Friedrich W. Adler

Die Entdeckung der Weltelemente

Zu Ernst Machs 70. Geburtstag

(1. Februar 1908)


Der Kampf, Jahrgang 1 5. Heft, 1. Februar 1908, S. 231–240.
Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.


1. Die absolut unveränderlichen Körper

In Paris ist in einem eigenen Gebäude, dem »bureau international des pois et mesures«, das Grundmass der Länge – das Meterprototyp – aufbewahrt. Die Wände dieses Gebäudes sind hohl, damit Flüssigkeiten von bestimmter Temperatur hindurchgeleitet werden können, um die Wärme in den Räumlichkeiten, in denen sich der Metermassstab befindet, konstant zu erhalten. Das genügt aber noch nicht, um den Stab gegen Temperaturwechsel und damit gegen Ausdehnungen zu schützen, er muss vielmehr selbst noch in einem Bad von bestimmter Temperatur gehalten werden. Dieser Stab wurde nach vielen Versuchen schliesslich aus einer Legierung von Platin und Iridium gefertigt, die so wie die anderen Edelmetalle unter gewöhnlichen Bedingungen chemischen Veränderungen nur wenig ausgesetzt sind, die aber dabei den Vorzug grosser Härte besitzen. Die Härte und die besondere Form, in der er gegossen ist – sein Querschnitt ist annähernd kreuzförmig – bewirken, dass er möglichst wenig Durchbiegungen durch sein eigenes Gewicht und damit Verkürzungen ausgesetzt sei. Wir wollen hier nicht alle anderen Vorkehrungen anführen, die getroffen sind, um diesen Platin-Iridium-stab vor Veränderungen zu schützen. Wir sehen aber, dass die Physiker eine Unsumme von Arbeit geleistet haben und die Angestellten des »bureau« noch täglich leisten müssen, um diesen einen Körper unveränderlich zu erhalten. Dadurch ist dieses Urmass der Länge, abgesehen von seiner enormen praktischen Bedeutung für das Messwesen, das deutlichste Wahrzeichen für die Veränderlichkeit aller Körper geworden. Denn wenn der Erfolg aller Bemühungen der Wissenschaft, einen unveränderlichen Körper zu finden, in dem Pariser Meterprototyp verkörpert ist, das, wenn die Menschen wollten, zerbrochen, geschmolzen, in Königswasser gelöst, kurz, in allen seinen Eigenschaften verändert werden könnte, so wird es eindringlich klar, dass wir in der Welt einen Körper, der dauernd unveränderlich ist, nicht auffinden können.

Trotz der ungeheuren Arbeit, die die Physiker und Chemiker bei der Herstellung der Urmasse geleistet haben, trotzdem dieselbe nur zu relativ unveränderlichen Körpern geführt hat, ist gerade bei den Forschern auf diesen Gebieten die Meinung noch weit verbreitet, dass es absolut unveränderliche Körper gebe, ja dass alle veränderlichen Körper der Welt eigentlich aus solchen absolut unveränderlichen Körpern bestehen. In der Erfahrung finden wir, wie gesagt, solche absolut unveränderliche Körper nicht vor, wir können sie nur in Gedanken konstruieren, wir können die Behauptung aufstellen, dass sie existieren und die Hoffnung hegen, dass wir sie einmal auffinden werden. Solche Gedankenkonstruktionen sind im Laufe der Entwicklung der physikalischen Wissenschaften wiederholt in verschiedenen Formen aufgetreten. Die Partikeln des Wärmestoffes, der Elektrizitätsfluida, des Lichtes (wie es Newton auffasste) waren solche unveränderliche Körper, um die sich aber heute niemand mehr kümmert. Dagegen glaubt man jetzt an die Existenz von Molekülen, Atomen, Ionen, zu denen in allerletzter Zeit die Elektronen hinzugekommen sind, wobei diese verschiedenen Gattungen unveränderlicher Körper sich vor allem durch ihre Grösse unterscheiden.

Was will nun die Physik mit diesen erdachten unveränderlichen Körpern? Sie will die Veränderungen der wirklichen (veränderlichen) Körper, die wir kennen, durch verschiedene Anordnung und verschiedene Bewegungszustände solcher unveränderlicher Körper zur Darstellung bringen.

Das Ziel der Physik ist also die Darstellung der Veränderungen der wirklichen Körper, die wir in der Erfahrung kennen. So will sie zeigen, wie die gegenseitige Lage dieser Körper sich ändert, welche Abhängigkeit zwischen den Temperaturänderungen derselben bestehen (zum Beispiel bei der Mischung), welche neuen Körper aus der chemischen Verbindung oder Zersetzung gewisser gegebener Körper hervorgehen u. s. w. Die angenommenen unveränderlichen Körper dienen nur als ein Hilfsmittel zur Darstellung der Veränderungen der wirklichen Körper.

