Max Adler

Kausalität und Teleologie

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XI. Marx’ Verhältnis
zur Erkenntniskritik


Im Begriffe, auf der eben gewonnenen Basis in den Kampf der beiden einander gegenüberstehenden Auffassungen einzutreten, kann ich es mir nicht versagen, einen Gegenstand zur Sprache zu bringen, der zwar an und für sich der Schlüssigkeit der nachfolgenden Ausführungen weder etwas zusetzen kann, wenn er richtig, noch ihnen davon etwas nehmen kann, wenn er etwa falsch dargelegt worden wäre, der aber trotzdem keineswegs nebensächlich, sondern gerade für eine aus dem Marxismus hervorgegangene Sozialtheorie von wesentlichstem Interesse ist: nämlich das Verhältnis des Denkens von Karl Marx zu derjenigen Denkart, durch welche jene Fixierung der Streitpunkte, wie sie in dem vorausgebenden Kapitel vorgenommen wurde, zustande kam, also zur erkenntniskritischen. Und da ist es dann von ausserordentlichem Interesse, zu sehen, wie meines Erachtens auch dieses Denken an dem entscheidenden Punkte, nämlich an der im Grunde durchaus intellektualen, in der Regelhaftigkeit des Bewusstseins begründeten Natur des Dingbegriffes den kritischen Konsequenzen der Erkenntnistheorie entgegenkommt, natürlich – da Marx nicht ex professo Erkenntnistheoretiker war – nur so weit, als dies einer überall sich bewusst bloss im Rahmen logischer Erörterung haltenden Untersuchung überhaupt möglich ist. Das wird manchen, die gewohnt sind, in Marx immer nur den „Materialisten“ zu sehen, vielleicht als eine allzu kühne Behauptung erscheinen. Sie werden hoflentlich durch das Folgende beruhigt werden.

Freilich ist es gerade in philosophischen Dingen schwer, die Ansichten dieses Denkers zum Belege anzuführen, und deshalb ist wohl bis heute die Zeichnung des philosophischen Charakterbildes von Karl Marx trotz des Bedürfnisses darnach, welches mit der immer weitere Kreise ziehenden geistigen Ausbreitung seiner Lehren in gleichem Masse dringender wird, ein unerfüllter Wunsch geblieben. Aber die Schwierigkeit liegt nicht darin, wie manche übereifrige Anhänger oder voreilige Gegner hie und da gemeint haben, weil sein Verhältnis zur Philosophie, abgesehen von seiner Jugendzeit, nur ein sehr loses gewesen, ja, eigentlich nur dadurch gekennzeichnet sei, dass es ihm gelang, rechtzeitig der Hegelschen „Sophistik“ zu entrinnen. Im Gegenteil zeigen die Werke aller seiner Lebensalter überall die tiefsten Spuren philosophischer Arbeit, eines echt philosophischen Denkens^ das nicht bloss zum Behufe da ist, sich äusserlich in einzelnen fachphilosophischen Mikrologien den Befähigungsnachweis zu verschaffen, sondern das den ganzen Menschen trägt und keinen speziellen Ausdruck braucht, weil jede Zeile ein sprechender Stein ist, der die Grösse des ganzen Gedankenbaues verkündet Auch konnte es sicherlich nur eine philosophische Arbeit sein, die zu bewirken vermochte, dass Marx seinen Hegel nicht einfach verliess, sondern überwand.

Wie intensiv sich Marx mit der Philosophie in den ersten Jahren seiner geistigen Wirksamkeit beschäftigte, liegt ja in den Schriften bis zur Mitte der Vierziger jähre des vorigen Jahrhunderts offen zutage, also bis zu der Zeit, in welcher das inzwischen begonnene Studium der französischen und englischen Oekonomen sowie Sozialisten sein Denken mitzubestimmen anfängt. Aber gerade die zweite Hälfte dieser Vierzigerjahre, in welcher nunmehr das wissenschaftliche Interesse bei Marx die ausgesprochene Richtung auf die Vertiefung in die Oekonomie nimmt, ist erfüllt von eindringendster und folgenschwerer philosophischer Arbeit. In diese Zeit fällt die Loslösung von dem metaphysischen Idealismus der Hegelschen Philosophie durch die so viele Keime des bis dahin sich selbst noch nicht völlig erfassenden Denkens von Marx entfaltenden kritischen Studien der Heiligen Familie, nachdem kurz zuvor die mächtigste Waffe dieser Philosophie, ihre Dialektik, freilich nicht direkt, aber unter der von Proudhon (sehr miss verständlich) aufgefassten Form in der Schrift Das Elend der Philosophie mit kritisiert worden war. Aber noch mehr: in diese Zeit fällt auch die grosse Abrechnung, die Marx und Engels mit ihrem „ehemaligen philosophischen Gewissen m Form einer Kritik der nachhegelschen Philosophie hielten“, über welche Marx in der Vorrede zur Kritik der politischen Oekonomie berichtet (Seite XIII der Ausgabe von Karl Kautsky), eine Schrift, welche (siehe die Erklärung K. Marx’ betreffs seiner Kritik K. Grüns in der Deutschen Brüsseler Zeitung vom 6. April 1847) [1] den Titel führen sollte: Ueber die deutsche Ideologie und eine Kritik der neuesten deutschen Philosophie in ihren Repräsentanten Feuerbach, B. Bauer und Stirner und des deutschen Sozialismus in seinen verschiedenen Propheten enthielt. Die mittlerweile aus dieser Schrift zur Veröffentlichung gelangten Bruchstücke, nämlich die Kritik Karl Grüns im XVIII. Jahrgang der Neuen Zeit (1. Band) und die Max Stirners im III. Jahrgang der Dokumente des Sozialismus, lassen mit oft überraschender Deutlichkeit erkennen, wie die namentlich in der letzteren Kritik schon vollkommen klar zum Ausdruck gelangende materialistische Geschichtsauffassung sich für Marx zwar aus der Vereinigung seiner ökonomisch-politischen Studien mit seiner bisherigen philosophischen Arbeit ergeben hatte, aber doch nicht so, dass nun etwa der Oekonom den Philosophen verdrängt hätte. Im Gegenteil kann man nun verfolgen, wie es gerade nur diese so unablässig sich selbst kritisierende Denkarbeit an den philosophischen Problemstellungen seiner Zeit war, an welcher jene Prägnanz des Gedankens und jene kritisch geläuterte Methode sich herausringen konnte, der es dann gelang, in ihrem Resultat eben in der materialistischen Geschichtsauffassung, auch zugleich die grossartige Einsicht in das Wesen des sozialen Lebens, welche die deutsche spekulative Philosophie nur erst in verhüllter Gestalt zutage gefördert hatte, von den „Sophistikationen“ der Hegelschen Idee ebensogut wie von den Deklamationen der Feuerbachschen Liebe zu befreien und hierdurch allererst auf einen wissenschaftlichen Ausdruck zu bringen. Hiermit war denn auch schliesslich der Standpunkt begründet, von dem aus die ökonomischen Grosstaten der kommenden Epoche in ihrer wissenschaftlichen Natur sichergestellt waren. Und das ökonomische Lebenswerk von Karl Marx wurzelt so seiner logischen Möglichkeit nach ganz und gar in grossen entscheidenden Richtungen seines Denkens, die nur aus einer philosophischen Revision seines Bewusstseins gewonnen waren.

Es wäre eine Marx-Studie für sich, die ich zudem lieber schon jetzt vorgebracht hätte als diese gegenwärtige, welche in den folgenden Kapiteln oft scheinbar so weit von dem unmittelbaren theoretischen Interesse des Marxismus sich wird entfernen müssen, zu zeigen, wie es in der Tat nicht zwei Grundlehren im Marxismus gibt, die materialistische Geschichtsauffassung und die ökonomische Kritik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. sondern dass beide eine geistige Einheit bilden in dem Sinne, dass die vermittelst der Mehrwertstheorie durchgeführte Analyse des kapitalistischen Produktionsprozesses nur vom Standpunkte der entwickelten materialistischen Geschichtsauffassung möglich war, welche mit ihrem grundlegenden Begriff des Produktionsverhältnisses zum erstenmale auch den Grundbegritf einer wirklich zum Ziele führenden Sozialtheorie aufgegriffen hatte: nämlich den vergesellschafteten Menschen. [2]

Es sollte daher auch nicht mehr übersehen werden, dass der Ort, an welchem sich die berühmte Zusammenfassung dieser Geschichtsauffassung findet, gerade das Vorwort zur ersten grundlegenden ökonomischen Schrift von Marx ist, das Vorwort von Zur Kritik der politischen Oekonomie, und dass er selbst dort direkt auf den Zusammenhang hinweist, in welchem die nunmehr mit diesem Werk einsetzende „Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft“, die nur „in der politischen Oekonomie zu suchen sei“, mit jener ganzen Gedankenrichtung zusammengehört, welche mit der kritischen Revision der Hegelschen Rechtsphilosophie begann. [3] Wie sehr zudem auch hier, schon mitten in der Beschäftigung mit rein ökonomischen Problemen, für Marx doch nie die bewusste Verbindung mit der philosophischen Durchdringung seines Stoffes verloren ging, konnte man wieder erst neuerdings aus seinen eigenen Schriften erfahren, nämlich aus der kürzlich veröffentlichten und ihrer Entstehungszeit nach einige Jahre vor die Kritik fallenden Einleitung zu einer Kritik der politischen Oekonomie [4], deren namentlich für die Frage nach der erkenntniskritischen und methodologischen Stellung von Karl Marx wichtiger Inhalt noch im folgenden zu erörtern sein wird.

Es folgt nun die gewaltige Insolationszeit, in welcher sich im Geiste von Karl Marx in einer unermüdlichen, riesenhaften Durcharbeitung des bisherigen Denkens über die ökonomischen Phänomene jene Energie ansammelt, von welcher seither und noch auf lange Zeit hinaus alles Leben nicht nur in der ökonomischen, sondern in der Sozialwissenschaft überhaupt zehrt und befruchtet wird. Aber auch jetzt noch ist die ausgesprochen philosophische Richtung der Gedankenentwicklung bei ihm unverkennbar geblieben in dem das ganze Kapital durchdringenden bewussten Bestreben, die unermessliche Vielgestaltigkeit des wirtschaftlichen Lebens, das Durcheinandertreiben seiner oft so widerspruchsvollen Erscheinungen und schliesslich den verwirrendsten Gegensatz des scheinbar ganz von Einzelentschliessung bestimmten und zuletzt doch demselben Einzelwillen übermächtig und unpersönlich entgegentretenden ökonomischen Geschehens in eine gedankliche, begriffliche Ordnung zu bringen, aus welcher mit einem Male die Gesetzlichkeit hervorspringt, welche dieses Chaos beherrscht Es war derart in der Tat seine wissenschaftliche Arbeit unausgesetzt mit bewusster, logischer und methodologischer Reflexion verknüpft, was gleich später noch deutlicher erkennbar werden wird. Und so kann es nun gewiss nicht mehr als etwas Ueberraschendes erscheinen, sondern fügt sich vielmehr konsequent in das Charakterbild ein, das wir von Marx als Philosophen gewinnen müssen, wenn wir von Lafargue hören, dass Marx noch in seinen späten Lebensjahren, als ihm infolge der letzten Krankheit seiner Frau die Ruhe zu seinen ökonomischen Arbeiten fehlte, wie zur Erholung und Ablenkung sich in Studien der höheren Mathematik versenkte und (sehr charakteristisch nicht nur für den Dialektiker, sondern auch für den Methodologen Marx) eine Abhandlung über die Infinitesimalrechnung schrieb, ja, dass „er beabsichtigte unter anderem, eine Logik und eine Geschichte der Philosophie zu schreiben“. [5]

