Eduard Bernstein

 

Die Grenzen der Leistungsfähigkeit internationaler Congresse

Aus Anlass des Züricher internationalen Socialisten- und Arbeitercongresses

(1893)


Ursprünglich: Neue Zeit, XI. Jg. 2. Bd., Nr.48, 1892-93, S.644-652.
Diese Version: Eduard Bernstein: Zur Theorie und Geschichte des Socialismus: Gesammelte Abhandlungen, Bd.2, Berlin 1904, S.5-13.
Transkription/HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Trotz heftigen und bisweilen sogar unerquicklich hitzigen Aufeinanderplatzens der Gegensätze hat der vom 6. bis 12. August d.J. in Zürich abgehaltene internationale Socialisten- und Arbeitercongress einen durchaus befriedigenden Abschluss gefunden. Die Delegierten des Congresses konnten mit dem befriedigenden Bewusstsein die Heimreise antreten, ein gutes Stück positiv fördernder Arbeit für die Sache des Socialismus geleistet zu haben. Der Congress hat von den ihm unterbreiteten Fragen mehr zur Erledigung gebracht, als angesichts der Zeitverluste erhofft werden konnte, die ihm durch die anarchistische und halbanarchistische Obstruction verursacht wurden. Das er nicht sein ganzes Pensum erledigen konnte, ist ein Schicksal, das er mit den meisten Parlamenten teilt. Und der Congress war ein Parlament, wie alle zukünftigen Congresse Parlamente sein werden. Nichts thörichter, als dem Dogma von der Verwerflichkeit des Parlamentarismus zuliebe das Wort umgehen zu wollen. —

Was können und was sollen internationale socialistische und Arbeitercongresse? Sie sind zunächst keine Gelehrtentage. Es handelt sich bei ihnen nicht um Feststellung objectiver wissenschaftlicher Ergebnisse. Sie sind auch keine Concilien, die zusammen kommen, um für alle Zeit giltige Dogmen aufzustellen. Sie sind Zusammenkünfte, um praktischen actuellen Forderungen der Arbeiter und der Arbeiterparteien Ausdruck zu geben, die allgemeinen Tendenzen der Bewegung festzustellen und über die zweckmässigste Art der Geltendmachung dieser Forderungen und Tendenzen sich zu verständigen.

Es liegt nun auf der Hand, dass es die reinste Thorheit wäre, zu diesen Congressen solche Leute einzuladen, die mit Bezug auf die hier in Betracht kommenden fundamentalen Fragen unter allen Umständen gegnerische Ansichten vertreten. Schliesslich können die Kämpfe für die Ziele der Arbeiterbewegung doch nur auf zwei Gebieten ausgefochten werden, auf dem politischen und dem ökonomischen. Auf jedem dieser Gebiete giebt es verschiedene Formen und Arten der Bethätigung und eine weite Reihe fördernder Massregeln, und beide Bethätigungsgebiete bedürfen der Ergänzung durch einander. Über das Wie und Wo der Zweckmässigkeit der einzelnen Massregeln ist die Discussion eine offene, und eine Meinungsverschiedenheit kann da kein Grund des Femhaltens oder Fernbleibens sein. Wer aber nicht bloss eine oder einige bestimmte Massregeln, sondern die ganze weite und umfassende Kategorie der Bethätigungen verwirft, die unter den Begpriff der politischen Action fallen, wie ihn der Züricher Congress definiert hat, wer auf diese Weise die actuellen Bedürfnisse der Arbeiterclasse einem vorhergefassten Dogma schlechtweg aufopfert, statt die Mittel der Abhilfe an der Hand von Theorie und Erfahrung zu prüfen, dessen Anwesenheit hat auf einem solchen Congress ebensowenig Zweck, als die des Vertreters irgend einer religiösen Verbindung von Arbeitern, bei der die Zwecke der betreffenden Religionsgemeinschaft für die Stellungnahme zu allen übrigen Fragen den Ausschlag geben.