Wenn man sich an die Schicksale der vielen unveränderlichen Körper erinnert, die dem Vergessen anheimgefallen sind, wenn man die spärlichen Erfolge in der Darstellung der Erscheinungswelt durch unveränderliche Körper betrachtet, wenn man bedenkt, dass gerade die Gebiete der Physik, die von unveränderlichen Körpern nicht Gebrauch machen, am weitesten vorgeschritten sind und als die gesichertsten gelten, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf: Kann die Physik nicht ihr Ziel, die Darstellung der Veränderungen der wirklichen Körper erreichen, ohne die Existenz absolut unveränderlicher Körper anzunehmen?

Dass wir heute antworten dürfen, die Elimination aller absolut unveränderlicher Körper aus der Physik sei möglich und daher notwendig, verdanken wir der umfassenden kritischen Arbeit, der tiefgehenden Durchforschung der gesamten Physik, die Ernst Mach geleistet hat. In der Tat ist die Klarstellung dieser Frage einer der wichtigsten Schritte, die Mach auf dem Wege, alle Metaphysik aus der Wissenschaft zu eliminieren, getan hat.

Die Forschungen Machs sind teils in der Form von historisch-kritischen Darstellungen, teils in Einzelabhandlungen veröffentlicht worden, eine systematische Darstellung der Grundprinzipien der Physik, die vom veränderlichen Körper ausgeht, hat er nicht gegeben. Im folgenden sollen nur zwei Vorfragen einer derartigen Darstellung kurz dargelegt werden, nämlich: Was ist der wirkliche Körper, wenn er nicht aus unveränderlichen besteht, und worin besteht das Unveränderliche, wenn es kein Körper ist?
 

2. Das unmittelbar Gegebene

Eine tiefe Kluft hat bisher die physikalischen [1] von den psychologischen Wissenschaften geschieden. Den unveränderlichen Körpern der Physiker setzten die Psychologen als letzte Ausgangspunkte der Erkenntnis die Empfindungen und Gefühle der Menschen entgegen. Sie sagten mit vollem Recht, die Empfindungen und Gefühle sind dem Menschen unmittelbar gegeben, an ihrer Existenz kann nicht gezweifelt werden, auf sie ist das Kriterium falsch und richtig überhaupt nicht anwendbar, sie sind das sicherste grundlegendste, was der Mensch kennt. Dabei sind allerdings die unmittelbar gegebenen Empfindungen und Gefühle von den Interpretationen und Theorien, die an sie geknüpft werden, wohl zu unterscheiden. Die Interpretationen und Theorien können sehr wohl falsch sein, niemals aber die Empfindungen und Gefühle als solche. [2] Und die Psychologie fügt mit Recht hinzu: Diese unmittelbar gegebenen Empfindungen und Gefühle sind das bekannteste, vertrauteste, das wir kennen, und daher keiner weiteren Erklärung mehr bedürftig.

Da tut sich nun die Kluft auf. Der Psychologe sagt: Ich kenne nur die unmittelbar gegebenen Empfindungen und Gefühle, ich weiss nicht, wie ich die Körper der Physiker mit jenen in Zusammenhang bringen soll. Und ebenso der Physiker: Ich kenne nur die Körper, die aus lauter unveränderlichen, nicht weiter analysierbaren Körpern bestehen, ich weiss nicht, wie ich die Empfindungen und Gefühle mit jenen in Zusammenhang bringen soll. Es besteht ein scheinbar unüberbrückbarer Dualismus: die Welt der Empfindungen und Gefühle auf der einen, die Welt der Körper auf der andern Seite.

Von beiden Seiten wurde wiederholt der Versuch gemacht, die Kluft zu überbrücken, eine monistische Auffassung herzustellen. Die Wege, die zu diesem Ziele eingeschlagen wurden, gleichen sich darin, dass sie beide gleich absurd sind.

Von der psychologischen Seite gelangte man zum »reinen Idealismus« oder »Solipsismus«, man anerkannte nur das unmittelbar Gegebene und leugnete die Existenz der Körper, der »Aussenwelt«. Von der physikalischen Seite machte man den ebenso ungeheuerlichen Versuch, das unmittelbar Gegebene – die Empfindungen und Gefühle – auf Bewegungen der Atome oder anderer unveränderlicher Körper zurückzuführen, das Bestbekannte durch das ganz Unbekannte zu »erklären«.

Sehen wir von diesen zwei gleich absurden Auswegen ab, so bleibt die Kluft zwischen Physischem und Psychischem offen. Und doch gelingt es durch eine einfache Wendung, die Kluft zu beseitigen und zu einer wirklich monistischen Auffassung zu gelangen. Wie so viele grosse Entdeckungen wurde auch die Wendung, die wir als Entdeckung der Weltelemente bezeichnen wollen, gleichzeitig zweimal und unabhängig voneinander ausgeführt, einerseits von der psychologischen Seite durch Richard Avenarius, andererseits von der physikalischen durch Ernst Mach.
 

3. Subjekt und Objekt

In der Sprache ist die Trennung von Subjekten und Objekten, wie sie für den gewöhnlichen Gebrauch unbedingt nötig ist, vollständig durchgeführt. Sie lehrt uns Dinge (Körper), wie »das Haus«, »der Baum«, »das Buch« u. s. w. und »Ichs«, wie »Ich«, »du«, »mein Onkel«, »der Herr N.« u. s. w. kennen.

