J.W. Stalin

 

Zu den Fragen des Leninismus

 

Kapitel 5

Partei und Arbeiterklasse im System der Diktatur des Proletariats

Oben sprach ich von der Diktatur des Proletariats vom Standpunkt ihrer historischen Unvermeidlichkeit, vom Standpunkt ihres Klasseninhalts, vom Standpunkt ihres staatlichen Charakters, schließlich vom Standpunkt ihrer destruktiven und konstruktiven Aufgaben, die im Verlaufe einer ganzen historischen Periode zu erfüllen sind, die als die Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus bezeichnet wird.

Jetzt müssen wir über die Diktatur des Proletariats vom Standpunkt ihres Aufbaus, vom Standpunkt ihres „Mechanismus“, vom Standpunkt der Rolle und Bedeutung jener „Transmissionen“, „Hebel“ und „lenkenden Kraft“ sprechen, die in ihrer Gesamtheit das „System der Diktatur des Proletariats“ (Lenin) ergeben, und mit deren Hilfe die alltägliche Arbeit der Diktatur des Proletariats geleistet wird.

Was sind das für „Transmissionen“ oder „Hebel“ im System der Diktatur des Proletariats? Was ist das für eine „lenkende Kraft“? Wozu braucht man sie?

Die Hebel oder Transmissionen – das sind jene Massenorganisationen des Proletariats, ohne deren Hilfe die Verwirklichung der Diktatur unmöglich ist.

Die lenkende Kraft – das ist die fortgeschrittenste Abteilung des Proletariats, seine Avantgarde, die die grundlegende führende Kraft der Diktatur des Proletariats ist.

Diese Transmissionen, diese Hebel und diese lenkende Kraft hat das Proletariat nötig, weil es sich ohne sie in seinem Kampfe um den Sieg in der Lage einer unbewaffneten Armee angesichts des organisierten und bewaffneten Kapitals erweisen würde. Diese Organisationen hat das Proletariat nötig, weil es ohne sie in seinem Kampfe für den Sturz der Bourgeoisie, in seinem Kampfe für die Befestigung seiner Macht, in seinem Kampfe für den Aufbau des Sozialismus unweigerlich eine Niederlage erleiden würde. Die systematische Hilfe dieser Organisationen und die lenkende Kraft der Avantgarde sind notwendig, weil ohne diese Bedingungen eine einigermaßen dauernde und feste Diktatur des Proletariats unmöglich wäre.

Was sind das für Organisationen?

Es sind dies erstens die Gewerkschaften der Arbeiter mit ihren Verzweigungen in der Hauptstadt und in der Provinz in Gestalt einer ganzen Reihe von Produktions-, kulturellen, erzieherischen und anderen Organisationen. Sie vereinigen die Arbeiter aller Berufe. Es sind dies keine Parteiorganisationen. Die Gewerkschaften kann man als die allumfassende Organisation der bei uns herrschenden Arbeiterklasse bezeichnen. Sie sind die Schule des Kommunismus. Sie stellen aus ihrer Mitte die besten Leute für die leitende Arbeit in allen Verwaltungszweigen. Sie verwirklichen die Verbindung zwischen den fortgeschrittenen und den zurückgebliebenen Elementen innerhalb der Arbeiterklasse. Sie verbinden die Arbeitermassen mit der Avantgarde der Arbeiterklasse.

Es sind dies zweitens die Sowjets mit ihren zahlreichen Verzweigungen in der Hauptstadt und in der Provinz in Gestalt administrativer, wirtschaftlicher, militärischer, kultureller und anderer staatlicher Organisationen, zuzüglich einer ungeheuren Anzahl spontan entstandener Massenvereinigungen der Werktätigen, die diese Organisationen umgeben und sie mit der Bevölkerung verbinden. Die Sowjets sind die Massenorganisationen aller Werktätigen in Stadt und Land. Es sind dies keine Parteiorganisationen. Die Sowjets sind der unmittelbare Ausdruck der Diktatur des Proletariats. Durch die Sowjets werden die verschiedenartigsten Maßnahmen zur Festigung der Diktatur und zum Aufbau des Sozialismus durchgeführt. Durch die Sowjets verwirklicht das Proletariat seine staatliche Leitung der Bauernschaft. Die Sowjets verbinden die Millionenmassen der Werktätigen mit der Avantgarde des Proletariats.

Es sind dies drittens die Genossenschaften aller Art mit allen ihren Verzweigungen. Dies ist eine Massenorganisation der Werktätigen, keine Parteiorganisation, eine Organisation, die die Werktätigen vor allem als Konsumenten, und im Laufe der Zeit auch als Produzenten (landwirtschaftliche Genossenschaft) vereinigt. Sie gewinnt besondere Bedeutung nach der Festigung der Diktatur des Proletariats, in der Periode des breit entfalteten Aufbaus. Sie erleichtert die Verbindung der Avantgarde des Proletariats mit den Massen der Bauernschaft und schafft die Möglichkeit, diese Massen in den Strom des sozialistischen Aufbaus hineinzuziehen.

Es ist dies viertens der Jugendverband. Dies ist eine Massenorganisation der Arbeiter- und Bauernjugend, keine Parteiorganisation, sie lehnt sich aber an die Partei an. Ihre Aufgabe ist es, der Partei bei der Erziehung der jungen Generation im Geiste des Sozialismus zu helfen. Sie stellt die jungen Reserven für alle übrigen Massenorganisationen des Proletariats in allen Verwaltungszweigen. Der Jugendverband erlangt besondere Bedeutung nach der Festigung der Diktatur des Proletariats, in der Periode der umfassenden Kultur- und Erziehungsarbeit des Proletariats.

Es ist dies schließlich die Partei des Proletariats, seine Avantgarde. Ihre Kraft besteht darin, daß sie die Besten des Proletariats aus allen seinen Massenorganisationen in sich aufnimmt. Ihre Bestimmung ist es, die Arbeit aller Massenorganisationen des Proletariats ohne Ausnahme zusammenzufassen und deren Tätigkeit auf ein Ziel, auf das Ziel der Befreiung des Proletariats, zu richten. Diese zusammenzufassen und auf ein einheitliches Ziel zu lenken, ist aber absolut notwendig, da sonst die Einheit des Kampfes des Proletariats unmöglich ist, da sonst die Führung der proletarischen Massen in ihrem Kampfe um die Macht, in ihrem Kampfe um den Aufbau des Sozialismus unmöglich ist. Aber die Arbeit der Massenorganisationen des Proletariats zusammenzufassen und zu lenken vermag nur die Avantgarde des Proletariats, seine Partei. Nur die Partei des Proletariats, nur die Partei der Kommunisten vermag diese Rolle des Hauptführers im System der Diktatur des Proletariats zu erfüllen.

Warum?

„Erstens, weil die Partei ein Sammelbecken der besten Elemente der Arbeiterklasse ist, die mit den parteilosen Organisationen des Proletariats unmittelbar verbunden sind und diese sehr oft leiten; zweitens, weil die Partei, als Sammelbecken der Besten der Arbeiterklasse, die beste Schule zur Heranbildung von Führern der Arbeiterklasse ist, die fähig sind, die Organisation ihrer Klasse in allen ihren Formen zu leiten; drittens, weil die Partei als die beste Schule von Führern der Arbeiterklasse, dank ihrer Erfahrung und Autorität, die einzige Organisation ist, die fähig ist, die Leitung des Kampfes des Proletariats zu zentralisieren und auf diese Weise alle wie immer gearteten parteilosen Organisationen der Arbeiterklasse in Hilfsorgane und Transmissionsriemen zu verwandeln, die sie mit der Klasse verbinden.“ (Siehe Über die Grundlagen des Leninismus.)

Die Partei ist die grundlegende führende Kraft im System der Diktatur des Proletariats.

„Die Partei ist die höchste Form des klassenmäßigen Zusammenschlusses des Proletariats.“ (Lenin.)