Es ist ja begreiflich, dass die Bedeutung von Karl Marx auch als Philosophen längere Zeit zurücktreten musste, solange man ihn hauptsächlich nur als den Verfasser des Kapital kannte und über der Mühe, den gewaltigen Sinn seiner ökonomischen Lehren sich zu eigen zu machen und gegen Missverständnis zu verteidigen, weniger Aufmerksamkeit dafür haben konnte, wie gerade aus diesem ökonomischen Hauptwerk alle tragenden Gedanken, so namentlich die allen ökonomischen Mystizismus radikal vernichtende Lehre vom Fetischcharakter der ökonomischen Erscheinungen innerhalb einer warenproduzierenden Wirtschaftsordnung, zurückwiesen auf den philosophischen Werdegang, in welchem sie in heftigstem kritischen Kampfe gewonnen worden waren. Seitdem nun aber die übrigen Schriften dieses Denkers zum allergrössten Teil leicht zugänglich gemacht worden sind, seitdem es dadurch also möglich ist, das geistige Wachsen und Reifen dieses grossartigen Denkerlebens im einzelnen zu verfolgen und gleichsam zu sehen, wie an seinem treibenden Stamm sich Jahresring um Jahresring ansetzt, in stets grösserem Kreise stets mächtigeres Leben und Wirken einschliessend, seitdem steht auch der einheitlich philosophische Grund Charakter dieser Arbeit immer deutlicher vor Augen. Und wenn wir bei Lafargue lesen; „Marx’ Gehirn war mit einer unglaublichen Menge von historischen und naturwissenschaftlichen und philosophischen Theorien gewappnet, und er verstand es ausgezeichnet, sich aller dieser in langer geistiger Arbeit gesammelten Kenntnisse und Beobachtungen zu bedienen, Man konnte ihn wann immer und über was immer befragen, und man erhielt die ausreichendste Antwort, die man wünschen konnte, und sie war immer von philosophischen Reflexionen von allgemeiner Bedeutung begleitet ... Sicherlich enthüllt uns das Kapital einen Geist von erstaunlicher Kraft und hohem Wissen; aber für mich wie alle, die Marx nahe gekannt haben, zeigt weder das Kapital noch eine andere seiner Schriften die ganze Grösse seines Genies und Wissens. Er stand hoch über seinen Werken“ [6] – dann bedeuten namentlich die Schlussworte dieser Stelle, die zuerst nur einen persönlichen Eindruck Lafargues vermitteln konnten, immer mehr ein sachliches Urteil, welches durch die Einwirkung der Totalität des geistigen Schaffens Marx’ auf unsere Auffassung – ein freilich nur schwacher Ersatz jenes unmittelbaren Einflusses seiner Persönlichkeit – ganz notwendig in uns hervorgerufen werden muss. [7]

So hegt denn die Schwierigkeit, deren vorhin Erwähnung geschah, den Philosophen Marx zum Wort kommen zu lassen, durchaus nur in dem äusserlichen Umstände, dass wir keine systematischen oder wenigstens in grösserem Zusammenhange ausgeführten Erörterungen von ihm besitzen, worinnen sich sein selbständiger philosophischer Standpunkt uns direkt mitgeteilt hätte. Und wir sind daher ganz und gar darauf angewiesen, in dem entwickelten reichen Inhalt seines Denkens alles das aus Einzelbezügen, aus konkreten Verarbeitungen erst herauszuheben, was seinen philosophischen Standpunkt charakterisieren kann. Wenn wir daher Jenen speziellen Charakterzug in den Grundansichten von Karl Marx, der uns hier interessiert, gewinnen wollen, sein Verhältnis zur erkenntniskritischen Problemstellung, dann ist es nötig, den Strom des Wissens, der von ihm ausgegangen ist, zu seinen logischen Anfängen zurückzuverfolgen. damit sich uns jene philosophischen Gedankenelemente als der Urquell erschliessen, aus dem die Stärke seiner theoretischen Leistungen erflossen ist: die Auffassung und die Methode.

Wer da nun weiss, wie bestritten die Ansichten selbst derjenigen Philosophen sind, die sie ausführlich genug in ihren Schriften dargelegt haben, der wird es auch nur zu begreiflich linden, dass es seine grösste Schwierigkeit hat, den philosophischen Charakter von Karl Marx kurzerhand zu bezeichnen oder auch nur in einzelnen Punkten eine philosophische Ansicht als die seine auszugeben, ohne befürchten zu müssen, auf Widerspruch zu stossen. Nur das eine dürfte wohl heute bereits allgemeine Erkenntnis geworden sein, dass es so viel wie gar nichts von philosophischem Verständnis überhaupt und historischer Beurteilung des besonderen Falles verrät, Karl Marx einen Materialisten zu nennen. Gewöhnlich meint eine solche Bezeichnung nichts weiter als eine positivistische Weltanschauung oder gar nur den Standpunkt der modernen Naturwissenschaft, der freilich prinzipiell auch der von Karl Marx war und dessen erkenntnistheoretische Begründung für die Sozialwissenschaft auch unsere gegenwärtige Aufgabe ist. Aber Naturwissenschaft und Materiahsmus, so vieles sie auch historisch verbinden mag, haben logisch nicht nur nichts miteinander zu schaffen, sondern sind so schroff geschieden, dass gerade die moderne Naturwissenschaft die schärfste Bekämpferin des dumpf über seiner ihm stets unbegreiflicher werdenden Materie brütenden Materialismus geworden ist und seinen metaphysischen Charakter bündig aufgedeckt hat. Haben wir übrigens ja auch Marx selbst scharfe Kritik an den naturwissenschaftlichen Materialismus üben gesehen (Seite 218), und charakteristisch ist, dass er gerade in seiner gewiss nicht mehr vom Hegelianismus philosophisch interessierten, sondern bereits den ökonomischen Problemen vollständig zugewendeten „reifen“ Epoche das gleiche Bedürfnis fühlte, sein „Verhältnis zum naturalistischen Materialismus“ abzugrenzen [8] Und hat ja sogar Engels, dessen philosophischer Standpunkt dem des naturwissenschaftlichen Materialismus viel näher kommt, weil er ja direkt dessen ontologische Lösung über das Verhältnis vom Denken und Sein akzeptierte, während Marx in derselben bloss eine methodologische Weisung sah, wie auch vom Geist und seinen Betätigungen eine Wissenschaft zu erwerben sei, gleichwohl wiederholt sich energisch gegen die Identifizierung mit der Form verwahrt, worin dieser Materialismus im 18. Jahrhundert zum Ausdruck gekommen war, ja noch mehr, „mit der verflachten, vulgarisierten Gestalt, worin der Materialismus des 18, Jahrhunderts heute (1886!) in den Köpfen von Naturforschern und Aerzten fortexistiert und in den Fünfzigerjahren von Büchner, Vogt und Moleschott gereisepredigt wurde“. [9]

Was hauptsächlich zu der Auffassung von Marx als einen Materialisten beigetragen hat, das ist die Benennung seiner Geschichtsauffassung als der materialistischen imd das weitverbreitete Missverständnis dieser Lehre in dem Sinne, als ob die Ökonomische Entwicklung, in welcher sie das bestimmende Element des ganzen historischen Prozesses erkannt halte, eine blosse Bewegung des leblosen Stoffes, der „sozialen Materie“ wäre, der gegenüber das Denken und Wollen der Menschen geradeso als ein überflüssiges Produkt und eine seltsame Verdoppelung des Geschehens herauskam, wie ja schon früher das geistige Leben im Menschenkopfe gegenüber den es „bewirkenden“ Gehirnvorgängen erscheinen musste. Auf diese Weise erwuchs dann die dem ganzen Denken von Karl Marx direkt zuwiderlaufende Auslegung seiner Lehre, wie sie namentlich von bürgerlicher Seite zum Zwecke der Widerlegung vorgenommen wurde, aber auch zuweilen bei jenen seiner Anhänger anzutreffen war, die sich hierfür durch ihr sonstiges materialistisches Glaubensbekenntnis gleichsam prädestiniert fanden, wonach der menschliche Geist und Wille in der Geschichte eigentlich keine Realität haben und nur zum Schein in ihr wirksam seien, so dass also alle Ideen in Philosophie, Religion, Recht und Kunst nur gleichsam die Schattenbilder wären, welche der gewaltige Zug der „ökonomischen Verhältnisse“ in seinem Wandlungsprozess auf die empfindsame Wand menschlicher Gehirne werfe.

Dergestalt waren die Worte Marx’ freilich nur allzusehr nach dem blossen Buchstaben befolgt worden: „Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen Methode nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil.“ [10] Man übersah das Verschiedene und hielt sich an das direkte Gegenteil. War bei Hegel „der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äussere Erscheinung bildet“ [11], so wurde nun wirklich „umgekehrt“, aber nicht in der Marxschen Umkehrung, der ökonomische Prozess, der sogar unter dem Namen der ökonomischen Verhältnisse in ein selbständiges Objekt verwandelt wurde, zum gleichen Demiurgen der wirklichen, geistig-sozialen Welt, die abermals zum wesenlosen Scheine herabsank. [12] Und diese Lehre sollte wirklich die Meinung von Karl Marx gewesen sein, die denselben Fehler, den Marx bereits an Hegel so treffsicher hervorgehoben hatte, dass er nämlich „den absoluten Geist als absoluten Geist nur zum Schein die Geschichte machen lässt“ [13] und dass also das Bewusstseln dieses Prozesses post festum käme, auch gegenüber dem menschlichen Geiste beginge^ nur damit zu dem einmal gewählten Namen der materialistischen Geschichtsauffassung auch ein entsprechender Sinn (oder eigentlich Unsinn) hinzukomme? Das wäre eine seltsame Ueberwindung Hegels gewesen. Denn bei Hegel ist, wie sehr auch das philosophische Bewusstsein von dem wirklichen Prozess der Idee post festum kommen mag, es doch auch vorher schon der Geist, der unseren endlichen Geist als Wesensverwandtes in sich befassende absolute Geist, welcher sich entwickelt zum selbst gewollten Ziel. Er macht doch seine Bewegung selbst, die wieder er selbst zuletzt nur anschauend in uns erkennt. Hier aber würden wir von allem Anfang an einer Bewegung zuschauen, die wir nicht selbst gemacht haben und die uns doch so nahe angeht, ja unser lebhaftestes Bewusstsein ausmacht. Die Hegelsche Dialektik ist reiner, schöpferischer Vernunftprozess und hat daher den zureichenden Grund ihrer Existenz in sich selbst, und eben wegen dieser ihrer immanenten Vernünftigkeit kommt sie auch von einem Stadium zum anderen, wird sie eine fortschreitend ihre Widersprüche stets auf höherer Stufe lösende Bewegung. Allein bei einer Bewegung der Dinge ist uns, die wir gleichwohl unter ihnen da sind, sowohl ihre Existenz wie ihre Bewegung ein unfassbares Rätsel und bleiben wir, da nirgends sich ein Punkt darbietet, der uns in ihr Inneres eintreten liesse, ewig draussen als willenlose, ohnmächtige Zuschauer eines gewaltigen, unverständlichen, sinnlosen Fatums, das – unser Fatum ist. [14]