Dieses »Ich« der gewöhnlichen Sprache umfasst, genauer besehen, zwei verschiedene »Ichs«, deren Unterschied sich schon der naivsten Betrachtung aufdrängt.

Man spricht von »Leib und Seele«, von »Körper und Geist« und knüpft an diese Bezeichnungen die kompliziertesten philosophischen Theorien, deren Behandlung für uns unnötig ist. Aber in beinahe jeder solchen naiven Anschauung kommt eine grundlegende Erkenntnis zum Ausdruck, aus jeder lässt sich ein richtiger Kern, der für die Wissenschaft brauchbar ist, ausscheiden. So auch hier. Es gibt zweierlei »Ichs«; wir wollen sie vorläufig als das »physische Ich« (Leib) und das »psychische Ich« unterscheiden, ohne an diese Worte weitere Theorien zu knüpfen. Das »physische Ich« ist ein Körper wie andere Körper, wie das Haus, der Baum u. s. w. Wenn wir vom »Ich« schlechtweg sprechen, soll im folgenden das »psychische Ich« gemeint sein.

Die gewöhnliche Sprache teilt also alles in Subjekte und Objekte, in »Ichs« und Dinge (Körper). Sie zählt »die Eigenschaften, die das Ding hat« und ebenso »die Empfindungen des Ich« auf. Das Blatt »ist grün«, wie man sagt, und ausserdem »hat das Ich die Empfindung grün«. Die Dinge und die »Ichs« werden isoliert betrachtet, das Grün tritt einerseits mit dem Ding, andererseits mit dem »Ich«, also zweimal auf.

Diese Auffassung ist, wie gesagt, für die gewöhnlichen Zwecke ganz entsprechend. Wenn wir aber wissen wollen, was Ding (Körper), was »Ich« ist, dann dürfen wir nicht die Abstraktionen, wie wir sie aus der gewöhnlichen Sprache kennen, untersuchen, sondern müssen uns den wirklichen Zusammenhang vergegenwärtigen. Die kompliziertesten überflüssigen Probleme der Philosophie entstehen gerade daraus, dass die Abstraktionen der gewöhnlichen Sprache als solche zum Objekt der Forschung gemacht werden. Betrachten wir dagegen, wie es Mach und Avenarius zuerst getan, Subjekt und Objekt in ihrem wirklichen Zusammenhang, so verschwinden alle diese Schwierigkeiten.

Der Inhalt der Aussage, »das Blatt ist grün«, ist, genau betrachtet, folgender: Wenn ich oder ein anderer Mensch das Blatt ansehen, tritt die »Empfindung grün« auf oder, besser gesagt, oft auf. Denn nur unter gewöhnlichen Umständen, bei Sonnenbeleuchtung und normalem Zustand unseres Sehapparates ist es grün, bei dem Licht einer Natriumflamme ist es braun, wenn wir Santonin eingenommen haben, gelb. Die beiden Ausdrücke »das Blatt ist grün« und »das Ich hat die Empfindung grün«, reduzieren sich bei genauerer Betrachtung auf den einen Tatbestand : Es tritt in verschiedenen »Ichs« die Empfindung grün wiederholt auf. Wenn »Ich« und das »Blatt« in Relation zueinander sind, tritt ein grün auf. Wenn ich wegblicke, besteht die Empfindung grün nicht mehr. Ist das Blatt noch grün? In dem Sinne wie früher sicher nicht mehr. Wenn ich wieder hinsehe, ist es wieder grün. Von dem Blatt, das niemand ansieht, wissen wir nichts. Die Philosophen haben allerdings viele Theorien darüber aufgestellt, wie das nicht gesehene Blatt aussieht, die Wissenschaft kann aber alle ihre Aufgaben erfüllen, ohne das Unwissbare zu wissen. Das Blatt ist grün, wenn »Ich« und »Blatt« oder allgemeiner, wenn Subjekt und Objekt in Relation zueinander stehen. Diese grundlegende Beziehung von Subjekt und Objekt, die die einzige ist, von der wir überhaupt Kenntnis haben, nennt Avenarius die Prinzipialkoordination. Es tritt ein Grün auf, das gleichzeitig dem Subjekt und Objekt angehört. In seiner Beziehung zum Subjekt, zum »Ich«, bezeichnen wir das Grün als »Empfindung«, Um aber deutlich zu machen, dass es gleichzeitig auch dem Objekt angehört, nennen wir es ein Element. Als Elemente sind also alle Empfindungen, die die gewöhnliche Sprache angibt, wie Farben, Formen, Töne, Wärmen, Drucke u. s. w. anzusehen; als Elemente sind sie aber nicht nur Empfindungen im Sinne der gewöhnlichen Sprache, sondern gehören sie auch den Objekten an. [3]
 

4. Die Elemente als Ausgangspunkt

Wir haben uns den Begriff »Element« als Verbindung von Subjekt und Objekt klar gemacht. Nunmehr können wir die Wendung, die Mach und Avenarius vorgenommen, verstehen. Sie besteht in einer Verschiebung der Perspektive. Sie sehen zunächst von den gewöhnlichen Abgrenzungen in Subjekte und Objekte ab und machen die Elemente zum Ausgangspunkt der Betrachtung. Da die Elemente das unmittelbar Gegebene, das Bekannteste, Vertrauteste, das wir kennen, sind, da jedes Element, das einem Objekt angehört, auch einem Subjekt angehören muss, unternehmen sie den Versuch, die Welt der Subjekte und Objekte, als aus solchen Elementen aufgebaut, darzustellen.

