G.W.F. Hegel

Philosophische Propädeutik

Zweiter Kursus. Mittelklasse. Phänomenologie des Geistes und Logik

 

 

Erste Abteilung. Phänomenologie des Geistes, oder Wissenschaft des Bewusstseins

Einleitung

§1

Unser gewöhnliches Wissen stellt sich nur den Gegenstand vor, den es weiß, nicht aber zugleich sich, nämlich das Wissen selbst. Das Ganze aber, was im Wissen vorhanden ist, ist nicht nur der Gegenstand, sondern auch Ich, der weiß und die Beziehung mei­ner und des Gegenstandes auf einander: das Bewusstsein.

§2

In der Philosophie werden die Bestimmungen des Wissens nicht einseitig nur als Bestimmungen der Dinge betrachtet, sondern zugleich mit dem Wissen, welchem sie wenigstens gemeinschaft­lich mit den Dingen zukommen; oder sie werden genommen nicht bloß als objektive, sondern auch als subjektive Bestimmun­gen, oder vielmehr als bestimmte Arten der Beziehung des Objekts und Subjekts auf einander.

§3

Indem im Wissen die Dinge und ihre Bestimmungen sind, ist einerseits die Vorstellung möglich, dass dieselben an und für sich außer dem Bewusstsein sind und diesem schlechthin als ein Fremdes und Fertiges gegeben werden; andererseits aber, indem das Bewusstsein dem Wissen eben so wesentlich ist, wird auch die Vorstellung möglich, dass das Bewusstsein diese seine Welt sich selbst setzt und die Bestimmungen derselben durch sein Verhalten und seine Tätigkeit ganz oder zum Teil selbst her­vorbringe oder modifiziere. Die erstere Vorstellungsweise ist der Realismus, die andere der Idealismus genannt worden. Hier sind die allgemeinen Bestimmungen der Dinge nur überhaupt als bestimmte Beziehung vom Objekt auf das Subjekt zu be­trachten.

§4

Das Subjekt, bestimmter gedacht, ist der Geist. Er ist erschei­nend, als wesentlich auf einen seienden Gegenstand sich beziehend: insofern ist er Bewusstsein. Die Lehre vom Bewusstsein ist dahe r die Phänomenologie des Geistes.

§5

Der Geist aber nach seiner Selbsttätigkeit innerhalb seiner selbst und in Beziehung auf sich, unabhängig von der Bezie­hung auf Anderes, wird in der eigentlichen Geisteslehre oder Psychologie betrachtet.

§6

Pas Bewusstsein ist überhaupt das Wissen von einem Gegenstande, es sei ein äußerer oder innerer, ohne Rücksicht darauf, ob er sich ohne Zutun des Geistes ihm darbiete, oder ob er durch diesen hervorgebracht sei. Nach seinen Tätigkeiten wird der Geist betrachtet, insofern die Bestimmungen seines Bewusstseins ihm selbst zugeschrieben werden.

§7

Das Bewusstsein ist die bestimmte Beziehung des Ich auf einen (Gegenstand. Insofern man von dem Gegenstande ausgeht, kann gesagt werden, dass es verschieden ist nach der Verschiedenheit der Gegenstände, die es hat.

§8

Zugleich aber ist der Gegenstand wesentlich in dem Verhält­nisse zum Bewusstsein bestimmt. Seine Verschiedenheit ist da­her umgekehrt als abhängig von der Fortbildung des Bewusst-seins zu betrachten. Diese Gegenseitigkeit geht in der erschei­nenden Sphäre des Bewusstseins selbst vor und lässt die oben (§ 3) erwähnte Frage unentschieden, welche Bewandtnis es an und für sich mit diesen Bestimmungen habe.

§9

Das Bewusstsein hat im Allgemeinen nach der Verschiedenheit des Gegenstandes überhaupt drei Stufen. Er ist nämlich ent­weder das dem Ich gegenüberstehende Objekt; oder er ist Ich selbst; oder etwas Gegenständliches, das eben so sehr dem Ich angehört, der Gedanke. Diese Bestimmungen sind nicht empi­risch von Außen aufgenommen, sondern Momente des Bewusstseins selbst. Es ist also:

1) Bewusstsein überhaupt;
2) Selbstbewusstsein;
3) Vernunft.

Erste Stufe. Das Bewusstsein überhaupt.