Eine solche Auslegung der materialistischen Geschichtsauffassung könnte sich aber weder auf die Worte, geschweige denn auf den Geist bei Karl Marx selbst, noch auch auf die Darstellung seiner bewährtesten Interpreten berufen. Man braucht nur irgend eine der theoretischen Schriften oder Aufsätze von Kari Kautsky, Franz Mehring oder H. Cunow aufmerksam zu lesen, um Belege in Hülle und Fülle zu finden, dass auch die „dogmatischesten Orthodoxen“ ihren Lehrer nie so dogmenfanatisch missverstanden haben, wie dies allerdings bei den Gegnern intra et extra muros der Fall gewesen zu sein scheint. So schrieb Karl Kautsky bereits vor der gerade hier sich so besonders kritisch vorkommenden späteren Revisionsära in der Neuen Zeit: „Man muss eine geradezu mystische Vorstellung von der ökonomischen Entwicklung haben, wenn man annimmt, sie könnte auch den kleinsten Schritt vorwärts machen ohne die Tätigkeit des menschlichen Geistes. Man halte doch die ökonomischen Bedingungen und die ökonomische Entwicklung auseinander. Das sind zwei ganz verschiedene Dinge.“ [15] Und ein andermal: „Was sind ökonomische Verhältnisse? Einerseits Verhältnisse der Menschen zur Natur, andererseits Verhältnisse der Menschen untereinander, immer aber Verhältnisse von Menschen. Und die sollen sich entwickeln können, ohne dass die Menschen sich rühren! Diese Idee auch nur ‚beinahe fassen zu können‘, ist ein krasser Ausfluss jenes Fetischismus, der in den Verhältnissen der Menschen Verhältnisse von Dingen sieht. Ein ökonomisches Verhältnis kann keine Sekunde lang bestehen ohne ‚Eingreifen des bewussten menschlichen Geistes‘.“ [16] Wozu nun auch noch die Zitate aus den Schriften von Marx und Engels selbst häufen, die beweisen können, dass ihre materialistische Geschichtsauffassung ein solcher sozialer Materialismus nie gewesen, welcher das blinde Kräftespiel der leblosen Materie im lebendigen Reiche der Menschenwelt, sie überall entgeistigend, wiederholt hätte. Gerade die grossartige Ausgestaltung des Begriffes der Ökonomischen Verhältnisse durch Marx, in denen er, weit entfernt, sie als soziale Materie den Menschen gegenüberzustellen, im Gegenteil überall diesen Menschen selbst in ihren Mittelpunkt nachwies und derart sie direkt als seine Verhältnisse darlegte, macht für immer der Legende von dem sozialen Materialismus bei Marx ein Ende, um an seine Stelle einen exakten sozialen Determinismus zu setzen. [17] Produktionskräfte, Produktionsweise, ökonomische Verhältnisse, wirtschaftliche Entwicklung und dergleichen mehr – alle diese Ausdrücke haben bei Marx stets eine unmittelbar gesellschaftliche Bedeutung, die ohne den Gedanken des vergesellschafteten, tätigen Menschen als ihres Trägers gar nicht zu fassen wäre. Daher lesen wir schon in der Einleitung zur Kritik der politischen Oekonomie, welche mit den Worten beginnt: „Der vorliegende Gegenstand ist zunächst die materielle Produktion“, diesen Begriff gleich folgendermassen bestimmt: „Wenn also von Produktion die Rede ist, ist immer die Rede Ton Produktion auf einer bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsstufe – von der Produktion gesellschaftlicher Individuen.“ [18] Und so ist es klar, dass, inwieferne sich mit der Produktionsweise, mit den ökonomischen Verhältnissen auch notwendigerweise die gesamten übrigen Kulturverhältnisse der Menschen ändern, dies nur deshalb unausweichlich ist, weil in den geänderten Produktionsverhältnissen auch schon die Menschen selbst mit ihren Beziehungen zur Natur und zu ihren Mitmenschen sich geändert hatten.

Nach dieser Richtung, der ökonomischen, muss man also in demselben Masse, als das von den Gegnern der materialistischen Geschichtsauffassung, so insbesonders von Stammler, konstruierte System eines sozialen Materialismus wirklich in der Konsequenz des ontologischen Materialismus verläuft, um so bestimmter zur Einsicht gelangen, dass Marx nicht als Materialist angesprochen werden kann. Und dass, sobald diese Beziehung endgültig gefallen ist, weder die ökonomischen noch die soziologischen Lehren von Karl Marx irgend etwas noch mit dem metaphysischen Standpunkt des Materialismus zu tun haben, sollte man doch nicht mehr notwendig haben, immer wieder aufs neue einzuschärfen. Freilich, wer Naturwissenschaft und Materialismus nicht auseinanderhalten kann, dem muss entgehen, wie hier zwei ganz verschiedene Standpunkte der Auffassung vorliegen. Der Materialismus als eine Weltanschauung erhebt die metaphysische Frage nach dem Wesen der Dinge und glaubt dieses darin gefunden zu haben, dass er in der bewegten Materie die Urexistenz erblickt. Die Wissenschaft forscht nur nach Gesetz und Zusammenhang der in der Erfahrung sich darbietenden Erscheinungen, welches immer ihr Wesen sein mag. Daher ist, wie schon früher bemerkt wurde (Seite 226), ihr Charakter notwendig positivistisch, und der fanatischeste Idealist, mag er sogar Solipsist sein, nimmt in der Wissenschaft die Dinge nicht anders als der Materialist Nur in einer kämpfenden Zeit, welche sich den positivistischen Standpunkt der Wissenschaft gegenüber den Anmassungen der Theologie und den Träumereien der Spekulation erst erringen muss, kann es daher geschehen, dass die zu beiden sich im heftigsten Gegensatz fühlende wissenschaftliche Bestrebung sich um dieses Antagonismus willen zugleich in der jede Theologie und idealistische Spekulation radikal verwerfenden materialistischen Weltauffassung identifiziert, weil sie in ihr ein nicht zu entbehrendes Hilfsmittel für ihre wissenschaftlichen Zwecke sieht. Der Materialismus ist ihr dann nur Sturmbock gegen die Mauern eigener und entgegenstehender Vorurteile. Das war auch die Atmosphäre, in der Marx und Engels sich als Materialisten fühlen mussten. Bei der scharfen Unterscheidung, die sie dabei, wie wir sahen, stets gegenüber dem modernen naturwissenschaftlichen, ja auch gegen den ontologischen Materialismus des 18. Jahrhunderts machten, war dieses Bekenntnis in der Tat nicht viel mehr als eine durch die Zeitumstände und die Verhältnisse ihrer philosophischen Entwicklung historisch bestimmt gefärbte Form, in der sie ihre streng wissenschaftliche Stellungnahme zu den Problemen der Geisteswissenschaften sich selbst und ihren Gegnern gegenüber am wirksamsten zum Ausdruck zu bringen vermochten.

Gewiss, Marx hat sich selbst als Materialisten bezeichnet. So schreibt er einmal an Dr. Kugelmann über Dühring: „Er weiss sehr wohl, dass meine Entwicklungsmethode nicht die Hegelsche ist, da ich Materialist, Hegel Idealist.“ [19] Und ein bisher noch wenig beachteter grosser Abschnitt in der Heiligen Familie ist bemüht, auseinanderzusetzen, wie der Materialismus des 18. Jahrhunderts geradezu den Kommunismus des 19. Jahrhunderts vorbereitete, ja seine „logische Basis“ bildete. [20]

Nichtsdestoweniger ist gerade dieses sehr interessante und über die Stellung von Marx zum Materialismus sehr viel Licht verbreitende Kapitel vortrefflich geeignet, erkennen zu lassen, wie wenig Marx an den ontologischen metaphysischen Materialismus denkt, wenn er dieses Wort gebraucht, und wie es eine ganz andere Sache ist, die er damit bezeichnet. Man sollte nie vergessen, dass die eigentümliche Ausprägung des Begriffes „Materialismus“, wie er dann die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts ungefähr bis in das Ende der Achtzigerjahre beherrschte und durch den Titel des Büchnerschen Hauptwerkes Kraft und Stoff einen sehr bezeichnenden populären, wenn auch gerade für einen Materialisten nicht widerspruchsfreien Ausdruck fand, zur Zeit, da Marx mit seiner philosophischen Revision bei sich zum Abschluss gekommen war, noch gar nicht bestand. Vielmehr war es damals die Philosophie Feuerbachs, die als Materialismus angesprochen wurde, ihrer ganzen Natur nach aber höchstens einen positivistischen Sensualismus darstellte, da sie ja gerade unter Berufung auf die Realität des Empfindungslebens es direkt ablehnte, darüber hinaus in eine Frage nach dem transzendenten Wesen der Dinge einzugehen. Ihr Standpunkt war diese Welt, aber nicht die tote, starre, in unendlich sinn- und qualitätsloser Bewegung kleinster Teile sich neuerlich verlierende Welt des wahren Materialisten, in welcher dieser mit seinem warm pulsierenden Leben ewig sich fremd und unbehaglich „unerklärt“ fühlen wird, sondern die Welt des Menschen selbst in ihrer ganz konkreten sinnlichen, Individuum an Individuum kettenden, lebendigen Fülle. Recht nach dem Goetheschen Wort:

„Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet,
Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
Er stehe fest und sehe hier sich um,
Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen!
Was er erkennt, lässt sich ergreifen!“

wandte die Philosophie Feuerbachs sich aus den Höhen sowohl der idealistischen Spekulation wie der materialistischen Metaphysik dem Wesen des Menschen zu, so wie er, unter seinesgleichen lebend und seine ganze Realität nur in der Gemeinschaft mit ihnen entfaltend, selbst Schöpfer der Ideen von Himmel und Erde, Geist und Materie war, die ihn nachher dann als ebensoviele Rätsel bedrängten. [21] Von alledem zurückzugehen auf das soziale Wesen des Menschen und seines erst in dieser Form sich entfaltenden Sinnenlebens als des einzigen Materiales wirklicher Erkenntnis – das war der Materialismus Feuerbachs. [22] Er selbst hat ihn treffend geschildert, wenn er von sich sagt: „Ich verwerfe überhaupt unbedingt die absolute, die immaterielle, die mit sich selbst zufriedene Spekulation – die Spekulation, die ihren Stoff aus sich selbst schöpft. Ich bin himmelweit unterschieden von den Philosophen, welche sich die Augen aus dem Kopf reissen, um desto besser denken zu können; ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets nur mittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstand, aber Gegenstand ist nur, was ausser dem Kopfe existiert. Ich bin Idealist nur auf dem praktischen Gebiete, ... die Idee ist mir nur der Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg der Wahrheit und Tugend, hat mir nur politische und moralische Bedeutung; aber auf dem Gebiete der eigentlichen theoretischen Philosophie gilt mir im direkten Gegensatze zur Hegelschen Philosophie, wo gerade das Umgekehrte stattfindet, nur der Realismus, der Materialismus in dem angegebenen Sinne (g. v. m.) ... Ich bin nichts als ein geistiger Naturforscher, aber der Naturforscher vermag nichts ohne Instrumente, ohne materielle Mittel.“ [23]

Zeigt schon diese glänzende Selbstcharakteristik, wie man Feuerbachs Lehre nur mit grosser Einschränkung, ja eigentlich entgegen seiner eigenen vorsichtigen Bestimmung rundweg als Materialismus bezeichnen kann, so darf vollends nicht übersehen werden, dass auch sein Sensualismus, um dessen willen man hauptsächlich in Feuerbach den Materialisten erbückt hatte, nicht konsequent in seiner Sphäre verblieben ist, sondern vielmehr einen starken rationalistischen Einschlag aufweist, durch welchen er seinen Zusammenhang mit und Hervorgang aus der kritischen Philosophie dokumentiert. „Nicht nur Aeusserliches also,“ lesen wir bei ihm [24] „auch Innerliches, nicht nur Fleisch, auch Geist, nicht nur das Ding, auch das Ich ist Gegenstand der Sinne. – Alles ist darum sinnlich wahrnehmbar, wenn auch nicht unmittelbar, so doch mittelbar, wenn auch nicht mit den pöbelhaften, rohen, doch mit den gebildeten Sinnen, wenn auch nicht mit den Augen des Astronomen oder Chemikers, doch mit den Augen des Philosophen.“ Und an anderer Stelle [25]: „Alles sagen die Sinne, aber um ihre Aussagen zu verstehen, muss man sie verbinden. Die Evangelien der Sinne im Zusammenhange lesen, heisst: Denken.“ Derart reduziert sich also zuletzt auch dieser Sensualismus nur auf das, was Feuerbach so glücklich als die Weise des „geistigen Naturforschers“ charakterisiert hat, nämlich auf die kritische Forderung, dass unser Denken überall und nicht zuletzt auch bei der Betrachtung der geistig-sozialen Phänomene sich stets seinen sicheren Zusammenhang mit dem Bereich der Erfahrung, und zwar mit eben den Mitteln, mit welchen es sonst wissenschaftliche Erkenntnis zu gewinnen imstande ist, wird wahren müssen.

