Johann Most

 

Kapital und Arbeit

Die Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise

Der Verbrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Käufer der Arbeitskraft verzehrt sie, indem er ihren Verkäufer arbeiten läßt.

Der Arbeitsprozeß besteht zunächst darin, daß der Mensch Naturstoffe nach seinen Zwecken umformt. Die Naturstoffe selbst sind ursprünglich vorhanden. Alles, was der Mensch unmittelbar vom Erdganzen loslöst, sind von Natur aus vorgefundene Arbeitsgegenstände; Dinge hingegen, an denen bereits menschliche Arbeit vollzogen wurde und die nur weiterverarbeitet werden, sind Rohstoffe. Zu den ersteren gehört z. B. das Erz, welches aus seiner Ader losgebrochen wird, zu den letzteren das bereits losgebrochene Erz, welches eingeschmolzen wird. -

Arbeitsmittel sind jene Dinge, welche der Mensch zur Bearbeitung von Arbeitsgegenständen benützt. Solche Arbeitsmittel können bloßes Naturprodukt sein oder bereits menschliche Arbeit in sich bergen: allgemeines Arbeitsmittel ist und bleibt die Erde selbst.

Das Resultat des Arbeitsprozesses ist das Produkt. Produkte können in verschiedenen Formen aus dem Arbeitsprozeß hervorgehen. Sie mögen nur zur Konsumtion taugen oder nur zu Arbeitsmitteln oder nur als Rohmaterial (Halbfabrikat) verwendbar sein, das weiterer Verarbeitung bedarf, oder in verschiedener Weise dienen, wie z. B. die Traube als Konsumtionsmittel und als Rohmaterial des Weines. Sobald Produkte zur Erzeugung anderer Produkte verwendet werden, verwandeln sie sich in Produktionsmittel.

Kehren wir nun nach diesen allgemeinen Erklärungen zum kapitalistischen Produktionsprozeß zurück!

Nachdem der Geldbesitzer Produktionsmittel und Arbeitskraft gekauft hat, läßt er letztere die ersteren konsumieren, d. h. in Produkte, verwandeln. Der Arbeiter verzehrt gleichsam Produktionsmittel, indem er deren Formen ändert. Das Resultat dieses Prozesses sind die umgestalteten Produktionsmittel, in welche während ihres Formenwechsels neue Arbeit eingegangen ist, sich vergegenständlicht hat. Diese verwandelten Dinge, die Produkte, gehören aber nicht den Arbeitern, die sie erzeugt haben, sondern dem Kapitalisten. Denn er hat nicht nur die Produktionsmittel gekauft, sondern auch die Arbeitskraft und die ersteren durch Zusatz der letzteren sozusagen zur Gärung gebracht. Der Arbeiter spielt hierbei nur die Rolle eines selbsttätigen Produktionsmittels.

Der Kapitalist fabriziert Artikel nicht für eigenen Hausgebrauch, sondern für den Markt, also Waren. Aber damit allein ist ihm keineswegs gedient. Ihm gilt's, Waren zu fabrizieren, deren Wert höher ist als die Wertsumme der zu ihrer Erzeugung nötigen Produktionsmittel und Arbeitskraft, kurz, er verlangt Mehrwert.

Die Erlangung von Mehrwert ist eigentlich die einzige Triebfeder, welche den Geldbesitzer anspornt, sein Geld in Kapital zu verwandeln und zu produzieren. Sehen wir zu, wie dieses Ziel erreicht wird!

Wie schon bemerkt, wird der Wert jeder Ware durch die zu ihrer Herstellung notwendige Arbeitszeit bestimmt; wir müssen daher auch die vom Kapitalisten produzierte Ware in die darin verkörperte Arbeitszeit auflösen.

