G.W.F. Hegel

Philosophische Propädeutik

Erster Kursus. Unterklasse. Rechts-, Pflichten-, und Religionslehre.

 

 

Erster Abschnitt. Rechtslehre.

§1

Es muss; 1) das Recht an sich und 2) sein Bestehen in der Staats­gesellschaft betrachtet werden.

Erstes Kapitel. Das Recht.

§2

Nach dem Recht soll bloß der allgemeine Wille geschehen, ohne Rücksicht auf die Absicht oder Überzeugung des Einzelnen und das Recht hat den Menschen nur als freies Wesen überhaupt zum Gegenstande.

§3

Das Recht besteht darin, dass jeder Einzelne von dem Anderen als ein freies Wesen respektiert und behandelt werde, denn nur insofern hat der freie Wille sich selbst im Andern zum Gegen­stand und Inhalt.

Erläuterung. Dem Rechte liegt die Freiheit des Einzelnen zu Grunde und das Recht besteht darin, dass ich den Andern als ein freies Wesen behandele. Die Vernunft fordert ein rechtliches Verhalten. Seinem Wesen nach ist Jeder ein Freier. Durch ihre besonderen Zustände und Eigenheiten sind die Menschen unter­schieden, aber dieser Unterschied geht den abstrakten Willen als solchen nichts an. Hierin sind sie dasselbe und indem man den Andern respektiert, respektiert man sich selbst. Es folgt daraus, dass durch die Verletzung des Rechts eines Einzelnen Alle in ihrem Recht verletzt werden. Es ist dies eine ganz andere Teilnahme, als wenn man nur an dem Schaden eines Andern Teil nimmt. Denn 1) der Schaden oder Verlust, den Jemand an Glücksgütern erleidet, deren guter Zustand zwar wünschenswert, aber nicht an sich notwendig ist, geht mich zwar an, allein ich kann nicht sagen, dass es schlechthin nicht hätte ge­schehen sollen; 2) gehören solche Zustände zur Besonderheit des Menschen. Bei aller Teilnahme trennen wir Unglücksfälle von uns selbst ab und sehen sie als etwas Fremdes an. Hingegen bei der Kränkung des Rechts eines Anderen fühlt Jeder sich un­mittelbar getroffen, weil das Recht etwas Allgemeines ist. Also eine Rechtsverletzung können wir nicht als etwas Fremdes be­trachten. Wir fühlen uns durch sie, weil das Recht notwendig ist, härter gekränkt.

§4

Insofern Jeder als ein freies Wesen anerkannt wird, ist er eine Person. Der Satz des Rechts lässt sich daher auch so ausdrücken: es soll Jeder von dem Andern als Person behandelt werden. Erläuterung. Der Begriff der Persönlichkeit schließt in sich die Ichheit oder Einzelheit, welche ein Freies oder Allgemeines ist. Die Menschen haben durch ihre geistige Natur Persönlichkeit.

§5

Es folgt hieraus, dass kein Mensch gezwungen werden kann, als nur dazu, den Zwang, den er Andern angetan hat, aufzu­heben.

Erläuterung. Es gibt Beschränkungen der Freiheit und Gesetze, welche es gestatten, dass Menschen nicht als Personen, sondern als Sache behandelt werden, z. B. die Gesetze, welche die Sklaverei erlauben. Diese sind aber nur positive Gesetze, Rechte und zwar die der Vernunft oder dem absoluten Recht entgegenge­setzt sind.

§6

Diejenige Handlung, welche die Freiheit eines Andern be­schränkt oder ihn nicht als freien Willen anerkennt und gelten lässt, ist widerrechtlich.

Erläuterung. Im absoluten Sinne ist eigentlich kein Zwang ge­gen den Menschen möglich, weil Jeder ein freies Wesen ist, weil er seinen Willen gegen die Notwendigkeit behaupten und Alles, was zu seinem Dasein gehört, aufgeben kann. Der Zwang findet auf folgende Weise statt. An die Seite des Da­seins des Menschen wird irgend etwas als Bedingung desselben angeknüpft, so dass, wenn er das Erstere erhalten will, er sich auch das Andere gefallen lassen muss. Weil das Dasein des Menschen von äußeren Gegenständen abhängig ist, so kann er an einer Seite seines Daseins gefasst werden. Der Mensch wird nur gezwungen, wenn er etwas will, mit dem noch ein Anderes verbunden ist und es hängt von seinem Willen ab, ob er das Eine und damit auch das Andere, oder auch keines von beiden will. Insofern er doch gezwungen wird, ist, wozu er bestimmt wird, auch in seinem Willen gelegen. Der Zwang ist insofern nur etwas Relatives. Rechtlich ist er, wenn er geübt wird, um das Recht gegen den Einzelnen geltend zu machen. Dieser Zwang hat eine Seite, nach welcher er kein Zwang ist und der Würde des freien Wesens nicht widerspricht, weil der Wille an und für sich auch der absolute Wille eines Jeden ist. Die Freiheit findet überhaupt da statt, wo das Gesetz, nicht die Willkür eines Einzelnen herrscht.

§7

Erlaubt, jedoch darum nicht geboten, ist rechtlicher Weise Alles, was die Freiheit der Anderen nicht beschränkt oder keinen Akt derselben aufhebt.

