den Worten: „Steinkühler wies massiv, ganz SPD-Politiker, auf die gesamtwirtschaftliche Verantwortung der IGM hin.“ [6]

Jakob entzog sich gerne Feiern, die seiner Person galten – oder er forderte dazu auf, diese umzufunktionieren in eine politische Manifestation. Am 30. Januar 1990 lauteten die ersten Sätze meiner Laudatio: „Vor zwei Monaten und zwei Tagen wurde Jakob Moneta 75 Jahre alt. Das sollte eigentlich heute und hier gefeiert werden. Und – keine Angst – wir feiern dies auch. Allerdings hat sich der Jubilar dieser Feier kurzfristig entzogen: Jakob weilt in Südafrika und Namibia. In einer Art Grußbotschaft hinterließ er uns einen Artikel für die SoZ. Er bilanziert darin den erfolgreichen Kampf gegen die Apartheid und stellt zugleich fest, dass es „eine Gesellschaft der Gleichheit – ohne Rassentrennung und Klassengegensätze nur in der zukünftigen sozialistischen Gesellschaft geben“ werde.“[7]
 

Redner und Journalist

Die wichtigste Mitteilungsform Monetas waren seine Reden. Er sprach auf Tausenden Veranstaltungen zu Dutzenden höchst unterschiedlichen Themen und Anlässen. Er war in sehr spezifischer Form ein großer Redner oder besser: ein Vortragender: Anders als fast alle anderen prominenten Gewerkschafter verzichtete er auf eine besondere Rhetorik und auf jede Art Populismus oder gar Demagogie. Seine Reden zielten nie auf Beifall ab; Zwischenapplaus gab es eher selten. Und doch war ihm am Ende immer ein ehrlicher, von allen Zuhörenden getragener Beifall sicher. Das lag daran, dass Monetas Reden immer auf die Köpfe, auf das Verstehen, die Einsicht und das Überzeugen abzielten. Erst über diesen Zugang zum Verstand sollte – und wurde – dann auch das Herz der Zuhörenden erreicht. Die meisten seiner Reden waren schriftlich ausgearbeitet – teilweise mit Schreibmaschine getippt, oft auch handschriftlich niedergeschrieben – dabei so gut wie immer im eher ungewöhnlichen A5-Format. [8] Dabei waren seine Vorträge niemals „verkopft“, aber eben doch immer anspruchsvoll. Bereits der Beginn einer Rede brachte dies zum Ausdruck – meist führten bereits die ersten Sätze in medias res; zugleich eröffneten sie einen weit größeren Horizont als dies bei so gut wie allen Reden zum selben Thema seitens anderer Referenten der Fall war. Nehmen wir die Rede Jakobs von Anfang 1984 zur Notwendigkeit von Arbeitszeitverkürzung und 35-Stunden-Woche, die wie folgt begann:

„Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wenn man über den Kampf um die 35-Stunden-Woche spricht, dann muss man ausgehen von der kapitalistischen Krise und ihrem Charakter. Und wenn man über die kapitalistische Krise spricht, dann muss man von der Tatsache ausgehen, dass wir in einer kapitalistischen Weltwirtschaft leben.“

Uff. Wo gab es das, dass ein führender Vertreter der deutschen Gewerkschaftsbewegung die 35-Stunden-Woche aus der kapitalistischen Weltwirtschaft ableitete, im Anschluss an diese Sätze auf die USA und dort auf einen Streik beim Busunternehmen Greyhound und die Wirtschaftspolitik unter Ronald Reagan (‚Reaganomics‘) einging, dann zu den damals „2,35 Millionen Arbeitslosen in der BRD“ überleitete und die Mär widerlegte, wonach „Vollbeschäftigung durch Wirtschaftswachstum“ möglich sei und dabei den Arbeitsminister Norbert Blüm abwatschte und schließlich der „Wendepolitik“ unter Kanzler Kohl die Notwendigkeit einer „Wende von unten“ und eine „Selbstbestimmung der Arbeitenden – Arbeiterdemokratie“ entgegensetzte. [9]

Vorträge halten, Reden schreiben und journalistisch arbeiten bildete bei Jakob Moneta eine Einheit, gerade weil seine Reden den beschriebenen Charakter hatten. Unter seinem Einfluss entwickelte sich Metall zu einem für Hunderttausende IGM-Mitglieder lesbaren und wertvollen Organ, indem u. a. Günter Wallraff seine ersten Reportagen veröffentlichte. In Streikzeiten gelang es Moneta, durch täglich (!) erscheinende Streiknachrichten (teilweise auch Aussperrungs-Nachrichten) ein zeitgemäßes Organ für die erforderliche Mobilisierung und Informierung der Kolleginnen und Kollegen zu schaffen. Die kraftvollen (meist ungezeichneten) Texte in diesen IGM-Tageszeitungen sprechen vielfach die Sprache des Chefredakteurs. So wenn es dort zum Auftakt des großen baden-württembergischen Metallarbeiterstreiks 1963 heißt:

„Wenn die Herren, die uns wegen unserer maßlosen Forderungen von acht Prozent mit Totalaussperrung drohen, ebenso bescheiden und maßvoll leben müssen wie wir, dann sollen sie uns ihre Geschäftsbücher offenlegen. In unsere Lohntüten können sie ja jederzeit hineinschauen. Die Erfüllung unserer Forderung würde für die gesamte Metallindustrie der Bundesrepublik eine Belastung von 1,6 Milliarden Mark bringen. Aber allein durch die Steigerung unserer Leistung pro Arbeitsstunde (Produktivität), die für 1963 offiziell auf fünf Prozent geschätzt wird, spart die Metallindustrie wieder 1,25 Milliarden Mark ein.“ [10]

