Josef Wissarionowitsch Stalin

 

Über die Aufgaben der Wirtschaftler

(4. Februar 1931)


Rede auf der ersten Unionskonferenz der Funktionäre der „sozialistischen“ Industrie am 4. Februar 1931.
Dieser Text wurde dem ehemaligen ausgezeichneten Archiv Klassiker des Marxismus-Leninismus entnommen.
Bei dieser URL findet man heute das ebenso ausgezeichnete Archiv Stimmen der Proletarischen Revolution.
HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


Genossen! Die Arbeit eurer Konferenz geht ihrem Ende zu. Ihr steht im Begriff, die Resolutionen anzunehmen. Ich zweifle nicht daran, daß sie einstimmig angenommen werden. In diesen Resolutionen – ich kenne sie ein wenig – billigt ihr die Kontrollziffern der Industrie für das Jahr 1931 und übernehmt die Verpflichtung, sie zu erfüllen.

Das Wort des Bolschewiks ist ein ernstes Wort. Die Bolschewiki sind es gewohnt, gegebene Versprechen zu halten. Was aber heißt die Verpflichtung, die Kontrollziffern für das Jahr 1931 zu erfüllen? Das heißt, einen durchschnittlichen Zuwachs der Industrieproduktion in Höhe von 45 Prozent sicherzustellen. Das aber ist eine sehr große Aufgabe. Mehr noch. Eine solche Verpflichtung bedeutete, daß ihr nicht nur das Versprechen gebt, unseren Fünfjahresplan in vier Jahren zu erfüllen – das ist eine bereits beschlossenen Sache, und hierzu bedarf es keiner Resolutionen mehr –, das heißt, daß ihr das Versprechen gebt, ihn in den grundlegenden, den ausschlaggebenden Industriezweigen in drei Jahren zu erfüllen.

Es ist gut, daß die Konferenz das Versprechen gibt, den Plan für 1931 zu erfüllen, den Fünfjahresplan in drei Jahren zu erfüllen. Wir sind jedoch durch „bittere Erfahrung“ gewitzigt. Wir wissen, daß Versprechungen nicht immer gehalten werden. Anfang 1930 wurde ebenfalls das Versprechen gegeben, den Jahresplan zu erfüllen. Damals sollte die Produktion unserer Industrie um 31 bis 32 Prozent gesteigert werden. Das Versprechen wurde jedoch nicht vollständig gehalten. Der Zuwachs der Industrieproduktion betrug im Jahre 1930 in Wirklichkeit 25 Prozent. Wir müssen die Frage stellen: wird sich in diesem Jahre nicht dasselbe wiederholen? Die Leiter, die Funktionäre unserer Industrie geben jetzt das Versprechen, die Industrieproduktion im Jahre 1931 um 45 Prozent zu steigern. Wo ist aber die Garantie, daß das Versprechen gehalten wird?

Was ist erforderlich, um die Kontrollziffern zu erfüllen, um einen Produktionszuwachs von 45 Prozent zu erzielen, um die Erfüllung des Fünfjahresplans nicht in vier, sondern in den grundlegenden und ausschlaggebenden Produktionszweigen in drei Jahren zu erreichen?

Dazu sind zwei Hauptbedingungen erforderlich.

Erstens, daß reale oder, wie na bei uns sagt, „objektive“ Möglichkeiten hierzu vorhanden seien.

Zweitens, daß er Wunsch und die Fähigkeit vorhanden seien, unsere Betriebe so zu leiten, daß diese Möglichkeiten in die Tat umgesetzt werden.

Hatten wir im vergangenen Jahr die „objektiven“ Möglichkeiten zur vollständigen Erfüllung des Plan? Jawohl. Unbestreitbare Tatsachen bezeugen das. Diese Tatsachen bestehen darin, daß die Industrie im März und April des vergangenen Jahres einen Produktionszuwachs von 31 Prozent im Vergleich mit dem Vorjahre aufwies. Warum also, fragt es sich, haben wir den Plan für das ganze Jahr nicht erfüllt? Was stand im Wege? Woran mangelte es? Es mangelte an der Fähigkeit, die vorhandenen Möglichkeiten auszunutzen. Es mangelte an der Fähigkeit, die Werke, Fabriken und Bergwerke richtig zu leiten.

