Johann Most

 

Kapital und Arbeit

Der Arbeitslohn

Der Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter erhält, ist eine bestimmte Menge Arbeit, wofür er eine bestimmte Menge Geld zahlt, ganz wie für bestimmte Mengen jedes anderen Artikels, für Pfunde Eisen, Ellen Tuch, Scheffel Weizen etc. Das Geld, das der Arbeiter seinerseits in Zahlung empfängt, scheint also auch, wie bei allen anderen Waren, den Wert resp. Preis der gelieferten Ware zu ersetzen, also den Wert resp. Preis der Arbeit. Man nennt dies Geld daher Arbeitslohn. Wenn man erwägt, wie fest Vorstellungen, welche unmittelbar aus den Vorgängen des täglichen Verkehrs herauswachsen, sich dem menschlichen Hirn einprägen und ihm als selbstverständliche Wahrheiten gelten, so ist leicht begreiflich, warum Kapitalisten und Arbeiter, politische Ökonomen und Sozialisten niemals auch nur die Frage aufwerfen: Existiert wirklich ein Wert resp. Preis der Arbeit, daher auch der Arbeitslohn, der nichts ist als die Versilberung jenes angeblichen Wertes resp. Preises?

Unser Leser weiß bereits, daß der Arbeitslohn nichts anderes ist als eine bloße Erscheinungsform, eine verkehrte Ausdrucksweise des Äquivalents, welches für den Wert resp. Preis der Arbeitskraft, nicht der Arbeit, gezahlt wird, daß in der Tat die Arbeitskraft selbst nur einen Wert hat, weil auch sie ein Produkt der Arbeit ist, weil ihre Produktion und Erhaltung Arbeit kostet. Aber man muß sich klarmachen, daß alle Staatsanwälte, Polizisten und Soldaten zusammengenommen der „Gesellschaft“ keinen so großen Dienst leisten als diese Form - Arbeitslohn.

Der Arbeiter erhält, wie wir gesehen haben, überhaupt nur die Erlaubnis zu arbeiten, also zu leben, wenn er Zwangsarbeit für den Kapitalisten verrichtet; denn alle Arbeit, die ein Mensch anderen Menschen umsonst leisten muß, bei Strafe des Hungertodes oder auch nur auf die Gefahr hin, als Vagabund eingesperrt zu werden, ist von Natur Zwangsarbeit und zeigt, daß dieser Mensch in einem Hörigkeitsverhältnis zu einzelnen anderen Menschen oder zu einer bestimmten Klasse anderer Menschen steht, daß er also in der Tat ein Sklave und kein Freier ist. Sehen wir nun, wie dieser wirkliche Sachverhalt durch die gang und gäbe Form des Arbeitslohnes verkleidet wird.

Knüpfen wir wieder an unser früheres Beispiel an, wonach der Arbeiter täglich 12 Stunden arbeiten muß, erstens 6 Stunden, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, d. h., um den ihm vom Kapitalisten gezahlten Tageswert seiner Arbeitskraft zum Betrag von 1 Taler zu ersetzen - zweitens 6 Stunden, um demselben Kapitalisten einen Mehrwert von 1 Taler zu liefern. Wird nun der Tageswert resp. Tagespreis seiner Arbeitskraft von 1 Taler als Wert resp. Preis seiner Tagesarbeit ausgedrückt, so stellt 1 Taler den Arbeitslohn zweistündiger Arbeit vor, und zwar einen dem Wert dieser Menge Arbeit genau entsprechenden Arbeitslohn, keinen Pfennig darüber noch darunter. Dem Anschein nach hat der Arbeiter daher keine Minute seiner Arbeit umsonst verrichtet. So ist jede Spur seiner Zwangsarbeit und damit seines Hörigkeitsverhältnisses ausgelöscht. Und das ist nicht alles. Wenn die Arbeit, statt Schöpferin des Werts zu sein, vielmehr selbst ein Wertding ist, kann sie auch, gleich jedem anderen Produktionsmittel, dem Produkt, in dessen Erzeugung sie verbraucht wird, nicht mehr Wert zusetzen, als sie selbst besitzt, also in unsrem Falle nicht mehr als den Wert von 1 Taler. Der zweite Taler, der dem Produkt zugewachsen ist und als Mehrwert in die Tasche des Kapitalisten wandert, kann unter dieser Voraussetzung platterdings nicht auf der zwölfstündigen, durch den Arbeitslohn von 1 Taler bereits zu ihrem vollen Werte vergüteten Arbeit des Arbeiters entspringen: Er muß aus andrer Quelle herkommen, sei es aus geheimnisvoller Selbstbefruchtung des Kapitals, sei es aus der Herkulesarbeit des Kapitalisten, und wäre in diesem Fall nur ein anderer Name für seinen eigenen Arbeitslohn.

