Bruno Bauer


Der christliche Staat und unsere Zeit

(Juni 1841)



Der christliche Staat und unsere Zeit: Hallische Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst, hg. v. Theodor Echtermeyer u. Arnold Ruge, Leipzig 1841, Nr. 135-140 (7. Juni - 12. Juni), S. 537-558.
Abgedruckt in Bruno Bauer, Feldzüge der reinen Kritik, Nachwort von Hans-Martin Saß, Frankfurt/M, Suhrkamp Verlag, 1968, S. 7-43
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Sola vobis relinquimus templa.
Tertull. Apologeticus c. 37.


Geschichtliche Kategorien werden gewöhnlich erst Stichworte einzelner Parteien, wenn die Sache, die sie bezeichnen, längst untergegangen ist.

Es gibt nur zwei Formen, in welchen der „christliche Staat“ existieren kann, beide sind bereits dagewesen, für alle Zeiten vorübergegangen, und niemand wird sie wieder zurückrufen können.

Auch in seiner rohesten Gestalt muß es der Staat verraten, daß er die Erscheinung der Freiheit und die Tat des allgemeinen Selbstbewußtseins ist. sind nun die allgemeinen Gesetze so wie die Interessen der besondern Kreise als Ausdruck und Erscheinung freier menschlicher Zwecke – mögen sie nun erst an sich frei oder als freie gesetzt sein – in jedem Falle für den Willen und für das Selbstbewußtsein gegeben, so muß auch die Religion, wenn sie zum Staat in Verhältnis treten soll, die Innerlichkeit, in welcher sie als Bestimmtheit des Gefühls ihr verborgenes Leben führt, aufgegeben und sich zum Gegenstand des Willens und Denkens gemacht haben. Die im Willen und Selbstbewußtsein geborene Form macht und entscheidet alles, ohne sie gibt es keine Entscheidung und Bewährung, und wenn sie fehlt, kann das Verwandteste sich nicht finden und das Entfernte sich nicht verständigen. Ohne sie gibt es sogar nichts Verwandtes, nichts Entferntes, keine Einheit, keinen Gegensatz; ohne sie gibt es nichts. Aus dem Nichts schafft sie Alles. Wir brauchen hier nicht weitläufiger auseinanderzusetzen, daß im Christentum die Religion diejenige Form erreicht hat, welche sie fähig machte, vom Staat sich frei zu unterscheiden und mit ihm in Verhältnis zu treten. Genug, erst im Christentum wurde die Religion als Lehre Gegenstand des Bewußtseins und als Kirche, der ein fertiger Staat gegenüberstand, Inhalt des Willens – die Unendlichkeit ihres Himmel und Erde umfassenden Prinzips formte sie in der theologischen und kirchlichen Satzung.

Obwohl nun ihre Satzung als Dogma an sich nur eine der Bestimmtheiten des Selbstbewußtseins ist und als solche vor jenen Formen des Geistes, die als Sittlichkeit, Kunst und Philosophie sich ausgebildet haben, von vornherein keinen Vorzug hat, so vergißt die Religion es nicht, daß in ihrer theologischen Satzung die Unendlichkeit des Selbstbewußtseins gegeben ist, und sie verlangt nun, daß ihrer Satzung unbedingter und allgemeiner Gehorsam geleistet werde. Alle Formen des Selbstbewußtseins sollen ihr nicht etwa nur untergeordnet sein oder sich in sie einbilden, sondern als solche sollen sie vor der einen Bestimmtheit, der allein die Herrschaft zukommt, sich preisgeben und wegwerfen. Die Kunst als Kunst, die Philosophie als solche sind rechtslos geworden.

Auch als kirchliche Satzung und als Hierarchie tritt die religiöse Macht in den Umkreis freier menschlicher Mächte, ohne ein allgemein gültiges Zeugnis mitzubringen, welches sie nur vorzuzeigen brauchte, um ihrer ewigen Herrschaft gewiß zu sein. Dieselbe Ordnung, in welcher sich die Hierarchie abstuft, findet sich im Staat, derselbe Gehorsam, den sie als Hierarchie fordert, wird auch in den Verhältnissen der Familie und des Staats geübt – was will sie denn also? Die Familie soll nicht um ihrer selbst willen, der Staat nicht seines eignen Wertes wegen, sie sollen vielmehr nur gelten, weil und solange es die Hierarchie will. Alle Bande, die Bande der Familienglieder, den Zusammenhang der Fürsten und Untertanen, die Verbindung der Bürger untereinander – das alles kann sie lösen, und wer diese Bande erhalten wissen will, muß ihr zuvor gehorchen. Nämlich auch jenen beseligenden und entzückenden Kreislauf des sittlichen Geistes, der nur innerlich im mühsamen Durchgang durch seine bestimmten Mächte seiner Unendlichkeit gewiß werden will und es wahrhaft auch nur kann, jenen Kultus des sittlichen Geistes, der innerhalb der Familie, des Staates und der Geschichte selbst und im Dienste dieser Mächte die Erhebung zu seiner Unendlichkeit sich vermittelt – auch diese innere Arbeit des Geistes kann die religiöse Macht nicht anerkennen. Denn sie behauptet, einzig und allein die Unendlichkeit des Geistes zu kennen und zu besitzen, und wer an dieser teilnehmen, wer zu ihr gelangen will, darf nicht meinen, daß der Weg dahin durch jene sittlichen Gebiete führt – er muß sich vielmehr von ihnen losreißen, sie zurückstoßen und zur religiösen Macht fliehen, um als ein Gnadengeschenk derselben die sittlichen Bestimmungen zurückzuerhalten. Die religiöse Macht verschlingt entweder alle andern Mächte des Geistes oder unterjocht sie, oder wenn sie einige, wie Staat und Familie, scheinbar und für einen Augenblick freiläßt und dem Menschen nicht gänzlich raubt, so tut sie es mit der Bemerkung, daß Staat und Familie nur deshalb daseien, damit im äußeren Leben Unordnung verhütet werde – kurz, damit die Menschen sich nicht wie Tiere begatten oder einander auffressen, ehe sie in den Himmel kommen.

Der christliche Staat ist nun derjenige, in welchem die religiöse Bestimmtheit, sei es als theologische oder als kirchliche Satzung, das herrschende Moment ist oder zur Herrschaft gebracht werden soll. Je nachdem die eine oder die andere Satzung – die eine nämlich wird immer vorwiegen – herrscht oder herrschen will, danach wird auch der Staat mehr oder weniger christlich sein. Die Geschichte hat beide Formen von Staaten erzeugt und beide mit jener Ausdauer, Konsequenz und Gediegenheit ausgebildet, mit welcher sie alle ihre Werke ausarbeitet.

Der allerchristlichste Staat ist der, in welchem die theologische Satzung herrscht. Diese bringt es nämlich zur wirklichen Herrschaft, ja zur absoluten Herrschaft, d. h. sie kann es endlich so weit durch ihren opiumartigen Einfluß bringen, bis sie keine Spur von Widerstand mehr findet und alle Triebe der freien Menschlichkeit entweder einschlafen oder, wenn sie zuweilen aufwachen, in blödsinniger Schlaftrunkenheit Verbrechen hervortreiben, vor denen es der Menschheit, welche noch nicht diesen Grad der Christlichkeit erreicht oder welche ihn schon verlassen hat, schaudern muß. Dieser Standpunkt aber bleibt bei allen seinen schaurigen Verbrechen kalt, denn alles wahrhafte Leben ist ihm geraubt, Blut und Saft ist ihm ausgesogen – dafür herrscht das Dogma. Es herrscht allein, denn die Hierarchie fehlt.. Die christliche Theorie herrscht, und weil sie herrscht, so braucht die hierarchische Praxis nicht hinzuzukommen. Die Theorie ist selber praktisch, sie hat alle Praxis an sich gerissen, und zwar so weit an sich gerissen, daß sie die Substanz des Staats, sein einziges Interesse ist und alle Staatsund Regierungsangelegenheiten wesentlich dogmatische sind. Dieses goldne Zeitalter, in welchem der Staat in die kirchliche Substanz aufging und das Kirchenwesen als Staat erschien, war in Byzanz angebrochen, und es dauerte bis – der Mond aufging. Es war selbst nur eine lange Abenddämmerung, ein schauriger, kalter, trüber Abend, dem die Mondnacht folgte. In Byzanz brauchte die Hierarchie dem Staate nicht entgegenzutreten, und sie konnte es auch nicht, weil das Staatswesen in dem Augenblicke, da es hier entstand, schon fertig war, weil es als christlich in die Erscheinung trat und der Monarch von vornherein den theologischen Interessen lebte. Man kennt jene Bilder der Mutter Gottes mit den harten, starren und regungslosen Zügen: es fehlt darin die Beweglichkeit, der Reiz und die Schönheit der Erde, Schmerz und Leiden wie die Entzückung der menschlichen Seele ist darin nicht ausgedrückt – aber die Ruhe dieses Bildes ist auch nicht die Ruhe und Seligkeit des Himmels. Wollte man zu dem Indifferenzpunkt gelangen, wo der Gegensatz von Himmel und Erde nicht versöhnt sondern ausgelöscht zu sehen wäre, man brauchte nicht zu suchen, denn man sieht ihn in diesem Bilde der Mutter Gottes. Byzanz hat darin sein ideales Abbild geschaffen.

Es ist Byzanz oder der christliche Staat im Zustande der Ruhe. Wenn dieser Staat im Zustande der Bewegung in einem Bilde dargestellt werden sollte, so müßte der Maler grau in grau malen und eine Geisterschlacht darstellen – aber was nennen wir doch die Kabalen, Intrigen, Meuchelmorde und Schandtaten von Byzanz eine Schlacht? –, die Theologie müßte mit dem Kaisermantel angetan dastehen und über ein Heer von Sklaven gebieten, welche sich untereinander auf ihren Wink die Augen ausreißen, die Zunge abschneiden und heimtückisch erdolchen.

In einem so umfassenden Sinne, in welchem es das byzantinische war, ist das abendländische Staatswesen des Mittelalters nicht christlich gewesen. Von der kirchlichen Substanz war es nicht von vornherein durchdrungen – sie sollte ihm erst eingebildet werden; das theologische Interesse konnte nicht seine Leidenschaft erfüllen – der Glaube sollte ihm erst beigebracht werden; kurz, hier wurde nicht grau in grau gemalt, sondern mit Strömen von Blut wurde die Erde gezeichnet, als Staat und Kirche kämpften; geistliche Blitze leuchteten beim Kampfe, und eine seltsame Farbenpracht entwickelte sich, als das himmlische Licht der religiösen Macht in der Hierarchie selbst durch das weltliche Dunkel hindurchschien und mit der Finsternis des Staats in Berührung trat, bis der Farbenreichtum an die Fenster der Kirchen sich heftete, in welchen der Staat seine Gottlosigkeit abschwur und das Bekenntnis seiner Christlichkeit ablegte.