Es war im März 2011, als ich ein letztes Mal mit Jakob Moneta sprach. Die Auseinandersetzung in Libyen spitzte sich zu – und ein brisantes, seit zwei Jahrzehnten verschüttetes Thema schien erneut aktuell zu werden: der Bau einer Giftgasfabrik im libyschen Rabta, der in den 1980er Jahren vom libyschen Regime unter Gaddafi in enger Kooperation mit dem deutschen Geheimdienst BND und dem staatlichen Stahlkonzern Salzgitter organisiert worden war. Das Projekt wurde im Januar 1990 weltweit als Skandal wahrgenommen – doch die weltpolitischen Turbulenzen in diesen Monaten verdrängten das Thema schnell. Jakob Moneta und ich allerdings waren mit diesem Thema seit Sommer 1988 in besonderer Weise vertraut. Irgendwie, so scheint mir, haben wir damals eine echte Chance auf einen journalistischen Coup knapp verpasst. [11]

An dieser Stelle sei nur hinzugefügt: Weil ich mir nach mehr als zwei Jahrzehnten nicht mehr ganz sicher war, wie es bei dem Outing der Sekretärin der Firma, die das Giftgasgeschäft koordiniert hatte, zugegangen war und weil ich darüber in Lunapark21 schreiben wollte, rief ich Jakob Moneta im März 2011 im Jüdischen Seniorenheim an. Es war eher ein Zufall, dass ich ohne Voranmeldung zu ihm „durchkam“. Nach dem Austausch der einen und anderen persönlichen Mitteilung fragte ich Jakob direkt, ob er sich an die übergelaufene Sekretärin von Ishan Barbouti International erinnern würde und ob es tatsächlich stimme, dass wir „rund zwanzig Leitzordner mit Unterlagen zu Rabta in Deiner Wohnung in Ginnheim zeitweilig zwischengelagert hatten“? Jakob antwortete ohne längeres Überlegen: „Ja, so war es. Aber es waren aber nicht zwanzig Leitzordner. Vielleicht ein Dutzend oder so.“
 

Geschichte und Klassenkampf

Jakob Moneta referierte zu vielen „rein geschichtlichen“ Themen der internationalen Arbeiterbewegung – beispielsweise im Rahmen der Kampagnen gegen Aufrüstung und Krieg, an Ostermärschen und zum Antikriegstag. Seine Auseinandersetzung mit Norbert Blüm ist geradezu gespickt mit Hinweisen auf die Geschichte von Kapital und Arbeit, mit der er Blüms flachbrüstige gewerkschaftspolitische Theorie kritisierte. [12] Er stellte die aktuellen Klassenkämpfe, die damals von vielen Linken als „Tarifgymnastik“ belächelt wurden, immer in den größeren geschichtlichen Zusammenhang. Tarifauseinandersetzungen sind für Moneta Klassenkampf, Klassenkampf ist Klassenkrieg und die Parallelen zum tatsächlichen Krieg sind dabei oft erstaunlich groß. So wenn er die beiden führenden Köpfe im bereits angeführten baden-württembergischen Metallerstreik von 1963 vor ihrem lebensgeschichtlichen Hintergrund präsentiert: Auf der einen Seite der IGM-Bezirksleiter Willy Bleicher, der in der NS-Zeit zehn Jahr im KZ saß und kurz vor dem Einmarsch der US-Truppen den erfolgreichen bewaffneten Aufstand der KZ-Häftlinge von Buchenwald mit anführte. Auf der anderen Seite der Metallindustrielle Hanns Martin Schleyer, ein ehemaliger SS-Mann. Moneta:

„Jeder der beiden symbolisierte in gewisser Weise seine Klasse (...) Bleicher die 1933 geschlagene und vernichtete Arbeiterbewegung, der es nach 1945 gelungen war, ihre Organisationen wieder machtvoll aufzubauen. Schleyer die herrschende Klasse, die Hitler zur Macht verholfen hatte, die seinen Zweiten Weltkrieg als Revanche-.Feldzug für den verlorenen Ersten mit vorbereitet hatte und die in der Bundesrepublik nach und nach ihre wirtschaftlichen Machtpositionen zurückeroberte.“ [13]

Dabei dokumentierte Moneta, dass dieses In-den-geschichtlichen-Kontext-Stellen nicht allein als Hintergrundwissen von Bedeutung ist, sondern dass im konkreten Verlauf des erwähnten Metallarbeiterstreiks die Vergangenheit konkret wurde. Nachdem die Arbeitgeber auf den Streik mit der – so wörtlich – „totalen Aussperrung“ geantwortet und diese mit den Worten erklärt hatten, „Der Arbeitskampf ist umso humaner, je kürzer er ist“, hieß es in den „Streiknachrichten“: „Der totale Krieg ist schon einmal als humanster erklärt worden. Die Millionen Opfer dieses Kriegs haben von Humanität allerdings wenig gespürt.“ [14]