Die Erlangung des Mach-Avenariusschen Standpunktes – die Elemente als Ausgangspunkt – ist keineswegs leicht. Logisch können wir zwar die Möglichkeit dieses Standpunktes begreifen, um ihn aber wirklich einzunehmen, um vor den Gefahren des Rückfalles in die Anschauungsweise der gewöhnlichen Sprache geschützt zu sein, muss die angegebene Verschiebung der Perspektive einmal erlebt worden sein, ist, wie Mach gelegentlich bemerkt, ein »vollständiger, psychologischer Umbildungsprozess« nötig. Hat man sich aber einmal zu diesem Standpunkt durchgearbeitet, so ergibt sich ohne weiteres die Lösung aller der »Welträtsel«, die das Festhalten an der gewöhnlichen Sprache bei der Untersuchung der Grundfragen mit sich bringt.

Im folgenden wollen wir versuchen, einige Züge des Weltbildes, wie es sich aus der Mach-Avenariusschen Auffassung ergibt, zu entwerfen, die Einsicht in alle Fragen und ihre Details kann natürlich nur aus den Originalwerken geschöpft werden. [4]

Von unserem neuen Standpunkt aus fragen wir jetzt: Was ist Subjekt und Objekt (»Ich« und »Körper«) in Bezug auf die Elemente?

Wir antworten: Das »Ich« ist ein Zusammenhang von Elementen, die zugleich verschiedenen Körpern angehören [5] der Körper ist ein Zusammenhang von Elementen, die zugleich verschiedenen »Ichs« angehören.

Dass das (psychische) »Ich« oder wie Avenarius mit einem theoriefreien Ausdruck sagt, das »Zentralglied« nur ein Zusammenhang von Elementen ist, wird gewöhnlich leichter eingesehen als dieselbe Erkenntnis für den Körper, nach Avenarius das »Gegenglied«. Wir können in dem »Ich« keinen anderen Bestandteil als Empfindungen und Gefühle entdecken, bei gewissen Philosophen, so auch noch bei Kant tritt allerdings ein »Ich an sich« auf, wir können in ihm aber nur ein metaphysisches Gebilde, mit dem wir nichts zu tun haben, sehen.

Ebenso der Körper. Nehmen wir zum Beispiel ein Blatt vom Baum. Es ist grün, hat eine gewisse sichtbare Form, riecht und schmeckt in bestimmter Weise, fühlt sich kühl und weich an. Das Blatt kann nun seine »Eigenschaften« wechseln, und wir sprechen in der gewöhnlichen Sprache doch noch immer vom selben Blatt. So kann es anstatt grün rot werden, es kann sich wärmer anfühlen, eine andere Form, einen anderen Geruch aufweisen. Aber es kann auch gewisse Eigenschaften verlieren, kann geruchlos, geschmacklos, unsichtbar werden. Dadurch entsteht der Gedanke, man könnte alle Eigenschaften wegnehmen und es bliebe noch etwas übrig: das »Ding an sich«. Auch das »Ding an sich« gehört für uns ebenso wie das »Ich an sich« in das Reich der Metaphysik, von dem die Wissenschaft für immer geschieden ist.

Die Elemente hängen in äusserst verwickelter Weise miteinander zusammen. In diesem Gewirr von Elementen könnten wir jedes Elementenbüschel, das durch einen Knotenpunkt charakterisiert ist, als Ding bezeichnen, gewöhnlich fassen wir aber gleich ein ganzes Elementenbündel, das eine ganze Anzahl von Knoten besitzt, heraus. Die Abgrenzungen, die wir vornehmen, sind in gewissem Sinne willkürlich, nur durch den jeweiligen Zweck bestimmt. Nehmen wir ein Monument den Löwen von Luzern – als Beispiel für ein Ding. Der »Löwe von Luzern« ist der gewisse Zusammenhang von Elementen, die seit der Schöpfung durch Thorwaldsen einer Unzahl von Menschen angehört haben. Der »Löwe von Luzern« ist somit als Ding vor allem ein ungeheures Elementenbündel und ebenso ist jedes Ding als Ganzes ein ungeheures Elementenbündel, das jedesmal wächst, wenn das »Ding« Gegenglied in einer Prinzipialkoordination ist. Die Zusammenhänge in unserem Elementengewirr, die wir als »Ichs« (Zentralglieder) bezeichnen, machen auch eine derartige Entwicklung durch, die mit der Geburt des Menschen beginnt und mit seinem Tode endet.
 

5. Der Körper

Das ungeheure Elementenbündel der »Löwe von Luzern« zeigt gewisse Gesetzmässigkeiten der Anordnung. Es lassen sich nämlich gewisse Teile desselben herausheben, die sich häufig wiederholen, das heisst es lassen sich Gruppierungen von Elementen finden, die, abgesehen vom Zusammenhang, aus dem sie ausgelöst sind, gleich sind. Solche sich gleichende Elementenkomplexe gehören nacheinander wiederholt einem »Ich« an und ebenso treten sich gleichende Elementenkomplexe nebeneinander an verschiedenen »Ichs« auf.