Die erste Bedingung, die „objektiven“ Möglichkeiten zur Erfüllung des Plans, war gegeben. Wir verfügten jedoch nicht in genügendem Maße über die zweite Bedingung: die Fähigkeit, die Produktion zu leiten. Und gerade weil es an der Fähigkeit zur Leitung der Betriebe mangelt, gerade deshalb wurde der Plan nicht erfüllt. Statt eines Zuwachses von 31 bis 32 Prozent erzielten wir bloß 25 Prozent.

Natürlich sind 25 Prozent Zuwachs eine große Sache. Kein einziges kapitalistisches Land hatte im Jahre 1930 und hat gegenwärtig einen Produktionszuwachs zu verzeichnen. In allen kapitalistischen Ländern ohne Ausnahme findet ein schroffer Produktionsrückgang statt. Unter solchen Verhältnissen ist ein Zuwachs von 25 Prozent ein großer Schritt vorwärts. Aber wir hätten mehr leisten können. Wir verfügten über alle notwendigen „objektiven“ Bedingungen dazu.

Welche Garantie besteht nun dafür, daß sich das im vergangenen Jahr Vorgefallene in diesem Jahr nicht wiederholt, daß der Plan restlos erfüllt wird, daß wir die vorhandenen Möglichkeiten so ausnutzen werden, wie man sie ausnutzen soll, daß euer Versprechen nicht zu einem gewissen Teile auf dem Papier bleibt?

In der Geschichte der Staaten, in der Geschichte der Länder, in der Geschichte der Armeen hat es Fälle gegben, wo alle Möglichkeiten für den Erfolg, für den Sieg vorhanden waren, diese Möglichkeiten aber unausgenutzt blieben, weil die Führer diese Möglichkeiten nicht sahen, nicht auszunutzen verstanden, und die Armeen erlitten eine Niederlage.

Haben wir alle Möglichkeiten, die notwendig sind, um die Kontrollziffern für das Jahr 1931 zu erfüllen?

Jawohl, dies Möglichkeiten haben wir.

Worin bestehen diese Möglichkeiten, was ist erforderlich, damit diese Möglichkeiten Wirklichkeit werden?

Vor allem sind dazu in genügender Menge Naturschätze im Lande erforderlich: Eisenerz, Kohle, Erdöl, Getreide, Baumwolle. Besitzen wir sie? Jawohl? Wir besitzen sie in größerer Menge als irgendein anderes Land. Man nehme nur den Ural, der eine Kombination von Bodenschätzen aufweist, wie sie in keinem Lande zu finden ist. Erz, Kohle, Erdöl, Getreide – was gibt es nicht alles im Ural!

Wir haben alles in unserem Lande, vielleicht mit Ausnahme von Kautschuk. In ein bis zwei Jahren jedoch werden wir auch Kautschuk zur Verfügung haben. In dieser Beziehung, was die Naturschätze betrifft, sind wir vollkommen sichergestellt. Wir haben ihrer sogar mehr als nötig wäre.

Was ist noch erforderlich?

Erforderlich ist das Bestehen einer Staatsmacht, die den Wunsch und die Kraft hat, diese ungeheuren Naturschätze zum Wohl des Volkes auszunutzen. Haben wir eine solche Staatsmacht? Jawohl. Allerdings verläuft unsere Arbeit zur Ausnutzung der Naturschätze nicht immer ohne Reibungen zwischen unseren eigenen Funktionären. Im vergangenen Jahre z.B. hatte die Sowjetmacht einen gewissen Kampf zu führen in der Frage der Bildung einer zweiten Kohlen- und Hüttenindustriebasis, ohne die wir uns nicht weiterentwickeln können. Diese Hindernisse haben wir jedoch schon überwunden. Und diese Basis werden wir bald haben.

Was ist noch erforderlich?

