Clara Zetkin

 

Brief an das ZK der KPD

(26. Oktober 1927)


E. Reuter, W. Hedeler, H. Helas, K. Kinner (Hrg.): Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928 – Die KPD am Scheideweg, Karl Dietz Verlag, Berlin 2003, Dok.20.
Kopiert mit Dank von der verschwundenen Webseite Marxistische Bubliothek.
Transkription und HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Abschrift

Berlin, den 26.10.27

An das ZK der KPD, Berlin

W[erte] G[enossen]!

Obwohl ich den Gang der Dinge nur aus der Ferne beobachten kann, will es mir doch scheinen, als ob die Partei es unter Eurer Führung bei weitem nicht versteht, aus der taktisch so außerordentlich günstigen Hamburger Situation das Höchstmaß an Gewinn für uns und die Arbeiterklasse herauszuholen. Diese Überzeugung ist es, die mir die Feder zu diesem Briefe in die Hand drückt.

Nach meinem Dafürhalten wäre es angebracht und im Interesse der Partei notwendig gewesen, daß schon im Offenen Brief erklärt wurde, warum und weshalb wir trotz unserer prinzipiellen Stellung zum kapitalistischen Staat und zum bürgerlichen Parlamentarismus und ungeachtet des unüberbrückbaren Gegensatzes zur SPD auf Grund des entwickelten Programms bereit sind, eine sozialdemokratische Regierung zu unterstützen. Das war um so mehr geboten, da sicher bei breiten Massen ganz falsche Vorstellungen über die Wirkungsmöglichkeiten einer solchen Regierung bestehen. Die von Euch geliebte Motivierung: „Es ist die Meinung der breiten Massen ... deshalb“ ist gar zu dürftig und auch nicht richtig. Wohl müssen wir selbstverständlich alle Zeit sorgfältig die Meinung der breiten Massen studieren und auf sie in der einen oder anderen Weise reagieren. Wollte sich aber die Partei ihre Handlungsweise von der Meinung der breiten Massen diktieren lassen, so wäre sie nicht mehr die „eiserne Kohorte“, deren Platz an der Spitze der Arbeiterklasse ist, sie würde dann mehr dem Krähwinkler Landsturm gleichen. Eine unwiderlegliche, agitatorisch wirksame Begründung unserer Taktik schon im ersten Anhieb hätte die Massen viel nachhaltiger von der politischen Realität unseres Schrittes überzeugt und zum anderen hätte sie es den Reformisten sehr erschwert, einfach dem Kern der Dinge auszuweichen.

Der erwähnte Mangel des Offenen Briefes ist indessen weniger von Bedeutung, weil die Reformisten ganz im Gegensatz zu ihren Neigungen und bisherigen Gepflogenheiten diesmal so wie so gezwungen waren, überhaupt eine Antwort zu geben. Ihr seid Euch wohl klar darüber, was das zu bedeuten hat. Wenn die Ehrenteit und Genossen auf einen Offenen Brief der KPD so ausführlich antworten, so beweist das eindeutig, daß die Herrschaften einem unwiderstehlichen Massendruck ausgesetzt waren. Ihr werdet mir das nicht bestreiten und zugeben, daß die Reformisten nur diese Sorge haben:

„Wie können wir aus der peinlichen Situation heraus und möglich schnell zur großen Koalition kommen? Wie müssen wir es anstellen, damit wir sobald als möglich mit den Kommunisten zum Bruch kommen.“

Daß nur solche Erwägungen die Herrschaften leiteten, das konnte jeder, der es nicht schon vorher wußte, aus dem Inhalt des Antwortschreibens ersehen, das der Hamburger Ortsausschuß des ADGB an unsere dortige Parteiorganisation richtete. Dieses Schreiben war doch eine einzige Herausforderung und Provozierung unserer Partei. Ich will Euch nur folgende Stichproben in Erinnerung rufen:

„Sie (die Kommunisten) haben ihren ganzen Kampf ... ausschließlich zu einer selbst ihrer Partei unwürdigen Verunglimpfung... benützt... sie haben die Methoden des berüchtigten Reichslügenverbandes von vor dem Kriege um 100 % übertroffen... sie haben der Gesamtarbeiterbewegung unsagbar geschadet usw.“

Schließlich sind die Herren so gnädig „unter der Voraussetzung, daß die Kommunisten nicht mehr mit den Deutschnationalen und Völkischen Schulter an Schulter gegen wirkliche Arbeiterinteressen anzustürmen beabsichtigen und in der schließlichen Hoffnung, daß die bisher geübte Methode der nichtswürdigsten Verunglimpfung aufhört“, uns eine Reihe weiterer Unverschämtheiten an den Kopf zu werfen.