Es ist lächerlich, hier von Intoleranz zu sprechen. Irgendwo muss für alle derartigen Zusammenkünfte eine Grenze gezogen werden, und darum zieht man sie eben so, dass die Möglichkeit eines positiven Resultats gesichert bleibt. – –

War und ist also die Abgrenzung des Congresses in Bezug auf seine Besucher eine notwendige Vorbedingung des Erfolges seiner Beratungen, so hat sich mir während der Debatten desselben auch die Überzeugung aufgedrängt, dass es wünschenswert ist, sich für die Zukunft darüber klar zu werden, wie weit ein internationaler Congress verständigerweise in seinen Beschlüssen gehen darf.

Die Frage hängt bis zu einem gewissen Grade mit der der Stellung zu den Anarchisten zusammen. Was die Zulassung dieser vor allem unthunlich macht, ist, wie schon erwähnt, ihr Dogmatismus. Für sie giebt es keine Geschichte, keine Entwicklung, keine Rücksicht auf den Unterschied in den Verlältnissen. Welchen Stand der Entwicklung ein Volk auch erreicht hat, unter welchen Verhältnissen auch die Arbeiter und Socialisten eines Landes zu kämpfen haben, unterschiedslos ist der Codex der Mittel und Wege des Anarchismus zu befolgen. Sein „Du sollst nicht wählen. Du sollst nicht in Parlamente eintreten. Du sollst nicht Gesetze befürworten etc.“ gilt für alle Zeiten und alle Länder und ist deshalb auch so absolut unfruchtbar. Indes wäre es Blindheit, zu verkennen, dass in abgeschwächter Form ein ähnlicher Dogmatismus auch vielen Socialisten noch im Blute steckt, als Erbschaft aus der Zeit des Utopismus. Wir sind alle etwas geneigt, aus Fragen der Zweckmässigkeit solche des Princips zu machen, und was uns für bestimmte Verhältnisse richtig erscheint, auf alle Verhältnisse auszudehnen. Ist das nun schon für eine einzelne nationale Partei, die doch immerhin die Verhältnisse ihres Landes genau kennt, bedenklich, so um so mehr für einen mtemationalen Congress, der beschickt wird von Ländern, die auf den verschiedensten Stufen der Entwicklung stehen und eine sehr verschiedene Geschichte haben. Hier kann die Grenzlinie zwischen reinen Zweckmässigkeitsfragen, die sich in den verschiedenen Ländern verschieden stellen, und solchen der in allen Ländern, wo überhaupt die capitalistische Productionsweise ihren Einzug gehalten, sich immer mehr gleichmässig gestaltenden allgemeinen Tendenz der Bewegung nicht streng genug auseinander gehalten werden. Ob in einem Lande die Bourgeoisie praktisch Alleinherrscherin ist oder noch mit starken feudalen, kleinbürgerlichen oder kleinbäuerlichen Bevölkerungsschichten um die Herrschaft zu ringen hat, ist für die allgemeinen Ziele und die fundamentalen Forderungen der Arbeiterbewegung unwesentlich, nicht unwesentlich dagegen für die Taktik der Arbeiterparteien. Das Gleiche gilt mit Bezug auf die Frage der politischen Einrichtungen, resp. des Höhestandes der politischen Entwicklung. Aus diesem Grunde scheiden meines Erachtens Fragen der Taktik aus der Reihe der auf internationalen Congressen zu entscheidenden Fragen aus. Es ist unmöglich, eine für alle Länder gleichmässig geltende Richtschnur aufzustellen. Was für das eine richtig ist, kann für das andere falsch sein, was für das eine mit geringen Schwierigkeiten verbunden ist, kann für das andere im gegebenen Moment nur mit unverhältnismässig grossen Opfern durchzuführen sein.

Ohne principiell diese Grenze zu statuieren, hat der Congress doch thatsächlich sie im allgemeinen durchaus inne gehalten. Nur in wenigen Puncten sind kleine Verstösse gemacht worden, und auch diese sind meist nur formeller Natur. So ist man im Absatz II des Beschlusses über die Maifeier etwas weiter gegangen, als man nach dem obigen hätte gehen dürfen, allerdings wohl nur, weil die meisten der diesem Absatz zustimmenden Delegierten sich der Tragweite desselben in seiner jetzigen Fassung nicht vollständig bewusst waren. Dieser Paragraph legt der Socialdemokratie jedes Landes die Pflicht auf, „jeden Versuch zu unterstützen, der an einzelnen Orten und von einzelnen Organisationen“ in der Richtung der allgemeinen Arbeitsruhe gemacht wird, und Bebel hat auf dem Congress schon ausgeführt, dass dies unter Umständen heissen kann, die Majorität zu verpflichten, wider ihre bessere Ueberzeugung Beschlüssen einer Minorität Folge zu geben. Indes wenn auch der genaue Wortlaut der Resolution diese Folgerung rechtfertigt, so zeigten schon die Unterbrechungen, die Bebels hierauf bezügliche Ausführungen von den anderen Delegierten erfuhren, dass der Beschluss nicht in dieser Rigorosität gemeint war, wenigstens nicht von der Mehrheit derer, die für ihn stimmten. –