Dies Bekenntnis enthielt nun den Satz, daß der Staat dann erst der christliche sei, wenn er sich als geistlos und ungöttlich bekannte und der göttlichen Macht, die allein der Hierarchie gegeben sei, sich unterwarf.

Was murmelte doch jener Greis, nachdem er vor dem hierarchischen Gerichte den Satz, daß die Erde sich bewege, abgeschworen hatte? In dem Augenblicke, wo der Staat vor der Hierarchie es geschworen hatte, hörte er für alle Zeit auf, der christliche zu sein. Gewiß hat er unter schmerzlichen innern Zuckungen jenes Zeugnis seiner Geistlosigkeit abgelegt, aber falsch bleibt falsch. Nach allen Seiten war sein Zeugnis gegen sich selber falsch. Er verdiente die Schmach, daß er ein Zeugnis dieser Art ablegen mußte, schon deshalb, weil er es ablegte. Es war ihm mit Gewalt abgedrungen worden. Aber von wem? Nicht von der religiösen Macht! Denn war diese auch von der Hierarchie repräsentiert, so war sie es doch nicht allein, vor welcher der Staat sich beugte. Die Hierarchie war selbst ein Staat, in ihr hatte es also der Staat mit seinesgleichen und mit einem Bruder zu tun, der sich nicht zu seinem Herrn aufwerfen und ihn nicht dazu bringen durfte, daß er seine geistige Unendlichkeit abschwören sollte. Ist die Hierarchie selber Staat und zwingt sie den Staat, sich als ungöttlich und geistlos zu bekennen, so muß sie sich selbst zu diesem Bekenntnis verstehen und, wenn sie es nicht freiwillig tut, dazu gebracht werden. Als der Staat seine tiefste Erniedrigung erfuhr und zum Knecht der Kirche sich herabwürdigen mußte: in diesem Augenblicke der völligen Niederlage winkte ihm der Sieg, da er die Entdeckung machte, daß die Hierarchie gleich ihm ein Staat und nur ungöttlicher als er sei, da sie die religiöse Macht in eine äußere Gewalt verwandelte, um vermittelst derselben sich als den einen Staat zu konstituieren, dem alle andern dienen sollten.

Und wer berechtigte den Staat, das Bekenntnis seiner Christlichkeit und Gottlosigkeit in dem Sinne abzulegen, daß es für alle Zeiten gelten sollte? Er konnte nicht einmal für seine Zukunft, so weit sie ihm offen dalag, einen Kompromiß dieser Art ausstellen. Sein Gewissen empörte sich dagegen, und der Kampf entbrannte von neuem.

Die Reformation trat ein, als das Gebäude der Hierarchie so weit unterhöhlt war, daß der Staat die Souveränität in den kirchlichen Dingen an sich gerissen hatte und die religiöse Macht, welche die Spitze jenes Gebäudes bildete, von der hierarchischen Höhe herabstürzte und in das Innere des Staats fiel. Der Glaube zerbrach die Fesseln der Hierarchie, die Innerlichkeit des Selbstbewußtseins zersprengte die äußerliche Autorität, und die Fürsten gewannen die Landeshoheit in den kirchlichen Angelegenheiten – sie gewannen sie nicht einmal, als hätte es dazu noch eines Kampfes oder auch nur eines Wortes bedurft, sie standen vielmehr augenblicklich in dem Besitz derselben, so wie die religiöse Macht durch den Glauben zur Bestimmtheit des Selbstbewußtseins geworden war und erst auf dem Umwege, welcher durch die Innerlichkeit des Glaubens führte, in die Erscheinung trat.

Der Staat war nicht mehr christlich, weil er nicht mehr ungöttlich und geistlos war.

Und doch war er noch christlich. Das neue Weltprinzip war, als es zuerst auftrat, noch nicht ausgeführt und die Hierarchie, wenn sie draußen besiegt war, noch nicht im Innern geschlagen. Zweimal mußte sie besiegt werden, denn als sie das erstemal fiel, war sie nicht absolut überwunden, sondern nur so weit, als sie dem Staate feindlich gegenüberstand. Sie hatte sich jetzt in den Staat selbst eingeschlichen, um in dem Innern desselben die Dialektik des bisherigen Kampfes gründlicher zu wiederholen. Byzanz und Rom wurden von neuem im protestantischen Staate aufgebaut, und dieser kämpfte nun als theologischer und hierarchischer Staat mit sich selbst als wahrhaftem, freiem Staate – ein Kampf, der in seiner ersten Erscheinungsform zwischen dem geistlichen Staate und dem geistlosen geführt wurde.

Obwohl es nämlich den protestantischen Landesfürsten unerschütterlich feststand, daß ihnen als Landesfürsten die Leitung und letzte Entscheidung der kirchlichen Angelegenheiten zukomme, obwohl es also ausgesprochenes Prinzip war, daß die Religiosität, soweit sie sich zur Bestimmtheit gestaltet und als Lehre und Kultus in die Erscheinung tritt, eine dem Staat nicht fremde Angelegenheit sei, obwohl endlich dies Prinzip auch von den Theologen anerkannt war, so lebte doch sein Todfeind noch, wenn die Reformatoren die päpstliche Unterscheidung des geistlichen und weltlichen Regiments beibehielten. Die Predigt und die Verwaltung der Sakramente wurde demnach dem geistlichen Regimente zugewiesen, und das weltliche, das in diesem Gegensatze der Staat war, wurde als dasjenige bestimmt, welches über die äußere Ordnung, Zucht und Ehrbarkeit zu wachen habe. Wurde beides, das in der umfassenden Landeshoheit des Fürsten liegende Prinzip und diese niedrige Ansicht vom Staat zusammengebracht, so geschah es in der Formel, daß der Fürst der Schutzherr und Advokat der Kirche sei.

Der Staat blieb also noch geistlos, war noch nicht als unendlicher Selbstzweck anerkannt, sondern blieb ein äußeres Mittel, um einen Zweck, der schlechthin über ihn hinausging, auszuführen oder vielmehr nur äußerlich gegen eine feindliche Welt zu schützen. Die Reformatoren und ihre nächsten Nachfolger sind stark darin, wenn es gilt, die „bürgerliche“ Gerechtigkeit, die im Staate gefordert und ausgeübt wird, und die christliche, welche dem Glauben folgt, zusammenzustellen und zu vergleichen. Jene ist ihnen wertlos, erzwungen, selbstsüchtig, nur die christliche die Gott wohlgefällige. Der Staat war von der Hierarchie befreit und das Rechtsprinzip, auf dem er beruht, anerkannt, aber sein Recht war nur das formelle, das als solches noch als Zwang erscheint und erscheinen muß, weil es nur jenes abstrakt allgemeine ist, welches die Einzelnen als solche und als diese Masse atomistischer Punkte zusammenhält. Das Recht war noch nicht zu jener lebendigen und inhaltsvollen Allgemeinheit entwickelt, welche die Idee der Sittlichkeit und in ihr selbst das wesentliche Interesse und Anliegen des Einzelnen ist. Im Glauben war nun zwar der ewige Inhalt des Geistes gegeben, aber nicht zu der Form entwickelt, daß er mit dem Staatsleben in innere Berührung hätte treten oder als Sittlichkeit in das öffentliche Leben übergehen können. Seine Entwicklung zum Dogma führte weit über das Weltliche und über die gegenwärtigen Interessen hinweg in eine jenseitige Welt, welche selbst dann, wenn sie vom Glauben ergriffen würde, als eine jenseitige und vergangene gedacht werden müßte.

Es kann nur eine Wohltat genannt werden, daß die Reformation in diese Widersprüche fiel, den christlichen Staat, indem sie ihm die oberste Kirchengewalt gab, zerspaltete und ihn als den christlichen und geistlosen in inneren Zwiespalt setzte. Hätte der Staat, als er die Fülle der Macht auch über die kirchlichen Dinge empfing, für die Vorstellung ein mit sich identisches Ganzes gebildet, d. h. wäre er die absolute Monarchie gewesen, alle Greuel von Byzanz hätten sich wiederholt und um so schrecklicher wiederholt, da die theologische Substanz eine reichere Auslegung erfahren hatte. Der Kaiser von Byzanz sah in den Geistlichen nur seine theologischen Knechte, die ihm unbedingt gehorchen mußten und, wenn sie in ihrer höchsten Bedeutung gefaßt werden, die herrschende Regierungspartei bildeten. Dem kaiserlichen Dogmatiker durfte niemand widersprechen, und anders konnte er nicht widerlegt werden als mit dem Dolch oder mit dem glühenden Brenneisen, welches ihm die Augen raubte, oder mit dem Messer, das ihm die Zunge abschnitt. Nur mit dem Kaiser konnte das dogmatische System gestürzt werden. Weder diese Gefahr hatte der protestantische Fürst zu fürchten, noch durfte er seine Kirchengewalt so weit treiben, daß er hätte fürchten müssen, es handle sich zugleich um seine Person und um eine theologische Pointe. Die Hierarchie lebte noch, um ihn zu fesseln und, wenn er nicht in ihrem Sinne die kirchlichen Fragen entschied, daran zu erinnern, daß das weltliche Regiment sich nur um die Ordnung des öffentlichen Lebens zu kümmern habe. Die fürstliche Gewalt und die Staatsregierung mußten selbst erst im Sinne der Hierarchie handeln und hierarchisch werden, ehe sie die Beistimmung der Priesterschaft, der allein die Offenbarung des Ewigen gegeben ist, erhalten konnten. Aber hatten sie diese Beistimmung, dann konnten sie absetzen, vertreiben, die teuflischen Leute, welche um ein Jota von der hierarchischen Satzung abwichen, bürgerlich tot machen, dann konnte selbst — Blut fließen.

In die Zeit, in welcher die Geistlosigkeit des neueren christlichen Staats ihre volle Entwicklung erreicht hatte, die Dumpfheit und Beschränktheit des gesamten Lebens entsetzlich geworden war, fallen die Hexenprozesse. Tausende von Schlachtopfern wurden in den protestantischen Staaten einem Wahne dargebracht, der in allem, was aus dem gewöhnlichen Geleis heraustrat, teuflische Begeisterung sah. Wahrscheinlich hatte der unerträgliche Druck auf den gemeinen Mann so arg eingewirkt, daß dieser die geringe Dosis von Geist, die ihm noch geblieben war, nur noch im ekstatischen Zustande äußern konnte. Derselbe Thomasius, welcher den Scheiterhaufen der Hierarchie löschte, hat auch die Hexen von der protestantischen Inquisition befreit.

