Johann Most

 

Kapital und Arbeit

Schlußbetrachtungen

Das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die Grundlage des Kleinbetriebs, die notwendige Bedingung für die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien Individualität des Arbeiters selbst. Mit der Zeit aber steht der Kleinbetrieb der durch ihn selbst hervorgebrachten Entwicklung der Produktion im Wege; er muß der Großindustrie Platz machen. Diese kann keine zersplitterten Produktionsmittel brauchen, bedarf vielmehr der Konzentration derselben und führt daher eine solche herbei. Das zwerghafte Eigentum vieler geht in die Hände weniger über, und zwar unter schonungslosester Anwendung jeglicher Gewaltmittel.

Ist dieser Umwandlungsprozeß bis zu einem gewissen Grade vollzogen, dann beginnt eine neue Form der Beraubung der Privateigentümer, die durch die Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst durchgeführt wird. Je ein Kapitalist schlägt viele tot. An die Stelle vieler kleiner Kapitalisten tritt eine immer kleiner werdende Anzahl großer Kapitalisten.

Gleichzeitig wächst die Masse des Elends, des Drucks, der Knechtung, der Verkümmerung und der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse.

Das Kapitalvorrecht wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter ihm aufgeblüht ist. Die Konzentration der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Aneigner fremden Eigentums werden enteignet.

So wird das individuelle Eigentum wiederhergestellt, aber auf Grundlage der Errungenschaften der modernen Produktionsweise. Es entsteht eine Vereinigung freier Arbeiter, welche die Erde und die durch die Arbeit selbst erzeugten Produktionsmittel gemeinsam besitzen.

Die Verwandlung des zersplitterten Eigentums in kapitalistisches dauerte sehr lange, weil es sich hier um die Aneignung des Eigentums der Volksmassen durch wenige Gewalthaber handelte; rascher wird die Umwandlung des kapitalistischen Eigentums in gesellschaftliches sich vollziehen, weil es sich hierbei nur um die Verdrängung weniger Gewalthaber (Eisenkönige, Baumwollbarone und sonstige Schlotjunker wie auch Grund-Tyrannen) durch die Volksmassen handelt.

Die Leser werden durch die im Vorstehenden auszugsweise mitgeteilten Marxschen Ausführungen so weit belehrt sein, um zu erkennen, daß die kapitalistische Produktionsweise eigentlich nur eine Übergangsform ist, die durch ihren eigenen Organismus zu einer höheren, zur genossenschaftlichen Produktionsweise, zum Sozialismus führen muß.

Nichtsdestoweniger dürfte die Frage sehr nahe liegen: auf welche Weise zuletzt das gedachte hohe Resultat realisiert wird. Nun, es wird zwar die Fortentwicklung der kapitalistischen Produktion gleichsam im Sturmschritt darauf lossteuern, allein von selbst wird die reife Frucht der Menschheit nicht in den Schoß fallen; dieselbe wird vielmehr seinerzeit gepflückt werden müssen.

Ob die allmähliche Ablösung des kapitalistischen Eigentums oder die Wegnahme des Kapitals mit einem Schlag von der Gesellschaft beliebt werden wird, oder wie sonst die Umwälzung zu besiegeln und die Eröffnung einer neuen Kulturepoche zu vollziehen ist, wird sich eben zeigen und hängt von Umständen ab, die sich nicht voraussehen lassen.

Das aber steht fest, daß jedenfalls das Volk im Vollbesitz der politischen Macht sein muß, ehe es seine soziale Neugeburt bewerkstelligen kann.

Auch darf diese Machtvollkommenheit nicht etwa bloß darin bestehen, daß jedermann freies Stimm- und Wahlrecht besitzt, denn die „Freiheit“ des „auf dem allgemeinen Wahlrecht beruhenden Staats“ ist nur eine Lockspeise, womit bonapartistische und borussiakische Agenten leichtgläubige Gimpel fangen. Es muß vielmehr die Selbstverwaltung des Volkes an die Stelle seines Regiertwerdens treten.

Und das Volk wird sich eine solche politische Macht erobern, desto eher, je eher es das innere Wesen der heutigen Gesellschaft erkennt und je fester es das anzustrebende Ziel ins Auge faßt.

Jeder einzelne, welcher durchdrungen ist von der Überzeugung, daß die heutige Gesellschaft fallen und einer höheren, edleren Platz machen muß und daß die arbeitenden Klassen berufen sind, mittelst des allgewaltigen Hebels politischer Macht das jetzige Gesellschaftsgebäude aus den Angeln zu heben, darf und kann keinen andern Lebensberuf haben, als seine Prinzipien auch andern einzuimpfen, ohne Unterlaß die Werbetrommel zu rühren, um der roten Fahne, dem Symbol der allgemeinen Menschheitsverbrüderung, fort und fort Soldaten der sozialen Revolution zuzuführen und die glühendste Begeisterung für das anzustrebende Ideal in deren Herzen zu verpflanzen.

In Fabriken und Werkstätten, in den Dachstuben und Kellerwohnungen des Proletariats, in Gasthäusern und bei Spaziergängen, kurz, überall, wo Arbeiter sind, muß agitiert, von den Städten aufs flache Land muß die Erkenntnis getragen werden. Der Proletarier in der Bluse muß seinem Bruder im bunten Rock die Augen öffnen. Die Männer müssen ihre Frauen, die Eltern ihre Kinder in diesem Sinne unterrichten. Alle auf Volksknechtung abgesehenen, durch die Feinde der Menschheit künstlich erzeugten Vorurteile, wie z. B. der Nationalitätenschwindel, müssen verscheucht werden, und an deren Stelle muß die Bruderliebe treten, über die Grenzsteine und Fürstenkronen hinweg müssen sich die Arbeiter die Hände reichen und immer fester aneinander schließen, bis die Internationale Arbeiterassoziation eine vollzogene Tatsache ist.

Ist einmal das allgemeine Verbrüderungswerk durchgeführt, wer wollte dann den Völkern noch die Stirne bieten? Wer sollte sie hindern, kraft des geschichtlichen Rechts sich über alle sog. „erworbenen Rechte“ hinwegzusetzen? Niemand. Nur so lange kann eine Klassenherrschaft bestehen, als sich ein Teil des Volkes zur Knechtung des andern Teils mißbrauchen läßt, d. h. solange Massendummheit herrscht. Bis diese geschwunden, müssen alle Vorwärtsstrebenden unter Aufgebot ihrer ganzen Kräfte Aufklärung verbreiten, und niemals darf abgelassen werden vom Kampfe, dessen Feldgeschrei lautet:

Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

 


Zuletzt aktualisiert am 9.11.2008