Der Körper besteht in dem Zusammenhang verschiedener solcher sich wiederholender Elementenkomplexe. Für die groben Annäherungen des gewöhnlichen Lebens wird von sehr vielen Veränderungen abstrahiert und von demselben Körper gesprochen, während in manchen Komplexen sich gewisse Elemente geändert haben, während oft ganze Komplexe durch andere ersetzt wurden. »Mein Tisch ist bald heller, bald dunkler beleuchtet, kann wärmer und kälter sein. Er kann einen Tintenfleck erhalten. Ein Fuss kann brechen. Er kann repariert, poliert, Teil für Teil ersetzt werden. Er bleibt für mich doch der Tisch, an dem ich täglich schreibe.« Das gewöhnliche Leben ist ungenau, es gibt dem Körper denselben Namen, wenn ein gewisser, relativ grosser Teil des Elementenzusammenhanges derselbe geblieben ist.

Auch in der Wissenschaft war bisher der Begriff des Körpers ebenso wie im gewöhnlichen Leben nicht scharf definiert, man verwendete die Bezeichnung »Körper« in den verschiedensten Bedeutungen. Man wird wesentlich an Klarheit gewinnen können, wenn man den Körper als einen bestimmten Zusammenhang von bestimmten Elementenkomplexen ansieht und jede Veränderung sowohl in den einzelnen Komplexen als auch im Zusammenhang als eine Verwandlung in einen neuen Körper ansieht. Man wird dann nicht mehr von den Zustandsänderungen des Körpers sprechen, sondern zum Beispiel sagen: Aus dem Körper Wasser wird der Körper Eis. Es haben sich Wärme-, Druck-, Färb-, Formelemente geändert, die Elementenkomplexe sind andere, es ist ein neuer Körper entstanden.

Die wissenschaftliche Untersuchung erstreckt sich gewöhnlich nur auf gewisse Elemente, nicht auf den ganzen Elementenverband, den wir als Körper bezeichnen. Eine solche Untersuchung wird nicht gestört werden, wenn, während sie stattfindet, Verwandlungen des Körpers stattfinden, wenn nur der zu untersuchende Teil des Elementenverbandes stabil bleibt. Es wird die Aufgabe der Wissenschaft sein, den für jede Art von Untersuchung charakteristischen Teil des Elementenverbandes zu definieren und mit einem besonderen Namen zu belegen. So werden zum Beispiel für die Untersuchungen der Mechanik Aende-rungen der Helligkeit, der Farbe, der Temperatur ohne Belang sein und es wird nur auf das Volumen ankommen, das sich als Zusammenhang von Tastempfindungen ergibt. Solange dieses Volumen durch eine geschlossene Fläche begrenzt ist, hat sich der Gegenstand der Untersuchung für die Mechanik nicht geändert. Die Aenderungen, von denen die Mechanik absieht, sind dann aber wieder Gegenstand einer anderen physikalischen Untersuchung, so die Temperaturänderungen Gegenstand der Wärmelehre.

Die chemische Untersuchung zieht einen grösseren Teil des Elementenverbandes (Körpers) in Betracht als alle anderen, aber auch sie abstrahiert von gewissen Veränderungen. So hat keine wissenschaftliche Untersuchung den ganzen wirklichen Körper zum Objekt, sondern immer nur einen Ausschnitt aus demselben, eine Abstraktion. Es würde nichts im Wege stehen, diese Ausschnitte als abstrakte Körper zu bezeichnen, zum Beispiel den Gegenstand der Mechanik als »haptischen (tastbaren) Körper«. Die Wissenschaft vom wirklichen Körper ist dann die Summe aller Aussagen über die abstrakten Körper.

Erinnern wir uns daran, dass die Physiker stets meinten, dass der wirkliche Körper aus absolut unveränderlichen Körpern bestehe, so können wir die durch Mach in der Physik vollzogene Umwälzung ermessen. Wir sehen: Die Wissenschaft besteht aus Abstraktionen, nicht aber der wirkliche Körper aus abstrakten.

Will man sich in der angegebenen Weise den Begriff des Körpers klar machen, so entsteht oft aus folgendem Umstand eine Schwierigkeit. Denkt man sich Farbe, Geruch, Geschmack, Wärme eines Körpers weg, so bleibt als letzter Kern das Tastbare zurück. Dieses »Tastbare« ist entweder direkt der tatsächliche, wenn auch von den Philosophen nicht eingestandene Inhalt des »Dinges an sich« oder aber die Quelle, aus der eine ganz ungeheuerliche Vorstellung, die mit diesem Namen versehen wird, ihre Lebenskraft zieht. Für uns ist das Tastbare keineswegs ein unauflöslicher, nicht analysierbarer bleibender Kern, sondern der Zusammenhang von Drucken (Tastempfindungen).