Das Übergewicht der dogmatischen Satzung gab dem lutherischen Staatsgebäude die byzantinische Form, die nur durch einige hierarchische Schnörkeleien und durch die abenteuerlichen Ungetüme, welche die Attribute der gotischen Bauart bilden, eine lebendigere Haltung erhielt. Die verfeinerte Hierarchie dagegen erneuerte die reformierte Kirche in den Staaten, in welchen sie sich in ihren Konsequenzen ausgebildet hat. Da sie weniger als die lutherische der Ausarbeitung und Behauptung des Dogma lebte und, statt die Symbolik zu vollenden, lieber auf die Unbestimmtheit der Schrift zurückging, da sie ferner den Kultus auf die einfachsten Elemente zurückführte, so gab sie in diesen Beziehungen der weltlichen Obrigkeit nur wenig Gelegenheit, sich in die Gestaltung des kirchlichen Lebens einzumischen, denn sie selbst sorgte dafür, daß die Gestalt nie zu einer festen Bestimmtheit gedieh. Dafür behielt sie nun um so größeren Spielraum, ihre Unbestimmtheit, ihr Postulat der Heiligkeit, ihre Abstraktion einer jenseitigen Göttlichkeit gegen den Staat geltend zu machen und sich selbst als die von Gott geordnete Anstalt, welche die Forderung der Heiligkeit zu betreiben und zu realisieren habe, dem weltlichen Leben entgegenzustellen. Ihre Zuchtanstalt beruhte auf der Voraussetzung, daß der Staat und das bürgerliche Leben das Unheilige und Geistlose sei.

Nachdem Rom und Byzanz im protestantischen Staatsleben zum zweiten Male gefallen waren — das achtzehnte Jahrhundert und das erste Viertel des neunzehnten erlebte ihren zweiten Sturz —, unternimmt man es in unsern Tagen, sie zum dritten Male aufzubauen und dem christlichen Staate ein neues Leben zu geben. Nach der protestantischen Ära gerechnet: man will zum zweiten Male die Hierarchie aufrichten, welche der protestantische Geist in seine erste Erscheinungsform noch herübergenommen, aber bereits in sich selbst überwunden hatte. Schwach und zitternd genug ist die Stimme, die wir von der reformierten Seite her vernehmen, was ihr aber an sonorer Kraft abgeht, macht sie durch den Eifer gut, mit dem sie nach kirchlichem Leben ruft und nach selbständiger Vertretung der Kirche gegenüber dem Staate. Während es auf dieser Seite den Eiferern keineswegs auf die Erhaltung eines bestimmten Lehrbegriffs, sondern nur darauf ankommt, daß die Kirche überhaupt nur ihr Leben selbständig führen könne, haben neuerlich die separatistischen Lutheraner in Preußen im Interesse des reinen Lehrbegriffs die völlige Trennung von Kirche und Staat verlangt und hat endlich Stahl in demselben Interesse eine Theorie des protestantischen Kirchenrechts aufgestellt, nach welcher die Kirchengewalt des Fürsten nicht zum Begriff der Landeshoheit gehört und vielmehr der Lehrstand aus seiner jetzigen Sklaverei zu befreien ist, damit er in den Besitz der eigentlich ihm zugehörigen Gewalt trete. Die separatistischen Lutheraner und dieses protestantische Kirchenrecht kommen auch darin überein, daß sie die Selbständigkeit der Kirche nicht nur im Gegensatz gegen die bisherige Herrschaft des Staats, sondern auch zu dem Zwecke fordern, damit die Kirche von der überhandnehmenden Aufklärung, namentlich von der Kritik und Philosophie sich abscheiden oder vielmehr diese Feinde des Glaubens durch einen freien, offenen und rein und allein von ihrer göttlichen Vollmacht geforderten Akt von sich absondern könne. Beide endlich, die lutherische Sekte wie der Philosoph Stahl, kommen auf die Ansicht der Reformatoren vom Staate zurück. Beide unterscheiden das kirchliche und weltliche Regiment in dem Sinne, daß nur der Kirche und dem gewalthabenden Lehrstande die Offenbarung gegeben, der Staat aber nur eine „äußere Anstalt“ sei, beide verlangen also wieder nach einem „christlichen Staate“. Denn der Staat ist an ihm selbst das Geistlose und wird erst christlich, wenn er der Kirche gegenüber seine Geistlosigkeit eingesteht und der Offenbarung des Göttlichen, welche allein die Kirche besitzt, sich unterordnet.

Das ist die neue Restauration des christlichen Staats. Wenn wir die Zeichen der Zeit richtig verstehen, so hat es den Anschein, als solle sie nicht bloß Theorie bleiben. So weit wenigstens ist sie bereits in die Praxis getreten, daß die Regierungen das Stichwort des Christlichen der Philosophie entgegenhalten und die öffentliche Anerkennung der "Wissenschaft im Staatsleben danach bestimmen und gewähren oder verweigern, je nachdem das Denken wirkliches Denken oder Nicht-Denken, d. h. christlich ist. Die Krisis, welche nahe bevorzustehen scheint, ist nicht mehr aufzuhalten; die Entwicklung des Denkens und der Wissenschaft hat sie ruhig, sicher und allmählich herbeigeführt. Sollte sie aber vom Boden der Wissenschaft voreilig und gewaltsam versetzt und eine äußere werden, so ist keine Frage, wer die Schuld tragen wird. Die Wissenschaft wird diese voreilige Wendung nicht herbeiführen, da sie ihren Grundsatz, daß die Gegensätze in der Unendlichkeit des Denkens aufzulösen sind und in dieser idealen Auflösung die neue Gestalt der Weltverhältnisse sich mit innerer Notwendigkeit ergibt, nicht verleugnen noch aufgeben wird.

Stahls Theorie, daß der Staat nur äußere Anstalt und die Kirchengewalt nicht im Begriff der Landeshoheit des Fürsten gegeben sei, bedarf keiner besonderen Widerlegung mehr. Aber ein Irrtum, der seit den Tagen des seligen Haller so viel Raum gewonnen hat, daß er aus der katholischen Welt, der er ursprünglich angehört, in die protestantische eingedrungen, zum Prinzip des protestantischen Kirchenrechts erhoben ist und auf dem Sprunge steht, der Grundsatz protestantischer Regierungen zu werden, ein Irrtum, der vor anderthalb Jahrhunderten von Thomasius widerlegt und von der Geschichte bereits umgestoßen war, muß von allen Seiten, die er nur berühren kann, widerlegt werden. Der Kampf mit ihm hört nicht auf, bis er nicht aus allen Verstecken, in denen er sich verbergen kann, vertrieben ist.

Wir lösen ihn auf, indem wir in vorliegendem Aufsatze zeigen, wie ihn eine zweitausendjährige Geschichte aufgelöst, vertrieben und aus der lebendigen Wirklichkeit in die Abstraktion der Theoretiker und in die Theorie der Regierungen verjagt hat. Wir treiben ihn andererseits aus der unlebendigen Theorie, wenn wir zeigen, wie ihn die Geschichte des Staats aus dem Umfange ihrer allgemeinen Kollisionen ausgeschieden hat. Wir führen ihn auf seine Kategorie zurück, wenn wir ihn in dem Kampf der theologischen und hierarchischen Satzung mit dem Staate wiederfinden. Die Kraft endlich, die er auch noch als abstrakte Theorie des Gelehrten und der Regierung besitzt, verliert er völlig, wenn es sich sonnenklar beweisen läßt, daß die Regierung, solange sie diesen Irrtum teilt und ihn der Wissenschaft entgegenhält, gegen den Staat selber kämpft und die lebendigen Mächte, welche gegenwärtig in der Bewegung des Staats sich reiben und berühren, nicht mehr als die ideale Einheit derselben zusammenhält. Die Regierung, welche sich auf jene Theorie ausschließlich stützt, spricht es damit selbst aus, daß sie nur eine Partei des Staatslebens ist. Wir haben somit nur noch zu zeigen, wie die Macht der Hierarchie, welche auch den protestantischen Staat noch beschränkte und für geistlos erklärte, indem sie ihn christlich machte, gestürzt ist und warum sie durch den wahren Begriff des Staates gestürzt werden mußte.

Der Gang, den ich in diesem Aufsatze nehme, ist der entgegengesetzte in Vergleich mit dem, welchen ich in meiner Schrift über die evangelische Landeskirche Preußens genommen hatte. Hier war die Kirche in dem Augenblicke, wo sie sich — in der Union — auflösen mußte, der Ausgangspunkt, und wir beurteilten von diesem Punkte aus, wo sie zu einem Momente des Staatslebens geworden war, die Versuche, die sie machte, um dem Staat gegenüber ihre besondere Selbständigkeit wiederzugewinnen. Jetzt wird der Staat der Mittelpunkt, und wir sehen nun zu, wie die Kirche zu einem der Radien wird, welche dieses Zentrum des menschlichen Lebens in die freie Bewegung seines Kreises entläßt. Am Schluß kommen wir somit auf denselben Standpunkt der Betrachtung, den wir in jener Schrift einnahmen, und wir werden diese Gelegenheit dann benutzen, um einige Mißverständnisse, zu welchen diese Schrift unschuldigerweise Anlaß gegeben hat, zu entwirren.