Erläuterung. Das Recht enthält eigentlich nur Verbote, keine Gebote und, was nicht verboten ist, das ist erlaubt. Allerdings kann man die Rechtsverbote positiv als Gebote ausdrücken, z. B. du sollst den Vertrag halten! Der allgemeine Rechtsgrundsatz, von welchem die anderen nur besondere Anwendungen sind, heißt: du sollst das Eigentum eines Andern ungekränkt lassen! Dies heißt nicht: du sollst dem Andern etwas Positives erweisen oder eine Veränderung in Umständen hervorbringen, sondern enthält nur die Unterlassung der Verletzung des Eigentums. Wenn also das Recht als positives Gebot ausgedrückt wird, so ist dies nur eine Form des Ausdrucks, welchem, dem Inhalt nach, immer das Verbot zu Grunde liegt.

§8

Der Wille, indem er eine Sache unter sich subsumiert, macht sie zu der seinigen. Der Besitz ist dies Subsumiertsein einer Sache unter meinen Willen.

Erläuterung. Zum Subsumieren gehören zwei Stücke, etwas All­gemeines und etwas Einzelnes. Ich subsumiere etwas Einzelnes, wenn ich ihm eine allgemeine Bestimmung beilege. Dies Subsumieren kommt überhaupt im Urteilen vor. Das Subsumierende im Urteilen ist das Prädikat und das Subsumierte das Subjekt. Die Besitznahme ist das Aussprechen des Urteils, dass eine Sache die meinige wird. Mein Wille ist hier das Subsumierende. Ich gebe der Sache das Prädikat, die meinige zu sein. Der Wille ist das Subsumierende für alle äußerlichen Dinge, weil er an sich das allgemeine Wesen ist. Alle Dinge aber, die nicht selbst sich auf sich beziehen, sind nur notwendige, nicht freie. Dies Verhältnis macht also, dass der Mensch das Recht hat, alle äußerlichen Dinge in Besitz zu nehmen und aus ihnen ein Anderes, als sie selbst sind, zu machen. Er behandelt sie damit nur ihrem Wesen gemäß.

§9

Die erst in Besitz zu nehmende Sache muss 1) res nullius sein, d. h. nicht schon unter einen andern Willen subsumiert sein. Erläuterung. Eine Sache, die schon eines Andern ist, darf ich nicht in Besitz nehmen, nicht, weil sie Sache, sondern weil sie seine Sache ist. Denn nehme ich die Sache in Besitz, so hebe ich an ihr das Prädikat, die seinige zu sein, auf und negiere damit seinen Willen. Der Wille ist etwas Absolutes, das ich nicht zu etwas Negativem machen kann.

§10

2) Der Besitz muss ergriffen werden, d. h. es muss für die Ande­ren erkennbar gemacht werden, dass ich diesen Gegenstand unter meinen Willen subsumiert haben will, es sei durch körper­liche Ergreifung, oder durch Formierung, oder wenigstens durch Bezeichnung des Gegenstandes.

Erläuterung. Der äußerlichen Besitzergreifung muss der inner­liche Willensakt vorangehen, welcher ausdrückt, dass die Sache mein sein soll. Die erste Art der Besitznahme ist die körperliche Ergreifung. Sie hat den Mangel, dass die zu ergreifenden Gegen­stände so beschaffen sein müssen, dass ich sie unmittelbar mit der Hand ergreifen oder mit meinem Körper bedecken kann und ferner, dass sie nicht fortdauernd ist. — Die zweite vollkomme­nere Art ist die Formierung, dass ich einem Dinge eine Gestalt gebe, z. B. einen Acker bebaue, Gold zu einem Becher mache. Hier ist die Form des Meinigen unmittelbar mit dem Gegen­stande verbunden und daher an und für sich ein Zeichen, dass auch die Materie mir gehöre. Zur Formierung gehört unter An­derem auch das Pflanzen von Bäumen, das Zähmen und Füt­tern von Tieren. Eine unvollkommene Art des Landbesitzes ist die Benutzung eines Distriktes ohne seine Formierung, z. B. wenn nomadische Völker ein Gebiet zur Viehweide, Jägervölker zur Jagd, Fischervölker den Strand eines Meeres oder Flusses benutzen. Eine solche Besitznahme ist noch oberflächlich, weil die wirkliche Benutzung nur erst eine temporäre, noch nicht auf bleibende, an dem Gegenstand haftende Weise ist. — Die Besitz­nahme durch die bloße Bezeichnung des Gegenstandes ist un­vollkommen. Das Zeichen, das nicht, wie in der Formierung, zu­gleich die Sache selbst ausmacht, ist ein Ding, das eine Bedeu­tung hat, die aber nicht sein eigenes Wesen ist und wogegen es sich also als ein fremdes verhält. Aber es hat auch sonst eine ihm eigene Bedeutung, welche nicht mit der Natur des durch es bezeichneten Dinges selbst zusammenhängt. Die Bezeichnung ist also willkürlich. Von was ein Ding Zeichen sein soll, ist mehr oder weniger die Sache der Konvenienz.

