Mao Tse-Tung


Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft

(März 1926)


Mao Tse-tung: Ausgewählte Werke, Bd. I, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S.9-19
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Wer sind unsere Feinde? Wer sind unsere Freunde? Das ist eine Frage die für die Revolution erstrangige Bedeutung hat. Wenn alle bisherigen revolutionären Kämpfe in China nur sehr geringe Erfolge brachten, so lag die Grundursache darin, daß man es nicht vermochte, sich mit den wahren Freunden zuammenzuschließen, um die wahren Feinde zu bekämpfen. Eine revolutionäre Partei ist der Führer der Massen, und keine Revolution ist jemals erfolgreich gewesen, wenn die revolutionäre Partei die Massen auf einen falschen Weg geführt hat. Um sicher zu sein, daß wir die Revolution nicht auf einen falschen Weg führen, sondern unbedingt Erfolg haben werden, müssen wir dafür sorgen, daß wir uns mit unseren wahren Freunden zusammenschließen , um unsere wahren Feinde zu bekämpfen. Um die wahren Freunde von den wahren Feinden zu unterscheiden, müssen wir die ökonomische Lage der verschiedenen Klassen in der chinesischen Gesellschaft und deren jeweilige Einstellung zur Revolution analysieren.

Wie verhält es sich nun mit den verschiedenen Klassen der chinesischen Gesellschaft?

Die Klasse der Grundherren und die Kompradorenklasse. [1*] In ökonomisch rückständigen, halbkolonialen China sind die Klassen der Grundherren und der Kompradoren im wahrsten Sinne des Wortes Vasallen der internationalen Bourgeoisie und hängen in ihrer Existenz und Entwicklung vom Imperialismus ab. Diese Klassen vertreten die rückständigsten und reaktionärsten Produktionsverhältnisse in China und verhindern die Entwicklung seiner Produktivkräfte. Ihre Existenz ist mit den Zielen der chinesischen Revolution völlig unvereinbar. Besonders die großen Grundherren und die großen Kompradoren stehen stets auf seiten des Imperialismus und bilden eine extrem konterrevolutionäre Gruppe. Ihre politischen Vertreter sind die Gruppe der „Etatisten“ [1] und der rechte Flügel der Kuomintang.

Die mittlere Bourgeoisie. Diese Klasse vertritt in China die kapitalistischen Produktionsverhältnissse in Stadt und Land. Unter der mittleren Bourgeoisie versteht man hauptsächlich die nationale Bourgeoisie. Ihre Einstellung zur chinesischen Revolution ist widerspruchsvoll: Wenn sie die Schläge des ausländischen Kapitals, die Unterdrückung durch die Militärmachthaber schmerzlich verspürt, fühlt sie die Notwendigkeit einer Revolution und tritt für die gegen den Imperialismus und gegen die Militärmachthaber gerichtete revolutionäre Bewegung ein; wenn aber das einheimische Proletariat kühn an der Revolution teilnimmt, das internationale Proletariat der Revolution von außen aktive Hilfe leistet und infolgedessen die mittlere Bourgeoisie spürt, daß die Verwirklichung ihres sehnlichen Wunsches, in ihrer klassenmäßigen Entwicklung die Stellung der Großbourgeoisie zu erlangen, bedroht ist, beginnt die wieder an der Revolution zu zweifeln. Sie tritt in ihren politischen Auffassungen für die Schaffung eines Staates ein, in dem die nationale Bourgeoisie als einzige Klasse herrschen soll. Jemand, der sich als „wahrer Jünger“ Dai Dji-taos [2] bezeichnet, erklärte in der Pekinger Zeitung Tschenbao [3]: „Erhebe deine Linke zur Niederschlagung der Kommunistischen Partei.“ Diese Worte zeigen anschaulich die widerspruchsvolle und ängstliche Haltung der mittleren Bourgeoisie. Diese Klasse ist dagegen, daß das Prinzip der Kuomintang vom Volkswohl im Sinne der Lehre vom Klassenkampf erklärt wird, ist gegen das Bündnis der Kuomintang mit Rußland und gegen die Aufnahme von Kommunisten [4] und Linksgerichteten in die Kuomintang. Aber ihr Versuch, einen Staat zu schaffen, in dem die nationale Bourgeoisie herrscht, ist gänzlich unrealisierbar, weil die gegenwärtige Weltlage durch den Endkampf zwischen den zwei großen Kräften, der Revolution und der Konterrevolution, gekennzeichnet ist. Jede dieser beiden großen Kräfte hat ein großes Banner erhoben: Das eine ist das rote Banner der Revolution, hoch erhoben von der III. Internationale, die alle unterdrückten Klassen in der Welt aufruft, sich um ihr Banner zu scharen; das andere ist das weiße Banner der Konterrevolution, erhoben vom Völkerbund, der alle Konterrevolutionäre in der Welt aufruft, sich um sein Banner zu scharen. Die Zwischenklassen werden sich bestimmt sehr bald spalten: Die einen werden nach links – zur Revolution -; die anderen nach rechts – zur Konterrevolution – abschwenken; es gibt keinen Spielraum für ihre „Unabhängigkeit“. Deshalb ist die Konzeption der mittleren Bourgeoisie Chinas von einer „unabhängigen“ Revolution, in der ihre Klasse die Hauptrolle spielen würde, eine Illusion.