Die protestantische Geistlichkeit blieb also dabei, daß der Staat nur eine Polizeianstalt, höchstens ein Institut sei, welches über die unverletzte Erhaltung des formellen Rechts zu wachen habe. Der Widerspruch gegen das Prinzip, welches sogleich mit der Reformation gegeben war, gegen das Prinzip, daß die Obrigkeit als solche die kirchlichen Angelegenheiten zu leiten und zu entscheiden habe, war zwar groß genug, aber der Staat merkte ihn erst, als er mit seiner kirchlichen Arbeit, mit der Sicherstellung des Symbols und des entsprechenden Kultus fertig war und die ursprüngliche Dialektik, welche das protestantische Prinzip zu festem Bestehen und zu einem äußerlich erscheinenden Organismus konsolidiert hatte, in theologisches Gezanke auslief. Das war derselbe Zeitpunkt, wo die dogmatische Satzung von dem Pietismus in die innere Welt des Geistes eingeführt wurde und der bisherige Rechtsstaat die Gestalt der absoluten Monarchie annahm. Mit der Reformation war ein neues Prinzip in die Welt gekommen, und doch waren die Formen, in denen man lebte, noch die des Mittelalters. Der Widerspruch konnte nicht mehr geleugnet, er mußte aufgehoben werden. Der Staat war nur die äußere Vereinigung besonderer Rechte und Freiheiten, und im Verhältnis zur Kirche war seine Gewalt ein Mittel für die Aufrechterhaltung der orthodoxen Ordnung. Nirgends Einheit, nirgends ein Ganzes! Im Innern der Welt arbeitete schon das Prinzip, welches alle geistigen Bestimmungen als Glieder eines Systems zusammenbringen und vereinigen sollte, im Glauben war sogar der eine Lebenspunkt gegeben, aus welchem alle Güter des Geistes als freie Schöpfung und als eine Welt hervorgehen sollten. Und doch war diese Welt noch nicht entstanden. Der Glaube als der Dogmenglaube, als der Knecht der theologischen Satzung konnte die Schöpfung, auf welche es die Geschichte abgesehen hatte, nicht vollbringen. Ehe die Absicht der Geschichte erreicht wurde, sollte erst eine zwiefache Umwendung vor sich gehen, der Staat nämlich einerseits die Kirchengewalt ausschließlich und mit konsequenter Festigkeit an sich reißen, d. h. mit prinzipieller Bestimmtheit den Besitz, der ihm an sich schon zugestanden hatte, ergreifen, und andererseits wirklich und ausschließlich werden, wofür ihn die Hierarchie bis dahin immer ausgegeben hatte — der geistlose und ungöttliche. Er wurde absolut, d. h. seine Gewalt mit der unmittelbaren Subjektivität des Fürsten identisch. Die Stände wurden erdrückt und die Kirchengewalt durch die Theorie — des Territorialsystems — zu einem unablöslichen Attribut der Landeshoheit erhoben: der Satzungsglaube erfuhr damit sein volles Recht, denn zersplitterte er sich in theologische Streitigkeiten, so war es nun an dem Staate, sich als das zu beweisen, was er nach der Aussage der Hierarchie war, — als die Macht der äußeren Ordnung. Der Staat tat aber auch nur, was die Kirche selbst bereits getan hatte; und konnte sich diese beklagen, wenn die Macht des gesamten weltlichen Lebens in die Subjektivität sich zuspitzte, da in ihr selbst die bisherige Substanz in die Spitzfindigkeiten der subjektiven Theorie sich verloren hatte und die Subtilitäten des theologischen Witzes zu den wesentlichen Kennzeichen der Rechtgläubigkeit erhoben wurden? Während die fürstliche Exekution der Kirchengewalt das Zeitalter der Toleranz herbeiführte, war das Bestehen der dogmatischen Satzung von ihrer eignen Bewährung abhängig gemacht, und vor welchem Richterstuhl konnte sie sich bewähren? vor welchem andern als vor dem der unmittelbaren Subjektivität, die sich jetzt, um ihr Richteramt gerecht auszuüben, in ihrer reinen Einfachheit und abstrakten Unendlichkeit erfassen mußte? Eine andre Form der Subjektivität gab es in dieser Kollision nicht, da der Kirchenglaube die Voraussetzung unterhalten hatte, daß das Selbstbewußtsein nur in zwei Formen existieren könne, in derjenigen, nämlich, in der es sich selbst überlassen als das weltliche, gottentfremdete existiert, und in der andern, in welcher es unmittelbar der symbolischen Satzung unterworfen ist. Eine Vermittlung beider Formen des Selbstbewußtseins, eine Vermittlung zwischen dem unmittelbaren Sein desselben und zwischen seinem Nichtsein hatte der Kirchenglaube nicht zustande gebracht; konnte er sich also beklagen, wenn das Selbstbewußtsein in seinen Satzungen sein Nichtsein fand und als Aufklärung den Widerspruch zwischen diesen Satzungen und seiner Einfachheit entdeckte und aussprach? Der Prozeß war sehr bald gewonnen, und zwar durch die Voraussetzung, welche der Kirchenglaube selbst dem weltlichen Selbstbewußtsein hinterlassen hatte, gewonnen. Die Aufklärung errichtete nun ihr Reich auf ihren allgemeinen Grundsätzen, die sie im Kampf mit dem Glauben entwickelt hatte, auf dem Grundsatze, daß die Wahrheit sich nicht widersprechen könne, und auf dem Postulat der moralischen Gesinnung. Bestimmter gesprochen: ihr ganzes Reich bestand nur aus diesen beiden Grundsätzen.

Wenn es im Begriff des christlichen Staates liegt, daß er der geistlose und ungöttliche sei, so war dieser Begriff jetzt erfüllt; gehört es aber zur Natur dieser ungöttlichen Erscheinung, daß sie nur in bezug auf die Kirche die ungöttliche und geistlose sei, so fehlte auch diese Beziehung nicht, obwohl sie jetzt nicht mehr das Verhältnis zweier selbständig erscheinender Welten, sondern Beziehung in einem und demselben Bewußtsein geworden war. Der Gedanke der alles umfassenden Landeshoheit des Fürsten war nicht mehr äußerlich durch eine selbständig organisierte Kirche beschränkt; alle Macht — das stand für ihn von vornherein fest — war vielmehr in die substantielle Allgemeinheit der weltlichen Majestät zusammengefaßt; aber dieser Gedanke war an ihm selbst noch sein eigener Gegensatz und damit sich selbst entfremdet, da er die Majestät des Staates als unendlich faßte, als wirkliches Bewußtsein der Unendlichkeit und des Wesens, sich aber dennoch auf das Jenseits richtete, in das Jenseits die Unendlichkeit verlegte und nur allein sich dagegen wehren mußte, daß das reine Bewußtsein des Wesens sich nicht unmittelbar praktisch gegen das weltliche Reich richtete. Der Gedanke der Landeshoheit trug noch die Furcht vor der Hierarchie in sich, weil er sich als Bewußtsein des Wesens noch nicht in die Organisation der Welt und des Staatslebens versenkt, vertieft und ausgeprägt hatte. Daß die Aufklärung endlich nur in der Beziehung auf den Glauben denken, sprechen und überhaupt existieren konnte, daß sie als vergleichendes Bewußtsein sich entwickeln mußte, wenn sie nicht die stumme Selbstgewißheit des Geistes bleiben wollte, ist von selber klar. Der Staat und die Aufklärung, die sich in seiner Mitte ausführte, waren noch christlich, weil sie geistlos und ungöttlich waren und es eben durch ihre äußere Beziehung auf die jenseitige Welt des Wesens waren. Durch diese Beziehung fielen sie aber mit sich selbst in Widerspruch, denn dasjenige, worauf sie sich nach außen hin bezogen, waren oder hatten sie wenigstens an sich selbst. Wenn der Staat die Ausübung und Gestaltung der Religiosität so weit seiner Einsicht unterworfen hatte, daß es auf seine Bestätigung ankommen sollte, in welcher Bestimmtheit diese Ausübung rechtlich anerkannt werden könne, so war sein Selbstbewußtsein unendlich geworden und die Religiosität die innere Bestimmtheit seines Selbstbewußtseins. Sie war ein inneres Moment seines gesamten Lebens, als Moment aber nicht seine einzige, ausschließliche Bestimmtheit, sondern eine Bestimmtheit, welche gegen den Einfluß anderer Mächte sich nicht abschließen darf, wie ihr andererseits der Einfluß auf die übrigen Momente des Staatslebens gestattet war.

In welcher Form war aber jetzt dieser Einfluß der einzig mögliche? Nicht mehr in der Form, in welcher ihn die Kirche allein denken konnte, daß das Selbstbewußtsein sich unmittelbar der jenseitigen Macht unterwerfen sollte. Die Aufklärung sorgte für eine andere Form.

Sie nämlich, die Aufklärung, mußte endlich dahinterkommen, daß sie sich nicht mehr als vergleichendes Bewußtsein auf den Glauben zu beziehen brauche. Sie war der Glaube an ihr selbst, aber der Glaube in jener freien, menschlichen Form, in welcher er das Selbstbewußtsein nicht mehr in seiner weltlichen Wirklichkeit stehenläßt und nur die unmittelbare Erhebung desselben in das Jenseits fordert. Sondern der Glaube war sie, welcher das Selbstbewußtsein durch seine freie Entwicklung in seine wesentliche Welt einführt. Der Grundsatz, daß die Wahrheit sich nicht widersprechen könne – was war er anders als der feste Glaube an die Wahrheit? was anders als der Glaube, der im Begriffe war, Wissen zu werden, da er auf der Gewißheit beruhte, daß das Selbstbewußtsein in seiner Allgemeinheit die Wahrheit sei und daß die Wahrheit, welche für das Selbstbewußtsein ist, nicht nur das Nichts des Selbstbewußtseins, sondern dieses selber sei? Der Gedanke, daß die Wahrheit System und das System die Entwicklung des Selbstbewußtseins sei, war hiermit gegeben, und seine Ausführung als die Philosophie der neueren Zeit erhielt er, als das einfache Selbstbewußtsein der Aufklärung sich als Gegenstand des Bewußtseins von sich selber abstieß – sich also nicht mehr äußerlich auf die Welt des Glaubens, sondern wirklich auf sich und seine Unendlichkeit bezog und nun in der Welt des reinen Bewußtseins sich selbst erkannte.

Auch die moralische Gesinnung der Aufklärung war an ihr selbst der Glaube, aber der Glaube, der aus der Unendlichkeit des Innern das System der sittlichen Bestimmungen entwickeln sollte, was dem kirchlichen Glauben als solchem nicht möglich gewesen war. Die Moral als Wissenschaft ist erst ein Werk der Aufklärung. Wenn nach dem protestantischen Bekenntnis der Glaube allein rechtfertigt, so war mit diesem Prinzip der Übergang zur Sittlichkeit vorbereitet, aber noch nicht durchgeführt, noch viel weniger der Punkt, zu dem übergegangen werden sollte, als Zentrum, aus welchem sich die sittlichen Bestimmungen entwickeln, erkannt und bewiesen. Das protestantische Prinzip der Rechtfertigung durch den Glauben konnte als kirchliches Prinzip noch nicht zu dieser Entwicklung gelangen, weil der Glaube noch der Dogmenglaube war, d. h. der Innerlichkeit, die er allerdings enthielt, nicht froh werden konnte, und bei der Flucht aus der Gegenwart in die Vergangenheit niemals vor der Gefahr der Vorstellung, daß mit dem Geschichtsglauben als solchem genug getan sei, sicher war. Allerdings war auch das Postulat aufgestellt, daß aus dem Glauben die guten Werke hervorgehen sollten; allein aus dem einen isolierten Punkt, zu welchem der Dogmenglaube flüchtete, konnten die sittlichen Bestimmungen weder auf innerliche Weise abgeleitet werden, noch konnten sie jede ihre bestimmte und naturgemäße Lebenskraft gewinnen, wenn jede in derselben Art auf denselben geschichtlichen Punkt bezogen wurde. Die moralische Gesinnung der Aufklärung war dagegen der Glaube, welcher die Fähigkeit enthielt, die sittlichen Bestimmungen einerseits zu beleben, andererseits in ihre wahre Einheit zurückzuführen. In ihrer ersten Erscheinung war sie freilich noch so sehr das Abbild des Glaubens, als dessen Gegensatz sie entstanden war, daß sie in der reinen Selbstgewißheit des moralischen Geistes stehenblieb und, wenn sie sich auf die positiven Bestimmungen der wirklichen "Welt bezog, dieselben entweder auflöste oder alle auf dieselbe Weise unmittelbar als das Gute bestimmte. Wurden aber die positiven Bestimmungen aufgelöst, so fanden sie ihre Auflösung in der Innerlichkeit der Gesinnung, aus welcher sie vielmehr neue Lebenskraft zogen und als freie Selbstbestimmung des sittlichen Geistes wieder hervorgingen. Oder sah das moralische Selbstbewußtsein in den positiven Bestimmungen die eine und dieselbe Bestimmtheit des Guten, so sah es auch in dieser Weise in ihnen seine eigne Bestimmtheit – denn das Gute betrachtete es ja als seine wesentliche Allgemeinheit –, und seine anfängliche, scheinbare Leerheit und Abstraktion verwandelte sich durch ihre eigne Dialektik zum Reichtum des sittlichen Selbstbewußtseins. Es ist allgemein anerkannt und wird von manchen genug bedauert: die Revolution, die in Frankreich als der blutige Terrorismus der Vernunft und Sittlichkeit sich durchsetzte, war keinem der Staaten, die ein geschichtliches Leben führten und lebenskräftig waren, fremdgeblieben. Schon ehe der fürchterliche Schlag, welcher gegen die unmittelbare Geltung der Subjektivität gerichtet war, in Frankreich ausgeführt wurde, waren in Deutschland auf Universitäten, in den geistlichen und weltlichen Behörden, in der Regierung und auf dem Throne die Mächte der neuen Zeit anerkannt worden, und wenn ihr Einfluß auf die Wirklichkeit noch nicht überall durchgreifend sein konnte, so fielen die Hindernisse, die ihnen entgegenstanden, als Krieg und Elend die Revolution verbreiteten und die Sicherheit der geistlosen und ungöttlichen Subjektivität erschütterten.