Also: die Gewerkschaften als Massenorganisationen des Proletariats, die die Partei mit der Klasse, vor allem auf dem Gebiete der Produktion verbindet; die Sowjets als Massenorganisationen der Werktätigen, die die Partei mit diesen, vor allem auf staatlichem Gebiete verbindet; die Genossenschaften als Massenorganisationen, hauptsächlich der Bauernschaft, die die Partei mit den Bauernmassen, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete, auf dem Gebiete der Erziehung der Bauernschaft in den sozialistischen Aufbau, verbindet; der Jugendverband als Massenorganisation der Arbeiter- und Bauernjugend, eine Organisation, die berufen ist, der Avantgarde des Proletariats die sozialistische Erziehung der neuen Generation und die Heranbildung der jungen Reserven zu erleichtern; und schließlich die Partei als grundlegende führende Kraft im System der Diktatur des Proletariats, die berufen ist, alle diese Massenorganisationen zu leiten – das ist im allgemeinen das Bild des „Mechanismus“ der Diktatur, das Bild des „Systems der Diktatur des Proletariats“.

Ohne die Partei als die grundlegende führende Kraft ist eine einigermaßen dauernde und feste Diktatur des Proletariats unmöglich.

Wir haben also, um mit Lenin zu sprechen, „im großen und ganzen einen formal nichtkommunistischen, elastischen und verhältnismäßig umfassenden, überaus mächtigen proletarischen Apparat, durch den die Partei mit der Klasse und der Masse eng verbunden ist und durch den unter Führung der Partei die Diktatur der Klasse verwirklicht wird“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.10, S.82).

Das bedeutet natürlich nicht, daß die Partei die Gewerkschaften, die Sowjets und die anderen Massenorganisationen ersetzen kann oder soll. Die Partei verwirklicht die Diktatur des Proletariats. Aber sie verwirklicht sie nicht unmittelbar, sondern mit Hilfe der Gewerkschaften, durch die Sowjets und deren Verzweigungen. Ohne diese „Transmissionen“ würde eine einigermaßen feste Diktatur unmöglich sein.

„Die Diktatur läßt sich nicht verwirklichen“, sagt Lenin, „ohne einige ‚Transmissionen‘ von der Avantgarde zur Masse der fortgeschrittenen Klasse und von dieser zur Masse der Werktätigen.“ „... Die Partei saugt sozusagen die Avantgarde des Proletariats in sich auf, und diese Avantgarde verwirklicht die Diktatur des Proletariats. Und ohne ein solches Fundament wie die Gewerkschaften zu besitzen, kann die Diktatur nicht verwirklicht, können die staatlichen Funktionen nicht ausgeübt werden. Ausgeübt werden müssen sie mit Hilfe einer Reihe besonderer Institutionen, wiederum neuer Art, nämlich: mit Hilfe des Sowjetapparats.“ [1] (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.80 u. 78/79.)

Als höchster Ausdruck der führenden Rolle der Partei, z.B. bei uns, in der Sowjetunion, im Lande der Diktatur des Proletariats, muß die Tatsache bezeichnet werden, daß keine einzige wichtige politische oder organisatorische Frage durch unsere Sowjet- und andere Massenorganisationen ohne leitende Weisungen der Partei entschieden wird. In diesem Sinne könnte man sagen, daß die Diktatur des Proletariats dem Wesen nach die „Diktatur“ seiner Avantgarde, die „Diktatur“ seiner Partei als der grundlegenden führenden Kraft des Proletariats ist. Darüber sagt Lenin auf dem II. Kongreß der Komintern:

„Tanner erklärt, daß er für die Diktatur des Proletariats sei, daß er sich aber die Diktatur des Proletariats nicht ganz so vorstelle wie wir. Wir verstünden unter der Diktatur des Proletariats im Grunde genommen [2] die Diktatur seiner organisierten und klassenbewußten Minderheit. Und in der Tat, im Zeitalter des Kapitalismus, wo die Arbeitermassen unaufhörlich ausgebeutet werden und nicht imstande sind, ihre menschlichen Fähigkeiten zu entwickeln, ist für die politischen Parteien der Arbeiter gerade der Umstand am charakteristischsten, daß sie nur eine Minderheit ihrer Klasse erfassen können. Die politische Partei kann nur die Minderheit der Klasse erfassen, ebenso wie die wirklich klassenbewußten Arbeiter in jeder kapitalistischen Gesellschaft nur die Minderheit aller Arbeiter bilden. Deshalb müssen wir anerkennen, daß nur diese klassenbewußte Minderheit die breiten Arbeitermassen leiten und führen kann. Wenn Genosse Tanner sagt, daß er ein Feind der Partei sei, daß er aber gleichzeitig dafür sei, daß eine Minderheit der am besten organisierten und revolutionärsten Arbeiter dem ganzen Proletariat den Weg weise, so sage ich, daß zwischen uns in Wirklichkeit keine Differenz besteht.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.10, S.206.)

Heißt das aber, daß man zwischen der Diktatur des Proletariats und der führenden Rolle der Partei (der „Diktatur“ der Partei) das Gleichheitszeichen setzen kann, daß man die erste der zweiten gleichstellen kann, die erste durch die zweite ersetzen kann? Natürlich heißt es das nicht. Natürlich kann man das nicht. Sorin z.B. sagt: „Die Diktatur des Proletariats ist die Diktatur unserer Partei.“ (Lenins Lehre von der Partei, S.95 russ.) Diese These stellt, wie man sieht, die ‚Diktatur der Partei‘ der Diktatur des Proletariats gleich. Kann man diese Gleichstellung als richtig bezeichnen, ohne den Boden des Leninismus zu verlassen? Nein, das kann man nicht. Und zwar aus folgenden Gründen.

Erstens. In dem oben angeführten Zitat aus der Rede Lenins auf dem II. Kongreß der Komintern stellt Lenin keineswegs die führende Rolle der Partei der Diktatur des Proletariats gleich. Er spricht bloß davon, daß „nur die klassenbewußte Minderheit (d.h. die Partei. J.St.) die breiten Arbeitermassen leiten und führen kann“, daß wir also eben in diesem Sinne „unter der Diktatur des Proletariats im Grunde genommen die Diktatur seiner organisierten und klassenbewußten Minderheit verstehen“. Wenn man „im Grunde genommen“ sagt, so heißt das noch nicht „vollständig“. Wir sagen oft, daß die nationale Frage im Grunde genommen eine Bauernfrage sei. Und das ist völlig richtig. Doch bedeutet das noch nicht, daß die nationale Frage sich mit der Bauernfrage deckt, daß die Bauernfrage ihrem Umfange nach der nationalen Frage gleich, daß die Bauernfrage mit der nationalen Frage identisch ist. Es bedarf keiner Beweise, daß die nationale Frage ihrem Umfange nach breiter und reichhaltiger ist als die Bauernfrage. Das gleiche ist, als Analogie hierzu, über die Führerrolle der Partei und über die Diktatur des Proletariats zu sagen. Verwirklicht die Partei die Diktatur des Proletariats und ist in diesem Sinne die Diktatur des Proletariats im Grunde genommen „die Diktatur“ seiner Partei, so bedeutet das noch nicht, daß die „Diktatur der Partei“ (die führende Rolle) identisch ist mit der Diktatur des Proletariats, daß die erste und die zweite ihrem Umfang nach gleich sind. Es bedarf keiner Beweise, daß die Diktatur des Proletariats ihrem Umfange nach breiter und reichhaltiger ist als die führende Rolle der Partei. Die Partei verwirklicht die Diktatur des Proletariats, es ist dies aber die Diktatur des Proletariats und keine andere. Wer die Führerrolle der Partei der Diktatur des Proletariats gleichstellt, der ersetzt die Diktatur des Proletariats durch die „Diktatur“ der Partei.