Bei der Fronarbeit ist die Sachlage handgreiflich. Soundso viel Tage lang arbeitet der Fröner für sich selbst, und soundso viel Tage hat er Zwangsarbeit zu verrichten. Bei der Sklavenarbeit erscheint sogar derjenige Teil der Arbeitszeit, worin der Sklave nur den Wert seiner eigenen Lebensmittel ersetzt, als unbezahlt. Während hier das Eigentumsverhältnis, in welchem sich der Sklave befindet, dessen Für-sich-selbst-Arbeiten verdeckt, wird bei der Lohnarbeit durch das Geldverhältnis das Umsonst-Arbeiten des Lohnarbeiters verborgen. -

Ist man aber einmal hinter das Geheimnis des Wertes resp. des Preises der Arbeit und daher auch hinter das Geheimnis des Arbeitslohnes gekommen, so kann man auch in dieser verkehrten Ausdrucksweise die Gesetze darstellen, die den Wert resp. Preis der Arbeitskraft bestimmen.

Die beiden Hauptarten des Arbeitslohnes sind Zeitlohn und Stücklohn. Da die Arbeitskraft stets nur für eine bestimmte Zeitdauer verkauft wird, nimmt auch der Lohn zunächst die Form von Taglohn, Wochenlohn etc. an. Beim Stücklohn scheint die Arbeit dagegen nicht nach ihrer Menge, sondern im Verhältnis zu dem von ihr gelieferten Produkt bezahlt zu werden.

Um beim Zeitlohn den sogenannten Arbeitspreis richtig zu schätzen, muß man als Maßeinheit die Stunde annehmen, also den Taglohn durch die Stundenzahl des Arbeitstages dividieren. Tut man dies nicht, so gelangt man zu einem irrigen Resultate. Wenn z. B. ein Arbeiter 10 und ein anderer 12 Stunden täglich arbeitet, beide aber je 1 Taler erhalten, so ist zwar ihr Tagelohn ein gleicher, nicht aber der Preis ihrer Arbeit, denn der eine erhält für die Stunde 1/10, der andere 1/12 Taler.

Wo sogenannter Stundenlohn herrscht, kann leicht eine gefährliche Situation für die Arbeiter entstehen. Es kann nämlich der Kapitalist bald verlangen, daß täglich ungewöhnlich viele, bald nur ganz wenige Stunden gearbeitet wird, so daß einmal Überanstrengung stattfindet, ein andermal selbst nicht so viel Lohn erlangt wird, als zur bloßen Lebensfristung absolut nötig ist.

Besteht ein Arbeitstag von bestimmter Dauer und wird außerdem noch sogenannte Überzeit eingeführt, was ein sehr beliebter Gebrauch ist, so deckt der gesamte Tageslohn, die Bezahlung für Überzeit eingeschlossen, nicht mehr und sehr oft weniger als den Tageswert der Arbeitskraft.

Je länger der Arbeitstag (ob ein Teil desselben als Überzeit gilt oder nicht), desto niedriger der Arbeitslohn. Je mehr eben ein Arbeiter produziert, desto weniger Arbeiter sind zur Herstellung einer bestimmten Warenmenge nötig, und das Angebot von Arbeitskraft muß steigen, deren Preis aber sinken. In den Geschäftszweigen, wo der Arbeitstag ausnahmsweise lang ist und der Kapitalist daher ungewöhnlichen Profit macht, sowohl durch die Ausdehnung der Mehrarbeit als den Abbruch am normalen Arbeitslohn - in solchen Geschäftszweigen werden allmählich auch die Warenpreise vermittelst der Konkurrenz unter ihre normale Höhe herabgedrückt, weshalb die Rückkehr zu kürzerer Arbeitszeit und höherem Arbeitslohn seitens der Kapitalisten doppelt hartnäckig bekämpft wird.