Im Kampf um die 35-Stunden-Woche im Jahr 1984 zitierte Moneta das Handelsblatt, in dem es nach Betrachtungen über die „Streik-Puste“ der IG Metall wörtlich hieß: „Im übrigen entscheidet im Krieg gelegentlich schon ein Stoßtruppunternehmen über Sieg und Niederlage. Gewiefte Strategen wissen, an welchen Frontabschnitten ihre Truppen den Feind am empfindlichsten treffen können.“ Monetas Kommentar:

„Einige Stoßtruppunternehmen in Richtung Betriebsbesetzungen (...) sowie die Ausweitung der Urabstimmung auf andere Bezirke hätten die Kampfmoral heben und die Moral von Gesamtmetall (...) bis auf den Punkt eines Abschlusses senken können, der zu einer massiven Reduzierung der Arbeitszeit und damit auch einer Verringerung der Arbeitslosigkeit geführt hätte.“ [15]

Als es in Deutschland 1989/90 zur Wiedervereinigung kam, entwickelte Moneta sehr früh eine realistische Einschätzung – deutlich früher und realistischer als Ernest Mandel, der in dem Zusammenbruch der bürokratischen Systeme in der UdSSR, DDR usw. vor allem eine Chance für eine politische Revolution zur Entwicklung von demokratisch-sozialistischen Arbeiterstaaten sah. Im Oktober 1991 formulierte er in einem Brief an Ernest Mandel eine Perspektive, die sich leider bewahrheiten sollte: „Unter dem Druck der internationalen Schuldenlast und den Zwängen, die das internationale Finanzkapital auferlegt, durch massive Reduzierung des Lebensstandards der Massen, die Wirtschaft wieder rentabel zu machen, um Schulden und Wucherzinsen (wie in Jugoslawien) zurückzuzahlen, greift die neue herrschende Schicht [16] zu Waffen der nationalistischen Hetze, um von den schwierigen sozialen Problemen abzulenken. Blutige Machtkämpfe fallen zusammen mit chauvinistischen, religiösen, rassistisch aufgeheizten nationalen Konflikten, in denen das ‚Selbstbestimmungsrecht‘ nicht emanzipatorisch, sondern als propagandistische Kriegswaffe benutzt wird.“ Auf diese Weise könne „ein Machtvakuum entstehen“, das „die imperialistischen Mächte nutzen“ würden. [17]

Ein paar Jahre später sieht Moneta sich in dieser Analyse bestätigt und untersetzt dies mit einem Vergleich mit der Französischen Revolution. In einem Brief schreibt er: „Der Umschwung (in der DDR und UdSSR nach 1990; W. W.) war politisch eine Revolution und ökonomisch eine Konterrevolution. Ich gehe hierbei auf die Französische Revolution zurück (die ohnehin Lenin als Vergleichsmaßstab ständig im Kopf hatte). Dort war der Thermidor eine politische Konterrevolution, die aber die kapitalistische Ökonomie (eine gewaltige Errungenschaft damals) nicht antastete. Sogar Napoleon blieb eben in diesem Sinn ein Kind der Französischen Revolution.“ [18]

Monetas Einbeziehung der Geschichte der Arbeiterbewegung zum Verständnis der aktuellen Situation ist immer lehrreich, ohne belehrend zu wirken. Zum Standardthema „zurückgebliebenes Bewusstsein der Massen“, auf das die Gewerkschaftsführung Rücksicht nehmen müsse und hier konkret zur Situation 1933, schrieb er in einem seiner besten Texte, eine Art Kurzbiographie mit dem Titel Mehr Gewalt für die Ohnmächtigen: „Allen, die hinterher den ‚Massen‘ die Schuld für ihr eigenes Versagen aufbürden wollten, muss man in Erinnerung rufen: In den letzten einigermaßen freien Betriebsratswahlen, die von den Nazis im April 1933 durchgeführt wurden, weil die Nazis selbst daran glaubten, sie hätten in den Betrieben an Boden gewonnen, erhielten die Freien Gewerkschaften 73,4 Prozent der Mandate und die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) 11,7 Prozent. Die Basis zum Widerstand war da. Aber die Führung war desertiert.“ [19]
 

Differenzierte Analyse von Arbeiterklasse, Arbeiterbewegung und Gewerkschaften

Jakob Moneta sah sich mehr als zwei Jahrzehnte lang einer radikalen Linken gegenüber bzw. er war Teil dieser radikalen Linken, die überwiegend ein krass unzutreffendes Bild von der Arbeiterklasse hatte. Seit 1970 war diese radikale Linke von maoistischen und neostalinistischen Gruppen (wie KPD AO, KPD, KPD/ML, KB, KBW) geprägt, deren Verhältnis zur Arbeiterbewegung einerseits heroisierend und andererseits sektiererisch war. [20] Mit Beginn der 1970er Jahre wuchs in Betrieben und Gewerkschaften parallel der traditionelle Einfluss der DKP, einer Strömung, die oft eine opportunistische Haltung gegenüber der Gewerkschaftsführung an den Tag legte und gleichzeitig vielfach mit dieser gemeinsame Sache gegen „Linkssektierer“ machte.

Moneta kritisierte beide Positionen konsequent. Zuallererst brachte er jedoch Linken, die sich an ihm orientierten, das Handwerkszeug bei, um überhaupt einen Zugang zur arbeitenden Klasse und zu den Gewerkschaften herstellen zu können. Von ihm lernten wir, welche Phasen im einzelnen eine Tarifrunde hat, welche Bedeutung einer Urabstimmung zukommen kann bzw. wie diese auch als Mobilisierungsinstrument genutzt werden kann, welche vertrackte Bewandtnis es mit dem Kurzarbeitergeld im Streik in nicht bestreikten Gebieten auf sich hat oder auch schlicht, wie extrem belastend Schichtarbeit im allgemeinen und was überhaupt eine Konti-Schicht im besonderen ist.