Es ist noch erforderlich, daß diese Staatsmacht die Unterstützung der Millionenmassen der Arbeiten und Bauern genießt. Genießt unsere Staatsmacht diese Unterstützung? Jawohl. In der ganzen Welt werdet ihr keine andere Staatsmacht finden, die eine solche Unterstützung der Arbeiter und Bauern genießt wie die Sowjetmacht. Ich werde mich nicht auf die Tatsache des Anwachsens des sozialistischen Wettbewerbs, des Anwachsens der Stoßarbeiterbewegung, auf die Kampagne des Kampfes für den Produktions- und Finanzgegenplan berufen. Alle dies Tatsachen, die anschaulich zeigen, daß die Sowjetmacht von den Millionenmassen unterstützt wird, sind allbekannt.

Was ist noch notwendig, um die Kontrollziffern für 1931 zu erfüllen und überzuerfüllen?

Notwendig ist noch eine Gesellschaftsordnung, die von den unheilbaren Krankheiten des Kapitalismus frei ist und vor dem Kapitalismus ernste Vorzüge voraus hat. Krise, Erwerbslosigkeit, Verschwendung, Elend der breiten Massen – das sind unheilbaren Krankheiten des Kapitalismus. Unsere Gesellschaftsordnung leidet nicht an diesen Krankheiten, weil die Macht in unseren Händen, in den Händen der Arbeiterklasse liegt, weil wir eine Planwirtschaft betreiben, weil wir planmäßig Hilfsmittel anhäufen und sie auf die einzelnen Zweige der Volkswirtschaft richtig verteilen. Wir sind frei von den unheilbaren Krankheiten des Kapitalismus. Darin unterscheiden wir uns vom Kapitalismus, darin besteht unser entscheidender Vorzug vor dem Kapitalismus. Seht euch an, wie die Kapitalisten aus der Krise herauskommen wollen. Sie senken den Arbeitslohn der Arbeiter aufs äußerste. Sie drücken die Preise für Rohstoffe und Lebensmittel aufs äußerste hinab. Sie wollen jedoch nicht die Preise für Industrieerzeugnisse auch nur einigermaßen ernstlich herabsetzen. Das bedeutet, daß sie aus der Krise auf Kosten der Hauptmasse der Warenkonsumenten, auf Kosten der Arbeiter, auf Kosten der Bauern, auf Kosten der Werktätigen jener Länder herauskommen wollen, die Rohstoffe und Lebensmittel produzieren. Die Kapitalisten sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen. Und statt eines Auswegs aus der Krise ergibt sich eine Vertiefung der Krise, ergibt sich eine Anhäufung neuer Voraussetzungen, die zu einer neuen, noch heftigeren Krise führen. Unser Vorzug besteht darin, daß wir keine Überproduktionskrisen kennen, daß wir nicht Millionen Erwerbsloser haben und sie niemals haben werden, daß es bei uns in der Produktion keine Anarchie gibt, denn wir führen eine Planwirtschaft. Das ist aber noch nicht alles. Wir sind das Land der konzentriertesten Industrie. Das bedeutet, daß wir unsere Industrie auf der Grundlage der besten Technik aufbauen und infolgedessen eine beispiellose Arbeitsproduktivität, ein beispielloses Akkumulationstempo erzielen können. In der Vergangenheit bestand unsere Schwäche darin, daß diese Industrie auf der zersplitterten und kleinen Bauernwirtschaft basierte. Aber das war einmal. Heute ist es nicht mehr so. Morgen, vielleicht, schon in einem Jahr, werden wir das Land der größten landwirtschaftlichen Betriebe der Welt sein. Die Sowjet- und Kollektivwirtschaften – sie sind Formen des Großbetriebes – lieferten bereits in diesem Jahre die Hälfte unseres gesamten Marktgetreides. Das bedeutet aber, daß unser System, das Sowjetsystem, uns Möglichkeiten eines raschen Vorwärtsschreitens bietet, wie sie sich kein bürgerliches Land auch nur träumen lassen kann.

Was ist aber noch erforderlich, um mit Siebenmeilenstiefeln vorwärtszuschreiten?