Dieser Zusammenhang von Tastempfindungen ist relativ stabiler als der der anderen Elemente untereinander und zu ersteren. Für unsere Orientierung sind diese relativ stabilsten Zusammenhänge von grundlegender Bedeutung, wir machen sie gewöhnlich zum Ausgangspunkt der Betrachtung und beziehen die anderen Elemente, die flüchtiger auftreten, auf sie. Diese Zusammenhänge sind aber keineswegs absolut stabil. Bringen wir Eis zum Schmelzen und verdampfen dann das Wasser, so sind die Komplexe von Druckempfindungen, die beim Eisblock, bei der Wasseimasse, beim Dampf auftreten, ganz verschiedene. Der »tastbare Kern« bleibt keineswegs stets identisch, es besteht nur eine Kontinuität zwischen den verschiedenen nacheinander auftretenden Zusammenhängen von Druckelementen, die in dem Erfahrungssatz: kein Volumen, das sich als Zusammenhang der Tastempfindungen ergibt, kann auf die Grösse Null zusammengedrückt werden, ihren charakteristischen Ausdruck findet. In diesem Satze besteht eine der Erfahrungen, die in dem unklaren Ausdruck von der »Unzerstörbarkeit der Materie« zusammengefasst werden.

Für unsere Orientierung sind die Tastempfindungen, wie wir bereits gesagt haben, von grundlegendster Bedeutung und insofern ist die naive Anschauung berechtigt. Wir müssen uns aber vor der Ueberschätzung der Tastempfindungen hüten, denn als unmittelbar gegeben sind alle Arten von Elementen gleichwertig. Mit der Einsicht, dass sich aus den Tastempfindungen nur gewisse Volumina ergeben und keine anderen Grössen (keine Masse, keine Wärmekapazität u. s. w.) erschlossen werden können, verschwinden alle Schwierigkeiten, die in dem Begriff des Körpers im Machschen Sinne gefunden werden könnten.
 

6. Die Gesetze der Veränderungen der Körper

Ist nun wirklich mit dieser Feststellung des Körpers als Elementenverband schon alles gesagt, was über den Körper gesagt werden kann? Die naive Erkenntnis wird sagen: keineswegs; und die Machsche Auffassung gibt ihr recht.

Sind wirklich zwei Körper, die als Elementenverbände gleich sind, überhaupt gleich? Worin kann ihr Unterschied bestehen, wenn der Körper nur ein Elementenverband ist?

Ich habe eine Reihe von Münzen vor mir, sie weisen die gleiche Prägung (Form), die gleiche Farbe (silberglänzend) auf, sie sind gleich hart und gleich schwer, kurz, sie sind als Elementenverbände gleich. Und doch kann ich die Frage stellen, ob alle diese Münzen »echt« seien; das heisst ich frage nach etwas, worin sie sich unterscheiden. Ich werfe jede der Münzen oder gleiche Bruchstücke derselben in ein Eprouvette (Probiergläschen), in der sich verdünnte Salpetersäure befindet. Die Münzen werden »gelöst«, das heisst es entstehen neue Körper. Jeden dieser neuen Körper bringe ich wieder in Verbindung mit einem anderen Körper (Kochsalzlösung). Dadurch entsteht ein fester, weisser Körper, den ich als Silberchlorid bezeichne. Erhalte ich nun in allen Eprouvetten gleich viel von diesem weissen Körper, so waren die Münzen alle gleich und ich werde sie mit demselben Namen, zum Beispiel »echter Taler« bezeichnen. Erhalte ich in einer der Eprouvetten weniger Silberchlorid oder gar keines, so gebe ich dem ursprünglichen Körper einen anderen Namen.

Wir können also die Körper, die als Elementenverbände gleich sind, noch nach den Gesetzen unterscheiden, denengemäss sie sich inandere Körper verwandeln. Dieser Fall kann schon bei der einfachsten Veränderung, der Teilung, eintreten. Entstehen bei dieser Operation aus Körpern, die als Elementenverbände gleich sind, neue, die ungleich sind, so erhalten auch die ursprünglichen Körper verschiedene Namen.

Zwei Körper, die als Elementenverbände gleich sind, werden verschiedene Namen erhalten, wenn die Körper, in die sie sich unter sonst gleichen Umständen verwandeln können, verschieden sind.

Wir sehen, dass wir nicht ein geheimnisvolles »Etwas«, das in dem Körper verborgen steckt, zu entdecken brauchen, sondern nur die Gesetze, wie die Körper sich ineinander verwandeln, feststellen müssen.

Die Darstellung der Gesetze der Bewegungen der (haptischen) Körper findet durch die Feststellung gewisser konstanter Beziehungswerte der Beschleunigungen (Geschwindigkeitsänderungen) statt. Diese konstanten Beziehungswerte werden als Massen bezeichnet. Ebenso ergeben sich auch auf anderen Gebieten derartige konstante Beziehungswerte, zum Beispiel als Beziehungswert der Temperaturänderungen die Wärmekapazitäten u. s. w. Alle derartigen Beziehungswerte werden passend mit dem Namen Kapazitäten bezeichnet. Das Streben der Physik geht dahin, Beziehungswerte dieser Art zu finden, die in allen Fällen konstant bleiben. In der Mechanik ist diese Aufgabe durch die Newtonsche Aufstellung des Massenbegriffes gelöst worden, in anderen Gebieten harrt sie noch ihrer Lösung. Trotzdem dieses Ziel noch nicht erreicht ist, scheint es nicht verwunderlich, dass instinktiv das gemeinsame Merkmal aller Kapazitätsgrössen erkannt und mit dem Namen »Materie« belegt wurde. Unter Materie haben wir also den Inbegriff gewisser Kapazitäten und deren beständige Verbindung zu verstehen.