Ein Versuch, den Socialisten aller Länder ohne Rücksicht auf die jedesmaligen besonderen Verhältnisse eine gebundene Marschroute vorzuschreiben, wurde in der Frage der Taktik gemacht. Er ging hauptsächlich von den mit den Anarchisten sympatisierenden Holländern aus. Nach ihnen sollte die politische Action unter keinen Umständen in der Form von Compromissen und Alliancen mit anderen Parteien ausgeübt werden. Das klingt fürchterlich radical, ist aber in Wirklichkeit die grösste Absurdität. Wenn die Arbeiterpartei durch einen Compromiss oder eine Alliance für die Arbeiter wesentiche Erleichterungen im politischen oder ökonomischen Kampf erzielen kann, wem zuliebe handelt sie, wenn sie auf dieselbe verzichtet? Dem Princip ? Ich kenne kein Princip, das jede Alliance, jeden Compromiss schlechtweg verbietet. Es kommt immer auf die Umstände und die Natur derselben an. Wir schliessen im täglichen Leben tausend stille Compromisse mit unserer Umgebung, weil sonst ein gesellschaftliches Zusammenleben geradezu unmöglich wäre – warum soll der bewusst und öffentlich geschlossene politische Compromiss an sich schon, d.h. ohne Unterschied von Zweck und Natur, verwerflich sein? Ich kann mir tausend Fälle denken, wo das Abschliessen eines politischen Compromisses die denkbar moralischste Handlung, die höchste Pflicht wäre. In keinem Lande liegen meiner Ansicht nach die Dinge so, dass nicht Möglichkeiten eintreten können, wo es für die Socialdemokratie ein Verbrechen an sich und der Arbeiterclasse wäre, von dem Abschluss eines Compromisses Abstand zu nehmen, wenngleich natürlich diese Möglichkeiten in den einen Ländern weniger zu erwarten sind als in den anderen. Wie anmassend nun von den Socialisten eines Landes, wo die Eventualität einer solchen Situation gering ist, den Socialisten eines anderen Landes, wo sie im Gegenteil sehr naheliegend ist, zurufen zu wollen: Eure politische Action darf unter keinen Umständen den Vorwand für eine politische Alliance abgeben. Die Mehrheit des Congresses hat das eingesehen, und nur solche Alliancen und Compromisse verpönt, die „eine Schädigung unserer Principien oder unserer Selbständigkeit bedingen“. Damit hat sie die Arbeiterpartei keines Landes in ihrer Actionsfreiheit beengt, denn was sie verlangt, ist im Grunde nur die Beobachtung der Anforderungen des Selbsterhaltungsprincips. Freiwillig und bewusst giebt schwerlich eine Partei ihre Grundsätze und ihre Selbständigkeit auf, und so ist der von der grossen Mehrheit des Congresses acceptierte Passus vor allen Dingen eine Warnung, sich nicht von Individuen oder anderen Parteien auf das Glatteis selbstmörderischer Compromisse etc. verleiten zu lassen.