Zweitens. Kein einziger wichtiger Beschluß der Massenorganisationen des Proletariats kommt ohne leitende Weisungen der Partei zustande. Das ist völlig richtig. Doch bedeutet das, daß die Diktatur des Proletariats sich in den leitenden Weisungen der Partei erschöpft? Bedeutet das, daß man die leitenden Weisungen der Partei aus diesem Grunde der Diktatur des Proletariats gleichstellen kann? Natürlich nicht. Die Diktatur des Proletariats besteht aus den leitenden Weisungen der Partei samt der Durchführung dieser Weisungen durch die Massenorganisationen des Proletariats, samt ihrer Umsetzung in die Tat durch die Bevölkerung. Hier haben wir es, wie man sieht, mit einer ganzen Reihe von Übergängen und Zwischenstufen zu tun, die ein bei weitem nicht unwichtiges Moment der Diktatur des Proletariats ausmachen. Zwischen den leitenden Weisungen der Partei und ihrer Umsetzung in die Tat liegen folglich der Wille und die Handlungen der Gefährten, der Wille und die Handlungen der Klasse, ihre Bereitschaft (oder Weigerung), solche Weisungen zu unterstützen, ihre Fähigkeit (oder Unfähigkeit), diese Weisungen durchzuführen, ihre Fähigkeit (oder Unfähigkeit), sie gerade so durchzuführen, wie die Lage es erfordert. Es bedarf wohl keiner Beweise, daß die Partei, die die Führung auf sich genommen hat, mit dem Willen, mit dem Zustande, mit dem Bewußtseinsgrade der von ihr Geführten rechnen muß, daß sie den Willen, den Zustand und den Bewußtseinsgrad ihrer Klasse nicht außer Rechnung lassen darf. Wer daher die führende Rolle der Partei der Diktatur des Proletariats gleichstellt, der ersetzt den Willen und die Handlungen der Klasse durch die Weisungen der Partei.

Drittens. „Die Diktatur des Proletariats“, sagt Lenin, „ist der Klassenkampf des Proletariats, das gesiegt und die politische Macht erobert hat.“ (Lenin, Vorwort zu: Wie das Volk mit den Losungen der Freiheit und Gleichheit betrogen wird, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.311 russ.) Worin kann dieser Klassenkampf zum Ausdruck kommen? Er kann zum Ausdruck kommen in einer Reihe bewaffneter Aktionen des Proletariats gegen die Vorstöße der gestürzten Bourgeoisie oder gegen die Intervention der ausländischen Bourgeoisie. Er kann zum Ausdruck kommen im Bürgerkrieg, wenn die Diktatur des Proletariats noch nicht gefestigt ist. Er kann zum Ausdruck kommen in einer breiten Organisations- und Aufbauarbeit des Proletariats, unter Heranziehung der breiten Massen zu diesem Werke, wenn sich die Macht schon gefestigt hat. In allen diesen Fällen ist die handelnde Person das Proletariat als Klasse. Es ist niemals vorgekommen, daß die Partei, die Partei allein, alle diese Aktionen ausschließlich mit ihren eigenen Kräften, ohne Unterstützung der Klasse, organisiert hätte. Gewöhnlich leitet sie bloß diese Aktionen, und zwar leitet sie sie in dem Maße, in dem sie die Unterstützung der Klasse besitzt. Denn die Partei kann sich nicht mit der Klasse decken, sie kann nicht die Klasse ersetzen. Denn die Partei bleibt, bei all ihrer wichtigen, führenden Rolle, dennoch ein Teil der Klasse. Wer daher die führende Rolle der Partei der Diktatur des Proletariats gleichstellt, der verwechselt die Klasse mit der Partei.

Viertens. Die Partei verwirklicht die Diktatur des Proletariats. „Die Partei ist die unmittelbar regierende Avantgarde des Proletariats, sie ist der Führer.“ (Lenin.) In diesem Sinne übernimmt die Partei die Macht, regiert die Partei das Land. Doch bedeutet das noch nicht, daß die Partei die Diktatur des Proletariats unter Außerachtlassung der Staatsmacht, ohne die Staatsmacht, verwirklicht, daß die Partei das Land unabhängig von den Sowjets, nicht durch die Sowjets, regiert. Das bedeutet noch nicht, daß man die Partei den Sowjets, der Staatsmacht, gleichstellen kann. Die Partei ist der Kern der Macht. Aber sie ist nicht die Staatsmacht und kann nicht der Staatsmacht gleichgestellt werden. „Als regierende Partei“, sagt Lenin, „konnten wir nicht umhin, die ‚Spitzen‘ der Sowjets mit den ‚Spitzen‘ der Partei zu verschmelzen – sie sind bei uns verschmolzen und werden es bleiben.“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.254.) Das ist völlig richtig. Aber damit will Lenin keineswegs sagen, daß unsere Sowjetinstitutionen als Ganzes, z.B. unsere Armee, unser Verkehrswesen, unsere Wirtschaftsinstitutionen usw., Institutionen unserer Partei sind, daß die Partei die Sowjets und ihre Verzweigungen ersetzen, daß man die Partei der Staatsmacht gleichstellen kann.

Lenin hat wiederholt davon gesprochen, daß „das Sowjetsystem die Diktatur des Proletariats ist“, daß „die Sowjetmacht die Diktatur des Proletariats ist“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.7, S.233 u. 231), aber er hat niemals gesagt, daß die Partei die Staatsmacht sei, daß sie Sowjets und die Partei ein und dasselbe seinen. Die Partei, die einige hunderttausend Mitglieder zählt, leitet in der Hauptstadt und in der Provinz die Sowjets und deren Verzweigungen, die einige Millionen Menschen, Parteimitglieder und Parteilose, umfassen, aber sie kann und darf sie nicht ersetzen. Deshalb sagt Lenin, daß die „Diktatur verwirklicht wird durch das in den Sowjets organisierte Proletariat, das von der Kommunistischen Partei der Bolschewiki geführt wird“, daß „die ganze Arbeit der Partei mit Hilfe der Sowjets erfolgt, die die werktätigen Massen ohne Unterschied des Berufs vereinigen“ [3] (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.10, S.81 u. 83), daß man die Diktatur „... mit Hilfe des Sowjetapparates verwirklichen muß“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.79). Wer daher die führende Rolle der Partei mit der Diktatur des Proletariats gleichstellt, der verwechselt die Sowjets, die Staatsmacht, mit der Partei.

Fünftens. Der Begriff der Diktatur des Proletariats ist ein staatlicher Begriff. Die Diktatur des Proletariats schließt unbedingt den Begriff der Gewalt ein. Ohne Gewalt gibt es keine Diktatur, wenn man die Diktatur im strengen Sinne dieses Wortes auffaßt. Lenin definiert die Diktatur des Proletariats als „Staatsmacht, die sich unmittelbar auf die Gewalt stützt“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XIX, S.397). Spricht man daher von der Diktatur der Partei gegenüber der Klasse der Proletarier und stellt diese Diktatur der Diktatur des Proletariats gleich, so wird damit gesagt, daß die Partei gegenüber ihrer Klasse nicht bloß Leiter, nicht bloß Führer und Lehrer sein muß, sondern auch eine Art Staatsmacht, die ihr gegenüber Gewalt anwendet. Wer daher die „Diktatur der Partei“ der Diktatur des Proletariats gleichstellt, der geht stillschweigend davon aus, daß man die Autorität der Partei auf Gewalt aufbauen kann, was absurd und mit dem Leninismus völlig unvereinbar ist. Die Autorität der Partei beruht auf dem Vertrauen der Arbeiterklasse. Das Vertrauen der Arbeiterklasse aber wird nicht durch Gewalt erworben – durch Gewalt könnte es nur vernichtet werden –, sondern durch die richtige Theorie der Partei, durch die richtige Politik der Partei, durch die Ergebenheit der Partei für die Sache der Arbeiterklasse, durch ihre Verbundenheit mit den Massen der Arbeiterklasse, durch ihre Bereitschaft, ihre Fähigkeit, die Massen von der Richtigkeit ihrer Losungen zu überzeugen.