Erforderlich ist eine Partei, genügend geschlossen und einheitlich, um die Anstrengungen der Besten der Arbeiterklasse auf einen Punkt zu richten, und genügend erfahren, um nicht vor Schwierigkeiten die Segel zu streichen und systematisch eine richtige, revolutionäre, bolschewistische Politik durchzuführen. Haben wir eine solche Partei? Jawohl, wir haben sie. Ist ihre Politik richtig? Jawohl, sie ist richtig, denn sie zeitigt ernste Erfolge. Das erkennen heute nicht nur die Freunde, sondern auch die Feinde der Arbeiterklasse an. Seht euch an, wie die jedermann bekannten „ehrenwerten“ Gentlemen – Fisch in Amerika, Churchill in England, Poincaré in Frankreich – gegen unsere Politik zetern und toben. Weshalb zetern und toben sie? Weil die Politik unserer Partei richtig ist, weil sie Erfolg auf Erfolg bringt.

Das sind, Genossen, all die Möglichkeiten, die uns die Verwirklichung der Kontrollziffern für 1931 erleichtern, die uns die Möglichkeit geben, den Fünfjahresplan in vier Jahren und in den entscheidenden Produktionszweigen sogar in drei Jahren zu erfüllen.

Somit ist die erste Bedingung für die Planerfüllung – die „objektiven“ Möglichkeiten – bei uns vorhanden.

Haben wir die zweite Bedingung – die Fähigkeit, diese Möglichkeiten auszunutzen?

Mit anderen Worten, werden unsere Fabriken, Werke und Gruben richtig geleitet? Ist hier alles in Ordnung?

Leider ist hier nicht alles in Ordnung. Und als Bolschewiki müssen wir das unumwunden und offen aussprechen.

Was heißt, die Produktion leiten? Bei uns wird die Frage der Leitung der Betriebe nicht immer bolschewikisch behandelt. Bei uns glaubt man nicht selten, leiten heiße Papiere unterzeichnen. Das ist traurig, aber Tatsache. Zuweilen errinnert man sich unwillkürlich der Schtschedrinischen Pompadours. Ihr erinnert euch, wie Frau Pompadour den jungen Pompadour belehrt: Zerbrich dir nicht den Kopf über die Wissenschaft, vertiefe dich nicht in die Dinge, mögen sich andere damit befassen – deine Sache ist es, zu leiten, Papiere zu unterzeichnen. Zu unserer Schande muß man gestehen, daß es auch unter uns Bolschewiki nicht wenig Leute gibt, die durch Unterzeichnung von Papieren leiten. Sich jedoch in die Dinge vertiefen, die Technik meistern, zum wirklichen Meister ihrer Sache werden – in dieser Hinsicht ist bei ihnen nichts zu merken.

Wie konnte es geschehen, daß wir Bolschewiki, die wir drei Revolutionen hinter uns haben, die wir siegreich aus einem schweren Bürgerkriege hervorgegangen sind, die gewaltige Aufgabe der Schaffung einer Industrie gelöst und die Bauernschaft auf den Weg des Sozialismus gebracht haben – wie konnte es geschehen, daß wir bei der Leitung der Produktion vor einem Papierchen die Segel streichen?

Die Ursache liegt darin, daß es leichter ist, ein Papier zu unterzeichnen als die Produktion zu leiten. Viele Wissenschaftler haben nun diese Richtung des geringsten Widerstands eingeschlagen. Auch uns, die Zentrale, trifft hier zum Teil die Schuld. Etwa vor zehn Jahren wurde die Losung ausgegeben: „Da die Kommunisten mit der Produktionstechnik noch nicht gehörig vertraut sind, da sie die Verwaltung der Wirtschaft erst noch erlernen müssen, so sollen die alten Techniker und Ingenieure, die Spezialisten, die Produktion leiten, ihr Kommunisten aber mischt euch nicht in die Technik der Arbeit ein, sondern studiert die Technik, ohne euch einzumischen, studiert die Wissenschaft der Verwaltung der Produktion ohne Rast und Ruh, um dann zusammen mit den uns ergebenen Spezialisten zu wirklichen Leitern der Produktion zu werden, zu wirklichen Meistern eurer Sache.“ So lautete die Losung. Was geschah aber in Wirklichkeit? Der zweite Teil dieser Formel wurde über Bord geworfen, denn lernen ist schwerer als Papiere zu unterschreiben, der erste Teil der Formel aber wurde verflacht, indem die Nichteinmischung als Verzicht auf das Studium der Technik der Produktion ausgelegt wurde. Es kam ein Unsinn, ein schädlicher und gefährlicher Unsinn heraus, und je rascher wir uns von ihm befreien, desto besser.