Für Moneta waren Arbeitskämpfe höchst praktische Schulungen, auch und gerade für die Gewerkschaftsführungen und für Linke, die versuchten, in diese hineinzuwirken. Für ihn war es zum Beispiel wichtig, dass im Streik die Streikenden und ihre Familien so weit wie möglich direkt einbezogen wurden und sich demokratisch beteiligen konnten. In seiner Bilanz der Kampagne um die 35-Stunden-Woche schreibt er:

„Die Selbstbeteiligung am Arbeitskampf hat enorme praktische Bedeutung angesichts des allgemeinen ideologischen Drucks, der auf die Streikenden und ihre Familien ausgeübt wird. Durch die Anwesenheit an den Stätten ihres Kampfes können sie zumindest zeitweise der ‚Feindpropaganda‘ entzogen werden. (...) Die Familien sind es doch gewöhnlich, die dem Trommelfeuer der Medien am meisten ausgesetzt sind, das sich gegen uns richtet. Mit Künstlern, die sich von allen Seiten anboten, wurden Veranstaltungen geplant, die nicht nur vor Werkstoren, sondern auch in großem Rahmen durchgeführt werden sollten, um ein Gegengewicht zur veröffentlichten Meinung zu schaffen (...) Kurzum: Der Arbeitskampf muss zu einer sozialen Bewegung werden, die (...) in die gesamte Gesellschaft hineinreicht.“ [21]

Moneta kritisierte, dass diese Orientierung in der Auseinandersetzung nur halbherzig verfolgt und teilweise bald aufgegeben wurde – was das unzureichende Ergebnis – das Stufenmodell der Arbeitszeitverkürzung – zur Folge gehabt habe. Man dürfe den Kollegen „nicht einen schönen Streikurlaub verschaffen“, man müsse „sie fordern“. Dabei gelte es, immer neue Initiativen zu ergreifen, denn: „Eine Streikbewegung, die stillsteht, beginnt zu verfaulen.“ [22]

So differenziert Moneta die Gewerkschaften sah und so detailliert er auf Arbeitskämpfe einging, so wenig war er angepasst. Im Gegenteil. Die Kenntnis all dieser Details waren für ihn Voraussetzung für die Wirksamkeit der immer wieder neu eingeklagten Radikalität. Im Vorfeld des Kampfs für 35 Stunden schrieb er – und dies nicht unter Pseudonym, nicht als Anna Armand:

„Die Nadelsticktaktik der ‚neuen Beweglichkeit‘, die in der Vergangenheit gute Dienste geleistet hat, reicht diesmal allein nicht aus. Wir sollten an die phantasievollen Aktionsformen unserer Kolleginnen und Kollegen anknüpfen, die sie in ihrer verzweifelten Gegenwehr bei Entlassungen angewandt haben: Herstellung von Öffentlichkeit (...) auch durch Errichtung von Straßensperren (wie es die Metaller der Olympia-Werke vorgemacht haben); Besetzung von Rathäusern oder Konzernzentralen; Demonstrationen zu den ‚Tatorten‘ – dorthin, wo die wirtschaftlich und politisch Verantwortlichen sitzen. Betriebsbesetzungen wie bei der Firma Heckel im Saarland (oder) (...) wie bei den Howaldts-Werken, die gleichzeitig genutzt werden, um durch Einlass von ‚Publikum‘ und Betriebsführungen möglichst vielen vor Augen zu führen, wie widersinnig die Schließung dieser hochmodernen Anlagen ist. Wenn hundert Betriebe in der ganzen Bundesrepublik (anstatt nur einem in Hamburg) besetzt sind, dann macht dies einen qualitativen Unterschied aus.“ [23]

In diesem Sinn hob Moneta Losungen in diesen Kämpfen hervor, die deutlich über das kapitalistische System hinausweisen. So im Fall des 1963er Metallerstreiks, als die Parole „Kann Schleyer nicht mehr weiter / übernehmen den Betrieb die Benz-Arbeiter“ am Daimler-Benz-Werkstor angebracht war. Die letzten Sätze seiner Darstellung der verschiedenen Metallerstreiks lauten: „Die Parole der Streikenden und Ausgesperrten ‚Jetzt sperren uns die Bosse aus – wann schmeißen wir die Bosse raus?‘ stellt sich dann als Vorwegnahme einer Zielsetzung heraus, die man sich heute in der Bundesrepublik noch nicht zu stellen wagt. [24]
 