Das Territorialsystem, wie es Thomasius und Böhmer ausbildeten, enthielt die Momente des Begriffs, hatte sie aber noch nicht in ihre freie Bewegung gesetzt und nur durch den Gedanken des formellen Rechts verbinden können. Die Landeshoheit und Majestät des Fürsten wurde als so umfassend bestimmt, daß ihrer Entscheidung auch die kirchlichen Angelegenheiten unterliegen; da aber der unendliche Gehalt des Staats nicht entwickelt war – nur auf der Ahnung dieses Gehalts beruhte jenes System –, die Landeshoheit also auch nicht als die freie Idealität dieses Gehalts erkannt werden konnte, so war ihr Recht als solches nur vorausgesetzt, es erschien somit als Recht der unmittelbaren Subjektivität des Fürsten und seine Ausübung als Tyrannei gegen die Kirche. Wenn nach demselben System das Denken und die kirchliche Satzung in ihrem Kampfe gleichberechtigt sein sollen, so enthält dieser Satz den Widerspruch, daß er beiden Mächten die Erlaubnis gibt, sich zu berühren – sonst könnten sie nicht kämpfen –, andererseits ihnen äußeren Frieden gebietet, mithin sie auseinanderreißt und zur Ordnung ruft. Es ist noch der Atomismus und Widerspruch des formellen Rechts.

Die Revolution, die Aufklärung und die Philosophie haben aus diesem Zustande, in welchem der Kampf berechtigt ist und jeden Augenblick dennoch von der eisernen Hand des Fürsten, der unmittelbar gegen alle Parteien recht hat, zum Stillstand gebracht werden soll, den Staat herausgehoben und zur umfassenden Erscheinung des sittlichen Selbstbewußtseins umgebildet. Dieser Umschwung besteht in nichts anderem als in der Befreiung der bisher durch ihr eignes Recht fixierten Atome, die von jetzt an ihre gleiche Berechtigung nur dadurch gewinnen können, daß sie zunächst ihre unmittelbare Sprödigkeit, mit der sie an ihrem vorausgesetztem Recht festhielten, aufgeben und jedes durch diese Überwindung seiner selbst mit dem andern sich in Einheit setzt. Die Selbstverleugnung ist das erste Gesetz und die Freiheit die notwendige Folge. Das unmittelbare Recht der fürstlichen Person verliert seine eiserne Unmittelbarkeit, und der Fürst wird „der erste Diener des Staats“, indem er die Momente der Bewegung in seinem Selbstbewußtsein vereinigt, neu sich bildende Momente, sobald sie sich bestimmte Form gegeben haben, anerkennt oder in vorgreifender Genialität die Keime, die erst noch in der Entwicklung liegen, divinatorisch als Bereicherung des Staatslebens erkennt und ihre Ausbildung fördert. Die Kirche verliert nicht nur ihr unmittelbares Recht, sondern als Kirche kann sie es, man mag es noch so ängstlich präparieren, in der Retorte der neuern Bildung durchglühen und durch tausend mühsame Vermittlungen hindurchjagen, bis es scheinbar menschlich aussieht, sie kann es nie und in keiner anderen Form wieder gewinnen. Sobald sie ihr Recht nicht mehr als unmittelbares, schlechthin positives behaupten kann und allein dadurch gilt, daß sie sich auf ihre göttliche Autorität berufen kann, so ist sie nicht mehr Kirche. Als Kirche kann sie sich nicht selbst verleugnen, also die Pflicht nicht leisten, welche der Staat der Sittlichkeit als sein erstes Gesetz aufstellen muß. Was ist also mit ihr anzufangen? Welche Frage! Als ob sie wirklich als Kirche noch existierte, wenn das sittliche Selbstbewußtsein und das Denken den Rechtsstaat umgebildet haben. Diese Mächte haben sich nur durchsetzen und zur Herrschaft bringen können, indem sie den unmittelbaren Inhalt der Kirche sich angeeignet, aber in dieser Aneignung wesentlich verändert haben. Das Territorialsystem, die absolute Monarchie und die Aufklärung sind es, die die Kirche gestürzt und ihren Inhalt in sich aufgenommen haben. Sie haben das Positive der Kirche in sich verdaut; wer also die Kirche wiederhaben wollte, würde nicht einmal, was er sucht, finden, wenn er die Wissenschaft totschlüge und aus ihrem Leibe das verschlungene Allerheiligste, das Positive herausschneiden wollte. Als ob die Wissenschaft das Positive als Positives in ihrem Innern dulden könnte und, wenn sie es verdaut hat, nicht vielmehr in ihr Fleisch und Blut und in ihre Dialektik verwandelt hätte!

Die Kirche will gelten, weil sie ist, und ihr Recht soll unendlich sein, weil es als göttlich vorausgesetzt ist – wie kann sie also noch im Staate gelten wollen, dessen Bewegung wesentlich kritisch ist und jedes Moment nur dadurch berechtigt, daß es sich von sich selber abstößt, sich dem Ganzen preisgibt und von diesem seine Bestätigung zurückerhält? Das unmittelbare Sein der Kirche ist in dieser unendlichen Bewegung längst aufgelöst. Nur die Religiosität, in welcher die statutarische Satzung zur innern Bestimmtheit des Selbstbewußtseins geworden ist, kann in dieser Bewegung des Staats ein lebendiges Moment bilden; aber aus keinem andern Grunde, als weil sie an sich in jedem Momente dieser Bewegung, da jedes auf der Selbstverleugnung beruht, enthalten ist. Soweit die Religiosität als statutarischer Satzungsglaube noch positiv gestaltet ist und gelten will, unterliegt sie selbst wieder der kritischen Macht des Selbstbewußtseins und wird sie in den allgemeinen Fluß gezogen, in welchem alles nur ist, wenn es menschlich geworden ist.

Den Staat die objektive Existenz der Sittlichkeit zu nennen, dabei zu meinen, daß diese Existenz nur in den positiven Bestimmungen, Gesetzen, Einrichtungen gegeben sei, und damit zu hoffen, der Kirche noch eine besondere, selbständige Existenz verschaffen zu können, ist ein Versuch,'der notwendig fehlschlagen muß. Was sollte man wohl unter jener objektiven Existenz verstehen, wenn außer ihr noch eine Kirche gefordert wird, damit den Menschen die Erhebung zum Unendlichen, die Vertiefung in die Innerlichkeit und das Bewußtsein ihrer Freiheit von den endlichen Bedürfnissen und dem Treiben, welches die Befriedigung der letztern zum Zwecke hat, nicht verlorengehe? Wo soll man jene objektive Existenz finden? In den Polizei-Anstalten? Oder endlich in dem Mechanismus als solchen, der im Staate so gut wie in jeder Objektivität des Begriffes notwendig ist? Die wahre Objektivität des Geistes im Staate ist vielmehr die Allgemeinheit seiner selbst, deren sich der Staatsangehörige als solcher bewußt ist, eine Allgemeinheit, die von ihrer Seite des wirklichen Selbstbewußtseins bedarf, um sich in der Tat auszuführen und aus ihrer Substantialität in die Innerlichkeit des Subjekts zu vertiefen. Diesen Dienst dem Allgemeinen zu leisten, vermag der Einzelne nimmermehr, wenn er als Glied der Familie oder als Staatsbürger jene Erhebung und Vertiefung nicht vollbringt, zu deren Übung man noch die Kirche neben dem Staate verlangt. Wenn der Staat als Werk der Sittlichkeit ausgeführt wird, so ist sogar die Substantialität, in welcher er sonst noch als fertiges Ganze, welchem die Einzelnen sich nur hinzugeben haben, vorausgesetzt wird, aufgehoben und die Innerlichkeit und schöpferische Unendlichkeit des Selbstbewußtseins, aus welcher er ohne Aufhören sich schaffen muß, im höchsten Grade anerkannt. Und welche Vertiefung des Subjekts gehört dazu, wenn es in diesem Sinne dem Staate lebt! Welche Selbstverleugnung, welche Aufopferung! Der Staat, welcher in diesem Sinne die Schöpfung des Selbstbewußtseins ist, ist nicht mehr der christliche, weil er nicht mehr der geistlose ist. Sein Unterschied von dem christlichen Staate besteht darin, daß er nicht mehr der äußern Ergänzung oder Bevormundung durch die Kirche bedarf. Er hat seine Unendlichkeit in sich zurückgenommen. Die Kirche konnte nicht anders, sie mußte die Vorstellung haben, daß sie zur unmittelbaren Herrschaft über das weltliche Regiment berufen sei, weil sie die Unendlichkeit des Selbstbewußtseins in abstrakter, der wirklichen Welt entfremdeter Gestalt enthielt, repräsentierte, innerhalb dieser Entfremdung entwickelte, also auch kraft dieser Abstraktion über den Organismus der Wirklichkeit weit hinausgriff und diesen als einen winzigen, interimistischen Punkt des menschlichen Lebens in ihren grenzenlosen Umfang, die Bestimmtheit in ihre Unbestimmtheit verschlang. Die Kirche hatte ein Recht zu dieser Übermacht – und ohne dieses Recht wären jene früheren Kämpfe nicht der Erwähnung wert und keine geistigen Kollisionen –, da der Feudalstaat und der Staat des formellen Rechts der Allgemeinheit des Selbstbewußtseins entbehrten und diesem, wenn es seinen unendlichen Gehalt in dem Organismus der Welt wiederfinden wollte, nicht Genüge leisteten. Gegen die Willkür und zufällige Individualität des Feudalstaates konnte sogar die Kirche die Freiheit des Geistes retten, so wie sie im Rechtsstaate dem Selbstbewußtsein – wenn auch draußen, jenseits des weltlichen Regiments – in den Gestalten der statutarischen Lehre seine Unendlichkeit und sein Wesen sicherte. Aber als freien Begriff, so daß es in seinem Wesen sich selbst und sich als das Wesen erkannte, konnte die Kirche dem Selbstbewußtsein seine Unendlichkeit nicht geben und bewahren, weil sie das Wesen in einer dem Selbstbewußtsein immer noch entfremdeten Gestalt entwickelte, und dieses war somit hier wie dort, hüben wie drüben, diesseits und jenseits beschränkt und gefangen. Wenn aber nun dem Staate die Kirche als Hort und Schutz des Wesens gegenüberstand und wegen dieser Stellung und im Gegensatz gegen die Wirklichkeit das Wesen in abstrakter Form bewahren mußte, so war sie im Grunde die eigne Unendlichkeit des Staats, welche der Staat und das wirkliche Selbstbewußtsein nur noch nicht in sich selbst gestaltet, verbraucht und zur innern Bewegung seines Organismus aufgewandt hatte. Sie war der Staat selbst, nur in der abstrakten und gegen sich selbst gerichteten Erscheinung seiner Idealität. Nur deshalb, weil beide der Staat waren, konnte auch jener heiße Kampf entstehen, der im Mittelalter geführt wurde und in der Vorstellung des protestantischen Prinzips noch fortdauerte. Es konnte nur ein Staat aus diesem Kampfe als Sieger hervorgehen, aber welcher? Natürlich nur der eine, der sich in beide zerspalten hatte, und dieser eine – auf welchem Boden hat er sich etabliert? Auf dem einzigen, den er in der Wirklichkeit finden konnte, auf dem Boden des Selbstbewußtseins, welches die abstrakte Unendlichkeit, die von der Kirche gehütet und repräsentiert war, in sich zurücknahm, zur Form seiner selbst, umbildete und in das innere Leben des Staats verarbeitete. Nur die Form, ohne welche nichts menschlich, nichts für das Selbstbewußtsein ist, die Form, sagten wir im Eingange dieses Aufsatzes, kann die Kirche samt ihrem Inhalt mit dem Staat in Verhältnis und in Einheit setzen. Nun wohl, wenn die Form vollendet ist und das Wesen der Kirche die Form des Selbstbewußtseins erhalten hat, so ist jene Einheit vollendet: der eine Staat ist aus der mittelalterlichen Zerspaltung hervorgegangen und die Religion als Bestimmtheit des Selbstbewußtseins, d. h. als Religiosität, als die Tat der Selbstverleugnung, in das Staatsleben aufgenommen.