§ l0

Das Bewusstsein überhaupt ist 1) sinnliches; 2) wahrnehmendes; 3) verständiges.

A. Das sinnliche Bewusstsein

§11

Das einfache sinnliche Bewusstsein ist die unmittelbare Gewissheit von einem äußerlichen Gegenstande. Der Ausdruck für die Unmittelbarkeit eines solchen Gegenstandes ist, dass er ist, und zwar dieser, jetzt der Zeit und hier dem Räume nach, durchaus von allen andern Gegenständen verschieden und vollständig an ihm selbst bestimmt.

§12

Sowohl dieses Jetzt als dieses Hier ist ein Verschwindendes. Jetzt ist nicht mehr, indem es ist und ein anderes Jetzt ist an seine Stelle getreten, das aber eben so unmittelbar verschwun­den ist. Zugleich bleibt aber Jetzt. Dies bleibende Jetzt ist das allgemeine, das sowohl dieses als jenes Jetzt ist, als auch keines von ihnen ist. — Dieses Hier, das ich meine und aufzeige, hat ein Rechts und Links, ein Oben und Unten, ein Hinten und Vorne ins Unendliche, d. i. das aufgezeigte Hier ist nicht ein einfaches also bestimmtes Hier, sondern ein Inbegriff von Vie­lem. Was also in Wahrheit vorhanden, ist nicht die abstrakte sinnliche Bestimmtheit, sondern das Allgemeine.

B. Das Wahrnehmen

§13

Das Wahrnehmen hat nicht mehr das Sinnliche, insofern es un­mittelbar, sondern insofern es zugleich als Allgemeines ist, zum Gegenstande. Es ist eine Vermischung von sinnlichen und von Reflexionsbestimmungen.

§14

Der Gegenstand dieses Bewusstseins ist daher das Ding mit sei­nen Eigenschaften. Die sinnlichen Eigenschaften sind α) für sich sowohl unmittelbar in dem Gefühl, als auch zugleich be­stimmt durch die Beziehung auf andere und vermittelt; β) gehö­ren sie einem Dinge an und sind in dieser Rücksicht einerseits in der Einzelheit desselben befasst, anderseits haben sie Allgemeinheit, nach welcher sie über dies einzelne Ding hinaus gehen und zugleich von einander unabhängig sind.

§15

Insofern die Eigenschaften wesentlich vermittelte sind, haben sie ihr Bestehen in einem Andern und verändern sich. Sie sind nur Akzidenzen. Die Dinge aber, da sie in ihren Eigenschaften bestehen, indem sie sich dadurch unterscheiden, lösen sich mit der Veränderung derselben auf und sind ein Wechsel des Ent­stehens und Vergehens.

§16

In dieser Veränderung ist es nicht nur Etwas, das sich aufhebt und zu einem Andern wird, sondern auch das Andere vergeht. Aber das Andre des Andern oder die Veränderung des Verän­derlichen ist Werden des Bleibenden, an und für sich Bestehen­den und Inneren.

C. Der Verstand

§17

Der Gegenstand hat nunmehr die Bestimmung, α) eine schlecht­hin accidentelle Seite, aber β) auch eine Wesentlichkeit und ein Bleibendes zu haben. Das Bewusstsein, indem der Gegenstand für dasselbe diese Bestimmung hat, ist der Verstand, dem die Dinge der Wahrnehmung nur als Erscheinungen gelten und der das Innere der Dinge betrachtet.

§18

Das Innere der Dinge ist das an ihnen, was einesteils von der Erscheinung frei ist, nämlich von ihrer Mannigfaltigkeit, die ein gegen sich selbst Äußerliches ausmacht; andemteils aber das, was durch seinen Begriff darauf bezogen ist. Es ist daher: 1) die einfache Kraft, welche in das Dasein, die Äußerung, übergeht.

§19

2) Die Kraft bleibt mit diesem Unterschiede in aller sinnlichen Verschiedenheit der Erscheinung dieselbe. Das Gesetz der Er­scheinung ist ihr ruhiges, allgemeines Abbild. Es ist ein Verhältnis von allgemeinen bleibenden Bestimmungen, deren Un­terschied am Gesetze zunächst ein äußerlicher ist. Die Allge­meinheit und Beständigkeit dieses Verhältnisses führt zwar auf die Notwendigkeit desselben, aber ohne dass der Unterschied ein an sich selbst bestimmter oder innerer wäre, in welchem die eine der Bestimmungen unmittelbar im Begriffe der andern liegt.