 

§11

Der Besitz wird zum Eigentum oder rechtlich, insofern von allen Andern anerkannt wird, dass die Sache, die ich zur meini­gen gemacht habe, mein sei, wie ich eben so den Besitz der An­deren als den ihrigen anerkenne. Mein Besitz wird anerkannt, weil er ein Akt des freien Willens ist, der etwas Absolutes in sich selbst ist und worin das Allgemeine liegt, dass ich das Wol­len Anderer eben so als etwas Absolutes betrachte. Erläuterung. Besitz und Eigentum sind zwei verschiedene Be­stimmungen. Es ist nicht notwendig, dass Besitz und Eigentum immer verbunden sind. Es ist möglich, dass ich ein Eigentum habe, ohne davon in Besitz zu sein. Wenn ich z. B. einem Andern etwas leihe, so bleibt dies immer mein Eigentum, ob ich es gleich nicht besitze. Besitz und Eigentum sind in dem Begriff enthalten, dass ich ein Dominium über etwas habe. Das Eigentum ist die rechtliche Seite des Dominiums und der Besitz ist nur die äußerliche Seite, dass etwas überhaupt in meiner Ge­walt ist. Das Rechtliche ist die Seite meines absoluten freien Willens, der etwas für das Seinige erklärt hat. Dieser Wille muss von Andern anerkannt werden, weil er an und für sich ist und insofern die zuvor angegebenen Bedingungen beobachtet wor­den sind. — Das Eigentum hat also eine innerliche und eine äußerliche Seite. Diese für sich ist die Besitznahme, jene der Akt des Willens, der als solcher anerkannt werden muss. Es scheint zufällig oder willkürlich, ob zu einer Besitznahme auch das Anerkennen Anderer hinzukomme. Es muss aber hinzukom­men, weil es in der Natur der Sache liegt. Anerkennen hat nicht den Grund der Gegenseitigkeit. Ich anerkenne es nicht darum, weil du es anerkennst und umgekehrt, sondern Grund dieses gegenseitigen Anerkennens ist die Natur der Sache selbst. Ich anerkenne den Willen des Andern, weil er an und für sich anzu­erkennen ist.

§12

Ich kann mich meines Eigentums entäußern und dasselbe kann durch meinen freien Willen an Andere übergehen. Erläuterung. Meine Kräfte und Geschicklichkeiten sind zwar mein eigenstes Eigentum, aber sie haben auch eine Äußerlichkeit. Nach der abstrakten Bestimmung sind sie schon insofern äußerlich, als ich sie von mir, dem einfachen Ich, unterscheiden kann. Aber auch an sich sind die Kräfte und Geschicklichkeiten einzelne und beschränkte, die nicht mein Wesen selbst ausmachen. Mein Wesen, das an sich allgemeine, ist von diesen besonderen Bestimmungen unterschieden. Endlich sind sie in ihrem Gebrauch äußerlich. Eben indem ich sie gebrauche, mache ich sie zu einer äußerlichen Form und das durch sie Hervorge­brachte ist irgend ein äußerliches Dasein. Im Gebrauch liegt nicht die Kraft als solche, sondern sie erhält sich, ungeachtet sie sich geäußert und diese ihre Äußerung zu einem von ihr ver­schiedenen Dasein gemacht hat. Diese Äußerung der Kraft ist auch insofern etwas Äußerliches, als sie etwas Beschränktes und Endliches ist. — Insofern etwas mein Eigentum ist, habe ich es zwar mit meinem Willen verbunden, aber diese Verbin­dung ist keine absolute. Denn wäre sie eine solche, so müsste mein Wille seinem Wesen nach in dieser Sache liegen. Sondern ich habe meinen Willen hier nur zu etwas Besonderem gemacht und kann, weil er frei ist, diese Besonderheit wieder aufheben.

§13

Unveräußerlich sind diejenigen Güter, die nicht so sehr mein Besitz oder Eigentum sind, als sie vielmehr meine eigenste Person ausmachen oder in meinem Wesen enthalten sind, als Freiheit des Willens, Sittlichkeit, Religion u. s. f. Erläuterung. Nur diejenigen Güter sind veräußerlich, die schon ihrer Natur nach äußerlich sind. Die Persönlichkeit z. B. kann ich nicht als etwas mir Äußerliches ansehen, denn insofern einer seine Persönlichkeit aufgegeben hat, so hat er sich zur Sache gemacht. Aber eine solche Veräußerung wäre null und nichtig. — Seine Sittlichkeit würde einer veräußern, wenn er sich z. B. gegen einen Andern anheischig machte, auf seinen Befehl alle möglichen Handlungen, Verbrechen so gut als gleichgültige Handlungen, zu vollbringen. Eine solche Verbindlichkeit hätte keine Kraft, weil sie die Freiheit des Willens in sich schließt, worin Jeder für sich selbst stehen muss. Sittliche oder unsittliche Taten sind die eigenen Handlungen dessen, der sie begeht und weil sie so beschaffen sind, so kann ich sie nicht veräußern. — Auch meine Religion kann ich nicht veräußern. Wenn eine Ge­meinde oder auch ein Einzelner es einem Dritten überlassen hätte, dasjenige zu bestimmen, was ihren Glauben ausmachen sollte, so wäre dies eine Verbindlichkeit, die Jeder einseitig auf­heben könnte. Dem Andern, gegen den ich diese Verbindlichkeit eingegangen habe, geschieht damit kein Unrecht, weil das, was ich ihm überlassen habe, nie sein Eigentum werden konnte.