Was aber folgt aus alledem?

  1. Lenin wendet das Wort Diktatur der Partei nicht im strengen Sinne dieses Wortes an („Staatsmacht, die sich auf die Gewalt stützt“), sondern im übertragenen Sinne, im Sinne der Führung;
  2. wer die Führerrolle der Partei der Diktatur des Proletariats gleichstellt, der entstellt Lenin, da er der Partei fälschlich Funktionen der Gewalt gegenüber der Arbeiterklasse als Ganzem zuschreibt;
  3. wer der Partei Funktionen der Gewalt gegenüber der Arbeiterklasse zuschreibt, die ihr nicht eigen sind, der verletzt die elementaren Forderungen nach richtigen Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde und Klasse, zwischen Partei und Proletariat.

Wir stehen somit unmittelbar vor der Frage der Wechselbeziehungen zwischen Partei und Klasse, zwischen Parteimitgliedern und Parteilosen innerhalb der Arbeiterklasse.

Lenin definiert diese Wechselbeziehungen als „gegenseitiges Vertrauen zwischen der Vorhut der Arbeiterklasse und der Arbeitermasse“ [4] (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.291).

Was bedeutet das?

Das bedeutet erstens, daß die Partei für die Stimme der Massen ein feines Ohr haben muß, daß sie sich dem revolutionären Instinkt der Massen gegenüber aufmerksam verhalten muß, daß sie die Praxis des Kampfes der Massen studieren muß, indem sie daran die Richtigkeit ihrer Politik prüft, daß sie folglich nicht nur die Massen lehren, sondern auch von ihnen lernen muß.

Das bedeutet zweitens, daß die Partei tagaus, tagein sich das Vertrauen der proletarischen Massen erobern muß, daß sie durch ihre Politik und ihre Arbeit die Unterstützung der Massen erringen muß, daß sie nicht kommandieren darf, sondern vor allem überzeugen muß, indem sie es den Massen erleichtert, an Hand ihrer eigenen Erfahrungen die Richtigkeit der Politik der Partei zu erkennen, daß sie folglich Leiter, Führer, Lehrer ihrer Klasse sein muß.

Die Verletzung dieser Bedingungen bedeutet die Verletzung der richtigen Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde und Klasse, die Untergrabung des „gegenseitigen Vertrauens“, den Zerfall sowohl der Klassen- als auch der Parteidisziplin.

„Sicherlich sieht jetzt schon fast jeder“, sagt Lenin, „daß die Bolschewiki keine zweieinhalb Monate, geschweige denn zweieinhalb Jahre die Macht hätten behaupten können ohne die strengste, wahrhaft eiserne Disziplin in unserer Partei, ohne die vollste und grenzenloseste Unterstützung der Partei durch die gesamte Masse der Arbeiterklasse [5], d.h. durch alles, was in dieser Klasse denkt, ehrlich, selbstlos ist, Einfluß hat und fähig ist, die rückständigen Schichten zu führen oder mit sich fortzureißen.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.10, S.56.)

„Die Diktatur des Proletariats“, sagt Lenin weiter, „ist ein zäher Kampf, ein blutiger und unblutiger, gewaltsamer und friedlicher, militärischer und wirtschaftlicher, pädagogischer und administrativer Kampf gegen die Mächte und Traditionen der alten Gesellschaft. Die Macht der Gewohnheit von Millionen und aber Millionen ist die fürchterlichste Macht. Ohne eine eiserne und kampfgestählte Partei, ohne eine Partei, die das Vertrauen alles dessen genießt, was in der gegebenen Klasse ehrlich ist, ohne eine Partei, die es versteht, die Stimmung der Massen zu verfolgen und zu beeinflussen, ist es unmöglich, einen solchen Kampf erfolgreich zu führen.“ (Ebenda, S.78.)

Wie erwirbt aber die Partei dieses Vertrauen und diese Unterstützung der Klasse? Wie bildet sich die für die Diktatur des Proletariats notwendige eiserne Disziplin heraus, auf welchem Boden erwächst sie?

Darüber sagt Lenin folgendes:

„Worauf stützt sich die Disziplin der revolutionären Partei des Proletariats? Wodurch wird sie kontrolliert? Wodurch gestärkt? Erstens durch das Klassenbewußtsein der proletarischen Avantgarde und ihre Ergebenheit für die Revolution, durch ihre Ausdauer, ihre Selbstaufopferung, ihren Heroismus. Zweitens durch ihre Fähigkeit, sich mit den breitesten Massen der Werktätigen, in erster Linie mit den proletarischen, aber auch mit den nicht proletarischen werktätigen Massen zu verbinden, sich ihnen anzunähern und, wenn ihr wollt, bis zu einem gewissen Grad sich sogar mit ihnen zu verschmelzen. Drittens durch die Richtigkeit der politischen Führung die von dieser Avantgarde verwirklicht wird, durch die Richtigkeit ihrer politischen Strategie und Taktik, unter der Bedingung, daß die breitesten Massen sich durch die eigene Erfahrung von dieser Richtigkeit überzeugen. Ohne diese Bedingungen kann in einer revolutionären Partei, die wirklich fähig ist, die Partei der fortgeschrittenen Klasse zu sein, die die Bourgeoisie zu stürzen und die ganze Gesellschaft umzugestalten hat, die Disziplin nicht verwirklicht werden. Ohne diese Bedingungen werden Versuche, eine Disziplin zu schaffen, unvermeidlich zu einer Fiktion, zu einer Phrase, zu einer Farce. Diese Bedingungen können aber andererseits nicht auf einmal entstehen. Sie werden nur durch langwierige Arbeit, durch harte Erfahrung entwickelt; die Entwicklung wird durch die richtige, revolutionäre Theorie erleichtert, die ihrerseits kein Dogma ist, sondern nur in engem Zusammenhang mit der Praxis einer wirklichen Massenbewegung und einer wirklich revolutionären Bewegung endgültige Gestalt annimmt.“ (Ebenda, S.57/58.)

Und ferner:

„Um über den Kapitalismus zu siegen, bedarf es richtiger Wechselbeziehungen zwischen der führenden, der kommunistischen Partei, der revolutionären Klasse, dem Proletariat, und der Masse, d.h. der Gesamtheit der Werktätigen und Ausgebeuteten. Nur die kommunistische Partei, wenn sie tatsächlich die Avantgarde der revolutionären Klasse ist, wenn sie die besten Vertreter dieser Klasse in ihren Reihen zählt, wenn sie aus völlig bewußten, der Sache treu ergebenen Kommunisten besteht, die in zähen revolutionären Kämpfen geschult und gestählt worden sind, wenn sie es verstanden hat, sich mit dem ganzen Leben ihrer Klasse und durch sie mit der ganzen Masse der Ausgebeuteten unzertrennlich zu verknüpfen und dieser Klasse und dieser Masse volles Vertrauen einzuflößen [6], nur eine solche Partei ist fähig, das Proletariat in dem schonungslosesten, in dem entscheidenden, letzten Kampfe gegen alle Mächte des Kapitalismus zu führen. Andererseits ist das Proletariat nur unter der Führung einer solchen Partei fähig, die ganze Macht seines revolutionären Ansturms zu entfalten, die unausbleibliche Apathie und selbst den Widerstand einer kleinen Minderheit der vom Kapitalismus verdorbenen Arbeiteraristokratie, der alten Führer der Gewerkschaften, Genossenschaften usw. zu überwinden, seine ganze Kraft zu entfalten, die infolge der wirtschaftlichen Struktur der kapitalistischen Gesellschaft unvergleichlich größer ist als sein Anteil an der Bevölkerung.“ (Ebenda, S.157/158.)