 

§ 20

Dieser Begriff, auf das Bewusstsein selbst angewandt, gibt eine andere Stufe desselben. Bisher war es in Beziehung auf seinen Gegenstand als ein Fremdes und Gleichgültiges. Indem nun der Unterschied überhaupt zu einem Unterschied geworden ist, der eben so sehr keiner ist, so fällt die bisherige Art des Unterschie­des des Bewusstseins von seinem Gegenstande hinweg. Es hat einen Gegenstand und bezieht sich auf ein Anderes, das aber unmittelbar eben so sehr kein Anderes ist, oder es hat sich selbst zum Gegenstande.

§21

Oder unmittelbar: das Innere der Dinge ist der Gedanke oder Begriff derselben. Indem das Bewusstsein das Innere zum Gegenstande hat, hat es den Gedanken oder eben so sehr seine eigene Reflexion oder Form, somit überhaupt sich zum Gegenstande.

Zweite Stufe. Das Selbstbewusstsein.

 

§22

Als Selbstbewusstsein schaut Ich sich selbst an und der Aus­druck desselben in seiner Reinheit ist Ich = Ich, oder: Ich bin Ich.

§23

Dieser Satz des Selbstbewusstseins ist ohne allen Inhalt. Der Trieb des Selbstbewusstseins besteht darin, seinen Begriff zu realisieren und in Allem sich das Bewusstsein seiner zu geben. Es ist daher: 1) tätig, das Anderssein der Gegenstände aufzu­heben und sie sich gleich zu setzen; 2) sich seiner selbst zu ent­äußern und sich dadurch Gegenständlichkeit und Dasein zu ge­ben. Beides ist ein und dieselbe Tätigkeit. Das Bestimmtwer­den des Selbstbewusstseins ist zugleich ein sich Selbstbestimmen und umgekehrt. Es bringt sich selbst als Gegenstand hervor.

§24

Das Selbstbewusstsein hat in seiner Bildung oder Bewegung die drei Stufen: 1) der Begierde, insofern es auf andere Dinge; 2) des Verhältnisses von Herrschaft und Knechtschaft, sofern es auf ein anderes, ihm ungleiches, Selbstbewusstsein gerichtet ist; 3) des allgemeinen Selbstbewusstseins, das sich in anderen Selbstbewusstsein und zwar ihnen gleich, so wie sie ihm selbst gleich, erkennt.

 

A. Die Begierde

§25

Beide Seiten des Selbstbewusstseins, die setzende und die auf­hebende, sind also unmittelbar miteinander vereinigt. Das Selbstbewusstsein setzt sich durch Negation des Andersseins und ist praktisches Bewusstsein. Wenn also im eigentlichen Bewusstsein, das auch das theoretische genannt wird, die Bestimmungen desselben und des Gegenstandes sich an sich selbst veränderten, so geschieht dies jetzt durch die Tätigkeit des Bewusstseins selbst und für dasselbe. Es ist sich bewusst, dass ihm diese auf­hebende Tätigkeit zukommt. Im Begriff des Selbstbewusstseins liegt die Bestimmung des noch nicht realisierten Unterschiedes. Insofern dieser Unterschied überhaupt in ihm sich hervortut, hat es das Gefühl eines Andersseins in ihm selbst, einer Nega­tion seiner selbst, oder, das Gefühl eines Mangels, ein Bedürfnis.

§26

Dies Gefühl seines Andersseins widerspricht seiner Gleichheit mit sich selbst. Die gefühlte Notwendigkeit, diesen Gegensatz aufzuheben, ist der Trieb. Die Negation oder das Anderssein stellt sich ihm als Bewusstsein, als ein äußerliches, von ihm ver­schiedenes Ding dar, das aber durch das Selbstbewusstsein be­stimmt ist: 1) als ein dem Trieb gemäßes und 2) als ein an sich Negatives, dessen Bestehen von dem Selbst aufzuheben und in die Gleichheit mit ihm zu setzen ist.