Das Kleinbürgertum. Zu dieser Klasse gehören die Bauern auf Eigenland [5], die Besitzer von Handwerksbetrieben, die unteren Schichten der Intelligenz – Schüler und Studenten, Lehrer der Mittel und Grundschulen, kleine Beamte, kleine Büroangestellte, kleine Advokaten – und die kleinen Händler. Das Kleinbürgertum verdient seiner zahlenmäßigen Stärke und seiner Klassennatur wegen starke Beachtung. Sowohl die Bauern auf Eigenland als auch die Besitzer von Handwerksunternehmen betreiben eine Wirtschaft der Kleinproduktion. Obwohl sich die verschiedenen Schichten dieser Klasse in der gleichen kleinbürgerlichen wirtschaftlichen Lage befinden, teilen sie sich dennoch in drei verschiedenartige Gruppen. Die erste Gruppe besteht aus denjenigen, die Überschuß an Geld und Getreide haben, d.h. aus Menschen, die nach Befriedigung der eigenen Bedürfnisse durch ihre körperliche oder geistige Arbeit alljährlich einige Überschüsse erzielen. Diese Menschen sind sehr begierig darauf, reich zu werden, und beten Marschall Dschao [6] am eifrigsten an. Sie träumen zwar nicht von großem Reichtum, sind aber ständig bestrebt, in die Stellung der mittleren Bourgeoisie emporzuklettern. Wenn sie jemand sehen, der wegen seines kleinen Vermögens bei den Leuten ein Ansehen genießt, läuft ihnen vor Neid das Wasser im Mund zusammen. Menschen dieser Art sind feige, fürchten die Behörden, haben aber auch ein wenig Angst vor der Revolution. Da sie ihrer wirtschaftlichen Lage nach der mittleren Bourgeoisie sehr nahestehen, glauben sie willig deren Propaganda und bringen der Revolution Mißtrauen entgegen. Diese Gruppe stellt eine Minderheit des Kleinbürgertums dar und ist sein rechter Flügel. Die zweite Gruppe besteht aus Menschen, die sich im großen und ganzen das erwirtschaften, was sie zum Leben brauchen. Diese Menschen unterscheiden sich beträchtlich von denen der ersten Gruppe. Sie träumen ebenfalls vom Reichwerden, aber Marschall Dschao gestattet es ihnen nie; obendrein haben sie infolge der Unterdrückung und Ausbeutung durch die Imperialisten, die Militärmachthaber, die feudalen Grundherren und die Kompradoren-Großbourgeoisie, denen die in den letzten Jahren ausgesetzt sind, das Gefühl, daß sich die Welt geändert hat. Sie merken, daß sie heute bei gleichem Arbeitsaufwand wie früher nicht mehr imstande wären, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Um ihr Dasein fristen zu können, müssen sie jetzt ihren Arbeitstag verlängern, von früh bis spät schuften und im Beruf doppelt auf der Hut sein. Und nun beginnen sie zu schimpfen: Sie bezeichnen die Ausländer als „fremde Teufel“, die Militärmachthaber als „Raffergenerale“, die Tuhao und Liäschen [2*] als „herzlose Geldsäcke“. Was die Bewegung gegen die Imperialisten und die Militärmachthaber anbelangt, zweifeln sie nur an ihrem Enderfolg (denn die Ausländer und die Militärmachthaber seien doch so mächtig!), die haben Bedenken, sich an ihr zu beteiligen, und beziehen eine neutrale Position; die sind jedoch keineswegs gegen die Revolution. Diese Gruppe ist zahlenmäßig sehr stark; sie macht etwa die Hälfte des gesamten Kleinbürgertums aus. Die dritte Gruppe besteht aus Menschen, deren Lebensbedingungen sich verschlechtern. Viele von ihnen gehörten wohl ursprünglich zu den wohlhabenden Familien, aber ihre Verhältnisse verändern sich allmählich, zuerst kommen sie mit Mühe und Not aus, dann verarmen sie mehr und mehr. Jedesmal, wenn sie am Ende des Jahres die Bilanz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ziehen, rufen sie entsetzt aus: „Ach wieder ein Defizit!“ Und da sie einst bessere Tage gesehen haben, nun aber mit jedem Jahr immer tiefer sinken, sich mehr und mehr in Schulden verstricken und ein immer elenderes Dasein fristen, „überhäuft es die eiskalt, wenn sie an die Zukunft denken“. Diese Menschen haben wegen des Kontrastes zwischen Vergangenheit und Gegenwart seelisch stark zu leiden. Sie sind ziemlich wichtig für die revolutionäre Bewegung; ihre Zahl ist nicht gering, und die bilden den linken Flügel des Kleinbürgertums. In Friedenszeiten ist die Einstellung der erwähnten drei Gruppen des Kleinbürgertums zur Revolution unterschiedlich; in Kriegszeiten aber, das heißt, wenn die Wogen der Revolution hochschlagen und das Morgenrot des Sieges sichtbar wird, beteiligt sich an der Revolution nicht nur die linke Gruppe des Kleinbürgertums, sondern auch seine mittlere Gruppe kann an ihr teilnehmen; selbst Elemente seiner rechten Gruppe werden von der mächtigen revolutionären Welle des Proletariats und der linken Gruppe des Kleinbürgertums mitgerissen, und es bleibt ihnen nichts übrig, als mit der Revolution mitzugehen. Die Erfahrungen der Bewegung des 30.Mai [7] im Jahre 1925 und der Bauernbewegung in verschiedenen Gegenden beweisen die Richtigkeit dieser Feststellung.