Der politische Sinn dieser, ich wiederhole, einzigen Provokation ist klar und handgreiflich. Der ganze Zweck war, die Debatte auf ein für die Reformisten bequemeres Gleis zu schieben. Hätten diese durchtriebenen politischen Kuhhändler auch nur ernste Verhandlungen mit uns gewollt, so hätten sie im Ton und inhaltlich ganz anders geantwortet. Wie gut verstehen es diese treuen Diener der Bourgeoisie, bei Verhandlungen mit bürgerlichen Parteien Streitfragen beiseite zu lassen und ein, wenn es sein muß, auch beide Augen zuzudrücken, um nur ja zu einer Verständigung zu kommen. Wenn daher solche abgebrühten, mit allen Wassern gewaschenen Burschen an die KPD, d.h. in unserem Falle an die zur proletarischen Mehrheitsbildung unentbehrliche Partei, einen solchen Brief richten, so ist der Zweck der Übung handgreiflich.

Ihr habt ihn aber offenbar nicht erkannt, andernfalls hätte Eure Antwort anders aussehen müssen.

Wie mußte im Parteiinteresse oder was hier dasselbe ist, im Interesse der Arbeiterklasse dem O[rts]a[usschuß] des ADGB in Hamburg geantwortet werden?

Nach meinem Dafürhalten etwa dieses: Zum Ersten und vor allen Dingen mußte den Leuten gesagt werden:

„Aus Eurem Brief ersehen wir, daß Euch unsere bisherigen Kampfmethoden und unser gesamtes politisches Wirken mißfällt. Das hättet Ihr uns nicht mitzuteilen brauchen, denn das wissen wir ohnedies, es ist nebenbei auch gar nicht der Zweck unserer Politik, Euer Wohlgefallen zu erringen. Für uns gibt es nur Eines, dem alles andere untergeordnet ist, nämlich das Wohl der Arbeiterklasse. Wenn es Euch jedoch interessiert, so können wir es Euch schwarz auf weiß geben, daß wir zu Euch und Eurer Politik noch nicht für 5 Pf[enni]g Vertrauen haben.“

Aber um all diese altbekannten Dinge dreht es sich heute nicht. Jedermann weiß es, daß zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten scharfe, prinzipielle und darum auch akut politische Gegensätze bestehen. Die Frage, die es zu beantworten gilt, ist eben die, ob es trotz und ungeachtet dieser Gegensätze möglich ist, die sozialdemokratisch-kommunistische Mehrheit in Hamburg im Interesse der Werktätigen auszunützen. Wir lassen deshalb in der gegenwärtigen Situation alles aus Eurem Antwortschreiben unbeantwortet, was uns vom Kern der Frage ablenken und uns statt zu einer klaren und eindeutigen Beantwortung der Grundfrage zur Freude des Bürgertums in gegenseitige Beschuldigungen und Beschimpfungen verwickeln müßte.

Sodann mußte in ruhigem, sachlichem Tone auseinandergesetzt werden, daß und warum wir uns in Bezug auf den bürgerlichen Parlamentarismus frei von Illusionen wissen. Hier war auch auf das Beispiel von [19]23 abzuheben und zu betonen, daß dort die bloße Absicht der damaligen sozialdemokratisch-kommunistischen Regierung, einige fühlbare Reformen im Interesse der Arbeiterklasse durchzuführen genügte, um den sozialdemokratischen Reichspräsidenten Ebert und die sozialdemokratisch-bürgerliche Reichsregierung zu veranlassen, gegen die sozialdemokratisch-kommunistische Regierung Kanonen auffahren zu lassen.