Die Vision der neuen und sozialistischen Gesellschaft und die Ökologie-Bewegung

Es dürfte kaum ein Referat von Jakob Moneta und schon gar keine allgemeinpolitische Diskussion mit ihm gegeben haben, in denen er nicht das Ziel jedes emanzipatorischen Engagements, die sozialistische Gesellschaft, nannte. Dies erfolgte jedoch nie aufgesetzt oder wie ein angehängtes ceterum censeo, sondern es resultierte aus der Analyse der kapitalistischen Gesellschaft, war Konsequenz des Charakters der kapitalistischen Krise und der inneren Dynamik des Kapitalismus. Auch die Verkürzung der Arbeitszeit allein könne die Vollbeschäftigung nicht wieder herstellen, vielmehr seien „wir gezwungen, nicht nur die Symptome der privaten Profitwirtschaft mit ihrer Arbeitslosigkeit, ihrer Umweltzerstörung, ihren Kriegen zu bekämpfen“, vielmehr müsse man „eine alternative gesellschaftliche Lösung anbieten“, müsse man darlegen, wie „wir durch demokratisch geplante, vergesellschaftete Produktion, durch Selbstverwaltung in den Betrieben, bei (...) qualitativer Erweiterung aller demokratischer Rechte und Freiheiten (...) ein Ziel anbieten können, das die Hoffnungen der Menschen aufs Neue beflügeln kann.“ [25]

1982, also heute vor drei Jahrzehnten, lieferte Moneta eine für die gegenwärtige Krise höchst aktuelle Skizze des Wegs des Neoliberalismus, der eine solche Orientierung erforderlich mache. Er schrieb, eine sozialistische Alternative sei notwendig, weil sich „das Modell Deutschland als Fata Morgana erweist, da die Bundesrepublik schrittweise dem Modell der eisernen Lady Thatcher in Großbritannien folgt, da die Krise, das wachsende Loch im Bundeshaushalt, die steigende Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden, die Arbeitslosigkeit und die steigende Inflationsrate nicht mehr geleugnet werden können ...“ [26]

Moneta sah einen engen Zusammenhang zwischen dem sozialistischen Engagement und der Bekämpfung des Patriarchats. In all seinen Schriften zu Streiks spielt das Thema der Einbeziehung der Frauen in die Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle. Er sah das dabei nicht instrumentell. Der Kampf für Arbeitszeitverkürzung war für ihn vielmehr die Voraussetzung, um die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern aufzubrechen: „Wenn dieser dauernde Prozess der Arbeitszeitverkürzung erst die 30-Stunden-Woche oder gar (...) die 20-Stunden-Woche erreicht haben wird, dann ist das Problem der Verteilung der Arbeit auf alle, die Vollbeschäftigung zugleich mit der Aufteilung der Hausarbeit zwischen Mann und Frau (...) allgemein lösbar und nicht nur ein Vorrecht weniger auf Kosten aller.“ Er kritisierte Norbert Blüm beispielsweise wie folgt: „Kein Wort sagt Norbert Blüm darüber, welche Anstrengungen die Männer machen müssen, um zu einer Vermenschlichung der Gesellschaft zu kommen, weg von der patriarchalen Männergesellschaft, und auf welche Weise (...) zumindest die Vorbedingungen hierfür geschaffen werden können.“ [27]

Moneta griff bereits sehr früh – deutlich vor Existenz der Grünen Partei – die Thematik der Umweltbewegung auf. Dabei spielte seine bereits eingangs erwähnte Freundschaft mit Heinz Brandt eine wichtige Rolle. Dieser wurde nach einer Rede, die er am 19. Februar 1977 in Itzehoe auf einer Anti-Atom-Demonstration zum Thema Atomfilz und damit zur Zusammenarbeit von Regierung, Gewerkschaften und Atomkonzernen, hielt, mit dem Ausschluss aus der IG Metall bedroht. Aus einer Initiative gegen diese drohende Maßnahme des Gewerkschaftsapparats heraus bildete sich die Initiative „Aktionskreis Leben – AKL“. [28] In diesem Arbeitskreis, der sich als „Bestandteil der Gewerkschaftsbewegung“ verstand, war neben Brandt Jakob Moneta maßgeblich aktiv; er bildete für die politische Arbeit der GIM mehrere Jahre lang das wichtige Arbeitsfeld. 1980 gab es AKL-Arbeitskreise in 31 Orten.

Als die Grüne Partei – zunächst auf Landesebene, dann in ganz Westdeutschland – entstand, war dies für Moneta immer wieder Anlass, den Zusammenhang zwischen der Ökologiefrage, der antikapitalistischen Position und der zukünftigen Gesellschaft herzustellen. Einen Widerspruch zwischen „Menschheitsfrage“ und „sozialer Frage“ konnte Moneta nie erkennen, im Gegenteil: er sah in diesen beiden großen Fragen einen engen, unauflöslichen Zusammenhang, wie im Folgenden im Jahr 1982 dargelegt:

„Es ist demnach ganz offensichtlich, dass sich die soziale Frage heute mit Macht auch der ökologischen Bewegung aufdrängt. (...) Wenn uns von Ökologen gesagt wird, dass die Menschheitsfrage und die Frage von Krieg und Frieden an erster Stelle stehe und die soziale Frage verdrängt habe, so müssen wir ihnen entgegnen: Wir sind durchaus mit euch einig darin, dass von einem Atomkrieg der gesamten Menschheit Vernichtung droht. Nur solange wir ein Gesellschaftssystem haben, in dem Großkonzerne und Nationalstaaten in einem unerbittlichen Konkurrenzkampf miteinander liegen um Rohstoffe und Märkte, um Energiequellen, solange Wirtschaftskrisen nicht verhindert werden können, die zu Massenarbeitslosigkeit führen (...) die sie psychologisch für jedes kriminelle politische oder kriegerische Abenteuer fit machen, werden wir Kriege nicht verhindern können. Ohne angeben zu wollen müssen wir sagen, dass wir als Sozialisten und radikale Gewerkschafter gerade weil wir die Lösung der sozialen Frage, und die Klasse, die allein die Macht hat, sie zu lösen, in den Vordergrund stellen, auch die radikaleren Ökologen sind!