Das Halbproletariat. Zu dem Halbproletariat, von dem hier die Rede ist, gehören fünf Gruppen:

  1. die überwiegende Mehrheit der Halbbesitzer [8];
  2. die armen Bauern;
  3. die kleinen Handwerker;
  4. Die Handlungsgehilfen [9];
  5. die Straßenhändler.

Die überwiegende Mehrheit der Halbbesitzer bilden zusammen mit den armen Bauern eine zahlenmäßig gewaltige Masse der Landbevölkerung. Und das, was als die Bauernfrage bezeichnet wird, ist hauptsächlich das Problem dieser Schichten. Die Wirtschaft der Halbbesitzer, der armen Bauern und der kleinen Handwerker ist durch eine Kleinproduktion noch geringerer Ausmaße gekennzeichnet. Obwohl die überwiegende Mehrheit der Halbbesitzer und die armen Bauern zum Halbproletariat gehören, teilen sie sich dennoch ihrer ökonomischen Lage nach wiederum in eine obere, eine mittlere und eine untere Gruppe. Die Halbbesitzer haben ein schwereres Leben als die Bauern auf Eigenland, da ihnen das Getreide nur für etwa ein halbes Jahr reicht und sie, um zusätzliche Nahrungsmittel zu erhalten, gezwungen sind, fremden Boden hinzuzupachten oder teilweise ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder Kleinhandel zu treiben. Zwischen Frühjahr und Sommer, wenn die alte Ernte verbraucht ist, die neue aber noch auf dem Halm steht, müssen sie gegen Wucherzinsen Geld leihen und Nahrungsmittel zu hohen Preisen kaufen. Dieser Teil der Bauernschaft hat es natürlich schwerer als die Bauern auf Eigenland, die von keiner Seite Hilfe brauchen, aber dennoch stehen sich die Halbbesitzer besser als die armen Bauern. Denn die armen Bauern besitzen keinen eigenen Boden und erhalten für ihre Arbeit nur die Hälfte oder noch weniger als die Hälfte ihrer Ernte, während die Halbbesitzer zwar von dem Teil des Bodens, den sie hinzupachten, ebenfalls nur die Hälfte oder weniger als die Hälfte der Ernte erhalten, doch vom eigenen Boden die ganze Ernte ihnen gehört. Deshalb sind die Halbbesitzer revolutionärer gesinnt als die Bauern auf Eigenland, aber weniger revolutionär als die armen Bauern. Die armen Bauern sind Pächter auf dem Lande und werden durch die Grundherren ausgebeutet. Der wirtschaftlichen Lage nach kann man die armen Bauern wiederum in zwei Gruppen teilen. Die erste Gruppe besitzt verhältnismäßig ausreichende Ackergeräte und gewisse Geldmittel. Diese Bauern können die Hälfte des Jahresproduktes ihrer Arbeit behalten. Das Fehlende decken sie durch Anbau verschiedener Nebenkulturen, durch Fisch- und Krabbenfang, Hühner- und Schweinezucht oder teilweisen Verkauf der eigenen