Das Leben selbst signalisierte uns wiederholt, daß auf diesem Gebiete nicht alles in Ordnung ist. Der Schachty-Prozeß war das erste Signal. Der Schachty-Prozeß zeigte, daß es bei den Parteiorganisationen und Gewerkschaften an revolutionärer Wachsamkeit mangelt. Er zeigte, daß unsere Wirtschaftler in technischer Hinsicht unerhört rückständig sind, daß manche alten Ingenieure und Techniker, da sie unkontrolliert arbeiten, leicht auf die Bahn der Schädlingsarbeit abgleiten, um so mehr, als sie von den Feinden im Auslande ununterbrochen mit „Angeboten“ bedrängt werden. Das zweite Signal war der Prozeß gegen die „Industriepartei“.

Natürlich liegt dem Schädlingswesen der Klassenkampf zugrunde. Natürlich setzt der Klassenfeind der sozialistischen Offensive wütenden Widerstand entgegen. Das allein genügt aber nicht, um eine so üppige Entfaltung des Schädlingswesens zu erklären.

Wie konnte es geschehen,, daß das Schädlingswesen ein so großes Ausmaß angenommen hatte? Wer ist schuld daran? Wir sind schuld daran. Hätten wir die Leitung der Wirtschaft anders organisiert, wären wir viel früher zum Studium der Technik, zur Meisterung der Technik übergegangen, hätten wir häufiger und mit Sachkenntnis in die Leitung der Wirtschaft eingegriffen, dann wäre es den Schädlingen nicht gelungen, soviel Schaden anzurichten.

Wir selbst müssen zu Spezialisten, zu Meistern unserer Sache werden, wir müssen uns dem technischen Wissen zuwenden – diesen Weg wies uns das praktische Leben. Aber weder das erste Signal noch selbst das zweite Signal genügte, um die notwendige Wendung herbeizuführen. Es ist Zeit, daß wir uns der Technik zuwenden. Es ist Zeit, daß wir die alte Losung, die überholte Losung von der Nichteinmischung in die Technik, über Bord werfen und daß wir selbst Spezialisten, Sachkundige, selbst vollauf Meister unserer Sache werden.

Häufig wird die Frage gestellt: weshalb gibt es bei uns keine individuelle Leitung? Wir haben sie nicht und werden sie nicht haben, solange wird die Technik nicht gemeistert haben. Solange es unter uns, unter den Bolschewiki, nicht genügend Leute geben wird, die mit den Fragen der Technik, der Wirtschaft und Finanzen gründlich vertraut sind, werden wir keine wirkliche individuelle Leitung haben. Ihr könnt soviel Resolutionen schreiben, wie ihr wollt, und beliebige Eide leisten, wenn ihr aber die Technik, die Wirtschaft, das Finanzwesen eines Werkes, einer Fabrik, einer Grube nicht gemeistert habt, wird alles unnütz sein, wird es keine individuelle Leitung geben. Die Aufgabe besteht also darin, daß wird selbst die Technik meistern, selbst Meister der Sache werden. Nur darin liegt die Gewähr, daß unsere Pläne vollständig erfüllt werden und die individuelle Leitung verwirklicht wird.

Es ist dies natürlich keine leichte Aufgabe, sie ist jedoch durchaus zu bewältigen. Wissenschaft, technische Erfahrungen, Kenntnisse – all dies kann man erwerben. Heute hat man sie nicht, morgen wird man sie haben. Die Hauptsache ist hier, das leidenschaftlich bolschewikische Verlangen nach der Meisterung der Technik, nach der Meisterung der Wissenschaft von der Produktion zu besitzen. Bei leidenschaftlichem Verlangen kann man alles erreichen, alles überwinden.

Zuweilen wird die Frage gestellt, ob man nicht das Tempo etwas verlangsamen, die Bewegung zurückhalten könnte. Nein, das kann man nicht, Genossen! Das Tempo darf nicht herabgesetzt werden! Im Gegenteil, es muß nach Kräften und Möglichkeiten gesteigert werden. Das fordern von uns unsere Verpflichtungen gegenüber den Arbeitern und Bauern der UdSSR. Das fordern von uns unsere Verpflichtungen gegenüber der Arbeiterklasse der ganzen Welt.