Und in diesem Sinne war auch Marx Materialist. In diesem Sinne, zu innerst mit ihren drängendsten geistigen Lebensinteressen durch diese neue Lehre auf den rechten Weg gewiesen, den sie selbst bereits nach Durchdringung des Dunstkreises der Hegelschen Philosophie vor sich sahen, haben Marx und Engels die befreiende Wirkung des Wesens des Christentums auf sich wirken gefühlt und sich nun in dem gleichen Gegensatz zu Hegel, zu seiner aus sich selbst fortschreitenden konstruktiven Spekulation, Materialisten genannt, wo sie im Grunde, nicht anders wie Feuerbach, Realisten sein wollten, die nur nach einer materiellen, das heisst die Wirklichkeit der Dinge selbst, wiedergebenden Erkenntnis strebten, anstatt sich mit einem bloss im Kopfe des Philosophen ausgedachten Zusammenhang zufrieden zu geben. [26] Und diesen Charakter des Marxschen Materialismus zeigt gerade unverkennbar das vorhin herangezogene Kapitel ans der Heiligen Familie.

Man muss nur auf den Grundgedanken desselben achthaben, um deutlich zu sehen, worin Marx den von ihm hervorgehobenen Zusammenhang des zeitgenössischen englischen und französischen Kommunismus mit dem Materialismus des 18. Jahrhunderts eigentlich hergestellt sieht. Er wird nämlich nur in der kritischen Schärfe dieser Philosophie gefunden, mit welcher sie sich zu der ihr gegenüberstehenden Theologie und idealistischen Metaphysik sowie zu der von beiden beeinflussten Moral verhielt. Es ist also die praktische Philosophie des Materialismus, die vor allem diesen Zusammenhang darstellt, und daran lassen gerade die von Marx selbst im Anhange zu jenem Kapitel gebrachten Zitate aus Holbach, Helvetins und Bentham gar keinen Zweifel übrig. Die gegenüber dem dogmatischen Glauben der Theologie und den ewigen Ideen der Metaphysik samt ihrer Moral den Menschen mit seinen Trieben, seinem Handeln zu eigenem Nutz und Frommen, seiner nach Zeit und Umständen wechselnden Anschauungen und Beurteilungen vorschiebende Lehre der englischen und französischen Materialisten erschien so Marx als die direkte Vorgängerin des Feuerbachschen Humanismus. Und der Materialismus war ihm derart sowohl im 18. .Jahrhundert als bei Feuerbach allein wegen dieser seiner sozialkritischen Seite, das heisst gerade mit dem, was im System des französischen Materialismus als Selbstwiderspruch erschien [27], ein Bindeglied zum Kommunismus und zu seinem eigenen wissenschaftlichen Standpunkte. Daher unterscheidet Marx auch charakteristischerweise zwischen zwei Richtungen des französischen Materialismus: „der mechanische französische Materialismus schloss sich der Physik des Descartes im Gegensatz zu seiner Metaphysik an. Seine Schüler waren Antimetaphysiker von Profession, nämlich Physiker“. [28] Die andere Richtung knüpft an den Sensualismus Lockes an, dessen unmittelbarer Schüler und französischer Dolmetscher Condillac war. „In Helvetius, der ebenfalls von Locke ausgeht, empfängt der Materialismus den eigentlichen französischen Charakter. Er fasst ihn sogleich in Bezug auf das gesellschaftliche Leben (Helvetius, De l’homme). Die sinnlichen Eigenschaften und die Selbstliebe, der Genuss und das wohlverstandene Interesse sind die Grundlage aller Moral. Die natürliche Gleichheit der menschlichen Intelligenzen, die Einheit zwischen dem Fortschritt der Vernunft und dem Fortschritt der Industrie, die natürliche Güte des Menschen, die Allmacht der Erziehung sind Hauptmomente seines Systems.“ [29]

Es war nur diese letztere Richtung, durch welche Marx den Zusammenhang mit dem Kommunismus hergestellt sah. Er sagt es ausdrücklich: „Wie der cartesische Materialismus in die eigentliche Naturwissenschaft verläuft, so mündet die andere Richtung des französischen Materialismus direkt in den Sozialismus und Kommunismus.“ [30] Nicht also das, was man gewöhnlich als das Spezifische des Materialismus ansieht, und mit Recht, seine ontologische Auffassung von dem Verhältnis vom Denken und Sein, Geist und Materie, sondern lediglich seine kritische Stellung zur Theologie, Metaphysik und absoluten Moral, die als solche zwar historisch aus seiner zum Atheismus drängenden Metaphysik entsprang, aber ebenso auch mit einer pantheistischen oder spiritualistischen. Ja auch mit einer erkenntniskritischen Grundansicht, wie zum Beispiel der Kants, vereinbar war, kurz also ein dem philosophischen Charakterbilde des Materialismus als solchen gar nicht wesentlich angehörender Zug war es, der hier die Verbindung stiftete zwischen ihm und dem Kommunismus. Ein Missverständnis darüber, dass Marx hier den Materialismus nach seiner Unterscheidung von der cartesischen Richtung nur in diesem bloss historisch, aber nicht spezifisch so zu benennenden Sinne vor Augen gehabt hat, ist ganz unmöglich, sobald man seine Darlegung dieses Zusammenhanges nachliest: „Es bedarf keines grossen Scharfsinnes, um aus den Lehren des Materialismus von der ursprünglichen Güte und gleichen intelligenten Begabung des Menschen, der Allmacht, der Erfahrung, Gewohnheit, Erziehung, dem Einfluss äusserer Umstände auf den Menschen, der hohen Bedeutung der Industrie, der Berechtigung des Genusses etc. seinen notwendigen Zusammenhang mit dem Kommunismus und Sozialismus einzusehen.“ [31] Es fehlt selbst nicht die richtige Benennung dieser im Grunde doch vom Materialismus sehr verschiedenen Ansicht, wenn Marx zuletzt sagt: „Die wissenschaftlichen französischen Kommunisten Dezamy, Gay etc. entwickeln wie Owen die Lehre des Materialismus als die Lehre des realen Humanismus und als die logische Basis des Kommunismus.“ [32]

Und so schliesst sich diese Charakterisierung des für Marx allein in Betracht kommenden Materialismus, indem sie selbst nun unmittelbar auf denjenigen Bezug nimmt, nach dessen Auftreten Marx sich selbst als Materialisten bezeichnete, auf Feuerbach. Denn was so zuletzt als Humanismus erkannt wurde, ist nur der praktische Ausdruck der in diesem Denker theoretisch zum Ausdruck gekommenen Richtung, oder in der Inversion bei Marx: „Wie aber Feuerbach auf theoretischem Gebiete, stellte der französische und englische Sozialismus und Kommunismus auf praktischem Gebiete den mit dem Humanismus zusammenfallenden Materialismus dar.“ [33]

Gewiss werden diese Ausführungen nicht so missverstanden werden können, als ob sie behaupteten, Marx habe mit dem Materialismus gar keine oder nur schwache Fühlung gehabt. Im Gegenteil soll gar nicht verkannt werden, dass er gar keiner anderen philosophischen Richtung nähergestanden ist als dieser. Aber genau dasselbe kann man, und nicht mit Unrecht, zum Beispiel von Kant behaupten, wie man es dann auch wirklich getan hat, und beidemale ist damit nichts anderes gesagt, als dass gewisse besonders hervorstechende Züge des Materialismus, um derenwillen er ja mit einer der Lehrmeister der Menschheit gewesen ist, besonderen Einfluss auf die Ausgestaltung des Denkens dieser Forscher genommen haben: also vor allem die strenge Hinweisung auf die Erfahrung und die Forderung der Herstellung eines lückenlosen, alle Erscheinungen der Natur wie des Geisteslebens umfassenden kausalen Gesetzmässigkeit; Forderungen – die ihren starken Einfluss auf die verschiedenartigsten Denker aller Zeiten ausüben konnten, weil sie wieder nicht spezifische Lehren des Materialismus sind, sondern nur durch die Natur seines metaphysischen Standpunktes, welcher alle auf Zulassung von Zweckprinzipien irgendwie hinführende Gesichtspunkte unbedingt ausschloss, gerade bei ihm ihre konsequenteste Ausbildung zuerst gefunden hatten. Worauf es hier ankam, war nur, dass aus der ganzen philosophischen Lebendigkeit der Gedankenwelt Marxens anschaulich zum Ausdruck komme, wie sehr, wenn man ihn schon einen Materialisten nennen will, er selbst recht hatte, zu verlangen, dass man ihn nicht mit dem gewöhnlich so genannten naturwissenschaftlichen Metaphysiker verwechsle, und dass wir durch Zerstreuung aller mit dieser so gefährlichen Assoziation sich einstellender Anschauungen und Affekte nun uns in einer von Vorurteilen gereinigteren Atmosphäre bewegen, in welcher sich das Verhältnis von Karl Marx zum erkenntniskritischen Problem den Blicken leichter darstellen wird.

Nur zu diesem Zwecke habe ich geglaubt, gegenüber der, wie es scheint, unausrottbaren Zusammenkoppelung des Marxschen Standpunktes mit dem des ontologischen Materialismus, in etwas ausführlicherer Weise auf diesen Punkt eingehen zu müssen und den Versuch zu wagen, schon in dieser notgedrungen nur abrissartigen Exkursion zu zeigen, dass eine solche Verquickung nicht einmal für das Bewusstsein von Karl Marx richtig ist. Denn an und für sich ist es ja für den Inhalt einer Lehre gar nicht entscheidend, in welchem besonderen, historisch reflektierten Lichte sie im Geiste ihrer Urheber erscheinen musste.

Aber auch abgesehen davon, muss man sich sogar hüten, Marx und Engels ausschliesslich aus dem Bewusstsein heraus zu beurteilen, das sie selbst und ihre Zeit gegenüber der Philosophie und insbesonders der idealistischen gehabt haben, nachdem sie dem Banne Hegels entkommen waren. Die Philosophie, gegen welche nun die allgemeine Enttäuschung alle Vorwürfe vereinigte, alle Anklagen häufte, für die alle Demütigung und jeglicher Spott bereitgehalten wurde, welche stets den Fall einer Grösse begleiten und hier noch mit um so geschäftigerem Eifer zusammengetragen wurden, als diese Grösse selbst sich anscheinend für hohl erwiesen hatte – unter der Philosophie überhaupt, die so schliesslich zum überwundenen Standpunkt der Zeit wurde, war immer doch nur eine bestimmte Philosophie gemeint, die Philosophie Hegels als die Vollendung der auf Kant gefolgten, mit Fichte beginnenden Spekulation. Und der Idealismus, demgegenüber nun alle Opposition, die doch nur den spekulativen Grundzug treffen wollte, sich allzu bereit als Materialismus abgrenzen mochte, war wiederum stets nur der metaphysische Idealismus der Fichte-Schelling-Hegelschen Epoche. Von der Kantschen Philosophie war nirgends die Rede. Gerade weil seit ungefähr 25 Jahren, besonders aber im letzten Jahrzehnt, aus Kant immer mehr ein Lebender geworden ist, so muss um so nachdrücklicher stets von neuem darauf aufmerksam gemacht werden, dass in dieser ganzen Zeit des Niederganges der Philosophie, in welcher gleichzeitig das Denken von Karl Marx seine Vollendung findet, die Kantsche Philosophie mit Ausnahme des damals ebenfalls entlegenen und weltfremden Schopenhauerwinkels – wo sie noch dazu eigenartig vermetaphysikt wurde – durchaus verschollen war; dass die Methode des Kantschen Denkens, der Kern seiner Problemstellung, die absolute Loslösung der Erkenntnistheorie von aller Metaphysik, kurz, eben diese ganze von Grund aus so anders als die transzendente Spekulation geartete Transzendentalphilosophie vergessen und unbekannt war. Wenn gleichwohl der Name Kants stets vor denen Fichtes und Hegels genannt wurde, so geschah dies doch nicht anders, als wie man Klopstock vor Lessing und Goethe anzuführen pflegte. Was allein von der Philosophie Kants in dieser Zeit noch beachtet blieb, war gerade geeignet, ihre theoretische Seite zurückzudrängen: nämlich seine praktische Philosophie. Kant war derart nicht der Philosoph, der die wissenschaftliche Erfahrung fest begründen wollte, sondern der Philosoph des kategorischen Imperativs und der Postulate der praktischen Vernunft, welcher nach Aufhebung der Anmassungen des Wissens durch seine theoretische Kritik nur den Platz hatte gewinnen wollen für einen alle Erfahrung bewusst hinter sich lassenden Glauben. Dass freilich auch diese ganze so verschriene Richtung seines Philosophierens nur aus dem gleichen transzendentalen Gesichtspunkt der theoretischen Kritik ihre eigentliche, von jeder Dogmatik himmelweit entfernte Meinung erschliessen konnte, mussre natürlich eine Zeit mit der Verschüttung dieses letzteren durchaus verborgen bleiben. So geriet Kant mit einemmale unter die spekulativen Philosophen, in welchem Lichte er wohl auch Marx erschienen sein dürfte. [34]