Arbeitskraft, bestreiten so mit Mühe und Not ihren Unterhalt. Unter schweren materiellen Bedingungen lebend, denken sie nur daran, wie sie bis zur neuen Ernte durchhalten können. Ihr Leben ist somit schwerer als das der Halbbesitzer, aber dennoch leichter als das der zweiten Gruppe der armen Bauern. Die sind revolutionärer gesinnt als jene, aber weniger revolutionär als diese. Die der anderen Gruppe angehörenden armen Bauern besitzen weder ausreichende Ackergeräte noch Geldmittel, haben nicht genügend Dünger, bringen kärgliche Ernten ein, und nach Entrichtung des Pachtzinses bleibt ihnen fast nichts übrig, so daß sie noch mehr genötigt sind, einen Teil ihrer Arbeitskraft zu verkaufen. In Hungerjahren und sonstigen Notzeiten erflehen sie von ihren Verwandten und Freunden leihweise einige Maß Getreide, um sich zunächst einmal ein paar Tage durchzuschlagen; ihre Schulden häufen sich wie die Last auf dem Rücken der Zugochsen, Diese Gruppe der armen Bauern stellt den elendsten Teil der Bauernschaft dar; die ist für revolutionäre Propaganda überaus empfänglich. Was die kleinen Handwerker betrifft, so werden sie deshalb als Halbproletariat bezeichnet, weil sie, obwohl sie einige primitive Produktionsmittel besitzen und überdies als Selbständige gelten, dennoch ebenfalls häufig gezwungen sind, teilweise ihre Arbeitskraft zu verkaufen, und ihre ökonomische Lage etwa der der armen Bauern im Dorf entspricht. Der ewige Druck der Armut – die schwere Last der Ausgaben für den Unterhalt der Familie, das Mißverhältnis zwischen Einkommen und Existenzminimum – und die ständige Furcht vor Arbeitslosigkeit bringen sie im großen und ganzen ebenfalls den armen Bauern nahe. Die Handlungsgehilfen sind Angestellte der Handelsunternehmen und bestreiten den Unterhalt ihrer Familien mit einem bescheidenen Gehalt; während die Warenpreise von Jahr zu Jahr steigen, wird eine Gehaltszulage gewöhnlich nur einmal in mehreren Jahren gewährt. Wenn man gelegentlich mit diesen Menschen näher ins Gespräch kommt, hört man sie fortwährend über ihr Los klagen. Ihre Lage unterscheidet sich wenig von der Lage der armen Bauern und der kleinen Handwerker, und sie sind für revolutionäre Propaganda überaus empfänglich. Die Straßenhändler haben, ganz gleich, ob sie hausieren gehen oder Verkaufsstände auf den Straßen haben, ein geringes Kapital und verdienen nicht genug, um sich zu ernähren und zu kleiden. Sie befinden sich fast in der gleichen Lage wie die armen Bauern und brauchen wie diese eine Revolution, die die bestehenden Zustände ändert.