§27

Die Tätigkeit der Begierde hebt also das Anderssein des Ge­genstandes, dessen Bestehen überhaupt auf und vereinigt ihn mit dem Subjekt, wodurch die Begierde befriedigt ist. Diese ist sonach bedingt: 1) durch einen äußeren, gegen sie gleichgültig bestehenden Gegenstand oder durch das Bewusstsein; 2) ihre Tätigkeit bringt die Befriedigung nur durch Aufheben des Ge­genstandes hervor. Das Selbstbewusstsein kommt daher nur zu seinem Selbstgefühl.

§28

In der Begierde verhält sich das Selbstbewusstsein zu sich als einzelnes. Es bezieht sich auf einen selbstlosen Gegenstand, der an und für sich ein anderer, als das Selbstbewusstsein. Dies er­reicht sich daher in seiner Gleichheit mit sich selbst in Rücksicht auf den Gegenstand nur durch Aufhebung desselben. Die Be­gierde ist überhaupt: 1) zerstörend; 2) in der Befriedigung der­selben kommt es deshalb nur zu dem Selbstgefühl des Fürsichseins des Subjekts als einzelnen, dem unbestimmten Begriff des mit der Objektivität verbundenen Subjekts.

B. Herrschaft und Knechtschaft

§29

Der Begriff des Selbstbewusstseins als eines Subjekts, das zu­gleich objektiv ist, gibt das Verhältnis, dass für das Selbstbewusstsein ein anderes Selbstbewusstsein ist.

§30

Ein Selbstbewusstsein, das für ein anderes ist, ist nicht als bloßes Objekt für dasselbe, sondern als sein anderes Seihst. Ich ist keine abstrakte Allgemeinheit, in der als solcher kein Unter­schied oder Bestimmung ist. Indem Ich also dem Ich Gegenstand ist, ist es ihm nach dieser Seite als dasselbe, was es ist. Es schauet im Andern sich selbst an.

§31

Diese Selbstanschauung des einen im andern ist 1) das abstrakte Moment der Diesselbigkeit. 2) Jedes hat aber auch die Bestim­mung, für das andere als ein äußerliches Objekt und insofern unmittelbares, sinnliches und konkretes Dasein zu erscheinen. 3) Jedes ist absolut für sich und einzeln gegen das andere und fordert auch für das andere als ein solches zu sein und ihm dafür zu gelten, seine eigene Freiheit als eines fürsichseienden in dem andern anzuschauen oder von ihm anerkannt zu sein.

§32

Um sich als freies geltend zu machen und anerkannt zu werden, muss das Selbstbewusstsein sich für ein anderes als frei vom natürlichen Dasein darstellen. Dies Moment ist so notwendig, als das der Freiheit des Selbstbewusstseins in sich. Die absolute Gleichheit des Ich mit sich selbst ist wesentlich nicht eine unmit­telbare, sondern eine solche, die sich durch Aufheben der sinn­lichen Unmittelbarkeit dazu macht und sich damit auch für ein anderes als frei und unabhängig vom Sinnlichen. So zeigt es sich seinem Begriff gemäß und muss, weil es dem Ich Realität gibt, anerkannt werden.

§33

Aber die Selbstständigkeit ist die Freiheit nicht sowohl außer und von dem sinnlichen, unmittelbaren Dasein, als vielmehr in demselben. Das eine Moment ist so notwendig, als das andere, aber sie sind nicht von demselben Werte. Indem die Ungleich­heit eintritt, dass dem einen von zweien Selbstbewusstsein die Freiheit gegen das sinnliche Dasein, dem andern aber dieses gegen die Freiheit als das Wesentliche gilt, so tritt mit dem gegenseitigen Anerkanntwerdensollen in der bestimmten Wirk­lichkeit das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft zwi­schen ihnen ein; oder überhaupt des Dienstes und Gehorsams, insofern durch das unmittelbare Verhältnis der Natur diese Verschiedenheit der Selbstständigkeit vorhanden ist.

§ 34

Indem von zwei einander gegenüberseienden Selbstbewusstsein jedes sich als ein absolutes Fürsichsein gegen und für das andere zu beweisen und zu behaupten streben muss, tritt dasjenige in das Verhältnis der Knechtschaft, welches der Freiheit das Lehen vorzieht und damit zeigt, dass es nicht fähig ist, durch sich selbst von seinem sinnlichen Dasein für seine Unabhängigkeit zu abstrahieren.