§14

Dagegen kann ich den bestimmten Gebrauch von meinen geisti­gen und körperlichen Kräften und die Sache, die ich in Besitz habe, veräußern.

Erläuterung. Nur einen beschränkten Gebrauch seiner Kräfte kann man veräußern, weil dieser Gebrauch oder die beschränkte Wirkung von der Kraft unterschieden ist. Aber der beständige Gebrauch oder die Wirkung in ihrem ganzen Umfange kann nicht von der Kraft an sich unterschieden werden. Die Kraft ist das Innere oder Allgemeine gegen ihre Äußerung. Die Äußerungen sind ein in Raum und Zeit beschränktes Dasein. Die Kraft an sich ist nicht erschöpft in einem einzelnen solchen Da­sein und ist auch nicht an eine ihrer zufälligen Wirkungen ge­bunden. Aber zweitens, die Kraft muss wirken und sich äußern, sonst ist sie keine Kraft. Drittens macht der ganze Umfang ihrer Wirkungen die Kraft selbst aus, denn der ganze Umfang der Äußerung ist wieder selbst das Allgemeine, was die Kraft ist und deswegen kann der Mensch nicht den ganzen Gebrauch seiner Kräfte veräußern: er würde sonst seine Persönlichkeit veräußern.

§15

Zu einer Veräußerung an einen Andern gehört meine Einwilli­gung, die Sache ihm zu überlassen, und seine Einwilligung, sie anzunehmen. Diese gedoppelte Einwilligung, insofern sie ge­genseitig erklärt und als geltend ausgesprochen ist, heißt Ver­trag (pactum).

Erläuterung. Der Vertrag ist eine besondere Art, wie man Eigentümer einer Sache wird, die schon einem Andern gehört. Die früher auseinander gesetzte Art, Eigentümer zu werden, war die unmittelbare Besitznahme von einer Sache, die res nul­lius war. 1) Als die einfachste Art des Vertrages kann der Schenkungsvertrag angenommen werden, in welchem nur Einer eine Sache an einen Andern überlässt, ohne den Werth derselben ersetzt zu erhalten. Eine gültige Schenkung ist ein Vertrag, weil der Wille beider dabei sein muss, des Einen, dem Andern die Sache zu überlassen, ohne etwas dafür zurückzunehmen, des Andern, die Sache anzunehmen. — 2) Der Tauschvertrag besteht darin, dass ich von meinem Eigentum einem Andern etwas unter der Bedingung überlasse, dass er mir eine Sache von glei­chem Werth dafür gibt. Dazu gehört die doppelte Einwilligung eines Jeden, etwas wegzugeben und dagegen das vom Andern Gebotene anzunehmen. — 3) Kaufen und Verkaufen ist eine be­sondere Art von Tausch, von Waren gegen Geld. Geld ist die allgemeine Ware, die also, als der abstrakte Werth, nicht selbst gebraucht werden kann, um irgend ein besonderes Bedürfnis damit zu befriedigen. Es ist nur das allgemeine Mittel, um die besonderen Bedürfnisse dafür zu erlangen. Der Gebrauch des Geldes ist nur ein mittelbarer. Eine Materie ist nicht an und für sich, als diese Qualitäten habend, Geld, sondern man lässt sie nur durch Convention dafür gelten. — 4) Die Miete besteht darin, dass ich Jemand meinen Besitz oder den Gebrauch meines Eigentums überlasse, mir aber das Eigentum selbst vorbe­halte. Es kann dabei der Fall sein, dass derjenige, dem ich etwas geliehen habe, mir genau dieselbe Sache zurückgeben muss, oder dass ich mir mein Eigentum vorbehalten habe an einer Sache von der nämlichen Art oder von dem nämlichen Werte.

§16

Die im Vertrag enthaltene Willenserklärung ist noch nicht die Verwirklichung und Ausführung des Übergehens meiner Sache oder Arbeit an den Andern. Dieser Übergang aus dem Grunde des Vertrages ist die Leistung.

Erläuterung. Mein Versprechen im Vertrag enthält, dass ich etwas durch meinen Willen aus der Sphäre des Meinigen aus­geschlossen habe und zugleich habe ich anerkannt, dass es der Andere in die seinige aufgenommen hat. Weil nun, dass etwas mein sei, so weit es von mir abhängt, in meinem Willen seinen Grund hat, so ist durch den Vertrag die Sache bereits Eigentum des Andern geworden. Insofern ich also das im Vertrag Be­stimmte dem Andern nicht leistete oder ihn nicht in Besitz setzte, so würde ich sein Eigentum verletzen. Ich bin also durch den Vertrag selbst zur Haltung desselben verpflichtet. (Erwerb durch Testament.)