Es galt, vor den parteilosen und sozialdem[okratischen] Arbeitern auszusprechen, daß [die] Bourgeoisie gegen das Hamburger Proletariat genauso verfahren wird, sobald seine Vertreter versuchen sollten, die proletarische Mehrheit zur Verfechtung der proletarischen Klasseninteressen auszunützen.

Mit aller Deutlichkeit und ohne Scheu mußte gesagt werden, daß wir uns nur deswegen an die soz[ial]de[mokratischen] Partei- und Gewerkschaftsinstanzen wenden, weil noch Hunderttausende Proletarier den soz[ial]de[mokratischen] Führern folgen und ihnen glauben und vertrauen, wenn diese erzählen: es sei möglich, durch Mehrheitsbeschlüsse im Parlament nicht nur die unmittelbaren Forderungen der werktätigen Massen durchzusetzen, sondern am Ende selbst den Sozialismus zu verwirklichen. Wenn die Kommunisten auch diese der theoretischen Erkenntnis wie der praktischen Erfahrung widersprechende Auffassung schroff ablehnen und sie stets bekämpfen werden, so wollen sie doch den soz[ial]de[mokratischen] Führern die Gelegenheit nicht vorenthalten, durch die Praxis den Arbeitermassen zu beweisen, daß

  1. die Sozialdemokraten in der Tat gewillt sind, für die Interessen der Werktätigen einzutreten und
     
  2. ob im Streit über die Bewertung des bürgerlichen Parlamentarismus die Sozialdemokraten oder Kommunisten recht haben.

Die zentrale Frage, von der wir uns unter keinen Umständen abbringen lassen durften und die es ausführlich zu behandeln galt, mußten die aktuellen Probleme der Hamburger Politik sein. Sie galt es vom Standpunkt der Interessen der werktätigen Massen aus zu beleuchten. Die Einwände und Rückfragen der Reformisten mußten uns Anlaß sein, in einer den breiten Massen verständlichen Weise den praktischen politischen Sinn unserer Forderungen, insbesondere auch in ihrer Beziehung zur bourgeoisen Reichspolitik, [zu] begründen. 

So mußte nach meiner Meinung der ungefähre Inhalt unseres Antwortschreibens aussehen.

Ihr seid anders verfahren. Ich will davon absehen, daß Eure Antwort schwächlich und würdelos ist. („Diese Tatsache und Eure Antwort erweckt so stark den Eindruck, daß Ihr nicht gemeinsam mit uns die Mehrheit ausnützen wollt.“) Wesentlicher ist noch, daß Ihr den Ehrenteit und Gen[ossen] auf den Leim gegangen seid und Euch habt vom Kern der Sache ablenken lassen. Eure Retourkutschen waren ganz und gar nicht am Platze. Obendrein waren sie recht wacklig, so daß das Ganze alles andere, nur keinen überzeugenden Eindruck machte.

Was sind die logischen Folgen Eures verfehlten Beginnens? Nun nicht mehr und nicht weniger, als daß die soz[ial]de[mokratischen] Partei- und Gewerkschaftsführer aus einer für sie unerhört brenzlichen Situation durch unsere Ungeschicklichkeit mit heiler Haut herauskommen werden. Es ist ihnen offensichtlich dank unserem taktischen Ungeschick bereits gelungen, ihre eigene Anhängerschaft zu verwirren und von der Hauptfrage abzulenken. Es wird nun in Hamburg werden wie in Berlin, d.h. es wird trotz des Bestehens einer soz[ial]de[mokratisch]-komm[unistischen] Mehrheit eine große Koalition zustande kommen. Natürlich war es in Hamburg von vornherein höchstwahrscheinlich, daß es schließlich so kommt, aber wir hatten es in der Hand, die Arbeiter derartig in Bewegung zu bringen, daß die SPD für ihre Koalitionspolitik einen unerhört hohen Preis bezahlen mußte. Durch die Taktik unser Partei, die in dem Antwortschreiben, soweit der Außenstehende sehen kann, ihre Krönung findet, hat es verschuldet, daß die SPD mit einem blauen Auge davon kommt. Was durch eine richtige, konsequente und geschickte Taktik erreicht werden kann, das hat die Partei 1922 und im ersten Halbjahr 1923, freilich in einer politisch zugespitzteren Situation (also vor der verfehlten „Oktoberpolitik“) bewiesen. Dort hat es die Partei verstanden, die breiten Massen derart aufzuwühlen, daß die soz[ialdemokratischen] Führer, wenn sie es gewagt hätten, ungeachtet der soz[ialdemokratisch]-kommunistischen Mehrheit eine Koalition mit bürgerlichen Parteien einzugehen, einen Massensturm unter ihren eigenen Parteigenossen und unter ihren eigenen Parteiorganisationen entfesselt hätten. Die Sozialdemokratie wäre dezimiert worden, ihre Mitglieder wären in Scharen ins kommunistische Lager übergelaufen.