Nehmen wir an, das Rohmaterial zur Herstellung eines Artikels koste 3 Taler und das, was an Arbeitsmitteln aufgeht, koste 1 Taler; nehmen wir ferner an, diese 4 Taler repräsentierten das Wertprodukt von 2 zwölfstündigen Arbeitstagen, so ergibt sich, daß zunächst in dem fertigen Artikel 2 Arbeitstage vergegenständlicht sind. Rohmaterial und Arbeitsmittel werden aber nicht von selbst zu Ware, sondern nur durch Vermittelung von Arbeit; es ist also nachzusehen, wieviel Arbeitszeit der gedachte Produktionsprozeß beansprucht. Gesetzt, sie daure nur 6 Stunden und es seien auch gerade nur 6 Stunden nötig, um den Wert der angewandten Arbeitskraft zu ersetzen. Der Tageswert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert der zu ihrer Erzeugung resp. Erhaltung täglich verbrauchten Waren. Kostet deren Herstellung daher 6 Arbeitsstunden, so wird der Tageswert der Arbeitskraft in 6 Arbeitsstunden ersetzt und drückt sich nach unserer obigen Annahme in einem Preise von 1 Taler aus. In dem fertigen Produkt stecken also im ganzen 2½ Arbeitstage, oder sein Gesamtpreis beträgt 5 Taler; aber 5 Taler hat der Kapitalist selbst dafür gezahlt, 4 für Rohmaterial und Arbeitsmittel, 1 für Arbeitskraft. Daß bei solcher Gelegenheit kein Mehrwert herauskommen kann, liegt auf der Hand. Dem Kapitalisten paßt dies aber nicht in den Kram: Er will Mehrwert haben, sonst tut er nicht mit. Das Rohmaterial ist unerbittlich, auch die Arbeitsmittel sind es. Sie enthalten soundso viel Arbeitszeit und haben ihren bestimmten Wert, welchen der Kapitalist bezahlen muß, aber sie vermehren sich nicht. Bleibt noch die angekaufte Arbeitskraft. Der Kapitalist sieht ein, daß der Arbeiter täglich soviel Lebensmittel braucht als in 6 Arbeitsstunden herstellbar sind, d. h. Lebensmittel zum Preise von 1 Taler, somit zahlt er ihm für seine tägliche Arbeitskraft 1 Taler. Er sieht aber nicht ein, weshalb sich nun die also angekaufte Arbeitskraft auch nur 6 Stunden täglich betätigen solle, verlangt vielmehr, daß sie sich täglich 12 Stunden lang betätigen, d.h. eine Zeit hindurch, die in unserem Falle einen Wert von 2 Talern erzeugt. Das Rätsel löst sich. Wir sahen, daß innerhalb 6 Stunden für 3 Taler Rohmaterial und für 1 Taler Arbeitsmittel durch die Arbeitskraft, welche ebenfalls 1 Taler kostet, in ein Produkt verwandelt wurden, das 5 Taler wert ist bzw. 2½ Arbeitstage enthält. Ohne der Arbeitskraft gegenüber mehr als 1 Taler auszugeben, läßt nun aber der Schlaumeier von Kapitalist dieselbe nicht 6, sondern 12 Stunden lang wirken, läßt sie in dieser Zeit nicht Rohmaterial für 3, sondern für 6 Taler und nicht Arbeitsmittel für 1, sondern für 2 Taler aufzehren und erhält auf diese Weise ein Produkt, in welchem 5 Arbeitstage vergegenständlicht sind und das somit 10 Taler wert ist. Ausgegeben hat er aber nur: für Rohmaterial 6 Taler, für Arbeitsmittel 2 Taler und für Arbeitskraft 1 Taler, zusammen 9 Taler. Das fertige Produkt enthalt also jetzt einen Mehrwert von 1 Taler.

Man sieht, es kann nur dadurch Mehrwert entstehen, daß die Arbeitskraft sich in einem höheren Grade betätigt, als zum Ersatz ihres eigenen Werts notwendig ist. Deutlicher: Der Mehrwert entspringt aus unbezahlter Arbeit.

Um den Grad, in welchem die Arbeitskraft Mehrwert erzeugt, kennenzulernen, muß man das zur Produktion verwandte Kapital in zwei Teile zerlegen, wovon der eine in Rohmaterial und Arbeitsmittel, der andere in Arbeitskraft angelegt ist. Werden z. B. 5000 Taler in der Weise bei der Produktion verausgabt, daß man für 4100 Taler Rohstoffe und Arbeitsmittel und für 900 Taler Arbeitskraft verbraucht, und beträgt der Wert der fertigen Ware 5900 Taler, so scheint es, als ob ein Mehrwert von 18% erzeugt worden sei, wenn man sich nämlich einbildet, der gewonnene Mehrwert entspringe aus dem ganzen verauslagten Kapital. Für 4100 Taler Rohmaterial und Arbeitsmittel sind aber ihrem Werte nach unverändert geblieben, nur ihre Form ist eine andere geworden; die Arbeitskraft hingegen, für welche man 900 Taler vorschoß, hat während dem Verbrauch des Rohmaterials und der Arbeitsmittel denselben einen Wert von 1800 Taler zugesetzt und mithin einen Mehrwert von 900 Taler erzeugt. Der Kapitalist hat daher aus der Arbeitskraft einen Mehrwert von 100% herausgeschlagen, denn sie hat ihre Erzeugungskosten zweifach ersetzt, aber nur einfach erhalten; sie ist während einer Hälfte der Arbeitszeit umsonst verausgabt worden.

Da mögen sich die Kapitalisten und ihre Professoren drehen und wenden, wie sie wollen, von „Entbehrungslohn“, von „Risiko“ usw. usw. faseln, es ist umsonst. Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel bleiben, was sie sind, und schaffen von selbst keine neuen Werte; es ist die Arbeitskraft und nur die Arbeitskraft, welche Mehrwert zu erzeugen vermag.

 


Zuletzt aktualisiert am 9.11.2008