Die Materie ist also nicht in den Körpern »enthalten«, sondern sie besteht in gewissen für die Veränderungen der Körper charakteristischen Grössen, die sich aus den beobachteten Beziehungen ergeben. Aus den Tastempfindungen können wir nur das Volumen feststellen; wollen wir wissen, was Masse ist, so müssen wir die Beschleunigungen beobachten; wollen wir wissen, was Wärmekapazität ist, so müssen wir die Temperaturänderungen beobachten u. s. w. Eine Erkenntnis der Materie als solcher ist ausgeschlossen.

Wir sehen also, dass das Verhältnis zwischen Körper und Materie gerade umgekehrt ist, als es früher immer angenommen wurde. Man dachte, dass man Hypothesen über die Materie zum Ausgangspunkt der Forschung machen müsse und schliesslich durch glückliche Umstände auf solche stossen werde, die uns zum Verständnis des wirklichen Körpers führen. Mach hat gezeigt, dass wir den wirklichen Körper vollkommen kennen und dass die Klarlegung der Materie das Ziel ist, das die Forschung schliesslich erreichen wird.

Diese Wendung – der Körper als Ausgangspunkt, die Materie als Ziel – hat für die Physik und Chemie die gleiche Bedeutung wie die des Kopernikus für die Astronomie.

Das Ziel der Aufklärung der Materie, dem die Physik zustrebt, lässt diese aber nicht als irgend eine Art von unveränderlichen Körpern erscheinen, sondern als den Ausdruck gewisser Naturgesetze.

Die Auffindung dieser Naturgesetze ist alles, was die Wissenschaft leisten kann, aber auch alles, was zu erfahren nötig ist. In ihnen finden wir nun auch das, was in unserem Weltbild unveränderlich bleibt. Mit jedem neuen Gesetz, das festgestellt wird, gewinnt unser Weltbild an Stabilität.

Die erste Stufe einer jeden physikalischen Erkenntnis bestand immer in der Behauptung, ein unveränderlicher Körper sei entdeckt worden. Auch die neuesten Entdeckungen auf dem Gebiete der elektrischen Strahlung haben wieder viele Physiker zu dem Glauben verleitet, nun sei der unveränderliche Körper endlich wirklich entdeckt: das Elektron. Aber die Meinung ist nur zu berechtigt, dass, ebenso wie das, was wir bisher von der Elektrizitätslehre wussten, sich von den primitiven Anschauungen der elektrischen Fluida zu den Gesetzen des elektrischen Feldes entwickelt hat, auch die primitive Anschauung des unveränderlichen Elektrons durch die Gesetze der elektrischen Strahlung abgelöst werden wird.

In dem Auftauchen und Untergehen der verschiedenen unveränderlichen Körper blieb doch stets der Glaube aufrecht, es gebe unveränderliche Körper. Diese unveränderlichen Körper schienen den Systemen ihre dauerhafte, stabile Grundlage zu verleihen. Auch in der Machschen Auffassung kommt das Unveränderliche zur Geltung, es besteht aber nicht in Körpern, wie wir sie niemals gesehen, sondern in den Naturgesetzen, wie wir sie in immer steigendem Masse erkennen.

Bei den älteren Auffassungen fiel der Ausgangspunkt der Wissenschaft mit dem bleibenden stabilen substantiellen des Weltbildes zusammen. Mach hat gezeigt, dass eine Trennung eintreten müsse. Der Ausgangspunkt der Wissenschaft ist das Veränderlichste: die Elemente; das Bleibende, Stabile, die Naturgesetze sind deren Krönung.
 

7. Physik und Psychologie

Wir kennen nur einerlei Elemente, aber diese Elemente bilden zwei Arten von Zusammenhängen: einerseits den psychischen Zusammenhang (das »psychische Ich«, das Zentralglied), andererseits den physischen Zusammenhang (das Ding, den Körper, das Gegenglied). In der Wirklichkeit existiert kein Gegenglied ohne Zentralglied, treten immer Prinzipialkoordinationen auf. Die Forschung teilt das Arbeitsgebiet so, dass sich gewisse Forscher, die Psychologen, vor allem mit dem Zusammenhang befassen, den wir das Zentralglied nennen, während andere Forscher, die sich mit den Gegengliedern, soweit sie Körper sind, beschäftigen, Physik im weitesten Sinne des Wortes treiben.