Das Tempo verlangsamen, das bedeutet zurückbleiben. Und Rückständige werden geschlagen. Wir aber wollen nicht die Geschlagenen sein. Nein, das wollen wir nicht! Die Geschichte des alten Rußland bestand unter anderem darin, daß es wegen seiner Rückständigkeit geschlagen wurde. Es wurde geschlagen von den mongolischen Khans. Es wurde geschlagen von den türkischen Begs. Es wurde geschlagen von den schwedischen Feudalen. Es wurde geschlagen von den polnisch-litauischen Pans. Es wurde geschlagen von den englisch-französischen Kapitalisten. Es wurde geschlagen von den japanischen Baronen. Es wurde von allen geschlagen wegen seiner Rückständigkeit. Wegen seiner militärischen Rückständigkeit, seiner kulturellen Rückständigkeit, seiner staatlichen Rückständigkeit, seiner industriellen Rückständigkeit, seiner landwirtschaftlichen Rückständigkeit. Es wurde geschlagen, weil das einträglich war und ungestraft blieb. Erinnert euch der Worte des vorrevolutionären Dichters: „Du bist armselig und reich, mächtig und ohnmächtig zugleich, Mütterchen Rußland.“ Diese Worte des alten Dichters haben sich diese Herrschaften gut gemerkt. Sie schlugen zu und sprachen dabei: „Du bist reich“ – also kann man sich auf deine Kosten bereichern. Sie schlugen zu und sprachen dabei: „Du bist armselig, ohnmächtig“ – also kann man dich ungestraft schlagen und plündern. Das Gesetz der Ausbeuter ist nun einmal so – die Rückständigen und Schwachen werden geschlagen. Das ist das Wolfsgesetz des Kapitalismus. Du bist rückständig, du bist schwach – also bist du im Unrecht, also kann man dich schlagen und unterjochen. Du bist mächtig – also hast du recht, also muß man sich vor dir hüten.

Das ist der Grund, warum wir nicht länger zurückbleiben dürfen. In der Vergangenheit hatten wir kein Vaterland und konnten keines haben. Jetzt aber, wo wir den Kapitalismus gestürzt haben und bei uns die Arbeiter an der Macht stehen, haben wir ein Vaterland und werden seine Unabhängigkeit verteidigen. Wollt ihr, daß unser sozialistisches Vaterland geschlagen wird und seine Unabhängigkeit verliert? Wenn ihr das nicht wollt, dann müßt ihr in kürzester Frist seine Rückständigkeit beseitigen und ein wirkliches bolschewistisches Tempo im Aufbau seiner sozialistischen Wirtschaft entwickeln. Andere Wege gibt es nicht. Darum sagte Lenin zur Zeit des Oktober: „Entweder Tod oder die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder einholen und überholen.“

Wir sind hinter den fortgeschrittenen Ländern um 50 bis 100 Jahre zurückgeblieben. Wir müssen diese Distanz in zehn Jahren durchlaufen. Entweder bringen wir das zustande, oder wir werden zermalmt.

Dies zustande zu bringen, gebieten uns die Verpflichtungen, die wir den Arbeitern und Bauern der Sowjetunion gegenüber haben.