Die Grünen haben zu ihrer Bundesdelegiertenkonferenz in Hagen ein programmatisches Wirtschaftskonzept erarbeitet. Darin bekennen sie sich dazu, dass sich ihre Forderungen innerhalb der Möglichkeiten bewegen, welche die heutigen Institutionen und gesellschaftlichen Verhältnisse bieten. Was aber, wenn diese gesellschaftlichen Verhältnisse weder Krisen, noch Umweltzerstörung, noch Kriege verhindern lassen, wenn sie all dies ständig neu hervorrufen?“ [29]

Im gleichen Jahr gab es in der SPD eine Debatte um neue „Grundwerte“, für die diese Partei eintreten wollte. In einem grundsätzlichen Beitrag zu dieser Programmdebatte kritisierte Moneta, dass die Sozialdemokratie (zumindest formal noch seine Partei) den Bereich Ökologie weitgehend ausklammerte und forderte – vor dreißig Jahren – als linke Position „Nullwachstum“:

„Wie steht es mit der Forderung nach Nullwachstum? (...) Was ihnen (der SPD) in der Tat noch nicht klar genug ist, (...) ist die Tatsache, dass die Luftverschmutzung durch die Industrie, die (...) Zerstörung der Umwelt letzten Endes zusammenhängen mit den Zwängen der kapitalistischen Konkurrenz, mit dem Zwang zur Verwertung.“ [30]

Indem Jakob den engen Zusammenhang zwischen Ökologie und kapitalistischer Krise betonte, unterstrich er zugleich in Abgrenzung zu den Grünen, inzwischen auch zu seinem Freund Heinz Brandt und zu Rudolf Bahro, wonach es nur die Arbeiterklasse und die Arbeiterbewegung – durchaus in breiten gesellschaftlichen Bündnissen – sein könnten, die einen Ausweg weisen würden. Bahro gehe „von dem Standpunkt aus, dass die Arbeiterklasse ihre historische Rolle nicht erfüllt hat und nicht erfüllen wird (...) Wenn das aber so ist, dann (...) muss man auch die Hoffnung auf den Sozialismus aufgeben. Ich sehe keine Kraft in der Gesellschaft außer der, die tatsächlich die Produktion in bestimmten, besonders kritischen Situationen zum Stillstand bringen kann, die also wirklich dieses System ändern kann (...) Ich glaube, dass wir hier ein zweites Mal in eine Sackgasse kommen: Zuerst war es die Studentenbewegung, die geglaubt hat, sie könne sich zum revolutionären Subjekt aufschwingen, und jetzt ist es die grüne Bewegung (...), die glaubt, sich auf andere Schichten als die Arbeiterklasse stützen zu können.“ [31]

In den letzten Jahren hat sich – zweifellos – die ökologische Thematik zugespitzt. Das Umweltthema und die Atomkraft-Problematik wurden insbesondere durch die absehbare Endlichkeit der auf Öl basierenden Wirtschaftsweise („peak oil“) und mit der Klimaerwärmung – als Resultat des fossilen Kapitalismus – zugespitzt.

Allerdings erleben wir seit dem Jahr 2008 – mit der neuen Wirtschaftskrise und mit der Eurokrise erneut, dass die soziale Frage aktuell die zentrale Rolle spielt. Und in den von der Eurokrise am meisten betroffenen Ländern, spielt – leider! – die grüne Bewegung so gut wie keine Rolle und die Hoffnungen von Millionen Menschen beim Widerstand gegen das Euro-Diktat der Troika, bestehend aus EU-Kommission, Europäische Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, richten sich in diesen Ländern auf die Arbeiterbewegung, für die allerdings das Thema Ökologie fatalerweise kaum eine Rolle spielt.

Man kann im Sinne von Jakob Moneta nur hoffen, dass es zu einem Zusammengehen von sozialer und ökologischer Bewegung kommt – beziehungsweise man muss alles dafür tun, dass diese Themen vereint angegangen werden.

***

Gerhard Zwerenz schrieb für Jakob Moneta anlässlich seines 80. Geburtstags das bereits erwähnte Gedicht, das er später „auch dem 90jährigen Jakob“ widmete und von dem er sagte, es möge „in zehn Jahren auf den dann hundertjährigen letzten trotzkistischen deutsch-jüdischen unverdrossen aktiven Moneta noch passen“. Die Zeilen passen auf alle Fälle für das Leben dieses Freundes, Kämpfers und sozialistischen Visionärs:

Unbeugsam aufrecht die Lust zu
leben 80 Jahre lang und weiter
die Stirn nicht gesenkt. Da ist
einer, hat nichts zu verbergen
und trügt nicht, klagt nicht.
Die Wunden nicht mit Klagen
zu beantworten, die Künste der Listigen,
sie haben Dauer, wenn die Affen
öffentlicher Gewalt längst in
alle Winde verstreut. Keinen
Menschenfeind unbenannt lassen,
die Tür offen, kein Eintritt
verboten. Kein Freund soll im
Regen stehen zu Ende des brutalsten
Jahrtausend. Auf den ist Verlass.
Das ist einer von den Seltenen,
der Letzten EINER. Oder der ERSTEN.
[32]

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Anmerkungen

1. Jakob Moneta war eng befreundet mit Heinz Brandt, seinem Metall-Kollegen. Brandt war bis Mitte der 1950er Jahre SED-Funktionär. 1958 ging er in den Westen, wo er für die IG Metall aktiv wurde. 1961 wurde er in Westberlin in eine Falle gelockt, betäubt, nach Ostberlin entführt und zu einer 13-jährigen Haftstrafe u. a. wegen „Spionage“ verurteilt. Nach einer maßgeblich von der IG Metall koordinierten weltweiten Kampagne kam Brandt 1964 frei und arbeitete fortan und bis 1974 wieder für Metall. Siehe unten zum „Aktionskreis Leben“.