Aber noch einmal, bei weitem nicht jeder Compromiss oder jede Alliance ist selbstmörderisch. Je besser organisiert und je mehr ihrer Ziele und ihres Verhältnisses zu den anderen Parteien bewusst die Arbeiterpartei, resp. die Socialdemokratie ist, mit um so geringerer Gefahr kann sie in dieser Hinsicht vorgehen. Es ist nicht Furcht, durch Compromisse geschädigt zu werden, was die deutsche Socialdemokratie heute abhält, solche einzugehen, sondern die Überzeugxmg, dass sie deren nicht bedarf, dass sie von keiner der bürgerlichen Parteien wesentliches zu erwarten hat. Sollten aber Verhältnisse eintreten, wo dies doch der Fall wäre, so würde sie sehr thöricht handeln, aus purem Doctrinarismus auf die zweckmässigste Verfechtung der von ihr verfochtenen Interessen zu verzichten. Auf mich macht das Abschwören aller Compromisse, weil man sonst leicht an seinen Principien und seiner Selbständigkeit Schaden leiden könne, immer nur den Eindruck des Gelübdes jenes Mädchens, das nicht tanzen wollte, weil es dadurch „verdorben werden“ könne. Die Tugend, die solcher Vorsichtsmassregeln bedarf, ist gewöhnlich nicht weit her, und mit Recht betrachtet der gesunde Menschenverstand die Einsiedler aus Moralität mit sehr skeptischen Augen.

Ich will indes auf diese Frage hier nicht weiter eingehen, sondern sie gelegentlich einer ausführlichen Erörterung unterziehen. Genug, der Congress hat sehr weise daran gethan, der schönen Phrase zuliebe nicht die noch schönere Sache – die Wahrung der Interessen und Rechte der Arbeiterclasse – aufzuopfern. Ebenso hat er sehr Recht gethan, wenn er die Zusatzresolution der Holländer, Verbesserungen in der Lage der Arbeiter innerhalb der heutigen Gesellschaft nur im Sinne einer Verbesserung ihrer Kampfstellung willkommen zu heissen, platt unter den Tisch fallen Hess. Entweder war diese Resolution überflüssig, denn in letzter Instanz ist heute jede Verbesserung in der Lage der Arbeiter auch eine Verbesserung ihrer Kampfstellung – wenn sie das letztere nicht ist, ist sie eben auch das erstere nicht. Oder aber der Antrag verbietet, für hygienische Schutzmassregeln, gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit etc. einzutreten, weil sie sich nicht direct auf die Kampfstellung der Arbeiter beziehen, und dann ist er die höchste Albernheit.

Merkwürdig ist es immerhin, wie gerade diejenigen, die sonst nicht genug von Wahrung des Selbstbestimmungsrechts der einzelnen Länder sprechen können, einen geradezu fanatischen Eifer entwickelten, anderen Ländern Verbote aufzunötigen, die meist nur der Ausfluss ihrer durch die heimische Situation bewirkten Stimmung sind.

Ein dritter Punct, wo eine Anzahl Leute den Congress veranlassen wollten, über die Grenzen der Befugnisse internationaler Congresse hinauszugreifen, war die vielbesprochene Forderung, in jedem Lande das Ausbrechen eines Krieges mit dem militärischen und ökonomischen Generalstrike zu beantworten. Vom ökonomischen Strike schweige ich, denn der tritt in Kriegsfällen gewöhnlich von selbst ein, wenn auch freilich in Gestalt allgemeiner Geschäftsstockung. Aber es war, wie zum Teil schon auf dem Congress betont wurde, eine merkwürdige Zumutung von den Socialisten eines Landes, das erstens fast ganz ausserhalb der grossen europäischen Verwicklungen steht, in dem die Wahrscheinlichkeit eines Krieges äusserst gering ist, und das zweitens keinen eigentlichen Militarismus hat, den Socialisten der Länder, die in dieser Hinsicht hundertmal ungünstiger stehen als sie, eine dieselben eventuell den grössten Verfolgungen blosstellende und in ihren Consequenzen so zweischneidige Verpflichtung auferlegen zu wollen. Das sah auch die übergrosse Mehrheit des Congresses ein und lehnte die betreffende, von den Holländern – worunter hier immer die von Nieuwenhuis geführte Mehrheit der holländischen Delegation verstanden ist – beantragte Resolution ab, wobei zu bemerken ist, dass unter den Ablehnenden sich sehr viele befanden, die entweder nach Lage der Dinge in ihrer Heimat oder aus persönlichen Gründen ohne Gefahr für den Antrag hätten eintreten können, denen man also nicht vorwerfen kann, sie hätten aus Feigheit gestimmt. Andererseits ist vielleicht die beste Charakteristik des holländischen Antrages, dass auf dem von den Anarchisten arrangierten „freien“ Congress der Vorsitzende, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die mit einer positiven Abstimmung verbundenen Gefahren, nur negativ über sie abstimmen liess.