Das Zentralglied besteht aus Elementen, die andererseits wieder Gegenglieder, im besonderen Körper bilden. Soll dieser Zusammenhang Objekt der Psychologie sein, so müssen die Elemente in all ihren Zusammenhängen untersucht werden. Lassen wir uns dazu verleiten, die Grenze des Arbeitsgebietes für eine Grenze in der Wirklichkeit zu halten, dann wird dieses Arbeitsgebiet eine Pflanzstätte der Metaphysik, dann wird von der »Psyche an sich«, »der Seele an sich«, »dem Ich an sich« geredet. Die Leistung von Avenarius bestand in der Erkenntnis, dass Psychologie nur getrieben werden kann, wenn die Weltelemente in all ihren Zusammenhängen betrachtet werden, dass der Gegenstand der Psychologie allumfassend sei.

Und andererseits, um den physischen Zusammenhang, den Körper zu untersuchen, der das Objekt der Physik ist, darf man das Gegenglied, den Körper, nicht aussondern, darf man die Elemente, die Prinzipialkoordinationen nicht auseinanderschneiden, muss man auch wieder wissen, dass die Körper aus Elementen bestehen, die gleichzeitig auch Zentralgliedern angehören. Bei der Erforschung des Physischen darf man das Psychische nicht ausschliessen, sonst steht man vor der »Materie an sich«, der »Energie an sich«, dem »Ding an sich«. In dieser Erkenntnis besteht die Leistung von Mach.

In Verfolgung gewisser Spezialprobleme kann man zeitweilig sich nur mit gewissen Abhängigkeiten beschäftigen, gewisse Zusammenhänge äusser acht lassen, aber man darf sich den Rückweg zu dem einheitlichen Gesamtbild nicht versperren. Dieses einheitliche Gesamtbild wird nicht erreicht, indem die Wissenschaft sich auf die Empfindungen des »Ich« beschränkt oder indem sie Reduktionen auf unveränderliche Körper vornimmt, sondern indem sie als ihr Ziel erkennt: die Darstellung der Abhängigkeit der Elermente voneinander.

* * *

Fussnoten

1. Unter physikalischen Wissenschaften verstehen wir die Physik im weitesten Sinn, also einschliesslich der Chemie und Astronomie.

2. Ich sah zum Beispiel aus einer gewissen Entfernung in einem Garten einen Mann stehen, als ich aber näher kam, bemerkte ich, dass es »falsch« sei, dass dort kein Mann, sondern ein vertrockneter Baumstrunk steht. Was war nun »falsch«? Was habe ich aus der Feme tatsächlich gesehen? Einen braunen Fleck von gewisser Form. Das war die wirkliche Beobachtung, die ich wieder machen werde, wenn ich wieder an den Platz zurückgehe. Die Beobachtung, der gewisse Komplex von Empfindungen ist also etwas Tatsächliches. Was kann also nur falsch oder richtig sein? Die Interpretation, die Theorie, die ich an die Beobachtung anschloss. Worin besteht die falsche Interpretation? Ich habe zur Darstellung des wirklich Gegebenen einen zu engen Begriff gewählt. Anstatt des Begriffes »länglich aufrechtstehender brauner Fleck« nahm ich den Begriff »Mann«, der viel enger ist, viel mehr Merkmale aufweist, als ich konstatiert hatte, weil ich erwartete, die andern Merkmale unter andern Umständen konstatieren zu können. Meine falsche Interpretation bestand also in der Anwendung eines falschen Begriffes. Der gesehene braune Fleck ist eine Tatsache, die nicht falsch sein kann, ob ich nun den Zusammenhang mit andern Tatsachen richtig interpretiere oder nicht.

3. Es gibt auch Elemente, die genau dem entsprechen, was die gewöhnliche Sprache mit Empfindung meint, das heisst es gibt Elemente, die keinem Körper angehören. Es gibt Fälle, wo kein Körper besteht, der wie die gewöhnliche Sprache sagt, »grün« ist und doch tritt das Element »grün« einem »Ich« angehörend auf, wie bei mechanischen Affektionen der Netzhaut, Halluzinationen u. s. w. Diese Elemente wollen wir an dieser Stelle, wo es sich nur um die Klarstellung der wesentlichsten Grundfragen, insbesondere aber um die physikalischen Körper handelt, nicht in Betracht ziehen.

4. Von den Original werken ist wohl für den Anfänger am klarsten: Avenarius, Bemerkungen zum Begriff des Gegenstandes der Psychologie. (Dieser kurze Aufsatz ist in der Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Band 18 und 19, erschienen.) Sodann kommt in Betracht: Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, ein kleines Werk, das vor kurzem in zweiter Auflage erschienen ist. Mach behandelt den Teil der Grundfragen, die uns hier beschäftigen, hauptsächlich in der Analyse der Empfindungen (5. Auflage, 1907), die aber dem Anfänger nicht leicht zugänglich ist.

Von nahe verwandten Standpunkten gehen auch die leicht lesbaren, höchst empfehlenswerten Schriften: H. Cornelius, Einleitung in die Philosophie, und J. Petzoldt, Das Weltproblem (letzteres erschienen in der Teubnerschen Sammlung Aus Natur und Geisteswelt) aus.

5. Dem »Ich« gehören, wie schon früher erwähnt, auch solche Elemente an, die keinen Körper bilden.


Zuletzt aktualisiert am 6. April 2024