Der Stücklohn ist nur die verwandelte Form des Zeitlohns, obgleich es den Anschein hat, als ob bei dieser Lohnart der Preis der Arbeit durch die Menge des gelieferten Produkts bestimmt würde. Bei Feststellung des Stücklohnes fragt es sich immer um folgendes: Wie lange währt der übliche Arbeitstag? Wieviel Ware verfertigt ein Arbeiter von durchschnittlichem Fleiß und Geschick in dieser Zeit? Wie hoch ist unter diesen Umständen der tägliche Arbeitslohn? Stellt sich z. B. heraus, daß von einer Ware durchschnittlich 30 Stück in einem 12stündigen Arbeitstage durch einen Arbeiter erzeugt werden, der einen Tagelohn von 1 Taler erhält, so beträgt der Stücklohn für 1 Stück dieser Ware 1 Silbergroschen, für 30 Stück 1 Taler. Für den Arbeiter erwächst somit aus diesem Wechsel der Lohnform kein Vorteil, wohl aber weiß der Kapitalist, [dar] aus manchen Nutzen zu ziehen.

Während es beim Zeitlohn möglich ist, daß ein Arbeiter zuweilen weniger Ware erzeugt, als durchschnittlich erzielt werden sollte, während also der Arbeiter den Kapitalisten - um in der Kapitalsprache zu reden - manchmal „betrügen“ kann, muß beim Stücklohn unter allen Umständen für eine bestimmte Lohnsumme auch ein bestimmtes Warenquantum gefertigt werden. Hinsichtlich der Qualität der Ware steht es ebenso; es muß dieselbe von bestimmter Güte sein. Bekrittelung der Ware und Lohnabzüge sind mit dem Stücklohn enge verwandt und werden von den Kapitalisten in Gestalt systematischer Prellerei angewendet. Auch kann der Kapitalist die Aufsichtskosten großenteils ersparen.

Bei der früher schon erwähnten Hausarbeit herrscht der Stücklohn allgemein, weil er die Aufsicht, die hier nicht möglich ist, ersetzt.

In Manufakturen und Fabriken schließt auf Grundlage des Stücklohnes der Kapitalist Kontrakte mit sogenannten Hauptarbeitern (Partieführer etc.), die unter Zuhilfenahme einer Anzahl anderer Arbeiter eine bestimmte Warenmenge für eine bestimmte Lohnsumme erzeugen und natürlich ihre Hilfsarbeiter soviel als möglich übers Ohr hauen. Der Arbeiter wird somit durch den Arbeiter ausgebeutet, dem Kapitalisten aber die Ausbeuterei erleichtert.

Der Stückarbeiter strengt, um seine Einnahme zu erhöhen, seine Kräfte bis zum äußersten an und strebt nach Verlängerung der Arbeitszeit, was aus gleichen Gründen, wie beim Zeitlohn, eine Lohnverringerung schließlich zur Folge hat. Die Arbeiter erarbeiten sich unter der Herrschaft des Stücklohnes Krankheiten und frühen Tod und sind am Ende noch schlimmer daran, als wenn sie bei Zeitlohn mäßiger arbeiten. Die Unkenntnis, welche die Arbeiter von den Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise haben, trägt die Hauptschuld daran.

Der Stücklohn kommt zwar schon im 14. Jahrhundert vereinzelt vor, allgemeinere Anwendung findet er aber erst mit Einführung der großen Industrie, die denselben zur Zeit ihres ersten Anstürmens hauptsächlich als Hebel zur Verlängerung der Arbeitszeit und Herabsetzung des Arbeitslohnes benutzt.

 


Zuletzt aktualisiert am 9.11.2008