Aus diesen Zitaten folgt:

  1. die Autorität der Partei und die für die Diktatur des Proletariats notwendige eiserne Disziplin in der Arbeiterklasse beruhen nicht auf der Furcht oder den „unbeschränkten“ Rechten der Partei, sondern auf dem Vertrauen der Arbeiterklasse zur Partei, auf der Unterstützung der Partei durch die Arbeiterklasse;
  2. das Vertrauen der Arbeiterklasse zur Partei wird nicht auf einmal und nicht durch Gewaltanwendung gegenüber der Arbeiterklasse erworben, sondern durch langwierige Arbeit der Partei in den Massen, durch die richtige Politik der Partei, durch die Fähigkeit der Partei, die Massen von der Richtigkeit ihrer Politik an Hand der eigenen Erfahrung der Massen zu überzeugen, durch die Fähigkeit der Partei, sich die Unterstützung der Arbeiterklasse zu sichern, die Massen der Arbeiterklasse zu führen;
  3. ohne die richtig Politik der Partei, die durch die Erfahrung des Kampfes der Massen bekräftigt wird, und ohne das Vertrauen der Arbeiterklasse gibt es keine wirkliche Führung durch die Partei und kann es sie auch nicht geben;
  4. die Partei und ihre Führung können – wenn die Partei das Vertrauen der Klasse genießt und wenn ihre Führung eine wirkliche Führung ist – nicht der Diktatur des Proletariats gegenübergestellt werden, denn ohne Führung durch die das Vertrauen der Arbeiterklasse genießende Partei („Diktatur“ der Partei) ist eine einigermaßen feste Diktatur des Proletariats unmöglich.

Ohne diese Bedingungen sind die Autorität der Partei und die eiserne Disziplin entweder eine hohle Phrase oder Überheblichkeit und Abenteurertum.

Man darf die Diktatur des Proletariats nicht der Führung durch die Partei (ihrer „Diktatur“) gegenüberstellen. Man darf es nicht, weil die Führung durch die Partei das Wesentliche an der Diktatur des Proletariats ist, wenn man eine einigermaßen feste und vollständige Diktatur im Auge hat und nicht etwa eine solche, wie es z.B. die Pariser Kommune war, die keine vollständige und feste Diktatur darstellte. Man darf es nicht, weil die Diktatur des Proletariats und die Führung durch die Partei sozusagen auf derselben Linie der Arbeit liegen und in derselben Richtung wirksam sind.

„Schon die Fragestellung allein“, sagt Lenin, „‚Diktatur der Partei oder Diktatur der Klasse? Diktatur (Partei) der Führer oder Diktatur (Partei) der Massen?‘ zeugt von einer ganz unglaublichen und ausweglosen Gedankenverwirrung ... Jedermann weiß, daß die Massen sich in Klassen teilen ..., daß die Klassen gewöhnlich und in der Mehrzahl der Fälle, wenigstens in den modernen zivilisierten Ländern, von den politischen Parteien geführt werden; daß die politischen Parteien als allgemeine Regel von mehr oder minder festen Gruppen der autoritativsten, einflußreichsten, erfahrensten, auf die verantwortungsvollsten Posten gewählten Personen gelenkt werden, die Führer genannt werden ... Sich aus diesem Anlaß bis zur Gegenüberstellung der Diktatur der Massen und der Diktatur der Führer überhaupt zu versteigen, ist ein lächerlicher Unsinn und eine Dummheit.“ (Ebenda, S.75 u. 77.)

Das ist völlig richtig. Aber diese richtige Auffassung geht von der Voraussetzung aus, daß die richtige Wechselbeziehung zwischen der Avantgarde und den Arbeitermassen, zwischen Partei und Klasse vorhanden sind. Sie geht von der Voraussetzung aus, daß die Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde und Klasse sozusagen normal, im Rahmen des „gegenseitigen Vertrauens“ bleiben.

Wie aber, wenn die richtigen Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde und Klasse, wenn die Beziehungen des „gegenseitigen Vertrauens“ zwischen Partei und Klasse gestört sind? Wie dann, wenn die Partei selbst beginnt, auf die eine oder die andere Weise sich der Klasse gegenüberzustellen, indem sie die Grundlagen der richtigen Wechselbeziehungen zur Klasse, die Grundlagen des „gegenseitigen Vertrauens“ verletzt? Sind solche Fälle überhaupt möglich? Ja, sie sind möglich. Sie sind möglich:

  1. wenn die Partei beginnt, ihre Autorität in den Massen nicht auf ihre Arbeit und das Vertrauen der Massen, sondern auf ihre „unbeschränkten Rechte“ zu gründen;
  2. wenn die Politik der Partei offenkundig unrichtig ist, sie aber ihren Fehler nicht überprüfen und korrigieren will;
  3. wenn die Politik der Partei im allgemeinen zwar richtig ist, die Massen aber noch nicht bereit sind, sie sich zu eigen zu machen, die Partei jedoch nicht abwarten will oder nicht abzuwarten versteht, um den Massen die Möglichkeit zu geben, sich an Hand ihrer eigenen Erfahrung von der Richtigkeit der Politik der Partei zu überzeugen.

Die Geschichte unserer Partei kennt eine ganze Reihe solcher Fälle. Die verschiedenen Gruppierungen und Fraktionen in unserer Partei kamen zu Fall und zerstoben deshalb, weil sie eine dieser drei Bedingungen oder manchmal auch alle diese Bedingungen zusammen verletzten.

Daraus folgt aber, daß die Gegenüberstellung von Diktatur des Proletariats und „Diktatur“ (Führung) der Partei nur dann nicht als richtig anerkannt werden kann:

  1. wenn man unter der Diktatur der Partei gegenüber der Arbeiterklasse nicht die Diktatur im eigentlichen Sinne dieses Wortes („die Macht, die sich auf die Gewalt stützt“), sondern die Führung durch die Partei versteht, die eine Gewaltanwendung gegenüber der Klasse als Ganzes, gegenüber ihrer Mehrheit ausschließt, wie dies eben auch von Lenin gemeint ist;
  2. wenn die Partei die nötigen Voraussetzungen hat, um wirklicher Führer der Klasse zu sein, das heißt, wenn die Politik der Partei richtig ist, wenn diese Politik den Interessen der Klasse entspricht;
  3. wenn die Klasse, wenn die Mehrheit der Klasse mit dieser Politik einverstanden ist, sie sich zu eigen macht, sich dank der Arbeit der Partei von der Richtigkeit dieser Politik überzeugt, der Partei vertraut und sie unterstützt.

Die Verletzung dieser Bedingungen ruft unweigerlich einen Konflikt zwischen Partei und Klasse, eine Spaltung zwischen den beiden, ihre Gegenüberstellung hervor.

Kann man der Klasse mit Gewalt die Führung der Partei aufdrängen? Nein, das kann man nicht. Jedenfalls kann eine solche Führung keine auch nur einigermaßen dauernde sein. Wenn die Partei die Partei des Proletariats bleiben will, so muß sie wissen, daß sie vor allem und hauptsächlich Leiter, Führer, Lehrer der Arbeiterklasse ist. Wir dürfen die Worte Lenins nicht vergessen, die er darüber in seiner Schrift Staat und Revolution gesagt hat:

„Durch Erziehung der Arbeiterpartei erzieht der Marxismus die Avantgarde des Proletariats, die fähig ist, die Macht zu ergreifen und das ganze Volk zum Sozialismus zu führen, die neue Ordnung zu leiten und zu organisieren, Leiter, Lehrer, Führer aller Werktätigen und Ausgebeuteten zu sein bei der Gestaltung ihres gesellschaftlichen Lebens ohne die Bourgeoisie und gegen die Bourgeoisie.“ (Lenin, Staat und Revolution, S.18.)