Das Proletariat. Das moderne Industrieproletariat zählt etwa zwei Millionen Menschen. Die zahlenmäßig geringe Stärke des modernen Industrieproletariats erklärt sich aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit Chinas. Diese etwa zwei Millionen Arbeiter sind in der Hauptsache in fünf Zweigen – bei der Eisenbahn, im Bergbau, in der Seeschiffahrt, in der Textilindustrie und im Schiffbau – beschäftigt, und ein großer Teil von ihnen schuftet unter dem Joch ausländischer Unternehmer. Obwohl seine zahlenmäßige Stärke nicht groß ist, ist gerade das Industrieproletariat der Repräsentant der neuen Produktivkräfte Chinas und die fortschrittlichste Klasse im modernen China, ist er zur führenden Kraft der revolutionären Bewegung geworden. Wenn wir die Stärke betrachten, die diese Klasse während der Streiks im Laufe der letzten vier Jahre gezeigt hat, beispielsweise bei den Streiks der Seeleute [10] und der Eisenbahner [11], bei den Streiks in den Kailuan-bzw. Djiaodsuo-Kohlengruben [12] und in Schamiän [13] sowie bei den Generalstreiks in Schanghai und Hongkong [14] nach den Ereignissen des 30.Mai, können wir sogleich erkennen, welch wichtige Stellung das Industrieproletariat in der chinesischen Revolution einnimmt. Der erste Grund dafür, warum die Industriearbeiter eine solche Stellung einnehmen können, ist ihre Konzentration. Keine andere Gruppe von Menschen ist so konzentriert. Der zweite Grund ist ihre niedrige wirtschaftliche Stellung. Sie sind aller Produktionsmittel beraubt, ihnen sind nur die beiden Hände verblieben; sie haben keinerlei Hoffnung, reich zu werden; sie werden zudem von den Imperialisten, den Militärmachthabern und der Bourgeoisie aufs grausamste behandelt und sind deshalb besonders kampffähig. Die Kräfte der städtischen Kulis verdienen ebenfalls große Beachtung. In dieser Gruppe bilden die Hafenarbeiter und Rikschakulis die Mehrheit; aber zu ihr gehören auch die Fäkaliensammler und die Straßenfeger. Menschen, die dieser Gruppe angehören, haben nichts außer ihren beiden Händen. Ihrer Lage nach stehen sie den Industriearbeitern nahe, doch sie sind enger konzentriert und spielen eine geringere Rolle in der Produktion. Moderne kapitalistische Landwirtschaft gibt es in China sehr wenig. Unter dem Dorfproletariat versteht man Landarbeiter, die auf Jahre, Monate oder Tage gedingt werden. Diese Landarbeiter haben weder Boden noch Ackergeräte und auch keinerlei Geldmittel, sie können nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft den Lebensunterhalt verdienen. Von allen Arbeitern haben sie den längsten Arbeitstag, den niedrigsten Lohn, die schlechtesten Lebensbedingungen und den am wenigsten gesicherten Arbeitsplatz. Im Dorf sind die es, die die schwersten Entbehrungen leisen, und sie haben in der Bauernbewegung eine ebenso wichtige Stellung wie die armen Bauern.

Außerdem gibt es noch die ziemlich zahlreichen vagierenden Proletarier. Das sind Bauern, die ihr Land verloren haben, sowie Handwerker, die der Möglichkeit beraubt sind, ihrem Beruf nachzugehen. Ihre Existenz ist unter allen menschlichen Lebensverhältnissen die unsicherste. Überall haben sie ihre Geheimorganisationen, die einst Organisationen der gegenseitigen Hilfe im politischen und wirtschaftlichen Kampf waren, wie der „Dreier-Bund“ in den Provinzen Fukien und Kuangtung, der „Bund der Brüder“ in den Provinzen Hunan, Hupeh, Kueitschou und Szetschuan, die „Gesellschaft der großen Schwerter“ in den Provinzen Anhui, Honan und Schantung, die „Gesellschaft für eine vernünftige Lebensweise“ in der Provinz Dschili [3*] und in den drei nordöstlichen Provinzen, die „Grüne Gilde“ in Schanghai und anderen Orten. [15] Die Behandlung dieser Menschen ist eins der schweren Probleme, vor denen China steht. Zum mutigsten Kampfe fähig, aber zu Zerstörungsaktionen neigend, können sie, wenn man sie richtig leitet, zu einer revolutionären Kraft werden.