So richtig es daher ist, dass Marx und Engels in die entschiedene Gegnerschaft zur Philosophie gerieten, soferne diese als Metaphysik die wissenschaftliche Forschung zu bestimmen versuchte, so wenig kann diese ihre Stellungnahme gegen die Philosophie als Erkenntnistheorie ausgelegt werden, in welcher Eigenschaft sie ihnen ja gar nicht gegenübergetreten war. Ja, das erkennthiskritische Problem, das in seiner reinen Gestalt durch eine gewaltige Anstrengung gegenüber den aller Erkenntnistheorie so feindlichen Mächten der Sprache, die sich ganz am metaphysischen Weltbilde gestaltet hat, in Kant zu einem ersten, schwer verständlichen Ausdruck durchgerungen hatte, schien mit dem aus den stehen gebliebenen Worten seiner Lehre entflohenen Sinn selbst gänzlich verloren. Es war gar kein Problem der Zeit.

Daraus erklärt es sich, dass das kritisch so scharfe und, wie wir gleich sehen werden, dem Kantschen in gewissem, sofort zu erläuterndem so verwandte Denken von Marx doch so selten an erkenntnistheoretische Fragen streifte, und wo dies schon geschah, bei der Gewinnung der logischen Form, also der letzten Vorstufe zur Erkenntniskritik, stehen blieb, wie zum Beispiel, was wir schon von Engels in seiner rechten Bedeutung auseinandergesetzt sahen, (Seite 198), bei der Herausarbeitung des logischen Kernes der Hegelschen Dialektik, das heisst bei der Umwandlung des metaphysisch gefassten dialektischen Vernunftprozesses in eine dem inhaltlichen Denken wesentliche Methode. Und darum ist es auch charakteristisch, dass gerade Fr. Engels, dessen vorstürmendem Ungestüm der Triumphzug der exakten wissenschaftlichen Methoden überall schon der Metaphysik ihren endgültigen Untergang bereitet zu haben glaubte, doch gerade die Erkenntnistheorie, wiederum in bloss logischer Fassung, von dem allgemeinen Todesschicksal, dem er die Philosophie preisgab, ausnahm. „Was von der ganzen bisherigen Philosophie dann noch selbständig bestehen bleibt, ist die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen – die formelle Logik und die Dialektik“ [35], das heisst eben die Formen, in denen einer Zeit, die den bewussten Anschluss an das Denken eines Kant verloren hatte, die Erkenntnistheorie, die nicht blosse Psychologie sein wollte, erscheinen musste. Und wenn man bedenkt, dass es heute, wo der volle Strom der Ueberlieferung wieder eingesetzt hat und uns der Standpunkt Kants nicht nur neu vermittelt, sondern in den geschichtlichen Zusammenhang erkenntnistheoretischer Arbeit seit Platon gestellt hat, Ansichten gibt, welche den kritischen Charakter der Erkenntnistheorie tatsächlich so weit verkennen, dass sie in ihr nur einen Teil der Psychologie erblicken, so war der Marx-Engelsche Standpunkt, der, isoliert aus jener grossen Ueberlieferung, sie doch als ein Problem der Logik und Dialektik, das heisst der eigenartigen Gesetzlichkeit des Denkens festhielt, nicht nur ein in ihrem Geiste konsequenter, sondern auch an sich kritisch höherer.

Die Fragen der Erkenntnistheorie erscheinen also bei Marx als logische Fragen, als Fragen der Methode seiner wissenschaftlichen Arbeit. In der Beantwortung, die sie bei ihm finden, sind sie aber die erkenntnistheoretische „vérité en marche“. Die Gedankenzusammenhänge, von denen die methodologische Begründung seiner Arbeiten ausgeht und die, leider nur zu selten, hie und da sich ausdrücklich entwickelt vorfinden, sind die sich auf sich selbst besinnenden Wahrheiten, zu denen die Kantsche Untersuchung die Begründung gibt, – wie es eigentlich auch nicht anders sein kann, wenn anders wirklich dem Marxschen Denken für die Begründung der Geisteswissenschaften eine ähnliche methodologische Bedeutung zukommt wie dem Newtons für die Naturwissenschaft. Um dieses Verhältnis der methodologischen Arbeit von Marx zu der kritischen Kants mit einer der Terminologie des letzteren entnommenen Bezeichnung deutlicher zu machen, möchte ich sagen: Marx liefert in seinen methodischen Voraussetzungen, auf welche er seine sozialtheoretische Arbeit fundierte, also in der objektiv-logischen Analyse und Formulierung der Grundbegriffe seines Systems deren „metaphysische Erörterung“, welche also mit einer „transzendentalen Erörterung“ im Sinne Kants nicht nur in keinem Widerspruch steht, sondern geradezu ihre unentbehrliche Vorbereitung ist. Bekanntlich versteht Kant unter der „ metaphysischen Erörterung“ die deutliche, wenn auch nicht ausführliche Vorstellung dessen, was einen Begriff als a priori gegeben darstellt, während die „transzendentale Erörterung“ auf die Aufzeigung eines Prinzips gerichtet ist, aus dem die Möglichkeit einer in einem solchen Begriff gegebenen synthetischen Erkenntnis a priori eingesehen wird. [36] Und das a priori, von dem hier die Rede ist, ist nicht das Schreckgespenst der Spekulation, ein Zauberstab, womit sie ihre luftigsten Gebäude schwebend erhält, indem sie allen Grund, den sie brauchen, a priori voraussetzt; es sind auch nicht die altersgrauen Ruhepolster, aus denen alle Erkenntnis wie ein eingenisteter Staub auffliegt, sobald sich der Kopf darauf bettet; es bedeutet nichts anderes als die Bezeichnung derjenigen, in der erworbenen Erfahrung enthaltenen und nur durch diese erst zum Bewusstsein kommenden Elemente derselben, welche die Voraussetzung ihrer Allgemeingültigkeit darstellen. Die apriorischen Bestandteile unseres Denkens unterscheiden sich also nicht nach ihrem Erwerbe, nach ihrer historischen Entstehung, sondern nur nach ihrer Erkenntnisbedeutung für die Erfahrung.

Dieser Begriff der „metaphysischen Erörterung“ rückt nun die methodologische Arbeit von Marx erst in jenes helle Licht, in welcher ihr Bezug zur erkenntnistheoretischen Problemstellung deutlicher erkennbar wird. Und er darf auch auf sie angewendet werden, denn sie geht überall darauf aus, das besondere a priori der sie beschäftigenden Sozialtheorie zu gewinnen. Die Marxsche Analyse der ökonomischen Erscheinungen ist so vor allem dahin gerichtet, die Denkmittel zu gewinnen, durch welche überhaupt dieser unendliche Komplex des Geschehens in seiner formalen Gesetzlichkeit bewältigt werden kann. Darum sah Marx auch den Schwerpunkt seiner kritischen Arbeit in der Analyse der Wertform, die „der Menschengeist seit mehr als 2.000 Jahren vergeblich zu ergründen gesucht“. [37] Das ist der grossartige neue Standpunkt des Kapitals in der theoretischen Nationalökonomie, um deswillen es eine „Kritik der politischen Oekonomie“ geworden ist, das Wort „Kritik“ im Kantschen Sinne genommen. [38] Nicht tumultuarisches Darauf-los-Induzieren an der chaotischen Masse des Sozialgeschehens, wie etwa bei einem Buckle, noch voreiliges Systematisieren und Konstruieren, wie etwa bei Comte, liefert hier die Grundlage einer wissenschaftlichen Behandlung sozialer Phänomene, die als solche, bei aller Richtigkeit im einzelnen doch im ganzen zufällig und unvollständig sein muss. Sondern der Standpunkt selbst wird allererst in einer mühseligen, schart unterscheidenden, abstrakten Analyse der „ökonomischen Zellenform“ der bürgerlichen Gesellschaft, der Ware, gefunden, eine Analyse, bei der es sich in der Tat um Spitzfindigkeiten handelt, wie sie mit der stumpfen Gabel von Induktion und Deduktion nie aufgegriffen werden könnten, sondern nur dem haarscharfen Messer der Kritik zugänglich sind.

Es ist also zwar nicht eine bewusst erkenntniskritische, aber doch eine in ihrer Richtung gelegene Problemfassung, von der auch Marx bei seiner Arbeit im Kapital ausgegangen ist; und das begründet auch die öfters schon aufgefallene und deshalb viel besprochene objektiv logische Eigenart der daselbst angewendeten Methode, die „wenig verstanden worden“ ist. [39] Das scheinbar Widerspruchsvolle in ihr, weswegen man sie bald als metaphysisch und konstruktiv verschrien, bald als rein empirisch vergewaltigt hat, weswegen man nicht ins klare zu kommen vermochte, ob sie mehr idealistischdeduktiv oder realistisch-induktiv, ob sie mehr formal-analytisch oder empirisch-synthetisch sei, hat eigentlich Marx selbst schon auf seinen Ursprung zurückgeführt, an dem diese Antinomien alle grundlos werden. Es liegt darin, dass Ziel und Weg des Marxschen Denkens nicht auseinander gehalten werden, die sich beide zusammen in einer grossen Gedankenentwicklung im Kapital dargelegt finden. Das Ziel ist, „die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess“ zu erkennen, die Erforschung der „Naturgesetze der kapitalistischen Produktion“. [40] Mit vollem Recht führt daher Marx die gerade diesen Teil seines theoretischen Strebens mit grosser Klarheit entwickelnden Ausführungen seines russischen Kritikers als ebensoviele Darlegungen seiner eigenen Methode an. Aber um die Mittel zu dieser „naturgesetzlichen“ Erfassung der ökonomischen Erscheinungen zu gewinnen, mussten die verschiedenen Entwicklungsformen des sozialen Stoffes erst analysiert, „deren inneres Band“ aufgespürt, kurz, die ganze empirische Fülle des Stoffes in eine gedankliche Form gebracht werden, welche selbst zwar nur aus dem historisch-konkreten Wesen desselben herausgeholt, aber doch nur mit dem Kopf, das heisst mit den Formen des wissenschaftlichen Denkens darin gefunden werden konnte. So ist der Weg von den durch Analyse bestimmten abstrakten allgemeinen Beziehungen zu dem Komplex des Konkreten, um diesen aus jenen zu begreifen, zwar nicht die naheliegendste, aber „offenbar die wissenschaftlich richtige Methode“. [41] In ihr „führen die abstrakten Bestimmungen zur Reproduktion des Konkreten im Wege des Denkens“. Natürlich ist diese Methode „nur die Art für das Denken, sich das Konkrete anzueignen, es als ein Konkretes geistig zu reproduzieren. Keineswegs aber ist es der Entstehungsprozess des Konkreten selbst“. [41a] Oder wie derselbe Gedanke im Kapital gewendet wird: „Gelingt dies (sc. diese geistige Reproduktion des Einzehien aus dem Allgemeinen) und spiegelt sich nun das Leben des Stoffes ideell wider, so mag es aussehen, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun. [42]

„Mit einer Konstruktion a priori“, – das klingt, wie gegen Kant gerichtet, und zielt doch nur gegen Hegel, gegen den auch die vorausgehende Anmerkung gemünzt ist, dass der geistige Reproduktionsprozess des Einzelnen nicht den wirklichen Entstehungsprozess des Konkreten bedeute. Deshalb ist eben diese logische Methode objektiv-logisch im Gegensatz zu dem subjektiven Prozess des Hegelschen Bewusstseins, und deshalb meint auch Engels in seiner Besprechung derselben, indem er dort ganz übereinstimmend mit dem vorhin dargelegten Gedankengange von Karl Marx gleichfalls erklärt, wie gegenüber der scheinbar angemessenen historischen (induktiven) Methode der Kritik der Oekonomie „die logische Behandlungsweise ... allein am Platz“ war, dass diese in der Tat doch „nichts anderes sei als die historische, nur entkleidet der historischen Form und der störenden Zufälligkeiten“. [43] Sie konstruiert also gewiss nicht mehr die Welt spekulativ a priori, aber sie bleibt sich bewusst, dass diese Welt nur begriffen werden kann, wenn sie geistig nachgeschaffen wird.