Kann man die Ansicht vertreten, daß die Partei der wirkliche Führer der Klasse ist, wenn ihre Politik unrichtig ist, wenn ihre Politik mit den Interessen der Klasse in Kollision gerät? Natürlich kann man das nicht. In solchen Fällen muß die Partei, wenn sie Führer bleiben will, ihre Politik überprüfen, muß sie ihre Politik richtigstellen, ihren Fehler zugeben und wiedergutmachen. Man könnte sich zur Bestätigung dieses Leitsatzes auf eine solche Tatsache aus der Geschichte unserer Partei berufen, wie die Periode der Abschaffung der Ablieferungspflicht, als die Arbeiter- und Bauernmassen offensichtlich ihre Unzufriedenheit mit unserer Politik bekundeten und als die Partei offen und ehrlich an die Überprüfung dieser Politik schritt. Sehen wir, was Lenin damals auf dem X. Parteitag über die Frage der Abschaffung der Ablieferungspflicht und der Einführung der Neuen Ökonomischen Politik sagte:

„Wir dürfen nichts zu verheimlichen suchen, sondern müssen unverblümt aussprechen, daß die Bauernschaft mit der Form der Beziehungen, wie sie sich bei uns zu ihr herausgebildet hat, unzufrieden ist, daß sie diese Form der Beziehungen nicht will und so nicht weiterleben wird. Das ist unbestreitbar. Dieser Wille der Bauernschaft ist in ganz bestimmter Weise zum Ausdruck gekommen. Das ist der Wille der ungeheuren Massen der werktätigen Bevölkerung. Dem müssen wir Rechnung tragen, und wir sind nüchterne Politiker genug um geradeheraus zu sagen: Laßt uns unsere Politik gegenüber der Bauernschaft revidieren.“ [7] (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.295.)

Kann man die Ansicht vertreten, daß die Partei die Initiative und die Leitung bei der Organisierung der entscheidenden Massenaktionen lediglich aus dem Grund auf sich nehmen muß, weil ihre Politik im allgemeinen richtig ist, wenn diese Politik noch nicht das Vertrauen und die Unterstützung der Klasse findet infolge, sagen wir, der politischen Rückständigkeit der Klasse, wenn es der Partei noch nicht gelungen ist, die Klasse von der Richtigkeit ihrer Politik zu überzeugen, weil, sagen wir, die Ereignisse noch nicht herangereift sind? Nein, keineswegs. In solchen Fällen muß die Partei, wenn sie ein wirklicher Führer sein will, abzuwarten verstehen, muß sie die Massen von der Richtigkeit ihrer Politik überzeugen, muß sie den Massen helfen, sich an Hand ihrer eigenen Erfahrung von der Richtigkeit dieser Politik zu überzeugen.

„Hat die revolutionäre Partei“, sagt Lenin, „nicht die Mehrheit in der Vorhut der revolutionären Klassen und im Lande, so kann von einem Aufstand keine Rede sein.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.6, S.296.)

„Ohne eine Änderung in den Anschauungen der Mehrheit der Arbeiterklasse ist die Revolution unmöglich, diese Änderung aber wird durch die politische Erfahrung der Massen geschaffen.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.10, S.119.)

„Die proletarische Avantgarde ist ideologisch gewonnen. Das ist das Wesentliche. Ohne diese Vorbedingungen kann man nicht einmal den ersten Schritt zum Siege machen. Aber von hier bis zum Siege ist es noch ziemlich weit. Mit der Avantgarde allein kann man nicht siegen. Die Avantgarde allein in den entscheidenden Kampf werfen, solange die ganze Klasse, solange die breiten Massen nicht eine Position eingenommen haben, wo sie die Avantgarde entweder direkt unterstützen oder wenigstens eine wohlwollende Neutralität ihr gegenüber üben und eine völlige Unfähigkeit, ihren Gegner zu unterstützen, an den Tag gelegt haben, wäre nicht nur eine Dummheit, sondern auch ein Verbrechen. Damit aber wirklich die ganze Klasse, damit wirklich die breiten Massen der Werktätigen und vom Kapital Unterdrückten zu dieser Position gelangen, dazu ist Propaganda allein, Agitation allein zu wenig. Dazu bedarf es der eigenen politischen Erfahrung dieser Massen.“ (Ebenda, S.128.)

Es ist bekannt, daß unsere Partei in der Periode von den Aprilthesen Lenins bis zum Oktoberaufstand 1917 eben in dieser Weise handelte. Und gerade deshalb, weil sie gemäß diesen Hinweisen Lenins handelt e, hat sie den Aufstand siegreich durchgeführt.

Das sind im wesentlichen die Bedingungen für die richtigen Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde und Klasse.

Was heißt führen, wenn die Politik der Partei richtig ist und die richtigen Beziehungen zwischen Avantgarde und Klasse nicht gestört werden?

Führen heißt unter diesen Bedingungen: verstehen, die Massen von der Richtigkeit der Politik der Partei zu überzeugen, heißt solche Losungen aufstellen und durchführen, die die Massen an die Positionen der Partei heranführen und es ihnen erleichtern, an Hand ihrer eigenen Erfahrungen die Richtigkeit der Politik der Partei zu erkennen, die Massen auf das Niveau des Bewußtseins der Partei heben und sich somit die Unterstützung der Massen, ihre Bereitschaft zum entscheidenden Kampfe sichern.

Deshalb ist die Methode der Überzeugung die Hauptmethode der Führung der Klasse durch die Partei.

„Wenn wir“, sagt Lenin, „jetzt in Rußland, nach zweieinhalb Jahren ungeahnter Siege über die Bourgeoisie Rußlands und der Entente, die ‚Anerkennung der Diktatur‘ zur Bedingung für den Eintritt in die Gewerkschaften machen wollten, so würden wir eine Dummheit begehen, unserem Einfluß auf die Massen Abbruch tun und den Menschewiki Vorschub leisten. Denn die ganze Aufgabe der Kommunisten besteht darin, es zu verstehen, die Rückständigen zu überzeugen, unter ihnen zu arbeiten, nicht aber sich von ihnen durch ausgeklügelte, kindisch-‚radikale‘ Losungen abzusondern.“ (Ebenda, S.88.)

Das bedeutet natürlich nicht, daß die Partei alle Arbeiter, bis auf den letzten Mann, überzeugen muß, daß man erst, wenn dies erreicht ist, zu Aktionen schreiten kann, daß man erst dann die Aktionen einleiten kann. Keineswegs. Das bedeutet bloß, daß die Partei, ehe sie zu entscheidenden politischen Aktionen schreitet, sich durch langwierige revolutionäre Arbeit die Unterstützung der Mehrheit der Arbeitermassen, zumindest aber die wohlwollende Neutralität der Mehrheit der Klasse sichern muß. Andernfalls wäre der Leninsche Leitsatz, daß die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse für die Partei eine unerläßliche Bedingung der siegreichen Revolution ist, jeden Sinnes bar.

Aber wie steht es um die Minderheit, wenn sie nicht will, wenn sie nicht einverstanden ist, sich freiwillig dem Willen der Mehrheit zu unterwerfen? Kann die Partei, soll die Partei, die das Vertrauen der Mehrheit auf ihrer Seite hat, die Minderheit zur Unterwerfung unter den Willen der Mehrheit zwingen? Jawohl, sie kann und muß es. Die Führung wird durch die Methode der Überzeugung der Massen gesichert, die die Hauptmethode der Einwirkung der Partei auf die Massen ist. Das schließt aber die Anwendung von Zwang nicht aus, sondern setzt sie voraus, wenn dieser Zwang sich auf das Vertrauen und die Unterstützung der Partei durch die Mehrheit der Arbeiterklasse gründet, wenn er gegenüber der Minderheit angewendet wird, nachdem man es vermocht hat, die Mehrheit zu überzeugen.