§35

Diese rein negative Freiheit, die in der Abstraktion von dem natürlichen Dasein besteht, entspricht jedoch dem Begriff der Freiheit nicht, denn diese ist die Sichselbstgleichheit im Anders­sein, teils der Anschauung seines Selbsts in andern Selbst, teils der Freiheit nicht vom Dasein, sondern im Dasein über­haupt, eine Freiheit, die selbst Dasein hat. Der Dienende ist selbstlos und hat zu seinem Selbst ein anderes Selbst, so dass er im Herrn sich als einzelnes Ich entäußert und aufgehoben ist und sein wesentliches Selbst als ein anderes anschaut. Der Herr hingegen schaut im Dienenden das andere Ich als ein aufgeho­benes und seinen einzelnen Willen als erhalten an. (Geschichte Robinsons und Freitags.)

§36

Der eigene und einzelne Willen des Dienenden, näher betrach­tet, löst sich aber überhaupt in der Furcht des Herrn, dem inne­ren Gefühle seiner Negativität, auf. Seine Arbeit für den Dienst eines Anderen ist eine Entäußerung seines Willens teils an sich, teils ist sie zugleich mit der Negation der eigenen Be­gierde die positive Formierung der Außendinge durch die Arbeit, indem durch sie das Selbst seine Bestimmungen zur Form der Dinge macht und in seinem Werk sich als ein gegenständliches anschaut. Die Entäußerung der unwesentlichen Willkür macht das Moment des wahren Gehorsams aus. (Peisistratos[1*] lehrte die Athenienser gehorchen. Dadurch führte er die Solonischen Gesetze in die Wirklichkeit ein und nachdem die Athenienser dies gelernt hatten, war ihnen Herrschaft überflüssig.)

§37

Diese Entäußerung der Einzelheit als Selbst ist das Moment, wodurch das Selbstbewusstsein den Übergang dazu macht, all­gemeiner Wille zu sein, den Übergang zur positiven Freiheit.

C. Allgemeinheit des Selbstbewusstseins

§38

Das allgemeine Selbstbewusstsein ist die Anschauung seiner als eines nicht besondern, von andern unterschiedenen, sondern des an sich seienden, allgemeinen Selbsts. So anerkennt es sich selbst und die andern Selbstbewusstsein in sich und wird von ihnen anerkannt.

§39

Das Selbstbewusstsein ist sich nach dieser seiner wesentlichen Allgemeinheit nur real, insofern es seinen Widerschein in An­dern weiß (ich weiß, dass Andere mich als sich selbst wissen) und als reine geistige Allgemeinheit, der Familie, dem Vater­land u. s. f. angehörig, sich als wesentliches Selbst weiß. (Dies Selbstbewusstsein ist die Grundlage aller Tugenden, der Liebe, Ehre, Freundschaft, Tapferkeit, aller Aufopferung, alles Ruhms

Dritte Stufe. Die Vernunft.

§40

Die Vernunft ist die höchste Vereinigung des Bewusstseins und des Selbstbewusstseins oder des Wissens von einem Gegen­stande und des Wissens von sich. Sie ist die Gewissheit, dass ihre Bestimmungen eben so sehr gegenständlich, Bestimmungen des Wesens der Dinge, als unsre eigenen Gedanken sind. Sie ist eben so sehr die Gewissheit einer selbst, Subjektivität, als das Sein oder die Objektivität, in Einem und demselben Denken.

§41

Oder was wir durch die Vernunft einsehen, ist: 1) ein Inhalt, der nicht in unsern bloßen Vorstellungen oder Gedanken be­steht, die wir für uns machten, sondern der das an und für sich seiende Wesen der Gegenstände enthält und objektive Realität hat und 2) der für das Ich kein Fremdes, kein Gegebenes, son­dern von ihm durchdrungen, angeeignet und damit eben so sehr von ihm erzeugt ist.

§42

Das Wissen der Vernunft ist daher nicht die bloße subjektive Gewissheit, sondern auch Wahrheit, weil Wahrheit in der Übereinstimmung oder vielmehr Einheit der Gewissheit und des Seins oder der Gegenständlichkeit besteht.

 

Anmerkungen der Herausgeber

[1*]Wurde 561/60 Tyrann von Athen und herrschte nach zweimaliger Verbannung ca. 545—40 bis zu seinem Tode 528/27. Solons Gesetze wurden 594/93 erlassen.


Zuletzt aktualisiert am 15.11.2007