Der Unterschied der Forschungs- und der Darstellungsweise ist es also, dessen klare Erfassung durch Karl Marx man ebenso sich eigen machen muss, um nicht nur seine Methode recht zu verstehen, sondern seine dem erkenntniskritischen Standpunkt so nahe Stellungnahme nicht zu übersehen. Die Forschungsweise bedient sich der gewöhnlichen Mittel aller wissenschaftlichen Arbeit, der Induktion, Deduktion und des Experiments, vor allem aber braucht sie die Fülle des Erfahrungsstoffes. Aber dabei arbeitet sie überall bereits mit bestimmten überkommenen oder auch von ihr aus jenen verallgemeinerten Begriffen, wie zum Beispiel auf ökonomischem Gebiete Wert, Ware, Produktionsverhältnis etc., über deren Wesen sie keinen Aufschluss zu geben vermag. Hier stösst also die empirische Forschungsweise auf die formgebende Tätigkeit des menschlichen Kopfes, auf seine, ich möchte sagen, unmittelbare, noch naive Darstellungsweise. Diese, auf einen wissenschaftlichen, das heisst widerspruchslosen Ausdruck zu bringen, ist eben das Streben der jetzt einsetzenden logischen Analyse. Erst nachdem sie den Erkenntnisgehalt jedes einzelnen dieses von der Flut des historischen Lebens angeschwemmten Begriffes derart festgestellt hat, dass er mit all den anderen, mit denen er eine materielle Verbundenheit aufweist, auch in ein Gedankenkontinuum eingehen kann, ist jene Stufe der Erkenntnis erreicht, welche die Darstellung des Gegenstandes in einer wissenschaftlichen Erfahrung, das heisst in einer Denkeinheit ermöglicht, in welcher das Einzelne von dem richtig erfassten Allgemeinen getragen wird und aus ihm konstruiert werden kann. So führt in der Tat die logische Arbeit Marx’, wie wir schon vorhin sahen, bis an den Punkt, wo sie in der erkenntniskritischen Kants ihre direkte Ergänzung findet, indem ihr wissenschaftliches Ziel, die Mittel für die ideelle Widerspiegelung des Lebens, das heisst für die logische Beherrschung der historischen Erfahrung zu gewinnen, nur der knappe Ausdruck für den Tatbestand ist, den das berühmte Primordium des Kantschen Werkes aufnimmt: „Wenn aber gleich alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anhebt, so entspringt sie darum doch nicht eben alle aus der Erfahrung.“ [44]

Bei diesem Verhältnisse beider Denker zueinander ist es daher auch keine Willkür, analog gefasste logische Gedankenreihen von Karl Marx zu entsprechenden erkenntniskritischen Lehren Kants in Parallele zu stellen; sie erscheinen eben als eine Art „metaphysischer Erörterung“, die dort ihre transzendentale Begründung findet. Und daran ändert auch nichts, dass wir bei Marx so oft die Realität des Seins ausser dem Denken nachdrücklichst betont finden. Dies trifft immer nur den metaphysischen Standpunkt, und zwar besonders Hegels, bei dem ja das Denken in seinem Prozess das Sein selbst aus sich heraus erzeugte, „entliess“. Es trifft aber nicht den transzendentalen Standpunkt Kants, den Marx weder selbst einnahm noch bekämpfte, da er damals gar nicht zur Diskussion stand. Die Realität des Seins ausser dem Denken des Ichs ist vielmehr eines der sichersten Ergebnisse gerade des transzendentalen Standpunktes, da diese Realität nur in den das Ausser-uns-Sein erst herstellenden Anschauungsformen und in der die objektive Dinghaftigkeit darin erst begründenden Regelhaftigkeit des Bewusstseins ebenso unverlierbar und unantastbar wie dieses selbst gegründet ist. So sicher Bewusstsein ist, so sicher sind auch Dinge ausser uns, weil dieses „ausser uns“ nur eine Form des Bewusstseins ist.

Der Standpunkt Marx’, der die vom Denken unabhängige Realität des Seins betont, ist also der positive, immanente Standpunkt der Wissenschaft, die gar keinen anderen haben kann und den in dieser Notwendigkeit gegen jede Skepsis sicherzustellen gerade die Transzendentalphilosophie alle Mühe aufwendet. Aber indem Marx weiters erkannt hat, dass diese Realität des Seins im Denken nicht einfach sich wie in einer plastischen Masse abdrückt [45], sondern nur in einer Aktion des Bewusstseins, nach eigenen (dialektischen) Gesetzen desselben im Menschenkopf ins Ideelle umgesetzt wird, wodurch erst wissenschaftliche Erfahrung zustande kommt, hat er das geistige Bindeglied geschaffen, welches von seinem zu dem transzendentalen Standpunkt führt. Denn dieser erst lässt uns einsehen, wie es denn möglich ist, dass eine vom Denken des Einzelforschers unabhängige Realität diesem überhaupt noch als wissenschaftliche Aufgabe gegeben sein kann.

Diesen verwandten Bezug des Marxschen zum Kantschen Denken, vermöge dessen das eine zum anderen überleitet, werden wir nachher noch gerade an einem wesentlichen Punkte der Analyse von Karl Marx kennen lernen, an der Analogie im Gedankengange der Darlegung des Fetischcharakters der Ware mit der transzendentalen Kritik des Ichcharakters des erkennenden Subjekts. An dieser Stelle und im jetzigen Zusammenhange aber kommt in Betracht, wie auch die transzendentale Kritik des Dinges ihr logisches Pendant bei Marx findet. Schrieb der junge Marx, der sich vom Einfluss der Hegelschen Philosophie noch nicht befreit hatte, im Jahre 1841: „Der Charakter der Dinge ist ein Produkt des Verstandes. Jedes Ding muss sich isolieren und isoliert werden, um etwas zu sein. Indem der Verstand jeden Inhalt der Welt in eine feste Bestimmtheit bannt und das flüssige Wesen gleichsam versteinert, bringt er die Mannigfaltigkeit der Welt hervor, denn die Welt wäre nicht vielseitig ohne die vielen einseitigen“ [46], so drückte der über Hegel schon längst hinausgekommene, der Philosophie bereits unabhängig gegenüberstehende „reife“ Marx diesen kritischen Gedanken, der dort überdies nur im Verlaufe einer politisch-praktischen Erörterung so nebenbei gelaufen war, viel richtiger indirekt logisch-methodologischer Beziehung so aus: „Das Konkrete ist konkret, weil es die Zusammenfassung vieler Bestimmungen ist, also Einheit des Mannigfaltigen. Im Denken erscheint es daher als Prozess der Zusammenfassung, als Resultat, nicht als Ausgangspunkt, obgleich es der wirkliche Ausgangspunkt und daher auch der Ausgangspunkt der Anschauung und der Vorstellung ist.“ [47] So tritt zwar auch hier sofort wieder der Vorbehalt gegen die idealistische Spekulation auf, wie ja auch eine spätere Stelle noch einmal ausdrücklich darauf aufmerksam macht, dass selbst die abstraktesten Kategorien das Produkt historischer Verhältnisse sind und ihre Vollgültigkeit nur für und innerhalb dieser Verhältnisse besitzen. Aber gegenüber dieser Bemerkung, die ihren vollen Nutzen wesentlich nur für den immanenten Standpunkt der wissenschaftlichen Arbeit selbst entfaltet, steht die klare logisch-kritische Einsicht, dass „für das Bewusstsein ... die Bewegung der Kategorien als der wirkliche Produktionsakt“ erscheint (der allerdings einen Anstoss von aussen erhalten muss), „dessen Resultat die Welt ist“. Und dies ist soweit richtig, fügt Marx hinzu, „als die konkrete Totalität als Gedankentotalität, als ein Gedankenkonkretum in der Tat ein Produkt des Denkens ist; keineswegs aber ein Produkt des ausser oder über der Anschauung und Vorstellung denkenden und sich selbst gebärenden Begriffes, sondern die Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung in Begriffen. Das Ganze, wie es im Kopfe als Gedankenganzes erscheint, ist ein Produkt des denkenden Kopfes, der sich die Welt in der ihm einzig möglichen Weise aneignet, einer Weise, die verschieden ist von der künstlerisch-religiös-praktisch-geistigen Aneignung dieser Welt. Das reale Subjekt (?) [48] bleibt nach wie vor ausserhalb des Kopfes in seiner Selbständigkeit bestehen, solange sich der Kopf nämlich nur spekulativ verhält, nur theoretisch“ [49], also, wie wir vielleicht ergänzen dürfen, nicht praktisch wird.

Ich habe diese Stelle ihrem ganzen Umfang nach wörtlich wiedergegeben, weil sie so bezeichnend dafür ist, wie der logisch-kritische Gesichtspunkt von Karl Marx ganz und gar durch die Oppositionsstellung zu Hegel beeinflusst war und dadurch vielleicht nicht zur Selbstziehung der Konsequenzen gelangt ist, die von ihm zu Kant trieben. Vor allem musste die Herrschaft des „sich selbst gebärenden Begriffes“ gründlich entwurzelt werden, worüber einstweilen die Frage in den Hintergrund trat, woher die anderen Begriffe ihre Legitimation nahmen, eine Sicherheit der Erkenntnis durch die mit ihrer Hilfe bewerkstelligte „Verarbeitung von Anschauung und Vorstellung“ zu gewährleisten. Aber wie sehr der Standpunkt Marx’ bereits dem erkenntniskritischen genähert war, das beweist gerade diese Polemik gegen Hegel in einer anderen Bemerkung, die, wenn wir ihren Sinn auf uns einsprechen lassen, uns direkt bis an die Pforten der Transzendentalphilosophie führt. Dass die Welt schliesslich als das Resultat von Kategorien des Bewusstseins erscheint [50], nennt nämlich Marx eine Tautologie, was zunächst ausgesprochen gegen die Hegelsche Philosophie gemeint ist und wieder die eigene Ansicht scharf von ihr abgrenzen soll. Denn für Hegel, war die Welt, die dem Bewusstsein sich erschliesst, nicht tautologisch mit der im Bewusstsein begriffenen Welt, sondern vielmehr dessen Entäusserung, dessen Anderssein; sie stand so dem Denken direkt als sein Produkt, seine Entfremdung gegenüber. Dagegen ist der transzendentale Standpunkt wirklich identisch mit Jenem „philosophischen Bewusstsein“, dem nach der Bestimmung von Marx „das begreifende Denken der wirkliche Mensch und die begriffene Welt als solche erst die Wirklichkeit ist“. [51] Er gerade greift den Gesichtspunkt auf, den Marx so entscheidend gegen Hegel festhält, dass die Welt als der Inbegriff alles Konkreten tautologisch als ein Produkt des Denkens herauskommen muss, wenn schon die konkrete Totalität des einzelnen nur als Gedankentotalität erfassbar ist. An die Stelle der metaphysischen Identität von Denken und Sein tritt so die kritisch verstandene Tautologie beider für das Bewusstsein, aber damit zugleich die Auslösung der weitertreibenden Kraft des erkenntniskritischen Denkens. Denn bei einer metaphysischen Besonderung des Denkens neben dem Sein ist es weiter keine Frage, wieso beide übereinstimmen, indem diese Wirkung von der einen oder der anderen Seite her erregt oder auch durch ein sie beide bestimmendes Prinzip hergestellt wird. Nun aber entsteht die kritische Frage, wie diese Tautologie für das Bewusstsein möglich ist, das heisst, wie es überhaupt zugeht, dass die konkrete Totalität im Gedankenkonkretum erschöpfend bezeichnet ist, wie also die ausserhalb des Kopfes selbständig verharrende Welt dennoch im Kopfe so vollständig erfasst wird, dass wir überhaupt nach jener äusseren Selbständigkeit gar kein Verlangen mehr tragen, weil sie uns von dem Ding gar nichts mehr bieten könnte, was wir nicht schon im Gedanken von ihm hätten. So führt also auch hier die in den leider so knappen Bemerkungen Marx’ doch so inhaltsreich skizzierte Art seiner methodologischen Auffassung der wissenschaftlichen Arbeit, und zwar gerade vermittelst des von ihm so polemisch gegen die idealistische Spekulation zugespitzten Begriffes der Tautologie in der Beziehung des Logischen zum Realen, wieder an dieselbe Schwelle, zu der wir schon von den verschiedensten Seiten geführt wurden, über welche der Schritt nur in die Transzendentalphilosophie führt, vorausgesetzt, dass man nicht willens ist – stehen zu bleiben.