In Berlin, wo naturgemäß heute noch nicht die verheerenden Folgen der Ruth Fischer-Ära überwunden sind, ist es der Partei bei der letzten Gelegenheit nicht gelungen, die soz[ialdemokratischen] Massen gegen ihre Führer in Bewegung zu bringen. Und so wenig, wie es in Berlin gelungen ist, wird es uns mit einer solchen Taktik in Hamburg gelingen, eine wirkliche Empörung in den soz[ialdemokratischen] Massen zu erzeugen. Es ist bereits so gut wie sicher, daß die Herrschaften ohne nennenswerte Verluste davonkommen werden, obgleich es möglich gewesen wäre, ihnen aus ihrer Gefolgschaft Zehntausende abspenstig zu machen und die soz[ial]de[mokratische] Vorherrschaft in der Hamburger Arbeiterschaft ernsthaft zu gefährden.

Was hier bereits so gut wie gänzlich verscherzt ist, das kann der größte Eifer und mühevollste Kleinarbeit unserer Hamburger Parteimitglieder nicht wieder aufholen. Ihr wißt es ja selbst am besten, wie ungemein schwer es gerade in Hamburg ist, die SPD wirklich zu schlagen und zu entlarven. Nun bot sich uns eine unvergleichlich günstige Gelegenheit die SPD- und Gewerkschaftsführer in einen scharfen Gegensatz zur großen Mehrheit der Arbeiterklasse zu bringen, wodurch sich auch unser Einfluß in den Gewerkschaften mit einem gewaltigen Ruck erweitert hätte. Bedenkt man noch, daß sich eine zielsichere, kluge Taktik in Hamburg für uns im ganzen Reiche günstig ausgewirkt hätte, so kann man nur aufs tiefste bedauern, daß die Partei die Gunst der Stunde so wenig zu nutzen wußte.

Woher kommt Euer Versagen? Ich glaube, es ist nötig, auch diese Frage zu streifen. Meines Erachtens ist das Versagen die Folge Eurer Unsicherheit. Ihr schwankt zwischen dem Zwang, irgendwie den realen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen und den noch immer nicht restlos überwundenen ultralinken Stimmungen hin und her. Es steht für mich außer Zweifel, daß Ihr heute eine den ultralinken Auffassungen entgegengesetzte Taktik und Politik treiben wollt, da jedoch viele von Euch mit der ultralinken Auffassung (die Maslow in seinem Fraktionsorgan auf Grund des Hamburger Beispieles eben wieder klassisch entwickelt) innerlich noch nicht völlig gebrochen habt, fehlt es Euch an Klarheit und Sicherheit, um die gewünschte Politik machen zu können. Was bei einem solchen Zustand herauskommt, dafür ist eben die Hamburger Politik ein charakteristisches Beispiel.

Ich schreibe Euch dies alles, obzwar ich keine Hoffnung habe, daß sich daraus noch Nutzanwendungen für die Verhandlungen ableiten lassen, weil ich es bei einem so ernsthaften Anlaß für meine Pflicht erachte, Euch ganz ungeschminkt meine Meinung zu sagen. Ich behalte mir nach Abschluß der Hamburger Verhandlungen vor, öffentlich dazu Stellung zu nehmen.

