Bismarck u. Lassalle: Briefwechsel

 

Lassalle an Bismarck

(Original)

 

Berlin, 5. Februar 1864.

Excellenz!

Etwas sehr wichtiges und diesmal sehr leicht zu Erledigendes, so daß ich die Zeit Ew. Excellenz, wie überbürdet dieselbe jetzt auch sein mag, auf einen Augenblick in Anspruch nehmen muß!

Binnen 8 bis 10 Tagen erscheint lebt mein Werk – der „tödliche Bolzen“, an dem ich seit vier Monaten Tag und Nacht schärfe – betitelt: Herr Bastiat-Schulze von Delitzsch, der ökonomische Julian, oder Kapital und Arbeit.

Es wäre mir penibel von Ew. Excellenz in den Verdacht der Autoreneitelkeit genommen zu werden! Aber ich muß trotzdem Ew. Excellenz sagen, daß dies Werk die gründlichste Vernichtung der Fortschrittspartei und des ganzen liberalen Bürgertums – denn mit diesen beiden, nicht mit der Person des nur als Typus in Betracht kommenden Herrn Schulze habe ich es in dem Werk zu tun – herbeiführen wird. Es wird eine frenetische Wirkung im Arbeiterstand haben und nicht blos in diesem, sondern alles, was noch intelligent ist in der Nation gegen die Fortschrittler auf die Beine bringen.

Es ist, mit einem Wort, genau das, was als Vorläufer des allgemeinen Wahlrechts nötig ist.

Zugleich bin ich in der Lage, abgesehen von dem Aufsehen und der Verbreitung, welche das Buch sich selber schaffen wird, durch ein einfaches Reskript seine Vorlesung in allen Arbeiterversammlungen Deutschlands anordnen zu können.

Prägt sich also nur, ob nicht die hiesige Staatsanwaltschaft wieder, wie bei meiner Rheinischen Rede und bei meiner Ansprache an die Arbeiter Berlins, darin Aufreizung zu lieb und Verachtung gegen Staatsangehörige etc. etc, sehen und eine Beschlagnahme veranlassen wird. Grund dazu ist zwar nicht im geringsten vorhanden, es ist ein durchaus wissenschaftliches Werk und ich habe die schwersten Felsblöcke der Wissenschaft herbeigerollt, um unsern Gegner zu zerschmettern.

Aber bei Gott und der preußischen Staatsanwaltschaft ist nichts unmöglich, zumal der Lector auf dem hiesigen Zentralbureau, Herr Friedländer, ein leidenschaftlicher Fortschrittler ist

Hier kann nun der Justizminister auf die leichteste und einfachste Weise Schub gewähren. Was verfolgt wird, hängt lediglich vom Staatsanwalt und dieser vom Justizminister ab. Derselbe muß also dem Staatsanwalt von Berlin im voraus einschärfen, daß keinesfalls gegen das Buch eisigeschritten wird. Ein Prozeß wäre mir sehr gleichgültig, aber eine Beschlagnahme dieses Buches wäre – Sie werden dies später selbst finden – ein nie wieder gut zu machendes Unglück.

Der Justizminister muß den Staatsanwalt zum voraus instruieren, denn ist erst eine Beschlagnahme erfolgt und bis an die Ratskammer gebracht, so liegt es dann nicht mehr in den Händen der Staatsanwaltschaft und des Ministers! Darum schreibe ich bei Zeiten.

Ich brauche nur Sicherung gegen den Staatsanwalt von Berlin, wo das Werk erscheint. Denn ich habe es bei Gelegenheit meines Königsberger Prozesses neulich durchgesetzt, daß die Tribunale der Orte, wo das Werk nicht erschienen, nicht kompetent sind.

Bitte also mit dem Justizminister zu sprechen, der hierbei Gehorsam nicht weigern kann, da es in letzter Instanz lediglich eine politische Frage ist, ob das Buch verfolgt werden soll oder nicht.

Ich freue mich auf den Augenblick, wo ich es in die Hände Ew. Excellenz legen kann!

Herrn Braß [1] werde ich beim Erscheinen des Werkes ersuchen, das Nachwort desselben (Eine melancholische Meditation), sowie andere Auszüge daraus in seinem Blatte abzudrucken.

Beiläufig muß ich – um vollste Diskretion bittend – Ew. Excellenz vor den Intriguen des Hausministers von Schleinitz [2] dringend warnen! Mündlich mehr!

Das Wachstum meiner Richtung im Publikum steigt erstaunlich, in der Rheinprovinz in den kollossalsten Umrissen! Aber es ist ebenso erstaunlich, wieviel mir die Leute Ew. Excellenz zu schaffen machen! Hier hat die Polizei den Wirt des Vereins so eingeschüchtert, daß er trotz des Kontraktes das Lokal weigert! In Barmen, Ronsdorf etc. schleppt sie meine Bevollmächtigten vor das Strafgericht. Polizei und Staatsanwälte tun alles Mögliche, um den Arbeiterstand, so wenig Lust er dazu hat, gewaltsam gegen die Regierung zu erbittern! – Das Telegraphengesetz harrt der Besprechung mit Excellenz, sobald Sie Zeit haben.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Excellenz
ergebenster
F. Lassalle.

 

P.S. Soeben läuft die Anzeige des Oberstaatsanwaltes bei mir ein, daß ich wegen der Ansprache an die Arbeiter Berlins definitiv der Aufreizung zum Hochverrat eventuell zu Haß und Verachtung gegen die Fortschrittler (§ 102 St.G.B.) angeklagt bin!

Nun, mit diesem Prozeß werde ich mich selbst abfinden, aber wenn Excellenz nicht das neue Buch gegen Verfolgung und Beschlagnahme schützen, so setze ich entschieden Gewehr bei Fuß und lasse die Dinge gehen, wie sie Lust haben.

D.O.

 

Anmerkungen

1. Dies geschah. Der einstige Revolutionär August Braß war der Hauptredakteur der offiziösen Norddeutschen Allgemeinen Zeitung.

2. Bismarck sah in dem ehemaligen Minister des Auswärtigen, seinem früheren Vorgesetzten, ein Geschöpf der ihm selbst feindlich gesinnten Königin Augusta, einen „von ihr abhängigen Höfling ohne eigene politische Überzeugung“.

 


Zuletzt aktualisiert am 16.10.2004