Ich hoffe, dass dieser Abschnitt nicht missverstanden werden kann. Nur eine übelwollende Auslegung könnte ihn so auffassen, als würde ich Marx zu einem Erkenntniskritiker und noch dazu Kantscher Observanz machen wollen. Ich habe dagegen ausdrücklich hervorgehoben, wie der Kantsche Standpunkt für die Zeit von Karl Marx ein historischer in dem Sinne war, dass er durchaus der Vergangenheit angehörte. Denn wenn auch schon 1865 der Ruf „Auf Kant zurück“ ertönte (O. Liebmann, Kant und die Epigonen), so blieb dies zunächst eine wirklich ganz interne Bewegung der Schulphilosophie. Das philosophische Denken von Marx lag für sein Bewusstsein sicher nicht in der Richtung auf Kant, befand sich vielmehr in der heftigsten Opposition gegen die idealistische Philosophie, die ihm allerdings durch Hegel vertreten war.

Aber hier kam es nicht darauf an, welche Meinung Marx selbst über seinen philosophischen Standpunkt hatte, sondern welche Stelle sein Denken im Zusammenhang der philosophischen Arbeit überhaupt, soweit dieselbe sich auf das Problem der Erkenntnistheorie bezieht, einnimmt. Bei einer anderen Gelegenheit, nämlich bei der Darlegung der Rolle, welche die Dialektik im Marx-Engelschen System des Denkens spielt, wird voraussichtlich näher auf den philosophischen Charakter von Karl Marx eingegangen werden können und sich klar zeigen, dass mir nichts ferner liegt, als zu verkennen, wie massgebend der positivistischmaterialistische Standpunkt für Marx geworden ist. Wenn aber Marx, wie wir gesehen haben, sich stets in so lebhaft bewusstem Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Materialismus befand, dass er nicht nur nicht in ihm aufging, sondern seine Borniertheit überwand so gut wie die Hegeische SubUmität, so hat er das selbst seinem dialektischen Denken zugeschrieben, von dem wir wissen, dass es der logische Kern der Hegeischen Methode war. Ist dies sogar für das Bewusstsein von Karl Marx richtig, so galt es hier noch, zu zeigen, was Marx nicht in seinem Bewusstsein haben konnte, wie dieser sein scharf herausgearbeiteter Standpunkt logischer Kritik ihn mit der kritischen Philosophie in eine Geisteslinie stellt, und darin den Grund anzuzeigen, der den „Materialismus“ von Marx zu einer den übrigen echten Materialismus seiner Zeit nicht nur so überragenden, sondern auch überlebenden Erscheinung gemacht hat.

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Fussnoten

1. Mitgeteilt von F. Mehring: Nochmals Marx und der „wahre“ Sozialismus, Neue Zeit, XIV 2, Seite 397.

2. Karl Marx, Kapital, III 2, Seite 415: „... Produktionsverhältnisse – Verhältnisse, welche die Menschen in ihrem gesellschaftlichen Lebensprozess, in der Erzeugung ihres gesellschaftlichen Lebens eingehen“. Vergl. auch Zur Kritik der politischen Oekonomie, Vorwort, Seite XI: „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen,“

3. K. Marx, Zur Kritik der politiscben Oekonomie, herausgegeben von K. Kantsky, I. Auflage, 1897, Seite X–XI.

4. Veröffentlicht in der Neuen Zeit, XXI 1.

5. Paul Lafargrue, Karl Marx, Persönliche Erinnerungen, Neue Zeit, IX 1, Seite 10–15,

6. Paul Lafargue, a. a. O., Seite 15.

7. Ich möchte nicht gerne so missverstanden werden, als ob ich durch das, was ich zur Würdigung der philosophischen Persönlichkeit von Karl Marx im Text ausgeführt habe und noch weiter zu entwickeln gedenke, den streng wissenschaftlichen Charakter seiner Arbeit als Oekonom und Soziologe irgendwie verkennen würde. Ist es ja gerade Zweck dieser ganzen Studie, eine im Geiste von Karl Marx geleitete Beschäftigung mit dem sozialen Leben als einzige Möglichkeit einer Geisteswissenschaft zu erweisen. Hier galt es also nur, diese wissenschaftliche Leistung nicht bloss durch ihren Inhalt sachlich in den philosophischen Gesamtzusammenhang moderner Geistesarbeit zu stellen, sondern überdies zu zeigen, dass sie diesen Zusammenhang schon in der sie schaffenden Persönlichkeit von Marx besass. Es hat somit diese Hervorhebung seiner philosophischen Bedeutung nichts gemein mit der so häufig bei seinen Gegnern angetroffenen Manier, Marx als „Sozial philosophen“ in den Himmel zu heben, was sie mit um so grösserer Emphase tun, je mehr sie dadurch glauben, seine wissenschaftliche Bedeutung verkleinert zu haben. Es ist dies dieselbe Art, mit welcher im politischen Leben oft unliebsame Persönlichkeiten, die man nicht anders klein kriegen kann, „die Stiege hinauf“ geworfen werden.

8. Karl Marx, Neue Zeit, XXI 1, Seite 779.

9. Friedr. Engels, Ludwig Feuerbach, 2. Auflage, Seite 18–19.

10. K. Marx, Kapital, I., Vorrede zur 2. Auflage, Seite XVII, 4. Auflage.

11. K. Marx, ebd.

12. Siehe zum Beispiel Dr. Ludwig Stein, Die soziale Frage im Lichte der Philosophie, Stuttgart 1903, „Marx ist, richtig verstanden, der philosophische Gegenpol von Hegel, dieser ein konsequenter Idealist, jener ein ebenso konsequenter Malerialist ... Hegel hielt aber die Welt für eine Selbstentwicklung des Logos, und da dieser in seiner höchsten Offenbarung Vernunft ist, muss alles, was ist, vernünftig sein, Marx hingegen hält die Welt für eine Selbstentwicklung der mechanisch wirkenden Materie, demzufolge ist alles, was ist, zwar notwendig, aber keineswegs vernünftig.“ Seite 290. Sein grundlegender Begriff, die soziale Wirtschaft, sei, ähnlich wie Hegel der Schellingschen „Substanz“ vorwarf, jäh und unvermittelt, wie aus der Pistole geschossen, da: gleichsam ein soziologisches „Absolutes“. Zudem hat Marx die wissenschaftliche Unvorsichtigkeit (!) begangen, seine ganze Sozialphilosophie an das Schicksal des Materialismus als philosophischer Weltanschauung zu ketten. „Mit dem Sieg oder Untergang des Materialismus steht und fällt das stolze Gebäude seines soziologischen Kalküls.“ Seite 305. „Sein soziologischer Grundfehler ist der dem Materialismus entnommene einseitige Mechanismus und fatalistische (!) Determinismus.“ Marx habe übersehen, dass der Soziologe es „mit lebendigen, willensbegabten, intellektuell hochentwickelten und ihr Eigenleben eifersüchtig behauptenden Individuen zu tun hat.“ Seite 310. Er „hat das menschliche Individuum ganz und gar mechanisiert“ u. s. w. Alle diese Stellen sind zitiert nach der zweiten „verbesserten“ Auflage dieses Werkes, die, obzwar erst vor kurzem erschienen, doch gegenüber der bereits an so vielen Irrtümern in der Auffassung des richtigen Sinnes dieser Lehre von Marx arbeitenden wissenschaftlichen Diskussion gänzlich unverbesserlich geblieben zu sein scheint.

13. F. Engels und Karl Marx, Die heilige Familie, Nachlass, II., Seite 187.

14. Wohl am meisten zur Ausprägung eines solchen materialistischen Sinnes der „materialistischen“ Geschichtsauffassung beigetragen, ja eigentlich erst konsequent in diesem missverständlichen Sinn ausgearbeitet hat sie Rudolf Stammler in seinem Buche Wirtschaft und Recht, worin er sich durch die lobenswerte kritische Strenge, mit der er in seinem Werre bedacht ist, kausale und teleologische Auffassung logisch zu scheiden, dazu gedrängt sah, die nach seiner Meinung bei Marx unfertige materialistische Geschichtsauffassung wenigstens zunächst zum Behufe ihrer kritischen Würdigung einmal aus den bei Marx und Engels zerstreut vorkommenden Stellen systematisch konsequent zu entwickeln, nur dass diese Konsequenz leider nicht die des Marxschen Gedankens war, sondern vielmehr an dessen Begriff des Ökonomischen (Produktions-) Verhältnisses völlig vorübergegangen ist, welches, wie wir gesehen haben, stets den Menschen in seiner vergesellschafteten Form mit der hieraus sich ergebenden besonderen Art seiner Tätigkeit bereits eingeschlossen enthält. So hat also gerade erst Stammler jenen „sozialen Materialismus“ als angebliche Lehre von Karl Marx dargestellt, der gegenüber dann das revisionistische Bedürfnis einer Einfügung ideologischer Momente freilich unabweislich schien. Es ist dies so charakteristisch, nicht nur für das Missverständnis der materialistischen Geschichtsauffassung seitens der neuerdings aufgetretenen „Revision“ auch dieser Grundlehre von Marx, sondern ebenso für die Art, wie allein aus Marx ein Materialist zu machen ist, dass mir gestattet sein möge, eine grössere Stelle aus Stammlers Werk herzusetzen. Er führt dort in dem Abschnitt, welcher die materialistische Geschichtsauffassung zur Darstellung bringen soll, aus, dass diese zu einer Lehre des „sozialen Materialismus“ werde „durch Einschiebung der Meinung, dass auch für das soziale Leben Materie (soziale Wirtschaft) und Bewegung (der ökonomischen Verhältnisse) als das betrachtet werden können, was allein wahrhaft ist und geschieht; dass dagegen soziale Ideen, Vorstellungen und Wünsche als blosse erscheinende Abbilder zu erachten seien, gesetzmässig abhängig von der sozialen Materie, das ist der gesellschaftlichen Wirtschaft und deren realen Veränderungen. Nach der materialistischen Sozialphilosophie gibt es keine andere Gesetzmässigkeit für menschliches Gesellschaftsleben, als diejenige der Sozialwirtschaft, als der Materie des sozialen Zusammenlebens der Menschen, Die soziale Wirtschaft ist das alleinig Reale im sozialen Leben; ihre Bewegungsgesetze sind die einzigen Wahrheiten in diesem Gebiete, Alles, was sonst neben diesen Realitäten der ökonomischen Phänomene erscheint, wie vor allem Ansichten über die gesetzmässige Berechtigung bestimmter sozialer Bestrebungen, ist nur Reflex, sind lediglich Spiegelbilder, die als selbständige Gegenstände anzunehmen eine wissenschaftliche Täuschung bedeutet (g. v. m.). Das gesamte geistige Leben eines Volkes ist nach der materialistischen Geschichtsauffassung weiter nichts (g. v. m.) als ein von der Materie der betreffenden Gesellschaft, der sozialen Wirtschaft derselben, hervorgebrachter und abhängiger Widerschein dieser sozialen Wirtschaft. Wie dem Materialisten seit Demokrit die Materie die allein wahre Substanz, die Seele nur abhängiger Schein ist und er die psychischen Vorgänge im Menschen aus Bewegungen der Materie ableiten und erklären will, so wird dieser von dem sozialen Materialismus auf das Gesellschaftsgebiet dahin übertragen, dass nur das wirtschaftliche Zusammenwirken als reale Substanz des menschlichen Gemeinschaftslebens zu behandeln sei, dass aus der besonderen Art der ökonomischen Verhältnisse die Aeusserungen psychischen Lebens sich erklären und entsprechend bestimmen und daher die einzig mögliche Gesetzmässigkeit des sozialen Lebens in der Erkenntnis gesetzmässiger Bewegungen der ökonomischen Phänomene zu finden sei.