Beiworte können nun den Begriff des Staates nicht mehr erschöpfend bezeichnen: wer den neuern Staat „den christlichen“ nennen will, gibt andern die Erlaubnis, ihn den philosophischen etc. zu nennen. In Wahrheit kann er nur begriffen werden, wenn er als die objektive Existenz der Allgemeinheit des befreiten Selbstbewußtseins gefaßt wird, als die Existenz, deren Boden und Material das Selbstbewußtsein ist, welches durch die Überwindung seiner Einzelnheit in den sittlichen Bestimmungen seine Allgemeinheit schafft.

„Phrasen und Phantasien“, hat man meiner Schrift über die evangelische Landeskirche entgegengehalten, „sind keine Ecksteine, auf welchen das Gebäude des Staates oder der Kirche errichtet werden kann; die weiche, flüssige Idee ist fürwahr kein Fundament, sondern ein Abgrund, in welchen immer wieder alles zusammensinkt.“ Hat der gute Mann, der mir diese große Wahrheit zu bedenken gab, das letztere von sich selbst gesprochen und aus seiner Seele niedergeschrieben, oder wie versteht er es, daß alles in die Idee und ihren Abgrund wieder zusammensinkt? Wie tief, umfassend, wie allmächtig muß dann die Idee sein? Und wie kann derselbe Mann so sprechen, als ob Idee und Phrase ein und dasselbe sei? Wenn alles in den Abgrund der Idee zusammensinkt – wie ist das möglich, wenn es nicht ursprünglich der Idee angehört und von ihr als ihre Bestimmtheit gesetzt ist? Wenn andererseits Idee und Phrase nicht unterschieden ist, so wären wir in der Tat neugierig, woher das Handgreifliche oder das Stück Palpabilität kommen soll, auf welches die geistigen Schöpfungen zu gründen sind. Damit wird man den Philosophen nicht in Furcht jagen, daß man ihm den Popanz entgegenhält, in den Abgrund der Idee sinke alles immer wieder zusammen. Verhält es sich wirklich so – und es ist so, das Selbstbewußtsein ruht nicht, bis es nicht alles Positive in sich zurückgenommen hat –, so wird es einfach daher kommen, weil die Idee die bestimmten, geschichtlichen Erscheinungen gesetzt hat –, und nun, wenn sie alles gesetzt hat und über alles sich wieder als die kritische Macht beweist, sollen wir verzweifeln und nicht vielmehr um so gewisser sein, daß die Idee und das Selbstbewußtsein in neuen Gestalten sich darstellen werden? Wenn das Selbstbewußtsein als allmächtig erkannt ist, da sollen wir wimmern, jammern und weinen, als ob nun alles aus wäre?

„Die Wissenschaft“ – so spricht sich diese Art von Polemik weiter aus – „man zeige uns doch ihr Gewand (!)“ – (also den Philosophenmantel will man sehen, die Wissenschaft selbst nicht!) – „ist es nicht zerrissen und zerfetzt von dem Schulgezänke hin und her? Die sittliche Organisation des Staates – man lasse uns seine Gestalt sehen, ist sie denn so großartig und herrlich, daß dieses (!)“ – nicht wahr, dieses sichtbare und mit Händen zu greifende – „Diesseits eine schlechthinnige Befriedigung gewähren könnte?“ O ihr Kleingläubigen, eher wollt ihr die Wahrheit nicht anerkennen, als wenn sie euch als ein fertiges, unmittelbares, für euch und für eure Bequemlichkeit zubereitetes Sein mit Fingern als ein Dieses gezeigt wird? Dann werdet ihr sie nie erblicken – sie will gewonnen werden. Als ein Dieses, als fertiges Sein ist die Wahrheit weder im Staat noch in der Wissenschaft da; sondern sie wird hier als die Tat des Geistes und als Bestimmtheit des Selbstbewußtseins. Im dialektischen Fluß seines Werdens ist der Staat mit der bestimmten Regierung nicht identisch, solange das Selbstbewußtsein seiner Unendlichkeit, wie es sich geschichtlich entwickelt hat, von der Regierung noch nicht anerkannt und in den Mechanismus, in welchem sich die Objektivität seines Begriffs bewegt, aufgenommen ist. Dies in die Regierung noch nicht aufgenommene und in den gesetzlichen Einrichtungen noch nicht ausgeprägte Selbstbewußtsein ist demnach kritisch – die Opposition, welche im gegenwärtigen Wendepunkte, wo der Staat der Sittlichkeit noch mit den Überbleibseln des formellen Rechtsstaats zu kämpfen hat, in einer zwiefachen Form des Bewußtseins erscheint: als wissenschaftliche Theorie und als das Postulat der Kirche. Es ist schon oft ausgesprochen und es bestätigt sich überall, wo eine kirchliche Partei der Regierung gegenübertritt, daß der eigentliche Grund der Opposition ein politischer ist: das kirchliche Prinzip kann mehr oder weniger mit Bewußtsein als Vorwand der Opposition benutzt werden, oder wenn dies Bewußtsein gar nicht vorhanden ist und die kirchliche Partei sich rein als solche dem Staat entgegensetzt, so ist sie schon deshalb politisch, weil sie sich als Staat dem Staat gegenüber behaupten will. In ihrer tiefsten Berechtigung gefaßt, ist die kirchliche Opposition darin gegründet, daß sie in ihrer Vorstellung des Wesens ein Moment besitzt, welches sie in den öffentlichen Einrichtungen und in den politischen Grundsätzen der Regierung noch nicht erschöpft und als Prinzip des sittlichen Geistes ausgebildet sieht. Ist die kirchliche Opposition Vorwand, so wird sie durch politische Zugeständnisse beseitigt. Hat sie aber nicht das Bewußtsein ihrer politischen Bedeutung, so wird sie geschlagen, wenn die abstrakte Unendlichkeit, auf welche sie sich stützt, in den Staat, dessen Gesetze und öffentliche Institutionen umgebogen wird. Das Letzte, aber freilich auch Schwierigste, was dem Staat in dieser Beziehung noch übrigbleibt, ist die Befreiung der bürgerlichen Heloten, welche täglich mit der Materie zu kämpfen haben, für das Allgemeine die Sinnlichkeit überwinden, ohne für ihre Person in diesem Kampfe des Allgemeinen, dem sie dienen, sich wahrhaft bewußt zu werden. Der Staat, nicht die Kirche hat die Leibeigenschaft stürzen können, so kann die Kirche auch jene Heloten nicht befreien, die Zyklopen nicht zu sittlichen Menschen erziehen, wenn sie ihnen nur von Zeit zu Zeit die Erhebung zum Unendlichen geben kann und nach der Flucht aus diesem Leben sie nur desto tiefer in das Ringen mit der Materie stürzen lassen muß. Tritt nun das Postulat der Kirche und ihrer Selbständigkeit gegen die Regierung auf, so ist es als berechtigt anzuerkennen, solange es seine Opposition nur gegen die bestimmte Form des Bestehenden richtet und dagegen den Überschuß an Inhalt, den es noch für sich besitzt und im Staat noch nicht wiederfindet, geltend macht. Aber in dieser beschränkten Richtung übt es seine Opposition nicht aus – es kämpft vielmehr gegen den Staat überhaupt und befeindet somit alle Mächte, welche in dessen Bewegung zusammentreffen. Die Regierung ist deshalb gegen das Postulat der Kirche berechtigt, wenn sie – und so handelt sie gewöhnlich – auf das Recht des Staats sich beruft und die Sittlichkeit sowie die Wissenschaft als Schild gegen die Ansprüche der Kirche benutzt. Damit übernimmt aber die Regierung die Verpflichtung, die Idee des Staats vollständig in sich aufzunehmen und in den Institutionen auszuprägen. Sie muß die Entwicklung der Sittlichkeit durchführen und beschützen, welche die Kirche als solche immer nur unterbrechen und aufhalten wird.