§17

Ein Eingriff in die Sphäre meiner Freiheit durch einen Andern kann 1) entweder so beschaffen sein, dass er mein Eigentum als das seinige in seinem Besitz hat, oder anspricht in dem Sinne, dass er das Recht dazu habe, und wenn nicht er, sondern ich das Recht dazu hätte, er es mir überlassen würde. Er respektiert hierin das Recht überhaupt und behauptet nur, dass es in diesem besondern Fall auf seiner Seite sei. Oder aber 2) es liegt in seiner Handlung, dass er meinen Willen überhaupt nicht an­erkennt und somit das Recht als Recht verletzt. Erläuterung. Die bisherigen Begriffe enthalten die Natur des Rechts, seine Gesetze, seine Notwendigkeit. Aber das Recht ist nicht ein solches Notwendiges, wie das Notwendige der phy­sischen Natur, z. B. die Sonne kann nicht aus ihrer Bahn treten. Eine Blume muss ganz ihrer Natur gemäß sein. Wenn sie z. B. ihre Gestaltung nicht erfüllt, so kommt dies von äußerlicher Einwirkung, nicht von ihr selbst her. Der Geist hingegen kann wegen seiner Freiheit gegen die Gesetze handeln. Es kann also gegen das Recht gehandelt werden. Hier ist zu unterscheiden: 1) das allgemeine Recht, das Recht qua Recht; 2) das besondere Recht, wie es sich bloß auf das Recht einer einzelnen Person auf eine einzelne Sache bezieht. Das allgemeine Recht ist, dass über­haupt Jeder, unabhängig von diesem Eigentum, eine rechtliche Person ist. Es kann also der Eingriff in das Recht so beschaffen sein, dass damit nur behauptet wird, dies besondere Recht, diese besondere Sache stehe einem nicht zu. Aber es wird dabei nicht das allgemeine Recht verletzt. Man verhält sich dabei gegen seinen Gegner als eine rechtliche Person. Ein solches Urteil kann überhaupt als ein bloß negatives betrachtet werden, worin im Prädikat das Besondere negiert wird; z. B. wenn ich urteile: dieser Ofen ist nicht grün, so negiere ich bloß das Prädikat des so und so Gefärbtseins, nicht aber das allgemeine. — Im zweiten Fall des Eingriffs in das Recht eines Andern behaupte ich nicht nur, dass eine besondere Sache nicht das Eigentum eines An­dern ist, sondern ich negiere auch, dass er eine rechtliche Person ist. Ich behandle ihn nicht als Person. Ich mache auf etwas nicht Anspruch aus dem Grunde, dass ich das Recht dazu habe oder zu haben glaube. Ich verletze das Recht qua Recht. Ein solches Ur­teil gehört zu denen, welche unendliche genannt werden. Das unendliche Urteil negiert von dem Prädikat nicht nur das Be­sondere, vielmehr auch das Allgemeine; z. B. dieser Ofen ist kein Wallfisch oder: er ist nicht das Gedächtnis. Weil nicht nur das Bestimmte, sondern auch das Allgemeine des Prädikats negiert wird, so bleibt dem Subjekt nichts übrig. Solche Urteile sind deswegen widersinnig, aber doch richtig. Auf dieselbe Weise ist die Verletzung des Rechts qua Recht etwas Mögliches, was auch geschieht, aber etwas Widersinniges, sich Widerspre­chendes. Die Fälle der ersten Art gehören zum Zivilrecht, die der zweiten zum Kriminalrecht. Das erste heißt auch bürger­liches, das zweite peinliches Recht.

§18

Im ersten Fall ist die bloße Auseinandersetzung der Rechts­gründe nötig, durch welche es sich ergibt, wem das streitige besondere Recht zukommt. Allein zu dieser Beurteilung der Ansichten der beiden Parteien ist ein Dritter nötig, der von ihrem Interesse, die Sache zu besitzen, frei ist, um bloß auf das Recht rein als solches zu sehen.

Erläuterung. Im ersten Fall findet also der bürgerliche Rechts­streit statt. Es wird in einem solchen das Recht eines Andern in Anspruch genommen, aber aus einem Rechtsgrunde. Es kom­men beide streitende Parteien darin überein, dass sie das Recht als Recht anerkennen. Es soll nur derjenige in Besitz kommen, der Recht hat und nicht etwa der, welcher Einfluss oder Gewalt und mehr Verdienst hat. Die Parteien weichen von einander ab nur in Rücksicht der Subsumtion des Besondern oder des Allgemeinen. Es folgt also daraus, dass keine persönliche Beleidigung zwischen dem Richter und den beiden Parteien stattfindet, inso­fern die eine mit seinem Spruch nicht zufrieden ist, noch des Richters gegen die Partei, der er das Recht abspricht. Weil also kein Angriff auf das Persönliche hierbei stattfindet, so folgt dar­aus, dass die Partei, die unrechtlicher Weise das Eigentum des Andern angegriffen hat, nicht bestraft wird.

§ 19

Der andere Fall hingegen betrifft die Verletzung meiner persön­lichen äußerlichen Freiheit, meines Leibes und Lebens oder auch meines Eigentums überhaupt durch Gewalttätigkeit. Erläuterung. Es gehört darunter erstens die widerrechtliche Be­raubung meiner Freiheit durch Gefängnis oder Sklaverei. Es ist Beraubung der natürlichen äußerlichen Freiheit, sich nicht hin­begeben zu können, wohin man will u. dgl. m. Es gehört ferner hierher eine Verletzung des Leibes und Lebens. Diese ist viel bedeutender, als die Beraubung meines Eigentums. Obgleich Leben und Leib etwas Äußerliches ist, wie Eigentum, so ist meine Persönlichkeit doch darunter verletzt, weil in meinem Körper selbst mein unmittelbares Selbstgefühl ist.