So hat die grosse Mehrheit des Congresses fast durchgängig den richtigen Takt dafür bewiesen, was international zu postulieren ist, und was den einzelnen Nationen, bezw. den Socialisten und organisierten Arbeitern der einzelnen Länder überlassen bleiben muss. Sie hat sich dadurch als in Wirklichkeit viel freier bewiesen, wie ihre Widersacher. Nicht wir „Marxisten“, sie sind die Dogmatiker. Nicht wir sind es, die zwangsmässig alles in das gleiche Prokrustesbett spannen wollen, sondern jene, die beständig das Wort „frei“ im Munde führen und darunter doch nur einen ganz verknöcherten Begriff verstehen. Verknöchert sich doch alles bei ihnen. Was haben sie z.B. nicht aus dem Begriff des Classenkampfes gemacht! Eine einseitige, stumpfsinnige Doctrin, die alles ignoriert, was nicht Kampf der Arbeiter gegen die Capitalisten ist. Aber die Gesellschaft besteht nicht nur aus Arbeitern und Capitalisten, andere Classen bestehen neben ihnen, kämpfen unter einander und mit der Bourgeoisie, und diese Kämpfe sind unter Umständen von grösster Wichtigkeit für die Arbeiterclasse, weil von ihrem Ausgang je nachdem die Position der Arbeiter erheblich verbessert oder aber benachteiligt werden kann, weil selbst die blosse Thatsache dieser Kämpfe als Hebel der Förderung der Interessen des Proletariats ausgenütrt werden kann. Ich verkenne die Gefahr opportunistischen und possibilistischen Überschätzens der wechselnden Constellationen und Conjuncturen des Tages durchaus nicht, und es liegt mir fern, einer schwächlichen Augenblickspolitik das Wort zu reden. Wir sollen die grossen Gedanken und das Endziel unserer Bestrebungen stets vor Augen haben. Aber eine Politik, die nur den letzten Act unseres Kampfes ins Auge fasst und was für diesen letzten Act passen mag, für alle Verhältnisse und unter allen Umständen anwenden will, will mir absolut nicht einleuchten. Keine Compromisse, das wird uns papageienmässig vordeclamiert. Ich habe schon gezeigt, warum der Satz nach meiner Ansicht in dieser Absolutheit grundfalsch ist. Aber relativ acceptiere ich ihn in vieler Beziehung, und vor allem in der einen keine Compromisse mit der tönenden, Sinn und Verstand umnebelnden Phrase. So hat es auch der Congress praktisch bethätigt. Im engeren Verkehr, namentlich in den Commissionen, hat man gelernt, sowohl die Gleichartigkeiten als auch die Verschiedenheiten in den Verhältnissen der einzelnen Länder zu würdigen und zu berücksichtigen. Von Congress zu Congress lernen die Vertreter der Arbeiter der verschiedenen Länder die Bedingungen des Kampfes ihrer Genossen anderwärts besser kennen, und die gewonnene Erkenntnis teilt sich immer weiter mit. Manche Illusion wird dadurch vielleicht zerstört, aber vieles erfahren wir dafür, was uns wieder erhebt, vieles wird uns begreiflich, was uns vorher unerklärlich schien. Ich fürchte, schon zu lang geworden zu sein, und will hier abbrechen, obwohl ich zu dem zuletzt berührten Thema noch viel zu sagen hätte. Darum zum Schluss nur noch soviel. Der Congress hat ein weit grösseres Stück der ihm überwiesenen Arbeiten erledigt, als anfangs erwartet werden durfte, und es fast durchgängig in einer Weise erledigt, die, ohne die geringste Abschwächung unseres Ziels, ohne das leiseste Nachlassen in der Energie seiner Verfolgung zu bedeuten, den festen Entschluss bekundet, sich nicht von dem Boden der realen Thatsachen abdrängen, sich zu keinen anderen Beschlüssen hindrängen zu lassen, als solchen, die wir sowohl den Willen als die Kraft haben, innezuhalten. Damit hat er sich ein würdiges Denkmal in der Geschichte der internationalen Congresse gesetzt.


Zuletzt aktualisiert am 26.1.2009