Winfried Wolf

Fahrverbot für Diesel-Pkw in Städten?

Noch lange nicht durchgesetzt!

(28. Juli 2017)


Quelle: Lunapark21, Juli 2017.
Kopiert mit Dank aus der Lunapark-Webseite.
Transkription & HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Ausgesprochen mutig und begrüßenswert ist, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart am 28. Juli der Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stattgab und nun verlangt, dass es bereits ab Januar 2018 Fahrverbote für Diesel-Pkw in der baden-württembergischen Landeshauptstadt geben müsse. Erstaunlich und positiv zu werten ist auch, dass sich noch vor dieser Urteilsverkündung eine große Mehrheit der Bevölkerung der Stadt Stuttgart für Fahrverbote für Diesel-Pkw aussprach. Dennoch gibt es wenig Anlass für Optimismus bei diesem Thema.

Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts dürfte angefochten werden. Und die letzten zwei Jahre seit Auffliegen des Diesel-Pkw-Skandals lehren uns, dass die unglaubliche Macht von Autokonzernen und Autolobby dazu fahren dürfte, dass auch hier ein Ausweg gefunden wird, um die Extraprofite von VW, Daimler, BMW und Porsche zu schützen, auch wenn damit nachweislich der Tod von Tausenden Menschen herbeigeführt wird.

So knallig schließlich das Autokartell-Thema vor wenigen Tagen aufschlug, so schnell droht es aktuell wieder hinter einer Nebelbank von Relativierungen, Fälschungen und Sondermeldungen, die eher Randbereiche des Branchen-Skandals betreffen, versteckt zu werden. Unter anderem heißt es, es sei unklar, ob das, was da im Geheimen abgesprochen worden sei, tatsächlich unerlaubt war. Schließlich gebe es erlaubte und „für den Kunden sinnvolle“ Absprachen. Dazu konnte man in der Börsen-Zeitung vom 25. Juli lesen: „Die Grenzen zwischen normaler technischer Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Bildung eines verbotenen Kartells sind fließend.“ So nutze etwa „die Absprache über eine Steckernorm Verbrauchern“; diese sei legal. Auch wird behauptet, nicht alle Autokonzerne hätten sich gleichermaßen etwas zuschulden kommen lassen. Es gebe reuige Sünder und Sturköpfe. Der VDA-Chef Matthias Wissmann im Handelsblatt vom 25.7.: „Alles, was ich aus dem Hause Volkswagen höre, spricht dafür, dass die Verantwortlichen dort klare Konsequenzen aus den schweren Fehlern der Vergangenheit ziehen.“ Ausgerechnet VW als reuiger Sünder – wo der Chef dieses Konzerns direkt aus der Kaderschmiede des ehemaligen VW-Großaktionärs Ferdinand Piech stammt, der im Zentrum des Dieselskandals stehen dürfte. Und tatsächlich: Nur drei Tage nach dieser Aussage des VDA-Chefs verkündete Bundesverkehrsminister Dobrindt den Zwangsrückruf von 22.000 Cayenne-Modellen, weil diese Pkw der VW-Tochter Porsche mit einer besonders raffinierten, verbotenen Motorensteuerungssoftware ausgestattet seien.

Wissmanns Aussagen zu VW laufen auf die alte Behauptung, die am Beginn der Diesel-Affäre stand, hinaus, wonach es halt das eine und andere schwarzes Schaf geben würde, die Herde insgesamt jedoch untadelig wäre. Dies wird schließlich dadurch abgerundet, dass derselbe famose Autolobbyist Wissmann behauptet, von den Kartelltreffen nichts gewusst und eine blütenweiße Weste zu haben. Auf die Frage „Wann und wie haben Sie von dem Kartellvorwurf erfahren“ machte der VDA-Chef die ganz großen Da-bin-ich-völlig-überfragt-Augen und antworte im Handelsblatt am 25. Juli: „Die VDA-Kollegen und ich haben es am Freitag [dem 21.7.2017; W. W.] aus der Presse erfahren.“

Halten wir drei Dinge fest:

Wobei das Wörtchen „gegebenenfalls“ ganz groß geschrieben werden muss. Denn die Behörden auf Bundes- und EU-Ebene, bei denen die Selbstbezichtigungen eingingen, reagierten darauf mehr als ein Jahr lang einfach nicht. Man war sich in der Autobranche und bei den Kartellbehörden – und damit auch in der Bundesregierung und bei der EU-Kommission – darüber einig, dass man solange die Menschen weiter vergiften und die Extraprofite bei den Autoherstellern steigern darf, wie die Sache nicht auf andere Weise publik wird.

Und jetzt, nachdem all das in die Öffentlichkeit gelangte, wird solange um den Brei herum geredet und wird solange nach Hintertürchen Ausschau gehalten, bis sich die öffentliche Aufregung – erleichtert durch die Sommerpause – gelegt hat.

Wie solche Hintertürchen aussehen, wird im Fall der Diesel-Pkw deutscher Hersteller in den USA demonstriert. Viele Zehntausend solcher Diesel-Pkw mit extrem hohen Stickoxid-Emissionen wurden von den deutschen Herstellern zurückgenommen; die Kunden in den USA erhielten im Austausch dafür neue Pkw mit niedrigeren Emissionen. Die zurückgenommenen Pkw werden in der Regel nicht etwa auf Motoren mit weniger giftigen Schadstoffemissionen umgerüstet; die kriminelle Software wird in der Regel nicht entfernt. Vielmehr landen viele dieser Pkw in anderen Ländern, etwa in Russland und in osteuropäischen Ländern. Ein Hersteller von Luxus-Pkw versorgt sogar Belegschaftsangehörige in Deutschland mit derart zurückgenommenen Diesel-Pkw. Was in den USA wegen massiver Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit verboten ist, ist schließlich bei uns erlaubt.

Jedenfalls solange, wie es keinen neuen Aufschrei in der öffentlichen Meinung gibt.

Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Er veröffentlichte am 24. Juli sein neues Buch bodenlos + abgrundtief. Stuttgart 21 und sein absehbares Scheitern, PapyRossa-Verlag Köln, 320 Seiten, 16,90 Euro.


Zuletzt aktualisiert am 26. Juni 2023