Wir haben aber noch andere, ernstere und wichtigere Verpflichtungen. Das sind die Verpflichtungen gegenüber dem Weltproletariat. Sie fallen mit den Verpflichtungen der ersten Art zusammen. Wir stellen sie jedoch höher. Die Arbeiterklasse der Sowjetunion ist ein Teil der internationalen Arbeiterklasse. Wir haben nicht nur durch die Anstrengungen der Arbeiterklasse der Sowjetunion, sondern auch dank der Unterstützung der internationalen Arbeiterklasse gesiegt. Ohne diese Unterstützung hätte man uns längst zerfleischt. Man sagt, daß unser Land die Stoßbrigade des Proletariats aller Länder ist. Das ist gut gesagt. Dadurch werden uns jedoch die allerernstesten Verpflichtungen auferlegt. Weshalb unterstützt uns das internationale Proletariat, wodurch haben wir diese Unterstützung verdient? Dadurch, daß wir uns als erste in den Kampf gegen den Kapitalismus gestürzt, als erste eine Arbeitermacht errichtet, als erste den Sozialismus aufzubauen begonnen haben. Dadurch, daß wir ein Werk vollbringen, das im Falle des Erfolges die ganze Welt umwälzen und die gesamte Arbeiterklasse befreien wird. Was aber ist erforderlich zum Erfolg? Die Liquidierung unserer Rückständigkeit, die Entfaltung eines hohen bolschewistischen Aufbautempos. Wir müssen so vorwärtsschreiten, daß die Arbeiterklasse der ganzen Welt, auf uns blickend, sagen kann: Hier ist sie, meine Vorhut, hier ist sie, meine Stoßbrigade, hier ist sie, meine Arbeitermacht, hier ist es mein Vaterland – sie machen ihr Werk, unser Werk, gut; unterstützen wir sie gegen die Kapitalisten und entfachen wir die Sache der Weltrevolution. Müssen wir die Hoffnungen der internationalen Arbeiterklasse rechtfertigen, unsere Verpflichtungen ihr gegenüber erfüllen? Jawohl, das müssen wir, wenn wir uns nicht vollends mit Schmach und Schande bedecken wollen.

Das sind unsere Verpflichtungen, die inneren und die internationalen.

Ihr seht, daß sie uns ein bolschewistisches Entwicklungstempo vorschreiben.

Ich sage nicht, daß in bezug auf die Leitung der Wirtschaft bei uns in den letzten Jahren nichts geleistet wurde. Es ist gewiß etwas geleistet worden, und sogar sehr viel. Wir haben die Industrieproduktion im Vergleich zur Vorkriegszeit verdoppelt. Wir haben eine Landwirtschaft geschaffen, die die größten Betriebe der Welt hat. Wir hätten aber noch mehr leisten können, wenn wir in dieser Zeit dafür gesorgt hätten, die Produktion, ihre Technik, ihre finanzielle und ökonomische Seite richtig zu meistern.

In höchstens zehn Jahren müssen wir jene Distanz durchlaufen, um die wir hinter den fortgeschrittenen Ländern des Kapitalismus zurück sind. Hierzu besitzen wir alle „objektiven“ Möglichkeiten. Es fehlt bloß an dem Können, diese Möglichkeiten gehörig auszunutzen. Das hängt aber von uns ab. Nur von uns! Es ist Zeit, daß wir lernen, diese M¨glichkeiten auszunutzen. Es ist Zeit, mit dem faulen Standpunkte der Nichteinmischung in die Produktion Schluß zu machen. Es ist Zeit, sich eine andere, eine neue, der jetzigen Periode entsprechende Einstellung zu eigen zu machen: sich in alles einzumischen. Bist du Direktor eines Betriebes – so mische dich in alle Dinge, dringe in alle Einzelheiten ein, lasse dir nichts entgehen, lerne und noch einmal lerne. Die Bolschewiki müssen die Technik meistern. Es ist Zeit, daß die Bolschewiki selbst zu Spezialisten werden. Die Technik entscheidet in der Rekonstruktionsperiode alles. Und ein Wirtschaftler, der die Technik nicht studieren will, der die Technik nicht meistern will, das ist ein fauler Witz, aber kein Wirtschaftler.

Man sagt, es sei schwer, die Technik zu meistern. Falsch! Es gibt keine Festungen, die die Bolschewiki nicht nehmen könnten. Wir haben ein Reihe schwierigster Aufgaben bewältigt. Wir haben den Kapitalismus gestürzt. Wir habe die Macht erobert. Wir haben eine mächtige sozialistische Industrie aufgebaut. Wir haben den Mittelbauern auf den Weg des Sozialismus gebracht. Das Wichtigste vom Standpunkte des Aufbaus haben wir bereits geleistet. Nur noch wenig ist uns zu tun übriggeblieben: die Technik erlernen, die Wissenschaft meistern. Und wenn wir das geleistet haben werden, dann werden wir ein Tempo einschlagen, von dem wir heute nicht einmal zu träumen wagen. Und wir werden es leisten, wenn wir es nur richtig wollen!

 


Last updated 16.10.2003