§ 20

Der Zwang, der durch eine solche Handlung gesetzt worden, muss nicht nur aufgehoben, d. h. die innere Nichtigkeit einer solchen Handlung nicht nur negativer Weise dargestellt werden, sondern es muss auch auf positive Weise die Wiedervergeltung eintreten. (Es muss gegen sie die Form der Vernünftigkeit über­haupt, die Allgemeinheit oder Gleichheit geltend gemacht wer­den.) Indem nämlich der Handelnde ein vernünftiges Wesen ist, so liegt in seiner Handlung, dass sie etwas Allgemeines sei. Be­raubst du einen Andern, so beraubst du dich! Tötest du Je­mand, so tötest du Alle und dich selbst! Die Handlung ist ein Gesetz, das du aufstellst und welches du eben durch dein Han­deln an und für sich anerkannt hast. Der Handelnde darf daher für sich unter dieselbe Handlungsweise, die er aufgestellt hat, subsumiert und insofern die durch ihn verletzte Gleichheit wie­der hergestellt werden: jus talionis.

Erläuterung. Die Wiedervergeltung beruht überhaupt auf der vernünftigen Natur des Unrechthandelnden oder sie besteht darin, dass das Unrechte sich in das Rechte verkehren muss. Die unrechte Handlung ist zwar eine einzelne unvernünftige Hand­lung. Weil sie aber von einem vernünftigen Wesen ausgeführt wird, so ist sie, zwar nicht ihrem Gehalt nach, aber doch der Form nach, ein Vernünftiges und Allgemeines. Ferner ist sie als ein Grundsatz oder Gesetz zu betrachten. Aber als solches gilt es zugleich nur für den Handelnden, weil nur er durch seine Handlung es anerkennt, nicht aber die Andern. Er selbst also gehört wesentlich unter diesen Grundsatz oder dies Gesetz, das an ihm ausgeführt werden muss. Das Unrecht, das er ausgeübt hat, an ihm vollführt, ist Recht, weil durch diese zweite Hand­lung, die er anerkannt hat, eine Wiederherstellung der Gleich­heit aufgestellt wird. Dies ist nur formelles Recht.

§21

Die Wiedervergeltung aber soll nicht vom einzelnen Beleidig­ten, oder von dessen Angehörigen ausgeübt werden, weil bei ihnen die allgemeine Rechtsrücksicht zugleich mit der Zufällig­keit der Leidenschaft verbunden ist. Sie muss die Handlung eines dritten Gewalthabenden sein, der bloß das Allgemeine geltend macht und vollführt. Insofern ist sie Strafe. Erläuterung. Rache und Strafe unterscheiden sich dadurch von einander, dass die Rache eine Wiedervergeltung ist, insofern sie von der beleidigten Partei ausgeübt wird, Strafe aber, insofern sie vom Richter ausgeübt wird. Die Wiedervergeltung muss da­her als Strafe geübt werden, weil bei der Rache die Leidenschaft Einfluss hat und das Recht dadurch getrübt wird. Ferner hat die Rache nicht die Form des Rechts, sondern die der Willkür, indem die beleidigte Partei immer aus Gefühl oder subjektiver Trieb­feder handelt. Deswegen ist das Recht, als Rache ausgeübt, wie­der eine neue Beleidigung, wird nur als einzelne Handlung empfunden, und pflanzt sich also unversöhnt ins Unendliche fort.

Zweites Kapitel. Die Staatsgesellschaft.

Der Rechtsbegriff als die Gewalt habende, von Triebfedern der Einzelheit unabhängige Macht hat nur in der Staatsgesellschaft Wirklichkeit.

§ 23

Die Familie ist die natürliche Gesellschaft, deren Glieder durch Liebe, Vertrauen und natürlichen Gehorsam [Pietät) verbunden sind.

Erläuterung. Die Familie ist eine natürliche Gesellschaft, er­stens : weil Jemand einer Familie nicht durch seinen Willen, son­dern durch die Natur als Mitglied angehört und zweitens, weil die Verhältnisse und das Benehmen der Mitglieder zu einander nicht sowohl auf Überlegung und Entschluss, sondern auf Ge­fühl und Trieb beruhen. Die Verhältnisse sind notwendig und vernünftig, aber es fehlt die Form der bewussten Einsicht. Es ist mehr Instinkt. Die Liebe der Familienmitglieder beruht dar­auf, dass mein Ich mit dem andern einzelnen Ich eine Einheit ausmacht. Sie betrachten sich gegen einander nicht als Einzelne. Die Familie ist ein organisches Ganze. Die Teile sind eigentlich nicht Teile, sondern Glieder, die ihre Substanz nur in dem Ganzen haben und welchen, getrennt von dem Ganzen, die Selbstständigkeit fehlt. Das Vertrauen, das die Familienmitglie­der zu einander haben, besteht darin, dass Jeder nicht ein Inter­esse für sich hat, sondern überhaupt für das Ganze. Der natür­liche Gehorsam innerhalb der Familie beruht darauf, dass in diesem Ganzen nur Ein Wille ist, welcher nämlich dem Ober­haupte zukommt. Insofern macht die Familie nur Eine Person aus. (Nation.)