Die Kirche versieht sich also in ihrer Opposition, wenn sie in einem Punkte das Ganze bekämpft. Es kann z. B. sein, daß im positiven Gesetz der Begriff der Ehe noch nicht rein ausgedrückt und in den einzelnen Statuten konsequent durchgeführt ist – aber hat dann der Staat als solcher auf die Kirche und deren doch immer wieder polizeiliche Bestimmungen gewartet? Hat nicht die Wissenschaft die sittliche Würde der Ehe gesichert, und geht nicht der wissenschaftliche Begriff leichter und gewisser als alles andere in die Grundsätze des gewöhnlichen Lebens über? In einem Gesetzbuche kann der Begriff der Strafe noch unvollkommen gefaßt sein – aber muß nun die Kirche sich als besondere Strafanstalt etablieren wollen, nachdem der Rechtsbegriff in der Wissenschaft die Bedeutung der Strafe viel tiefer ergründet hat, als es je in der Kirche möglich ist, und nachdem die richtige Vorstellung von der Strafe längst den bestraften Verbrecher gegen nachträgliche Beleidigungen sichergestellt hat? Und sollen wir noch fragen, ob denn die Wissenschaft nicht im Staate und als eines der Momente des Staatslebens aufzufinden ist, daß die Kirche unbedingte und ausschließliche Herrschaft ihrer Vorstellung vom wesentlichen Gehalt des Selbstbewußtseins fordert? Solange die Universitäten und namentlich die theologischen Fakultäten noch nicht unter die Inspektion der Synoden, Presbyterien oder des Lehrstandes gestellt sind, solange ist die Wissenschaft noch ein freies Moment des Staatslebens und ist den Ansprüchen der Kirche ihr Ziel gesetzt. Die Opposition der Kirche kann die bestimmte Schranke, welche die Entwicklung des Staats momentan hindert, nicht aufheben und mit ihrer Polemik nicht einmal treffen, weil sie in der dumpfen Innerlichkeit ihres Selbstbewußtseins das Wesen des Geistes roh zusammengeballt festhält und, wenn sie es entwickelt, alle Bestimmtheit überfliegt. Entrollt sie ihr Inneres, so fallen augenblicklich das Selbstbewußtsein und seine Allgemeinheit auseinander, und sie stehen sich als das reine Bewußtsein und als das Wesen gegenüber, ohne sich im wirklichen Selbstbewußtsein wieder erreichen und vereinigen zu können. Alle bestimmten Mächte des Geistes stehen diesseits dieser Kluft, sie gelten als die weltliche Zersplitterung und Trübung des reinen Bewußtseins und werden wie dieses auch zwar auf das allgemeine Wesen bezogen, aber ebenso unmittelbar wie das reine Bewußtsein selber, d. h. sie bleiben, wie sie unmittelbar sind, in der Wirklichkeit stehen, und das Höchste, wozu es in dieser Dialektik und Opposition kommt, ist die Forderung, daß sie sich vom Wesen des kirchlichen Bewußtseins verklären, salben, durchleuchten, erneuern etc. lassen sollen – eine Forderung, die ihre Unbestimmtheit und Erfolglosigkeit darin verrät, daß sie die weltlichen Mächte, wenn es zum wirklichen Handeln kommt, ihrer eignen Einsicht und Beratung überlassen muß. Die Opposition, die als Wissenschaft in den neueren Staat aufgenommen und an sich in der Lehrfreiheit der Universitäten als berechtigt anerkannt ist, ist beiden, der Kirche und der bestimmten Regierung, in dem Augenblicke überlegen, wenn sie sich als dialektische Theorie vollendet hat. Als solche hat sie sich sogleich in den Mittelpunkt des Staatslebens, in das freie Selbstbewußtsein gestellt und das Wesen der Kirche entwicklungsfähig gemacht, da es von ihr mit dem wirklichen Bewußtsein vermittelt und nun als das allgemeine Selbstbewußtsein die innere kritische Macht der besondern Mächte desselben geworden ist.

Im ersten Augenblick, wenn die Wissenschaft das Reich des Selbstbewußtseins in der Theorie begründet und damit die Schranken der bestehenden Verhältnisse in der höhern Form des sittlichen Geistes aufhebt, ja selbst dann noch, wenn ihr Prinzip bereits in die allgemeine Anschauung des Volks, in die Sitte und in die Grundsätze gerade der Blüte des Volks übergegangen ist, hat sie die Reaktion der bestimmten und einer früheren Form des Bewußtseins angehörenden Regierung zu erfahren. Es beginnt damit die Zeit, in welcher sie sich unter drückenden Verhältnissen und Verfolgungen zu bewähren hat. Die Regierung mißtraut dem Selbstbewußtsein, das so kühn ist, seine Sache auf sich selbst zu stellen, sie flüchtet zu der Kirche, deren Postulat sie doch selbst nicht anerkennt, und stützt nun ihre Bestimmtheit, indem sie sich mit deren abstrakter Allgemeinheit verbündet.

Sie gibt dadurch der letzten Polemik, welche die Wissenschaft ausführen muß, um zur Anerkennung und öffentlichen Geltung zu gelangen, selbst die Richtung, die somit an sich von ihr autorisiert und vor dem Richterstuhl, vor welchem die geschichtlichen Kollisionen beurteilt werden, absolut gerechtfertigt ist. Es wäre nämlich Trägheit und ein Grundsatz, der ihre Verdammung und ihren Tod mit Recht herbeiführen würde, wenn die Wissenschaft deshalb, weil sie von der bestimmten Regierung nicht anerkannt ist, vergessen wollte, daß sie dennoch inneres Moment des Staatslebens ist, und nun an das Urteil der Weltgeschichte appellieren wollte. Es ist wahr: ihr Prinzip kann nicht untergehen, es ist ebenfalls nicht zu leugnen, daß ihre Allgemeinheit in einem bestimmten Staat nicht erschöpft werden kann und den Konflikt mehrerer Staaten fordert, um sich durchzusetzen, aber ebensosehr ist es geschichtliches Gesetz, daß immer nur ein Staat an der Spitze einer großen Aufgabe stehen kann und daß das Gesetz der individualisierenden und vertiefenden Sparsamkeit erst dann einen neuen Staat an die Spitze ruft, wenn der früher berufene in der Arbeit ermüdet ist. Wo also die Wissenschaft in eine Kollision versetzt ist, da muß und wird sie zunächst bleiben und im Glauben, daß hier, wo ihre Spannung mit dem Postulat der Kirche als Ergebnis einer Geschichte von Jahrhunderten herbeigeführt ist, ihr Wachtposten sei, an der Auflösung der Spannung arbeiten. Auch die Kirche, welche nun von der Regierung zwischen sich und die Wissenschaft gestellt ist, darf sich nicht beklagen, wenn sich im Kampf mit ihr die Wissenschaft zu guter Letzt noch einmal bewähren soll. Die Regierung, von der sie ihre Selbständigkeit nie mehr zurückerhalten wird, hat ihr die Stellung eines Mittels gegen die Wissenschaft gegeben: warum erkennt sie diese Stellung so bereitwillig an und vergißt sie nun auf einmal die Forderung ihrer Selbständigkeit? Doch nein, sie vergißt ihre Satzungen nicht! Läßt sie sich auch als Mittel gebrauchen, so muß sie in ihrem Bewußtsein die Sache umkehren und betrachtet sie von ihrer Seite wieder die Regierung als Mittel gegen die Wissenschaft. Ist über die letztere nun das Schuldig! auszusprechen, wenn sie, durch die Kirche gezwungen, als Opposition gegen die bestimmte Regierung erscheint? Ist sie schuldig, wenn sie die von der Regierung als Mittel benutzte abstrakte Allgemeinheit der Kirche, die sich nun wieder als Macht über Regierung, Wissenschaft und den gesamten Staat behaupten will, wo sie dieselbe nur antrifft, ihrer Kritik unterwerfen muß? Ja, sie ist schuldig, aber nur in dem Sinne, daß sie eine große von der Geschichte verursachte Schuld übernehmen muß. Sie ist aber die Macht, welche die Schuld auch sühnt. Ihr Speer ist jedermann bekannt und wird seine Kraft nicht verloren haben. Darin also ist der neuere Staat noch christlich, daß die Kirche nach ihrem Sturz noch einmal als abstraktes Postulat aufsteht und innerhalb des Staats als ein Moment, und zwar als Mittel gegen die Wissenschaft dient.

Die Sache ist unvermerkt weit vorwärts geschritten und sehr ernst geworden. Es scheint gewiß zu sein, daß sie im preußischen Staat entschieden werden soll.

In diesem Staate ist wenigstens durch die Unionsakte die Entwicklung der Kirche in rechtlicher Form bis zu dem Punkte geführt, wo sie noch in keinem der frühern „christlichen“ Staaten angelangt war, beim Punkte ihrer völligen Auflösung. Bei mehreren hat die Auffassung der Union, die ich in der Schrift über die Landeskirche mitgeteilt und in der Dialektik der dahingehörigen Bestimmungen entwickelt habe, Anstoß erregt, aber niemand hat auch nur den Versuch gewagt, diese Dialektik auseinanderzureißen, und niemand wird es auch vermögen. Man hat sogar zugeben müssen, daß die Kirche allerdings für aufgelöst anzuerkennen sei, wenn sie als Kirche mit ihrer Erklärung, daß die Schrift die einzige Norm des Glaubens sei, in "Widerspruch treten müsse. Aber, hat man gesagt, über diesen Widerspruch sei die Kirche längst hinaus, und sie könne bestehen, auch ohne in seine Gefahr zu stürzen. Nun, so beweist es denn, daß dieser Widerspruch der Kirche nicht eigen sei, beweist es, daß diese Gallerte, welcher der kirchliche Widerspruch fehlt, dieser Dunst, dieser marklose Schwamm, dieses armselige Ding, das weder Ja noch Nein ist, noch Kirche sei. Wenn die kirchlichen Symbole gefallen sind – und sie sind längst gefallen: oder habt ihr aus den letzten fünfzig Jahren eine Dogmatik aufzuweisen, welche die symbolischen Bücher in irgendeinem Punkte unverletzt ließe? –, wenn die Subjektivität auf ihre eigne Hand den als absolut vorausgesetzten Buchstaben der Schrift heuchlerisch sich zurechtlegt und seiner Absolutheit beraubt, dann gibt es keine Kirche mehr. Dann gibt es Richtungen, Parteien, Schulen, die als theologische nicht einmal die höchsten Interessen der Gegenwart enthalten und endlich so weit sinken, bis es klar ist, daß der wahre Gehalt des Selbstbewußtseins ganz woanders enthalten und entwickelt wird – in der Wissenschaft und Politik. Die theologischen Richtungen mit ihren Bibelerklärungen, mit ihren Zänkereien und sogenannten Systemen haben nur die reine Kategorie der Beschränktheit aus dem früheren kirchlichen Bewußtsein beibehalten, der wahre Gehalt ist in neuen Formen ein wesentlich anderer geworden; und mit jener einen Kategorie, die sie in ein paar notdürftigen Tautologien wiederholen, sollen sie eine Kirche oder gar die Kirche bilden? Wo denkt ihr hin, oder wo sollen wir hindenken? Wenn es einmal eine Kirche geben soll, dann dürfte es wenigstens nicht das Unding sein, in welchem Paragraphen herrschen sollen, die irgendein Päpstlein sub titulo jener Kategorie mühsam zusammengeschweißt und rubriziert hat.