Zusammenfassend kann man sagen, daß alle mit den Imperialisten im Bund stehenden – die Militärmachthaber, die Bürokratie, die Kompradorenklasse und die Klasse der großen Grundherren sowie der zu ihnen gehörige reaktionäre Teil der Intelligenz – unsere Feinde sind. Das Industrieproletariat ist die führende Kraft unserer Revolution. Das ganze Halbproletariat und Kleinbürgertum sind unsere engsten Freunde. Was die schwankende mittlere Bourgeoisie betrifft – deren rechter Flügel unser Feind und deren linker Flügel unser Freund sein kann –, so müssen wir stets auf der Hut vor ihnen sein und dürfen ihr nicht erlauben, an unserer Front Verwirrung zu stiften.

Anmerkung

1. Es handelt sich hier um eine Handvoll schamloser, faschistisch gesinnter Politiker, die den „Etatistischen Jugendverband Chinas“ organisierten, der später in „Jugendpartei Chinas“ umbenannt wurde. Die „Etatisten“, die von verschiedenen an der Macht stehenden reaktionären Gruppierungen sowie von den Imperialisten Subventionen erhielten, spezialisierten sich auf konterrevolutionäre Aktionen gegen die Kommunistische Partei und gegen die Sowjetunion.

2. Dai Dji-tao war schon in seiner Jugendzeit Mitglied der Kuomintang. Er spekulierte eine Zeitlang gemeinsam mit Tschiang Kai-schek an der Börse. Nachdem Tode Sun Yat-sens im Jahre 1925 betrieb er eine Hetzkampagne gegen die Kommunistische Partei und bereitete auf diese Weise geistig den Boden für Tschiang Kai-scheks konterrevolutionären Staatsstreich im Jahre 1927 vor. Er war lange Zeit ein treuer Handlanger Tschiang Kai-scheks bei dessen konterrevolutionärer Tätigkeit. Als er sah, daß der Zusammenbruch der Herrschaft Tschiang Kai-scheks bevorstand und die Lage völlig ausweglos war, beging er im Februar 1949 Selbstmord.

3. Tscbenbao war das in Peking herausgegebene Organ der Gesellschaft zum Studium der Verfassung, einer der politischen Gruppen, die damals die Herrschaft der Militärmachthaber des Nordens unterstützten.

4. Im Jahre 1923 faßte Sun Yat-sen mit Hilfe der Kommunistischen Partei Chinas den Beschluß über die Reorganisierung der Kuomintang, deren Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei und die Aufnahme von Kommunisten in die Kuomintang, worauf er im Januar 1924 auf dem nach Kanton einberufenen 1. Nationalkongreß der Kuomintang die drei politischen Hauptrichtlinien formulierte: Bündnis mit Rußland, Bündnis mit der Kommunistischen Partei, Unterstützung der Bauern und Arbeiter. An diesem Kongreß beteiligten sich Genosse Mao Tse-tung und die Genossen Li Da-dschao, Lin Bo-tjü, Tjü Tjiu-bai und andere; sie spielten eine wichtige Rolle dabei, der Kuomintang auf den revolutionären Weg zu helfen. Einige von ihnen wurden auch zu Mitgliedern bzw. Kandidaten des damaligen Zentralexekutivkomitees der Kuomintang gewählt.

5. Genosse Mao Tse-tung meint hier die Mittelbauern.

6. Marschall Dschao – Dschao Gung-ming, Gott des Reichtums in der chinesischen Volksmythologie.

7. Gemeint ist die antiimperialistische Protestbewegung des ganzen chinesischen Volkes gegen das Gemetzel, das die britische Polizei am 30. Mai 1925 unter der chinesischen Bevölkerung in Schanghhai angerichtet hat. Im Mai 1925 entbrannte in einer Reihe japanischer Textilfabriken in Tsingtao und Schanghai ein Streikkampf, der riesige Ausmaße annahm. Die Streiks wurden von den japanischen Imperialisten und ihren Helfershelfern, den Militärmachthabern des Nordens, unterdrückt. Am 15. Mai erschossen die japanischen Textilfabrikanten in Schanghai den Arbeiter Gu Dscheng-hung und verwundeten ein Dutzend andere. Am 28. Mai wurden in Tsingtao von den reaktionären Behörden acht Arbeiter ermordet. Am 30. Mai begannen über zweitausend Schanghaier Studenten in den ausländischen Konzessionen die Agitation für die Unterstützung der streikenden Arbeiter und riefen auf, die Rückgabe der Konzessionen an China durchzusetzen. Danach führten sie über zehntausend Einwohner vor das Verwaltungsgebäude der britischen Polizei der internationalen Niederlassung. Die Demonstranten riefen laut „Nieder mit dem Imperialismus!“, „Vereinige dich, chinesisches Volk!“ und andere Losungen. Die Polizei des britischen Imperialismus eröffnete das Feuer, durch das viele Studenten getötet und verwundet wurden. Dieses Blutbad wurde als „Massaker des 30. Mai“ bekannt. Es löste den Zorn des gesamten chinesischen Volkes aus, und durch das Land ging eine Welle von Demonstrationen und Streiks der Arbeiter, Studenten und Kaufleute, die in eine gigantische antiimperialistische Bewegung auslief.