Dann noch eins. Es ist Euch bekannt, daß ich zu denen in der Partei gehöre, die die Schaffung eines Aktionsprogramms für eine dringende Aufgabe halten. Da mich die Hamburger Erfahrungen in dieser Auffassung noch bestärken, halte ich es für notwendig, in diesem Zusammenhang noch folgendes zu sagen: Ich sehe mit Betrübnis, wie die Forderung nach einem Aktionsprogramm mehr und mehr von Euch als eine fraktionelle Angelegenheit bewertet und dementsprechend bekämpft wird. Geht das so weiter, dann kann man nicht ohne ernste Sorge an die Weiterentwicklung der Dinge denken. Ich stelle Euch die Frage: Muß das so sein?

Kann man sich über die Frage, ob die Partei ein Aktionsprogramm braucht, nicht in aller Ruhe und ohne die Spur fraktioneller Leidenschaft unterhalten? Das müßte doch möglich sein. Zumal es ja, soviel ich weiß, nur wenige gibt, die die Frage strikte verneinen. Ist dem aber so, so sollten wir einen Schritt weiter gehen und ohne Aufregung an die Klärung der Frage gehen: „Was haben wir unter einem Aktionsprogramm zu verstehen? Was soll sein Inhalt sein?“

Wird diese Frage so breit als möglich aufgerollt und diskutiert in den Funktionärsorganen wie in der Mitgliedschaft, so kann das in jeder Hinsicht die Partei und ihre Arbeit nur befruchten. Komme keiner mit dem engstirnigen Bürokrateneinwand, daß eine solche Diskussion die Partei in der praktischen Arbeit behindere. Das Gegenteil ist richtig. Die Diskussion eines Fragenkomplexes, in dem sich theoretische Betrachtungen mit einer Behandlung unserer praktischen Aufgaben in der glücklichsten Weise ergänzen, kann nur befruchtend wirken. Ich kann mir schlechterdings keine Diskussionsgrundlage denken, die so sehr geeignet wäre, der Partei die Gewähr für eine sachliche, leidenschafts- und vorurteilsfreie Aussprache zu geben, als eben der Inhalt eines Aktionsprogramms. Ja ich gehe so weit, daß ich sage, es kommt erst in zweiter Linie auf die Formulierung eines Aktionsprogramms und vor allem und in erster Linie auf die ungemein bedeutungsvolle Tatsache an, daß die Schaffung eines Aktionsprogramms die Partei zwingt, sich klar Rechenschaft darüber zu geben, wo wir – auf allen Gebieten unseres Wirkens – heute stehen, wie wir weiter und unserem Ziele näher kommen. Auf diese Weise wird die Partei nicht mehr genötigt sein, von der Hand in den Mund zu leben. Sie wird dann verstehen, die politischen Tagesereignisse für den Gesamtplan unseres politischen Wirkens nutzbar zu machen, statt wie es heute vielfach der Fall ist, Taktik und Politik der Partei von den mehr oder weniger zufälligen Ereignissen des Tages bestimmen zu lassen.

Genossen! Wenn Ihr meine Ausführungen vorurteilsfrei prüft, werdet Ihr ihre innere Berechtigung nicht bestreiten können. Wenn die Arbeit der Partei, obgleich ihre Leitung doch selbstverständlich das Beste für die proletarische Revolution erstrebt, dennoch ungenügend und oft von solchen Fehlern behaftet ist, die auf Grund unserer bisherigen Erfahrungen vermieden werden könnten, so liegt das daran, daß man sich scheut, die Erfahrungen der Vergangenheit durch eine Diskussion unserer Aufgaben für die Gegenwart nutzbar zu machen. Nur auf diese Weise kann aber die Partei Klarheit und Sicherheit bekommen. Der Brief an den Ortsausschuß des ADGB in Hamburg hat ein übriges Mal bewiesen, wie sehr uns mangelt und wie absolut unentbehrlich für die Partei die Schaffung von Klarheit über Sinn und Zweck unserer heutigen Arbeit und der taktischen und zulässigen Methoden ist. Nur durch die kollektive Schaffung eines Aktionsprogramms kann die Partei bekommen, was wir heute – sehr zum Schaden unserer Sache – entbehren.

 

Mit Parteigruß
Zetkin


Zuletzt aktualisiert am 20.7.2008