2. Moneta bezog sich auf das kurzlebige theoretische Organ der GIM Westberlin Permanente Revolution, in deren erster Ausgabe 1972 Ulf Wolter und Werner Olle eine Analyse der chinesischen Kulturrevolution veröffentlicht hatten.

3. Das erstreckte sich außer auf die Internationale auf die Wochen- bzw. später Zweiwochenzeitschrift was tun im Zeitraum 1974 bis 1986 und auf die Sozialistische Zeitung / SoZ im Zeitraum 1986–1996, für die ich in den genannten Zeiträumen als verantwortlicher oder Chefredakteur arbeitete.

4. In: die Internationale, a. a. O., S. 68.

5. In was tun 246 vom 25. Januar 1979.

6. In: was tun 248 vom 8. Februar 1979. Es gab dabei durchaus interne – teilweise sektiererische, teilweise nachvollziehbare – Kritik an Jakobs politischem „Doppelleben“. Auch Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven IGM-Dienst schrieb Moneta teilweise weiter als Anna Armand. So beginnt eine Serie in was tun zu Kuba mit den Zeilen: „WT-Redakteurin Anna Armand hatte zum Jahreswechsel Gelegenheit zu einem Aufenthalt in Kuba ... “ (was tun, Nr. 286 vom 13. März 1980.).

7. Nach meinem Redemanuskript.

8. Als ich am 14. März 2012 in Mannheim zum Thema Eurokrise sprach, wies Wolfgang Alles (Moderator und IGM-Betriebsrat) auf meine A5-Manuskriptblätter und meinte, das habe ich wohl von Jakob Moneta übernommen. Recht hat er.

9. Wiedergegeben in: Jakob Moneta, Wer nicht kämpft hat schon verloren – Mit dem Kampf um die 35-Stunden-Woche beginnt der Widerstand gegen die Wende, April 1984, Rede vom 27. Januar 1984 in Karlsruhe

10. IGM-Streiknachrichten vom 29. April 1963; hier nach: Jakob Moneta, Die Streiks der IG Metall, Frankfurt/M. 1984, S. 84.

11. Ich fasste vor einem Jahr den Vorgang wie folgt zusammen: „Sommer 1988, Frankfurt am Main. Carola W., eine etwa 40-jährige Frau, meldet sich bei Jakob Moneta, dem ehemaligen Chefredakteur der IG-Metall-Zeitung ‚metall‘, und mir, dem damaligen verantwortlichen Redakteur der Sozialistische Zeitung/SoZ und stellt sich als Sekretärin des Unternehmens IBI (Ishan Barbouti International) vor. Nach ihren, mit Dokumenten belegten Angaben bauten deutsche Unternehmen mit Wissen der Bundesregierung in Rabta, Libyen, eine Fabrik zur Herstellung von Giftgas (Senfgas und Tabun), wobei IBI bis vor kurzem als Koordinationsstelle für das Projekt gewirkt habe. Wir vermittelten einen Kontakt zum Magazin „Stern“. Das Hamburger Magazin zögerte wochenlang mit einer Veröffentlichung. Dann erschien am 1. Januar 1989 in der New York Times ein groß aufgemachter Artikel, verfasst von William Safire, mit der Überschrift Auschwitz in the Sand. Nun griff auch der Stern das Thema auf. In den Monaten Februar und März 1989 entwickelte sich daraus eine Regierungskrise und ein heftiger Konflikt zwischen Bonn und Washington. Nach wochenlangem Leugnen – der damalige Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble warnte wiederholt vor „voreiligen Verurteilungen“ – musste die Regierung Kohl ihre tiefe Verstrickung in das C-Waffenengagement des Oberst Gaddafi eingestehen.“ Winfried Wolf, Der „Verrückte aus Tripolis mit Senfgas aus Deutschland“, in: Lunapark21, Heft 13, Frühjahr 2011, S. 10. Man muss den Nato-Krieg gegen Libyen bzw. Gaddafi vor dem Hintergrund sehen, dass Gaddafi nicht nur den ersten Wahlkampf von Nicolas Sárkozy finanziert hatte, sondern die deutsche Regierung (mit dabei: der heutige deutsche Finanzminister) für das Regime in einer Zeit, als Gaddafi im Westen uneingeschränkt als „Terrorist“ galt, eine Giftgasfabrik gebaut hatte, was im übrigen die deutsche Zurückhaltung im Krieg selbst in einem anderen Licht erscheinen lässt.

12. Jakob Moneta, Norbert Blüm – Herz-Jesu-Marxist oder kapitalistischer Propagandist, Frankfurt/M. 1985. Das Buch versteht sich als Antwort auf die Publikation Norbert Blüm, Gewerkschaften zwischen Allmacht und Ohnmacht, Stuttgart 1979.