Die Ansicht, nach welcher der Philosoph behaupten soll, daß die Kirche ein „Außending“ sei, daß die evangelische Kirche in den letzten drei Jahrhunderten „nicht in ihrer Innerlichkeit gelebt oder das Selbstbewußtsein in ihr sich nicht gefunden habe“, verdient keine Berichtigung, weil sie sich nicht die Mühe nimmt, die Entwicklung des Gegners genauer anzusehen. Es wäre unnütz, wenn wir entgegnen wollten, daß in den Dogmen das Selbstbewußtsein in der Form des reinen Bewußtseins sein Wesen zum Gegenstande habe, daß es in den Satzungen selbst in seiner Innerlichkeit lebe und daß dieses Leben, wenn es auch in einer jenseitigen Welt geführt werde, nicht ohne Anklang in der wirklichen Subjektivität bleibe – es wäre unnütz, denn der Theologe muß vor lauter Schrecken und Angst die Philosophie mißverstehen.

Als Friedrich Wilhelm III. die Union zum Gesetz erhob, waren die kirchlichen Unterschiede längst schon gefallen, und man sollte demnach meinen, daß es nur eines Wortes bedurft hätte, um dasjenige, was sich allmählich verbreitet hatte und an sich vollständig vorhanden war, zum Gesetz zu erheben und dem Gesetz die Zustimmung aller zu verschaffen. Zum Teil geschah es allerdings: das königliche Wort, welches zur Einigung der kirchlichen Gegensätze aufforderte, fand überall begeisterten Anklang, aber die Zeit wußte doch nicht eigentlich, wie ihr geschah, und im Hintergrunde der Szene stand noch im Verborgenen die Ironie der Geschichte, welche die unbestimmte und dumpfe religiöse Anregung, welche den Kriegsjahren folgte, dazu benutzte, um die Sichtbarkeit der Kirche zu stürzen. Nachher, zumal als der Union ihre Konsequenz, die Agende nachgeschickt wurde, erhob sich zwar eine ansehnliche Opposition, welche gegen die Anmaßungen des Staats die Selbständigkeit der Kirche sicherstellen oder sie von der Despotie der Regierung zurückfordern wollte. Im weiteren Gefolge dieser Streitigkeiten regten sich die lutherischen Unruhen. Der Eigensinn aber, mit dem die besondern kirchlichen Ansprüche sich durchzusetzen suchten, die fade Kriecherei, welche auf der andern Seite die Kabinettsordren verteidigte und, wenn sie sich hoch verstieg, nicht weiter als bis zu dem Gedanken kam, daß nur „unwesentliche“ Bestimmungen bisher die Kirchen getrennt hätten: beides bewies nur von neuem, daß die Kirche als solche untergegangen sei. Der Eigensinn machte die Kirche zur Sekte, die Theologie des „Unwesentlichen“ zu einer Magd des Hofes. Beide Sekten schufen sich durch ihre innere Natur ihr Schicksal – oder hätte es wohl der polizeilichen Maßregeln gegen die lutherischen Unruhen bedurft, wenn die Dialektik der ganzen Angelegenheit, um die es sich handelte, wissenschaftlich ausgeführt gewesen wäre? Der König stand allein. Darauf konnte er nicht warten, daß das Gesetz, welches die Aufnahme des kirchlichen Gehalts in das Staatsleben vollendete, wissenschaftlich gerechtfertigt wurde. In den konstitutiven Kabinettsordren hatte er als Gesetz ausgesprochen, was in der Erscheinung der wesentliche Inhalt war – sollte er nun deshalb das Gesetz zurücknehmen, weil der Kampf eintrat, welcher immer mit einer welthistorischen Umwendung verbunden ist, weil nämlich die Erscheinung sich noch einen Augenblick gegen ihre Idealität, die sie im Gesetz hat, wehrte? Auch das Ministerium trug zur Auflösung der Verwirrung nicht in dem Sinne bei, daß es sich ganz und gar in die innere Notwendigkeit des Gesetzes geworfen und von diesem Mittelpunkte aus die uneinigen Gemüter beherrscht, die unklaren zur Vernunft gebracht hätte. Es führte allerdings die positiven Bestimmungen mit treuer Hingebung durch und behauptete sie gegen die einzelnen Parteien, aber wie es anfangs selber unvorbereitet durch die beiden konstitutiven Kabinettsordren überrascht wurde, so war es innerlich auch nachher noch unsicher und ängstlich darüber, ob eine Sache, die so viele oft unreine Leidenschaften reizte, selber durchaus rein sei. Mit unerschütterlichem Heroismus schritt der König über alle Hindernisse hinweg und hielt er sein Werk aufrecht. Der Geist seines Hauses, welches vier Jahrhunderte hindurch an derselben Aufgabe gearbeitet hatte, trieb ihn, gab ihm Heldenkraft und die Gewißheit seiner geschichtlichen Berechtigung. In der Erscheinung war dieses Werk der Union Tyrannei, aber es war die notwendige Tyrannei der Vernunft. Sein Stil war byzantinisch, seine Form die der absoluten Monarchie, aber es ist zugleich die Macht, welche selbst wieder jenen Stil und diese Form aufhebt. Es ist das höchste Werk der absoluten Monarchie, aber auch ihr letztes: wenn die sichtbare Kirche gestürzt ist, die kirchlichen Unterschiede als solche aufgehoben und in die Bewegung des Staates aufgenommen, hier aber im Staatsbewußtsein zur wissenschaftlichen Form vollendet und in dieser als berechtigt anerkannt sind – dann ist der Staat selbst in eine neue Form übergegangen, und die Unterschiede, in denen er sich bewegt, sind freigelassen, damit sie sich durch ihre freie Bewegung wieder in Einheit setzen.

Dieselben Leute, welche noch vor kurzer Zeit die Union als das Höchste priesen und mit ihren salbungsvollen Reden über das Unwesentliche der kirchlichen Unterschiede dem Thron ein wohlgefälliges Opfer darzubringen sich befleißigten, sehen nun unter andern Zeitverhältnissen, zumal nachdem die Wissenschaft sich als die innere Union zu beweisen angefangen hat, auf dasselbe, was sie früher so angelegentlich priesen, sehr verächtlich herab. Jetzt heißt ihnen die Union auf einmal etwas „bloß Äußerliches“, etwas „Fragmentarisches“, und mit diesem Fußtritt, den sie dem früher Gepriesenen geben, versetzen sie sich selbst in einen erhitzten Transport, in welchem sie den höhern Aufgang von etwas Neuem sehen, ohne uns irgendwie sagen zu können, worin dies Neue bestehe. Unflätige, byzantinische Schmeichelei! „Was sagt Cordelia nun?“

Sie wird nicht schweigen! Nein, ihr Schwestern, die ihr den Vater, der euch genährt, geschmückt und beschenkt hat, so bald verratet, so schnell ist die Sache nicht abgetan! Die Wissenschaft wird nicht schweigen! Sie wird das Gut, welches der Heldenmut eines Fürsten dem Staate anvertraut hat, wenn es die Priesterschaft, oder welche Partei es sein mag, nicht in Obacht nimmt, in Schutz nehmen und sich als die wahre Macht der Union beweisen.

So mag denn der Kampf, der nun einmal unvermeidlich scheint, immerhin kommen. Die Wissenschaft wird zu ihm gezwungen.

Wenn ihr nun von der Regierung das Postulat der Kirche und Kirchlichkeit als ein Maßstab, woran sie sich bewähren, d. h. – da sie als Denken in alle Ewigkeit nicht kirchlich werden kann – als das Mittel entgegengehalten wird, wodurch sie die Notwendigkeit ihrer Verdammung und Ausschließung aus dem Staatsleben selbst erfahren solle, so hat sie nichts dagegen, wenn nur die Regierung mit dem Gebrauch dieses Maßstabes und Mittels Ernst macht, d. h. es wirklich und in der Tat darauf ankommen läßt, ob der Wissenschaft von dem Postulat der Kirche ihre Verdammung als notwendig und gerecht bewiesen werden kann. Auf diesen Beweis und damit auf die wissenschaftliche Begründung kommt es an. Wird vor dem Prozeß gehandelt und auf den Ausgang des Kampfes, der in jedem Falle doch durchgeführt wird, keine Rücksicht genommen, so müßte eine Erscheinung eintreten, die so unnatürlich und unerträglich ist, daß sie nicht lange bestehen kann: das geschlagene Prinzip – das apologetische ist aber in der Tat schon geschlagen – würde herrschen, es würde also auch nur über die schwächsten und untergeordneten Glieder des Staatsorganismus herrschen können und die von der Wissenschaft repräsentierte und angeeignete Kraft des Ganzen – ungeheure Anomalie! – als eine Privatsache dastehen. Kein anderer Ausweg bleibt daher für die Regierung übrig als derjenige, daß sie beide Gegner, solange sie von ihr selbst zusammengebracht sind, anerkennt und sich von dem Postulat der Kirche nicht als Mittel gegen die Wissenschaft benutzen läßt.

Und nun noch ein Wort an die kirchlichen Postulanten! Das Alte könnt ihr nimmermehr wiedergewinnen – fragt doch nur eure Kräfte und die Geschichte! Und Alles könnt ihr noch viel weniger gewinnen. Eine ganz andere Frage ist es, die jetzt an die Reihe kommen und zur Tagesordnung werden wird. Zur Zeit der Reformation hatte der Glaube die Form der Religiosität, der Gemeinde und ihres Kultus bestimmt. In unsern Zeiten wird dem Glauben, wie er Kritik und Wissenschaft geworden ist, dies Geschäft bald übertragen werden müssen. Noch ist es vielleicht Zeit! Schließt euch durch Verdammung und Exkommunikation des Gegners nicht zu hartnäckig gegen die Arbeit ab, welche jene Frage fordern wird, und tut nicht so spröde gegen unsere inneren Kämpfe, welche doch einmal die Kämpfe der Gegenwart sind. Wollt ihr sie aber gar nicht kennenlernen, durchaus nicht anerkennen, so möchte bald die Zeit kommen, wo die Wissenschaft, nachdem sie alles eingenommen, allen Gehalt des Alten sich angeeignet hat, euch die Worte zurufen muß, die ihr l. c. beim Tertullianus nachlesen könnt. Bedenkt, noch ist es vielleicht Zeit! Vielleicht nur noch ein Augenblick, und ihr habt – alles versäumt und verloren.



Zuletzt aktualisiert am 20.5.2009