Man denke an die diesbezüglichen Auseinandersetzungen in unserer Partei, die in der Periode der Gewerkschaftsdiskussion stattfanden. Worin bestand damals der Fehler der Opposition, der Fehler des ZK der Eisenbahn- und Schiffahrtsarbeiter? Etwa darin, daß die Opposition damals die Anwendung von Zwang für möglich hielt? Nein, nicht darin. Der Fehler der Opposition bestand damals darin, daß sie, außerstande, die Mehrheit von der Richtigkeit ihrer Stellungnahme zu überzeugen, und nachdem sie das Vertrauen der Mehrheit eingebüßt hatte, dennoch Zwangsmaßnahmen anzuwenden begann und das „Durchrütteln“ der Leute forderte, die das Vertrauen der Mehrheit besaßen.

Sehen wir, was Lenin damals auf dem X. Parteitag in seiner Rede über die Gewerkschaften sagte:

„Um die Wechselbeziehungen und das gegenseitige Vertrauen zwischen der Avantgarde der Arbeiterklasse und der Arbeitermasse herzustellen, hätte man, wenn das ZK der Eisenbahn- und Schiffahrtsarbeiter einen Fehler begangen hat ..., diesen Fehler korrigieren sollen. Wenn man aber anfängt, diesen Fehler zu verteidigen, so wird das zur Quelle der politischen Gefahr. Wenn wir nicht das Möglichste im Geiste der Demokratie täten, um den Stimmungen, die hier Kutusow zum Ausdruck bringt, Rechnung zu tragen, so würden wir einen politischen Zusammenbruch erleben. Vor allem müssen wir überzeugen und dann erst Zwang anwenden. Wir müssen um jeden Preis zuerst überzeugen und dann erst Zwang anwenden. [8] Wir haben es nicht verstanden, die breiten Massen zu überzeugen, und haben das richtige Verhältnis zwischen Avantgarde und Massen gestört..“ (Lenin, Sämtl. Werke, Bd.XXVI, S.291.)

Dasselbe sagt Lenin in seiner Schrift Über die Gewerkschaften:

„Wir haben dann richtig und erfolgreich Zwang angewandt, wenn wir es verstanden, vorher für ihn eine Basis durch Überzeugung zu schaffen.“ (Ebenda, S.92.)

Und das ist völlig richtig. Denn ohne diese Bedingungen ist keinerlei Führung möglich. Denn nur auf diese Weise kann man die Einheit der Aktion in der Partei sichern, wenn es sich um die Partei handelt, und die Einheit der Aktion der Klasse, wenn es sich um die Klasse als Ganzes handelt. Ohne diese Bedingungen kommt es zu Spaltung, Zerfahrenheit, Zersetzung in den Reihen der Arbeiterklasse.

Das sind im allgemeinen die Grundlagen der richtigen Führung durch die Partei.

Jede andere Auffassung von der Führung ist Syndikalismus, Anarchismus, Bürokratismus, was man will – nur nicht Bolschewismus, nur nicht Leninismus.

Man darf die Diktatur des Proletariats nicht der Führung durch die Partei (ihrer „Diktatur“) gegenüberstellen, wenn richtige Wechselbeziehungen zwischen Partei und Arbeiterklasse, zwischen Avantgarde und Arbeitermassen vorhanden sind. Daraus folgt aber, daß man erst recht nicht die Partei der Arbeiterklasse, die Führung durch die Partei (ihrer „Diktatur“) der Diktatur der Arbeiterklasse gleichstellen darf. Aus dem Grunde, weil man die „Diktatur“ der Partei nicht der Diktatur des Proletariats gegenüberstellen darf, kam Sorin zu der unrichtigen Schlußfolgerung, daß „die Diktatur des Proletariats die Diktatur unserer Partei ist“. Aber Lenin spricht nicht nur von der Unzulässigkeit einer solchen Gegenüberstellung. Er spricht gleichzeitig davon, daß es unzulässig ist, „die Diktatur der Massen der Diktatur der Führer“ gegenüberzustellen. Soll man etwa aus diesem Grunde die Diktatur der Führer der Diktatur des Proletariats gleichstellen? Wollten wir diesen Weg beschreiten, so müßten wir sagen, daß „die Diktatur des Proletariats die Diktatur unserer Führer ist“. Eben zu dieser Dummheit führt ja eigentlich die Politik der Gleichstellung der „Diktatur“ der Partei mit der Diktatur des Proletariats ...

Wie steht die Sache in dieser Hinsicht bei Sinowjew?

Sinowjew steht im Grunde genommen auf demselben Standpunkt der Gleichstellung der „Diktatur“ der Partei mit der Diktatur des Proletariats wie Sorin, mit dem Unterschied jedoch, daß Sorin sich unumwundener und klarer ausdrückt, während Sinowjew „sich windet“. Es genügt, wenn wir z.B. folgende Stelle aus dem Buche Sinowjews Leninismusnehmen, um uns davon zu überzeugen:

„Was ist“, sagt Sinowjew, „die in der Sowjetunion bestehende Ordnung vom Standpunkte ihres Klasseninhalts? Das ist die Diktatur des Proletariats. Was ist die unmittelbare Triebfeder der Staatsmacht in der UdSSR? Wer verwirklicht die Macht der Arbeiterklasse? Die Kommunistische Partei! In diesem Sinne besteht bei uns [9] die Diktatur der Partei. Welches ist die juridische Form der Staatsmacht in der UdSSR? Welches ist der neue Typ der Staatsordnung, der von der Oktoberrevolution geschaffen wurde? Das ist das Sowjetsystem. Das eine widerspricht in keiner Weise dem anderen.“

Daß das eine dem anderen nicht widerspricht, ist natürlich richtig, wenn man unter der Diktatur der Partei gegenüber der Arbeiterklasse als Ganzem die Führung durch die Partei versteht. Wie kann man aber aus diesem Grunde ein Gleichheitszeichen zwischen Diktatur des Proletariats und „Diktatur“ der Partei, zwischen Sowjetsystem und „Diktatur“ der Partei setzen? Lenin stellte das Sowjetsystem der Diktatur des Proletariats gleich, und er hatte recht, denn die Sowjets, unsere Sowjets, sind Organisationen, die die werktätigen Massen um das Proletariat unter Führung der Partei zusammenfassen. Aber wann, wo, in welchem seiner Werke hat Lenin ein Gleichheitszeichen zwischen „Diktatur“ der Partei und Diktatur des Proletariats, zwischen „Diktatur“ der Partei und System der Sowjets gesetzt, wie das jetzt Sinowjew tut? Der Diktatur des Proletariats widerspricht weder die Führung („Diktatur“) durch die Partei noch die Führung („Diktatur“) durch die Führer. Soll man etwa aus diesem Grunde verkünden, daß unser Land das Land der Diktatur des Proletariats ist, das heißt das Land der Diktatur der Partei, das heißt das Land der Diktatur der Führer? Aber gerade zu dieser Dummheit führt doch das „Prinzip“ der Gleichstellung der „Diktatur“ der Partei mit der Diktatur des Proletariats, für das Sinowjew verstohlen und zaghaft eintritt.

In den zahlreichen Werken Lenins habe ich nur fünf Fälle finden können, wo Lenin im Vorbeigehen die Frage der Diktatur der Partei streift.

Der erste Fall betrifft eine Polemik gegen die Sozialrevolutionäre und Menschewiki, wo er sagt:

„Wenn man uns die Diktatur einer Partei zum Vorwurf macht und uns, wie ihr gehört habt, die sozialistische Einheitsfront vorschlägt, so sagen wir: ‚Jawohl, die Diktatur einer Partei! Dabei bleiben wir, und diesen Boden können wir nicht verlassen, weil das die Partei ist, die sich im Laufe von Jahrzehnten die Stellung als Avantgarde des gesamten Fabrik- und Industrieproletariats erobert hat.‘“ (Rede Lenins auf dem I. Allrussischen Kongreß der Bildungsarbeiter, Sämtl. Werke, Bd.XXIV, S.423 russ.)