15. Neue Zeit, XV 1, Seite 231.

16. Neue Zeit, ebd., Seite 72I. – Vergl. ähnlich Franz Mehring, Ueber den historischen Materialismus (Anhang zur Lessing-Legende), Stuttgart 1893, Seite 450 ff.; H. Cunow, Neue Zeit, XVII 2, Seite 592–593.

17. Siehe darüber meinen Aufsatz: Sombarts historische Sozialtheorie, Neue Zeit, XXI 1, Seite 552–553 und 556.

18. Neue Zeit, XXI 1, Seite 710–711. – Vergl. hierzu Kapital, III 2, Seite 553: „Wir haben gesehen, dass der kapitalistische Produktionsprozess eine geschichtlich bestimmte Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses überhaupt ist. Dieser letztere ist sowohl Produktionsprozess der materiellen Existenzbedingungen des menschlichen Lebens, wie ein in spezifischen, historisch-ökonomischen Produktionsverhältnissen vor sich gehender, diese Produktionsverhältnisse selbst und damit die Träger dieses Prozesses, ihre materiellen Existenzbedingungen und ihre gegenseitigen Verhältnisse, das heisst ihre bestimmte ökonomische Gesellschaftsform produzierender und reproduzierender Prozess. Denn das Ganze dieser Beziehungen, worin sich die Träger dieser Produktion zur Natur und zueinander befinden, worin sie produzieren, dies Ganze ist eben die Gesellschaft, nach ihrer Ökonomischen Struktur betrachtet,“ Desgleichen Marx, Lohnarbeit und Kapital, Seite 21.

19. Neue Zeit, XX 2, Seite 189.

20. A. a. O., Kritische Schlacht gegen den französischen Materialismus, Nachlass, II., Seite 231 ff.

21. Vergl. Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, Wider den Dualismus von Leib und Seele, II., Seite 362–363: „Wahrheit ist weder der Materialismus noch der Idealismus, weder die Physiologie noch die Psychologie; Wahrheit ist nur die Anthropologie, Wahrheit nur der Standpunkt der Sinnlichkeit, der Anschauung, denn nur dieser Standpunkt gibt mir Totalität und Individualität. Weder die Seele denkt und empfindet – denn die Seele ist nur die personifizierte und hypostasierte, in ein Wesen verwandelte Funktion oder Erscheinung des Denkens, Empfindens und Wollens – noch das Hirn denkt und empfindet – denn das Hirn ist eine physiologische Abstraktion, ein aus der Totalität herausgerissenes, vom Schädel, vom Gesicht, vom Leibe überhaupt abgesondertes, für sich selbst fixiertes Organ ... Das Wesen des Lebens ist die Lebensäusserung.“ – Der nähere Anschluss Feuerbachs an den Materialismus eines Moleschott in den letzten Jahren seines Lebens kommt hier, wo wir es mit dem Feuerbachianismus der Marxschen Werdezeit zu tun haben, nicht in Betracht. Aber auch nach dieser Richtung ist Feuerbach genug missverstanden worden.

22. Ludw. Feuerbach, Grundsätze der Philosophie der Zukunft, a. a. O., II., Seite 326: „Die neuere Philosophie suchte etwas unmittelbar Gewisses ... Unbezweifelbar, unmittelbar gewiss ist nur, was Objekt des Sinns, der Anschauung, der Empfindung ist“, und ferner Seite 330: „Mit Recht leitet (daher auch) der Empirismus den Ursprung unserer Ideen von den Sinnen ab; nur vergisst er, dass das wichtigste, wesentlichste Sinnesobjekt des Menschen der Mensch selbst ist, dass nur im Blicke des Menschen in den Menschen das Licht des Bewusstseins und Verstandes sich entzündet. Der Idealismus hat daher recht, wenn er im Menschen den Ursprung der Ideen sucht, aber unrecht, wenn er sie aus dem isolierten, als für sich seiendes Wesen, als Seele fixierten Menschen, mit einem Worte aus dem Ich ohne ein sinnlich gegebenes Du ableiten will. Nur durch Mitteilung, nur aus der Konversation des Menschen mit dem Menschen entspringen die Ideen. Nicht allein, nur selbander kommt man zu Begriffen, zur Vernunft überhaupt. Zwei Menschen gehören zur Erzeugung des Menschen – des geistigen so gut“ wie des physischen: die Gemeinschaft des Menschen mit dem Menschen ist das erste Prinzip und Kriterium der Wahrheit und Allgemeingültigkeit.“

23. Ludw. Feuerbach, a. a. O., Das Wesen des Christentums (Vorrede zur 2. Auflage, 1843), VII., Seite 10 und 11.

24. Ludw. Feuerbach, a. a. O., Grundsätze der Philosophie der Zukunft, II., Seite 329–330.

25. Ludw. Feuerbach, a. a. O., Wider den Dualismus etc., II., Seite 379.

26. So steht also das Wort „materialistisch“ bei Marx in einem ganz eigenen Sprachgebrauch, in welchem es fast durchaus nur diesen oben charakterisierten Gegensatz zur willkürlichen idealistischen Konstruktion bezeichnet und eine Berufung auf die materielle Basis aller Wissenschaft ausdrückt, die Erfahrung. So drückt zum Beispiel Marx diesen Gegensatz selbst einmal in einer Wendung aus, in welcher dieser ihm gebräuchliche Sinn des Wortes „materialistisch“ unmittelbar hervorspringt, wenn er sagt: „Es ist viel leichter, durch Analyse den irdischen Kern der religiösen Nebelbildungen zu finden, als umgekehrt aus den jedesmaligen wirklichen Lebensverhältnissen ihre verhimmelten Formen zu entwickeln. Das letztere ist die einzig materialistische und daher wissenschaftliche Methode.“ „Einzig“ materialistisch im Gegensatz gerade zu dem in Bezug auf das soziale Leben nicht mehr seine volle Realität wiedergebenden naturwissenschafllichen Materialismus, von dem es im unmittelbaren Fortgang der zitierten Stelle heisst: „Die Mängel des abstrakt naturwissenschaftlichen Materialismus, der den geschichtlichen Prozess ausschliesst, ersieht man schon aus den abstrakten und ideologischen Vorstellungen seiner Wortführer, sobald sie sich über ihre Spezialität hinauswagen.“ Kapital, I., 4. Auflage, Seite 336. Und ebenso werden die ökonomischen Verhältnisse „materielle“ Verhältnisse im Gegensatz bloss zu den aus sich selbst heraus die Geschichte gebärenden Ideen. Seine Geschichtsauffassung nennt Marx derart eine materialistische, nur weil sie bestrebt ist, sich gegen eine Metaphysik zu wenden, welche „die materielle Geschichte von der idealen produziert werden lässt“. (Marx und Engels, Der ,heilige Max, Dokumente des Sozialismus, III., Seite 69)

27. Vergl. Seite 217–219 dieser Studie.

28. Engels und Marx, Die heilige Familie, Nachlass, II., Seite 233.

29. A. a. O., Seite 238.

30. A. a. O., Seite 238.

31. A. a. O., Seite 238–239.

32. A. a. O., Seite 240.

33. A. a. O., Seite 232.

34. Vergl. die interessante, meines Wissens einzige Stelle, in welcher Marx auf Kant in etwas ausführlicherer Weise zu sprechen kommt, in Der ‚heilige Max‘, Dokumente des Sozialismus, III., Seite 170.

35. Friedr. Engels, Umwälzung der Wissenschaft, 3. Auflage, Seite 11.

36. Imm. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Reclam, Seite 51 und 53.

37. Karl Marx, Das Kapital, I., 4. Auflage, Vorwort zur 1. Auflage, Seite V–VI.

38. Vergl. Imm. Kant, Vorrede zur 1. Auflage der Kritik der reinen Vernunft: „Ich verstehe aber hierunter nicht eine Kritik der Bücher und Systeme, sondern die des Vernunftvermögens überhaupt, in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung, streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfanges und der Grenzen derselben, alles aber aus Prinzipen.“ Reclam, Seite 5–6. Erst innerhalb des von diesem Standpunkte sich freilich über alle Bücher und Systeme erstreckenden Gesichtskreises fallen diese nunmehr auch der Kritik im gewöhnlichen Sinne des Wortes anheim. Nicht anders scheint es mir auch mit dem Hauptwerk von Karl Marx bestellt zu sein, das geradezu in seiner eigentlich theoretischen Leistung verkannt wird, wenn man es lediglich als eine Kritik der bis dahin vorhandenen nationalökonomischen „Bücher und Systeme“ auffasst. Wenn es gewiss eine solche Kritik in der historisch umfassendsten Weise enthält, so ebenfalls nur, weil es in erster Linie darauf ausgeht, die Erkenntnismittel in selbständigem Gedankenprozess zu gewinnen, mit denen sichere wissenschaftliche Erkenntnis auf dem Gebiete der Nationalökonomie erlangt werden kann. Die Kritik der nationalökonomischen Bücher und Systeme Ist derart nur die zur Anwendung gebrachte Einsicht in die alle nationalökonomische Erkenntnis überhaupt erst zu einer Wissenschaft gestaltenden prinzipiellen Voraussetzungen.

39. Karl Marx, Kapital, I., 4. Auflage, Seite XIV.

40. Karl Marx, a. a. O., Seite VIII und VI.

41. Karl Marx, Einleitung zu einer Kritik der politischen Oekonomie in Neue Zeit, XXI., I., Seite 773. Vergl. hierzu auch Kapital, I., 4, Auflage. Seite 42: „Das Nachdenken über die Formen des menschlichen Lebens, also auch ihre wissenschaftliche Analyse, schlägt überhaupt einen der wirklichen Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum und daher mit den Resultaten des Entwicklungsprozesses.“

41a. Im Buch wird wieder auf Fußnote 41 hingewiesen. [Anm. von MIA]

42. Karl Marx, Kapital, I., 4. Auflage, Seite XVII.

43. Friedrich Engels über Karl Marx, Sozialistische Monatshefte, 1900, IV., Seite 44.

44. Imm. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Einleitung zur 2. Ausgabe, Reclam, Seite 647.

45. Karl Marx, Kapital, III 2, Seite 352: „Alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen.“

46. Karl Marx, Nachlass, I., Seite 289.

47. Karl Marx, Neue Zeit, XXI 1, I., Seite 773.

48. Ob hier nicht eigentlich „Objekt“ zu lesen wäre?

49. Karl Marx, Neue Zeit, a. a. O., Seite 773–774.

50. Vergl. Karl Marx, Elend der Philosophie, 7. Auflage, Seite 90: „Die ökonomischen Kategorien sind nur die theoretischen Ausdrücke, die Abstraktionen der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse.“

51. Karl Marx, Neue Zeit, XXI 1, I., Seite 773.


Zuletzt aktualisiert am 16 December 2020