8. Die überwiegende Mehrheit der Halbbesitzer – Genosse Mao Tse-tung meint hier jene armen Bauern, die teils Eigengrund, teils Pachtgrund bearbeiteten.

9. Die Handlungsgehilfen im alten China teilten sich in verschiedene Schichten. Genosse Mao Tse-tung meint hier die zahlenmäßig größere dieser Schichten. Es gab auch noch eine untere Schicht, die das Leben von Proletariern führte.

10. Gemeint sind der Streik der Hongkonger Seeleute und der Streik der Yangtse-Schiffer Anfang 1922. Die Hongkonger Seeleute harrten acht Wochen im Streik aus; nach einem erbitterten, blutigen Kampf waren die Behörden des britischen Imperialismus in Hongkong schließlich gezwungen, eine Erhöhung der Löhne, die Aufhebung des Verbots der Gewerkschaft, die Freilassung der verhafteten Arbeiter sowie die Auszahlung von Beihilfen an die Familien der Getöteten zuzugestehen. Auch die Yangtse-Schiffer begannen bald danach einen Streik, den sie zwei Wochen lang führten und ebenfalls mit einem Sieg beendeten.

11. Die Kommunistische Partei Chinas entfaltete gleich nach ihrer Gründung im Jahr 1921 die organisatorische Arbeit unter den Eisenbahnern; in den Jahren 1922/23 gab es auf den Haupteisenbahnlinien des Landes Streikkämpfe, die von der Kommunistischen Partei geleitet wurden. Am bekanntesten wurde der Generalstreik der Arbeiter der Peking-Hankou-Eisenbahnlinie um die Freiheit der Organisierung einer allgemeinen Gewerkschaft, der am 4. Februar 1923 begann. Am 7. Februar richteten die vom britischen Imperialismus unterstützten Militärmachthaber des Nordens, Wo Pe-fu und Hsiao Yao-nan, unter den streikenden Arbeitern ein grausames Gemetzel an, das in der Geschichte Chinas als das „Massaker des 7. Februar“ bekannt ist.

12. Kailuan-Kohlengruben – Sammelbezeichnung der beiden Kohlengrubengebiete Kaiping und Luandschou in der Provinz Hopeh, ein großes zusammenhängendes Kohlerevier mit über 50.000 Arbeitern. Nachdem die britischen Imperialisten während der Yihotuan-Bewegung im Jahr 1900 die Kaiping-Gruben an sich gerissen hatten, gründeten chinesische Unternehmer die Luandschou-Kohlenbergbaugesellschaft. Später wurden diese Grubengebiete der Kailuan-Bergwerksgeneralverwaltung einverleibt. Damit gingen die beiden Kohlengrubengebiete in den Alleinbesitz der britischen Imperialisten über. Mit dem Streik von Kailuan ist der Streik gemeint, den die Bergarbeiter im Oktober 1922 durchgeführt hatten. Die Kohlengruben Djiaodsuo, ein bekanntes Kohlenrevier Chinas, befinden sich im Norden der Provinz Honan. Mit dem Streik von Djiaodsuo ist der vom 1. Juli bis zum 9. August 1925 durchgeführte Streik gemeint.