Der zweite Fall betrifft den „Brief an die Arbeiter und Bauern anläßlich des Sieges über Koltschak“. Dort sagt er:

„Die Bauern schrecken sie (besonders die Menschewiki und Sozialrevolutionäre, sie alle, sogar die ‚Linken‘ unter ihnen) mit dem Schreckgespenst der ‚Diktatur einer Partei‘, der Partei der Bolschewiki, der Kommunisten. Das Beispiel Koltschak hat die Bauern gelehrt, ein Schreckgespenst nicht zu fürchten. Entweder die Diktatur (das heißt die eiserne Macht) der Gutsbesitzer und Kapitalisten oder die Diktatur der Arbeiterklasse.“ (Lenin, Brief an die Arbeiter und Bauern, ebenda, S.436 russ.)

Der dritte Fall betrifft die Rede Lenins auf dem II. Kongreß der Komintern, in der er gegen Tanner polemisiert. Diese Rede habe ich oben zitiert.

Der vierte Fall, das sind einige Zeilen in der Schrift Die Kinderkrankheit. Die betreffenden Zitate wurden schon oben angeführt.

Und der fünfte Fall betrifft den Entwurf einer Disposition über die Diktatur des Proletariats, veröffentlicht im Lenin-Sammelband Nr.III, wo ein Untertitel „Diktatur einer Partei“ vorkommt (Lenin-Sammelband Nr.III, S.497 russ.).

Es muß festgestellt werden, daß Lenin in zwei von den fünf Fällen, nämlich im letzten und im zweiten Fall, die Worte „Diktatur einer Partei“ in Anführungszeichen setzt und damit offenkundig den ungenauen, übertragenen Sinn dieser Formel unterstreicht.

Es muß ferner festgestellt werden, daß Lenin in allen diesen Fällen unter „Diktatur der Partei“ gegenüber der Arbeiterklasse nicht die Diktatur im eigentlichen Sinne dieses Wortes („sich auf die Gewalt stützende Macht“), sondern die Führung durch die Partei versteht.

Es ist charakteristisch, daß in keinem einzigen seiner Werke, weder in den grundlegenden noch in den übrigen, wo Lenin die Diktatur des Proletariats und die Rolle der Partei im System der Diktatur des Proletariats behandelt oder einfach erwähnt, auch nur eine Andeutung darauf zu finden ist, daß „die Diktatur des Proletariats die Diktatur unserer Partei ist“. Im Gegenteil: jede Seite, jede Zeile dieser Werke schlägt dieser Formel ins Gesicht (siehe Staat und Revolution, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Die Kinderkrankheit usw.).

Noch charakteristischer ist es, daß wir in den Thesen des II. Kongresses der Komintern über die Rolle der politischen Partei, die unter der unmittelbaren Leitung Lenins ausgearbeitet wurden und auf die sich Lenin in seinen Reden wiederholt als auf ein Muster für die richtige Formulierung der Rolle und der Aufgaben der Partei berief, kein einziges, buchstäblich kein einziges Wort über die Diktatur der Partei finden.

Was besagt das alles?

Es besagt:

  1. daß Lenin die Formel „Diktatur der Partei“ nicht für einwandfrei und genau hielt, weshalb sie in den Werken Lenins äußerst selten gebraucht und manchmal in Anführungszeichen gesetzt wird;
  2. daß Lenin in jenen wenigen Fällen, wo er in der Polemik mit Gegnern gezwungen war, von der Diktatur der Partei zu sprechen, gewöhnlich von der „Diktatur einer Partei“, d.h. davon sprach, daß unsere Partei allein an der Macht steht, daß sie die Macht nicht mit anderen Parteien teilt, wobei er stets erläuterte, daß man unter der Diktatur der Partei gegenüber der Arbeiterklasse die Führung durch die Partei, ihre führende Rolle verstehen muß;
  3. daß Lenin in allen Fällen, wo er es für nötig hielt, die Rolle der Partei im System der Diktatur des Proletariats wissenschaftlich zu definieren, ausschließlich von der führenden Rolle der Partei gegenüber der Arbeiterklasse sprach (und solche Fälle gibt es Tausende);
  4. daß gerade deshalb Lenin sich nicht „einfallen“ ließ, in die grundlegende Resolution über die Rolle der Partei – ich meine die Resolution des II. Kongresses der Komintern – die Formel „Diktatur der Partei“ aufzunehmen;
  5. daß vom Standpunkt des Leninismus diejenigen Genossen nicht im Rechte und politisch kurzsichtig sind, die die „Diktatur“ der Partei und folglich auch die „Diktatur der Führer“ der Diktatur des Proletariats gleichstellen oder gleichzustellen versuchen, denn sie verletzen dadurch die Bedingungen für die richtigen Wechselbeziehungen zwischen Avantgarde und Klasse.

Ich spreche schon gar nicht davon, daß die Formel „Diktatur der Partei“, wenn sie ohne die obenerwähnten Vorbehalte genommen wird, eine ganze Reihe von Gefahren und politischen Nachteilen in unserer praktischen Arbeit hervorrufen kann. Durch diese Formel, ohne Vorbehalte genommen, wird gleichzeitig gesagt:

  1. zu den parteilosen Massen: wagt nicht zu widersprechen, wagt nicht zu räsonieren, denn die Partei ist allmächtig, denn wir haben die Diktatur der Partei;
  2. zu den Parteikadern: handelt kühner, greift fester zu, man braucht gar nicht auf die Stimme der parteilosen Massen zu hören – wir haben die Diktatur der Partei;
  3. zu den Parteispitzen: man kann sich den Luxus einer gewissen Selbstzufriedenheit erlauben, man kann wohl auch ein wenig überheblich sein, denn wir haben ja die Diktatur der Partei und „folglich“ auch die Diktatur der Führer.

Auf diese Gefahren hinzuweisen, ist gerade jetzt angebracht, in der Periode des Aufschwungs der politischen Aktivität der Massen, wo die Bereitschaft der Partei, aufmerksam auf die Stimme der Massen zu lauschen, für uns von besonderem Wert ist, wo die Feinfühligkeit gegenüber den Anforderungen der Massen das grundlegende Gebot unserer Partei ist, wo von der Partei besondere Umsicht und besondere Beweglichkeit in der Politik verlangt werden, wo die Gefahr der Selbstüberhebung eine der ernstesten Gefahren ist, vor denen die Partei in der Frage der richtigen Führung der Massen steht.

Man muß an die goldenen Worte Lenins denken, die er auf dem XI. Parteitag unserer Partei gesagt hat:

„In der Volksmasse sind wir (Kommunisten. J.St.) immerhin nur ein Tropfen im Meere, und wir können nur dann regieren, wenn wir das richtig ausdrücken, dessen sich das Volk bewußt ist. Andernfalls wird die kommunistische Partei nicht das Proletariat führen und das Proletariat nicht die Massen führen, und die ganze Maschinerie wird zerfallen.“ (Lenin, Ausgew. Werke, Bd.9, S.393.)

„Das richtig ausdrücken, dessen sich das Volk bewußt ist“ – das ist gerade jene unerläßliche Bedingung, die der Partei die ehrenvolle Rolle sichert, die grundlegende führende Kraft im System der Diktatur des Proletariats zu sein.

 

 

Fußnote

1. Von mir hervorgehoben. J.St.

2. Von mir hervorgehoben. J.St.

3. Von mir hervorgehoben. J.St.

4. Von mir hervorgehoben. J.St.

5. Von mir hervorgehoben. J.St.

6. Von mir hervorgehoben. J.St.

7. Von mir hervorgehoben. J.St.

8. Von mir hervorgehoben. J.St.

9. Von mir hervorgehoben. J.St.

 


Zuletzt aktualisiert am 16.10.2003