§24

Der Staat ist die Gesellschaft von Menschen unter rechtlichen Verhältnissen, worin sie nicht wegen eines besonderen Natur­verhältnisses nach natürlichen Neigungen und Gefühlen, son­dern als Personen für einander gelten und diese Persönlichkeit eines Jeden mittelbar behauptet wird. Wenn eine Familie sich zur Nation erweitert hat und der Staat mit der Nation in Eins zusammenfällt, so ist dies ein großes Glück. Erläuterung. Ein Volk hängt durch Sprache, Sitten und Ge­wohnheit und Bildung zusammen. Dieser Zusammenhang aber formiert noch keinen Staat. Ferner sind Moralität, Religion, Wohlstand und Reichtum aller seiner Bürger zwar sehr wich­tig für den Staat. Er muss auch Sorge tragen zur Beförderung dieser Umstände, aber sie machen für ihn nicht den unmittel­baren Zweck aus, sondern das Recht.

§25

Der Naturzustand ist der Stand der Rohheit, Gewalt und Un­gerechtigkeit. Die Menschen müssen aus einem solchen in die Staatsgesellschaft treten, weil nur in ihr das rechtliche Verhält­nis Wirklichkeit hat.

Erläuterung. Der Naturzustand pflegt häufig als ein vollkomme­ner Zustand des Menschen geschildert zu werden, sowohl nach der Glückseligkeit als nach der sittlichen Güte. Fürs Erste ist zu bemerken, dass die Unschuld als solche keinen moralischen Werth hat, insofern sie Unwissenheit des Bösen ist und auf dem Man­gel von Bedürfnissen beruht, unter welchen Böses geschehen kann. Zweitens ist dieser Zustand vielmehr ein Zustand der Gewalt und des Unrechts, eben weil die Menschen sich in ihm nach der Natur betrachten. Nach dieser aber sind sie ungleich, sowohl in Rücksicht auf körperliche Kräfte, als auf geistige An­lagen und machen ihren Unterschied durch Gewalt und List gegen einander geltend. Vernunft ist zwar auch im Naturzu­stande, aber das Natürliche ist das Herrschende. Die Menschen müssen daher aus ihm in einen Zustand übergehen, in welchem der vernünftige Wille das Herrschende ist.

§26

Das Gesetz ist der abstrakte Ausdruck des allgemeinen an und für sich seienden Willens.

Erläuterung. Das Gesetz ist der allgemeine Wille, insofern er es nach der Vernunft ist. Es ist dabei nicht notwendig, dass jeder Einzelne bloß durch sich diesen Willen gewusst oder gefunden habe. Auch ist nicht nötig, dass jeder Einzelne seinen Willen erklärt hatte und dann daraus ein allgemeines Resultat gezogen wurde. Es ist deswegen in der wirklichen Geschichte auch nicht so zugegangen, dass jeder einzelne Bürger eines Volkes ein Ge­setz vorgeschlagen hätte und dann durch gemeinschaftliche Beratung mit den andern über das Gesetz übereingekommen wäre. Das Gesetz enthält die Notwendigkeit der rechtlichen Verhältnisse gegen einander. Die Gesetzgeber haben nicht will­kürliche Satzungen gegeben. Es sind nicht Bestimmungen ihres besonderen Beliebens, sondern sie haben durch ihren tiefen Geist erkannt, was die Wahrheit und das Wesen eines recht­lichen Verhältnisses ist.

§27

Die Regierung ist die Individualität des an und für sich seienden Willens. Sie ist die Macht die Gesetze zu geben und zu hand­haben oder zu vollstrecken.

Erläuterung. Der Staat hat Gesetze. Diese sind also der Wille in seinem allgemeinen abstrakten Wesen, das als solches untätig ist; wie Grundsätze, Maximen nur erst das Allgemeine des Wollens, noch nicht ein wirkliches Wollen ausdrücken oder ent­halten. Zu diesem Allgemeinen ist nur die Regierung der tätige und verwirklichende Wille. Das Gesetz hat wohl als Sitte, als Gewohnheit Bestehen, aber die Regierung ist die bewusste Macht der bewusstlosen Gewohnheit.

§28

Die allgemeine Staatsgewalt enthält verschiedene besondere Ge­walten unter sich subsumiert: 1) die gesetzgebende überhaupt; 2) die administrative und finanzielle, sich die Mittel zur Ver­wirklichung der Freiheit zu schaffen; 3) die (unabhängige) richterliche und polizeiliche; 4) die militärische und die Gewalt, Krieg zu führen und Frieden zu schließen.