13. Schamiän – ehemalige Konzession des britischen Imperialismus in Kanton. Im Juli 1924 führten die britischen Imperialisten, die in Schamiän schalteten und waltetern, eine neue Polizeivorschrift ein, wonach die in Schamiän lebenden chinesischen Bürger beim Betreten und Verlassen der Konzession einen Personalausweis mit Lichtbild vorzuweisen hatten, während die Ausländer frei aus- und eingehen durften. Am 15. Juli traten die Arbeiter von Schamiän aus Protest gegen diese rechtswidrige Maßnahme in den Streik. Dadurch wurden die britischen Imperialisten gezwungen, ihre neue Polizeivorschrift außer Kraft zu setzen.

14. Nach den Schanghaier Ereignissen des 30. Mai 1925 traten am 1. Juni in Schanghai und am 19. Juni in Hongkong die Arbeiter in den Generalstreik. Im ersteren Fall zählte man über 200.000, im letzteren 250.000 Teilnehmer. Der große Streik in Hong-kong, der die Unterstützung des gesamten chinesischen Volkes genoß, dauerte ein Jahr und vier Monate und war der längste Streik in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung.

15. Dreier-Bund, Bund der Brüder, Gesellschaft der großen Schwerter, Gesellschaft für eine vernünftige Lebensweise und Grüne Gilde – primitive Geheimbünde, die unter der Bevölkerung verbreitet waren. Sie setzten sich hauptsächlich aus ruinierten Bauern, arbeitslosen Handwerkern und Lumpenproletariern zusammen. In der feudalen Zeit Chinas vereinigten sich diese Elemente häufig auf religiöser oder abergläubischer Basis zu Organisationen, die eine patriarchalische Form hatten und verschiedene Namen trugen; einige dieser Organisationen verfügten auch über Waffen. Mit Hilfe der Geheimbünde waren deren Mitglieder bestrebt, einander sozial und wirtschaftlich zu helfen; in bestimmten Momenten benutzten sie die Geheimbünde zum Kampf gegen die sie unterdrückenden Bürokraten und Grundherren. Diese rückständigen Organisationen konnten jedoch den Bauern und Handwerkern offensichtlich keinen Ausweg bieten. Ferner konnten sie oft leicht von den Grundherren und örtlichen Despoten kontrolliert und für deren Zwecke benutzt werden. Dazu kam noch ihre Neigung zu blinden Zerstörungsaktionen. Manche von ihnen verwandelten sich deshalb in reaktionäre Kräfte. Im Jahre 1927 bediente sich Tschiang Kai-scheck bei seinem konterrevolutionären Staatsstreich dieser rückständigen Organisationen als Instrument, um die Einheit des werktätigen Volkes zu zerstören und die Revolution zu untergraben. Als die Kräfte des modernen Industrieproletariats mächtig zu wachsen begannen und die Bauernschaft unter Führung der Arbeiterklasse nach und nach Organisationen völlig neuen Typs bildete, verloren solche primitive, rückständige Organisationen ihre Existenzberechtigung.



Anmerkungen des Übersetzers:

1*. Unter der Kompradorenklasse versteht man jene Chinesen, die, nachdem die Imperialisten in China eingedrungen waren, von den fremdländischen Kapitalisten als ihre Stellvertreter bei den aggressiven Handlungen gegen die Wirtschaft Chinas eingesetzt wurden. Das war jener Teil der Bourgeoisie, der den Kapitalisten der imperialistischen Länder direkt diente und von ihnen gemästet wurde. Die Kompradorenklasse war durch tausend Fäden mit den feudalen Kräften des Landes verbunden.

2*. Mit Tuhao (örtliche Despoten) sind solche Grundherren, Großbauern, Beamte außer Dienst und Reiche gemeint, die in der alten chinesischen Gesellschaft durch ihre Machtstellung zügellose Willkürherrschaft im Dorf und in der Stadt ausüben konnten. Unter Liäschen (üble Vornehme) versteht man jene Tuhao, die einen relativ hohen Bildungsgrad besaßen und eine relativ hohe politische und soziale Stellung innehatten. Die Tuhao und Liäschen gehörten im jeweiligen Ort zu den politischen Repräsentanten der Grundherrenklasse. Sie waren korrupt und in ihrer Lebensführung durch und durch verfault, sie begingen alle nur erdenklichen Übeltaten und unterdrückten die Volksmassen, indem sie die örtlichen Machthaber unter Kontrolle hatten und die Drahtzieher bei Gericht waren.

3*. Dschili war der alte Name der Provinz Hopeh.


Zuletzt aktualisiert am 11.8.2008