13. Zitiert in: Moneta, Die Streiks der IG Metall, a. a. O., S. 19.

14. Zitiert ebenda, S. 22.

15. In: Peter Bartelheimer / Jakob Moneta, Das kann doch nicht alles gewesen sein – Der Kampf für 35 Stunden, Frankfurt 1984, S. 21 f.

16. An dieser Stelle im per Schreibmaschine verfassten Brief hat J.M. das Wort „Klasse“ durchge-ix-t. Es gibt in der trotzkistischen Bewegung eine lange Debatte über die Frage, ob die in den nichtkapitalistischen Ländern herrschende Gruppe (Nomenklatur) eine „Klasse“ oder nur eine „Schicht“ sei – da es hier um die Transformation von Schicht zu Klasse ging, waren die vielen „x“ über dem Wort „Schicht“ durchaus Ausdruck von Rissen in der Orthodoxie.

17. Brief an E. Mandel vom 7.Oktober 1991.

18. Brief vom 13. Dezember 1995.

19. Jakob Moneta, Mehr Gewalt für die Ohnmächtigen, in: Kursbuch 51, 1978, S. 47.

20. Es ist auch heute noch erstaunlich, wie relativ nahtlos Leute, die in einem solchen stalinistischen Umfeld politisch sozialisiert wurden und die lange Zeit mit Funktionen in solchen antiemanzipatorischen Gruppen aktiv waren, Erster Vorsitzender der IG Metall bzw. baden-württembergischer Ministerpräsident werden konnten, um hier des beschränkten Raumes wegen nur zwei solcher Karrieren anzuführen. Bei allen Brüchen der entsprechenden Biographien gibt es dabei doch das Kontinuum des Denkens in Apparaten und des Negierens von Demokratie.

21. Bartelheimer/Moneta, a. a. O., S. 14 f.

22. Ebenda, S. 19.

23. Moneta, Die Streiks der IG Metall, a. a. O., S. 9.

24. Ebenda, S. 83; zuvor zitierter Slogan ebenda, S. 37.

25. Bartelheimer / Moneta, Das kann doch nicht alles gewesen sein, a. a. O., S. 22 f.

26. Jakob Moneta, Einleitung zu Winfried Wolf / Michel Capron, Spätkapitalismus in den achtziger Jahren, Frankfurt/M. 1982.

27. Jakob Moneta, Norbert Blüm ..., a. a. O., S. 117; zuvor ebenda, S. 111.

28. Die Rede von Heinz Brandt richtete gegen einen „Arbeitskreis Energie“, den die Atommafia im Juli 1977 gebildet hatte; der Name des „Aktionskreises Leben – AKL“ leitete sich aus dem Namen dieser Lobbygruppe der Atomkonzerne ab.

29. Jakob Moneta, Grüne oder rote Antwort auf die Krise, in. Was tun, Nr. 341 vom 4. November 1982.

30. Jakob Moneta, Streit um SPD-Grundwerte, in: was tun, Nr. 329 vom 1. April 1982.

31. Gespräch Winfried Wolf mit Jakob Moneta und Heinz Brandt in: Thies Gleiss / Winfried Wolf, Der Atomverein nach Harrisburg, Frankfurt/M. 1980, S. 237. Auch in diesem Zusammenhang betonte Moneta stets seine Kritik an den nichtkapitalistischen Ländern, die das Thema Ökologie selbstverständlich umfasste. Und er stellte auch hier den Zusammenhang zwischen einem demokratischen Sozialismus und der Ökologiefrage her:

„Natürlich kommt da sofort die Frage nach den Umweltzerstörungen in den Staaten, in denen es sowohl nationalisierte Betriebe wie Planwirtschaft gibt. Aber in diesen (...) Staaten (...) bringen die Pläne, die oben ausgeheckt werden (...) sehr viel mehr (Prämien) für die Direktoren als für die Arbeitenden. Das unmittelbare Interesse des Einzelbetriebs, diese Prämien zu verdienen, wiegt deshalb auch dort schwerer als das gesamtgesellschaftliche Interesse zur Abwendung von Gefahren und Schäden für die Allgemeinheit. Ohne Selbstverwaltung in vergesellschafteten Betrieben, die eingebunden ist ein einem demokratisch diskutierten Plan, ohne volle demokratische Meinungs- und Pressefreiheit, die eine offene und rückhaltlose Diskussion ermöglicht, ohne autonome Gewerkschaften, die das Recht haben, zu streiken, ohne Arbeiterdemokratie also, ist die Durchsetzung des ‚Gesamtinteresses‘ auch in ökologischen Fragen nach allen bisherigen Erfahrungen ausgeschlossen. Es ist kaum verwunderlich, dass erst im Kampf von Solidarnosc in Polen die Probleme der Ökologie öffentlich diskutiert worden sind, dass es die ersten Demonstrationen in einem nichtkapitalistischen Staat gegen die Verschmutzung der Meere (der Ostsee) gegeben hat.“ In: was tun, Nr. 329 vom 1. April 1982.

32. Das Poem wurde auf der eingangs genannten Gala für Jakob vorgetragen und erstmals in der Sozialistischen Zeitung / SoZ, Nr. 23/1994, veröffentlicht. Die Kommentierung stammt von Gerhard Zwerenz, www.poetenladen.de (abgerufen am 16. Mai 2012).


Zuletzt aktualisiert am 26. Juni 2023