Erläuterung. Die Art der Verfassung hängt vornehmlich davon ab, ob diese besonderen Gewalten unmittelbar von dem Mittelpunkt der Regierung ausgeübt werden; ferner, ob mehrere da­von in einer Autorität vereinigt oder aber ob sie getrennt sind; z. B. ob der Fürst oder Regent selbst unmittelbar Recht spricht oder ob eigene, besondere Gerichtshöfe angeordnet sind; ferner, ob der Regent auch die kirchliche Gewalt in sich vereinigt u. s. f. Es ist auch wichtig, ob in einer Verfassung der oberste Mittelpunkt der Regierung die Finanzgewalt in unbeschränktem Sinne in Händen hat, dass er Steuern ganz nach seiner Willkür sowohl auflegen als verwenden kann. Ferner, ob mehrere Autoritäten in Einer vereinigt sind, z. B. ob in Einem Beamten die richterliche und die militärische Gewalt vereint sind. Die Art einer Verfas­sung ist ferner dadurch bestimmt, ob alle Bürger, insofern sie Bürger sind, Anteil an der Regierung haben. Eine solche Ver­fassung ist eine Demokratie. Die Ausartung derselben ist die Ochlokratie oder die Herrschaft des Pöbels, wenn nämlich der­jenige Teil des Volkes, der kein Eigentum hat und von un­rechtlichen Gesinnungen ist, die rechtlichen Bürger mit Gewalt von Staatsgeschäften abhält. Nur bei einfachen, unverdorbenen Sitten und einem kleinen Umfange des Staates kann eine Demo­kratie stattfinden und sich erhalten. — Die Aristokratie ist die Verfassung, in welcher nur einige gewisse privilegierte Familien das ausschließende Recht zur Regierung haben. Die Ausartung derselben ist die Oligarchie, wenn nämlich die Anzahl der Fami­lien, die das Recht zur Regierung haben, von kleiner Anzahl ist. Ein solcher Zustand ist deswegen gefährlich, weil in einer Oli­garchie alle besonderen Gewalten unmittelbar von einem Rath ausgeübt werden. — Die Monarchie ist die Verfassung, in wel­cher die Regierung in den Händen eines Einzelnen ist und erb­lich in einer Familie bleibt. In einer Erbmonarchie fallen die Streitigkeiten und bürgerlichen Kriege weg, die in einem Wahl­reich bei einer Thronveränderung stattfinden können, weil der Ehrgeiz mächtiger Individuen sich keine Hoffnung zum Thron machen kann. Auch kann der Monarch die ganze Regierungs­gewalt nicht unmittelbar ausüben, sondern vertraut einen Teil der Ausübung der besondern Gewalten Kollegien oder auch Reichsständen an, die im Namen des Königs, unter seiner Auf­sicht und Leitung, die ihnen übertragene Gewalt nach Gesetzen ausüben. In einer Monarchie ist die bürgerliche Freiheit mehr geschützt, als in andern Verfassungen. Die Ausartung der Mon­archie ist der Despotismus, wenn nämlich der Regent nach sei­ner Willkür die Regierung unmittelbar ausübt. Der Monarchie ist es wesentlich, dass die Regierung gegen das Privatinteresse der Einzelnen Nachdruck und gehörige Gewalt hat. Aber auf der andern Seite müssen auch die Rechte der Bürger durch Ge­setze geschützt sein. Eine despotische Regierung hat zwar die höchste Gewalt, aber in einer solchen Verfassung werden die Rechte der Bürger aufgeopfert. Der Despot hat zwar die größte Gewalt und kann die Kräfte seines Reichs nach Willkür gebrau­chen. Aber dieser Standpunkt ist auch der gefährlichste. — Die Regierungsverfassung eines Volkes ist nicht bloß eine äußerliche Einrichtung. Ein Volk kann eben so gut diese als eine andere Verfassung haben. Sie hängt wesentlich von dem Charakter, den Sitten, dem Grade der Bildung, seiner Lebensart und seinem Umfange ab.

§29

Der Staatsgewalt sind die Bürger als Einzelne unterworfen und gehorchen derselben. Der Inhalt und Zweck derselben aber ist die Verwirklichung der natürlichen d. h. absoluten Rechte der Bürger, welche im Staat darauf nicht Verzicht tun, vielmehr zum Genuss und zur Ausbildung derselben allein in ihm gelangen.

§30

Die Staatsverfassung bestimmt als inneres Staatsrecht das Verhältnis der besondern Gewalten sowohl zur Regierung, ihrer obersten Vereinigung, als zu einander, so wie das Verhältnis der Bürger dazu oder ihren Anteil daran.

 

§31

Das äußere Staatsrecht betrifft das Verhältnis selbstständiger Völker durch deren Regierungen zu einander und beruht vor­nehmlich auf besondern Verträgen: Völkerrecht. Erläuterung. Die Staaten befinden sich mehr in einem natür­lichen als rechtlichen Verhältnis zu einander. Es ist deswegen unter ihnen ein fortdauernder Streit vorhanden, so dass sie Ver­träge unter einander schließen und sich dadurch in ein recht­liches Verhältnis gegen einander setzen. Auf der andern Seite aber sind sie ganz selbstständig und unabhängig von einander. Das Recht ist daher zwischen ihnen nicht wirklich. Sie können also die Verträge willkürlich brechen und müssen sich darüber immer in einem gewissen Misstrauen gegen einander befinden. Als Naturwesen verhalten sie sich zu einander nach der Gewalt, dass sie sich selbst in ihrem Recht erhalten, sich selbst Recht schaffen müssen und also dadurch mit einander in Krieg geraten.

 


Zuletzt aktualisiert am 15.11.2007